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des politischen Systems

4. Reaktionen auf Initiativen

a. Der parlamentarische Gegenvorschlag

Das kalifomische Parlament verfügt über das Recht, einer Volksinitiative einen Gegenvorschlag (counter-proposal) gegenüberzustellen. In der Verfassung nicht ausdrücklich vorgesehen, ergibt sich dieses Recht aus der allgemeinen Befugnis des Parlaments, Gesetze und Verfassungsiindernngen zu verabschie-den. Kalifomische Gegenvorschliige werden nicht als eigentliche Altemativen

«Wartefristem> zu ve1meiden, sind die Initianten dazu gezwungen, mehr Unterschriften zu sammeln ais notwendig sind. Fallt ihre Anzahl niimlich in die oben erwahnte Marge von 95 bis 110 Prozent, so werden aile Unterschriften überprüft, was das Verfahren um mindestens dreissig Tage in die Lange zieht. Dadurch riskieren sie, dass ihr Begehren erst am übemach-sten Abstimmungsdatum dem Stimmvolk unterbreitet wird. V gl. SECRETARY OF STATE, Your Guide to Direct Democracy.

369 Vgl. CAL. CoMM'N, 189 ff.; MAGLEBY, Direct Legis/ation, 87 ff.

370 Im Durchschnitt verfügten die Gegner einer Initiative für ihre Kampagnen lediglich über 66 Prozent der Geldmittel der Initianten bei Primarwahlen. Bei Hauptwahlen gaben die Gegner hingegen durchschnittlich 148 Prozent mehr aus ais die Initianten; CAL. CoMM'N, 190 f.

371 Gemiiss eigenen Auswertungen wurden fünf von fünfzehn Initiativen an den Primiilwahlen von 1990 bis 1998 angenommen, im Unterschied zu achtzehn von 44 Initiativen bei den ent-sprechenden Hauptwahlen.

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im Sinne einer Entscheidung zwischen Initiative und Gegenvorschlag mit allfülliger Stichfrage dem Volk unterbreitet, sondern finden sich auf den Stimmzetteln unter den «gewohnlichem> Referendumsvorlagen. Werden sie auf Gesetzesstufe verabschiedet, werden sie im übrigen dem Volk nur unter-breitet, wenn das fakultative Referendum ergriffen wurde (Art. 2 § 9 Cal.

Cst.). Parlamentarische Alternativen sind demnach gewissermassen von der Initiative abgekoppelt, weshalb dem kalifornischen Verfassungsrecht die aus der Schweiz bekannte Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Ge-genvorschliigen fremd ist372

Parlamentarische Gegenvorschliige sind in Kalifornien kaum von Bedeu-tung. Craig Ho/man vom Centerfor Governmental Studies in Los Angeles unterstreicht die geringen Auswirkungen: «As early as Proposition 13373, the Legislature placed its own moderate tax reform measure on the ballot to serve as a counter-measure. Usually, however, the legislative measures are defeated for being too-little, too-late»374Die Erkliirung für dieses «zu spiit» und «zu wenig» liegt in der gesetzlichen Ausgestaltung der Volksinitiative375

Die ausserordentlich kurzen Abstimmungsfristen erschweren oder verunmoglichen gar wirkungsvolle und ernsthafte Alternativvorschliige sei-tens des Parlaments376Diesem fehlt schlicht die Zeit, si ch eingehend mit dem Begehren zu befassen und ihm eine glaubhafte und erfolgversprechende Alternative gegenüberzustellen. Ein paar Monate genügen in der Regel nicht für die Verabschiedung einer identischen Vorlage durch Senat und Repriisen-tantenhaus. Sollte der Gouverneur sein Veto einlegen, muss die «Bill» zu-dem eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Kongresses erhalten, damit sie zum Gesetz wird377Dieselbe Zweidrittelmehrheit ist erforderlich, um einen Gegenvorschlag auf Verfassungsstufe zu verabschieden378, was innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitspanne kaum moglich ist. Die kurzen Abstimmungsfristen erkliiren folglich weitgehend die zu spat ausge-arbeiteten und substanzarmen parlamentarischen Gegenvorschliige.

