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Die Determinanten von Gesundheit und gesundheitlichen Ungleichgewichten

Die Determinanten von Gesundheit sind komplex und umfassen eine biologi-sche, eine psychologibiologi-sche, eine soziale und eine umweltbezogene Dimension.

Zwischen all diesen Determinanten besteht ein Beziehungsgeflecht, das sich so-wohl auf die individuelle Exposition gegenüber günstigen oder ungünstigen Be-dingungen als auch auf die Anfälligkeit oder Widerstandsfähigkeit von Personen, Gruppen und Gemeinschaften auswirkt. Durch die ungleiche Verteilung dieser Determinanten wird die gesundheitliche Chancengleichheit in der Europäischen Region beeinträchtigt. Dies führt zu einer gesundheitlichen Kluft zwischen Län-dern und einem sozialen Gefälle zwischen Personen, Gruppen und Regionen in-nerhalb einzelner Länder. Hierbei ist jedoch der Hinweis wichtig, dass viele der Determinanten durch wirksame Interventionen beeinflussbar sind. Maßnahmen in Ressorts außerhalb der Gesundheitspolitik, die vorrangig auf Ergebnisse ab-zielen, die für diese Ressorts von Bedeutung sind, haben oftmals Auswirkungen sowohl auf die sozialen Determinanten von Gesundheit als auch auf die gesund-heitliche Chancengleichheit. Als Beispiele seien hier die Ressorts Bildung, Sozia-les und Umwelt genannt.

Individuen, Gemeinschaften und Länder verfügen manchmal über Fähigkeiten und Aktivposten, die eine Förderung oder einen Schutz der Gesundheit bewirken können und die in ihrem kulturellen Potenzial, ihren sozialen Netzwerken und ihren natürlichen Ressourcen begründet sind. Aktivposten und Widerstandsfä-higkeit sind wesentliche Ressourcen mit Blick auf eine ausgewogene und nach-haltige Entwicklung. In seinen Handlungsempfehlungen legt die Untersuchung Schwerpunkte auf den Aspekt der Widerstandsfähigkeit sowie auf Aktivposten, die eine Befähigung zu selbstbestimmtem Handeln und eine sektorübergrei-fende Abstimmung von Handlungskonzepten fördern, aber auch Schutz gegen schädliche Folgen, eine Schadensminderung oder die Zurückdrängung bzw.

Änderung ausschließender Prozesse bewirken sollen. In Zukunft wird eine der zentralen Aufgaben bei der Umsetzung von „Gesundheit 2020“ darin bestehen, das richtige Gleichgewicht zu finden.

3 Im Europäischen Gesundheitsbericht 2012 (25) finden sich ausführliche Informationen über die demografischen und epidemiologischen Trends in der Europäischen Region

Soziale und ökonomische Determinanten Soziale Ungleichheiten sind für einen Großteil der Krankheitslast in der

Euro-päischen Region verantwortlich. Innerhalb der Region besteht zwischen den Ländern mit der niedrigsten und denen mit der höchsten Lebenserwartung bei Geburt ein Unterschied von 16 Jahren, wobei die Abweichung bei Männern und Frauen unterschiedlich hoch ausfällt. Zwischen den Ländern mit den höchsten und denjenigen mit den niedrigsten Müttersterblichkeitsraten besteht ein Unter-schied um das 42fache. Diese Verteilung von Gesundheit und Lebenserwartung in den Ländern der Europäischen Region zeigt signifikante, anhaltende und ver-meidbare Unterschiede in Bezug auf die Chancen auf ein gesundes Leben sowie das Risiko von Krankheit und vorzeitigem Tod.

Viele dieser Unterschiede sind sozial bedingt. Leider halten sich soziale Ungleich-heiten im Gesundheitsbereich sowohl innerhalb von als auch zwischen Ländern hartnäckig und verschärfen sich zum überwiegenden Teil sogar. Auch innerhalb der Länder gibt es extreme gesundheitliche Ungleichheiten. Gesundheitliche Un-gleichheiten stehen ferner in einem Zusammenhang mit gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen wie Tabak- und Alkoholkonsum, Ernährung und körperlicher Betätigung sowie mit psychischen Gesundheitsstörungen. Mit „Gesundheit 2020“

verpflichten sich Länder nachdrücklich, innerhalb des Gesundheitswesens und darüber hinaus gegen dieses nicht hinnehmbare Ungleichgewicht anzukämp-fen. Viele dieser Ungleichheiten lassen sich durch ein gezieltes Ansetzen an den sozialen Determinanten von Gesundheit abbauen.

