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Der Einfluss auf das Bildungswesen

Als erster Aspekt soll das Bildungswesen angeführt werden, da dies auch die erste Einflussmöglichkeit des Staates auf die DDR-Bürger war. Der Erziehungsanspruch der Staats- und Parteiführung führte zu einem umfangreichen System, das auf die Menschen vom Kindergarten über die Schule, die Lehrwerkstätten oder die Universität bis ins Erwachsenenalter einwirkte.

Da es das Ziel der SED war, „allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeiten“ (Heydemann 2002) heranzubilden, begannen ihre Erziehungsmaßnahmen bereits im Kindesalter. Daran beteiligt waren die Massenorganisationen wie die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ und die FDJ8, „die paramilitärische Formen und Rituale praktizierten“ (Heydemann 2002).

„Insgesamt war die Politik der SED gegenüber der heranwachsenden Generation zwiespältig.

Auf der einen Seite hielt sie beständig an einem Erziehungsanspruch fest, der durch Kindergarten, Schule, Junge Pioniere, FDJ und sonstige Einrichtungen bis hinein in die Diskothek verfolgt wurde, auf der anderen Seite war diese ‚Förderung der Jugend‘ durchweg von einem tiefen Misstrauen begleitet. Auf die Verteufelung des ‚Westeinflusses‘

(Abschneiden von langen Haaren, Verbot von Jeans, Ablehnung der Rockmusik etc.) noch in den siebziger Jahren folgte die Aufnahme einer eigenen Jeans-Produktion, die widerwillige Zulassung von Rockbands und die flächendeckende Einrichtung von Jugendklubs war allerdings kaum weniger ambivalent.“ (Heydemann 2002)

Die Schulzeit in der DDR war durch diese Organisationen geprägt. Mit der Einschulung und

8 Die FDJ ist die „[a]m 7.3.1946 gegründete, einzige zugelassene Massenorganisation für die Jugend in der DDR. Mitglied wurde fast jeder Jugendliche ab 14 Jahren, oftmals auch, um sich durch eine Nichtmitgliedschaft seine berufliche Zukunft nicht zu verbauen. Die Hauptaufgabe der FDJ bestand in der politischen Erziehung im Geiste des Marxismus-Leninismus und des proletarischen Internationalismus. Die SED bezeichnete die FDJ als

‚Kampfreserve der Partei der Arbeiterklasse‘, zu deren Aufgaben es gehörte, Nachwuchs für die Partei heranzubilden. Die FDJ versuchte, durch jugendgerechte Veranstaltungen die jungen Leute für sich zu gewinnen […]. Sie bot in Jugendklubs, Ferienlagern oder auch nur in der Gemeinschaft der FDJ-Gruppen den Jugendlichen Gelegenheiten zur gemeinsamen Freizeitgestaltung. Die Führung der FDJ bestand aus hauptamtlichen Funktionären, die oft die Altersgrenze gemäß Statut bereits überschritten hatten […] und nach den für Parteifunktionären geltenden Grundsätzen ausgewählt und weitergebildet wurden“ (Wolf 2000:61).

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dem Beitritt in die Pionierorganisation wurden die Kinder bis zur vierten Klasse „Junge Pioniere“, danach Thälmann-Pioniere, bis sie in der achten Klasse in die FDJ übertraten. Die Kinder waren zwar nicht verpflichtet, der „Thälmann“-Organisation beizutreten, da eine Mitgliedschaft aber angeraten wurde und förderlich für die schulische Laufbahn war, waren 98 Prozent aller Schulkinder zwischen sechs und 13 Jahren Pioniere. Der Großteil der Jugendlichen blieb auch nach der Pionierzeit in einer Jugendorganisation. 77 Prozent der 14- bis 25-Jährigen waren Mitglieder der FDJ, auch weil „die berechtigte Gefahr [bestand], ohne FDJ-Mitgliedschaft Nachteile bei der Berufswahl und im beginnenden Arbeitsleben zu bekommen“ (Schmidt 2010:25). Die Organisationen waren durch Pioniernachmittage, Fahnenappelle oder gemeinnützige Aktionen aktiv am Schulalltag beteiligt und übernahmen zudem die Freizeitgestaltung, in der die Kinder zu jungen Sozialisten erzogen werden sollten.

Dazu gehörten auch sprachliche Rituale9, Pioniergesetze und Lieder, die auswendig rezitiert werden mussten (vgl. Schmidt 2010:25f.).

