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Situationsanalyse Insgesamt ist eine längere Lebenserwartung für Frauen wie Männer eine große

Errungenschaft, bei der gesundheits- und sozialpolitische Maßnahmen eine be-deutende Rolle spielen. Mit steigender Lebenserwartung werden immer mehr Menschen älter als 65 Jahre und leben bis ins hohe Alter hinein; dies lässt die Gesamtzahl der älteren Menschen dramatisch ansteigen. Es ist zu erwarten, dass bis 2050 mehr als ein Viertel (27%) der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein wird.

So kommen derzeit unter den über 85-Jährigen auf jeden Mann 2,5 Frauen – ein Ungleichgewicht, das Prognosen zufolge bis 2050 weiter zunehmen wird (70).

Obwohl Frauen in der Europäischen Region im Durchschnitt 7,5 Jahre länger leben als Männer, verbringen sie einen größeren Teil ihres Lebens in schlech-terer Gesundheit als Männer. Da außerdem die Behinderungsraten bei Frauen höher liegen, machen Frauen die überwältigende Mehrzahl der Menschen in hohem Alter aus, die ständige Gesundheitsfürsorge und soziale Unterstützung benötigen (114).

Mit zunehmendem Alter entwickeln sich nichtübertragbare Krankheiten zu den Hauptursachen für Krankheit, Behinderung und Tod; gleichzeitig treten Mehr-facherkrankungen immer häufiger auf. Der sozioökonomische Status bringt starke gesundheitliche Auswirkungen mit sich; so weisen Menschen, die mit geringerem Ansehen verbundene Tätigkeiten ausüben, im späteren Leben oft eine höhere Morbidität auf. Ein hoher Anteil der für die Gesundheitsversorgung

insgesamt entstehenden Bedürfnisse und Kosten entfällt konzentriert auf die letzten Lebensjahre.

Wenn die Menschen befähigt werden, bis ins hohe Alter hinein gesund zu blei-ben, kann schwere Morbidität oft auf wenige Monate vor dem Tod komprimiert werden. Doch würde eine solche Kompression der Morbidität nicht ausreichen, um den Umstand aufzuwiegen, dass es immer mehr ältere Menschen gibt, von denen auch immer mehr mit Behinderungen leben werden. Etwa 20% der Men-schen im Alter von 70 Jahren und darüber und 50% der über 85-Jährigen geben an, dass es ihnen schwer fällt, alltägliche Tätigkeiten wie Baden, Ankleiden und Toilettenbesuch sowie andere Arbeiten wie Haushaltstätigkeiten und Wäsche zu verrichten oder Arzneimittel einzunehmen. Mobilitätseinschränkungen sind ebenso weit verbreitet wie sensorische Beeinträchtigungen. Etwa ein Drittel der 75- bis 84-Jährigen meldet Hörschwierigkeiten bei Gesprächen mit anderen Men-schen, und etwa einem Fünftel fällt es schwer, die Tageszeitung oder ein Buch zu lesen.

Gegenwärtig haben viele Länder in der Europäischen Region im weltweiten Vergleich extrem niedrige Fruchtbarkeitsraten und eine sehr hohe durch-schnittliche Lebenserwartung (70). Sie sind daher für die Unterstützung und Pflege einer zunehmenden Zahl älterer Menschen auf eine immer geringere Zahl an Menschen im erwerbstätigen Alter angewiesen. In vielen Ländern wird die Pflege älterer Menschen noch immer als Familienpflicht und nicht als staatliche Aufgabe angesehen, und die meisten informellen Pflegepersonen sind Frauen. In Bezug auf den Entwicklungsstand und den Umfang der Pfle-geangebote für ältere Menschen gibt es zwischen den Ländern der Europäi-schen Region größere Unterschiede, als dies bei anderen gesundheits- oder sozialpolitischen Programmen der Fall ist. Formale Sozialangebote für ältere Menschen gibt es eher in städtischen Gebieten, und der Zugang zu Pflegehei-men ist ebenso uneinheitlich wie deren Qualität. So können Einschränkungen in Bezug auf die Privatsphäre und Qualität in der Pflege sowie in Bezug auf den Zugang zur regulären Gesundheitsversorgung ebenso vorkommen wie die Verabreichung ungeeigneter Arzneimittel und die Durchführung unwirksamer Präventivmaßnahmen.