372 Vgl. infra 2. Teil, II. 5.

373 Es handelte sich bei Proposition 13 um eine Initiative aus <lem Jahre 1978, die bedeutende Ànderungen im Steuerwesen Kalifomiens verlangte. Sie führte zu einschneidenden Massnah-men auf <las politische System Kalifomiens, halte Auswirkungen auf eine Reihe anderer Staaten, wo iihnliche Reformen vorgenommen wurden, und lôste wegen ihres Erfolges allgemein eine verstiirkte Initiativtiitigkeit aus.

374 Auskunft von Craig Holman vom 6. November 1998; vgl. auch SCHRAG, 145.

375 V gl. hierzu auch VON ARX, L'expérience américaine, 34 ff.

376 Vgl. supra 2. Teil, 1. 3.

377 Art. 4 § 10 a Cal. Cst.

378 A1i. 18 § 1 Cal. Cst.

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Eine weitere Eigenart des kalifornischen Initiativrechts liegt der Selten-heit der Alternativen seitens der Behürden zugrunde: Volksinitiativen kon-nen nicht zurückgezogen werden. Es wird in jedem Falle über das Begehren abgestimmt. Dies hatte beispielsweise zur Folge, dass Proposition 225 an den Primarwahlen des Jahres 1998 angenommmen wurde, obwohl dessen Jnitianten den Stimmbürgern nahelegten, das Begehren zu verwerfen, weil es gegen hôherrangiges Recht verstosse379. Die Volksinitiative wird durch den fonnellen Entscheid des Zustandekommens dem Zugriff der Initianten ent-zogen380. Auch ein für die Initianten noch so attraktiver Gegenvorschlag kann demnach hochstens Grund für die Ve1werfung der Initiative sein, aber nicht zu ihrem Rückzug führen. Deshalb besteht keinerlei Anreiz für die Behür-den, Kompromisse auszuarbeiten oder einen Dialog mit den Initianten zu suchen. Selbst wenn sie eine Vorlage ausarbeiten, die in grossen Zügen oder gar deckungsgleich die Forderungen des Begehrens ve1wirklicht, haben die Initianten keine Moglichkeit, ihrerseits den Behürden entgegenzukommen.

Sobald das Begehren zustande gekommen ist, besteht in Kalifornien folg-lich keine Mogfolg-lichkeit mehr zu einer Zusammenarbeit zwischen dem Parla-ment und den Initianten.

Die kurzen Abstimmungsfristen haben demnach zur Folge, dass das Par-lament kaum Gegenvorschliige verabschieden kann, wahrend die fehlende Rückzugsklausel dazu führt, dass es keine Alternativen ausarbeiten will. Ais Konsequenz kennt Kalifornien kein give and take zwischen den Behürden und den Initianten.

Das bedeutet nun keineswegs, dass Volksinitiativen keine Alternativen gegenübergestellt werden. Diese entstammen in erster Linie Gegnern der Initiative aus der Zivilgesellschafl.

379 Proposition 225 verlangte die Einführnng von Amtszeitbeschriinkungen für die kalifornischen Vertreter im amerikanischen Kongress, was gegen Art. V U.S. Cst. verstiess, der diesbezüg-lich abschliessende Bestimmungen festlegt. Dessen waren sich die Initianten bewusst, denn im Abstimmungsbüchlein (Arguments in favor of Proposition 225) legten sie dem Stimmvolk eine Ablehnung nahe: «This initiative was part of a national campaign to enact a constitutional amendment for tetm limits on Congress. Unfmtunately, similar initiatives passed in other states have been ove1tumed in comt, and this approach has been dropped. Thus, passage of this measure will likely result only in needless and costly litigation. In fact, in order to save money, we went to comt to avoid a meaningless electiom>. Die Initiative wurde mit 52.9 Prozent der Stimmen angenommen und in der Folge für ungültig erkliirt. Vgl. Bramberg v. Jones, 20 Cal.

4th 1045, 1047 (1999).

380 Die einzige Ausnahme ist eine Ungültigerkliirnng durch die Gerichte vor der Abstimmung (pre-election review), was jedoch relativ selten geschieht; vgl. inji-a 3. Teil, I. 2.

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b. Die Gegeninitiative

Verhindert die rechtliche Ausgestaltung der Volksinitiative weitgehend par-lamentarische Gegenvorschlage, so ermi:iglicht sie ohne weiteres die Ausar-beitung von Gegeninitiativen (counter-initiatives). Der Unterschied zum Gegenvorschlag besteht darin, dass die Gegeninitiative von Stimmbürgern ausgearbeitet wird. Es handelt sich um Alternativvorschlage aus dem Volk und nicht von den Behi:irden.

