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Fähigkeit zur Steuerung zugunsten von Gesundheit: durch die gesamte Gesellschaft und den gesamten Staat sowie

mittels Gesundheit in allen Politikbereichen – unter dem Steuerungsgesichtspunkt

Die gesamtgesellschaftlichen und gesamtstaatlichen Verantwortlichkeiten für den Bereich Gesundheit werden durch ein hohes Maß an politischem En-gagement, eine aufgeklärte öffentliche Verwaltung und gesellschaftliche Un-terstützung getragen. Dieser Verantwortung Relevanz und Funktionalität zu geben, erfordert konkrete ressortübergreifende Steuerungsstrukturen, die die notwendigen Aktivitäten unterstützen können, um Gesundheit in alle Politikbe-reiche und Umfelder zu integrieren, wann immer dies zweckdienlich ist. Diese ressortübergreifenden Steuerungsstrukturen sind für Regierungen, Parlamente, Verwaltungen, die Öffentlichkeit, die Interessengruppen und die Industrie glei-chermaßen relevant.

Die Zielsetzung eines gesamtgesellschaftlichen Ansatzes besteht darin, gesamt-staatliches Denken dadurch zu ergänzen, dass der Beitrag von Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft, aber auch die Rolle eines breiten Spektrums politischer Ent-scheidungsträger (z. B. Parlamentarier) verstärkt hervorgehoben wird. Die poli-tischen Netzwerke, die innerhalb des Staates entstanden sind, erstrecken sich zunehmend über die staatliche Ebene hinaus auch auf andere gesellschaftliche

Akteure. Der gesamtgesellschaftliche Ansatz setzt eine zusätzliche Fähigkeit zur Kommunikation und Kooperation in komplexen vernetzten Umfeldern voraus und betont die Rolle der Medien sowie neuer Kommunikationsformen. Jede beteiligte Partei muss in den Prozess Ressourcen und Kompetenz einbringen.

Durch Einbeziehung von Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft, Gemeinschaften und Einzelpersonen erhöht ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz die Widerstandskraft von Gemeinschaften gegenüber Gefahren für ihre Gesundheit, ihre Sicherheit und ihr Wohlbefinden. Mit den Worten von Paquet (287): „Kooperation ist der neue kategorische Imperativ.“ Ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz reicht über die institutionelle Ebene hinaus; er beeinflusst und nutzt Kultur und Medien auf der lokalen und der globalen Ebene, ländliche und städtische Gemeinschaften und alle maßgeblichen Politikbereiche, u. a. Bildung, Verkehr, Umwelt und sogar Städteplanung, wie sich im Falle der Adipositas und des globalen Nahrungssys-tems anschaulich demonstrieren lässt. Gesamtgesellschaftliche Konzepte sind eine Form der kooperativen Führung, bei der Wert auf eine Koordinierung durch normative Werte und den Aufbau von Vertrauen zwischen einer Reihe von Akteu-ren in der Gesellschaft gelegt wird. Diese Konzepte umfassen gewöhnlich Steue-rungsinstrumente, die weniger präskriptiv, weniger einem einheitlichen Ansatz verpflichtet und auch weniger zentralisiert und hierarchisch sind. Gemeinsame Ziele und Vorgaben, wie etwa im Falle von Healthy people 2020 in den Vereinigten Staaten (288), stellen einen geeigneten Ausgangspunkt dar. Viele politische Maß-nahmen der EU stehen auf einer ähnlichen Grundlage. Dies ist unter anderem auf die breit angelegten Konsultationen zurückzuführen, die ihnen vorausgehen und an denen gewöhnlich alle maßgeblichen Akteure teilnehmen, öffentliche wie private, wenn auch nicht mit gleichem Einfluss.

Dennoch muss die letztendliche Verantwortung bei den Regierungen bleiben;

sie müssen sich für den Schutz und die Förderung von Gesundheit und Wohl-befinden der Bürger, denen sie dienen, sowie der Gesellschaften, aus denen sie hervorgegangen sind, einsetzen. Zur Stärkung des Gefühls von Verantwortung und Rechenschaftspflicht für die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden ist auf allen Ebenen der Gesellschaft der politische Wille entscheidend. Deshalb erfordert die Verwirklichung von Politikgestaltung und Steuerung zugunsten von Gesundheit und gesundheitlicher Chancengleichheit von den Regierungen eine Stärkung der Kohärenz zwischen Handlungskonzepten, Investitionen, An-geboten und Maßnahmen über Ressortgrenzen hinweg und unter Beteiligung aller Akteure. Sie erfordert auf Synergien angelegte Konzepte, die oft außerhalb der Gesundheitspolitik angesiedelt sind und von Strukturen und Mechanismen unterstützt werden müssen, die eine Zusammenarbeit fördern und ermöglichen.