Eine höhere Lebensdauer stellt einerseits einen großen Erfolg, andererseits aber auch eine Herausforderung dar. Prognosen zufolge wird es zwischen 2004 und 2050 zu einem Anstieg der gesamten alterungsbezogenen Ausgaben der öffent-lichen Hand (Versorgungsleistungen, Gesundheit, Langzeitpflege) von etwa 4%

bis 5% des BIP in den EU-15-Ländern kommen (115). Die wirtschaftlichen Aus-wirkungen, die die Alterung der Bevölkerung auf die Ausgaben der öffentlichen Hand in den kommenden Jahrzehnten haben wird, könnten bedeutend gemil-dert werden, wenn die höhere Lebensdauer von einer gleichzeitigen Anhebung des Ruhestandsalters begleitet würde.

Gesundheit und Aktivsein im Alter sind das Ergebnis der Lebensumstände und Handlungen eines jeden Menschen während seines gesamten Lebens. Erfahrun-gen im gesamten Lebensverlauf wirken sich auf das Wohlbefinden im Alter aus;

so führt lebenslange finanzielle Not vielfach zu schlechteren Gesundheitsergeb-nissen im späteren Leben, und Menschen, die während ihres gesamten Erwach-senenlebens verheiratet waren, leben länger als Ledige.

Ältere Menschen sind keine homogene Gruppe, sondern die Vielfalt der Einzel-situationen nimmt mit dem Alter zu, und die Geschwindigkeit des Funktions-abbaus wird nicht nur durch verhaltensbedingte, sondern auch durch soziale, ökonomische oder ökologische Faktoren bestimmt, auf die der Einzelne mögli-cherweise keinen Einfluss hat. So ist Altersdiskriminierung beim Zugang zu hoch-wertigen Leistungen weit verbreitet, und die Ungleichgewichte in Bezug auf die Lebensbedingungen und das Wohlbefinden älterer Menschen sind infolge

erheblicher Unterschiede hinsichtlich der familiären Situation, der Ruhestands-versorgung und der angesammelten Vermögenswerte ausgeprägter als in der Allgemeinbevölkerung (116). 

Ein früher Eintritt in den Ruhestand, der Verlust des Arbeitsplatzes und die Erfah-rung traumatischer Lebensereignisse, besonders in einer späteren Lebensphase, können im mittleren und späteren Leben zu einer Beeinträchtigung des Wohl-befindens führen. Soziale Unterstützung, insbesondere soziale Beziehungen mit Familienangehörigen und Freunden, ist einer der wichtigsten Einflussfaktoren für die Lebensqualität älterer Menschen. Das Geschlecht (Frauen), der Ledigen-stand, mangelnde materielle Hilfsmittel (wie etwa Zugang zu einem Auto) und schlechte Gesundheit können allesamt dazu führen, dass ältere Erwachsene bei der Pflege sozialer Kontakte beeinträchtigt werden.

Bewährte Lösungen Zu den wichtigsten Bedürfnissen älterer Menschen gehört es, selbständig zu

sein, ein Mitspracherecht zu haben und mit zur Gemeinschaft zu gehören. Eine der wirksamsten Strategien zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden im Alter ist die Vermeidung von Einsamkeit und Isolation, wobei Unterstützung durch Angehörige und Altersgenossen eine Schlüsselrolle spielt. Initiativen für ein aktives und gesundes Altern können zu mehr Gesundheit und Lebensqualität beitragen. Zur Unterstützung der staatlichen Behörden bei der Verwirklichung von Konzepten für ein gesundes Altern im Rahmen von „Gesundheit 2020“ ha-ben die Mitgliedstaaten ergänzend das Dokument Strategie und Aktionsplan für gesundes Altern in der Europäischen Region (2012–2020)(117).

