• Aucun résultat trouvé

Vergleich der Entwicklung der direkten Dernokratie in der Schweiz und in den USA

I. Geschichtliche Entwicklung

3. Vergleich der Entwicklung der direkten Dernokratie in der Schweiz und in den USA

a. Mittelbare und unmittelbare Einjliisse

Weder in der Schweiz noch in den Gliedstaaten der USA entwickelte sich die direkte Demokratie abgeschottet von auslandischen Einflüssen. Die Schweiz übernahm bewusst Erfahrungen und Ideen amerikanischen Staatsrechts in bezug auf die Ausgestaltung des Foderalismus und des Zweikammersystems121, nicht jedoch im Hinblick auf direktdemokratische

119 Neben Initiative, Referendum und Abbernfungsrecht nahmen die Stimmbürger u.a. die Ein-führnng des Frauenstimnu·echts an, verschiedene Vorlagen, die die Macht der Eisenbahnge-sellschaften brechen sollten, ausgedehnte Autonomie für die Gemeinden und eine Reorgani-sation der Gerichte; vgl. CAL. CoMM'N, 41 f.; es handelte sich dabei um die Umsetzung eini-ger der grundlegenden politischen Fordernngen der Progressives; vgl. HOFSTADTER, 257.

120 AbstimmungserHiuternngen (ballot pamphlet) von 1911.

121 RAPPARD, Pennsylvania, 316 ff.; KôLZ, Ve1fassungsgeschichte, 554 ff., 618, 623. Laut KôLZ sollte die unmittelbare Übernahme von amerikanischen Verfassungseinrichtungen aber nicht überschiitzt werden. Selbst das Zweikammersystem und der F6deralismus erhielten ein spezi-fisch schweizerisches Gesicht.

Grnndlagen - Geschichtliche Entwicklung

Konzeptionen. Diese waren über den Umweg der franzosischen Revolution und der darauffolgenden Besetzung durch die napoleonischen Tmppen in die Schweiz gelangt. Trotz der Bedeutung der altschweizerischen Traditionen der Landsgemeinden wurde für die Einfühmng der Initiative vor allem aus den Ideen der Montagnarde-Verfassung geschopft122. Die franzosischen Verfas-sungen des Jahres 1793 waren aber ihrerseits von amerikanischen Ideen durchdmngen. Die Eirungenschaften Neuenglands hatten somit mittelbar ihren Weg in die Schweiz gefunden. Die Dauerhaftigkeit von Initiative und Referendum auf eidgenossischem Boden wurde ihrerseits dadurch begünstigt, dass die Schweiz im Hinblick auf die direkte Demokratie mit den Landsge-meinden und Volksanfragen auf eigene Traditionen zurückblicken konnte.

Gewisse amerikanische Gliedstaaten kannten wie die Schweizer Lands-gemeindekantone schon seit geraumer Zeit direktdemokratische Verfahren, indem der Gmndsatz der Volkssouveranitat bereits in den offentlichen Ge-meindeversammlungen, den town meetings, umgesetzt worden war. Die er-sten Verfassungsreferenden in Neuengland waren eine Fortsetzung der be-reits ausgeübten Gesetzgebung durch das Volk. lm Laufe des 19. Jahrhun-derts breitete sich <las obligatorische Ve1fassungsreferendum dann auf alle Gliedstaaten aus, mit der Ausnahme Delawares.

Die Einfühmng von Initiative und fakultativem Referendum war in der Folge durch die Schweizer Eifahrungen erheblich begünstigt worden. Mit einer Fülle von Artikeln, Büchem und Reisen beschaftigten sich die Populists mit den Schweizer Volksrechten und machten sie einem breiten Publikum bekannt. Sie, und daraufhin die Progressives, bezogen sich bei ihren Bemü-hungen um mehr direkte Demokratie ganz bewusst und unmittelbar auf die-se neuen Rechtsinstitute aus der Mitte des Alten Kontinentes123Sie konnten durch die in der Schweiz gemachten Erfaluungen daraufve1weisen, dass ilu·e Einfühmng auch in grôsseren Staatswesen dure ha us moglich sei 124

Die Neuenglandstaaten hatten somit über den Umweg der franzosischen Revolution einen bedeutenden Einfluss auf die Entstehung der direkten Demokratie in der Schweiz ausgeübt. Die Konkretisiemng der Volksrechte

122 KôLz, Ve1fassu11gsgeschichte, 309. Diese Quellen wurdenjedoch in den verfassungsgebenden Versammlungen wohlweislich verschwiegen, weil allem Franzosischen damais ein revolntio-niirer Geschmack anhaftete; vgl. KôLZ, Franzosische Revolution, 114 f.