Gegeninitiativen sind in Kalifornien in den vergangenen Jahren so hiiu-fig geworden, dass man in diesem Zusammenhang nicht mehr von Ausnah-men, sondern von einem «Gegeninitiativensumpfü spricht381Sie werden von gegnerischen Wirtschafts-, Industrie- oder Bürgergruppen als Antwort auf ein Volksbegehren eingereicht. Entweder wollen sie dieses durch eine weniger weit gehende Alternative ve1wassern oder sie schlagen diametral entgegen-gesetzte Forderungen im gleichen Sachbereich vor382. Mit dieser Strategie werden verschiedene Ziele verfolgt383Zum einen ki:innen sie ihren Autoren bei Annahme eine vorteilhafte Verfassungs- oder Gesetzesanderung besche-ren, indem die Rechtsordnung in ihrem Sinne umgestaltet wird. Zum ande-ren ki:innen sie als reine Kampfmittel dienen384Es geht dann darum, die gegnerische Initiative zu besiegen, indem die Gegeninitiative die Stimmbür-ger verwirrt, da ihnen mehrere Vorlagen über dieselbe Materie vorgeschla-gen werden. Dies erschwert es den Bürgern, sich über die Auswirkunvorgeschla-gen und Urheber der verschiedenen Initiativen ein Bild zu machen, mit der Tendenz, dass alle Begehren ve1worfen werden385So wird der Status Quo gewahrt, wodurch die Gegner von Reformen ihr Ziel erreicht haben.

In den achtziger Jahren entdeckten Wirtschaftsverbande und andere In-teressengruppen (C01porate Interests) sowie Politiker die Wirksarnkeit die-ses Instruments, um der Annahme von «feindlichen» Volksbegehren vorzu-beugen. Für die Abstimmung vom Juni 1988 wurde beispielsweise eine In-itiative lanciert, welche die Finanzierung der Wahlkampagnen neu regeln wollte (Proposition 68). Als Reaktion darauf arbeitete eine Gruppe von

381 STErN, The Califomia Constitution and the Counter Initiative Quagmire.

382 STEfN, 145.

383 BANDUCCI, 110; STEIN, 156 ff.

384 Das Gesetz verbietet zwar die Lancierung von Initiativen mit <lem Zweck, die Annahme einer anderen Initiative zu vereiteln 18'670 Elections Code). Soweit ersichtlich kam diese Be-stimmung noch nie zur Anwendung.

385 Vgl. STEIN, 156 ff. sowie CAL. CoMM'N, 181.

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Kongressabgeordneten386 eine Gegeninitiative (Proposition 73) aus, die we-niger weitreichende Reformen in diesem Bereich vorschlug. An der Ume erhielt sie in der Folge mehr Stimmen als das ursprüngliche Begehren, was einen liingeren Rechtstreit nach si ch zog387

Ebenfalls im Jahre 1988 kamen an den Hauptwahlen zwei Initiativen über die Neuregelung des Versichernngswesens zur Abstimmung (Proposition 100 und 103). Versichernngsgesellschaften führten daraufhin gegen diese Begehren eine der teuersten Abstimmungskampagnen der Geschichte Kaliforniens.

Gleichzeitig lancierten sie ihre eigenen zwei Gegeninitiativen (Proposition 101 und 104). Sie waren jedoch nicht erfolgreich, da einzig Proposition 103 vom Volk angenommen wurde388.

Der Hohepunkt dieser Entwicklung wurde gemiiss Stein im November 1990 en-eicht389 An diesen Hauptwahlen wurden den kalifornischen Stimmbürgern dreizehn Begehren zur Abstimmung unterbreitet. Nicht weniger als acht waren Gegeninitiativen, die von miichtigen Industrieverbanden eingereicht worden waren. Ein besonders drastisches Beispiel für den Einsatz von Gegeninitiativen war die Strategie der Alkoholindustrie, Proposition 134 zu bekiimpfen390Diese Gesetzesinitiative hiitte eine Steuererhôhung auf alkoholische Getranke eingeführt (nickel-a-drink). Als sich abzeichnete, dass dieser Vorschlag moglicherweise vom Volk angenommen würde, reagierten die Alkoholfirmen mit zwei verschiedenen Massnahmen. Einerseits erreichten sie, dass das Parlament einen der seltenen Gegenvorschliige verabschiedete, der im Vergleich zu Proposition 134 eine bescheidenere Steuer auf Alkohol schlug (Proposition 126). Anderseits reichten sie ihre eigene Verfassungsinitiative ein (Proposition 136), welche eine rückwirkende Bestimmung enthielt, wonach Steuererhôhungen auf alkoholische Getriinke eine Zweidrittelsmehrheit der Stimmbürger erforderten.