Viele Determinanten von Gesundheit und gesundheitlicher Chancengleichheit werden auch in anderen Politikbereichen als vorrangig angesehen, etwa die Steigerung des Bildungserfolgs, die Förderung gesellschaftlicher Integration und sozialen Zusammenhalts, der Abbau von Armut und die Stärkung der Wider-standskraft und des Wohlergehens der Gemeinschaft. Sie bieten einen Ansatz-punkt für gemeinsames Handeln über Ressortgrenzen hinweg, das sich positiv auf Gesundheit und gesundheitliche Chancengleichheit auswirkt (289). Der Ge-sundheitsfolgenabschätzung kommt eindeutig die Aufgabe zu, gesundheitsbe-zogene und andere Ergebnisse von Politik in einem einheitlichen Analyserahmen zusammenzuführen.

Die Verwirklichung einer gesamtstaatlichen Politikgestaltung und Steuerung für mehr Gesundheit ist voller Schwierigkeiten und Herausforderungen. Dazu ist weit mehr erforderlich als ein einfacher Auftrag (290). Außerdem ist die Erkennt-nisgrundlage zur Unterstützung einer ressortübergreifenden Steuerung häufig spärlich, einseitig, nicht schlüssig oder anekdotisch. Dennoch sind hier Fortschrit-te möglich, wie Erfahrungen in den Bereichen Nachhaltigkeit und Entwicklung gezeigt haben. Ein zentraler Handlungsbereich ist die Entwicklung neuer oder

stärkerer Instrumente und Mechanismen, die für Chancengleichheit bei der Dar-stellung von Standpunkten in Entscheidungsprozessen sorgen. Eine wirksame Politikgestaltung zugunsten von Gesundheit bedient sich kooperativer Arbeits-modelle, um den Zustrom an Ressourcen zu erhöhen, um positiv auf die Vertei-lung der Determinanten einzuwirken und so die Chance auf ein gesundes Leben zu erhöhen, um die bestehenden Muster gesundheitlicher Ungleichgewichte sowie deren Ausmaß zu durchbrechen und um das Risiko bzw. die Folgen von Krankheit und Frühsterblichkeit in allen Bevölkerungsschichten zu verringern.

Die Ergebnisse der Task Group on Governance and Delivery Mechanisms (291), einer der Arbeitsgruppen in Verbindung mit der Untersuchung der sozialen Determi-nanten von Gesundheit und des Gesundheitsgefälles in der Europäischen Region (17), lassen darauf schließen, dass Interventionen, die auf die sozialen Determi-nanten von Gesundheit ausgerichtet sind und gesundheitlichen Benachteiligun-gen entgeBenachteiligun-genwirken sollen, gewöhnlich verbesserte Systeme für die Steuerung und die Leistungserbringung erfordern. Diese müssen unter Beteiligung der gesamten Gesellschaft und des gesamten Staats auf allen Steuerungsebenen tätig werden und sowohl einen nationalen als auch einen lokalen Kontext für Maßnahmen zugunsten von Gesundheit bieten. Die Arbeitsgruppe hat mehrere Hauptgründe dafür ermittelt, dass die sozialen Determinanten von Gesundheit und die damit zusammenhängenden gesundheitlichen Ungleichgewichte von für die Steuerung und Leistungserbringung zuständigen Systemen nicht ausrei-chend berücksichtigt wurden. So haben es diese versäumt:

• die gesamte Kausalkette, die zu dem erwünschten Ergebnis der Reduzierung gesundheitlicher Ungleichgewichte führt, in einem Konzept zusammenzufüh-ren und als Ganzes in Angriff zu nehmen (konzeptionelles Versäumnis);

• eine wirksame Leistungskette sowie unterstützende Anreize und Organisa-tionsmechanismen zu schaffen, die in der Lage sind, verbesserte Ergebnis-se in Bezug auf die sozialen Determinanten von Gesundheit und gesund-heitliche Ungleichgewichte herbeizuführen (Versäumnis in Bezug auf die Leistungskette);

• eine Kontrollstrategie zu entwickeln, die den gesamten Prozess der Leistungs-erbringung beaufsichtigt (Versäumnis in Bezug auf eine Strategie für staatliche Kontrolle).

