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Technologische Neuerungen in der Gesundheitsversorgung

Der Begriff „Gesundheitstechnologien“ kann auf unterschiedliche Weise definiert werden. Er kann als Sammelbegriff für die Verfahren, Geräte und Prozesse ver-wendet werden, die bei der Erbringung von Gesundheitsleistungen zum Einsatz kommen. Dies schließt die Anwendung neuer wissenschaftlicher Wissensberei-che ein, zu denen die Genomik, neue medizinisWissensberei-che und chirurgisWissensberei-che Verfahren, Arzneimittel und medizinische Geräte sowie neue Systeme zur Unterstützung der Patienten gehören. Der Begriff kann aber auch im engeren Sinne die Gerä-te bezeichnen, die verwendet werden, um KrankheiGerä-ten oder Beschwerden, von denen Menschen betroffen werden, zu verhüten, zu diagnostizieren, zu über-wachen oder zu behandeln. Als Beispielen wären hier zu nennen: Arzneimittel abgebende Stents, Magnetresonanztomografen (MRT), Schrittmacher, minimal invasive chirurgische Eingriffe, Wundbehandlung und Inkontinenzversorgung sowie Geräte, die Selbstbewältigung oder häusliche Versorgung von Krankheiten unterstützen, wie etwa Test-Kits zur Ermittlung des Blutzuckerspiegels, die durch Beratung mit Hilfe von Informationstechnologie unterstützt werden.

Die Behandlung der koronaren Arterienkrankheit ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Technik im Laufe der Zeit die Behandlung und Prävention einer Krankheit verändert hat. In den 1970er Jahren wurden kardiologische Abtei-lungen eröffnet, um Herzrhythmusstörungen nach Herzinfarkten besser kont-rollieren zu können. Später wurden Beta-Blocker eingeführt, um den Blutdruck nach einem Herzinfarkt zu senken; danach breitete sich die Verwendung von

Thrombolytika aus. Außerdem setzten sich allmählich Koronararterien-Bypass-Operationen durch. In den 1980er Jahren wurden nach Herzinfarkten Blutver-dünner eingesetzt, um eine Wiederholung zu verhindern, und für die Zeit nach einer Stabilisierung der Patienten wurde die Angioplastie eingeführt. In den 1990er Jahren kam die Angioplastie in größerem Umfang in der unmittelbaren Behandlung und der Revaskularisation zum Einsatz; gleichzeitig wurden Stents verwendet, um die Blutgefäße offen zu halten. Nach 2000 wurden verbesserte Tests zur Diagnose von Herzinfarkten eingeführt, und es wurden Arzneimittel

abgebende Stents sowie neue Arzneimittelstrategien entwickelt.

Ein bekanntes Beispiel für die Anwendung neuer Technologien sind die neuen Bildgebungsverfahren in Diagnostik und Behandlung. Techniken wie Computer-tomografie-Untersuchungen, MRT und Positronen-Emissions-Tomografie haben die Diagnostik und die klinische Praxis revolutioniert, weil sie wesentlich genaue-re Diagnosen in größegenaue-rer Zahl ermöglichen und das Potenzial sowie die Kapazität von Interventionen erhöhen.

Ein weiteres Beispiel einer technologischen Entwicklung mit einem potenziellen Einfluss auf die Praxis und die Kosten in den Bereichen Prävention wie auch Be-handlung ist die Nanotechnologie, deren Ziel darin besteht, Eigenschaften und Strukturen auf der Nanoebene zu verändern. Die Nanotechnologie kommt bei ge-zielteren medikamentösen Behandlungen oder „intelligenten Arzneimitteln“ zum Einsatz. Es ist bereits erwiesen, dass Behandlungen mit solchen Arzneimitteln weni-ger Nebenwirkungen hervorrufen und wirksamer als herkömmliche Therapien sind.

In Zukunft wird die Nanotechnologie auch bei der Bildung von Molekularsystemen hilfreich sein, die lebenden Systemen möglicherweise überraschend ähnlich sein werden. Solche Molekularstrukturen könnten die Grundlage für die Regeneration oder den Ersatz von Körperteilen bilden, die heute noch durch Infektionen, Unfälle oder Krankheiten verloren gehen. Beispielsweise wird die Nanotechnologie bereits als Grundlage für neue, wirksamere Arzneimittelverabreichungssysteme genutzt, aber auch als „Gerüst“ bei der noch im Frühstadium der Entwicklung befindlichen Forschung zur Nervenregeneration. Es besteht auch die Hoffnung, dass Investitio-nen in diesen Zweig der Nanomedizin Durchbrüche bei der Erkennung, Diagnose und Behandlung verschiedener Krebsformen zur Folge haben könnten.

