• Aucun résultat trouvé

Zensur bei der Übersetzung

Beim Thema der Übersetzertätigkeit in der DDR muss der Aspekt der Zensur berücksichtigt werden, zumal dieser stets im Zusammenhang damit genannt wird. Daher soll dieser Punkt an dieser Stelle kurz aufgegriffen werden.

Die Politik oder die Ideologie können einen großen Einfluss auf die Übersetzung nehmen.

Übersetzungen können verboten oder Zensurmaßnahmen ergriffen werden. Der Übersetzer kann also insbesondere durch Zensur zum gelenkten Übersetzer werden. Autoren und Übersetzer können sich so aus Gehorsam eine Selbstzensur auferlegen. Die Zensur ist allerdings nicht nur ein Mittel diktatorischer Regime. In Europa war diese Praxis bis weit ins 19. Jahrhundert im Verwaltungswesen durchaus üblich (vgl. Prunč 2007:317).

Unter Zensur versteht man die „(politische) Kontrolle öffentlich geäußerter Meinungen (in Presse, Funk und Fernsehen, aber auch im Bereich der Literatur, Kunst etc.)“ (Schubert 2006:333). Bei dieser Kontrolle werden Texte, Filmmaterial etc. von zuständigen – in erster

Vivien Berg 100

Linie – staatlichen Stellen auf „politische, gesetzliche, sittliche oder religiöse Konformität“

(Dudenredaktion 2006:1969) überprüft.

Es existieren verschiedene Zensurformen wie die Vor- und die Nachzensur bzw. die direkte und die indirekte Zensur sowie die Selbstzensur. Bei der direkten Zensur werden Informationen zurückgehalten, verspätet zugestellt und kontrolliert. Die indirekte Zensur äußert sich in der Bereitstellung von Informationen durch offizielle Stellen (z. B.

Presseagenturen). Die Zensur wird auch dafür eingesetzt, die Wirklichkeit von der Öffentlichkeit fernzuhalten und so eine erfolgreiche Propaganda zu ermöglichen (vgl.

Schauerte 2008:50f.).

In dieser Arbeit wurden bereits einige Eingriffe des Staates zur Kontrolle der Medien und der öffentlichen Meinung genannt und sollen an dieser Stelle nicht noch einmal wiederholt werden. Nachfolgend soll auf die Zensur bei der Übersetzung eingegangen werden.

Es gab schon immer Zensurpraktiken und es wird diese in einem gewissen Maße und unterschiedlichen Formen immer geben. Übersetzer werden in ihrer Vermittlerrolle stets damit konfrontiert (vgl. Tomaszkiewicz 2011:341). Bei der Übersetzung kann es wie beim Verfassen des Ausgangstexts zur Zensur kommen. Dabei hat die Übersetzung eine besondere Stellung innerhalb dieser Problematik. Einerseits liegt das Original bereits vor und ist somit einem Publikum schon zugänglich, andererseits kann ein Zieltext sowohl der Selbstzensur des Übersetzers als auch einer offiziellen Zensur unterliegen (vgl. Ballard 2011:12). Zur Selbstzensur kann es nicht nur aus politischen Gründen kommen, sondern beispielsweise auch, wenn der Übersetzer die Vulgärsprache des Ausgangstexts für sich umgehen möchte oder der Ausgangstext gegen Normen verstößt, die für den Übersetzer bzw. die Gemeinschaft des Zielpublikums von Bedeutung sind. Selbstzensur kann – in Form von übersetzerischen Entscheidungen – also auch die Anwendung bestimmter gesellschaftlicher Maxime sein (vgl.

Risterucci-Roudnicky2011:350).

Zensur geht in diktatorischen Regimen laut Gallagher mit Propaganda einher und soll ebenfalls das herrschende Regime schützen und deren Macht erhalten. Außerdem dient sie dazu, der Bevölkerung regimefremde Ideen vorzuenthalten (vgl. Gallagher 2011:159), wobei sie sich auch auf die Übersetzung auswirkt:

Vivien Berg 101

„Il y a deux points à retenir. Premier point : du jour au lendemain, certaines traductions disparaissent du marché, tandis que d’autres sont commercialisées avec l’approbation pleine et entière des dirigeants politiques. Deuxième point : les maisons d’édition, soucieuses d’éviter les tracasseries administratives et les poursuites judiciaires, pratiquent habituellement l’autocensure. Par conséquent, les textes traduits sont souvent raccourcis ou remaniés.“

(Gallagher 2011 :160)

Beim Übersetzen ist es zugleich schwerer und leichter, Zensurmaßnahmen zu ergreifen als bei der einsprachigen Textredaktion. Schwerer deshalb, weil der Text im Gebiet des Zensors veröffentlicht werden soll und dieser den Zieltext akzeptieren muss. Da es sich nicht um den Originaltext handelt, ist es allerdings leichter, Veränderungen vorzunehmen, sodass es vom Zensor erlaubt wird (vgl. Risterucci-Roudnicky 2011:355).

