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Die indirekten Wirkungen der Volksinitiative

III. Politologische Betrachtungen

3. Die indirekten Wirkungen der Volksinitiative

Allein durch ihre Lancierung oder auch wenn sie an der Abstimmung ver-worfen werden, konnen Initiativen gegebenenfalls die Rechtsordnung um-gestalten oder den Rechtsgestaltungsprozess beeinflussen270Man spricht in diesem Zusammenhang gewohnlich von den indirekten Wirkungen der In-itiative.

Gewisse Begehren haben kaum Aussicht, die Zustimmung einer Mehrheit des Volkes zu erhalten. Man erinnere sich beispielsweise in der Schweiz der Forderung, die Armee abzuschaffen271, oder in Kalifornien des Versuches, school vouchers einzuführen272. Und dennoch sind solche Vorschliige Gegenstand von Volksbegehren. Die Initiative wird in solche Fiillen dazu eingesetzt, bestimmte politische Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Die Lancierung einer Initiative ist dann auf lange Sicht angelegt, sie bat eine strategische Funktion273Kommt sie zustande, so setzt sich potentiell das gesamte Stimmvolk mit ihr auseinander. Jeder Bürger erhiilt das Abstim-mungsmaterial mit Argumenten der Befü1worter und der Gegner und ist aufgerufen, an der Urne darüber zu entscheiden. Das Stimmvolk wird über alternative Probleme und Losungsvorschliige informiert und kann an der

270 Der folgende Abschnitt betrifft in erster Linie Kalifomien und die Schweiz aufBundesebene.

Die grosse Zahl der Kantone erlaubt es im Rahmen dieser Studie nicht, die indirekten Wir-kungen der Initiative in jedem einzelnen von ihnen zu untersuchen.

271 Die eidgeniissische Volksinitiative dür eine Schweiz ohne Armee und für eine umfassende Friedenspolitik> wurde am 26. November 1989 von 64.4 Prozent der Stimmbürger und 21 Stiin-den verworfen; BBI 1990 I 249.

272 Proposition 38 wurde an den Hauptwahlen im November des Jahres 2000 von 70.6 Prozent der kalifomischen Stimmbürger verworfen.

Ein weiteres Beispiel liefert Proposition 161, das im Jahre 1992 das Recht aufSterbehilfe ein-führen wollte. Trotz der Niederlage liiste dieses Begehren, vom Parlament nie aufgegriffen, eine landesweite Debatte über das Thema aus. Vgl. CAL CoMM'N, 74.

273 AUER & MALINVERN! & HorrELIER, L'Etat, 247; LINDER, Sclnveizerische Demokratie, 260 f.;

KRIESI, Système, 91; TsCHANNEN, Stimmrecht, 203.

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Abstimmung Stellung dazu nehmen274. Wie kaum ein anderes Volksrecht offeet die Initiative daher das politische System, damit die verschiedenen Interes-sengrnppen ihre Anliegen vor die Stimmbürger bringen konnen275 .

Darüber hinaus kann allein schon mit der Ankündigung, eine Volksinitiative zu lancieren, Druck auf die Behi::irden ausgeübt werden. Dadurch soli das Parlament dazu veranlasst werden, die Anliegen der Initianten zu betücksich-tigen276; die Initiative wird in diesem Fall zu taktischen Zwecken eingesetzt.

Das «gewohnliche» Lobbying wird durch solche Drohungen erganzt, vor-ausgesetzt, die Interessengrnppe kann glaubhaft machen, dass sie über die Ressourcen verfügt, sie wahr zu machen277. Schon die Ankündigung einer Initiative kann demnach Wirkungen entfalten. Da diese weitgehend verdeckt erfolgen, kann ihre Bedeutungjedoch kaum prazise nachgewiesen werden278.

Magleby geht davon aus, dass sich die Parlamentarier in den amerikanischen Gliedstaaten der Themen von angekündigten Initiativen annehmen, um sich einen gewissen Handlungsspielraum zu bewahren279. Ebenso kann es

gesche-274 SCHMIDT, 25: «The initiative is not a cure-ail, but it does result in increased government responsiveness to the will of the people, greater citizen paiiicipation and a better-infmmed electorate. [ ... ] It provides a means of putting new ideas on the political agenda». WERDER, 152, meint dass durch die Volksinitiative in der Schweiz «die Interessenselektivitiit der Konkordanzdemokratie durchbrochen werden kann».

275 lm Zusammenhang mit den Volksinitiativen über Themen wie Überfremdung, Wohnungspro-bleme, Waffenausfubr oder Schwangerschaftsabbruch hiilt WERDER, 162, fest: «Unabhiingig von ihren direkten politischen Erfolgen haben aile diese Begehren Hingerfristige Wirkungen auf die offentliche Meinung gehabt, welche spatere politische Entscheidungen pragen konnem>.

