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Der Ausbau der Volksrechte in der Schweiz und im Westen der USA

I. Geschichtliche Entwicklung

2. Der Ausbau der Volksrechte in der Schweiz und im Westen der USA

a. Bund und Ka11to11e von 1848 bis 1891

lm Anschluss an den Sonderbundskrieg von 184 7 wurde die Ausarbeitung einer Verfassung beschlossen, die den lockeren Staatenbund in einen Bun-desstaat verwandelte. Die Mitglieder der Verfassungskommission waren vornehmlich dem liberalen Gedankengut verpflichtet, weshalb im Hinblick auf die Volksrechte aus den Erfahrungen der regenerierten Kantonen, die ebenfalls von Liberalen dominiert waren, geschopft wurde72

Der Bundespakt von 1815 batte keine Bestimmung enthalten, die das Verfahren seiner Revision regelte73Die neue Verfassung von 1848 sah nun ihre jederzeitige Revidierbarkeit vor. Neben der Behërdeninitiative war in Art. 113 BV 1848 die Volksinitiative auf Totalrevision der Verfassung vorgesehen, wobei sich die Grnndzüge des Verfahrens bis heute nicht geandert haben74Wie in einigen Kantonen wurde darüber hinaus vorgesehen, dass Verfassungsandernngen dem obligatorischen Referendum unterstehen. Art.

114 BV 1848 bestimmte, dass eine Revision nur in Kraft treten konnte, wenn die Mehrheit der Stimmbürger und der Kantone sie annahm75. Mit der

71 Vgl. KôLZ, Ve1fass1111gsgeschichte, 477: «Die Waadtliinder Initiative kann ais entscheidender Schritt in der Entwicklung der schweizerischen Volksrechte angesehen werden. Sie brachte erstmals das zweistufige individualistische Verfalu·en von Aus!Osung und Entscheid über ein Begehren und erstmals die korrekte Abstimmung daiübern.

72 KôLZ, Ve1fass1111gsgeschichte, 547.

73 HANGARTNER & KLEY, 294: «Der Bundesvertrag von 1815 enthielt keine Revisionsklausel und damit keine Bestimmungen, die Ândemngen erleichtert hiitten. Er konnte als volkerrechtli-cher Ve1irag der 22 souveriinen Kantone nur einstimmig geiindert werdem>.

74 V gl. infi"a 1. Teil, II. 2. a.

75 Art. 114 BV 1848: «Die revidirte Bundesverfassung tritt in Kraft, wenn sie von der Mehrheit der stimmenden Schweizerbürger und von der Mehrheit der Kantone angenommen ist».

Einführung des Standemehrs sollten die Befürchtungen der bevülkerungs-armen, konservativen, mehrheitlich katholischen Kantone entkraftet werden, von den wirtschaftlich starken und vor allem bevôlkerungsreichen Kantonen systematisch überstimmt zu werden. Das FOderalismusprinzip vervollstandigte und massigte somit aufBundesebene den Grundsatz der Volkssouveranitat76 Trotz der Einführung des obligatorischen Referendums wurde die Verfas-sung von 1848 den Kantonen, nicht aber dem eidgenôssischen Stimmvolk, zur Abstimmung unterbreitet. Dieses wurde erst nach dem Inkrafttreten kon-stituiert77. In den Kantonen entschieden jedoch in den meisten Fallen die Stimmbürger78 .

Weder das fakultative Gesetzesreferendum noch die Volksinitiative auf Teilrevision der Verfassung wurden damais eingefüh1t. Der Bund übemahm demnach nur einen Teil der direktdemokratischen Rechte, die in den kanto-nalen Verfassungen Einlass gefunden hatten.

Gleichzeitig mit der Einführung des obligatorischen Verfassungs-referendums und der Volksinitiative auf Totalrevision zwang der Bund den Kantonen die Einführung dieser zwei Volksrechte auf, sofem sie nicht be-reits in ihren Rechtsordnungen veranke1i waren. Nur unter dieser Bedingung sollten die Kantonsverfassungen die Gewahrleistung durch den Bund erhal-ten79. Der Grundsatz der Volkssouveranitat wurde somit ais wichtiger betrachtet ais die Verfassungsautonomie der Kantone80, denn nun wurden alle Kantone zur Einführung dieser zwei Volksrechte verpflichtet. Dadurch wurde auf institutioneller Ebene eine Ati gemeineidgenossisches Ve1fassungsrecht ge-schaffen, welches sich spater durch die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum kantonalen Initiativ- und Referendumsrechts weiterentwickeln sollte81 . Für den weiteren Ausbau der Volksrechte in der Schweiz war die demo-kratische Bewegung der 1860er und 1870er Jahre von entscheidender Be-deutung. Wiederum gingen die Impulse von den Kantonen aus. Die Unzu-friedenheit mit den Regierungen und den Parlamenten führte zu einer

Pro-76 AUER, Origines, 97.

