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Direkte Demokratie und Volksinitiative

Man sagt gewôhnlich, ein Volk habe die Regierung, die es verdient. Kennt ein politisches System direktdemokratische Rechte, so lebt das Volk zudem unter den Gesetzen, die es verdient. Dies trifft weltweit wohl nirgendwo so ausgepragt zu wie in der Schweiz und in Kalifornien. In der Tat verfügen die Stimmbürger dieses amerikanischen Gliedstaates, des Bundes und der Kantone über ausgedehnte staatliche Mitbestimmungsrechte und üben sie weltweit am haufigsten aus. Diese Rechte erlauben eine starke Annaherung an das Ideal der Volksherrschaft, die eine «Demokratie» kennzeichnet: «Die Demokratie ist eine unter mehreren môglichen Herrschaftsordnungen, eine Staatsform, die auf der Volkssouveranitat beruht und in welcher das Volk an der Ausübung staatlicher Gewalt beteiligt ist. Demolaatie als Volksherrschaft meint [ ... ] nicht <Selbstherrschafü des Volkes, sondern Rückführung aller staatlichen Macht und Gewalt auf das Volk und Ablehnung anderer selbst-verantwortlicher Autoritaten»1Dabei muss unterschieden werden zwischen reprasentativen und direkten Demokratien.

In einer reprasentativen Demokratie trifft das Volk durch Wahlen die Entscheidung, wer die Herrschaft im Staate ausübt; die gewahlten Vertreter regieren an seiner Stelle. Das Volk übt die Souveranitat indirekt aus.

In einer direkten Demokratie wird dem Volk zusiitzlich die Befugnis zu-gestanden, Sachentscheide zu treffen. Dadurch weiten sich die Mitbestim-mungsrechte der Stimmbürger betrachtlich aus. Aus dem «0rganschaffenden Organ»2 wird ein zusatzlicher Entscheidungstrager im Staate. In der rein-sten Form eines solchen Systems sind Regierende und Regierte deckungs-gleich. In der Praxis ist jedoch auch eine direkte Demokratie auf eine Volks-vertretung angewiesen, denn eine «reine Selbstherrschafu> des Volkes ist in modemen, ausgedehnten Staatswesen nicht praktikabel. Die vollstandige Identitiit von Regierenden und Regierten ist heute, wie früher, nicht mog-lich3. Auch die direkte Demokratie bedarf im politischen Alltag der drei

RH1Now, 145. Bei diesem Autor findet sich eine Übersicht über die verschiedenen Ansiitze,

«Demokratie» zu definieren, 137 ff.

2 STELZENMÜLLER, 30.

3 Auch in den Landsgemeinden in einigen Schweizer Kantonen oder in den allmiihlich selten gewordenen town meetings in gewissen Gemeinden der amerikanischen Ostküste kennt man

Einleitung

«klassischen Gewaltem> des Staates, d.h. des Parlaments, der Regiernng und der Gerichte. Sie ist eine Erganzung zur reprasentativen Demokratie, kein Ersatz. Zudem ist das reprasentative Element eng mit der direkten Demo-kratie ve1woben. Wahlkandidaten aussem sich beispielsweise haufig zu klar umrissenen Vorlagen, wodurch der Wahler bei der Entscheidung für eine Person gleichzeitig mittelbar über eine Sachfrage befindet. Umgekehrt ver-Iauft ein Abstimmungskampf oft sehr personenbezogen, weil gewahlte Behôrdenmitglieder sich gegebenenfalls stark für eine Vorlage einsetzen4Für die Definition direkter Demokratie ist aber das Kriterium entscheidend, ob das Volk, zusatzlich zu Wahlen, über Mitbestimmungsrechte im Hinblick auf staatliche Erlasse verfügt5. Heute nimmt das Volk die direktdemokratischen Rechte mittels Referendum und Initiative wahr.

Das Referendum gibt den Stimmbürgem die Befugnis, in einer Volksab-stimmung einen Erlass der Behôrden anzunehmen oder zu ve1werfen. Der Beschluss, in der Regel des Parlaments, ist damit nicht endgültig, sondem benotigt für sein Inkrafttreten die Zustimmung des Volkes6. Das Referendum ist obligatorisch, wenn die Vorlage ohne Zutun des Stimmvolkes, von Am-tes wegen, der Abstimmung unterbreitet wird. Erst durch die Annahme durch die Stimmbürger wird sie rechtskraftig. Das Referendum ist demgegenüber

repriisentative Organe für die Gesetzgebung. Selbst in bezug auf die antike Demokratie Athens kann man nicht von einer reinen «Selbstregierung des Volkes» sprechen, weil das Volk sich nur aus einer relativ kleinen Schicht der Einwohner zusammensetzte. Frauen, Sklaven und Zugewande1ie waren von den politischen Rechten ausgeschlossen.