Für die USA vgl. CRONIN, 225: «[ ... ]direct democracy devices have sometimes allowed Jess well-represented interests to bring their message before the public». GORDON & MAGLEBY, 299:

«Direct legislation devices place substantial agenda-setting power in the hands of petitioners [ ... ]».

276 BRIFFAULT, 1372: «The most important function of the direct legislation may not be to pass legislation - very few citizen-initiated proposais succeed - but to get certain subjects on the /egislative agenda». Kursiv im Original.

277 GERBER, 32 f.

278 GERBER & Huo; PAPADOPOULOS, Démocratie directe, 64 f. bedauert beispielsweise, dass kaum Studien über die indirekten Wirkungen der Initiative in den amerikanischen Gliedstaaten durch-geführt wurden: «Les analystes de cet état américain [la Californie] ne s'attardent pas beaucoup sur les effets indirects des procédures référendaires, ni sur les démarches qui seraient éventuellement entreprises pour prévenir le recours à celles-ci». Er weist einzig auf Studien hin, die darlegen, dass Gliedstaaten mit Volksinitiative die Todesstrafe kennen. Diese wurde aber fast immer von den Parlamenten eingefüh1i, was einen Hinweis auf einen hoheren Grad an «responsiveness» der Behürden gegenüber <lem Volk liefert.

279 MAGLEBY, Direct Legislation, 192: «The fact that legislators so frequently look over their shoulders to preempt upcoming initiatives means that those who threaten the legislature with an initia-tive have power not only over the initiainitia-tive agenda but over the legislainitia-tive agenda as well».

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ben, dass sie gegenüber solchen Themen nicht handeln, um nicht in die Abstimmungskampagne verstrickt zu werden. Auch in der Schweiz kann die Drohung mit einer Initiative die Gesetzestatigkeit des Parlaments beeinflus-sen, wenn sie von Gruppen oder Parteien ins Spiel gebracht wird, die über eine genügend grosse Anhangerschaft verfügen.

Diese indirekten Wirkungen nimmt die Volksinitiative sowohl in der Schweiz als auch in Kalifornien wahr. Verfahrensunterschiede haben aber zur Folge, dass die indirekten Wirkungen von Volksinitiativen in der Schweiz von ungleich grêisserer Bedeutung sind als in Kalifornien. In der Schweiz werden nicht nur mit der Drohung, sondern vor allem mit dem Zustande-kommen einer Volksinitiative den Behêirden Zugestandnisse abgewonnen280.

Verwirklichen diese zumindest teilweise die Wünsche der Initianten, wird das Begehren zurückgezogen, was durch die obligatorische Riickzugsklau-se/281 ermêiglicht und begünstigt wird. Aus den wenigen unmittelbaren Ab-stimmungserfolgen wird nicht ersichtlich, dass in der Schweiz das Parlament und die Regierung in verschiedener Form Erlasse verabschieden, welche die Anliegen von Volksbegehren aufnehmen. Sie kêinnen entweder der Volks-initiative einen direkten Gegenvorschlag gegenüberstellen, der gewohnlich erfolgreicher ist282. Oder das Parlament verabschiedet ein Gesetz, das in unmittelbarem Zusammenhang mit der Volksinitiative steht und ihre Forde-rungen in abgeschwachter Form umsetzt (indirekter Gegenvorschlag). Auch Verordnungen der Regierung kêinnen die Anliegen von Volksbegehren auf-greifen. So schatzt Wildhaber, dass vierzig Prozent der Volksinitiativen auf Bundesebene legislative oder andere Vor-, Neben- oder Fernwirkungen er-zielten283. Als Reaktion aufbehêirdlicheAlternativen wird in der Schweiz eine grosse Anzahl von Volksinitiativen zurückgezogen284. Zumindest teilweise wird somit trotz Rückzug oder gar Abstimmungsniederlage die Rechtsordnung im Sinne der Initianten geandert285 .

280 TSCHANNEN, Stimmrecht, 203; WILDHABER, Kommentar ad Art. 1211122, Nr. 14; WERDER, 155 f.; iihnlich LINDER, Schweizerisc11e Demokratie, 260.

281 Art. 73 BPR.

282 Von den bisher 29 direkten Gegenvorschliigen wurden 19 angenommen (66 Prozent); vgl. http:

//c2d.unige.ch. Für eine weitergehende Besprechung des Gegenvorschlages in der Schweiz vgl.

infi'a 2. Teil, II. 5.

283 WILDHABER, Kommentar ad Art. 1211122, Nr. 14. LINDER, Sclnveizerische Demokratie, 260, geht davon aus, dass rund ein Drittel aller Volksinitiativen Spuren in der spiiteren Gesetzge-bung hinterlassen.

