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Von den amerikanischen Ursprüngen zur Rezeption in den Schweizer Kantonen

I. Geschichtliche Entwicklung

1. Von den amerikanischen Ursprüngen zur Rezeption in den Schweizer Kantonen

a. Der Grundsatz der Volkssouveriinitiit in Neue11gla11d

Die moderne direkte Demolaatie entstand in den ehemals englischen Kolo-nien Nordamerikas. Die Bürger der neu gegründeten Siedlungen, stark ge-pragt von egalitar-puritanischen Überzeugungen, wollten gemeinsam die Entscheidungen treffen, die das Gemeinwesen betrafen. Zu Beginn des 17.

Jahrhunderts ve1wirklichten sie den Grundsatz der Volkssouveranitat, der aus dem Prinzip des common assent entsprang, indem in versammelter Gemein-schaft das Volk25 seine Beamten wahlte und die grundlegenden Entscheidun-gen der Gemeinde fàllte. Die AbstimmunEntscheidun-gen und Wahlen wurden in soge-nannten town meetings durchgeführt, welche erstmals im Jahre 1632 in Cam-bridge, im heutigen Staat Massachusetts, eingeführt worden waren. Von doit verbreitete sich das Versammlungssystem auf fast alle übrigen Gemeinden Neuenglands26.

Die Gemeindeorganisation der town meetings war gewohnlich in Grün-dungsve1iragen, sogenannten covenants, veranke1t. Es handelte sich dabei noch nicht um Verfassungen im heutigen Sinne, da die Umgrenzung und Zuord-nung der politischen Macht lediglich in Ansatzen umrissen wurde27lm Bewusstsein, dass sie weiterhin Untertanen der englischen Krone waren, schwebte den Siedlern auch nicht die Gründung neuer Staatswesen vor. Den weitesten Schritt taten sie mit der Ausarbeitung der Fundamental Orders of Connecticut aus dem Jahre 163928, welche«[ ... ] nicht nur die erste geschrie-bene Verfassung der modernen Demokratie, sondern auch die erste formell vom Gesamtvolk angenommene amerikanische Verfassung warem>29

25 Das Stimmvolk ist auf keinen Fall mit der Gesamtbeviilkernng dieser Gemeinden gleichzu-setzen, da lediglich die mannlichen Bewohner <las Stimmrecht besassen und die Zensus-bestimmungen zu dieser Zeit sehr streng geregelt waren. Zudem waren Personen, die sich zu anderen Konfessionen bekannten, davon ausgeschlossen. Vgl. PAPADOPOULOS, Démocratie directe, 28, sowie SrELZENMÜLLER, 45. Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatten jedoch fast aile volljahrigen, weissen Manner das Stinumecht erhalten, weil es mm vor allem an den Besitz von Land gekoppelt war, wovon in den jungen Kolonien reichlich zur Verfügung stand.

Vgl. SrELZENMüLLER, 47.

26 SrELZENMûLLER, 41.

27 STELZENMÜLLER, 44 f.

28 Ein ahnliches Dokument war der G1ündungsvertrag der Gemeinde Aquidneck, im heutigen Staal Rhode Island, aus dem Jahre 1641; BoRGEAUD, 10 f.

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Heute kennen nur noch sehr kleine Gemeinden in Neuengland, an der Ostküste und im Mittleren Westen town meetings30Bereits als Tocqueville ihnen in den l 830er Jahren eine zentrale Rolle im amerikanischen Staats-recht zuschrieb31, hatten sie schon stark an Bedeutung eingebüsst32. Wegen der stetig wachsenden Bevülkernng und der zunehmenden Heterogenitat der Gemeinden war die Entscheidsuche und -findung durch die versammelten Bürger nicht mehr zeitgemass und kaum noch praktikabel33Als die engli-schen Kolonien die Unabhangigkeit von der engliengli-schen Herrschaft erlang-ten, waren die town meetings jedoch noch weit verbreitet und führten in Verbindung mit der Tradition der Gründervertrage zu den ersten Verfassungs-referenden, die in Amerika durchgeführt wurden34Allein durch die explizi-te Annahme durch das Volk erhielexplizi-ten die neuen Verfassungen die Legitimi-tüt, die sie über die gewohnlichen Gesetze hinaushob35.