Die Kommission für soziale Determinanten von Gesundheit kam in ihrem Bericht (27) zu dem Ergebnis, dass soziale Ungerechtigkeit in großem Umfang für den Tod von Menschen verantwortlich sei, und unterstrich das ethische Gebot, ange-sichts dieser mangelnden Chancengleichheit zu handeln. Ungleichgewichte im Gesundheitsbereich sind auch ein Gradmesser für Fairness und soziale Gerech-tigkeit in einer Gesellschaft – und damit auch für die Leistung des Staates. Das Ausmaß und die Verteilung dieser sozialen Ungleichgewichte in einem bestimm-ten Land sind durch die sozialen, ökonomischen, politischen, umweltbezogenen und kulturellen Einflussfaktoren in dessen Gesellschaft bedingt – die sozialen Determinanten von Gesundheit. Sie werden in erheblichem Maße von Grund-satz- und Investitionsentscheidungen beeinflusst, deren Auswirkungen sich im Lebensverlauf entweder verschärfen oder verringern können. Sie bedeuten auch einen erheblichen Verlust an sozialem und produktivem Kapital. Gesundheitliche Ungleichgewichte beeinträchtigen auch die Verwirklichung der Werte von Ge-sundheit als einem Menschenrecht und gefährden das Entwicklungspotenzial eines Landes.

Innerhalb sozialer Systeme entstehen durch Wechselwirkungen zwischen den vier relationalen Dimensionen der Macht (sozial, politisch, ökonomisch und kul-turell) sowie die darin angelegte Ungleichheit im Zugang zu Macht und Ressour-cen jeweils unterschiedliche Belastungen, die von Faktoren wie Geschlecht, eth-nische Zugehörigkeit, Schichtzugehörigkeit, Bildungsniveau und Alter bestimmt werden. Diese Unterschiede können sich negativ auf die (biologische, soziale, psychische und ökonomische) Fähigkeit der Menschen auswirken, sich vor sol-chen Umständen zu schützen, und zu gesundheitlisol-chen Schäden führen und den Zugang der Betroffenen zu Gesundheitsleistungen und anderen Leistungen so-wie zu anderen, zum Schutz und zur Förderung von Gesundheit unverzichtbaren Angeboten beeinträchtigen. Durch diese Prozesse entstehen gesundheitliche Benachteiligungen, die wiederum zu weiteren Ungleichgewichten in Bezug auf Exposition und Schutzvermögen und zu einer Ausweitung sozialer Benachteili-gung führen.

Die Teilhabe an ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Bezie-hungen stellt einen Wert an sich dar, und bei Beeinträchtigung dieser Teilhabe

drohen negative Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden. Solche Ein-schränkungen sind mit anderen Arten der Benachteiligung verbunden. So führt ein Ausschluss vom Arbeitsmarkt oder eine Teilnahme zu ungünstigen Bedingun-gen zu niedriBedingun-gen Einkommen, was wiederum Probleme wie schlechte Ernährung oder unzureichende Wohnverhältnisse nach sich ziehen kann, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken.

Eine wahrhaft gleiche Teilhabe zwischen den Geschlechtern ist in der Europäi-schen Region bisher noch nicht gegeben. So sind Frauen häufiger teilzeitbeschäf-tigt als Männer, verdienen für die gleiche Arbeit weniger und erledigen einen Großteil der unbezahlten Arbeit. 2011 hatten Frauen 25% der Sitze in den Parla-menten inne, wobei die Bandbreite von unter 10% bis 45% reichte.

Diese unannehmbare Kluft in Bezug auf die gesundheitliche Realität, wie sie zurzeit zwischen und innerhalb von Ländern besteht, wird sich noch aus-weiten, wenn nicht unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden, um gegen Ungleichgewichte hinsichtlich der sozialen Determinanten von Gesundheit anzugehen.

Umweltbedingte Determinanten

Das 21. Jahrhundert ist durch eine Vielzahl tief greifender Veränderungen im Umweltbereich gekennzeichnet, die eine umfassendere Definition der Determi-nanten der Bevölkerungsgesundheit erforderlich machen. Zu diesen gehören umfangreiche Verluste an natürlichem Umweltkapital, die im Klimawandel, der Zerstörung der Ozonschicht in der Stratosphäre, der Luftverschmutzung und ih-ren Auswirkungen auf die Ökosysteme (z. B. Verlust an biologischer Vielfalt, Ver-sauerung von Oberflächengewässern, Ernteschäden), der Zerstörung Nahrungs-mittel erzeugender Systeme, der Erschöpfung von Süßwasservorräten und der Ausbreitung invasiver Arten zum Ausdruck kommen. Diese Entwicklungen be-einträchtigen langfristig die Fähigkeit der Biosphäre, ein gesundes menschliches Leben zu ermöglichen. Die umweltbedingte Krankheitslast in der Europäischen Region wird auf 15% bis 20% der gesamten Mortalität und auf 10% bis 20% der DALY-Verluste geschätzt, wobei auf den östlichen Teil der Region ein relativ hö-herer Anteil entfällt.