77 BORGEAUD, 296.

78 KoBACH, Referendum, 25.

79 Ati. 6 Abs. 2 Bst. c BV 1848: «Die Kantone sind verpflichtet, für ihre Verfassungen die Ge-wiihrleistung des Bundes nachzusuchen. Der Bund übemimmt diese GeGe-wiihrleistung, insofem [ ... ) sie vom Volke angenommen worden sind und revidirt werden konnen, wenn die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt». V gl. heute Art. 51 Abs. 1 BV: «Jeder Kanton gibt sich eine demokratische Verfassung. Diese bedarf der Zustimmung des Volkes und muss revidieti wer-den kônnen, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten es verlangt».

80 MARTENET, 181.

81 Vgl. i11fi·a 3. Teil, III. !.

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testbewegung, die in der unmittelbaren Kontrolle der Behôrden durch die Bürger das wirkungsvollste Mittel erblickte, den Missstanden Abhilfe zu schaffen. Den verschiedenen Stromungen, aus denen sich die demokratische Bewegung zusammensetzte, war zumindest die Forderung nach der Einfüh-rung desfakultativen Gesetzesreferendums gemein82. In verschiedenen Kan-tonen wurden durch Demonstrationen und Kampagnen die Behürden dazu veranlasst, Verfassungsanderungen in diesem Sinne vorzunehmen83

Der demokratische Zeitgeist, dem nun eher altschweizerische Demokratie-traditionen als franzosisches Gedankengut vorschwebten, wirkte sich im Jahre

1874 auf die Ausarbeitung der neuen Bundesverfassung aus84. Die Einfüh-rung des fakultativen Gesetzesreferendums war sowohl im National- als auch im Standerat heftig umstritten. Neben der Hauptfrage, ob das Gesetzes-referendum überhaupt in die Bundesverfassung aufgenommen werden soll-te, henschte Uneinigkeit datüber, ob es fakultativ oder obligatorisch sein sollsoll-te, ob auch die Kantone es auslosen konnten, ob das Standemehr zu be1ück-sichtigen sei, und gegen welche Vorlagen das Referendum ergriffen werden konnte85Letztlich einigte man sich darauf, 30'000 Stimmbürgem oder acht Kantonen das Recht zuzugestehen, eine Volksabstimmung über Gesetze oder allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse zu verlangen. Ohne die Erfahrun-gen der Kantone und die von ihnen ausgehende demokratische Bewegung ware dies kaum denkbar gewesen86. Die Entwicklung der direkten Demo-kratie aufBundesebene wurde demnach wie bereits im Jahre 1848 durch die Instrumentarien und Ideen gepragt, die sich in den Kantonen herausgebildet hatten.

lm übrigen anderte die Bundesverfassung von 1874 nichts an dem be-reits bestehenden obligatorischen Verfassungsreferendum. Auch die Volks-initiative batte sich weiterhin auf die Forderung nach einer Totalrevision der Verfassung zu beschranken.

82 Gleichzeitig sollte dieses Volksrecht dazu dienen, materielle und politische Ziele zu verwirk-lichen; vgl. ScHAFFNER, 160 ff.

83 Basel-Landschaft, Aargau, Luzem, Bern, Genf, Zürich, Thurgau. Obwohl die Protestbewegungen in den verschiedenen Kantonen ihre jeweils spezifischen Ursachen hatten, wurden sie von den Zeitgenossen ais zusarnmenhangendes Phanomen betrachtet; vgl. ScHAFFNER, 158 ff.

84 Der Verfassungsentwurf, der am 12. Mai 1872 von Volk und Standen verworfen worden war, hatte neben dem fakultativen Referendum, ausgelôst durch 50'000 Stirnmbürger oder fünfKan-tone, die Gesetzesinitiative vorgesehen; vgl. AUBERT, Referendum, 409 ff.