Die Verringerung der Funktionsfähigkeit älterer Menschen kann umkehrbar sein und ist in jedem Alter durch persönliche und staatliche Maßnahmen, wie etwa die Förderung eines seniorengerechten Lebensumfelds, beeinflussbar.

Der Lebensverlaufansatz für ein gesundes Altern ermöglicht Menschen einen guten Start ins Leben und beeinflusst die Art und Weise, in der sie altern, indem er sie befähigt, während ihres gesamten Lebens besser und gesünder zu leben und sich an altersbedingte Veränderungen anzupassen. Ältere Menschen müs-sen zu einer gesunden Lebensweise befähigt und ermutigt werden. Dies kann dadurch unterstützt werden, dass ihnen Angebote zur Bewegung, zur gesunden Ernährung und zur Raucherentwöhnung zugänglich gemacht werden. Zu den wirksamen Maßnahmen zur Förderung gesunden Alterns gehören Rechtsvor-schriften, sozial- und wirtschaftspolitische Konzepte für die Bereitstellung von Einkommensbeihilfen und -subventionen und Maßnahmen zur Durchführung einer unterstützenden Verkehrs-, Siedlungs- und Städteplanung sowie ein Anset-zen an einschlägigen Risikofaktoren mit dem Ziel, die Bevölkerungsgesundheit zu fördern.

Das Angebot eines geeigneten Leistungspakets (z. B. Gesundheits- und Sozial-leistungen, technische Hilfen und Unterstützung für die informelle Betreuung) ist ausschlaggebend, wenn die Gesundheits- und Pflegesysteme in Zukunft be-standsfähig sein sollen (118). Die Schaffung von Umfeldern und Leistungsange-boten, die es den Menschen gestatten, länger gesund und auf dem Arbeitsmarkt aktiv zu bleiben, wird ausschlaggebend für die Reduzierung bzw. Eindämmung der Langzeitarbeitslosigkeit, der Erwerbsunfähigkeitsleistungen und der Früh-verrentung sein. Durch Anpassung der baulichen Gestaltung, der Städteplanung und der Verkehrssysteme an die Bedürfnisse von älteren Menschen und Men-schen mit Behinderungen kann diesen die Beibehaltung einer unabhängigen Lebensführung ermöglicht und können die Folgen einer Behinderung gemildert und der Aufbau sozialer Netze gefördert werden.

Die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden älterer Menschen kann in Po-litikkonzepten und Initiativen zur Förderung eines aktiven Alterns in Würde und

Gesundheit, zum Abbau gesundheitlicher Benachteiligungen, zum Ruhestand und zur Förderung der Rechte von Menschen mit Behinderungen konsequent berücksichtigt werden. Die wichtigsten Maßnahmen sind: Sicherstellung, dass ältere Menschen an der Gestaltung der Gesundheitspolitik und an Entscheidun-gen über ihre eiEntscheidun-gene Behandlung und Pflege beteiligt werden; Entwicklung von Werkzeugen zur Förderung von Gesundheitskompetenz und Selbsthilfe, auch mit Blick auf pflegende Angehörige; Abbau der Risiken für die psychische Ge-sundheit älterer Menschen mit chronischen körperlichen GeGe-sundheitsproble- Gesundheitsproble-men; Ausräumung negativer gesellschaftlicher Klischeevorstellungen über das Alter durch gezielte Medienkampagnen; und Durchführung unabhängiger Qua-litätskontrollen zur Überwachung der Qualität der in Einrichtungen bereitgestell-ten Leistungen.

Impfungen sind sowohl bei Kindern als auch bei älteren Menschen ein wirksames Mittel zur Senkung der Morbidität (wie auch der Mortalität) aufgrund mehrerer Infektionskrankheiten. Bei älteren Menschen können Vorsorgeuntersuchungen für behandelbare Krankheiten wie Brustkrebs zu einer Senkung der vorzeitigen Morbidität und Mortalität führen.

