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Die Übersetzertätigkeit in der DDR Der Einfluss des Staates

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Master

Reference

Die Übersetzertätigkeit in der DDR Der Einfluss des Staates

BERG, Vivien

Abstract

Ce mémoire traite de la profession du traducteur dans l'ex-RDA. Dans les différents chapitres, on présente les études, le travail pour l'État, le travail comme traducteur littéraire ou traducteur technique, traducteur indépendant ou le travail pour le service linguistique.

L'influence de l'État sur la profession et les acteurs est aussi décrite. A la fin du mémoire, on traite quelques textes politiques et littéraires et leurs traductions. En somme, en expliquant les aspects positifs et négatifs de la profession et les difficultés des traducteurs dans l'ex-RDA, on donne un aperçu assez complet du métier.

BERG, Vivien. Die Übersetzertätigkeit in der DDR Der Einfluss des Staates. Master : Univ. Genève, 2012

Available at:

http://archive-ouverte.unige.ch/unige:29167

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Vivien Berg

Die Übersetzertätigkeit in der DDR

Der Einfluss des Staates

Mémoire présenté à la Faculté de Traduction et d’Interprétation pour l’obtention de la Maîtrise en Traduction, mention Traduction spécialisée

Directrice du mémoire : Prof. Dr. Hannelore Lee-Jahnke

Jurée :

Madame Suzanne Ballansat

Université de Genève Mai 2012

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Vivien Berg ii

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 8

A DER HISTORISCHE HINTERGRUND 10

1 Die Geschichte und die gesellschaftspolitische Entwicklung der DDR 10 2

2.1 2.2 2.3 2.4

Der Einfluss des Staates

Der Einfluss auf das Bildungswesen Der Einfluss auf das Arbeitsleben Der Einfluss auf Literatur und Presse Der Einfluss auf die Sprache

21 22 25 26 34

3 Die Bedeutung der offiziellen Staatsphilosophie Marxismus-Leninismus 38 B DIE ÜBERSETZUNGSWISSENSCHAFT IN DER DDR 41 1

1.1 1.2 1.3

Die Sprachmittlerausbildung – Möglichkeiten neben dem Studium Die Ausbildungsinhalte und deren Strukturierung im Diplomstudiengang

Die Weiterbildung

Von der Sektion Theoretische und Angewandte Sprachwissenschaft der Karl-Marx-Universität Leipzig…

41 43 49 50

2 2.1 2.2

2.3 2.4 2.5

… zur Leipziger übersetzungswissenschaftlichen Schule Das „Proprium quid“ der Übersetzungswissenschaft Die Hauptvertreter der Leipziger Schule

a) Otto Kade b) Gert Jäger

c) Albrecht Neubert

Ideologische Spuren in den Arbeiten der Leipziger Schule

Wie sehen andere Übersetzungswissenschaftler die Leipziger Schule?

Abschließende Betrachtung zur Leipziger Schule

52 54 58 59 62 64 66 74 76

C DIE ÜBERSETZERISCHE PRAXIS IN DER DDR 78

1 1.1

Die Übersetzertätigkeit

Der Fremdsprachendienst Intertext

78 78

(4)

Vivien Berg iii

1.2 1.3

Freiberuflich vs. fest angestellt Zur Literaturübersetzung

82 83 2

2.1

2.2 2.3 2.4

2.5

Der Umgang mit Übersetzungsproblemen

Realienbezeichnungen als Übersetzungsproblem a) Begriffsbestimmung und Definition b) Merkmale von Realienbezeichnungen

c) Auflösungsverfahren von Realienbezeichnungen Propaganda als Übersetzungsproblem

Zensur bei der Übersetzung

Textbeispiele zum Umgang mit den Übersetzungsproblemen Realienbezeichnungen, Propaganda und Zensur

a) „La politique étrangère de la R.D.A.“

b) „750 Jahre Berlin“ und „Die DDR stellt sich vor“

c) „La religieuse“ und „Die Nonne“

Fazit der Textanalyse

90 90 92 93 94 96 98 101 102 108 132 138

3 Terminologiearbeit in der DDR 139

Schlussfolgerung und Ausblick 142

Literaturverzeichnis Anhang

Eidesstattliche Erklärung

(5)

Vivien Berg iv

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abb. 1 Translation als zweisprachige vermittelte Kommunikation 55 Tab. 1

Tab. 2 Tab. 3 Tab. 4 Tab. 5 Tab. 6 Tab. 7 Tab. 8 Tab. 9 Tab. 10 Tab. 11 Tab. 12 Tab. 13 Tab. 14 Tab. 15 Tab. 16 Tab. 17 Tab. 18 Tab. 19 Tab. 20 Tab. 21 Tab. 22 Tab. 23 Tab. 24

Textbeispiel 1 „La politique étrangère de la R.D.A“

Textbeispiel 2 „La politique étrangère de la R.D.A“

Textbeispiel 3 „La politique étrangère de la R.D.A“

Textbeispiel 4 „La politique étrangère de la R.D.A“

Textbeispiel 5 „La politique étrangère de la R.D.A“

Textbeispiel 1 „750 Jahre Berlin“

Textbeispiel 2 „750 Jahre Berlin“

Textbeispiel 3 „750 Jahre Berlin“

Textbeispiel 4 „750 Jahre Berlin“

Textbeispiel 5 „750 Jahre Berlin“

Textbeispiel 6 „750 Jahre Berlin“

Textbeispiel 7 „750 Jahre Berlin“

Textbeispiel 8 „750 Jahre Berlin“

Textbeispiel 1 „Die DDR stellt sich vor“

Textbeispiel 2 „Die DDR stellt sich vor“

Textbeispiel 3 „Die DDR stellt sich vor“

Textbeispiel 4 „Die DDR stellt sich vor“

Textbeispiel 5 „Die DDR stellt sich vor“

Textbeispiel 1 „La religieuse“ / „Die Nonne“

Textbeispiel 2 „La religieuse“ / „Die Nonne“

Textbeispiel 3 „La religieuse“ / „Die Nonne“

Textbeispiel 4 „La religieuse“ / „Die Nonne“

Textbeispiel 5 „La religieuse“ / „Die Nonne“

Textbeispiel 6 „La religieuse“ / „Die Nonne“

103 105 105 106 106 110 114 115 116 117 119 121 122 124 126 127 128 129 133 134 135 135 136 137

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Vivien Berg v

Abkürzungsverzeichnis

ADN Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst

AS Ausgangssprache oder ausgangssprachlich (in Komposita) AT Ausgangstext (in Komposita)

BRD Bundesrepublik Deutschland CDU Christlich-Demokratische Union

DBD Demokratische Bauernpartei Deutschlands DDR Deutsche Demokratische Republik

DFD Demokratischer Frauenbund Deutschlands EOS Erweiterte Oberschule

FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FDJ Freie Deutsche Jugend

FIT Fédération Internationale des Traducteurs

IALT Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie IWS Institut für Weiterbildung

KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion LDP Liberal-Demokratische Partei

LKG Leipziger Kommissions- und Großbuchhandelsgesellschaft MfS Ministerium für Staatssicherheit

MVR Mongolische Volksrepublik

NATO Organisation des Nordatlantikvertrags (North Atlantic Treaty Organisation)

NDPD National-Demokratische Partei Deutschlands NVA Nationale Volksarmee

POS Polytechnische Oberschule

QS Quellensprache oder quellensprachliche (in Komposita)

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Vivien Berg vi

RGW Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe SBZ Sowjetische Besatzungszone

SED Sozialistische Einheitspartei Deutschland

SKET Schwermaschinenbau-Kombinat Ernst Thälmann SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands

TAS Sektion Theoretische und Angewandte Sprachwissenschaft TGL Technische Güte- und Lieferbedingungen

UdSSR Union der sozialistischen Sowjetrepubliken UNO Vereinte Nationen (United Nations Organization) ÜS Übersetzung- oder Übersetzungs- (in Komposita)

USA Vereinigte Staaten von Amerika (United States of America) UTP Unterricht in der sozialistischen Produktion

VdJ Vereinigung der Journalisten VdS Vereinigung der Sprachmittler VEB Volkseigener Betrieb

VR Volksrepublik

ZK Zielkultur

ZS Zielsprache oder zielsprachlich (in Komposita) ZT Zieltext (in Komposita)

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Vivien Berg vii

Anmerkung

Um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten, steht die maskuline Form in dieser Arbeit stellvertretend für die feminine.

Übersetzer, die mir Informationen zur Verfügung gestellt haben und nicht genannt werden wollten, erscheinen anonymisiert in dieser Arbeit.

