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Die Hauptvertreter der Leipziger Schule

Als die bekanntesten Vertreter der Leipziger Schule sind Otto Kade, Gert Jäger und Albrecht Neubert zu nennen. Doch müssen auch deren Nachfolger und Kollegen wie Heide Schmidt, Gerd Wotjak, Eberhard Fleischmann oder Wladimir Kutz erwähnt werden. Otto Kade, der als Konferenzdolmetscher und Übersetzer tätig war, stellte unter seinen Kollegen an der Sektion Theoretische und Angewandte Sprachwissenschaft eine Ausnahme dar, denn diese kamen zunächst aus fachfremden Bereichen.

Um dem Stellenwert Kades, Jägers und Neuberts gerecht zu werden und ein genaueres Bild von deren ersten übersetzungswissenschaftlichen Ansätzen zu erhalten, werden diese drei

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Vertreter genauer vorgestellt.

a) Otto Kade40

Der Konferenzdolmetscher und Übersetzer für Russisch und Tschechisch hat 1964 die erste Promotion Ostdeutschlands im Bereich der Übersetzungswissenschaft geschrieben und gilt als Mitbegründer der Übersetzungswissenschaft. Kade ist wohl der bekannteste „Leipziger“:

„Der Versuch Otto Kades, die Kommunikationswissenschaft für die Erhellung der Übersetzungs- und Dolmetschprozesse fruchtbar zu machen und die engen Grenzen einer rein linguistischen Betrachtungsweise zu überwinden, war ein fundamentaler Beitrag zu einer allgemeinen Translationstheorie. Diese Arbeit gehört bis heute zu den am häufigsten zitierten übersetzungswissenschaftlichen Publikationen, in besonderem Maße betrifft das die Definition von Translation, Übersetzen und Dolmetschen.“ (Salevsky 2007:367)

Da nicht nur die wissenschaftliche Arbeit Kades für die Übersetzungswissenschaft und die Übersetzertätigkeit von großer Bedeutung waren, sondern Kade auch auf andere Weise wegweisend war und die Entwicklung der Berufe Übersetzer und Dolmetscher prägte, sollen einige Punkte aus seiner, von Heidemarie Salevsky nachgezeichneten Biografie aufgegriffen und vorgestellt werden.

Kade war stellvertretender Institutsleiter und erhielt in Leipzig „1968 den ersten Lehrstuhl für die Übersetzungswissenschaft in der DDR“ (Salevsky 2002:108). Außerdem leitete er dort den Wissenschaftsbereich Russische Übersetzung und das Forscherkollektiv Übersetzungswissenschaft (vgl. Salevsky 2007:368). Neben der Lehrtätigkeit in Leipzig war Kade auch an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig, wo er die Vorlesungen in Übersetzungswissenschaften hielt (vgl. Salevsky 2002:108).

1977 erfolgte die Habilitation mit Kades Habilitationsschrift zum Thema „Die Sprachmittlung als gesellschaftliche Erscheinung und Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung“, in der die verschiedenen Erscheinungsformen der Sprachmittlung analysiert wurden und Kade versuchte, den Gegenstand, die Aufgaben und die Ziele der Übersetzungswissenschaft zu

40Otto Adolf Wenzel Kade wurde am 28.03.1927 in Frydlandt geboren. Er starb am 02.11.1980 in Eichwalde (vgl. Historisches Seminar der Universität Leipzig 2008).

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bestimmen (vgl. Salevsky 2007:367).

Zwischen der Dissertation und der Habilitation trug Kade dazu bei, die Sprachmittlerausbildung aufzubauen. Er war Leiter der Arbeitsgruppe Sprachmittler des Wissenschaftlichen Beirats für Kultur-, Kunst- und Sprachwissenschaften beim Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen. In dieser Position erarbeitete er den ersten Studienplan für die Grundstudienrichtung „Diplom-Sprachmittler“.

Bereits im Jahr 1962 war Otto Kade an der Gründung des Berufsverbandes „Sektion Dolmetscher und Übersetzer beim VdJ“ beteiligt, der 1971 zur „Vereinigung der Sprachmittler der DDR“ umgebildet wurde (vgl. Salevsky 2007:368). Zudem war er Mitbegründer und Mitherausgeber der Zeitschrift Fremdsprachen41, deren wissenschaftliches Profil er bis 1980 prägte.

Kade griff stets auf erworbene Erkenntnisse zurück, um andere Bereiche zum Positiven weiterzuentwickeln.