123 COLLINS & ÜSTERLE, 54 f,

124 V gl. Taxpayers to Limit Campaign Spending v. Fair Political Practices Commission, 274 Cal.

Rptr. 787, 801 (1990): «The 1911 ballot argument advised the voters that the initiative was not untried, having been used in Switzerland for 50 years [ ... ]».

Grnndlagen Geschichtliche Entwicklung

in den westlichen Gliedstaaten der USA ergab sich ihrerseits aus einer un-zweifelhaften Anlehnung an die Weiterentwicklung und den Ausbau der di-rekten Demokratie in der Schweiz.

b. Anstoss «von untem>

In Kalifornien und im Bund ging der Impuls zur Einführung der Volksrechte von unterer staatlicher Ebene aus. Die regenerierten Schweizer Kantone, wie erwahnt von franzi:isischem Gedankengut beeinflusst, kannten die Initiative und <las Referendum var deren Verankernng auf Bundesebene. Bis zum In-krafttreten der Bundesverfassung von 1848 waren sie allein souverane Staats-wesen, wahrend die Eidgenossenschaft bloss einen lockeren Staatenbund bildete125In ihnen kamen die liberalen Ideen zum Durchbrnch, wozu insbe-sondere der Grundsatz der Volkssouveranitat gehürte. So entwickelten sich das obligatorische Verfassungsreferendum und verschiedene Formen von Gesetzesreferenden und Volksinitiativen auf kantonaler Ebene, bevor sie vom neu gegründeten Bundesstaat übernommen wurden.

Die nachste Welle des Ausbaus der direkten Demokratie hatte ihren Ur-sprnng in noch gri:isserem Umfang in den Kantonen. Die demokratische Bewegung der 1860er und 1870er Jahre führte zunachst zur Einführnng des fakultativen Gesetzesreferendums in denjenigen Kantonen, die am starksten von ihr erfasst worden waren. Unter dieser Einwirkung fand es daraufhin Einlass in die Bundesverfassung von 1874.

Auch in den USA entstanden direktdemokratische Rechte zuerst auf lo-lcaler Ebene. Noch unter englischer Herrschaft trafen die Bürger der Gemein-den Neuenglands die wichtigen Entscheidungen innerhalb der town meetings.

In den Staaten, wo sich dieses Versammlungssystem entwickelt hatte und allgemein gebrauchlich geworden war, wurden gegen Ende des 18. Jahrhun-derts die ersten Verfassungsreferenden durchgeführt.

Als die Populists und die Progressives ein Jahrhundert spater den Aus-bau der direkten Demokratie in Form von Initiative und Referendum forder-ten, konnten sie auf die Volksrechte verweisen, die bereits auf Gemeinde-ebene und vor allem in den Stadten verbreitet waren. Zwar konnten sie sich nicht in jedem Gliedstaat auf die lokalen Erfahrungen stützen. Auch waren sie, selbst wenn direktdemokratische Rechte in einigen Staaten auf Gemeinde-ebene bereits vorhanden waren, nicht jedes Mal erfolgreich. Aber in verschie-denen Gliedstaaten und insbesondere in Kalifornien war die Gewahrleistung

125 AUBERT, Histoire, 17.

Grundlagen - Geschichtliche Entwicklung

weitgehender Organisationsautonomie für die Gemeinden (home rule) weg-bereitend für die spatere Einführung von direktdemokratischen Rechten126. Los Angeles, San Francisco und knapp zwanzig weitere counties und cities hatten die «modemen» Formen von Initiative und Referendum nach dem Schweizer Modell eingeführt, bevor sie in die kalifomische Verfassung auf-genommen wurden127. Als wahrend der Debatten im kalifomischen Parlament auf deren revolutionare Auswirkungen hingewiesen wurde, konnte dem Ar-gument mit dem Hinweis auf ihre Verbreitung in Oregon und in Los Angeles die Spitze gebrochen werden128.

ln der Schweiz auf Bundesebene und in Kalifomien hatte sich demnach die direkte Demokratie zuerst auf unterer staatlicher Ebene herausgebildet.