„Cet angle de vue tend à considérer la traduction comme une récriture de l’œuvre selon certains procédés externes (lisibles dans le péritexte) ou internes (par le travail du traducteur), spécifiques d’une poétique de l’oblique.“ (Risterucci-Roudnicky 2011 :355)

Von der Zensur sind bei der Sprachmittlung nicht nur Übersetzer betroffen, sondern alle Berufsgruppen, die in diesem Prozess – von der Wahl des Ausgangstexts bis zur Veröffentlichung des Zieltextes – beteiligt sind (vgl. Garbovskiy 2011:284). Übersetzer wissen in totalitären Regimen meist, dass ihre Arbeit kontrolliert wird. Dementsprechend können sie bei Übersetzungen reagieren. So können durchaus Ambiguitäten in den Zieltext eingefügt werden, die nicht so im Ausgangstext waren, dass mithilfe der Zweideutigkeit die Aussage des Originalverfassers für das Zielpublikum erhalten bleibt, diese aber nicht vom Zensor erfasst und gestrichen wird. Für diese Praxis muss dem Übersetzer die Kommunikationsgemeinschaft des Adressatenkreises gut bekannt sein. Eine andere Methode ist die „surtraduction“ – die Überdifferenzierung bei der Übersetzung75 –, von Inhalten, die indirekt mit dem Ausgangstext vermittelt werden. Auch das Hinzufügen eines erklärenden Vorwortes kann dazu dienen, Zensurmaßnahmen zu umgehen und streitbare Texte herauszugeben. Der Einsatz von rhetorischen Mitteln wie Periphrasen kann ebenfalls zweckmäßig sein, um den Zensor nicht durch bestimmte Aussagen aufzuschrecken. Solche

75 Die Überdifferenzierung bei der Übersetzung gilt als Übersetzungsfehler, der darin besteht „Elemente des

‚Ausgangstextes‘ ausdrücklich zu nennen, die im ‚Zieltext‘ entfallen sollen“ (Delisle / Lee-Jahnke 1999:400).

Vivien Berg 102

rhetorischen Kniffe setzen voraus, dass sowohl die Zensureinrichtung als auch die kritischen bzw. verbotenen Inhalte bekannt sind, was bei verhältnismäßig wahlloser Zensur wie in der DDR schwierig war. Durch dieses „taktische Übersetzen“ zählen diese offiziellen Übersetzungen gleichzeitig nicht zu den besten Zieltexten, mit denen die Intention des Senders unauffällig vermittelt wird (vgl. Tomaszkiewicz 2011:345f.).

All diese Möglichkeiten und persönlichen Einflüsse zeigen, dass die Selbstzensur beim Übersetzen häufiger anzutreffen ist als die öffentliche Zensur (vgl. Garbovskiy 2011:285).

2.4 Textbeispiele zum Umgang mit den Übersetzungsproblemen Realienbezeichnungen, Propaganda und Zensur

Dass sich die äußeren Einflüsse einer Kommunikationsgemeinschaft auf die Sprache auswirken, wurde bereits für die Erscheinungen Realienbezeichnungen, Propaganda und Zensur theoretisch erläutert. Mithilfe der nachfolgenden Textpassagen sollen die theoretischen Erkenntnisse nun belegt und veranschaulicht werden. Gleichzeitig stehen damit die praktische Übersetzertätigkeit und die Lösung von Übersetzungsproblemen im Vordergrund.