Vgl. auch HANGARTNER & KLEY, 132: «Das Volk handelt selbstverstiindlich weder ais Einheit noch einheitlich. Wenn die moderne Demokratietheorie betont, dass die Vorstellungen von der Selbstregierung des Volkes und von der Identitiit von Regierenden und Regierten eine Fiktion seien, so rennt sie insofern offene Türen eim>. Ebenso TsCHANNEN,Maulkorbinitiative, 51.

Vgl. TRECHSEL & SERDÜLT, 6.

Daraus folgt, dass das Abberufungsrecht (recall) gemiiss der hier festgehaltenen Definition nicht zu den direktdemokratischen Rechten gehfüi, obwohl es in der amerikanischen Litera-tur mitunter dazu geziihlt wird; vgl. beispielsweise CRONIN THOMAS. Direct Democracy; The Poli tics of Initiative, Referendum, and Recall. In der Tat handelt es sich um einen politischen Entscheidungsprozess, bei dem eine Persan im Zentrum steht und nicht um einen Sachentscheid.

Im Gegensatz dazu wiire der recall ofjudicial decisions, den Colorado im Jahre 1913 einge-füh1i hatte, ein direktdemokratisches Recht. Bei diesem Volksrecht handelte es sich um «ei-nen kassatorischen Volksentscheid, der gegen ein Strafurteil eingeleitet werden konnte, so-weit in diesem Staatengesetze für verfassungswidrig erkliirt wurden». STELZENMÜLLER, 87 f.

Da dieses Volksrechtjedoch im Jahre 1921 im Urteil People v. Western Union Telegraph Co, 198 P. 146, vom Obersten Gerichtshof des Staates für verfassungswidrig erkliirt wurde, ist es heu te in keinem ametikanischen Gliedstaat mehr veranke1i; es rnag jedoch ais Illustration dienen für die Abgrenzung zwischen Personen- und Sachentscheiden.

HANGARTNER & KLEY, 146.

Einleitung

fakultativ, wenn die Volksabstimmung über den staatlichen Erlass von einer festgelegten Anzahl Stimmberechtigter verlangt werden muss. Dieses Volks-recht übt vorwiegend eine blockierende Funktion aus, da damit das Inkraft-treten von Beschlüssen der Behéirden verhindert werden kann. Das Referen-dum ist somit ein «bewahrendes, retardierendes Volksrecht»7

Die Volksinitiative gibt den Stimmbürgem das Recht, se/ber Er/asse vor-zuschlagen. Sie erlaubt einem Teil der Stimmberechtigten, eine Volksabstim-mung über die Einführung, Aufhebung oder Ânderung eines staatlichen Erlasses herbeizuführen. Am Anfang dieses Ve1fahrens der Rechtsetzung steht eine Gruppe von Stimmbürgem, d.h. ein Komitee oder in Kalifomien gege-benenfalls nur eine Einzelperson. Nicht das Volk lanciert Initiativen, sondem ein ausgewahlter Personenkreis, der allein verantwortlich ist für die Formu-lierung des Begehrens8. Auch für das Zustandekommen ist lediglich die Zustimmung eines gesetzlich festgelegten Ausschnittes aus der Gesamtbe-vôlkerung erforderlich. Dieser Teil der Stimmbürgerschaft setzt sich bei der heutigen Fo1m der Initiative in der Schweiz und in Kalifomien aus einer Minderheit zusammen9, die dadurch die Moglichkeit erhiilt, ihre Anliegen in das politische System einzubringen. Erst am Schluss des Verfahrens stimmt das gesamte Stimmvolk mittels Mehrheitsentscheid über das Begehren ab. Die Initiative ist damit ein bindendes Vorschlagsrecht des Volkes. lm Gegensatz und als Erganzung zum Referendum ist es ein «dynamisches Volksrecht»10 Die vorliegende Studie wird sich in erster Linie mit der Volksinitiative befassen, obwohl die Schweiz auf kantonaler und nationaler Ebene sowie Kalifomien das Referendum auf Verfassungs- und Gesetzesstufe kennen.

Dieses «Vetorecht» wird weitgehend ausgeklammert, weil es in Kalifomien im Unterschied zur Volksinitiative kaum von Bedeutung ist. Die Kontroll-und Konektivfunktion von Referenden wird dort mit Hilfe der Initiative ausgeübt, womit nicht nur das Inkrafttreten des betreffenden Erlasses ver-hindert, sondem neben seiner Aufhebung auch eigene Fordernngen vorge-schlagen werden konnen. Zudem kommt in Kalifomien eine Initiative leich-ter zustande, weil die gleiche Anzahl Unleich-terschriften wie für ein Referendum e1forderlich ist. Für ein Initiativbegehren steht aber mehr Zeit zur Verfügung.

7 HANGARTNER & KLEY, 153.

8 RHINOW, 209 f.

9 In der Regenerationszeit war in gewissen Kantonen für die Auslôsung einer Volksinitiative aufTotalrevision die Zustimmung der Mehrheit der stimmberechtigten Bürger gefordert. Vgl.

infi"a 1. Teil, I. 1. c.

IO HANGARTNER & KLEY, 157.

Einleitung