Den Anfang hatten in der Eidgenossenschaft die Kantone, in Kalifomien die counties und cities gemacht. Darüber hinaus kannten die Gliedstaaten der USA, beeinflusst durch die town meetings, seit langem das obligatorische Verfassungsreferendum und auch die Schweiz konnte auf eine geraume Er-fahrung mit unmittelbarer Gesetzgebung durch das Volk zmückblicken. Die ersten Versuche im lokalen Rahmen und die Tradition von direkt-demokratischen Rechten waren wohl nicht unabdingbar für die Einfiihrung von direkter Demokratie in Kalifomien und in der Schweiz. Sie waren je-doch vermutlich entscheidend für die Dauerhafligkeit, die ihr in der Folge beschieden war.

c. Ideologische Hintergründe

Auf ideologischer Ebene ergab sich die Einführung von direktdemokratischen Rechten in der Schweiz und in den Vereinigten Staaten aus ahnlichen Be-weggiünden. lm Mittelpunkt stand das Misstrauen gegenüber den herrschen-den Schichten, indem der Protest gegen volksfremd oder korrupt geworherrschen-dene Behürden zur Forderung nach Mitbestimmungsrechten des Volkes führte.

Damit erhofften sich die verschiedenen Bewegungen gleichzeitig materielle Verbesserungen.

126 AUER, Référendum et Initiative, 111.

127 Das kalifomische Parlament scheint sich durchaus bewusst gewesen zu sein, dass die direkte Demokratie in der Praxis umgesetzt werden kiinnte, da dies bereits in den Gemeinden geschehen war; vgl. ALLSWANG, 7: «îhere seemed to be general agreement among the neophyte legislators that the process was beneficial at the city and county level [ ... ]».

128 Senator Gates und Kongressabgeordneter Clark; vgl. GRAVES, 1318.

Grundlagen - Geschichtliche Entwicklung

Schon die Verwerfung des ersten Verfassungsreferendums in Massachu-setts li:isst zutage treten, dass die Bürger die Kontrolle über die Ausarbeitung einer neuen staatlichen Grnndordnung nicht den bereits eingesetzten Gewalten überlassen wollten. Die Verfassung ist hoherrangig als alle Gesetze, weshalb ihre Ausarbeitung nur mit der Zustimmung des Volkes - für jede einzelne Phase des Verfahrens - vorgenommen werden durfte. Erst nachdem eine zweite Vorlage von einem neu gewiihlten Verfassungsrat verabschiedet wor-den war, gab das Volk seine Zustimmung129.

Als die Schweizer Kantone zu Beginn der Regenerationszeit neue Ver-fassungen verabschiedeten, geschah dies nicht zuletzt aufgrnnd von Volks-bewegungen, die sich gegen die auf schwachen Beinen stehende Legitimitiit der Ordnungen der Restaurationszeit auflehnten. Erst die neuen Verfassun-gen, welche die Zustimmung des Volkes erhalten hatten, bereiteten der re-volutioniiren Stimmung ein Ende130Die Einführnng der direkten Demokra-tie erfolgte demnach insbesondere wegen der weitverbreiteten Unzufrieden-heit mit den herrschenden Kreisen131Damit wurde gleichzeitig <lem von liberaler Seite geforderten Grnndsatz der Volkssouveriinitat zum Durchbrnch verholfen. Der Unmut mit den Regiernngen konnte durch die Verabschie-dung neuer Verfassungen besiinftigt werden, allerdings nur, wenn sie vom Volk angenommen worden waren.

Dreissig Jahre spater war die demokratische Bewegung wiedernm gegen ein System gerichtet, <las die Anliegen der Bevülkernng zu wenig in Betracht zog132. So ist in einem Leitartikel der Berner Tageszeitung «Der Bund» aus

<lem Jahre 1862 zu lesen: «Die Unzufriedenheit des Volkes mit dem Büro-kratismus der Regiernngen ist nun der eigentliche Grnnd aller

Revisions-129 AUER, Référendum et Initiative, 73. Die regenerie1ien Kantone führten iihnliche Verfahren ein, denn auch dort erhielt das Volk die Kontrolle über das gesamte Verfahren. In den Kantonen Aargau, Bern, St. Galien, Luzem, Freiburg, Waadt und Schaffhausen wurden verfassungsge-bende Versammlungen gewiihlt. In den Kantonen Thurgau und Zürich wurde das Parlament neu zusammengesetzt. Einzig im Kanton Solothurn wurde damais die neue Verfassung vom bestehenden Parlament ausgearbeitet; vgl. KôLZ, Ve1fassungsgeschichte, 220.