Das letztgenannte Versäumnis hängt häufig mit einer unzureichenden Fähigkeit zusammen, ein breites Spektrum von Defiziten wie organisatorischen, finanziel-len und gesetzgeberischen Unzulänglichkeiten und anderen Ursachen für eine schlechte Leistungsbilanz aufzudecken und rasch abzustellen.

Dementsprechend können die Mitgliedstaaten eine Reihe von Voraussetzungen und Maßnahmen in Betracht ziehen, die erforderlich sind, um dies zu verwirkli-chen und ihnen eine Verbesserung ihrer Steuerungsbilanz zu ermögliverwirkli-chen. Eine Sichtung von Studien, in denen die Fortschritte in diesem Bereich analysiert wur-den, macht wichtige Erkenntnisse und Chancen in Bezug auf die Verringerung der beschriebenen Versäumnisse deutlich (291). Jenen Ländern, die Fortschritte auf dem Weg zur Einführung eines gesamtgesellschaftlichen und gesamtstaatli-chen Ansatzes zur Verringerung von Ungleichgewichten im Gesundheitsbereich anstreben, stehen jetzt mehrere innovative Praktiken und Instrumente zur Ver-fügung, die sie prüfen und an ihre jeweiligen nationalen und subnationalen Ge-gebenheiten anpassen können.

Die nachstehend genannten zentralen Entwicklungsbereiche können hier von besonderer Bedeutung sein.

Regierungsstrukturen: Innerhalb des Kabinetts können Minister entweder unter der Regie des Regierungschefs oder durch Zusammenarbeit zwischen ausge-wählten Ressorts gemeinsame Konzepte entwickeln. Manchmal werden im

Rahmen eines gesamtstaatlichen Ansatzes Kabinettsunterausschüsse mit Ge-sundheitsfragen befasst, wobei meist Mechanismen zur Förderung eines ge-meinsamen Verständnisses von Lösungsansätzen zum Einsatz kommen. Auch institutionelle Plattformen sind eine Option, etwa ein gemeinsam besetztes Referat für Gesundheitspolitik im Amt des Regierungschefs oder gemeinsame Ausschüsse und Arbeitsgruppen. Ressortübergreifende Gremien können die Gewinnung von Evidenz sowie die Entwicklung und Koordinierung politischer Handlungskonzepte unterstützen. Um den Stellenwert des Themenkomple-xes Gesundheit und Entwicklung zu erhalten, kann eine kleine, eigens dafür geschaffene Vordenkergruppe notwendig sein, die sich frei innerhalb der Ge-sellschaft und zwischen den Ressorts bewegt und einen regelmäßigen Dialog sowie eine Bühne für Diskussionen schafft und vorantreibt. Die Festlegung eines gesetzlichen Auftrags signalisiert eine Unterstützung auf hoher Ebene für ein Ansetzen an den sozialen Determinanten von Gesundheit.

Superministerien und zusammengelegte Ministerien: Diese werden in dem Be-mühen eingeführt, der politischen und administrativen Tätigkeit der Regie-rung mehr Effizienz und Kohärenz zu verleihen. Auch wenn das Argument für solche Veränderungen überzeugend erscheinen mag, so sind die Erkenntnisse in Bezug auf mehr ressortübergreifende Kohärenz dies nicht.

Minister für öffentliche Gesundheit: Sie können über ein explizites ressortüber-greifendes Mandat zur Unterstützung gesamtstaatlicher gesundheitsfördern-der Maßnahmen verfügen. Sie können durch einen hochrangigen nationalen Lenkungsausschuss unterstützt werden, der mit Vertretern wichtiger natio-naler, regionaler und kommunaler Behörden und Organisationen besetzt ist.

Interministerielle Kontakte und strategische Allianzen: Mit ihrer Hilfe werden an-sonsten getrennte, wenn nicht sogar isolierte Politikbereiche auf der obersten Entscheidungsebene zusammengebracht. Für die Herbeiführung von Politik-kohärenz auf der Kabinettsebene gibt es unterschiedliche Ansätze. Solche ressortübergreifenden Allianzen zwischen Politikbereichen können mit einer Reihe von Mechanismen gefördert werden, die sich gegenseitig verstärken und wichtige Ressorts zur Rechenschaftslegung zwingen. Ein Ansatz sieht bei-spielsweise vor, dass mehrere Kabinettsminister gemeinsam eine Politik entwi-ckeln und jeder von ihnen in dieser gemeinsamen Politik die Verantwortung für eine begrenzte Zahl von Zielvorgaben übernimmt, wobei Teilziele mitein-ander abgestimmt werden, um Interessenkonflikte zwischen Politikzielen zu vermeiden. Eine andere Option zur Herstellung von Kontakten zwischen Mi-nisterien besteht darin, den Finanzminister zu beauftragen, Rahmenkonzepte für jedes Ministerium auszuarbeiten. Solche Mechanismen, die gewährleisten, dass gemeinsame Zielvorgaben und gemeinsame Zielsetzungen beschlossen werden, die durch Festlegung der Zuständigkeiten aller Beteiligten gestützt werden, erweisen sich in dieser Hinsicht als wirksam. Dies gilt insbesondere, wenn sie als eine Möglichkeit für Organisationen verstanden werden, Risiken zu teilen und einander zur Rechenschaft zu ziehen (293).