b. Erste Ve1fassu11gsrefere11den

lm Jahre 1778 verabschiedete <las Parlament von Massachusetts eine neue Verfassung, die <lem Volk zur Abstimmung unterbreitet wurde. Nicht nur verfehlte sie die erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmenden, sondem sie wurde gar von achtzig Prozent ve1worfen. Die klare Ablehnung der Vorlage ergab sich insbesondere daraus, dass sie von <lem bereits beste-henden Parlament selber verfasst worden war und nicht auf die Arbeit einer

29 LOEWENSTEIN KARL. Volk und Par/amen/ nach der Staatstheorie derjiw1zosischen National-versammlung 1789. Studien zur Dogmengeschichte der umnittelbaren Volksgesetzgebung, Mün-chen 1922, Nachdruck Aalen 1964, 50, zitiert in MôcKLI, Direkte Demokratie, 65.

30 STELZENMÜLLER, 182 ff., zitiert <las U.S. Department of Commerce, Bureau of the Census, Popularly e!ected officiais, 1 und 12, wonach 87 Prozent der inunerhin 7'506 Gemeinden, in denen noch town meetings existieren, weniger ais 5'000 Einwohner ziihlen.

31 TOCQUEVILLE, Band !, 5. Kapitel.

32 Selbst in den Gemeinden, die noch town meetings durchfüh1ien, wurden nicht mehr wie ur-sp1ünglich aile Entscheidungen des Gemeinwesens von der Gesamtzahl der Stimmbürger ge-troffen. Die Erledigung der meisten Aufgaben wurde vermeh1i Volksvertretem überlassen, die für kurze Amtszeiten gewiihlt wurden.

33 Eine Ausnahme bildete Boston, wo bis zum Jahre 1822, ais die Stadt schon 43'000 Einwoh-ner ziihlte, town meetings durchgeführt wurden; STELZENMüLLER, 81 f.

34 Laut AUER, Origines, 79, bildete die Entstehung von geschriebenen Verfassungen im Zusam-menhang mit der Umsetzung des Grundsatzes der Volkssouveranitiit die Grundlage für die Entstehung des Verfassungsreferendums.

35 AUER, Référendum et Initiative, 74.

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eigens zu diesem Zweck gewahlten Versammlung zurückging36Für diese Erkli:irung spricht, dass zwei Jahre spi:iter eine neue Fassung, ausgearbeitet von einem Verfassungskonvent, die Zustimmung der notwendigen Zweidrit-telmehrheit erhielt37.

Jeder Schritt des Verfahrens erforderte dabei die Zustimmung oder Mit-wirkung des Volkes. Es musste zuerst den Grundsatz der Ausarbeitung einer Verfassung annehmen. Danach hatte es das Recht, die Mitglieder der ver-fassungsgebenden Versammlung zu wahlen, worauf ihm schliesslich die neue Verfassung zur Annahme oder Verwerfung unterbreitet wurde. Alle wichti-gen Entscheidunwichti-gen wahrend des Verfahrens wurden damit von den Stimm-bürgem getroffen. Die gewahlten Volksvertreter hatten nicht einmal das Recht, selber die Vorlage auszuarbeiten. Diese Aufgabe wurde einer eigens zu kon-stituierenden Versammlung übe1iragen. So wurde dem Parlament fast die gesamte Entscheidungsbefugnis entzogen, was auf ein tiefes Misstrauen gegenüber den regierenden Behürden hindeutet38Aufgrund der politischen, rechtlichen und sozialen Bedeutung der Totalrevision einer Verfassung ken-nen die meisten amerikanischen Gliedstaaten auch heute noch ein ahnliches Verfahren39Die Kontrolle durch das Volk soll weit, die Macht der Behôr-den eng gefasst sein.