So nutzte er seine praktische Erfahrung, die ihn auch in seinen theoretischen Ansichten prägte, bei seiner universitären Arbeit, wodurch

„er sehr früh deutlich zu machen versuchte, daß ein rein linguistischer Zugang einen unzulässigen theoretischen Reduktionismus bedeuten und die Kluft zwischen Theorie und Praxis nur vergrößern würde.“ (Salevsky 2002:224)

Zwei der größten Verdienste Kades in der Übersetzungswissenschaft waren die Metasprache und die damit verbundenen Definitionen von „Translation“, „Übersetzen“ und

„Dolmetschen“.

„Translation wurde in der Bedeutung ‚Übersetzung‘ zum ersten Mal vom humanistischen Arzt Heinrich Steinhöwel (1412-1483), der unter anderen auch Petrarca und Boccaccio übersetzte, verwendet“ (Prunč 2007:13). Seine wissenschaftliche Bedeutung erhielt das Wort allerdings erst 1963 von Otto Kade, der es als Überbegriff für ‚Übersetzen und Dolmetschen‘

einführte. Dabei grenzte Kade die Translation zunächst von anderen Textübertragungsarten ab (vgl. Salevsky 2002:91):

Wir verstehen unter Translation jede Form der Übertragung eines Inhalts aus der Form ei ner Sprache in die Form einer ander en Sprache und grenzen sie ab gegenüber der Transposition

41 Die Zeitschrift Fremdsprachen war eine Fachzeitschrift für Dolmetscher und Übersetzer und erschien von 1957 bis 1990 im VEB Verlag Enzyklopädie in Halle und Leipzig.

Vivien Berg 61 als der Übertragung eines Inhalts aus einer Form in eine andere i nner hal b ei ner Sprache sowie gegenüber der Transmutation als Übertragung eines Inhalts aus einer sprachlichen Form in eine ni cht sprachl i che .“ (Kade 1963:91)

Gleichzeitig benannte er den produzierten Zieltext „Translat“ und den Sprachmittler

„Translator“. Fünf Jahre später differenzierte Kade zwischen Translation im engeren und weiteren Sinn:

„Wir verstehen unter Translation im weiteren Sinne jenen in einen zweisprachigen Kommunikationsrecht42 (und damit zugleich in ein komplexes gesellschaftliches Bedingungsgefüge sprachlicher und außersprachlicher Faktoren) eingebetteten Prozeß, der mit der Aufnahme eines AS-Textes […] beginnt und mit der Realisierung eines ZS-Textes […]

endet. Die wichtigste Phase diese Prozesses ist der Kodierungswechsel AS → ZS, der aufgrund seiner Funktion im Kommunikationsakt bestimmten Bedingungen unterliegt und den wir als Translation im engeren Sinne auffassen können.“ (Kade 1981:199)

Des Weiteren unterschied Kade in Übersetzen und Dolmetschen, wobei die wesentlichen Unterscheidungskriterien dafür nicht die Schriftlichkeit gegenüber der Mündlichkeit, sondern Wiederholbarkeit und nachträgliche Korrigierbarkeit waren (vgl. Prunč 2007:14).

Nachdem Kade 1963 den Begriff „Translation“ eingeführt hatte, schlug er 1973 für die dazugehörige Wissenschaft „Translationswissenschaft“43 vor (vgl. 1973:184). In diesem Zusammenhang machte Kade deutlich, dass bei der Übersetzung Faktoren wirkten, die mit Mitteln der Mikrolinguistik nicht erklärt werden konnten, aber unbedingt von der Übersetzungswissenschaft erfasst werden mussten (vgl. 1973:183).

Außerdem suchte Kade nach den Gesetzmäßigkeiten der Übersetzung und beschäftigte sich dabei verstärkt mit der Frage der Übersetzbarkeit und des Äquivalenzkonzeptes.

Was die Äquivalenz betrifft, ging auch Kade vom linguistischen Ansatz aus, der sich auf das Sprachsystem konzentrierte und bei dem ein symmetrisches Verhältnis angenommen wurde.

Kade unterschied dabei zwischen verschiedenen Äquivalenzmöglichkeiten, die er in einem

42 Prunč schreibt „Kommunikationsakt“ (S. 14) und verweist darauf, dass es sich um einen Druckfehler handelt.

43 Dieser Begriff setzte sich erst in den 1990er-Jahren gegen den Begriff Übersetzungswissenschaft durch (vgl.

Salevsky 2002:58).