386 Vgl. CAL. CoMM'N, 271. Es handelte sich tatsiichlich um eine Volksinitiative und nicht um einen direkten Gegenvorschlag. Proposition 73 war niimlich nicht vom Parlament verabschie-det worden, sondem von den Volksvertretem wie von «gewèihnlichen» Stimmbürgem einge-reicht worden. Wie noch darzulegen sein wird, ist die Initiative auch für gewiihlte Behôrden-mitglieder ein beliebtes Instrnment. Anstatt kontroverse Gesetze im Parlament durchzubrin-gen, lancieren sie hiiufig ihre eigenen Initiativen.

387 Vgl. den folgenden Abschnitt.

388 CAL. COMM'N, 271.

389 STEIN, 156 ff.

39

°

CAL. CoMM'N, 181 f.

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Die Alkoholindustrie vermochte somit der urspriinglichen Gesetzesinitiative zwei Vorlagen auf Ve1fassungsstufe gegenüberzustellen. Bei Annahme wa-ren sie aufjeden Fall in Kraft getreten, auch wenn das Begehwa-ren aufGesetzes-stufe mehr Stimmen erhalten hatte. Die im folgenden Abschnitt besproche-ne Regel, dass dasjenige Begehren in Kraft tritt, das mehr Stimmen erhalt, findet bei unterschiedlicher Normenstufe keine Anwendung. Ausserdem hatte die eingeführte Zweidrittelsmehrheit für Steuererhêihungen in diesem Bereich die Annahme der Gesetzesinitiative ohnehin praktisch vernnmoglicht. Ihre Strategie war erfolgreich, da alle drei Vorlagen verworfen wurden. Damit wurde der Status Quo gewahrt, wodurch die Alkoholindustrie keine Einbussen erlitt.

c. Die A1111a/11ne von zwei sich widerspreche11de11 Volksi11itiative11

Gegeninitiativen vernrsachen in Kalifornien rechtliche Probleme, wenn sie gleichzeitig mit der ursp1ünglich eingereichten Initiative angenommen wer-den. lm Falle eines solchen Konfliktes bestimmt Art. 2 § 10 b der kaliforni-schen Verfassung: «If provisions of two or more measures approved at the same election conflict, those of the measure receiving the highest affirmati-ve vote shall prevail». Schliessen sich die beiden Initiatiaffirmati-ven gegenseitig vollstandig aus, so bereitet die Urteilsfindung keine Schwierigkeiten: Dieje-nige, die mehr Stimmen erhielt, wird auf Kosten der anderen umgesetzt.

Umstritten ist hingegen, wenn sich die Initiativen nicht in all ihren Forde-rnngen widersprechen, d.h. wenn sie sich den Stimmbürgern als Alternati-ven mit ahnlicher Stossrichtung anbieten. Tritt dann ausschliesslich diejeni-ge in Kraft, die mehr Stimmen erhalten hat? Oder werden auch diejenidiejeni-gen Bestimmungen der weniger erfolgreichen Initiative umgesetzt, die von je-ner nicht betroffen sind?

Der kalifornische Supreme Court batte im Jahre 1990 zu entscheiden, welche der erwahnten Initiativen hinsichtlich der Wahlkampffinanziernng in Kraft treten sollte (Campaign Finance)391Beide betrafen dieselbe Materie, den Wahlkampf, widersprachen sich jedoch in gewissen Fordernngen. Pro-position 68, die weniger Stimmen erhalten batte, sah Begrenzungen für Ausgaben und Spenden für die Wahlkampfe vor, wahrend die Kandidaten gleichzeitig finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten sollten. Sie be-schrankte sich aufWahlen in den Senat und das Reprasentantenhaus.

Propo-391 Taxpayers v. Fair Political Practices, 274 Cal. Rptr. 787 (1990).