Diese ersten in einem grosseren Staatswesen durchgefühlien Volksabstim-mungen über die Verfassung von Massachusetts wurden innerhalb der town meetings organisie1i, in denen die versammelte Gemeinde über die Vorlage beraten konnte, und sogar das Recht hatte, selber Vorschli:ige einzubringen40

Die Abstimmung über den Verfassungstext des Staates war somit die Fort-führung der unmittelbaren Gesetzgebung durch die Stimmbürger in den

36 AUER, Référendum et Initiative, 71 f. Ein weiterer Grnnd für die Verwerfung scheint im Feh-len eines Grundrechtskataloges (Bill of Rights) bestanden zu haben. Ebenso CRONIN, 41, und LOBINGIER, 342.

37 MôcKLI, Direkte Demokratie, 66.

38 AuER, Référendum et Initiative, 73 f.

39 Zwischen 1960 und 1980 wurden in 17 Gliedstaaten nicht weniger ais 23 verfassungsgebende Versammlungen gewiihlt. «The state constitutional convention is the most revered of the state institutions for constitutional change. Steeped in the themy of popular sovereignty and origi-nating during the revolutionaiy era, the convention has been described as the <greatest institu-tion of government which America lias produced> and as uniquely <embracing the significance of the American Revolution»>; MAY, 155. Für Kalifomien vgl. il1fi·a 3. Teil, I. 4.

40 Die Stimmbürger scheinen sich keineswegs gescheut zu haben, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen. Die Menge der Vorschliige venmmiiglichte eine eindeutige Ausziihlung der Stim-men; PETERS RONALD. The Massachusetts Constitution of 1780: A Social Compact, Amherst 1978, 23, zitiert bei AUER, Référendum et Initiative, 72 f.

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Gemeinden. Nicht zufàllig wurden die neuen Verfassungen nur in Neueng-land <lem Volk unterbreitet und nicht in den übrigen Staaten, denen die town meetings fremd waren41

Die Unionsverfassung aus <lem Jahre 1787 übemahm keines der direkt-demokratischen Rechte, wie sie in Neuengland entstanden waren. Dafür fanden sie in derji-m1Zosischen Revolution starken Widerhal142Beeinflusst von den amerikanischen Erfahrnngen hielt Art. 6 der Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen vom 26. August 1789 fest: «La loi est l'expression de la volonté générale. Tous les citoyens ont le droit de concourir personnel-lement, ou par leurs représentants, à sa formation»43. Der Grnndsatz der Volkssouveranitat sollte nun zum ersten Mal auch in Europa in grossem Umfang umgesetzt werden. Dies geschah im Jahre 1793 mit <lem Gironde-Entwurf sowie der Montagnarde-Verfassung44, die beide ein obligatorisches Verfassungsreferendum vorsahen45Als eigentliche Neuheit gegenüber den bereits in einigen Neuenglandstaaten eingeführten Volksrechten gewahrlei-stete der Gironde-Entwurf die Volksinitiative aufVerfassungsstufe46. Ebenso sah die Montagnarde-Verfassung in Art. 115 ein solches Volksrecht v01A7 41 Bis zum Jahre 1821 traten 26 neue Verfassungen in Kraft. Dem Volke wurden jedoch

ledig-lich diejenigen der Neuenglandstaaten Massachusetts (1778 und 1780), New Hampshire (1778 1781und1784), Connecticut (1816) und Maine (1819) unterbreitet; vgl. LOBINGIER, 338.

42 Die Diskussionen über die amerikanischen Verfassungen wurden durch John Adams und Benjamin Franklin begünstigt, die zu Beginn der l 780er Jahre in Frankreich weilten. Frank-lin liess im Jahre 1783 aile amerikanischen Verfassungen in die franzêisische Sprache über-setzen, wodurch sie einem breiten Publikum zugiinglich wurden; vgl. BoRGEAUD, 21.

43 Vgl. ebenso Art. 33 des Verfassungsentwurfes der Nationalversammlung vom 15. und 16. Fe-bruar 1793: «Un peuple a toujours le droit de revoir, de réformer, et de changer sa constitution.

Une génération n'a pas le droit d'assujettir à ses lois les générations futures, et toute hérédité dans les fonctions est absurde et tyrannique». Und vor allem das Dekret vom 21. September 1792: «La Convention nationale déclare: 1. qu'il ne peut y avoir de Constitution que celle qui est acceptée par le peuple».