Für diese Arbeit wurden hier drei Texte gewählt, die einerseits verschiedene Textsorten und Thematiken abdecken und andererseits als Beispiele für die Übersetzungsproblematik dienen, wobei die Texte unterschiedliche Schwerpunkte enthalten. Als Erstes stehen die Realienbezeichnungen im Mittelpunkt, die auch in den Texten des zweiten Punktes enthalten sind. In diesem Abschnitt dominiert jedoch die Propaganda. Zensurmaßnahmen und der Sprachstil in der DDR werden abschließend im letzten Beispiel behandelt.

a) „La politique étrangère de la R.D.A.“

Der Text „La politique étrangère de la R.D.A.“ wurde von Jean-Paul Picaper76 geschrieben und erschien 1975 in „Politique étrangère“ (N° 5), einer vierteljährlich erscheinenden

76 Jean-Paul Picaper, geboren 1938 in Pau, studierte Germanistik, Skandinavistik und Politikwissenschaft in Bordeaux, Berlin (West) und Paris, promovierte in Straßburg, habilitierte in Berlin und erhielt eine Assistenzprofessur für Politikwissenschaft an der dortigen Freien Universität. 1976 bis 1977 war er Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitschrift "Documents" in Straßburg, von 1977 bis 2003 Deutschland-Korrespondent der Tageszeitung "Le Figaro" (vgl. be-bra Verlag).

Vivien Berg 103

Zeitschrift über internationale Beziehungen. Der Artikel informiert über einen Aspekt der ostdeutschen Politik und richtet sich an politisch interessierte Leser. Wie es bereits im Titel deutlich wird, behandelt der Text die Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik, was zweifelsohne zu den kulturspezifischen Themen zu zählen ist. In diesem Fall beeinflusst die Wirklichkeit der DDR keinen Übersetzer bzw. Verfasser der eigenen Kultur, sondern einen Verfasser einer anderen Kultur.

Der Text ist ein Beispiel für eine Versprachlichung von einem Verfasser, der weder der Kommunikationsgemeinschaft der DDR noch der deutschen Sprachgemeinsacht angehört, für ein Zielpublikum, das ebenfalls nicht dieser Kommunikationsgemeinschaft angehört oder deutschsprachig ist.

Der Text wurde gewählt, weil er zum einen ebenso eine Übersetzung sein könnte und die gleiche Problematik widerspiegelt, die ein übersetzter Text wiedergeben könnte. Zum anderen ist er durch seinen neutralen Verfasser frei von propagandistischen Elementen, sodass allein die Realienbezeichnungen thematisiert werden können.

Mithilfe dieses Textes werden diese kulturspezifischen Übersetzungsprobleme vorgestellt und Verfahren gezeigt, mit denen eine Wiedergabe ermöglicht wird.

Lehnschöpfung, Lehnübersetzung und Entlehnung77

Depuis le départ de Walter Ulbricht – puis son décès – et la nomination d’Erich Honecker aux fonctions de premier secrétaire du parti S.E.D. (*), en mai-juin 1971, la direction est-allemande entonne à nouveau l’unisson de la politique étrangère soviétique.

(*) Initiales du parti communiste de R.D.A. (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands : Parti socialiste unifié d’Allemagne). On s’attend à ce que le 9e congrès du parti qui aura lieu en mai 1976 change notamment le nom du parti car il n’est plus conforme aux réalités.

Tab. 1: Textbeispiel 1 „La politique étrangère de la R.D.A“

 Jean-Paul Picaper nennt die Personen Walter Ulbricht und Erich Honecker ohne weitere Erklärung im Text. In einem Text über die DDR ist die vom Verfasser an den Leser gestellte Präsupposition so hoch, dass die Namen der Staatsführung bekannt sein

77 Die kursiven Zwischenüberschriften geben einen Überblick über die im Textbeispiel thematisierte Erscheinung bzw. Übersetzungsstrategie.

Vivien Berg 104

sollten. Aus diesem Grund ist die Wiedergabe nachvollziehbar.

 Für das Amt des Parteisekretärs der SED verwendet Picaper eine Lehnschöpfung, bei der „Premier secrétaire du parti S.E.D.“ die deutsche Bezeichnung „Generalsekretär“

ersetzt. In Frankreich selbst wird das Amt des Parteivorsitzenden eher mit „Président“

bezeichnet. Eine Lehnschöpfung ist eine Wortschöpfung nach fremdsprachlicher Anregung (vgl. Lewandowski 1990:646f.). Kutz erklärt sie als „Schaffung eines neuen ZS-Lexems ohne jegliche formale Anlehnung an das QS-Vorbild“ (1977:256). Koller und Reiß erwähnen diese Methode nicht. Dieser kreative Umgang mit Realienbezeichnungen zählt zu den komplizierteren Verfahren und verlangt eine große übersetzerische Kompetenz (z. B. Etat régional / Bundesland). Die Lehnschöpfung wird im Gegensatz zur Lehnübersetzung eher selten verwendet. Der Verfasser muss sowohl kreativ sein als auch um die Eigenschaften und Inhalte des Wirklichkeitsausschnitts der Ausgangskultur wissen, damit in der Versprachlichung alle Merkmale getragen werden und das Verständnis gesichert ist.