Weitere Beispiele sind Bereiche wie Telemedizin, e-health (elektronische Gesund-heitsdienste) und m-health (mobile GesundGesund-heitsdienste), die allesamt schon heu-te ein beträchtliches Poheu-tenzial zur Ausweitung der Beheu-teiligung und Befähigung von Patienten und zur Verbesserung der Systeme für Beobachtung und Versor-gung beinhalten. Neue, auf die Patienten ausgerichtete Konnektivitätslösungen und medizinische Geräte ermöglichen die Ausweitung der Versorgung zu Hause und erlauben es den Betroffenen, aktiv zu bleiben und zum gesellschaftlichen Leben beizutragen. Diese auf der Informationstechnologie basierenden Entwick-lungen können u. U. mit neuen Selbsthilfeinstrumenten, Gesundheitsanwendun-gen und Geräten für Patienten und ihre Betreuer verknüpft werden, die dann eine Bewältigung chronischer Krankheiten bzw. eine bessere Pflege im häusli-chen Umfeld ermöglihäusli-chen würden.

Eine weitere technologische Entwicklung ist von großer potenzieller Bedeutung.

Die Arbeiten zum menschlichen Genom während des letzten Jahrzehnts könnten das Wesen und die Ergebnisse von Krankheiten von Grund auf verändern. Diese Arbeit hat bereits erhebliche Auswirkungen auf Forschung, Politik und Praxis im Bereich der öffentlichen Gesundheit und ermöglicht eine Vielzahl von Entdeckun-gen über die Entdeckun-genomischen GrundlaEntdeckun-gen von Gesundheit und Krankheit. Rapide wissenschaftliche Fortschritte und die Entwicklung neuer Instrumente auf dem Gebiet der Genomik tragen zu einem besseren Verständnis von Krankheitsme-chanismen bei. Es besteht Aussicht auf die Charakterisierung der einzigartigen klinischen, genomischen und umweltbedingten Daten von Einzelpersonen;

dies kann zu neuen Anwendungen führen, die eventuell für die Steuerung der menschlichen Gesundheit während des gesamten Lebensverlaufs eingesetzt werden können. 2005 wurde eine formale Definition des Begriffs „public health genomics“ vereinbart: danach bezeichnet dieser die verantwortungsvolle und effektive Umsetzung genombasierten Wissens und genombasierter Technologi-en zugunstTechnologi-en der mTechnologi-enschlichTechnologi-en Gesundheit (33). Die Aufgabe der GTechnologi-enomik im Bereich der öffentlichen Gesundheit besteht darin, Fortschritte in Genomik und Biomedizin in Forschung, Politik und Programme auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit zu integrieren. Diese Fortschritte werden auch zunehmend in Strate-gien einfließen, die auf eine Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit abzielen.

Auch wenn es noch eine Vielzahl ethischer Fragen (34) zu klären gibt, so dürfte die moderne Genomik doch den Trend hin zu einer stärkeren Personalisierung und Individualisierung von Medizin und Gesundheitsversorgung in mehrerlei Hinsicht fortsetzen, etwa in den Bereichen Gesundheitsförderung, Krankheits-prävention, Diagnostik und Kurativmedizin. In Zukunft werden wirksamere Instrumente für Früherkennung und Behandlung zur Verfügung stehen. Neu-erungen in der Systembiologie (35) dürften es erlauben, mit Molekularmarkern Krankheiten schon lange vor Auftreten der ersten Symptome zu entdecken. Die-se Frühmarker werden wohl auf der Ebene der Proteinexpression angesiedelt sein: als Marker der Gennetzwerke des Humangenoms.

All diese Krankheiten haben eine genomische Komponente, d. h. ob und wie sich die Krankheit manifestiert, hängt maßgeblich von den genomischen Fak-toren der betreffenden Person ab. Bei manchen Krankheiten sind ausschließ-lich genetische Faktoren verantwortausschließ-lich, etwa bei der zystischen Fibrose oder beim Down-Syndrom. Die Gruppe von Erkrankungen, die als „nichtübertragbare Krankheiten“ bezeichnet wird und zu der Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Adipositas, Osteoporose, psychische Störungen, Asthma und Krebs gehören, ist zu unterschiedlichen Graden genetisch bedingt, denn hier spielen neben der Genetik auch verhaltens- und umweltbedingte Faktoren eine Rolle, die mit den genetischen Gegebenheiten zusammenwirken. Diese Krankheiten werden des-halb auch als „komplexe chronische Krankheiten“ bezeichnet. Sogar die Gruppe von Erkrankungen, die heute als „übertragbare Krankheiten“ bezeichnet werden und von denen früher davon ausgegangen wurde, dass sie ausschließlich von infektiösen Krankheitserregern verursacht werden, hat nachgewiesenermaßen eine genetische Komponente. Aus dieser Sicht dürfte die bisher übliche schar-fe Trennung zwischen übertragbaren und nichtübertragbaren Krankheiten in Zukunft teilweise verschwimmen; stattdessen ist zu erwarten, dass ähnlich wie beim Gesundheitsbegriff Krankheiten künftig ganzheitlich betrachtet werden.