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Vivien Berg 8

Einleitung

„Erst war die DDR reduziert auf Unrechtstaat, jetzt wird, was man Anfang der neunziger Jahre demontierte, als Kuriositätenkabinett vorgeführt. Die Ostalgie-Welle ist genauso eine oberflächliche Verfälschung der Wirklichkeit wie das Klischee vom Stasi-Staat. Das beweist:

Die DDR ist noch kein abgegoltenes Thema.“ (Christa Wolf, 2003 im Spiegel-Gespräch)

Das große Thema DDR, das für immer ein Teil der deutschen Geschichte bleiben wird und das für zahlreiche Menschen noch immer zu ihrem Leben gehört, setzt sich aus vielen Bereichen zusammen. Einer dieser Bereiche ist die Übersetzertätigkeit. Nachdem Wolfgang Ghantus im Jahr 2011 in seinem Buch „Ein Diener vieler Herren“ den Beruf des Dolmetschers in der DDR in seinen verschiedenen Facetten dargestellt hat, fehlt bis heute eine solche Betrachtung für den Beruf des Übersetzers. Mit dieser Arbeit soll ein erster Beitrag auf diesem Gebiet geleistet werden.

Kommunikation findet in einem komplexen System statt. Innerhalb dieses Systems nehmen sowohl die Kommunikationspartner als auch die äußeren Umstände Einfluss auf die Kommunikation. Gleiches gilt für die Übersetzung als besondere Form der Kommunikation.

Auch auf sie wirken verschiedene Faktoren. Ein Faktor ist die Kommunikationsgemeinschaft des jeweiligen Senders bzw. Empfängers. Auch die Bevölkerung der DDR bildete eine solche Kommunikationsgemeinschaft.

Auf diese soll in der Arbeit nachfolgend eingegangen werden. Dabei soll ermittelt werden, welchen Einfluss der Staat als ein äußerer Faktor auf die Übersetzertätigkeit hat.

Um dieses Ziel zu erreichen, gliedert sich die Arbeit in drei Teile, wobei sich der erste Teil dem historischen Hintergrund widmet. Wie bereits das Zitat zu Beginn dieser Einleitung zeigt, ist die Geschichte für dieses Thema von großer Bedeutung. Die gesellschaftspolitischen Entwicklungen während des 40-jährigen Bestehens der DDR und der Einfluss des Staates sowie des Marxismus-Leninismus werden umfassend, aber nicht vollständig dargestellt.

Mithilfe dieses bewusst großen Kapitels soll die Grundlage für ein besseres Verständnis der Thematik zur Übersetzertätigkeit in der DDR gelegt werden.

Zu eben dieser Übersetzertätigkeit gehören auch die Ausbildung und die Übersetzungswissenschaft, die im zweiten Teil dieser Arbeit behandelt werden. Dabei werden

(10)

Vivien Berg 9

die Inhalte und der Aufbau des Sprachmittlerstudiums erläutert und die Entwicklung der Translationswissenschaft anhand der Leipziger übersetzungswissenschaftlichen Schule, die für die deutschsprachige Übersetzungswissenschaft von großer Bedeutung ist, nachgezeichnet.

Im letzten Teil der Arbeit stehen die praktische Übersetzertätigkeit sowie Übersetzungsprobleme und deren Lösung im Mittelpunkt. So werden zunächst die verschiedenen Arbeitsmöglichkeiten: der Fremdsprachendienst Intertext, die Freiberuflichkeit und die Literaturübersetzung vorgestellt. Abschließend beschäftigt sich die Arbeit mit dem Umgang mit bestimmten Übersetzungsproblemen wie Realienbezeichnungen, Propaganda und Zensur, die mithilfe von Textbeispielen aus den Bereichen Politik, Literatur und Technik veranschaulicht werden. Damit soll auch in diesem Gebiet zur Aufarbeitung und zum Erkenntnisgewinn beigetragen werden, sodass

„die Geschichte der DDR, auch ihre Sprachgeschichte, [nicht] marginalisiert wird, als habe sie – wenn überhaupt – irgendwo im Ausland stattgefunden. Auch die Sprachgeschichte der DDR ist zu dokumentieren, zu kodifizieren, zu beschreiben und zu erinnern als Teil unserer gemeinsamen deutschen Geschichte.“ (Hellmann 2004:13)

Schließlich möchte ich mich an dieser Stelle zuerst bei Frau Prof. Dr. Hannelore Lee-Jahnke bedanken, die mir als Betreuerin dieser Arbeit beratend zur Seite stand und mir insgesamt großen Freiraum dabei einräumte. Großer Dank gebührt Herrn Manfred Schmitz, der mir nicht nur mit Texten und bei der Literaturrecherche behilflich war, sondern mir auch in Gesprächen und beim Lesen meiner Arbeit zahlreiche Hinweise, Ratschläge und Informationen gegeben hat und dafür kostbare Zeit investierte. Mein Dank gilt ebenfalls den Übersetzern und Übersetzerinnen, die mir ihre Erfahrungen freundlicher Weise in Telefonaten oder in schriftlicher Form schilderten. Zuletzt bedanke ich mich auch bei meiner Mutter, meinen Freunden und Kommilitonen, die mich während dieser Phase meines Studiums auf vielfältige Weise unterstützt haben.

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Vivien Berg 10

A DERHISTORISCHE HINTERGRUND

1 Die Geschichte und die gesellschaftspolitische Entwicklung der DDR

Für die Vollständigkeit dieser Arbeit ist es notwendig, auch die Geschichte der DDR zusammenfassend darzustellen. Auf diese Weise wird ein besseres Verständnis der Thematik gewährleistet.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs übernahm die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) am 09. Juni 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die Verantwortung. Die SBZ schien zu diesem Zeitpunkt der Motor eines demokratischen Neuanfangs zu sein:

„Bereits fünf Wochen nach der Kapitulation gestattete die SMAD mit ihrem Befehl Nr. 2 vom 10.

Juni die Gründung von Parteien und Gewerkschaften in ihrem Herrschaftsgebiet. Innerhalb weniger Wochen formierten sich die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), die Christlich-Demokratische Union (CDU) sowie die Liberal-Demokratische Partei (LDP).“ (Mählert 2011:8)

Dabei bekannten sich die Kommunisten zu den „Rechten und Freiheiten für das Volk“

(Mählert 2011:8). Gleichzeitig schlossen sie zu diesem Zeitpunkt die Einführung des sowjetischen Systems ausdrücklich aus.

Die Parteispitze der KPD bestand aus einer Gruppe von Kommunisten, die sich während des Krieges im sowjetischen Exil aufhielten und nun die Macht in der Besatzungszone übernehmen wollten: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand halten“ (Mählert 2011:9). Die KPD wurde auch von der UdSSR-Besatzungsmacht unterstützt.

Um ihre Ziele zu verwirklichen, forcierte die KPD den Zusammenschluss mit der SPD:

„Im Herbst 1945 bahnte sich eine grundlegende Veränderung im Parteiensystem an. Ab September trat die KPD-Führung für eine rasche Vereinigung der beiden Arbeiterparteien ein, die sie noch wenige Monate zuvor brüsk abgelehnt hatte. Zwar war es den Kommunisten in der Zwischenzeit gelungen, ihren Parteiapparat aufzubauen, sie mussten jedoch feststellen, dass sie nicht über den erwarteten Rückhalt innerhalb der Bevölkerung verfügten. Derweil hatte die SPD

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Vivien Berg 11 mit zunehmendem Selbstbewusstsein einen politischen Führungsanspruch formuliert.“ (Mählert 2011:10f)

Auf dem „Vereinigungsparteitag“ der beiden Parteien wurde am 21. und 22. April 1946 die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) gegründet. Zwar wurden alle Positionen paritätisch von Vertretern beider Parteien besetzt, doch durch die Unterstützung der UdSSR und das einheitliche Auftreten der ehemaligen KPD-Mitglieder standen diese schnell an der Spitze.

Die ersten Wahlen in der SBZ im Herbst 1946 wurden dank der Parteienlandschaft und dem ausgeglichenen Wahlergebnis als Schritt in die Demokratie gedeutet (vgl. Schmidt 2010:4).

Die „Blockparteien“ CDU und LDP verloren jedoch bald an Eigenständigkeit. Durch die von SMAD und SED veranlasste Gründung der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD) und der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD) sollte der Schein des Mehrparteiensystems gewahrt werden. Die SED wurde nach sowjetischem Vorbild zur „Partei neuen Typus“ umgeformt und ihr Führungsanspruch von den anderen Parteien anerkannt. Die SED war die führende Kraft beim Aufbau des Sozialismus und bereits im Sommer 1948 mit 1,8 Mio. Mitgliedern eine Massenpartei, deren Kurs der Bevölkerung in der Zeitung Neues Deutschland nähergebracht wurde (vgl. Schmidt 2010:4f.). Auch die einst überparteilich konstituierten Organisationen – der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), die Freie Deutsche Jugend (FDJ) und der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD) – ordneten sich den Interessen der SED unter und wirkten „als Transmissionsriemen [, die] die Politik der SED in ihrer jeweiligen Zielgruppe vermitteln“ (Mählert 2011:14).