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Ordnungsprinzip aus theoretischen Kombinationsmöglichkeiten44 der strukturellen Elemente zweier Sprachen anordnete und damit eine

„einfache, und vielleicht gerade deshalb so wirksame Äquivalenztypologie entwickelt. Sie wirkte auch in einer Zeit, in der sich ein Teil der Leipziger Forscher bereits von diesem Konzept entfernt hatte, noch immer nach und wurde von Forschern außerhalb der Leipziger Schule, so z. B. von Katharina Reiß (1971), Hans-Jürgen Diller und Joachim Kornelius (Diller + Kornelius 1978), vor allem aber von Werner Koller (1978 c etc.) übernommen.“ (Prunč 2007:51)

Beim Thema der Übersetzbarkeit, das Kade auch als „Gretchenfrage“ bezeichnete, vertrat er durch die Bedingtheit der Äquivalenz die Meinung, dass weder von einer absoluten Übersetzbarkeit noch von einer generellen Unübersetzbarkeit zwischen natürlichen Sprachen ausgegangen werden könnte (vgl. 1977:38f.). Für die Übersetzbarkeit spräche jedoch folgende Eigenschaft von Sprachen:

„Jedes sprachliche System verfügt über verschiedene potentielle Möglichkeiten, neue Begriffe und somit auch Begriffe, die durch das Zusammentreffen mit Erscheinungen einer bestimmten sozial-ökonomischen und kulturellen Gemeinschaft erstmalig auftreten, nach bestimmten, dem System innewohnenden Gesetzen zu kodifizieren.“ (1968:72)

Die Bedingtheit der Äquivalenz relativierte seinen Ansatz der kommunikativen Äquivalenz, sodass hier noch einmal eine Fortentwicklung und Korrektur der eigenen Ansichten zu erkennen war. Die Bedingtheit entstand, da der kommunikative Wert auch an außersprachliche Komponenten geknüpft war (Wissen, Bräuche etc.), die nicht absolut identisch in der vermittelten Kommunikation übertragen werden konnten. Zudem unterschieden sich – wenn auch nur minimal – die Kommunikationssituationen in Phase I und III der Translation, in denen der Text jeweils vom Sender an den Empfänger gegeben wurde, woraus ebenfalls Abweichungen resultierten (vgl. 1977:37ff).

b) Gert Jäger45

44 So können Sprachen deckungsgleich (1:1, totale Äquivalenz) oder unterschiedlich ausdifferenziert sein (1:X;

X:1; Eins-zu-Viele- und Viele-zu-Eins-Äquivalenz), sich teilweise überlappen (X:X, Teiläquivalenz) oder keine Entsprechung (1:0, 0:1 Nulläquivalenz) ausweisen (Prunč 2007:51). Bei der Nulläquivalenz unterscheidet Kade in denotative, lexikalisch-semantische und stilistisch-pragmatische Nulläquivalenz (vgl. Kade 1968).

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Auch Gert Jäger war Professor an der Sektion Theoretische und Angewandte Sprachwissenschaft. Von 1973 bis 1992 hatte er die Professur für Übersetzungswissenschaft und Westslawische Sprachen inne. Als Linguist ging er in seinen Arbeiten ebenfalls von der Sprachwissenschaft aus und ist als Vertreter der Translationslinguistik zu sehen, wobei er annahm, dass die „Invariante“ eines Textes mit linguistischen Mitteln beschrieben werden konnte (vgl. Salevsky 2002:223).

Seine Monographie „Translation und Translationslinguistik“ bildete den Höhepunkt der kontrastiv-linguistisch orientierten Translationswissenschaft der Leipziger Schule. Auch er griff das Konzept der kommunikativen Äquivalenz auf und sah eine Übersetzung gelungen, wenn diese Äquivalenz erreicht wurde, indem der Zieltext für dessen Adressaten denselben kommunikativen Wert hatte wie der Ausgangstext für dessen Adressaten. Mit dieser Ansicht weitete er die Invarianzforderung von einzelnen Textelementen auf den gesamten Text aus (vgl. Prunč 2007:53). In der Leipziger Schule erfolgte so allmählich die deutliche Loslösung von der Systemlinguistik.

Jäger gilt als entschiedenster Vertreter des linguistischen Ansatzes, wobei auch er nicht darauf reduziert werden darf. Schließlich erkannte er auch die Bedeutung der Pragmatik für die Übersetzung, indem er nicht nur auf die sprachlichen Aspekte einging und diese auch nicht als ausschließlichen Gegenstand erachtete (vgl. 1973:47).