13

°

KôLz, Ve1fassungsgeschichte, 218 ff.

131 «When, looking over the general political development of Switzerland in the course of the nineteenth century, we endeavor to discover the causes which led to the establishment of the initiative and of the referendum, we find that popular discontent with those in power was always and eve1ywhere the most patent factor». RAPPARD, Initiative, 143; kursiv angefügt. Àhnlich KôLZ, Ve1fassu11gsgeschichte, 305.

132 AUBERT, Histoire, 36 f.

Grundlagen - Geschichtliche Entwicklung

bewegungen»133Dem fügte sich die Überzeugung an, dass der direkten Demokratie ein Wert an sich zukomme134Ausserdem wollten sie dadurch erreichen, dass soziale Reformen umgesetzt würden135

Diesbezüglich findet sich eine Parallele zu den Populists, die als erste bedeutende amerikanische Protestbewegung die Einführnng von Initiative und Referendum forderten. Ihnen ging es in erster Linie um die wirtschaftliche Besserstellung ihrer Klientel, den verarmtenfarmers. Nicht umsonst erhiel-ten sie Unterstützung von den Sozialiserhiel-ten. Die direkte Demokratie sollte dazu dienen, die Privilegien der Reichen zu brechen: «Populists saw the initiative as a means to enact redistributive measures»136

Anders verhielt es si ch mit den Progressives. Obwohl sie die Anliegen der Populists aufnahmen, ging es ihnen mit <lem Verlangen nach direkter De-mokratie vor allem um eine effiziente Verwaltung, gesaubert von Korrupti-on. Dadurch wollten sie jedoch nicht die soziale Frage lôsen, sondem es schwebte ihnen im Gegenteil vor, diese zu umgehen137. Für sie war die di-rekte Demokratie vor allem ein Mittel, um zu erreichen, dass Parlament, Regiernng und Gerichte der Kontrolle durch die machtigen wirtschaftlichen Interessengruppen entrissen würden. Für die Progressives war somit der Anstoss für die Einführnng von Initiative und Referendum die Unzufrieden-heit und <las Misstrauen gegenüber den gewahlten Behôrden, die nicht mehr der ursprünglichen Idee der Volksvertretung entsprachen138In dieser Hin-sicht gingen sie weiter ais die Reformbewegungen in der Schweiz, was Auswirkungen batte auf die Ausgestaltung der Volksrechte. Das Regiernngs-system Kalifomiens war zur Zeit der Einführung von Initiative und Refe-rendum derart verfilzt und <las Ansehen der Behürden derart angeschlagen, dass ihnen nur ausserst beschrankt die Moglichkeit zugestanden werden sollte, in <las Verfahren einzugreifen. Die Volksrechte sollten auf keinen Fall dem korrumpierenden Einfluss der politischen Eliten ausgesetzt werden.

133 Zitiert bei SCHAFFNER, 158.

134 KôLZ, Franzosische Revolutio11, 111 f.

135 AUER, Référendum et Initiative, 90.

136 COLLINS & ÜSTERLE, 56.

137 PAPADOPOULOS, Démocratie directe, 35 f.; AUER, Référendum et Initiative, 90; HOFSTADTER, 238 ff.

138 Dem fügte sich das Vertrauen in den gesunden Menschenverstand und den Altruismus der Bürger an; vgl. HOFSTADTER 260 f: «[The Man of Good Will] would act and think as a public-spirited individual, unlike al! the groups of vested interests that were ready to prey on him [ ... ]. Far from joining organizations to advance bis own interests, he would dissociate himself from such combinations and address himself directly and high-mindedly to the problems of govemment».