85 AUBERT, Referendum, 414 ff.

86 PAPADOPOULOS, Démocratie directe, 33; KôLZ, Franzosische Revolution, 115.

Grundlagen - Geschichtliche Entwicklung

Das Fehlen der Volksinitiative auf Teilrevision batte im Jahre 1880 zur Folge, dass eine Initiative, welche die Einführung des eidgenossischen Banknotenmonopols anstrebte, als Begehren auf Totalrevision behandelt wurde. Das Volk lehnte in der Grundsatzabstimmung die Frage ab, ob über-haupt eine Revision der Verfassung stattfinden solle87Um diese unbefriedi-gende Rechtslage zu verbessem, wurden in den folunbefriedi-genden Jahren verschie-dene Motionen eingereicht, welche die Einführung der Volksinitiative auf Teilrevision der Verfassung zum Ziel hatten. Sie mündeten am 8. April 1891 in dieAnnahme des neuenArtikels 121BV1874, der 50'000 Stimmbürgem das Recht gab, die Aufbebung, Ânderung oder Einführung einzelner Verfassungsartikel zu verlangen.

Damit hatten sich in der Schweiz bereits im 19. Jahrhunde1i mit dem Referendum und der Initiative die zwei Grundpfeiler der direkten Demolaa-tie herausgebildet. In derselben Zeitspanne fiel die Entwicklung der Volks-rechte in den Vereinigten Staaten vergleichsweise bescheiden aus.

b. Die Ausbreitung der direkten Demokratie im Westen der USA

lm 19. J ahrhundert beschrankten si ch die direktdemolaatischen Rech te in den Gliedstaaten der USA auf das obligatorische Verfassungsreferendum. Von Neuengland aus hatte es sich in mehreren Schüben auf die meisten Glied-staaten ausgebreitet88, so dass es bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts allge-mein Brauch geworden war, die staatliche Verfassung dem Volk zu unter-breiten89. lm Jahre 1857 machte der amerikanische Kongress die Annahme der Verfassung der neuen Staaten durch deren Stimmvolk gar zur Bedingung für ihre Aufuahme in die USA9°. Auf der Ebene der Union oder der Glied-staaten forderten und erhielten die Stimmbürger aber keine weiteren direkt-demokratischen Rechte91 . Einzig im lokalen Rahmen entwickelten sich in der

87 Sie wurde am 31. Oktober 1880 mit 260'126 gegen 121'099 Stimmen verworfen.

88 Delaware ist bis heute der einzige Gliedstaat, der kein obligatorisches Verfassungsreferendum kennt.

89 Dies geschah auch in Kalifomien, <las am 9. September 1850 ais 31. Staat in die Union auf-genommen wurde.

90 AUER, Référendum et Initiative, 75; LomNGJER, 294, 296.

91 Wiihrend des 19. Jahrhundert und insbesondere wiihrend der «Jacksonian Democracy», be-nannt nach Priisident Jackson (1829-1837), wurde hingegen <las Wahlrecht betriichtlich er-weitert. So wurde die direkte Volkswahl von Beamten und Richtem eingeführt. Auch die Wahl der Mitglieder des electoral college, welches den amerikanischen Priisidenten wiihlt, wurde von den staatlichen Parlamenten an <las Volk übertragen; vgl. STELZENMÜLLER, 69 ff.

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zweiten Halfte des 19. Jahrhunde1is in ganz spezifischen Bereichen Mitbe-stimmungsrechte des Volkes. Weit verbreitet waren beispielsweise Initiati-ven und Referenden auf Gemeindeebene über das Verbot alkoholischer Getranke oder über die Bestimmung des Hauptmies des Distrikts (county)92

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden verschiedene Reformbewe-gungen gegründet, welche die Einführung weiterer direktdemokratischer Rechte auf staatlicher Ebene forderten. Das Volk sollte nicht nur über Vor-lagen entscheiden konnen, die von haufig korrupten Parlamenten ausgear-beitet wurden, sondern darüber hinaus das Recht erhalten, in eigener Regie Verfassungs- und Gesetzesanderungen vorschlagen zu konnen. Die Initiati-ve sollte die logische Erganzung zum Verfassungsreferendum sein93