Des Weiteren gab es verschiedene Institutionen von Partei oder Organisationen, die der Erziehung der DDR-Bürger dienten, wie zum Beispiel die Parteischule, das Parteilehrjahr oder das FDJ-Studienjahr. Alle diese Einrichtungen dienten dazu, „den Teilnehmern die neusten politischen Erkenntnisse und Beschlüsse der Partei- und Staatsführung sowie Kenntnisse des Marxismus-Leninismus“ (Wolf 2000:167) zu vermitteln und treue Staatsbürger sowie Kader für die Parteiführung heranzubilden.

In der Bevölkerung wurde das Parteilehrjahr auch als „Rotlichtbestrahlung“

bezeichnet (vgl. Wolf 2000:167f.).

Ein weiteres Ziel der Staatsführung war es, den Einfluss der Religion zu mindern. Zu diesem Zweck wurde 1955 die Jugendweihe, die bereits in den 1920er-Jahren begangen wurde, wieder eingeführt, die die christliche Konfirmation ersetzte. Auch die Jugendweihe war nahezu verpflichtend, sodass bereits 1960 90 Prozent der 14-Jährigen daran teilnahmen, da eine Verweigerung den Besuch der Erweiterten Oberschule und damit das Abitur ausschloss (vgl. Schmidt 2010:27). Die Jugendweihe war ebenfalls von Gelöbnissen und Regeln geprägt, die von den Jugendweihlingen bei der Feierstunde vorgetragen werden mussten.

9 Ein klassische Formel der Pioniere war der Ausspruch „Für Frieden und Völkerfreundschaft – Seid bereit.“, auf den die Antwort „Immer bereit.“ erwidert wurde (vgl. Schmidt 2010:25).

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Neben diesen Punkten wurde auch das Schulwesen selbst mehrere Male reformiert. So wurden mit der Gründung des Staatssekretariats für Bildungswesen am 19. Januar 1951 die Pflichtfächer Russisch und Marxismus-Leninismus eingeführt. 1965 wurde sowohl die Vorschulerziehung als auch die Polytechnische Oberschule (POS) als zehnklassige, allgemeinbildende Schule verpflichtend. Auf diese Weise war der Einfluss des Staates vom fünften bis zum 17. Lebensjahr sichergestellt und der Übergang von der Pionierorganisation in die FDJ gewährleistet. Durch Betriebspraktika und „Unterrichtstage in der sozialistischen Produktion“ (UTP) wurde früh der Kontakt zur Arbeitswelt hergestellt, was durchaus als positiv bewertet werden kann (vgl. Mählert 2011:30).

Das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen war für die Universitäten und Hochschulen der DDR zuständig. Wie alle staatlichen Institutionen der DDR sollten auch die Universitäten die Lehren des Sozialismus verbreiten, doch anders als in den Schulen wurden in den Universitäten keine Organisationen mehr aktiv, um die Studenten „zu führen“: Dies sollte von den Lehrinhalten übernommen werden, die dementsprechend konzipiert wurden: alle Studenten hatten Unterricht in körperlicher Erziehung und Marxismus-Leninismus (vgl. Schmidt 2010:38).

Um ein Studium in der DDR antreten zu können, reichte ein guter Abschluss der Oberschule allein nicht aus. Es bedurfte zusätzlich eines Motivationsschreibens, und selbst wenn in diesem keine Mängel zu finden waren, war eine Zulassung nicht sicher. Ein systemgerechtes Leben war ebenfalls förderlich. Die DDR förderte außerdem Kinder aus Arbeiterfamilien stärker als Kinder aus Akademikerelternhäusern:

„Der Arbeiter- und Bauernstaat wollte keine junge Generation heranziehen, die sich in der Forschung und Wissenschaft betätigen [sic]. Werktätige benötigte das marode Wirtschaftssystem und somit kamen nur wenige Schülerinnen und Schüler in den Genuss, das Abitur an der EOS abzulegen. Der Vorteil am Bildungssystem der DDR war jedoch, dass man nach Absolvierung der Lehre an einer Fachhochschule ein Studium wählen konnte.“ (Schmidt 2010:38)

Mit der Zulassungspolitik verfolgte die DDR das Ziel, den Großteil der jungen Erwachsenen nach der 10. Klasse für einen Ausbildungsberuf in Industrie und Handwerk zu gewinnen. Eine Zulassung zum Studium sollte von den Studenten als Auszeichnung gesehen werden, die sich mit ihrer Immatrikulation dazu verpflichteten, diszipliniert zu arbeiten, sich für den Staat

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einzusetzen und die ihnen zugeschriebene Arbeitsstelle anzutreten (vgl. Schmidt 2010:39).