 Die Abkürzung der Partei erscheint im Ausgangstext als Entlehnung, jedoch gemäß der Sprachkonventionen „S.E.D.“. Eine Entlehnung ist die Übernahme eines Zeichens aus einer Sprache in eine andere (vgl. Lewandowski 1990:263). Koller und Kade definieren dies auf die gleiche Weise, wobei Kade Entlehnungen in der Zielsprache in Anführungszeichen setzt. Kutz bezeichnet Entlehnungen als „Lexementlehnung“

(1977:256). Kutz und Koller unterscheiden bei der Entlehnung die phonologische Kalkierung mit und ohne Homographie. Es erfolgt eine teilweise bis vollständige Anpassung an morphologische, phonetische und graphische Normen der Zielsprache.

Nach Kutz findet hier eine „assimilierende Lexementlehnung“ (1977:256) statt, bei der das AT-Lexem an die zielsprachlichen Normen angepasst wird. Entlehnungen zeigen am deutlichsten den Realiencharakter, setzen aber die wenigsten Informationen um. Der Vorteil der Entlehnung ist die Übertragung des Lokalkolorits. Der Nachteil besteht in der geringen Informativität. Dieser Nachteil wird durch eine Erläuterung ausgeglichen, da in der Fußnote zusätzlich die Nennung des vollständigen Parteinamens erfolgt. Es findet also auch hier eine Entlehnung statt. Zudem wird der Name mit Hilfe einer Lehnübersetzung für die Adressaten zugänglich gemacht. Bei

Vivien Berg 105

der Lehnübersetzung wird ein Morphem der Ausgangssprache durch das semantisch nächststehende Morphem der Zielsprache übersetzt. Dabei werden die ZS- Wortbildungsregeln beachtet (vgl. Lewandowski 1990:647). Hierbei handelt es sich also um eine wörtliche Übersetzung der unmittelbaren semantischen Konstituenten (z. B. route nationale / Nationalstraße).

 Anders als bei der Partei wird beim Akronym des Staatsnamens nicht das deutsche Akronym entlehnt, sondern aus der autorisierten Übersetzung gebildet. Die Verwendung einer autorisierten Übersetzung ist bei Institutionen oder geographischen Eigennamen möglich. Wenn eine autorisierte Übersetzung vorhanden ist, sollte diese unbedingt verwendet werden. Durch die Bekanntheit der Übersetzung wird das Verstehen in der Zielkultur ohne umständliche Erklärungen optimal gewährleistet. Das Fehlen der Langform „République démocratique allemande“ bei der ersten Erwähnung im Text deutet erneut auf eine hohe Präsupposition hin.

Autorisierte Übersetzung

Avec l’accord de Berlin du 3 juin 1972, les Trois Occidentaux ont signé pour la première fois un texte portant en toutes lettres le nom de la République Démocratique Allemande. La vague de reconnaissances de 1972-1973 en fut la conséquence. La déclaration d’Helsinki, signée l’été dernier, tire le trait final.

Tab. 2: Textbeispiel 2 „La politique étrangère de la R.D.A“

 Bei den Vertragstexten und dem Staatsnamen verwendet der Verfasser die autorisierten Übersetzungen.

Lehnübersetzung

Enfin, ce traité bilatéral avec l’Union soviétique complète les accords du « triangle de fer » signés en mars 1967 avec la Pologne et la Tchécoslovaquie, en mai 1967 avec la Hongrie, puis en septembre 1967 avec la Bulgarie et en septembre 1968 avec la Mongolie. […] Tous ces accords soulignent

« l’unité de la communauté socialiste » et mettent l’accent sur « l’internationalisme socialiste ».

Vivien Berg 106 Ainsi, en cas de résiliation du Pacte de Varsovie, l’alliance militaire orientale ne disparaîtrait pas pour autant.

