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Thomas Kadner Graziano

B. Beispiel 2: Produkthaftung

Wichtige Unterschiede bei der verschuldensunabhangigen Haftung beste-hen selbst dort, wo - wie im Recht der Produkthaftung - ausnahmsweise bereits eine Harmonisierung des materiellen Rechts stattgefunden hat.

Manche Divergenzen sind bereits ausdrücklich in der Produkthaftungs-richtlinie angelegt (so die Môglichkeit einer Entlastung von Entwicklungs-risiken und einer Begrenzung der Haftung auf eine Hôchslsumme). Andere ergeben sich daraus, dass die Richtlinie unter Umstanden slrengere Pro-dukthaftungsstandards zulasst.

Ein zentraler Untersehied der europaischen Produkthaftungsrechle be-stehl etwa in der Frage des haftpflichtigen Personenkreises. So sieht die Richtlinie eine Haftung von Zwischenhandlem nur in wenigcn

Ausnahme-12 Siehe anhand cines konkreten Fallbeispiels Kadner Graziano, Jura 2000, 415 m. w.

Nachw.

13 Siche auch den Überblick in: Office fédéral de la justice (Hg.), Avant-projct de Loi féderale sur la révision el l'unification du droit de la responsabilité civile, Commentaire abrégé, S. 2 f. ; www.ofj.adrrùn.chlthemenlhaftpflicht/vn-vc-f.pdf

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situationen vor". In der ganz überwiegenden Mehrzahl der europaischen Rechtsordnungen wird die Vermarktung eines unerkannt fehlerhaften Pro-duktes nicht per se aIs haftungsbegründend angesehen und trifft Zwischen_

hiindler grundsatzlich keine Pflicht, Waren vor dem Verkauf auf Konstruk_

tions- oder Fabrikatîonsfehler zu untersuchen IS. Nach der franzosischen.

belgischen und luxemburgischen Rechtsprechung haftet der Handler dage-gen verschuldensunabhangig gegenüber allen nachfolgeoden Mitgliedem der Absatzkette, nach franziisischem Recht seit einigen labren sogar ge-genüber dritten Geschiidigten'6.

Der franzôsische Gesetzgeber hat diese richterrechtlich entwickelte objektive Haftung des Zwischenhandlers bei der Umsetzung der Produkt-haftungsrichtlinie in den Code civil übemommen (Art. 1386-7 Abs. 1 des franzôsischen Code civil in der Fassung des Gesetzes vom 19.5.1998 lau-tet: "Le vendeur, le loueur [ ... ] ou tout autre fournisseur professionnel est responsable du défaut de sécurité du produit dans les mêmes conditions que le producteur"). Der Gerichtshof der Europaischen Gemeinschaften hat in dieser Übemahme der richterrechtlich entwickelten objektiven Haf-tung des Zwischenhandlers in den Code civil kürzlich in einem beachtli-chen Entscheid einen Verstoss gegen die Produkthaftungsrichtlinie gese-hen'7 Eine gesetzliche Festschreibung dieser objektiven Haftuog, die über diejenige Haftung hinausgeht, welche in der Richtlinie fur den Zwischen-hiindler vorgesehen ist, ist dem franzôsischen Gesetzgeber somit verwehrt.

lm Übrigen gilt es, die Tragweite des Entscheids im Einzelnen noch aus-zumessen18,

14 Sie ist vorgesehen fur den FaU, dass der lliindLer das Produkt in die EU eingeführt hat, sowic fUr den Fall, dass der Hersteller nicht feststellbar und vorn Hândler nicht innerhalb bestimmter Fristen \>enannt wird.

15 Nachweise aufden europaischen Rechtszustand bei Kadner GrazialJo, ZEuP ]997,847 (858 If.); zur RechlSlage in der Schweiz unlong,t Bernd Stauder,1K.R 2000, 3 (13 If.).

16 Cour de Cassation 17.1.1995 (SA Planet Wattohm c. CPAM du Morbihan) Anm.

Kadner Graziano, ZEuP 1997,847.

17 EuGH 25.4.2002 (Commission des Communautés européennes cl République Jran.

çaise), verhundene Rs. C-52/OO, C-154/OO und C-183/OO, z.B. in: Juris-Classeur périodique.

La Semaine Juridique (J.C.P.) G 2002, act. 243.

18 Siehe etwa die Überlegungen von Viney, J.c.P. 2002, Doctrine 1 177; Guy Raymond, in:

Juris·Classeur. Contrats - Concurrence - Consommation, 2002, no. Il?.

; ....