Gemeinsame und zusammengelegte Etats: Die derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen Regierungen in der gesamten Europäischen Regi-on kRegi-onfrRegi-ontiert sind, könnten manche Politikbereiche dazu zwingen, anders und kooperativer als bisher zu arbeiten. Dies könnte bewirken, dass der ge-samtstaatliche und der gesamtgesellschaftliche Ansatz operationalisiert und für die Lösung von Fragen in Verbindung mit gesundheitlichen Ungleichge-wichten und ihren sozialen Determinanten herangezogen werden können.

Die Länder nutzen bereits einige neue Mechanismen, die dazu beitragen können, ressortübergreifende strategische Allianzen zu schmieden und auf-rechtzuerhalten. Gemeinsame und zusammengelegte Etats mehrerer Ressorts können der Entwicklung neuer Methoden für das Rechnungswesen sowie der

Mobilisierung neuer Mittel zugute kommen. Belege für diese Feststellung fin-den sich in Südaustralien und auch zunehmend in der Europäischen Region, vor allem auf der subnationalen Ebene (294). Diese Mechanismen können fi-nanzielle Anreize und Belohnungssysteme umfassen, die die vertikale und ho-rizontale Integration fördern, die für den Abbau gesundheitlicher Ungleichge-wichte erforderlich sind. In manchen Fällen kann dies auch dazu führen, dass als Mittel zur Stärkung der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Vertrau-ens ressortübergreifend personelle und andere Ressourcen gemeinsam oder abwechselnd genutzt werden (295).

Gemeinsame Überprüfung von Konzepten und Interventionen: Diese Instrumen-te werden im Rahmen gesamtstaatlicher Ansätze zunehmend zur Förderung ressortübergreifender Maßnahmen und Kooperationen genutzt. Beispielswei-se führen einige Länder in der Europäischen Region, die an Aktionsplänen zur Verbesserung der Gesundheit der Roma-Bevölkerung mitwirken, gemeinsa-me Überprüfungen von Konzepten durch. Diese wurden insbesondere für die vier wichtigsten Politikbereiche (Bildung, Wohnungswesen, Beschäftigung, Gesundheit) empfohlen (296).

Gegenseitige Unterstützung bei der Gewinnung von Evidenz: Die gegenseitige Unterstützung bei der Gewinnung von Evidenz trägt dazu bei, ein gemeinsa-mes Verständnis von Fakten, Zahlen, Analysen und Interpretationen zu entwi-ckeln. Dies schafft eine gemeinsame Grundlage für Dialog und die Evaluation ressortübergreifender Konzepte, Programme und Projekte, um während der Ausarbeitung und Umsetzung dieser Konzepte gemeinsames Lernen und die Anpassung aneinander zu ermöglichen und Engagement und Nachhaltigkeit auf Dauer aufrechtzuerhalten (291).

Aktiv auf andere zugehen: Die Regierungen müssen sich aktiv um die Einbe-ziehung von Patienten und anderen Akteuren aus der Gesellschaft, ggf. ein-schließlich der Privatwirtschaft, bemühen. Öffentliche Konsultationen, staat-liche Gesundheitskonferenzen und Themenforen dienen eben diesem Zweck.

Eine solche Überzeugungsarbeit kann auf staatliche Konzepte, Gesetze und andere Vorschriften abzielen, die auf konstruktive Veränderungen in gesund-heitsbezogenen Fragen wie Besteuerung, Verkaufsförderung und Werbung angelegt sind. Überzeugungsarbeit zielt nicht zwangsläufig darauf ab, ledig-lich die Akzeptanz von Gesetzesänderungen herbeizuführen, sondern hat auch eine Veränderung von Einstellungen, kulturellen Gegebenheiten und sozialen und räumlichen Umfeldern zum Ziel.