Außerdem widmete er sich dem Thema der maschinellen Übersetzung. Dabei versuchte Gert Jäger, den linguistischen Ansatz mit der maschinellen Übersetzung in Zusammenhang zu setzen:

„Die maschinelle Translation hatte vor allem zur Folge, dass deutlich wurde, dass die linguistischen Fragen der Translation die Hauptschwierigkeit bei der Automatisierung der Umkodierungsprozesse bildeten. Diese Erkenntnis sowie die zuerst von Recker und Fedorov konsequent gestellte Frage, was das Gemeinsame aller Translationsprozesse sei, und die Antwort, dass das Gemeinsame aller Translationsprozesse darin liege, dass es sprachliche Prozesse seien, führte in den 50er Jahren unseres Jahrhunderts zur Entstehung einer linguistischen Theorie der Translation.“ (1975:73)

Den Kernpunkt in Jägers Betrachtungen bildete die Erklärung der Umkodierungsprozesse zwischen natürlichen Sprachen. Im Vordergrund standen dabei das Problem der Invarianten

45 Gert Jäger wurde am 13.05.1935 in Dresden geboren (vgl. Leipziger Antiquariat).

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und das Problem der Transferierbarkeit (vgl. Gerzymisch-Arbogast 2007:67), womit er sich den klassischen Themen dieser Zeit zuwandte.

Auch Jäger leistete einen Beitrag zur Metasprache der Übersetzungswissenschaft. Auf ihn ist die Bezeichnung „translatorische Kompetenz“ zurückzuführen:

Wir gehen nun davon aus, dass die praktische kommunikative Tätigkeit eines Sprachmittlers, d. h. der konkrete Vollzug der Translationsprozesse sich auf seine Fähigkeit gründet, solche Prozesse auszuführen, genauer: auf mehrere Fähigkeiten, die in jeweils spezifischer Kombination der Voraussetzung für die jeweilige Art der translatorischen Tätigkeit bilden. Da wesentliche Gemeinsamkeiten aller Translationsprozesse darin besteht, dass es sprachliche Prozesse sind, nimmt die Fähigkeit, den sprachlichen Prozess der Textzuordnung auszuführen zu können, unter den für die kommunikativen translatorischen Tätigkeiten notwendigen Fähigkeiten den zentralen Platz ein. Wir wollen diese Fähigkeit translatorische Kompetenz nennen und annehmen, dass sie für alle Vollzugsarten gleich ist.“ (Jäger 1976:2f.)

Die translatorische Kompetenz war für Jäger die „spezifische sprachliche Fähigkeit, die den Translator in die Lage versetzte, einem AS-Text einen ihm kommunikativ äquivalenten ZS-Text zuzuordnen“ (1976:3), die sprachliches Wissen umfasste und sich im Zusammenspiel mit außersprachlichen Fähigkeiten zeigte.

c) Albrecht Neubert46

Albrecht Neubert erhielt im Jahr 1962 an der Karl-Marx-Universität die Professur für Englische Sprache, etwas später auch für Übersetzungswissenschaft / Englisch. Er war zudem der erste Institutsleiter der Sektion Theoretische und Angewandte Sprachwissenschaft.

Auch Neubert nahm seinen Ausgangspunkt in der Linguistik, ging dabei aber von einer sozio- und textlinguistischen Position aus.

Neubert war der „vorsichtigste“ Vertreter des Ansatzes der kommunikativen Äquivalenz, da es für ihn schwer war, eine Annäherung an Äquivalenz zu messen und objektive Kriterien zur

46 Albrecht Gotthold Neubert wurde am 03.03.1930 in Hartenstein geboren (vgl. Historisches Seminar der Universität Leipzig 2006).

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Beurteilung einer Übersetzung festzulegen (vgl. 1985:143f.)47. Deshalb suchte Neubert nach neuen Möglichkeiten:

„Neubert unternahm den Versuch, die sieben Textualitätsprinzipien von de Beaugrande und Dressler […] als translatorische Äquivalenzkriterien anzusetzen und den ‚kommunikativen Wert‘ eines Textes durch die Einbeziehung textlinguistischer Vorstellungen von der Konstruktion der Gesamtbedeutung des Textes zu definieren (mit Hilfe von Makroregeln, die aus Mikropropositionen Makropropositionen bilden). Dabei könne der ‚kommunikative Wert‘

von Original und Übersetzung in der Regel nicht total übereinstimmen.“ (Salevsky 2002:223)

Neubert ordnete die Textualitätskriterien von de Beaugrande und Dressler48 dabei neu, sodass sie seiner Zielsetzung entsprachen. Dabei beruhte „[d]ie Modernität von Neuberts Auffassung von Textualität und Translation […] auf der Tatsache, dass er einen interaktionalen, kommunikativen Ansatz mit einem kognitiven verknüpft hat“ (Van Vaerenbergh 2007:404).