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sition 73 verlangte hingegen, dass für den Wahlkampf keine ojfentlichen Gelder mehr verwendet werden dürfen. Dieses Verbot sollte für Wahlen in alle ôf-fentlichen Àmter gelten.

Sowohl die Klager als auch die Fair Political Practices Commission, die für das Gericht ein Gutachten erstellt hatte, waren der Ansicht, dass sich der Wortlaut von Art. 2 § 10 b Cal. Cst. auf die Bestimmungen der beiden Initia-tiven bezieht, die miteinander in Widerspruch stehen. Von den Forderungen, die sich ausschliessen, sollen gemass dieser Auslegung nur diejenigen der erfolgreicheren Initiative in Kraft treten. Alle Bestimmungen der weniger popularen Initiative, welche der anderen Initiative nicht widersprechen, sollten hingegen abgetrennt und sofem môglich - ebenfalls umgesetzt werden. Dies sollte nach den Kriterien der Teilungültigkeit bemessen werden392Dadurch würde das erfolgreichere Begehren gesamthaft in Kraft treten, gemeinsam mit den Forderungen der anderen Initiative, die mit ihm zu vereinbaren sind.

Laut der Mehrheit des Gerichts ist Art. 2 § 10 b Cal. Cst. jedoch so auszulegen, dass die Initiative, die mehr Stimmen erhiilt, auf Kosten aller Bestimmungen der anderen in Kraft tritt393Gemass dieser Auslegung verhinde1t folglich die erfolgreichere Initiative die Umsetzung des Begehrens, das weniger Stimmen erhielt, vollstandig. Diese Schlussfolgerung fanden die Richter durch eine historische und systematische Auslegung bestatigt394Ausserdem waren sie der Ansicht, dass es nicht Aufgabe des Gerichts sei, aus den verschiedenen Bestimmungen von zwei sich widersprechenden Initiativen ein neues Ganzes zu formen. Dies würde zu einer durchmischten Regelung (hybrid regulat01y scheme) führen, was weder die Initianten noch die Stimmbürger wollten. Es sei ohnehin nicht môglich, deren Wunsch nachzuvollziehen: «A construction of Art. 2 § 10 b that obligates the comt to implement a fictitious electoral intent would be unreasonable und unjustified»395

Das Urteil des Supreme Court hat den Vorteil, dass sich die Richter in Zukunft nicht der mühsamen Aufgabe zuwenden müssen, zwei Initiativen auf all ihre widersprechenden Bestimmungen zu untersuchen. Justice Ken nard folgt hingegen in ihrer dissenting opinion u.E. zu Recht der oben e1wahnten Auslegung von Att. 2 § 10 b, die von den Klagem und der Fair Politica!

392 Vgl. infra 3. Teil, I. 6.

393 «[ ... ) when initiatives with provisions that are in fundamental conflict receive affirmative votes at the same election, on/y the provisions of the measure receiving the highest affirmative vote are opera/ive». Taxpayers v. Fair Political Practices, 274 Cal. Rptr. 787, 800. Kursiv ange-fügt.

394 Taxpayers v. Fair Political Practices, 274 Cal. Rptr. 787, 800 f.

395 Taxpayers v. Fair Political Practices, 274 Cal. Rptr. 787, 802.

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Practices Commission vertreten wurde. Der Wortlaut von Art. 2 § 10 b Cal.

Cst. sei eindeutig und verpflichte die Gerichte, alle Bestimmungen der zwei Initiativen zu überprüfen. Die Gerichte dürften nicht aus Bequemlichkeit vor dieser Aufgabe zurückschrecken396. Auch mit der Entscheidung der Mehr-heit, die unterlegene Initiative sei nichtig, war sie nicht einverstanden. «To prevail» bedeute, dass sie lediglich nicht zur Anwendung komme, solange die erfolgreichere in Kraft trete397Sollte diese in der Folge von den Gerich-ten für ganz oder teilweise ungültig erklihi werden, so müsste die andere umgesetzt werden, soweit die beiden miteinander in Übereinstimmung ge-bracht werden konnen398Ansonsten bestehe die Gefahr, dass der ausd1ück-liche Wille der Stimmbürger missachtet wird.