TRANSNAT(ONAlE PERSPEKTfVE

C

Beispiel

3:

Haftungfür Unfallschiiden im Strassenverkehr

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~r

praktisch ohne Zweifel wichtigste Anwendungsbereich der objektiven Haftung betrifft die Haftung fur Unfallschiiden im Strassenverkehr.

lm englischen und irischen Recht ist die Haftung fur Verkehrsunfall-schiiden noch immer yom Verschnlden abhangig und sind im Rechtsver-gleicb insoweit echte Schutzlücken zu konstatieren'9.

Das belgische Recht kennt insoweit ebenfalls grundsiitzlich nur eine Verschuldenshaftung und weist damit einen weiteren erstaunlichen Unter-scbied zur franziisischen Mutterrechtsordnung aufo.

Anders ais der englische Gesetzgeber hat der belgische diese Lücke Mitte der neunziger Jabre allerdings durch eine Versicherungsliisung weit-gehend geschlossen: Der Versicherer des Pkw-Halters tritt fur aile durch das Fahrzeug verursachten Personenschiiden ein, und zwar bemerkens-werter Weise auch dann, wenn der Halter fur diese Schaden (mangels Ver-scbuldens) zivilrecbtlich gar nicht haften müsste21. Haftpflicht und Versi-cherungsschutz sind somit entkoppelt. Das Prinzip, nach dem die Haft-ptlichtversicherung vor der Gefahr schützen soli, mit HaftpflichtanspfÜ-chen belastet zu werden22, ist fur das belgische Recht insoweit durchbro-cben.

Die ancleren europâischen Haftungsrechte bedienen sich bei der Haf-tung fur Schiiden, die beim Betrieb von Kraftfahrzeugen verursacht wur-den, heute entweder ausschJiesslich einer Geflihrdungshaftung oder sie sehen neben der Verschuldenshaftung cine Haftung aus Geflihrclung vor, kombinieren beide Regime also miteinander23. Praktiscb steht für

Unfall-l'

Lord Denning, What Next in the Law, S. 128; Weir. English Tort Law Seen From Abroad, in: Law at the Centre, S. 79 fI.

20 Die Gefâhrdungshaftung rur Sachen. die man im Gewahrsam hat, wird von der belgi-schcn Rechtsprechung. wie oben erwahnt, our fiir Schaden vorgesehen, die durch cine fehlerhafte Sache verursacht wurden, greift bei Schilden aus dcm Setrieb eines

K.raft-fahrzeuges also our in Ausnahmefillen ein.

2J Gesetz über die Pflichtversicherung fur Kraftfahrzeuge (KfzPflVersG ~ WAM) vom 30.3.1994, modifizicrt und crgânzt durch Gesetz vom 13.4.1995, in Kraft seit 1.7.1995, dazu etwa Dubuisson (Hg.), L'indemnisation automatique de certaines victimes d'accidents de la circulation, 1995; Van den Bergh, Rechtsk. Weekbl. 1994-95, 1313; Roger Dalcq, JT 1994,665; Fagnart, RGAR 1994, No. 12388; Simoens, Rechtsk. Weekbl. 1995-95,114.

21 Zu diesem Zweck der Haftpflichtversicherung etwa Weyers, Versicherungsvertrags-recht, Rn. 685.

23 Nach deutschem und oslerreichischem Recht kônnen Anspriiche nebeneinander auf das eine oder das andere Haftungsregime gestützt werden (siehe für Osterreich § L9 Abs. 1 des

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schiiden im Strassenverkehr in ail diesen Rechten die Gefahrdungshaftung im Mittelpunkt. Sie beruht nur noch selten auf reinem Richterrechf4, son-dem stützt sich heute fast überall auf eine gesetzliche Grundlage (sei es im Zivilgesetzbuch, wie im italienischen Codice civile oder dem portugiesi_

schen COdigo civil, sei es in Spezialgesetzen, wie in der franzosischen Loi Badinter oder entsprechenden Gesetzen in den Niederlanden, den nordi_

schen Landem, Deutschland, der Schweiz, Osterreich, Spanien und Grie-chenland).

Neben einigen Gemeinsarnkeiten bestehen zwischen den einzelnen Rechten auch bei der objektiven Haftung fUr Schiiden aus dem Betrieb von Kraftfahrzeugen wichtige Unterschiede.

Bereits bei der Frage, wer nach den Grundsiitzen der Gefâhrdungs-haftung einsteht, bei der Frage nach dem Haftpflichtigen also, weichen die Rechte voneinander ab.

In aller Regel haftet der Halter des PkW25 bzw. der meist mit diesem identische lnhaber der Verfugungsbefugnis über den PkW26

Seltener knüpft die Hafiung an das Eigentum am Pkw an, so aber in Italien". Eine Haftung des Eigentümers - zusiitzlich zu deIjenigen des Halters - ist auch bei der belgischen Versicherungsliisung vorgesehen28;

sie findet sich zudem in den Niederlanden sowie in Griechenland, wo die Hafiung des Eigentümers allerdings auf den Wert des Pkw beschriinkt isf9.

Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes [EKHGI ). Nach franz6sischem und schweizerischem Recht verdrangen nach herrschender Meinung die Spezialregelungen in den Kfz-Haftpflichtgesetzen in deren jeweiligem Anwendungsbereich die allgemeinen Regelungen.

24 So heute noch in Luxemburg.

2S 80 in Deutschland (§ 7 des Strassenverkehrsgesetzes [StVG] ). der Schweiz (§ 58 StVG), Osterreich (§ 5 Abs.1 EKHG), Danemark (§ lOI Abs. 1 des Gesetzes nr. 58 yom 17.2.1986 über Strassenyerkehr), Frankreich (art. 2 der Loi nr. 85-677 yom 5.7.1985, "Loi Badinter"), Griechenland (Art. 4 des Gesetzes über die straf- und zivilrechtliche Haftung bei Kraftfahrzeugen [KfzHaftPflG]); bei der belg;schen Versicherungslosung tritt der Versi-cherer des Halters ein (Art. 29bis § 1 des KfZPflVersG).

26 So in Luxemburg, siehe Cour 22.12.1965, Pas. Lux. 20, 23, und Portugal, Art. 503 Abs. 1 des C6digo civil.

27 Art. 2054 Abs. 3 des Codice civile (Haftung des Eigentümers neben dem Lenker).

28 Art. 29bis § 1 des belgischen KfzPflVersG.

29 Art. 4 des griechischen KfzHaftPtlG.

li

,

TRANSNATIONALE PERSPEKTIVE 89

ln elOlgen Rechtsordnungen trifft die objektive Haftung zusatzlich den Fahrer (so nach der franzosischen Loi Badinter'° sowie nach der Rechtslage in Italien und GriechenlandJl). Nach dem spanischen Kfz-Haftpflichlgesetz trifft die Gefahrdungshaftung dagegen primar den Fah-rer'2. In den meislen Rechtsordnungen haftet der Fahrer stattdessen nach den Regeln der Yerschuldenshaftung, die von der Rechtsprechung aber zu seinen Lasten zum Teil erheblich verschiirft wurden. Mancherorts besteht zu Lasten des Fahrers eine gesetzliche Verschuldensverrnutung (so nach

§ 18 Abs. 1 des deutschen SIYG).

Unterschiede bei der Frage, wer haftet, môgen aus Sicht des Geschiidigten eine untergeordncte Rolle spielen, solange jedenfalls ein (sol venter) Haftpflichtiger bzw. dessen Versicherer eintritt. Nicht nur bei der Frage, wer objektiv haftet, sondem auch bei der Frage, wem gegenüber gehaftet wird, wei chen die einzelnen Rechte aber erheblich voneinander ab.

Die Gefàhrdungshaftung fur Unfallschiiden aus dem Betrieb von Kraftfahrzeugen besteht grundsiitzlich jedenfalls zugunsten von Personen, rue sich ausserhalb desjenigen Pkw befanden, der den Unfall verursacht hat. Sie greift also ein vor allem zugunsten von Fussgiingem und Radfah-rem. Deren Schutz ist Hauptanliegen etwa der franzosischen Loi Badinter, dem wohl strengsten der europiiischen Haftungsregime fur Yerkehrsunfall-schiiden, und dieser Schutz ist Hauptanliegen auch des niederliindischen Strassenverkehrsgesetzes.

Zu den durch die objektive Haftung Begünstigten gehôren in der Re-gel (allerdings keineswegs übera1l3J) auch die Halter, die Fahrer und die Insassen anderer am Unfall beteiligter Pkw. Die besonders weitgehenden Privilegierungen, die z.B. die fraDZÔsische Loi Badinter zugunsten des Geschiidigten vorsieht, greifen fur diese Personen allerdings nich! ein.

Die Insassen des unfallursiichlichen Fahrzeuges sind in manchen Rechtsordnungen in den Schutzbereich der Gefàhrdungshaftung

einbezo-30 Gesetz Nr. 85-677 vom 5.7.1985 zur Verbesserung der Lage von Verkehrsunfallopfem und zur Beschleunigung des Entschadigungsverfahrens (loi Badinter); zu diesem etv.'a Viney, Lïndemnisation des victimes d'accidents de la circulation, 1992.

li § 2054 des Codice civile; § 4 des griechischen KfzHafiPnG.

l2 Art. 1. 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Haftpflicht und die Versicherung fur motorisierte Fahrzeuge (Ley sobre responsibilidad civil y seguro en la circulacion de vehiculas a matar).

J3 Sa gilt die Gefahrdungshaftung des niederliindischen StVG nicht zwischen zwei mato~

risierten Verkehrsteilnehmem.