Die Entwicklungen in Deutschland müssen in ihrer Gesamtheit vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zwischen den Westmächten unter der Führung der USA und dem Ostblock, an dessen Spitze die UdSSR stand, gesehen werden. Einige Prozesse ergeben sich als Aktion und Reaktion.

Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen wurden zu dieser Zeit in der SBZ immer mehr dem sowjetischen Vorbild angepasst, dessen politisches Gedankengut nicht nur die staatliche Grundlage bilden, sondern auch die Sprache prägen sollte (vgl. Schmidt 2010:5). International nahmen derweil die Spannungen zwischen der UdSSR und den anderen

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Besatzungsmächten zu, sodass über mehrere Schritte1 die Teilung Deutschlands eingeleitet und schließlich 1949 vollzogen wurde. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 stimmte die UdSSR den Plänen der SED-Führung und damit der Gründung des ersten „Arbeiter-und-Bauern-Staates“ auf deutschem Boden am 27. September 1949 zu.

Am 07. Oktober 1950 wurde die Deutsche Demokratische Republik gegründet und aus dem im Mai 1949 gewählten Volkskongress ging der Volksrat hervor, der sich zur „Provisorischen Volkskammer“ erklärte und Otto Grotewohl zum Ministerpräsidenten und Wilhelm Pieck zum Präsidenten wählte. In der Volkskammer bestand zwar formal noch immer ein Mehrparteiensystem, dieses konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die SED in der Praxis die allein bestimmende Kraft war (vgl. Mählert 2011:16).

Mit dem Beitritt zum Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) ist die Ostintegration der DDR erfolgt. Es kam zu einem politischen Kurswechsel, der sich nicht nur gegen das westliche Ausland richtete, sondern durch wirtschaftliche Beschlüsse wie Preissteigerungen oder die Erhöhung von Akkordsätzen Auswirkungen auf die eigene Bevölkerung hatte, deren Unmut über die verschlechterte Versorgungslage wuchs. Der Kurswechsel bedeutete ebenfalls eine militärische Aufrüstung, mit der die Gründung der Nationalen Volksarmee einherging. In diese Periode fällt auch die Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit. Zudem wurden die Landwirtschaft und das Handwerk umgestaltet, indem landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften sowie Produktionsgenossenschaften des Handwerks geschaffen wurden (vgl. Mählert 2011:17ff).

Die 50er-Jahre galten dem Aufbau des Sozialismus, der auf regelmäßigen Parteitagen der SED bis ins kleinste Detail geplant wurde. Die Staatsführung der DDR (ab 1950) unter Walter Ulbricht ließ „die Bevölkerung spüren, nach welchem politischem Regime sich die zukünftige Politik, die Wissenschaften und kulturelle Einrichtungen zu richten hatten“ (Schmidt 2010:6).

Es wurde zunehmend versucht, auch die intellektuellen Kreise von der Parteiideologie zu überzeugen.

Die Unzufriedenheit der Menschen stieg angesichts der Parteipolitik der SED und der sich zunehmend verschlechternden Lebenswirklichkeit, was zu Abwanderungen der Bevölkerung führte. Erste Streikversammlungen von Arbeitern gipfelten am 17. Juni 1953 in

1Zu diesen Schritten gehören die Währungsreformen in West- und Ostdeutschland, die Berlin-Blockade durch die UdSSR sowie die Bundestagswahl und die Wahl Konrad Adenauers zum Bundeskanzler in der BRD.

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flächendeckenden Demonstrationen für Demokratie, Einheit und freie Wahlen. Aus ihrer Ohnmacht heraus ließ die Staatsführung sowjetische Panzer an den Demonstrationsorten vorfahren, wodurch die Lage beinahe eskaliert wäre. Nach diesem Vorfall sah sich die SED gezwungen, Änderungen vorzunehmen, um die Abwanderung der Menschen zu stoppen und das System zu festigen. Der nun verfolgte „Neue Kurs“ beinhaltete den Ausschluss von Parteifunktionären, die am 17. Juni 1953 politisch geschwankt hatten, aber auch Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse im Land. So sollten die Wirtschaft angekurbelt, das Konsumgüterangebot erhöht und damit die Kaufkraft gesteigert werden. Gleichzeitig wurde die Kontrolle durch das Ministerium für Staatssicherheit2 verschärft (vgl. Mählert 2011:22f.).

Tatsächlich sanken die Flüchtlingszahlen nach 1953 wieder. Mit dem „Vertrag über die Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR“ garantierte die Sowjetunion der DDR 1955 formal volle Souveränität. Nur ein Jahr später traten die Staaten des Ostblocks zum Warschauer Pakt3 zusammen, wodurch die DDR im kommunistischen Machtbereich integriert war4 (Mählert 2011:23).

In dieser Zeit des „politischen Tauwetters“ (Narosch 2008:5) keimte die Hoffnung auf, dass durch Reformen, die auf dem XX. Parteitag der KPdSU durch die Thematisierung von Stalins Verbrechen eingeleitet wurden, eine positive Entwicklung genommen wird. Zwar nahm die SED Abstand von Stalin, an ihrem System hielt sie allerdings fest, wodurch die Kritik an der Herrschaftspraxis erneut lauter wurde. Der gestiegene Lebensstandard und die verbesserten Freizeit- und Urlaubsangebote sicherten jedoch Ulbrichts Position, und es wurde unter dem augenscheinlich „positive[n] Ende der Durchsetzung des Sozialismus“ (Schmidt 2010:8) auf dem Parteitag deren „Vollendung“ beschlossen:

2 Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde am 08.02.1950 als Sicherheitsdienst der DDR gegründet. Es unterstand der SED und diente der Schutz- und Sicherungsarbeit. Das MfS sollte die politische Macht der Partei sicherstellen. Zu diesem Zweck durchdrangen die 90 000 offiziellen und 180 000 inoffiziellen Mitarbeiter das gesamte gesellschaftliche Leben und versuchten, Systemgegner auszuschalten. Zu den weiteren Aufgaben – vor allem nach außen – zählten die Spionage, die Spionageabwehr und die Wirtschaftsspionage. Das MfS verkörperte das Sicherheitsbedürfnis der Staatsführung. In der Bevölkerung gab es zahlreiche Synonyme für das MfS, wie z. B. „die Firma“, „Guck und Greif“ oder „VEB Horch und Guck“ (vgl. Wolf 2000:147 und Schmidt 2010:67).

3 Warschauer Pakt ist die Kurzbezeichnung für das Militärbündnis zwischen den kommunistischen Staaten Europas, das im Deutschen offiziell „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“

hieß und als Gegenpol zur NATO geschlossen wurde (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2002).

4 Zuvor hatte die BRD am 23.10.1954 die Pariser Verträge unterzeichnet, erhielt auf diese Weise ihre Souveränität und trat der NATO bei. Der Schritt der DDR kann also als Reaktion gesehen werden, wodurch das komplexe Wechselspiel zwischen Ost und West in der Welt unterstrichen wird.

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„Bis 1961 sollte die DDR die Bundesrepublik wirtschaftlich ein- und schließlich überholen.

Tatsächlich erfolgte 1958/59 eine für die Bevölkerung spürbare Konsolidierung der DDR- Wirtschaft. Erholungs- und Ferienheime der Gewerkschaft, Kulturhäuser, Kinderhorte und Polikliniken wurden als ‚Errungenschaften‘ des Systems angenommen. Der Ausbau der Konsumgüterindustrie zeigte erste Erfolge. Die letzten Lebensmittelkarten wurden endlich abgeschafft. Der Lebensstandard der Bevölkerung stieg. Mehr Menschen begannen, sich mit dem System zu arrangieren, das vor allem Arbeitern bisher ungekannte Aufstiegschancen bot. Die Flüchtlingszahlen sanken 1959 mit 143.917 auf den tiefsten Stand seit 1949.“ (Mählert 2011:25f.)

Die Haltung der Bürger deutete die SED allerdings fehl, indem sie darin deren politische Zustimmung zu erkennen glaubte. Auf dieser Grundlage entschied die Partei, den Wandlungsprozess des Staates abzuschließen. Von nun an stand das Kollektiv im Vordergrund.