Des Weiteren ist festzuhalten, dass sich Albrecht Neubert bereits früh mit dem pragmatischen Aspekt der Translation beschäftigt hatte und mit seinem Aufsatz „Pragmatische Aspekte der Übersetzung“ im Jahr 1965 die pragmatische Wende in der Übersetzungswissenschaft einleitete. In dieser Arbeit wurde zum ersten Mal eine

„rein linguistische Betrachtungsweise gesprengt und die Aufmerksamkeit auf die unterschiedliche Verwendung der sprachlichen Zeichen von Sprachbenutzern gelenkt […], deren Relevanz des Zieltextes zwar vom Ausgangstext induziert ist, aber unter unterschiedlichen situativen und kommunikativen Bedingungen erfolgt, ergeben sich Diskrepanzen, die der Sprachmittler zu verwalten und gegebenenfalls auszugleichen hat.“

(Bernado 2007:47f.)

Bei der pragmatischen Betrachtung wurde die Sprache in ihrer konkreten Kommunikationssituation gesehen. Damit wurden die Texttypen49 ein wichtiger Gesichtspunkt der Übersetzung, da sie „historisch entstandene mehr oder weniger fest gewordene Kommunikationsmuster“ (1973a:133) waren und für eine erfolgreiche

47 Neubert war nicht nur bei diesem Ansatz vorsichtiger, sondern auch in seiner gesamten Haltung. Ein Grund dafür waren seine guten Beziehungen zu Übersetzungswissenschaftlern in den USA und die Originallektüre von englischer Literatur (Schmitz 05.04.2012.).

48 Robert-Alain de Beaugrande und Wolfgang Ulrich Dressler stellten sieben Kriterien auf, die dazu dienten, Texte von Nicht-Texten zu unterscheiden. Diese Textualitätskriterien bestimmen die Eigenschaften einer Textkommunikation. Wenn ein Text eines dieser Merkmale nicht erfüllt, ist er nicht kommunikativ und somit kein Text. Zu den Textualitätskriterien zählen die Kohäsion, die Kohärenz, die Intentionalität, die Akzeptabilität, die Informativität, die Situationalität und die Intertextualität (vgl. Beaugrande / Dressler 1981:3ff.).

49 Unter Texttypen versteht man heute die verschiedenen Textsorten.

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Sprachmittlung beachtet werden mussten. Denn je nach der Funktion des Texttyps musste sich der Übersetzer für eine mehr oder weniger treue Übersetzung entscheiden, sodass der Texttyp zu einem wesentlichen Entscheidungsparameter wurde, der auch das Konzept der Äquivalenz beeinflusste. Neubert ordnete Texttypen nach dem Grad der Übersetzbarkeit (und relativierte dabei die Annahme der grundsätzlichen Übersetzbarkeit) (vgl. Bernado 2007:48).

Dementsprechend musste bei der Übersetzung zwischen Ziel- und Ausgangstext funktionale Äquivalenz hergestellt werden. Das war gemäß Neubert dann erreicht,

„wenn mit einem Text oder Textelement in einer konkreten Kommunikationssituation und unter Berücksichtigung einer konkreten Kommunikationssituation und unter Berücksichtigung einer konkreten Textsorte derselbe kommunikative Effekt erzielt wird, wie er durch den Ausganstext in der Ausgangssprache erzielt wurde/worden wäre.“ (in Prunč 2007:54)

Der zielsprachige Leser einer übersetzten Bedienanleitung musste also ebenso in der Lage sein, mit dem Gerät umzugehen, wie der Leser des Originals. Um einen adäquaten Zieltext zu erhalten, musste der Translator also die Zieltextkonventionen beachten und den Text als Ganzheit betrachten. In diesem Ansatz zeigte sich Neuberts Übersetzungsstrategie. Er war nicht mehr für die Anwendung des „bottom-up“-Verfahrens, sondern dafür, holistisch heranzutreten und ein „top-down“-Verfahren einzusetzen.

Auch die Frage der Übersetzbarkeit stand für Neubert im Vordergrund. Übersetzbarkeit war laut Neubert eine „Eigenschaft aller gesellschaftlich-denkbaren Texte“ (1973:22) und er verstand die Übersetzungstheorie als „systematische Lösung des Übersetzbarkeitsproblems“

(1973:25).