44 Sie verdankte ihre Ausarbeitung in erster Linie Condorcet und Paine; vgl. BoRGEAUD, 206.

45 Daneben sah die Montagnard-Verfassung ein fakultatives Gesetzesreferendum vor (Art. 59).

Für die Ausliisung standen jedoch nur vierzig Tage zur Verfügung, was die Ausübung unge-mein erschwert halte; vgl. KôLz, Ve1:fasszmgsgeschiclzte, 84 ff.

46 Titre III section 2 art. 2: «Les citoyens français se réuniront aussi en assemblées primaires pour délibérer sur les objets qui concernent l'intérêt général de la République [ ... ) lorsqu'il s'agit, soit de requérir le Corps législatif de prendre un objet en considération, soit d'exercer sur les actes de la représentation nationale la censure du peuple, suivant le mode et d'après les règles fixées par la Constitution>>. KôLZ, Quel/enbuch, 38. Der Gironde-Entwurf kannte neben der Verfassungsinitiative auch die Gesetzesinitiative. Auf der anderen Seite war ihm

<las Gesetzesreferendum fremd; vgl. KôLZ, Ve1:fassu11gsgesc/ziclzte, 84 ff.

47 Art. 115: «Si dans la moitié des départements, plus un, le dixième des assemblées primaires de chacun d'eux régulièrement f01mées, demande la révision de l'acte constitutionnel, ou le

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Obwohl in der Abstimmung klar angenommen48, trat sie nie in Kraft, weil sie wegen des Krieges von der Nationalversammlung suspendiert wurde49.

Auch die weniger demokratische Direktorialverfassung50 aus <lem Jahre 1795 wurde dem Volk unterbreitet51 . Ihr war jedoch nur eine kurze Dauer beschie-den, denn der Staatsstreich Napoleons im Jahre 1799 bereitete den ersten Versuchen mit direkter Demokratie in Frankreich ein einstweiliges Ende52.

Umso bedeutender waren die Übemahme und die Weiterentwicklung der Grnndsiitze des Gironde-Entwurfes und der Montagnarde-Ve1fassung aus <lem Jahre 1793 durch die Schweiz. Diese Verfassungskonzepte übten einen nach-haltigen Einfluss auf deren Verfassungsentwicklung aus. Nicht in Frankreich, sondern in der Schweiz wurden die direktdemokratischen Rechte dauerhaft in der Praxis umgesetzt53.

c. Die helvetische Rezeption

Bereits im 13. Jahrhundert waren in den Kantonen erste Erfahrungen mit direkter Demokratie in der Form von Landsgemeinden, die gewôhnlich ein-mal im Jahr durchgeführt wurden, gemacht worden. Die versammelten ehr-und wehrbaren Landmanner bildeten die oberste Behôrde des Gemeinwe-sens54, indem sie sowohl die politischen Entscheidungen trafen ais auch die richterlichen Urteile füllten. lhren Ursprung verdankten die Landsgemeinden der politischen Selbstandigkeit, welche die Kantone durch den Wegfall der Reichsvogteien erworben hatten55. Solche Demokratieformen sind jedoch wegen ihres kollektiv-genossenschaftlichen Aufbaus56 von den «amerikanisch-franzôsischen» Referenden zu unterscheiden.

changement de quelques-uns de ses aiiicles, le Corps législatif est tenu de convoquer toutes les assemblées primaires de la République, pour savoir s'il y a lieu à une Convention nationale».

48 1'801'918 Ja-Stimmen gegen 11'610 Nein-Stimmen; vgl. BoRGEAUD, 210.

49 Vgl. KôLZ, Ve1fassungsgeschichte, 91, sowie AUER, Origines, 91.

50 Das Gesetzesreferendum und die Volksinitiative wurden abgeschafft. Es verblieb einzig das Verfassungsreferendum; vgl. KôLZ, Ve1fassungsgeschichte, 94.

51 Sie wurde mit 1'057'390 gegen 49'977 Stimmen angenommen; vgl. BoRGEAUD, 214.

52 Die verschiedenen Abstimmungen unter der Herrschaft Napoleons waren auf seine Person zu-geschnitten und betrafen Sachfragen nur am Rande (1799, 1802, 1804, 2. April 1815 und 26.