Die sich verändernden Muster in Bezug auf Wohnen, Verkehr, Nahrungs-mittelproduktion, Nutzung von Energieträgern und ökonomische Aktivität werden wesentliche Auswirkungen auf die Entwicklung der nichtübertrag-baren Krankheiten haben. Der Klimawandel4 wird langfristige Auswirkun-gen auf die Umwelt und auf das Zusammenwirken zwischen den Menschen und ihrer Umgebung haben. Dies wird zu einer wesentlichen Veränderung der Verteilung und Ausbreitung von übertragbaren Krankheiten – und ins-besondere von durch Wasser, Nahrungsmittel und Vektoren übertragenen Krankheiten – führen.

Die Anstrengungen zur Senkung der Treibhausgasemissionen werden zusam-men mit anderen Klimaschutzmaßnahzusam-men erhebliche positive Nebenwirkungen für die Gesundheit mit sich bringen. Anerkannte wissenschaftliche Modelle be-legen, dass bei einer Senkung der Gesamthöhe der Kohlendioxidemissionen in der EU von 3876 Mio. Tonnen (2000) auf 2867 Mio. Tonnen im Jahr 2030 die Zahl der aufgrund der gesundheitlichen Folgen von Luftverschmutzung verlorenen Lebensjahre tatsächlich halbiert werden könnte.

4 Unter „Klimawandel“ wird eine Veränderung des durchschnittlichen Klimas oder seiner Schwankungen und seiner Eigenschaften verstanden, die über einen längeren Zeitraum, meist über Jahrzehnte oder länger, andauert. In Artikel 1 des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen wird der Begriff „Klimawandel“ folgendermaßen definiert: „Änderungen des Klimas, die unmittelbar oder mittelbar auf menschliche Tätigkeiten zurückzuführen sind, welche die Zusammensetzung der Erdatmosphäre verändern, und die zu den über vergleichbare Zeiträume beobachteten natürlichen Klimaschwankungen hinzukommen“ (28).

Lebensstil- und verhaltensbedingte Faktoren Heute stehen im Mittelpunkt der Gesundheitspolitik vor allem die Menschen und

die Frage, wie sie in ihrem Alltagsleben Gesundheit leben und schaffen. Gesund-heitsförderung ist ein Prozess, durch den Menschen befähigt werden, wirksamer Einfluss auf ihre Gesundheit und deren Determinanten auszuüben. Ohne eine Beteiligung der Menschen gehen viele Chancen zur Förderung und zum Schutz von Gesundheit verloren. Doch Menschen sind soziale Akteure, und um sie bei der Annahme und Aufrechterhaltung gesunder Verhaltensweisen unterstützen zu kön-nen, muss ein solchen Verhaltensänderungen zuträgliches Umfeld geschaffen wer-den. Mit anderen Worten: Es gilt nun eine „Kultur der Gesundheit“ zu schaffen, die die stützenden und begünstigenden Faktoren aufweist, die für den Schutz und die Förderung der Gesundheit von Individuum und Gesellschaft benötigt werden. Das Konzept der gesundheitsförderlichen Umfelder (healthy settings) (29), dessen Ur-sprung in der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung (30) liegt, hat sich als eine der wirksamsten und am meisten genutzten Optionen auf diesem Gebiet erwiesen.

Es umfasst ganzheitliche und interdisziplinäre Methoden und legt Schwerpunkte auf die Aspekte organisatorische Entwicklung, Partizipation, Befähigung zu selbst-bestimmtem Handeln und Chancengleichheit. Ein gesundheitsförderliches Umfeld ist ein Ort oder ein sozialer Kontext, wo sich Menschen täglich betätigen und wo umweltbedingte, organisatorische und persönliche Einflussfaktoren zusammen auf Gesundheit und Wohlbefinden einwirken. Solche Umfelder lassen sich in der Regel anhand räumlicher Grenzen, einer gewissen Anzahl von Personen mit be-stimmten Aufgaben und einer Organisationsstruktur definieren. Als Beispiele seien hier Schulen, Arbeitsplätze, Krankenhäuser, Märkte, Dörfer und Städte genannt.