Genau dies geschah anschliessend mit Proposition 73. lm Urteil Service Employees International v. Fair Political Practices Commission wurden ihre hauptsiichlichen Forderungen für ungültig erkliirt, weil sie die Amtsinhaber gegenüber den Herausforderem in unzuliissiger Weise begünstigte399Die einzige Bestimmung, die von Proposition 73 in Kraft treten konnte, war <las Verbot, offentliche Gelder für Briefsendungen zwecks Wahlpropaganda zu verwenden. Die Klage der Initianten von Proposition 68, dass ihre Initiative nun zum grossten Teil in Kraft treten solle, wurde abgewiesen400Somit konnten die Stimmbürger keine wesentlichen Neuregelungen der Wahlkiimpfe einfüh-ren, obwohl sie gleich zwei Initiativen in diesem Sinne angenommen hatten.

Taxpayers bereitet nicht nur Probleme hinsichtlich der Missachtung des zweifach ausgedrückten Willens der Mehrheit der Stimmbürger. Genauso schwerwiegend ist die Tatsache, dass dieses U1ieil die Gegner von Initiati-ven geradezu dazu einliidt, GegeninitiatiInitiati-ven zu lancieren401Um ein Begeh-ren zu bekiimpfen, genügt es, wenn sie eine Alternative ausarbeiten, die in

396 «We may not elevate judicial convenience over constitutional command». Dissenting opinion von Justice Kennard, Taxpayers v. Fair Political Practices, 274 Cal. Rptr. 787, 814.

397 «[ ... ] the tenns <eontrob and <prevaii> mean only that the one measure will take precedence over the other, not that the other will be without effecl>>. Dissenting opinion von Justice Kennard, Taxpayers v. Fair Political Practices, 274 Cal. Rptr. 787, 818.

398 Gleicher Ansicht war auch Justice Mosk in seiner concurring and dissenting opinion: «A dead horse cannot win a race. If one proposition is ultimately declared invalid, the other necessarily prevails by default>>. Taxpayers v. Fair Political Practices, 274 Cal. Rptr. 787, 813.

399 Service Employees International v. Fair Political Practices Commission, 955F2d1312 (1992).

400 Gerken v. Fair Political Practices Commission, 25 Cal. Rptr. 2d, 449 (1993).

401 Taxpayers hiitte eigentlich den Vorteil gehabt, die Arbeit der Gerichte zu vereinfachen, indem sie nicht mehr zwei sich widersprechende Initiativen daraufuntersuchen müssten, ob ihre Re-gelungen übereinstimmen. Da dieses Urteil zu mehr Gegeninitiativen führen kann, wird den Gerichten moglicherweise mehr Arbeit aufgebürdet werden, weil sie dann vermehrt Konflik-te zwischen zwei alKonflik-temativen Begehren Iosen müssen; CAL. CoMM'N, 308 ff.

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einer bedeutsamen Fordernng der ursprünglichen Initiative widerspricht. In der Hoffuung, sie werde mehr Stimmen gewinnen, liegt ihr einziges Ziel in der Vereitelung der Umsetzung der ersten Initiative. Laut Justice Mosk liisst Taxpayers ein solches Vorgehen ohne weiteres zu. «An opponent could take advantage of this reality to offer the voters a competing initiative that artfully conceals its trne aim by failing to declare its opposition to the target initia-tives the voter can readily comprehend»402

Zusammenfassend werden Volksinitiativen in Kalifornien Alternativen gegenübergestellt. Diese werden immer hiiufiger von Grnppen aus der Zivil-gesellschaft ausgearbeitet und nicht vom Parlament, dessen Aufgabe die Wahrnng des Gemeinwohls ist. Gegeninitiativen stellen grnndsatzlich die Funktion des Initiativrechts in Frage. Die Volksinitiative gibt den Stimmbür-gern die Moglichkeit, Gesetzes- und Verfassungsandernngen vorzuschlagen, die von den Behürden nur unbefriedigend oder gar nicht an die Hand ge-nommen wurden. Gegeninitiativen dienen nun vor allem der Verfolgung von

«privaten» Interessen, indem Vorschliige aus dem Volk durch die Verwürung der Stimmbürger bekampft werden. Dies drangt sich umso weniger auf, ais den Stimmbürgern wahrend der Abstimmungskampagne ausserordentlich weitreichende Moglichkeiten zugestanden werden, eine Volksinitiative zu bekampfen oder zu propagieren.