Nach dem Tod Wilhelm Piecks5 baute Walter Ulbricht seine Stellung im Staat aus und übernahm zusätzlich zu seiner Funktion als Generalsekretär der SED und Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates den Vorsitz des neugeschaffenen Staatsrates. Damit wurden alle entscheidenden Funktionen in einer Person vereint (vgl. Mählert 2011:26f.) und die letzte Phase der sozialistischen Umgestaltung konnte beginnen.

„Mit der Veröffentlichung der ‚Zehn Gebote der sozialistischen Moral‘ auf dem V. Parteitag stellte Ulbricht das sozialistische Manifest der DDR dar. Vergleichbar mit den 10 Geboten der Kirche präsentierte Ulbricht in seinen 10 Geboten die Gesetze und Regeln des Sozialismus.

Sie begannen mit den immer gleichen Worten ‚Du sollst‘ und benannten den Bürgerinnen und Bürgern der DDR ihre Pflichten.“ (Schmidt 2010:9)

Mit diesem Manifest sollte erreicht werden, dass sich jeder Bürger selbst an die Regeln des Sozialismus anpasst und darauf achtet, dass die ganze Familie systemtreu agiert. Damit wurde für jeden ersichtlich, dass sich der politische Kurs der SED verschärfte. Zusätzlich kam es in dieser Phase durch die Kollektivierung der Landwirtschaft erneut zu Versorgungsschwierigkeiten, wodurch eine „Massenflucht“ (Mählert 2011:27) ausgelöst wurde.

5 Wilhelm Pieck wurde am 03.01.1876 in Guben geboren und starb am 07.09.1960 in Berlin (vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum).

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Um diesem Flüchtlingsstrom Einhalt zu gebieten, ließ die SED am 13. August 1961 an der Grenze von Ost- zu Westberlin durch Pioniereinheiten, NVA-Soldaten und Betriebskampfgruppen6 zunächst Absperrungen und Barrikaden und später eine massive Mauer errichten. Damit war die Trennung der beiden deutschen Staaten auch physisch vollzogen (vgl. Schmidt 2010:11).

Mit dem Mauerbau waren die Menschen gezwungen, in der DDR zu bleiben und ihr Leben bestmöglich einzurichten. Das Verhältnis zwischen der Politik und der Bevölkerung wurde in der Folgezeit sachlicher und die Zahl der staatlichen Schikanen sank. Die weitere Entstalinisierung der KPdSU wirkte sich auch mildernd auf das gesellschaftliche Klima in der DDR aus (vgl. Mählert 2011:29).

Die Partei unternahm den Versuch, die Bevölkerung politisch zu neutralisieren. Es sollte jedoch jegliche

„westdeutsche beziehungsweise ostdeutsche systemkritische sprachliche Beeinflussung [verhindert werden]. So kletterten FDJ-Kommandos auf die Dächer der Häuser, um die nach Westen gedrehten Rundfunk- und Fernsehantennen ‚auf die Sender des Friedens und Sozialismus‘ zu richten.“ (Mählert 2007:102)

Gleichzeitig versuchte die Staatsführung, ihre Handlungen an die Bedürfnisse einer komplexer werdenden Industriegesellschaft auszurichten und von der Stimmung des Klassenkampfes der 1950er-Jahre abzurücken. Mit dem „Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung“ sollte das Wirtschaftssystem 1963 modernisiert werden. Auch die Beziehung zu den Frauen und den Jugendlichen änderte sich zum Positiven. Es galt „Die Republik braucht alle, alle brauchen die Republik“ (Mählert 2011:30).

Unter den Parteimitgliedern, insbesondere in einer Gruppe um Erich Honecker, wurde Misstrauen gegenüber der liberalen Haltung laut. 1965 erfolgte auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees die Abrechnung mit „schädlichen Tendenzen“ in Filmen und Literatur, die Reformen in der Wirtschaft wurden aufgehoben und die neue Liberalität endete (vgl. Mählert

6 Als Kampfgruppe wurden seit 1959 „die in den meisten Großbetrieben, aber auch in größeren staatlichen Institutionen oder den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften gebildeten paramilitärischen Einheiten, die außerhalb ihrer Arbeitszeit von Verantwortlichen der Volkspolizei oder der NVA ausgebildet wurden“ (Wolf 2000:115), bezeichnet. Sie unterstanden der SED und dienten dem Schutz des Betriebes und der Wahrung der inneren Ordnung und Sicherheit. Im Kriegsfall sollten sie die Nationale Volksarmee unterstützen (vgl. Wolf 2000:115).

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2007:107).

Mit der neuen Ideologisierung änderte sich ein weiteres Mal der Kurs der Partei, die 1968 zur Verfassungsänderung führte und bei der Bevölkerung die Hoffnung auf eine Besserung der Situation oder sogar eine Annäherung an die BRD wieder zerstörte. Der erste Artikel umfasste nun den Führungsanspruch der SED, der auf diese Weise Verfassungsrang erhielt:

„Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen.“

(Deutsche Demokratische Republik 1968)

Am 03. Mai 1971 endete schließlich die Ära von Walter Ulbricht auf Verlangen der Partei, die seinen nationalgeprägten Sozialismus für überholt hielt. Hinzu kamen außerdem die unterschiedlichen Vorstellungen von Ulbricht und der sowjetischen Führung zur Eigenständigkeit der DDR gegenüber der UdSSR und den wirtschaftlichen Beziehungen zur BRD. Die DDR war inzwischen zum zweitstärksten Industriestaat im Ostblock geworden, weshalb Ulbricht der KPdSU mit gestärktem, jedoch nicht erwünschtem Selbstbewusstsein gegenübertrat. Offiziell wurde jedoch ein freiwilliges Ausscheiden Ulbrichts aus der Politik proklamiert:

„Das Zentralkomitee der SED beschloss einstimmig, der Bitte des Genossen Walter Ulbrichts zu entsprechen und ihn aus Altersgründen von der Funktion des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees zu entbinden, um diese Funktion in jüngere Hände zu geben.“ (Mählert 2011:32f.)

Die Nachfolge Ulbrichts trat Erich Honecker an, der auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 zum Ersten Sekretär des Zentralkomitees ernannt wurde:

„Die neue Hauptaufgabe der SED bestand für ihn primär darin, das materielle und kulturelle Lebensniveau des Volkes weiter zu erhöhen. Weiterhin wollte er die Werktätigen stärker an den Ergebnissen ihrer Arbeit teilhaben lassen beziehungsweise sollten die Sozialmaßnahmen verstärkt die unteren Einkommensschichten, die Schwachen, Kranken und Alten berücksichtigen.“ (Henschel 2002:75f.)

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Da mit der Wirtschaft jedoch nicht die für die Sozialpolitik notwendigen finanziellen Reserven eingebracht werden konnten und sich die Sozialleistungen und die Produktion nicht im gleichen Maße entwickelten, entstand für die DDR ein verhängnisvoller Schuldenkreislauf (vgl. Mählert 2011:35).

Honecker verfolgte zunächst einen sachlichen Führungsstil. Die Bürger wurden stärker in lokale Entscheidungsprozesse einbezogen, die Jugendlichen bei Mode und Musik weniger eingeschränkt und auch die deutsch-deutschen Beziehungen verbesserten sich schrittweise.

Eine Wiedervereinigung strebte Honecker jedoch nicht an und betonte die Trennung sogar noch stärker. Es wurden nicht nur die Wörter „Deutschland“ und „deutsch“ aus den Namen von staatlichen Einrichtungen gestrichen (vgl. Mählert 2007:124f.), sondern auch in der Öffentlichkeit durch den Parteivorsitzenden auf die Teilung aufmerksam gemacht:

„Unsere Republik und die BRD verhalten sich zueinander wie jeder von ihnen zu einem anderen dritten Staat. Die BRD ist somit Ausland, und noch mehr: Sie ist imperialistisches Ausland.“ (Mählert 2011:36)

Auch wenn sich die SED nach außen sachlicher und offener präsentierte, hielt sie an ihrem Vormachtanspruch mit allen Mitteln fest. Dafür wurde auch das Ministerium für Staatssicherheit weiter ausgebaut. Honecker wollte eine stabile und tolerante Welt darstellen, im Stillen die Kontrolle jedoch verschärfen (vgl. Hubert 2003:3).

Die Verfassung von 1974 stellte unmissverständlich dar, dass eine Wiedervereinigung ausgeschlossen wurde und die DDR als unabhängiger, sozialistischer Staat gelten sollte. Der Verweis auf die deutsche Nation wurde aus Artikel 1 entfernt und der Bezug zur UdSSR in Artikel 6 unterstrichen:

„Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern.

Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.“ (Deutsche Demokratische Republik 1974 Artikel 1)

„Die Deutsche Demokratische Republik ist für immer und unwiderruflich mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verbündet. Das enge und brüderliche Bündnis mit ihr

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Vivien Berg 18 garantiert dem Volk der Deutschen Demokratischen Republik das weitere Voranschreiten auf dem Weg in den Sozialismus und des Friedens.“ (Deutsche Demokratische Republik 1974 Artikel 6 Punkt 2)

Trotz dessen strebte die Staatsführung weiterhin nach der Anerkennung durch andere Staaten, insbesondere durch die BRD, mit der in den 1970er-Jahren zahlreiche Verträge, wie zum Beispiel das Transitabkommen (1971) oder der Grundlagenvertrag (1972), geschlossen wurden. Dabei wurden zwar Unabhängigkeit und Selbständigkeit der DDR respektiert, eine völkerrechtliche Anerkennung lehnte die Regierung der BRD aber ab (vgl. Mählert 2011:37).

Nach der Aufnahme beider deutschen Staaten 1974 in die UNO wurde die DDR bis 1978 von 123 Staaten anerkannt (vgl. Schmidt 2010:14).

Diese Fortschritte konnten in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre die Versorgungsmängel allerdings nicht mehr ausgleichen. Die erneute Krise wurde nicht nur durch die schwache Wirtschaft ausgelöst, sondern in erster Linie durch die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann im Jahr 1976. Die Folge dieser politischen Handlung waren nicht nur Proteste anderer Künstler, die zu Parteistrafen, Publikationsverboten oder Haftstrafen führten, sondern auch weitere zahlreich gestellte Ausreiseanträge (vgl. Schmidt 2010:17).

„Die Biermann-Ausbürgerung war weit mehr als nur ein neuerlicher kulturpolitischer Klimawechsel, von denen es in der DDR-Geschichte mehrere gab. Sie markierte einen Einschnitt, in dessen Folge große Teile der kritischen DDR-Intelligenz von der Idee Abschied nahmen, die DDR mit bzw. in der SED reformieren zu können. Nicht wenige hatten gerade in jenen Jahren ihre Hoffnungen auf den Eurokommunismus gesetzt, der eine Demokratiesierung der kommunistisch regierten Staaten und größere Unabhängigkeit von Moskau möglich erscheinen ließ. Die starre Haltung der eigenen Staats- und Parteiführung ließ sie immer mehr resignieren.“ (Mählert 2011:40)

Die Oppositionsbewegungen nahmen zu. Doch musste sich die SED nicht nur um die Intellektuellen sorgen. Auch die Abschottung vom Westen verursachte Probleme. Wenngleich sich der Lebensstandard verbesserte und in das Bildungs- und das Gesundheitswesen investiert wurde, ließ sich die Bevölkerung nicht besänftigen. Die zahlreichen Versprechungen und die in der BRD vorzufindende Lebenswirklichkeit hatten höhere Erwartungen geweckt (vgl. Mählert 2011:42f.).

Wie in früheren Krisen verfolgte die SED eine mehrgleisige Strategie. Zum einen wurden die

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Partei und die Massenorganisationen mobilisiert und die Propaganda erhöht, zum anderen wurde das Überwachungssystem erweitert. Des Weiteren bemühte man sich, die Wirtschaft anzukurbeln. Alle Initiativen schlugen – ebenfalls zum wiederholten Mal – fehl.

International verschärfte sich der Konflikt zwischen den beiden Machtblöcken, was die Angst vor einem Einsatz von Atomwaffen schürte und die Grundlage für die deutsch-deutschen Beziehungen verschlechterte.

„Trotz aller ideologischen Abgrenzung nach Westen war sich die DDR-Führung jedoch wohl bewusst, dass die ostdeutsche Volkswirtschaft zunehmend von der Kooperation mit den westlichen Industriestaaten – und hier vor allem mit der Bundesrepublik – abhing.“ (Mählert 2011:46)

Aus diesem Grund und trotz des persönlichen Risikos trat Honecker an die Regierung der BRD heran und verlangte neben der Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft die Aufwertung der Ständigen Vertretungen in Bonn und Berlin. Die außenpolitischen Entwicklungen wurden kritisch von der UdSSR beobachtet. Die Kontakte zwischen der DDR und der BRD nahmen jedoch tatsächlich zu (vgl. Mählert 2011:46f.).

In den 1980er-Jahren konnte der Zerfall der DDR allerdings nicht mehr aufgehalten werden:

„Bereits 1982 stand die DDR vor der Zahlungsunfähigkeit, welche kurzfristig nur durch einen Milliardenkredit von bundesdeutschen Banken abgewendet werden konnte. Da die SED weder in der Wirtschaft noch in der Politik bereit war, von ihrer Vormachtstellung abzurücken, um somit Platz für neues kreatives und eigenständiges Denken zu machen, steuerte sie weiter ihrem Ende entgegen. Mit allen Mitteln wurde versucht, Geld in die Staatskasse zu bringen.

Die SED scheute daher nicht davor zurück, Kunst- und Antiquitätenbesitzer aus der DDR zu enteignen, um ihren Besitz in den Westen zu verkaufen oder aber den Müll aus dem Westen gegen Bargeld in die DDR zu importieren, um ihn auf riesigen Deponien zu lagern.“ (Schmidt 2010:18)

Michael Gorbatschow als Generalsekretär der KPdSU führte mit seiner Politik zur Entspannung der internationalen Beziehungen, wodurch die deutsch-deutschen Bemühungen um ein besseres Verhältnis bestätigt wurden. Mit dem Staatsbesuch Erich Honeckers 1987 in der BRD wurde die „Unabhängigkeit und Gleichberechtigung beider deutscher Staaten

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[dokumentiert], […] ihre Souveränität und de[r] völkerrechtliche[…] Charakter ihrer Beziehungen [unterstrichen]“ (Mählert 2011:48). Die SED stand dem stetig wachsenden Einfluss des Westens in Kultur und Wirtschaft machtlos gegenüber. Die Bevölkerung erlebte zum ersten Mal unabhängige Zeitungen, was eine einschneidende Änderung für die Menschen bedeutete (vgl. Henschel 2002:107) und 1988 zu einer weiteren Zunahme der gestellten Ausreiseanträge führte. Der von der Perestroika angetriebenen Entwicklung hatte die SED nichts mehr entgegenzusetzen. Im Frühjahr 1989 wurde die tiefe Krise der Partei deutlich und die Proteste der Opposition wurden stärker und deutlicher (vgl. Mählert 2011:50).

Nach der Grenzöffnung zwischen Ungarn und Österreich am 06. Mai 1989 versuchten Hunderte DDR-Bürger, über diesen Weg in die BRD zu gelangen. Andere suchten in den westdeutschen Vertretungen in Prag, Budapest, Warschau oder Ostberlin Zuflucht, sodass innerhalb weniger Wochen über 250 000 Menschen die DDR verließen. Im Land, das durch die Fluchtbewegung destabilisiert und dessen Führung reformunfähig wurde, kam es gleichzeitig zu den ersten friedlichen Montagsdemonstrationen (vgl. Schmidt 2010:19). Als im Oktober 100 000 Menschen demonstrierten, sah sich die SED zu einer Reaktion gezwungen: Erich Honecker wurde am 18. Oktober 1989 von Egon Krenz als Generalsekretär der Partei und Staatschef ersetzt. Auf diese Weise sollte das Schlimmste abgewendet werden.

Die zusätzlich unternommenen Reformversuche scheiterten an der Zahlungsunfähigkeit des Staates.

In der Nacht zum 10. November 1989 überschlugen sich schließlich die Ereignisse:

„Auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz sollte Günter Schabowski die Neuregelungen für die Ausreis[e]bestimmungen bekanntgeben. Der SED-Spitze war in diesen Tagen klar geworden, dass vor allem die Ausreisebestimmungen gelockert werden müssen, um die DDR-BürgerInnen langfristig für ihr Land zu begeistern. Die neuen Ausreisebestimmungen lauteten wie folgt: ‚Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässen und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Versagungsgründe werden nur in besonderen Ausnahmefällen angewandt‘.“(Hertle 1996:131)

Diese Pressekonferenz führte letztendlich zur Öffnung der Grenzen. Die SED wollte die Ausreise ursprünglich nur mit einem Reisepass genehmigen, den nur wenige Menschen besaßen. Die Partei glaubte, dass die Bürger ohne Reisepass Monate bis zu dessen

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Ausstellung warten würden. Günter Schabowski antwortete jedoch auf die Frage des Inkrafttretens mit „Sofort, unverzüglich“ (vgl. Schmidt 2010:20).

Die Öffnung der Grenzen bedeutete sowohl das Ende der SED als auch das Ende der DDR.