Die Speerspitze für die Einführung des fakultativen Gesetzesreferendums und der Volksinitiative bildete anfànglich die Populist Party, die diese For-derungen im Jahre 1892 in ihr Parteiprogramm von Omaha aufgenommen hatte94. Die Populist Party rekrutierte ihre Mitglieder in erster Linie unter den Bauern (farmers), die wegen der Industrialisierung der Landwüischaft verarmt waren. Aus Mangel an Krediten konnten sie mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten, wobei Transportkosten, die wegen der Eisenbahnmonopole in die Rohe geschnellt waren, ein Übriges taten95. Die Volksrechte sollten das politische System für die benachteiligten/armers Offnen und gleichzei-tig waren die Populists der Ansicht, dass sie nur mittels unmittelbarer Ge-setzgebung durch das Volk materielle Verbesserungen für diese Schichten erringen konnten. Von den Parlamenten war nichts zu e1warten, da diese unter der fast vollstandigen Kontrolle miichtiger wirtschaftlicher Interessengrup-pen standen und ihren Reformvorschliigen gegenüber taub waren96. Die Arbeiterbewegung und sozialistische Bewegungen schlossen sich in der Folge diesen Forderungen an97Ausserdem wurden mehrere Vereinigungen wie

92 ÜBERHOLTZER, 3 71 ff.

93 LEE, American Experience, 46.

94 Dem fügte sich in den USA hnmer die Forderung nach der Einführung des Abberufungsrechts (recall) an.

Vgl. allgemein für die Ideen und die Entstehung der Populists HOFSTADTER, 23-130.

95 CRONIN, 43 ff.

96 SCHMIDT, 8; AUER, R~férendum el Initiative, 83 ff.; CRONIN, 45.

97 Die einflussreiche American Federation of Labour, die bereits zur Zeit der Jahrhundertwende eine halbe Million Mitglieder ziihlte, nahm ebenfalls schon 1892 die Einführung von mehr direktdemokratischen Rechten in ihren Forderungskatalog auf; vgl. ScHMIDT, 6. Dem schlos-sen sich die Knights ofLabor, die National People's Party und ais erste traditionelle politi-sche Paiiei die Socialist Labor Party an; vgl. AUER, Référendum et Initiative, 85.

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beispielsweise die National Direct Legislation League98, die People

s

Power League99 oder in Kalifomien die Union Reform League gegründet, deren Ziel die Einführung und Verbreitung der direkten Demokratie war.

Die Populist Party gewann vor allem im Mittleren Westen eine grosse Anhangerschaft. lm Jahre 1896 errang sie einen Wahlsieg in South Dakota, worauf bereits zwei Jahre spater die Stimmbürger dieses Gliedstaates eine vom Parlament verabschiedete Verfassungsanderung annahmen, die die Volks-initiative und das Referendum einführte. Nicht nur die Zustimmung der Bevôlkerung, sondem auch die Parlamentsmehrheit der Populists war dabei von entscheidender Bedeutung. Denn als in Utah im Jahre 1900 die Einfüh-rung von Initiative und Referendum ebenfalls in einer Volksabstimmung angenommen wurde, war Senator Smith der einzige Populist in der Volks-ve1iretung. Die übrigen Parlamentarier gehürten den herkommlichen Partei-en an, die diesPartei-en neuPartei-en VolksrechtPartei-en feindlich gegPartei-enüberstandPartei-en. Deshalb dauerte es weitere sechzehn Jahre bis die Gesetzgebung in Kraft trat, wel-che die Ausübung der Volksrechte ermogliwel-chen sollte100

Auch Oregon, wohin zahlreiche Schweizer ausgewandert und die Populists aktiv und erfolgreich waren, führte im Jahre 1902 die Initiative und das Referendum ein. Dmi wie überall in den westlichen Gliedstaaten hatten die Schweizer Erfahrungen einen unmittelbaren Einjluss auf die Entwicklung der direkten Demokratie. So wenig für die Einführung von Initiative und Refe-rendum in der Eidgenossenschaft die Anknüpfung an die Landsgemeinde genügt hatte, so wenig konnten sich die Populists allein auf die Tradition der town meetings berufen. Zwischen 1883 und 1898 waren !mapp hundert Artikel und Bücher über die direkte Demokratie in der Schweiz in englischer Sprache erschienen101Mit dem Verweis auf die Schweizer Erfahrungen konnten die Befürchtungen weitgehend entkraftet werden, die Gesetzgebung durch das Volk sei auf staatlicher Ebene nicht praktikabel. Vor allem J.W.