Tab. 3: Textbeispiel 3 „La politique étrangère de la R.D.A“

 „Triangle de fer“ ist eine Lehnübersetzung und beschreibt die Stellung der DDR, der Tschechoslowakei und Polens innerhalb der Warschauer-Pakt-Staaten. Gottfried Niedhart erläutert diese Verbindung im Spiegel Special Geschichte:

„Ein zwischen Ost-Berlin, Warschau und Prag geschmiedetes ‚Eisernes Dreieck‘

sollte als Bollwerk gegen die Verlockungen aus dem Westen wirken. Innerhalb dieses Dreiecks wie ganz allgemein im Warschauer Pakt bestimmten allerdings zunehmend Interessengegensätze die politische Wirklichkeit.“ (vgl. 2008)

 Beachtung müssen in dieser Passage zudem zwei in den kommunistischen Staaten übliche Wendungen „l’unité de la communauté socialiste“ und „l’internationalisme socialiste“ finden, die im Deutschen mit „Einheit der sozialistischen Gemeinschaft“

und „sozialistischer Internationalismus“ wiedergegeben werden. Picaper hat hier erneut das Verfahren der Lehnübersetzung angewendet.

Metonymie und Hyperonym

Le traité de 1964 – comme le précédent – faisait encore allusion à la « création d’un Etat allemand unitaire pacifique et démocratique », à réaliser « seulement par des négociations à droits égaux…

entre les deux Etats souverains allemands ». C’était l’hameçon auquel mordit le gouvernement de Bonn. Ce passage est absent du nouveau traité. Pourtant, le gouvernement est-allemand a décrété cette année le 7 octobre, date de la création de la R.D.A., « fête nationale ».

Tab. 4: Textbeispiel 4 „La politique étrangère de la R.D.A“

 Für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland wählt Picaper eine Metonymie78. Metonymien zählen nach Nord ebenfalls zu den pragmatischen ÜS-Problemen, die bei einer großen kulturellen Distanz zu Verstehensschwierigkeiten führen. Picaper scheint

78Eine Metonymie ist die „Ersetzung eines Ausdrucks durch einen anderen Ausdruck, der zu ihm in einer realen, d. h. kausalen, räumlichen oder zeitlichen Beziehung steht […]“ (Lewandowski 1990:712). Es werden zwei Arten unterschieden: Pars pro toto, bei dem ein Teil für das Ganze steht, und Totum pro parte, wobei ein Ganzes für einen Teil steht. Neben „gouvernement de Bonn“ werden im Text „Bonn“ oder „Kremlin“ als Metonymie für die Regierung der BRD bzw. der UdSSR verwendet.

Vivien Berg 107

die Distanz als klein genug einzuschätzen, um diese Metonymie zu verwenden.

 Der Verfasser verwendet neben der Erklärung des 7. Oktobers als „date de la création de la R.D.A.“ das Hyperonym „fête nationale“, ohne den Tag mit dem deutschen Namen „Tag der Republik“ konkret zu benennen.

Wörtliche Übersetzung und Analogieverwendung

Il y a un an, la Chambre du peuple de R.D.A. supprimait de la constitution la référence à la nation. La constitution de Walter Ulbricht, adoptée en avril 1968, exprimait en son article premier l’objectif national : « La République démocratique allemande est un Etat socialiste de nation allemande ».

Tab. 5: Textbeispiel 5 „La politique étrangère de la R.D.A“

 Da es in der AT-Kultur mit der „Assemblée générale“ oder dem „Sénat“ kein Äquivalent gibt und ein Hyperonym zu unkonkret wäre, übersetzt Picaper

„Volkskammer“ wörtlich mit „Chambre du peuple“. Meines Erachtens könnte noch eine Erklärung wie „organe législatif“ angeschlossen werden. Da der Verfasser jedoch generell ein hohes Vorwissen bei seinen Adressaten voraussetzt und auch an anderen Stellen ausschließlich eine Lehnübersetzung verwendet, entspricht es seinem Schreibstil.

 Bei der Nennung der Verfassung wählt Picaper die Analogie bzw. die autorisierte Übersetzung (beide Wiedergabeverfahren führen zu derselben Lösung), beginnt aber nicht mit einem Großbuchstaben.

Koller versteht unter der Analogieverwendung die Verwendung eines ZS-Ausdrucks mit ähnlicher oder gleicher Bedeutung, d. h., einem festen Ausdruck der Zielsprache wird die Bedeutung des AS-Ausdrucks zugeordnet (vgl. 1979:165). Kutz beschreibt die Analogieverwendung als „Erweiterung des Bedeutungsumfangs eines ZS-Lexems durch Übernahme bestimmter Bedeutungselemente von einem QS-Lexem“

(1977:256). Bei der Verwendung eines zielkulturellen Äquivalents muss die Funktion der Realienbezeichnung beachtet werden.