Mai 1815); vgl. AUER, Origines, 91.

53 KôLZ, Ve1fassungsgeschichte, 90 f.

54 PAPADOPOULOS, Démocratie directe, 26 ff.; MôCKLI, Direkte Demokratie, 58 ff.

55 CARLEN, 18. Auch im Rahmen der Volksanfragen in den Kantonen Bern und Zürich im 15.

und 16. Jahrhunde1i trafen die Bürger die Entscheidungen über Sachfragen von besonderer Bedeutung.

56 KôLZ, Ve1fassu11gsgeschichte, 11.

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Unter franzosischer HetTschaft wurde im Juni 1802 die erste gesamt-schweizerische Volksabstimmung über die zweite Helvetische Verfassung, die ansonsten rein repriisentativ gestaltet war, durchgeführt. Da die Nicht-stimmenden zu den Annehmenden geziihlt wurden, erklarte man sie für an-genommen57. Eine solche Abstimmung auf nationaler Ebene, wo die Stim-men individuell galten, hatte es zuvor in der Eidgenossenschaft noch nie gegeben: «We may therefore say that though the popular vote introduced by the French Revolution might appear more natural to the Swiss than to the other nations of Europe, it was, nevertheless, a novelty»58.

Dieses erste Verfassungsreferendum, aufgezwungen durch die franzosi-sche Besatzungsmacht, hatte jedoch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Weiterentwicklung der Rechtsordnung der damaligen Eidgenossenschaft.

Weder der Bundespakt des Jahres 1815 noch die kantonalen Verfassungen der Restaurationszeit wurden dem Volk unterbreitet59. Verfassungsreferenden fanden erst in der Regenerationszeit, die durch die franzosische Juli-Revo-lution des Jahres 1830 ausgelost wurde, in den Kantonen Einlass. Wieder-um waren es folglich ausliindische Einflüsse, die den Anstoss zu Veriinde-rungen der Schweizer Verfassungswirklichkeit bildeten60.

Yom Jahre 1830 an fanden in den regenerierten Kantonen eine Reihe von Volksversammlungen statt, in denen die von liberalen Denkem formulierten Verfassungsrefonnen eingefordert wurden61Unter dem Druck dieser Bewe-gungen wurden von neu gewiihlten Riiten Verfassungen verabschiedet, die un ter anderem das obligatorische Verfassungsreferendum gewiihrleisteten62,

<las in Anlehnung an die franzosische Montagnarde-Verfassung zu einer der Hauptforderungen der Liberalen geworden war. Seine Einführung in den verfassungsgebenden Versammlungen war deshalb kaum umstritten63

57 Das Resultat betrug 92'423 Nein-Stimmen gegenüber 72'453 Ja-Stimmen. 167'172 Bürger waren der Ume femgeblieben.

58 BoRGEAUD, 262.

59 Ausnahmen bildeten die Verfassungen der Kantone mit Landsgemeinden sowie diejenige der

«Ville et République de Genève» vom 24. August 1814.

6

°

KoBACH, Referendum, 21; RAPPARD, Initiative, 141.

61 Es handelte sich um die Kantone Zürich, Bern, Luzern, Freiburg, Solothurn, Base!, Schaff-hausen, St.Gallen, Aargau, Thurgau und Waadt; vgl. KôLZ, Ve1:fassungsgeschichte, 218 ff.

62 Einzig die Verfassung des regenerierten Kantons Freiburg sah keine direktdemokratischen In-strumente vor; vgl. KôLZ, Franzüsische Revolution, 109.