Am 01. Dezember 1989 wurde der Führungsanspruch der SED aus Artikel 1 der Verfassung gestrichen. Am 18. März 1990 fand die erste und einzige demokratische Wahl der Volkskammer in der DDR statt, aus der die Regierung um Ministerpräsident Lothar de Maizière hervorging, die mit der deutschen Wiedervereinigung beauftragt war. Diese erfolgte schließlich kurz vor dem 40. Jahrestag der DDR am 03. Oktober 1990.

2 Der Einfluss des Staates

Der Staat hat in der DDR auf vielfältige Weise Einfluss auf die Bürger genommen. Dieser Einfluss erstreckte sich auf alle Bereiche des Lebens und alle Lebensabschnitte. Das Umfeld und die Sozialisierung eines Menschen wirken sich immer auch auf dessen Handeln und Denken aus, das sich wiederum in dessen Sprache äußert.

In diesem Abschnitt sollen daher die Aspekte des Bildungswesens, des Arbeitsalltags und der Bereiche Presse und Literatur im Allgemeinen dargestellt werden, in denen eine Beeinflussung erkennbar wird, die sprachliche Auswirkungen7 hat. Auf die Übersetzertätigkeit im Speziellen wird im Anschluss in den Kapiteln B und C eingegangen.

Das Leben der DDR-Bevölkerung war geprägt vom wirtschaftlichen und politischen System des „real existierenden Sozialismus“ der DDR. In dieses System wurden die Menschen über Organisationen und Institutionen eingebunden. Auf diese Weise wollte die SED einerseits ihre Macht wahren und andererseits sollten die Menschen von der vertretenen Ideologie überzeugt werden:

„Die politische Herrschaftsstruktur der DDR ist in diesem Zusammenhang als ‚moderne Diktatur‘ (Jürgen Kocka) bezeichnet worden. Demnach war Herrschaft einerseits durch den fortwährenden Anspruch der SED gekennzeichnet, auf der Grundlage einer umfassenden, einzig ‚richtigen‘ Weltanschauung in allen poltischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen über die alleinige Entscheidungskompetenz zu verfügen. Andererseits hat die Partei mittels moderner Medien sowie über Bildungsinstitutionen und Massenorganisationen

7 Der Punkt A 2.4 beschäftigt sich mit der Sprache in der DDR.

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Vivien Berg 22 einschließlich entsprechender Überwachung permanent versucht, die Gesellschaft von der Richtigkeit dieser Ideologie und ihrer daraus ‚notwendig‘ resultierenden Führung zu überzeugen – und wenn nötig, auch zu deren Akzeptanz zu zwingen. Nicht zu Unrecht ist deshalb von der DDR auch als einer ‚Erziehungsdiktatur‘ gesprochen worden.“ (Heydemann 2002)

2.1 Der Einfluss auf das Bildungswesen

Als erster Aspekt soll das Bildungswesen angeführt werden, da dies auch die erste Einflussmöglichkeit des Staates auf die DDR-Bürger war. Der Erziehungsanspruch der Staats- und Parteiführung führte zu einem umfangreichen System, das auf die Menschen vom Kindergarten über die Schule, die Lehrwerkstätten oder die Universität bis ins Erwachsenenalter einwirkte.

Da es das Ziel der SED war, „allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeiten“ (Heydemann 2002) heranzubilden, begannen ihre Erziehungsmaßnahmen bereits im Kindesalter. Daran beteiligt waren die Massenorganisationen wie die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ und die FDJ8, „die paramilitärische Formen und Rituale praktizierten“ (Heydemann 2002).

„Insgesamt war die Politik der SED gegenüber der heranwachsenden Generation zwiespältig.

Auf der einen Seite hielt sie beständig an einem Erziehungsanspruch fest, der durch Kindergarten, Schule, Junge Pioniere, FDJ und sonstige Einrichtungen bis hinein in die Diskothek verfolgt wurde, auf der anderen Seite war diese ‚Förderung der Jugend‘ durchweg von einem tiefen Misstrauen begleitet. Auf die Verteufelung des ‚Westeinflusses‘

(Abschneiden von langen Haaren, Verbot von Jeans, Ablehnung der Rockmusik etc.) noch in den siebziger Jahren folgte die Aufnahme einer eigenen Jeans-Produktion, die widerwillige Zulassung von Rockbands und die flächendeckende Einrichtung von Jugendklubs war allerdings kaum weniger ambivalent.“ (Heydemann 2002)

Die Schulzeit in der DDR war durch diese Organisationen geprägt. Mit der Einschulung und

8 Die FDJ ist die „[a]m 7.3.1946 gegründete, einzige zugelassene Massenorganisation für die Jugend in der DDR. Mitglied wurde fast jeder Jugendliche ab 14 Jahren, oftmals auch, um sich durch eine Nichtmitgliedschaft seine berufliche Zukunft nicht zu verbauen. Die Hauptaufgabe der FDJ bestand in der politischen Erziehung im Geiste des Marxismus-Leninismus und des proletarischen Internationalismus. Die SED bezeichnete die FDJ als

‚Kampfreserve der Partei der Arbeiterklasse‘, zu deren Aufgaben es gehörte, Nachwuchs für die Partei heranzubilden. Die FDJ versuchte, durch jugendgerechte Veranstaltungen die jungen Leute für sich zu gewinnen […]. Sie bot in Jugendklubs, Ferienlagern oder auch nur in der Gemeinschaft der FDJ-Gruppen den Jugendlichen Gelegenheiten zur gemeinsamen Freizeitgestaltung. Die Führung der FDJ bestand aus hauptamtlichen Funktionären, die oft die Altersgrenze gemäß Statut bereits überschritten hatten […] und nach den für Parteifunktionären geltenden Grundsätzen ausgewählt und weitergebildet wurden“ (Wolf 2000:61).

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dem Beitritt in die Pionierorganisation wurden die Kinder bis zur vierten Klasse „Junge Pioniere“, danach Thälmann-Pioniere, bis sie in der achten Klasse in die FDJ übertraten. Die Kinder waren zwar nicht verpflichtet, der „Thälmann“-Organisation beizutreten, da eine Mitgliedschaft aber angeraten wurde und förderlich für die schulische Laufbahn war, waren 98 Prozent aller Schulkinder zwischen sechs und 13 Jahren Pioniere. Der Großteil der Jugendlichen blieb auch nach der Pionierzeit in einer Jugendorganisation. 77 Prozent der 14- bis 25-Jährigen waren Mitglieder der FDJ, auch weil „die berechtigte Gefahr [bestand], ohne FDJ-Mitgliedschaft Nachteile bei der Berufswahl und im beginnenden Arbeitsleben zu bekommen“ (Schmidt 2010:25). Die Organisationen waren durch Pioniernachmittage, Fahnenappelle oder gemeinnützige Aktionen aktiv am Schulalltag beteiligt und übernahmen zudem die Freizeitgestaltung, in der die Kinder zu jungen Sozialisten erzogen werden sollten.

Dazu gehörten auch sprachliche Rituale9, Pioniergesetze und Lieder, die auswendig rezitiert werden mussten (vgl. Schmidt 2010:25f.).

Des Weiteren gab es verschiedene Institutionen von Partei oder Organisationen, die der Erziehung der DDR-Bürger dienten, wie zum Beispiel die Parteischule, das Parteilehrjahr oder das FDJ-Studienjahr. Alle diese Einrichtungen dienten dazu, „den Teilnehmern die neusten politischen Erkenntnisse und Beschlüsse der Partei- und Staatsführung sowie Kenntnisse des Marxismus-Leninismus“ (Wolf 2000:167) zu vermitteln und treue Staatsbürger sowie Kader für die Parteiführung heranzubilden.

In der Bevölkerung wurde das Parteilehrjahr auch als „Rotlichtbestrahlung“

bezeichnet (vgl. Wolf 2000:167f.).

Ein weiteres Ziel der Staatsführung war es, den Einfluss der Religion zu mindern. Zu diesem Zweck wurde 1955 die Jugendweihe, die bereits in den 1920er-Jahren begangen wurde, wieder eingeführt, die die christliche Konfirmation ersetzte. Auch die Jugendweihe war nahezu verpflichtend, sodass bereits 1960 90 Prozent der 14-Jährigen daran teilnahmen, da eine Verweigerung den Besuch der Erweiterten Oberschule und damit das Abitur ausschloss (vgl. Schmidt 2010:27). Die Jugendweihe war ebenfalls von Gelöbnissen und Regeln geprägt, die von den Jugendweihlingen bei der Feierstunde vorgetragen werden mussten.