284 HoFER, 229: «ln den dreissiger bis fiinfziger Jahren lag der Anteil jener Initiativen, denen ein indirekter Gegenvorschlag beigefügt wurde, zwischen 20 und 36 Prozent; in den sechziger und siebziger Jahren gar über 40 Prozent. In 25 Fiillen führte diese Strategie der Behèirden

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In Kalifomien hingegen ist das give and take zwischen Initianten und Beh6rden beendet, sobald das Begehren zustande gekommen ist. Danach kann die Initiative nicht mehr als Verhandlungspfand dienen. Einmal zustande gekommen, konnen zwischen Initianten und Behürden keine Kompromisse mehr angestrebt werden, da in jedem Palle über das Begehren abgestimmt wird286Dadurch konnen die Initianten, selbst wenn sie es wollten, nicht auf Vorschlage des Parlaments reagieren, sollte dieses - ausnahmsweise eine Alternative ausarbeiten. Behürdliche Altemativen werden jedoch nicht nur aus diesem Grund, sondem auch wegen verfahrensrechtlichen Besonderhei-ten kaum verabschiedet287lm Unterschied zur Schweiz hat die Volksinitiative in Kalifomien damit nur ausserst selten zur Folge, dass das Parlament ihr seine eigenen Vorschlage gegenüberstellt. In der kalifomischen Sichtweise ist dies durchaus Bestandteil des Initiativrechts: «Initiatives wholly bypass ordinary legislative processes and are intended for just such a purpose»288 Der zentrale Unterschied zwischen der Schweiz und Kalifomien in be-zug auf die indirekten Wirkungen der Volksinitiative besteht folglich darin, dass in Kalifornien Reaktionen seitens der Behürden nur in sehr beschrank-tem Ausmass moglich sind, sobald das Begehren zustande gekommen ist.

Die von den Initianten angestrebte Ânderung des Status Quo muss von ih-nen selber ausgehen. Direkte oder indirekte parlamentarische Gegenvorschliige sind in Kalifornien kaum von Bedeutung. Dies relativiert die bemerkenswerten Unterschiede hinsichtlich der unmittelbaren Abstimmungserfolge von Volks-initiativen in der Schweiz und in Kalifornien. Zu den lediglich zehn Prozent erfolgreichen eidgenossischen Volksinitiativen müssen die Erlasse auf Ver-fassungs-, Gesetzes- und Verordnungsstufe hinzugerechnet werden, die als Antwort auf Volksinitiativen vom Parlament oder vom Bundesrat verabschie-det wurden. Für einen aussagekraftigen Vergleich der Erfolgsquote von In-itiativen müssen in der Schweiz somit deren indirekte Wirkungen hinzuge-rechnet werden, die viel bedeutsamer sind als in Kalifornien.

jeweils zu einem Rückzug der Initiative. Dies entspricht einer <Erfolgsquote> von nahezu 50 Prozent. Die meisten Initianten akzeptieren somit den Verhandlungscharakter des Volksbegeh-rens». Kursiv angefügt.

285 In diesem Sinne auch DELLEY, Processus, 23.

286 Die einzige Ausnahme ist eine Ungültigerklarnng durch die Gerichte.

287 Vgl. infra 2. Teil, I. 4. a.

288 MANHEIM & HOWARD, 1169; CAL. COMM'N, 74; ADAMS, 583; ÜILLETIE, 932.

Grnndlagen - Politologische Betrachtungen

Zusammenfassend besteht die Funktion der Voiksinitiative darin, dass sie eine institutionaiisierte Opposition gegenüber den poiitischen Entscheidungs-tragern erlaubt. Dies ist heute nicht anders ais zur Zeit ihrer Einführung in der Schweiz und in Kaiifornien. Die Opposition gegenüber den Eiiten kann durch einen unmitteibaren Abstimmungserfoig an der Urne verwirkiicht werden. Es kônnen aber auch indirekte Wirkungen erzieit werden, die aus einer allgemeinen Ôffnung des poiitischen Systems für die Aniiegen von verschiedenen Interessengruppen besteht. Auch bei einer Verwerfung des Begehrens erhalten die Initianten dadurch die Môglichkeit, ihr Aniiegen publik zu machen und <lem gesamten Stimmvoik zu unterbreiten. Ausserdem kann in Kaiifornien und in der Schweiz allein schon die Drohung mit der Lancie-rung einer Volksinitiative die Behôrden zum Handeln veraniassen. Die Schweiz und Kaiifornien unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Reaktionen der Behôrden auf ein zustande gekommenes Begehren. In Kaiifornien sind Voiks-initiativen an der Urne zwar erfoigreicher ais in der Schweiz. Sie haben dafür nur selten direkte oder indirekte Gegenvorschiage zur Foige. Parlamentari-sche Aiternativen werden hingegen in der Schweiz haufig verabschiedet, wodurch die bescheidene Anzahi direkter Abstimmungserfoige reiativiert wird.

2. Teil: Ôffnung und