63 KôLZ, Ve1:fass11ngsgeschichte, 303, sowie KôLZ, Franzosische Revolution, 109.

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Schon kurz danach wurde das obligatorische Verfassungsreferendum in verschiedenen Kantonen durch das fakultative Gesetzesreferendum64 oder die Volksinitiative aufTotalrevision65 erganzt. Fast überall wurde vorgesehen, dass für die Auslôsung dieser Volksrechte die Zustimmung der absoluten Mehr-heit oder gar einer ZweidrittelmehrMehr-heit der Stimmbürger erforderlich war, was ihre Ausübung sehr schwierig oder gar faktisch unmôglich machte66

Auch die Einführung der Gesetzesinitiative füllt in diese Zeit. Unter dem Druck der Bevôlkerung sah sich der Grosse Rat des Kantons Waadt im Jah-re 1845 zur Gewahrleistung dieses VolksJah-rechts gezwungen67Die Abgeord-neten wollten durch diese Ôffnung des politischen Systems Revolutionen vorbeugen68, wobei gleichzeitig der in Aitikel 1 der Verfassung enthaltene Grundsatz der Volkssouveranitat zum Tragen kommen sollte. Das Initiativ-recht war sachlich nicht beschrankt, da es die Verfassung oder Gesetze oder jegliche Fmm staatlicher Erlasse betreffen konnte69. Das Verfahren war durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet. Zum einen waren zwei zeitlich abge-grenzte Phasen vorgesehen, indem 8'000 Stimmbürger zuerst das Recht hat-ten, den Erlass, die Authebung oder die Ànderung einer staatlichen Rege-lung zu begehren70Danach wurde das Verlangen der Gesamtheit der Stimm-bürger unterbreitet. Für die Auslüsung des Verfahrens war folglich nicht mehr die Mehrheit des Stimmvolkes gefordert, sondern nur ein gesetzlich

festge-64 Ais Modell diente das sogenannte St. Galler Veto aus dem Jahre 1831, dessen Bedingungen an das Zustandekommen jedoch so hoch gesetzt waren, dass es nur eine sehr begrenzte Wir-kung entfalten konnte. In dreissig Jahren lehnte das St. Galler Stimmvolk nur vier von 194 Gesetzen mittels Veto ab. Das Gesetzesveto wurde durch die franzi:isischen Vorbilder beeinflusst, auch wenn die Mitglieder des Verfassungsrates var allem auf die bereits bestehenden Bünd-ner Gemeindereferenden und die benachbarte Appenzeller Landsgemeinde verwiesen; vgl.

MôcKLI, Gesetzesveto, 210 ff. Übernommen und weiterentwickelt wurde das Veto in den Kantonen Basel-Landschaft (1832), Luzem (1834), Waadt (1845) und Schwyz (1848); vgl.

RAPPARD, Initiative, 141.

65 Dieses Volksrecht wurde in den Verfassungen der Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Thur-gau, Schaffhausen und St. Galien veranke11; vgl. KôLZ, Ve1fassungsgeschichte, 308.

66 Nur der Kanton St. Galien sah für das «Veto» ein zweistufiges Verfahren var, welches in ei-nem ersten Schritt die Zustimmung einer Minderheit des Stimmvolkes von 10'000 Stimmbür-gern erforderte. Bei Zustandekommen des Begehrens folgte in einem zweiten Schritt die ei-gentliche Abstimmung. Für die Verwerfung des Gesetzes musste die Mehrheit der Stimmbe-rechtigten eITeicht werden, die nicht-Teilnehmenden wurden zu den Annehmenden geziihlt;

MôcKLI, Gesetzesveto, 212.

67 KôLz, Franzosische Revolution, 11 O.

68 KôLZ, Ve1fassungsgeschichte, 469 ff.

69 KôLZ, Ve1fass11ngsgeschichte, 475.

7

°

KôLz, Ve1fassungsgeschichte, 474 f.; CAVIEZEL, 48.

Grnndlagen - Geschichtliche Entwicklung

legter Anteil desselben. Dadurch wurde die tatsachliche Ausübung dieses Volksrechts erheblich erleichtert oder überhaupt erst ermoglicht. Zum ande-ren bestimmte sich das Resultat nach der Mehrheit der teilnehmenden Stimm-bü1ger und nicht nach der Mehrheit der Gemeinden. Ein ahnliches Verfah-ren wurde spater nicht nur von den meisten Kantonen übernommen, sondern auch in der Bundesverfassung von 1848 festgelegt. Nicht zuletzt aus diesem Grnnd war die Waadtlander Initiative für die weitere Entwicklung der Volks-rechte von grosster Bedeutung71

2. Der Ausbau der Volksrechte in der Schweiz