Grnndlagen - Geschichtliche Entwicklung

Fast jeder Schub für die Einführnng oder den Ausbau der Volksrechte war demnach in verschiedener Form durch drei Überzeugungen gepriigt. Entwe-der konnte die direkte Demokratie einen Wert an sich haben wie wiihrend der demokratischen Bewegung in der Schweiz oder für verschiedene ameri-kanische Bewegungen zu Beginn des Jahrhunderts (Direct Legislation League, u.a.). Oder man erhoffte sich davon materielle Verbesserungen, so die Populists. Schliesslich war sie als Instrument gedacht, die Behürden zu mehr Verantwortlichkeit gegenüber dem Volk zu zwingen (Liberale wiihrend der Regeneration) oder aber ganz zu umgehen (Progressives). Die Idee war, dass das Volk das Recht haben sollte, mittels Referendum unpopuliire Gesetze oder Verfassungsiinderungen zu blockieren. Oder aber das Volk sollte durch die Initiative dazu ermiichtigt sein, selber Vorschliige einzubringen, um so An-liegen durchzusetzen, die von den Parlamenten vernachliissigt worden wa-ren. Diese drei Ziele schlossen sich gegenseitig nicht aus, sondem konnten sich ergiinzen wie beispielsweise bei der demokratischen Bewegung, die sich von der direkten Demokratie soziale Reformen erhoffte und ihr gleichzeitig einen Eigenwert zuschrieb.

d. Die direktdemokratischen Rech te in der Schweizer Bu11desve1f assung und in der amerikanischen U11io11sve1fassu11g

lm Bereich der Volksrechte besteht der zentrale Unterschied zwischen der Schweiz und den USA darin, dass direktdemokratische Instrumentarien auf Bundesebene eingeführt wurden, wiihrend die amerikanische Union bis heute ein rein repriisentatives System kennt. Die Schweizer Verfassungsviiter von 1848 entstammten den im Sonderbundskrieg siegreichen, regenerie1ten Kan-tonen, die das liberale Programm auf gesamtschweizerischer Ebene verwirk-lichen wollten. Dazu gehürte der Grundsatz der Volkssouveriinitiit, der in Gestalt des obligatorischen Verfassungsreferendums und spiiter der Volks-initiative veiwirklicht wurde.

Die amerikanischen Founding Fathers von 1787 standen ihrerseits jegli-cher Art von unmittelbarer Verfassungs-, beziehungsweise Gesetzgebung durch das Volk ablehnend gegenüber. Die bekannteste Ausnahme bildete Thomas Jefferson, der davon ausging, dass der Staat allein durch die Mitbestimmung des Volkes die notwendige Legitimitiit erhalte139Er setzte seine Überzeu-gung, das Volk sei der einzige zuverliissige Sachwalter der politischen

139 CRONIN, 40.

Grundlagen - Geschichtliche Entwicklung

Macht140, gegen die Federalists allerdings nicht durch. Hamilton, Madison und Jay, die Verfasser der Federalist Papers, waren ihrerseits der Ansicht, eine Republik müsse reprasentativ gestaltet sein, denn das Gemeinwohl kônne nur durch Volksvertreter verwirklicht werden, die aufgrund ihrer Weisheit, ihrer Ehrfurcht vor dem Recht und ihrer Vaterlandsliebe die Interessen des Volkes wahrten141Die Republik sollte demnach durch ein elitiires Element gekennzeichnet sein.

Dieser Auffassung stellten sie die Staatsform der «Demokratie» gegen-über, in der sich der Entscheid des Volkes als Entscheid der Mehrheit aussert.

Die Rechte der Minderheit kônnten dadurch nicht genügend geschützt wer-den. In einer Demokratie würde somit nicht das allgemeine Wohl, sondern nur das Interesse der Mehrheit gewahrleistet sein. Daraus erwachse die Gefahr, dass sich das Staatswesen in verschiedene Parteien aufsplittere. Die Folgen waren Zwietracht und Aufstande142. Diese Furcht vor der Tyrannei der Mehr-heit und vor der Anarchie sprach folglich gegen die Demokratie. Damit verknüpft war die Befürchtung, das Eigentum sei in einer Demokratie nicht ausreichend geschützt. Schuldner und Glaubiger verfolgten immer gegensatz-liche Ziele. In einer Demokratie würde die eine Partei versuchen, sich auf Kosten der anderen zu bereichern. Der Angst um den Schutz der Minderheit fügte sich die Sorge um das Eigentum an.

Schliesslich waren die Federalists der Meinung, ein «demokratisches»

System kônne in einem ausgedehnten und bevôlkerungsreichen Staatswesen nicht umgesetzt werden. Stark vereinfachend stellten sie die Demokratie als reine Volksherrschaft ohne Parlament dar, im Sinne des antiken Athens. Sie zogen nicht in Betracht, dass das reprasentative System durch Volksabstim-mungen, die damais bereits bekannt waren, durchaus erganzt werden kônn-te. Eine Demokratie war in ihren Augen nur in kleinen Staatswesen prakti-kabel, was wiederum die Gefahr vergrôssere, dass sich die gemeinsamen Interessengruppen zusammenschliessen würden, um ihre Ziele zu erreichen.