Sullivans Direct Legislation by the Citizenship through the Initiative and the Referendum aus dem Jahre 1893 fand weitreichende Beachtung102. Der Ver-fasser, bezeichnenderweise ein Gewerkschaftsführer, hatte sich in die Schweiz begeben, um die Verfahren und Auswirkungen von Initiative und

Referen-98 CRONIN, 50.

99 AUER, Référendum et Initiative, 86.

lOO SCHMIDT, 270.

101 Vgl. einen Überblick bei RAPPARD, Initiative, 129 ff., der daraufhinweist, dass seine Liste kei-neswegs vollstiindig sei.

102 Zu erwiihnen sind auch CREE. Direct Legis/a/ion by the People (1892); MAINE. Popu/ar Govemment. Four Essays (1885); BoRGEAUD. Adoption and Amendment a/Constitutions (1895).

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dum zu untersuchen. Die Populists und weitere Vereinigungen, die auf die Verbreitung der direkten Demokratie drangten, knüpften somit sehr bewusst an die eidgenôssischen Erfahrungen an. So schrieb W. U'Ren, der sich er-folgreich für die Einführung von Initiative und Referendum in Oregon ein-gesetzt batte, in einem Brief an Rappard: «I believe 1 do not overstate the fact when 1 say Oregon is wholly indebted to Switzerland for these efficient tools of democracy»103.

Waren direktdemokratische Rechte nur ein Anliegen der Populists und der Arbeiterbewegungen gewesen, so waren sie in den folgenden zwei Jahr-zehnten kaum im gesamten Westen der USA eingeführt worden. Das Pro-gressive Movement war für diese Verbreitung der direkten Demokratie von noch grôsserer Bedeutung. lm Unterschied zu den sozialistisch angehauch-ten, bauerlichen Populists fand diese Reformbewegung Anhanger aus dem gebildeten, stadtischen Mittelstand104. Ihre Ziele bestanden vor allem aus dem Kampf gegen die zersetzende Korruption. Sie war aus dem Bedürfnis ent-standen, die Staatsverwaltung effizienter und volksnaher zu gestalten. Die Mangel der Demokratie wollten sie mit mehr Demokratie beheben105. Wie die Populists sahen sie in der Einführung der Initiative und des Referendums eine der Lôsungen für die Missstande des Staates106. lm Unterschied zu die-sen ging es ihnen hingegen weniger um die wirtschaftliche Besserstellung ihrer Anhanger. Für sie besass die direkte Demokratie einen Wert an sich.

103 Brief an William Rappard aus <lem Jahre 1912. Àhnlich ausse1ie sich J.R. Haynes aus Los Angeles gegenüber Rappard: «[ ... ] the example of Switzerland has exerted a strong influence in the development of American institutions, especially in recent years ... The experience of Switzerland has exe1ied a strong influence through political students in disarming the prejudice of the people generally towards the acceptance of the initiative and the referendum». Vgl.

RAPPARD, Initiative, 136.

104 HOFSTADTER, 131: «Populism had been overwhelmingly rural and provincial. The fetment of the Progressive era was urban, middle-class and nationwide». Ebenso SAUTIER, 292; MAGLEBY, Direct Legislation, 25; PRICE, 243.

105 PAPADOPOULOS, Démocratie directe, 35. Neben direktdemokratischen Rechten forderten die Progressives zudem, dass die Primiitwahlen durch Volkswahlen entschieden würden, <las Frau-enstimmrecht, die allgemeine Volkswahl von Senatoren, Offenlegungspflichten und denAusbau des Zivildienstes; vgl. PRICE, 243 f. V gl. auch HOFSTADTER, 231 f.: <<Ali legislation, ail economic operations, should take place in the open. If the people knew what decisions were being made, knew how they were being govemed, and had in their hands the instruments of action, they would have a fair opportunity to elect men who would devise the necessary remedies».

106 Vgl. HOFSTADTER, 257: «What the majority of the Progressives hoped to do in the political field was to restore popular govemment as they imagined it to have existed in an earlier and purer age».

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Das Progressive Movement war damit die treibende Kraft hinter der Ein-füluung von Initiative und/oder Referendum durch verfassungsgebende Ver-sammlungen und Parlamente in nicht weniger als 22 Staaten zwischen 1898 und 1920107Obwohl das Progressive Movement eine landesweite Bewegung war, liegt die grosse Mehrheit der Staaten, die diese Volksrechte in der ei-nen oder anderen Form einführten, westlich des Mississippi. Weshalb war der Osten der Union immun gegenüber der direktdemokratischen Epidemie des Westens?