Palliativversorgung ist lebensbejahend, betrachtet aber auch das Sterben als einen normalen Prozess und will den Tod weder beschleunigen noch hinaus-zögern. Sie bewirkt eine Linderung der Schmerzen und anderer belastender Symptome und sollte angeboten werden, sobald entsprechende Bedürfnisse entstehen und bevor sie nicht mehr zu bewältigen sind (119). Traditionell wird eine qualitativ hochwertige Sterbebegleitung hauptsächlich für Krebskranke in stationären Hospizen bereitgestellt, doch muss diese Art der Pflege jetzt auch für Menschen mit einem breiteren Spektrum von Erkrankungen angeboten werden, nicht zuletzt für die zunehmende Zahl der Demenzkranken, und muss auch bis in die Haushalte der Menschen und in kommunale Pflege- und Wohnheime aus-gedehnt werden (120). Die Palliativversorgung bietet ein Unterstützungssystem an, das den Menschen ein möglichst aktives Leben bis zum Tod erlaubt und den Angehörigen hilft, mit der Krankheit des Betreffenden und ihrer eigenen Trauer fertig zu werden.

In einer Resolution der Weltgesundheitsversammlung über aktives Altern (121) wurden die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, sicherzustellen, dass ihre älte-ren Bürger das für sie erreichbare Höchstmaß an Gesundheit und Wohlbefinden erreichen können, und in einer vor kurzem verabschiedeten Resolution des Ex-ekutivrates der WHO zu diesem Thema (122) wurde ein Schwerpunkt auf den Aufbau einer seniorenfreundlichen primären Gesundheitsversorgung gelegt. Die Zweite Weltversammlung über das Altern fand 2002 in Madrid statt und führte zur Annahme des Internationalen Aktionsplans über das Altern (123). Als Beitrag zu dieser Konferenz erarbeitete die WHO Active ageing: a policy framework [dt.:

Aktiv altern: ein Rahmenkonzept] (124).

Öffentliche Ausgaben an der Schnittstelle zwischen Gesundheits- und Sozialwe-sen versprechen bedeutende, bislang weitgehend ungenutzte Effizienzgewin-ne, wobei sich die Hinweise darauf häufen, durch welche Interventionen sich Notfallaufnahmen ins Krankenhaus und langwierige Krankenhausaufenthalte kostenwirksam vermeiden lassen und wie sich Telemedizin und Telecare optimal nutzen lassen. Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege müssen besser mit-einander kombiniert werden; ebenso sind Verbesserungen in Bezug auf Aspekte der Würde und der Menschenrechte in der Langzeitpflege notwendig. Es gilt, die Leistungsqualität durch Mechanismen der Qualitätsbewertung und Quali-tätssicherung sowie durch neue Modelle der Koordination und Integration der Pflege zu verbessern, etwa durch Pflegepfade mit individuell zugeschnittenen Gesundheits- und Sozialpaketen.

Bessere politische Konzepte zur Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten während des gesamten Lebens sind der Schlüssel zu einem gesunden Altern;

Gleiches gilt für seniorenfreundliche Gemeinschaften und einen besseren Zu-gang zu qualitativ hochwertigen Gesundheits- und Sozialleistungen für ältere Menschen. Wenn mehr Menschen dabei unterstützt werden, länger aktiv zu ar-beiten, und wenn die Arbeit über den gesamten Verlauf des Lebens umverteilt wird, so kann dies sowohl ein Altern in Gesundheit begünstigen als auch dazu beitragen, gesundheits- und sozialpolitische Maßnahmen langfristig tragfähig zu machen. Die zunehmende Zahl von Fallbeispielen für eine gelungene Koor-dination und Integration der Versorgung und Pflege, auch über die Bruchstelle zwischen Gesundheits- und Sozialwesen hinweg, kann den Ländern bei einer Gesundheitsreform behilflich sein, die auf eine erheblich bessere Versorgung und soziale Absicherung pflegebedürftiger älterer Menschen abzielt.