In einer grossen Republik sei es demgegenüber ungemein schwieriger, dass sich die verschiedenen Gruppierungen zu einer Partei vereinigten. Je mehr Personen gemeinsame Interessen verfolgen müssen, desto grôsser würde das Misstrauen untereinander143.

14

°

CRONIN, 163.

141 FEDERALIST Nr. 10, 73 ff.

142 FEDERALIST Nr. ] Ü, 69 ff.

143 FEDERALIST Nr. 10, 75 f.

Grundlagen Geschichtliche Entwicklung

Dem Volk wurden samit keinerlei Mitspracherechte über die Verfassungs-und Gesetzgebung der Union zugesprochen. Dies wurde im Jahre 1920 im Urteil Hawke v. Smith durch <las hôchste amerikanische Gericht bestatigt144

In Ohio war zwei Jahre zuvor eine Verfassungsiindernng in Kraft getreten, wonach die Ratifizierung einer Àndernng der Verfassung der USA dem Volk unterbreitet werden sollte145Gegen diese Bestimmung wurde Klage einge-reicht, nachdem sie bei der vorgeschlagenen Einführung der Prohibition (Eighteenth Amendment) zur Anwendung gekommen war. Der amerikanische Supreme Court entschied, die Verfassung sehe gemass Art. V U.S. Cst. zwei Arten der Annahme von Verfassungsanderungen durch die Staaten vor. Ent-weder erhielten sie die Zustimmung von drei Vierteln der staatlichen Parla-mente oder aber von der gleichen Anzahl von verfassungsgebenden Versamm-lungen in den Gliedstaaten. Der amerikanische Kongress sei frei, zwischen den beiden Verfahren zu wiihlen146Aufjeden Fall würden so beratende Ver-sammlungen, die den Willen des Volkes widerspiegeln, mit der Ratifiziernng betraut147. Der klare Wortlaut von Art. V U.S. Cst. belasse keinen Auslegungs-spielraum. Das Vetfahren bei Ànderungen der amerikanischen Verfassung sei allein von ihr selbst geregelt, weshalb die Gliedstaaten keine abweichenden Prozeduren vorsehen k6nnten148Die Gliedstaaten seien folglich nicht dazu befugt, Ratifiziernngen der amerikanischen Unionsverfassung <lem Volk zu unterbreiten.

144 Hawke v. Smith, 253 U.S. 221 (1920).

145 Der Wortlaut dieser Bestimmung lautete: «The people also reserve to themselves the legisla-tive power of the referendum on the action of the General Assembly ratifying any proposed amendment to the Constitution of the United States».

146 Art. V U.S. Cst.: «The Congress, whenever two-thirds ofboth houses shall deem it necessary, shall propose amendments to this Constitution, or, on the application of the Legislatures of two-thirds of the several states, shall call a convention for proposing amendments, which, in either case, shall be valid to ail intents and purposes, as part of this Constitution, when ratified by the Legislatures of three-fourths of the several states, or by conventions in three-fomihs thereof, as the one or the other mode of ratification may be proposed by the Congress; provided that no amendment which may be made prior to the year one thousand eight hundred and eight shall in any manner affect the first and fourth clauses in the ninth section of the first article; and that no state, without its consent, shall be deprived of ils equal suffrage in the Senate».

147 Hawke v. Smith, 253 U.S. 221, 226 f.: «Bath methods of ratification by Legislatures or conventions, call for action by deliberative assemblages representative of the people, which it was assumed would voice the will of the people».

148 Ha\vke v. Smith, 253 U.S. 221, 230.

Grundlagen - Geschichtliche Entwicklung

lm Unterschied zur Schweiz enthalt somit die amerikanische Verfassung von 1787 bis heute keine direktdemokratischen Rechte. Die demokratische Bewegung, die in den 1860er und l 870er Jahren die Einführung des fakul-tativen Gesetzesreferendums aufBundesebene zur Folge batte, war ein

lm Unterschied zur Schweiz enthalt somit die amerikanische Verfassung von 1787 bis heute keine direktdemokratischen Rechte. Die demokratische Bewegung, die in den 1860er und l 870er Jahren die Einführung des fakul-tativen Gesetzesreferendums aufBundesebene zur Folge batte, war ein