9 Ein klassische Formel der Pioniere war der Ausspruch „Für Frieden und Völkerfreundschaft – Seid bereit.“, auf den die Antwort „Immer bereit.“ erwidert wurde (vgl. Schmidt 2010:25).

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Neben diesen Punkten wurde auch das Schulwesen selbst mehrere Male reformiert. So wurden mit der Gründung des Staatssekretariats für Bildungswesen am 19. Januar 1951 die Pflichtfächer Russisch und Marxismus-Leninismus eingeführt. 1965 wurde sowohl die Vorschulerziehung als auch die Polytechnische Oberschule (POS) als zehnklassige, allgemeinbildende Schule verpflichtend. Auf diese Weise war der Einfluss des Staates vom fünften bis zum 17. Lebensjahr sichergestellt und der Übergang von der Pionierorganisation in die FDJ gewährleistet. Durch Betriebspraktika und „Unterrichtstage in der sozialistischen Produktion“ (UTP) wurde früh der Kontakt zur Arbeitswelt hergestellt, was durchaus als positiv bewertet werden kann (vgl. Mählert 2011:30).

Das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen war für die Universitäten und Hochschulen der DDR zuständig. Wie alle staatlichen Institutionen der DDR sollten auch die Universitäten die Lehren des Sozialismus verbreiten, doch anders als in den Schulen wurden in den Universitäten keine Organisationen mehr aktiv, um die Studenten „zu führen“: Dies sollte von den Lehrinhalten übernommen werden, die dementsprechend konzipiert wurden: alle Studenten hatten Unterricht in körperlicher Erziehung und Marxismus-Leninismus (vgl. Schmidt 2010:38).

Um ein Studium in der DDR antreten zu können, reichte ein guter Abschluss der Oberschule allein nicht aus. Es bedurfte zusätzlich eines Motivationsschreibens, und selbst wenn in diesem keine Mängel zu finden waren, war eine Zulassung nicht sicher. Ein systemgerechtes Leben war ebenfalls förderlich. Die DDR förderte außerdem Kinder aus Arbeiterfamilien stärker als Kinder aus Akademikerelternhäusern:

„Der Arbeiter- und Bauernstaat wollte keine junge Generation heranziehen, die sich in der Forschung und Wissenschaft betätigen [sic]. Werktätige benötigte das marode Wirtschaftssystem und somit kamen nur wenige Schülerinnen und Schüler in den Genuss, das Abitur an der EOS abzulegen. Der Vorteil am Bildungssystem der DDR war jedoch, dass man nach Absolvierung der Lehre an einer Fachhochschule ein Studium wählen konnte.“ (Schmidt 2010:38)

Mit der Zulassungspolitik verfolgte die DDR das Ziel, den Großteil der jungen Erwachsenen nach der 10. Klasse für einen Ausbildungsberuf in Industrie und Handwerk zu gewinnen. Eine Zulassung zum Studium sollte von den Studenten als Auszeichnung gesehen werden, die sich mit ihrer Immatrikulation dazu verpflichteten, diszipliniert zu arbeiten, sich für den Staat

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einzusetzen und die ihnen zugeschriebene Arbeitsstelle anzutreten (vgl. Schmidt 2010:39).

2.2 Der Einfluss auf das Arbeitsleben

Nach der Ausbildung folgte der direkte Übertritt in das Berufsleben, in dem die Bürger von der „sozialistischen Industriegesellschaft“ geprägt waren. Die Arbeit vollzog sich unter den Bedingungen der zentralen Planwirtschaft. Der Arbeitsort war dabei nicht nur Beschäftigungsort, sondern auch ein Versorgungs- und Bildungsort, ein Treffpunkt und Zentrum des politischen Lebens (vgl. Heydemann 2002). Die Arbeit dominierte den Handlungsraum und die Lebenswelt der Menschen und hatte eine große gesellschaftlich- soziale Bedeutung und wirkte auf die Individuen (vgl. Reiher 2004:161):

„Sie wurde noch verstärkt durch eine ‚arbeitszentrierte Ideologie‘ seitens Partei und Staat, in der menschliche Arbeit eine besondere, in der Propaganda permanent hervorgehobene Wertschätzung erfuhr. Aus dem Anspruch heraus, dass sich die SED als Vorhut der Arbeiterklasse verstand und damit letztlich aller Werktätigen, suchte die Partei ihre Führungsposition für die gesamte DDR-Gesellschaft zusätzlich zu legitimieren.“ (Heydemann 2002)

Die Arbeitswelt war von sozialistischen Praktiken und politischen Vereinigungen geprägt. Sie brachte zahlreiche Neologismen hervor, die ihren Ursprung teilweise auch im Russischen hatten wie „Brigade“ oder „Subbotnik“ (vgl. Schmidt 2010:47).

Die meisten Menschen waren in staatlichen Betrieben10, organisationseigenen Betrieben (z. B.

Verlage der Parteien) oder Produktionsgenossenschaften beschäftigt, die von einem Kreis oder einem Bezirk geleitet wurden oder direkt einem Ministerium unterstanden (vgl.

Schmidt 2010:47).

Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen wurde auch in der Arbeitswelt ab Ende der 1950er- Jahre das Kollektiv dem Individuum vorgezogen.

Die teils schwierigen Arbeitsbedingungen und die geringen Löhne versuchte die SED, mit Ehrungen für besondere Arbeitsleistungen auszugleichen und die Arbeiter auf diese Weise zufriedenzustellen. Die große Zahl an Auszeichnungen, darunter solche wie „Held der Arbeit“, „Aktivist der sozialistischen Arbeit“ oder den „Banner der Arbeit“ für langjährige Zusammenarbeit von Betriebsmitgliedern oder Kollektiven, und die stets gleiche Begründung

10 Staatliche Betriebe hatten stets den Namenszusatz „VEB“ bzw. „Volkseigener Betrieb“ (Wolf 2000:233).

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– „hervorragende und langjährige Leistungen bei der Stärkung und Festigung der Republik“

(Schmidt 2010:48) – führten jedoch entgegen dem Glauben der Staatsführung nicht mehr dazu, dass die Motivation der Arbeiter stieg.

Zu den üblichen Textsorten der Arbeitswelt kam 1955 das Brigadetagebuch hinzu, mit dem die SED einerseits die Arbeiter zum Schreiben anregen und damit Kunst und Arbeitsleben näher zusammenbringen wollte, andererseits über eine weitere Überwachungsmöglichkeit verfügte (vgl. Schmidt 48f.). Mit dem Brigadetagebuch sollten die Bereiche Produktion und Literatur miteinander verschmelzen. Doch auch die „industriefreie“ Literatur blieb nicht unberührt.

2.3 Der Einfluss auf Literatur und Presse

Nicht nur diejenigen, die geschrieben und übersetzt haben, sondern auch die Leser wurden in der Deutschen Demokratischen Republik direkt oder indirekt vom Staat beeinflusst. Durch die komplexe Beziehung von Sender und Empfänger innerhalb der Kommunikation, die auch von gesellschaftlichen, sozialen und politischen Aspekten abhängt, ist es notwendig, auch den Empfänger und die äußeren Einwirkungen auf die Kommunikationsteilnehmer darzustellen.

Für diesen Zweck lohnt es sich, die Literatur und die Presse als Teil des kulturellen Lebens zu betrachten.

Die Literatur war ein wichtiger Kulturbereich. Dabei waren literarische Werke mehr als nur Kunst. Sie stellten ein Form der Lebenshilfe dar und waren ein Vermittler zwischen der einzelnen Person und der Gesellschaft (vgl. Charbon 1998:177f.). Dementsprechend war das literarische Interesse nicht nur bei Germanisten groß.

Die DDR galt als „Leseland“11 und die Bevölkerung als Literaturgesellschaft: Bibliotheken12 waren ebenso gut ausgestattet wie der Volksbuchhandel und den Bürgerinnen und Bürgern wurden kostengünstig Bücher bereitgestellt. Vor allem Kinderbücher, günstige Literaturbände und Bücher zum Marxismus-Leninismus waren in großer Zahl zugänglich. Zudem war die Leipziger Buchmesse stets ein wichtiger Termin im Jahresverlauf, der vor allem dem

11 Dieser Begriff wurde vom stellvertretenden Minister für Kultur und Leiter der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Ministerium für Kultur, Klaus Höpcke, Anfang der 1980er-Jahre geschaffen (vgl. Meyer-Gosau, 2009:9).

12 Im Jahr 1988 gab es in der DDR 13 500 Allgemeinbibliotheken und 5 000 Bibliotheken in den Betrieben (vgl.

Charbon 1998:169).

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ausländischen Publikum die Literaturbegeisterung der DDR zeigen und „als Leistungsschau der Errungenschaften des DDR-Verlagswesens“ (Zeckert 2009:42) dienen sollte.