Die Erktarung liegt in den damaligen politischen, ideologischen und de-mographischen Unterschieden zwischen dem Osten und dem Westen der USA108Die Populists hatten an der Atlantikküste nie richtig Fuss fassen konnen. Selbst wiihrend ihrer erfolgreichsten Jahre von 1894 bis 1898 er-hielten sie in keinem der ostlichen Staaten mehr als fünf Prozent der Wiihler-stimmen. lm Gegensatz zum Westen konnten die Progressives folglich nicht an Reformvorschliige anknüpfen, die bereits ein weites Echo gefunden hat-ten.

Ein weiterer Unterschied bestand aus der ideologischen Ausrichtung der ostlichen und der westlichen Progressives. Diese befürworteten eine egali-tiir, jene eine elitiir gepragte Gesellschaft. Beide forderten mehr Verantwort-lichkeit der Behürden gegenüber <lem Volk. Wiihrend im Westen dieses Ziel durch die Initiative und das Referendum verwirklicht werden sollte, vertrauten sie im Osten auf die Behürden selber, die sich kraft einer selbstlosen Gesin-nung für das allgemeine Wohl der Bürger einsetzen sollten109

Ausserdem standen die Bürger der Ostküste der Einfüluung von Initiati-ve und Referendum wegen der sich iindernden Bevolkerungsstruktur ableh-nend gegenüber. Knapp neun Millionen Einwanderer stromten im ersten Jaluzehnt des 20. Jahrhunderts in die Vereinigten Staaten. Die Herkunftsliinder waren nun vor allem die südlichen und ostlichen Nationen Europas. Die neuen Bürger waren armer und weniger gebildet als ilu·e angelsiichsischen,

protestan-107 Vgl. Anhang, Tabelle !: «Direkte Demokratie in den Gliedstaaten der USA».

lOS SCHMIDT, 10 ff.

109 HOFSTADTER, 140, umschreibt die politische Grundhaltung der Progressives der Ostküste wie folgt: «Their conception of statecraft was set by the high example of the Founding Fathers, or by the great debating statesmen of the silver age [ ... ]. Their ideal leader was a well-to-do, well-educated, high-minded citizen, rich enough to be free from motives of what they often called <crass materialism>, whose family roots were deep not only in American history but in his local community. Such a person, they thought, would be just the sort to put the national interest, as well as the interests of civic improvement, above persona! motives or political opportunism». Ebenso HOFSTADTER, 264 f.

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tischen Vorgiinger aus dem Norden des alten Kontinents110Aus Furcht vor dieser Masse von Einwanderern, denen die Fiihigkeit nicht zugetraut wurde, die Abstimmungsvorlagen zu verstehen, lehnten die «alteingesessenen»

Amerikaner einen Ausbau der direkten Demok:ratie ab. Âhnliche Befürch-tungen wogen wegen den Schwarzen noch schwerer im Süden der USA. Die Bürger des Mittleren Westens und der Pazifikküste waren hingegen in ihrer grossen Mehrheit weiss und von der Ostküste hetübergesiedelt.

Schliesslich waren die Gliedstaaten der Westküste erst wenige Jahrzehn-te vor der Einführnng von Initiative und Referendum in die Union aufge-nommen worden. Die traditionellen Ôffnungen ihrer politischen Systeme waren noch nicht im gleichen Ausmass gefestigt wie in den Staaten der Ostküste111Deshalb waren die Voraussetzungen dort v01ieilhafter im Hin-blick auf die unmittelbare Gesetzgebung durch das Volk, d.h. bezüglich Neuernngen, die den Bürgem der Ostküste wohl zu radikal anmuteten.

All diesen Erkliirnngen fügen sich die besonderen Verhaltnisse in den einzelnen Gliedstaaten an. So ergab sich die Einführung von Volksrechten in Kalifomien aus der vollstiindigen Beherrschung der politischen Behôrden durch wirtschaftliche Sonderinteressen wiihrend des ersten Jahrzehnts des 20.

Jahrhunderts.

c. Die Einfiihrung von Initiative und Referendum in Kalifornien

c. Die Einfiihrung von Initiative und Referendum in Kalifornien