Vivien Berg 108

 Beim Staatsnamen der DDR zeigt der Autor eine Schwäche. Er ist bei seiner Wiedergabe nicht konsequent. Während er ansonsten alle Namensbestandteile mit einem Großbuchstaben schrieb, sind die Adjektive an dieser Stelle kleingeschrieben, was gemäß des „Le Petit Robert des noms propres“ die richtige Schreibweise ist.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Jean-Paul Picaper der Umgang mit Kulturspezifika gut gelungen ist und die Realienbezeichnungen gut wiedergegeben wurden.

Der Kommunikationszweck – eine Information über die Außenpolitik, wurde mit den gewählten sprachlichen Mitteln erfüllt. Der Text zeigt, dass je nach Situation und in Abhängigkeit von Skopos, Anzahl, Position und Funktion der Realienbezeichnung die verschiedenen Möglichkeiten der Versprachlichung verwendet und Verfahren kombiniert werden können.

Anders als im Text von Jean-Paul Picaper sind es in den nächsten Beispielen nicht nur Realienbezeichnungen, sondern insbesondere die propagandistischen Formulierungen, die bei der Übersetzung beachtet werden müssen. Aus diesem Grund werden zwar einige Realienbezeichnungen und der Umgang mit diesen vorgestellt, der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Propaganda der DDR, die mit diesen beiden Texten dargestellt werden soll. Da beide Texte den gleichen Auftraggeber und dem gleichen Zweck dienen, werden sie in einem Punkt gemeinsam behandelt.

b) „750 Jahre Berlin“ und „Die DDR stellt sich vor“

In Zeiten des Kalten Krieges wurde der Propaganda auf beiden Seiten große Bedeutung beigemessen und versucht, die Bevölkerung und die Öffentlichkeit in gegnerischen Staaten zu mobilisieren. Dabei wollte man die Menschen direkt ansprechen und den Umweg über den diplomatischen Kontakt mit den Regierungen vermeiden79 (vgl. Brünner 2011:12).

Dies wollte man auch in der DDR erreichen. In den 1960er-Jahren wurde vor allem das Ziel der völkerrechtlichen Anerkennung verfolgt, dem man mit einer positiven Selbstdarstellung

79 Diese Art der Außenpolitik wird als „Public Diplomacy“ bezeichnet (vgl. Tuch 1990:3).

Vivien Berg 109

näher kommen wollte.

Nachdem die DDR bis 1973 von zahlreichen westlichen Staaten anerkannt wurde, stand ein weiteres Mal der Versuch im Vordergrund, die westlichen Gesellschaften im Sinne des Sozialismus zu beeinflussen. Dazu wurden die „Errungenschaften“ der DDR präsentiert, Neuerungen in Kultur und Wissenschaft vorgestellt und die Politik der BRD aufgedeckt (vgl.

Brünner 2011:22ff). Die Agitationsschriften waren

„konsequent auf die Selbstdarstellung der sozialistischen DDR – ihrer inneren Entwicklung und ihrer Außenpolitik – zu orientieren. In interessanter Weise ist die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung über den Kapitalismus nachzuweisen und insbesondere sichtbar zu machen, daß das Wohl des Menschen, vor allem der Arbeiterklasse, oberstes Ziel allen Tuns und Handelns von Partei, Regierung und Gesellschaft ist. Die Publikationen müssen dazu beitragen, Schritt um Schritt antikommunistische Vorbehalte abzubauen.“80

Ein wichtiges Werk zur Außendarstellung der DDR war das Buch „Die DDR stellt sich vor“.

Diese Broschüre war eine der zahlreichen Publikationen der Presseagentur Panorama DDR81, die für die DDR-Propaganda die entscheidende Einrichtung war.

„Die DDR stellt sich vor“ und „750 Jahre Berlin“ wurden auch deshalb gewählt, weil sie von Panorama DDR veröffentlich wurden. Ihre Zugehörigkeit zur Kommunikationsform Propaganda und die komplexe Darstellung der DDR haben die Entscheidung ebenfalls beeinflusst. Diese beiden Texte unterstreichen zudem noch einmal den Stellenwert des Fremdsprachendienstes Intertext, der mit diesen, für die DDR wichtigen Übersetzungen betraut wurde. Außerdem geben die Texte einen Einblick in die Arbeit von Intertext.

In den nachfolgenden Abschnitten werden die Merkmale propagandistischer Texte mit Beispielen belegt und es wird dargestellt, wie englisch- und französischsprachige Übersetzer

In den nachfolgenden Abschnitten werden die Merkmale propagandistischer Texte mit Beispielen belegt und es wird dargestellt, wie englisch- und französischsprachige Übersetzer