Gesellschaftliche Prozesse haben auch Einfluss auf gesundheitsschädliche (und gesundheitsförderliche) Bedingungen sowie auf Anfälligkeit und Widerstandsfä-higkeit. Exposition und Anfälligkeit sind in der Gesellschaft generell ungleich ver-teilt und jeweils von der sozioökonomischen Position und dem Vorhandensein anderer Marker sozialer Stellung (z. B. ethnische Zugehörigkeit) abhängig. Auch geschlechtsbezogene Normen und Wertvorstellungen können wesentlichen Einfluss auf Exposition und Anfälligkeit haben. Andere erhebliche Einflussfak-toren sind die Konsumgesellschaft, eine allgegenwärtige und kaum regulierte Produktvermarktung sowie (in manchen Gesellschaften) eine unzureichende Regulierung gesundheitsschädlicher Güter. Die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung ist heute mit ausschlaggebend dafür, ob gesundheitsförderliche Entscheidungen getroffen werden, und hängt in erheblichem Maße von in den ersten Lebensjahren erworbenen Fähigkeiten ab (31).

So entfällt heute auf eine Gruppe von vier Krankheiten (Herz-Kreislauf-Erkran-kungen, Krebs, Diabetes und chronische Atemwegserkrankungen) und ihre ver-haltensbedingten Risikofaktoren ein Großteil der vermeidbaren Mortalität und Morbidität in der Europäischen Region. Eine Inangriffnahme einzelner Herausfor-derungen wie Rauchen, Ernährung, Alkoholkonsum und körperliche Betätigung bedeutet, dass deren soziale Determinanten thematisiert werden müssen. Der Handlungsschwerpunkt sollte dabei dichter an den Ursachen solcher Unterschie-de in Unterschie-der Lebensweise angesetzt werUnterschie-den (also Unterschie-den Ursachen Unterschie-der Ursachen); diese sind jeweils im sozialen und ökonomischen Umfeld angesiedelt.

Fähigkeit und Effizienz der Gesundheitssysteme Schließlich hat auch der Zugang zu den Gesundheitssystemen und deren

Ka-pazitäten Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden wie auch auf die Qualität der Gesundheitsversorgung. In diesem Sinne fungiert das Gesundheitssystem als eine maßgebliche soziale Determinante von Gesundheit. Dieser Beitrag dürfte künftig in dem Maße wachsen, in dem sich der Stand der Technik in dem gesamten Spektrum der Gesundheitsförderungs-, Krankheitspräventions-,

Diagnose- und Behandlungsverfahren und der Rehabilitationsmaßnahmen, die für die einzelnen Krankheitskategorien und Krankheitsbilder von Bedeu-tung sind, noch weiter verbessert.

Besonders wichtig ist die Rolle des Gesundheitssystems aufgrund der Problema-tik des Zugangs, in der sich Unterschiede in Bezug auf Exposition und Anfälligkeit widerspiegeln und die eine deutliche soziale Prägung aufweist. Doch die Unter-schiede beim Zugang zur Gesundheitsversorgung sind keineswegs ausreichend, um die soziale Dimension gesundheitlicher Bedürfnisse zu erklären, und taugen daher nur bedingt als Erklärung für unterschiedliche gesundheitliche Resultate (32). Die Gesundheitssysteme können durch Überzeugungsarbeit direkt auf Un-terschiede in Bezug auf Exposition und Anfälligkeit reagieren, indem sie nicht nur sektorübergreifende Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitsstatus fördern, sondern auch bei der Gewährleistung eines chancengleichen Zugangs zur Gesundheitsversorgung mit gutem Beispiel vorangehen.

Von den Gesundheitsministerien wird erwartet, dass sie einen entscheidenden Beitrag zum Funktionieren der Gesundheitssysteme leisten und deren Beitrag zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden innerhalb der Gesellschaft entscheidend prägen und dass sie ferner andere Ressorts dazu veranlassen, sich mit ihrer Verantwortung für Gesundheit und ihre Determinanten auseinander-zusetzen. Leider werden sie oftmals dieser Aufgabe nicht gerecht, sodass die Or-ganisation der Gesundheitssysteme nicht mit den Veränderungen in den Gesell-schaften Schritt gehalten hat. Insbesondere die öffentlichen Gesundheitsdienste verfügen nur über relativ unzureichende Angebote und Kapazitäten, und der Ausbau der primären Gesundheitsversorgung – und hier vor allem der Gesund-heitsförderung und der Krankheitsprävention – wurde bisher vernachlässigt. Zu-dem beeinträchtigt der übliche hierarchische Aufbau der Gesundheitssysteme deren Fähigkeit, zügig auf technologische Innovationen und auf die Anforderun-gen der Leistungsempfänger und deren Wunsch nach Einbeziehung zu reagieren.

Aufgrund dieser Einflüsse tragen die Gesundheitssysteme deutlich weniger zur Schaffung von Gesundheit bei, als dies möglich wäre.