Zum Risiko-, Krankheits- und Fallmanagement bei nichtübertragbaren Krankhei-ten sowie zur Gesundheitsförderung und zur Verbesserung der Lebensqualität werden wahrscheinlich verschiedene Charakteristika von Personen in integrati-ver Weise genutzt werden. Zu diesen Charakteristika gehören: genombasierte Informationen (die nicht nur die genetische Ebene, sondern auch die Bereiche Epigenetik, Expression und Proteine umfassen); lebensstilbedingte Faktoren wie Ernährung, Bewegung und Rauchen; psychische, ökonomische und soziale Fak-toren (die Bereiche Wohnen, Arbeitsplatz und Sozialkontakte); die persönliche Krankengeschichte und die der Familie; und die Wechselwirkungen zwischen all diesen Einflussfaktoren. Ein weiterer Anwendungsbereich, in dem bereits mit der Arbeit begonnen wurde, ist die Verwendung von Molekularmarkern zur Stratifi-kation von Patienten in Untergruppen, die dann mit verschiedenen Medikamen-ten oder Interventionen behandelt werden. Krebs ist hier eines der wichtigsMedikamen-ten Handlungsfelder, wie zahlreiche Beispiele aus jüngster Zeit belegen.

Ein echter Paradigmenwechsel in der Nutzung der Technologie kann allerdings nur dann stattfinden, wenn der Wille zur Umstrukturierung der vorhandenen

Konzepte und die Fähigkeit zur Bereitstellung der erforderlichen Schulungen für Fachkräfte im Bereich der öffentlichen Gesundheit vorhanden sind. Die Ge-sundheitssysteme und die politischen Entscheidungsträger müssen dringend darauf vorbereitet werden, die genombasierten Erkenntnisse und Technologien verantwortungsbewusst und effektiv im Bereich der öffentlichen Gesundheit umzusetzen. Hier liegt weiterhin eine Hauptaufgabe für die Genomik auf diesem Gebiet – und ein beträchtliches Innovationspotenzial für die Europäische Regi-on. Die Gesundheitspolitik sollte sich darauf vorbereiten, dieser Zukunftsvision von Medizin und Gesundheit gerecht zu werden. Dies bedeutet, dass Gesundheit künftig nicht mehr ausschließlich aus dem Blickwinkel der biologischen Determi-nanten oder primär mit Augenmerk auf die sozialen DetermiDetermi-nanten betrachtet wird, sondern unter Berücksichtigung aller ihrer Determinanten, also der biologi-schen, lebensstil- und umweltbedingten und sozialen Einflussfaktoren wie auch der Wechselwirkungen zwischen ihnen. Zukünftig wird die Genomik im Bereich der öffentlichen Gesundheit wahrscheinlich die Vision und die Instrumente bereit-stellen, um genombasierte Informationen als Teil der biologischen Determinanten von Gesundheit in Gesundheitssysteme und Versorgungskonzepte zu integrieren.

Solche technologiegestützten Innovationen bieten bereits heute neue Chancen für die Verbesserung von Gesundheit und Gesundheitsversorgung. Doch diese Veränderungen haben auch erhebliche Auswirkungen auf die Gesamtkosten im Gesundheitswesen, insbesondere dann, wenn zahlreiche organisatorische und berufsbedingte Faktoren ihren Einsatz begünstigen. Dies wird durch den drama-tischen Anstieg der Gesundheitskosten in den letzten Lebensjahren veranschau-licht. In dem Maße, in dem Technologie neue oder bessere Behandlungsformen ermöglicht, werden höhere Ausgaben vielleicht weniger unnötige oder unnütze Kosten nach sich ziehen, sondern eher für ein höheres Niveau der eingekauften Gesundheitsleistungen anfallen. Manche Technologien, wie etwa die Selbstmes-sung des Blutzuckerspiegels, sind vielleicht zunächst mit Mehrkosten verbunden, führen jedoch dann im weiteren Verlauf zu einer Senkung der mit Komplikatio-nen verbundeKomplikatio-nen Ausgaben.

Ob eine neue Technologie zur Erhöhung oder Senkung der Gesundheitsausga-ben beiträgt, hängt von der Beantwortung mehrerer Fragen ab. Wie wirkt sie sich im Einzelfall auf die Behandlungskosten aus? Wie viele Male muss die neue Tech-nologie angewandt werden? Auf welcher Grundlage kann ihre Anwendung ra-tioniert werden? Können mit der neuen Technologie vorhandene Therapien auf weitere Erkrankungen ausgeweitet werden? Ist die Technologie evtl. anfangs mit Mehrkosten verbunden, um später dann Einsparungen zu ermöglichen? Neue Technologien können zu einer Erhöhung der Lebenserwartung führen und sich so auf Art wie auch Menge der im Lebensverlauf in Anspruch genommenen Ge-sundheitsleistungen auswirken. Das tatsächliche Verhältnis von Kosten und Ein-sparungen kann häufig erst durch epidemiologische Langzeituntersuchungen und gesundheitsökonomische Studien ermittelt werden.