Frauke Meyer-Gosau äußert sich in ihrem Essay „Leseland? Legoland? Lummerland?

Kummerland!“ zu den Schwierigkeiten, die es im kulturellen Leben in der DDR im Bereich der Literatur gab. Während sich eine Vielzahl der Menschen als Mitglied einer literaturbegeisterten Gesellschaft sah und hinter der Bezeichnung „Leseland“ stand, sieht Meyer-Gosau in diesem Begriff eher eine zynische Täuschung als einen Euphemismus, da die Literatur der DDR systematisch mit „Außerliterarischem aufgeladen“ (Meyer-Gosau 2009:10) wurde, das in erster Linie in einem politischen Zusammenhang zu sehen war.

Bereits in der ersten Verfassung machte die Staatsführung ihren Anspruch auf Kunst und Wissenschaft deutlich:

„Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat nimmt an ihrer Pflege teil und gewährt ihnen Schutz, insbesondere gegen den Mißbrauch für Zwecke, die den Bestimmungen und dem Geist der Verfassung widersprechen.“ (Deutsche Demokratische Republik 1949 Artikel 34)

Die Entwicklung der Literaturgeschichte der DDR vollzog sich parallel zur politischen Entwicklung des Staates. Von der antifaschistischen Erneuerung des Landes mit der Hinwendung zur klassischen Literatur ging es zum Aufbau des Sozialismus. Auch hier wollte man eine Umwälzung der Ideologie erreichen (vgl. Mählert 2007:89). Dabei sollte die Partei von einer Literatur zum Wiederaufbau von Industrie und Landwirtschaft und über die Enttarnung des Klassenfeindes unterstützt werden. Ab 1961 rückte der sozialistische Alltag in den Mittelpunkt der Literatur, gleichzeitig wurde die Kritik am System aber auch lauter. Dies änderte sich auch nicht, als Walter Ulbricht von Erich Honecker abgelöst wurde. Nach der Ausweisung von Wolf Biermann resignierten viele Künstler, als ihnen so vor Augen geführt wurde, dass eine freie Meinungsäußerung nicht möglich war (vgl. Schmidt 2010:60).

Am 17. März 1951 beschloss das Zentralkomitee der SED, dass die Kunst der Politik untergeordnet sein soll, was Proteste auslöste und zur Ausreise von Künstlern und Studenten

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führte. 1950 wurde der Deutsche Schriftstellerverband13 gegründet, dessen Veranstaltungen und Handlungen jedoch auch vom Staat kontrolliert wurden. Die Verlage der DDR waren lizenziert und das 1954 gegründete Kulturministerium14 übernahm die Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel. Eine Aufgabe war dabei die Vergabe von Druckgenehmigungen15, wodurch die Politik direkt bestimmen konnte, was in welchem Umfang veröffentlicht wurde und welche Schriften der Öffentlichkeit verwehrt bleiben sollten. So galt in der DDR: „[…]

jeder durfte schreiben, aber nur bestimmtes wurde veröffentlicht“ (Charbon 1998:175).

Vertuscht wurden die nicht vergebenen Druckgenehmigungen, die nichts anderes waren als die Folge von staatlicher Zensur, häufig mit Papier- oder Devisenmangel: „Die Zensur bestimmte, was gedruckt wurde und was nicht – Letzteres häufig mit Papier- oder Devisenmangel kaschiert.“ (Golz 2009:2). Im gleichen Maße waren öffentliche Lesungen eingeschränkt (Meyer-Gosau 2009:12).

Die Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Ministerium für Kultur galt als

„literaturpolitische Superbehörde“ und „ökonomische Planzentrale“ (Lokatis 2009:23) für das Buchwesen. Wie die meisten Lebensbereiche war auch das Verlagswesen zentralisiert und unterlag dem System der Planwirtschaft. Die literarischen Erzeugnisse, die ebenfalls in Jahresplänen erfasst wurden, wie beispielsweise 1978, als im „Plan zur langfristigen Entwicklung der sozialistischen Kultur und ihrer materiell technischen Basis“ festgelegt wurde, dass die Buchneuerscheinungen von 5 900 auf 7 200 gesteigert werden sollten (vgl.

Henschel 2002:89). Die 78 lizenzierten Verlage in der DDR, bei denen zahlreiche Lektoren, Übersetzer und Zensoren beschäftigt waren, wurden wie die Leipziger Kommissions- und Großbuchhandelsgesellschaft (LKG), die Buchhandlungen und Bibliotheken von der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel gesteuert. Neben Zensurentscheidungen,

13Der Schriftstellerverband wurde am 04.06.1950 im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands gegründet und am 22.05.1952 zum selbständigen Künstlerverband. Der Verband unterlag dem Ministerium für Kultur, von dem er auch finanziert wurde. Der Schriftstellerverband war eine politische Organisation und trug dazu bei, die Kulturpolitik der SED umzusetzen. Mitglieder konnten nicht nur Autoren, sondern auch Herausgeber, Kritiker, Literaturwissenschaftler und Übersetzer werden, wenn ihre Kandidatur angenommen wurde. Für eine Kandidatur mussten zwei Mitglieder des Verbandes für den Bewerber bürgen und die Veröffentlichung von eigenen Arbeiten musste nachgewiesen werden. Als Mitglied war man sozial abgesichert (Krankenversicherung, Altersversorgung oder Ferienplätze), verpflichtete sich aber, die sozialistische Gesellschaft zu gestalten und den sozialistischen Realismus zu akzeptieren (vgl. Theil 2002:5).

14 Die offizielle Bezeichnung lautete Ministerium für Kultur.

15 Diese Genehmigung musste nicht nur für Romane eingeholt werden, sondern für sämtliche Drucksachen, also auch für Broschüren, Eintrittskarten oder Kochbücher (vgl. Lokatis 2009:27).

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Druckgenehmigungen und der Verteilung von Papierkontingenten war die Hauptverwaltung für verschiedene Literaturpreise zuständig – gemeinsam mit dem Ministerium für Staatssicherheit, was die politische Einflussnahme auf die Kunst verdeutlicht – und konnte des Weiteren Ausreiseanträge und Devisenprivilegien bewilligen, Rezensionen beeinflussen und über Auflagenhöhen Verkaufschancen steuern (Lokatis 2009:24).

Auf die Verhältnisse im Staat reagierten die Künstler unterschiedlich. Während die einen aus Angst vor einer Bestrafung Selbstzensur an ihren Werken verübten oder Ereignisse nach dem Wunsch der Partei dargestellt haben, widmeten die anderen ihre Werke aus Überzeugung dem Staat und sahen sich als „Mitautoren“ der sozialistischen Wirklichkeit (vgl. Charbon 1998:165). Wiederum andere äußerten ihre Kritik versteckt in ironischen oder verschlüsselten Bemerkungen oder standen offen zu ihrer Kritik und fanden sich damit ab, in geringen Auflagen16 oder gar nicht veröffentlicht zu werden.

Die Literatur wurde zu einer

„Ersatzöffentlichkeit, […], die je länger, desto entschiedener gegen die ‚parteilich‘

ausgewählten Themen und Meldungen der Medien wie auch gegen deren Desinformationsbestrebungen auftrat [...].“ (Meyer-Gosau 2009:12)

Entsprechend den unterschiedlichen Reaktionen von Schriftstellern wurden sie von der SED in linientreue Autoren, die sowohl in der DDR als auch in der BRD veröffentlichen durften, und andere – kritischere – Autoren unterteilt, die stärker von der Staatssicherheit und der Partei beobachtet wurden, weil sie ihre Werke zum Beispiel im Ausland veröffentlichen wollten (vgl. Schmidt 2010:62).

Neben dem Ministerium für Kultur, das die wichtigste staatliche Kontrolleinrichtung des literarischen Lebens war, nahm also auch das Ministerium für Staatssicherheit Einfluss auf die Literaturgesellschaft der DDR. Während das Kulturministerium aktiv das Buchwesen durch

„einen mehrstufigen Zensurierungsprozess“ (Meyer-Gosau 2009:13) beeinflusste, bei dem Änderungen und Kürzungen in Manuskripten vorgenommen, Papiermengen zugeteilt oder Bücher als sogenannte Schmorfälle bis zu mehreren Jahren zurückgehalten wurden (Meyer-

16 Diese Bücher zählten zu der sogenannten Bückware. Als Bückware wurde Mangelware bezeichnet, „die nur für besondere Kunden oder gegen ‚eine kleine Aufmerksamkeit, einen kleinen Aufpreis‘ von dem Verkäufer unter dem Ladentisch hervorgeholt wurde“ (Wolf 2000:35).

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