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gen GedenfalIs, was ihre Personenschiiden betriftV4), in anderen Rechts-ordnungen nichtJS, in wieder anderen Rechten wird danach unterschieden, ob die Insassen gegen Entgelt oder unentgeltlich befOrdert wurdenl6

lm europiiischen Vergleich geradezu spannend ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Gefàhrdungshaftung ausgeschlossen oder gemindert sein soli. Übereinstimmung herrscht dahingehend, dass Mangel des Kraftfahrzeugs keinen Entlastungsgrund bedeuten, unabhlingig davon, ob sie dcm Haftpflichtigen erkennbar sind".

Traditionell greift die Gefàhrdungshaftung nicht ein, wenn der Unfall auf hoherer Gewalt, Zufall oder ausschliesslich auf dem Verhalten des Geschiidigten oder eines Dritten beruht. Solche Ausschlussgründe beste-hen in zahlreichen RechtsordnungenJs. Inzwischen herrscht aber selbst insoweit keine Einigkeit mehr: Nach der franzosischen Loi Badinter entla-stet hëhere Gewalt oder das Eingreifen Dritter nichtJ9. Ein wichtiges Motiv fur die Schaffung der Loi Badinter bestand gerade darin, dem Halter und Fabrer diese Entlastungsmoglichkeiten zu nehmen40. Auch nach der belgi-schen Versicherungslôsung deckt die Versicherung des ~Ialters den Scha-den selbst bei Zufall4'.

l4 SA - für Personensch5.den - bei der belgischen Vcrsicherungslôsung, nach finnischem Recht sowie nach dem schwedischen Verkehrshaftpflichtgesetz. Nach diesem erhalten der Fahrer und Passagiere stets Ersatz von derjenigen Kfz·Haftpflichtvcrsichcrung, die für das Fahneug galt, in dem sie sich befanden. Es ist ihncn dagcgen nicht moglich, sich an die gegncrische Versicherung zu halten, vgl. Henning mUe, Landesbericht Schweden, in: von Bar (Hg.), Dcliktsrecht in Europa, S.49.

35 So n8ch dem itaJienischen Codice civile, vgl. Clan / Trabucchi, Commentario breve al Codice civile, Art. 2054 Rn. 2 mit Nachweisen der Rechtsprechung; ebenso nach griechi-schem Recht, An. 12 des griechischen KfzHaftPflG.

36 So in Art. S04 des portugiesischen COOigo civil; 50 auch § 8a Abs. 1 des deutschen S,VG in der bis in das J.br 2002 hinein gellenden al'en Fassung

37 Eine seltene Ausnahme bildet Art. 5 Abs. 2 des griechischen Haftpflichtgesetzes, D3ch dcm es den Fahrer eines Pkw entlastel. wenn er nachweist, dass es ihm bei aller Sorgfult nichl moglich war, Kenntnis von dem Mangel des Kfl. zu erlangen. - ln den meisten an-deren Rechtsordnungen baftet der Fahrer ohnehin nur verschuldensabhlingig.

38 So namentlich in Deutschland, Osterreich, Luxemburg, den ~iederlanden, Italien, Spanien, Griechenland.

3' Art 2 der Loi Badinter, hierzu z.B. ~ney. Indemnisation des victimes, no. 18 ff.

40 Bei der obcn beschriebenen Verantwortlichkeit auf Grundlage der Sachhalterhaftung des Art. 1384 des Code civil hàtte er sieh auf diese Entlastungsgründe bcruren kônnen.

Hicrzu und ru den Motiven fur die Schatfung der Loi Badinter Jljney, Indemnisation des victimes, no. 4; Starck / Roland / Boyer, Obligations, 1. Responsabilité délietuelle, no. 750 If.

" Art. 29bis § 1 Ab,. 3 des belgischen KfzPflVersG.

TRANSNATIONAlEPERSPEKTIVE 91

Nach a1lgemeinem Haftungsrecht fiihrt ein Mitverschulden des Ge-schiidigten in wohl allen europiiischen Rechtsordnungen grundsiitzlich dazu, dass der Ersatzanspruch anteilig gemindert wird. Für Unfallschiiden im Strassenverkehr wurden die Auswirkungen des Mitverschuldens in einigen Rechten jedoch erheblich modifiziert: 50 wird ein Mitverschulden nach der niederliindischen Rechtsprechung bei Verkehrsunfallen nur noch jenseits einer Haftungsquote von 50% beTÜcksichtigt42.

Mehrere Rechtsordnungen schen auch beim Mitverschuidensmassstab Privilegierungen des Verkehrsunfallopfers vor: Nach der franziisischen Loi Badinter wirkt ein Mitverschulden von Personen, die selbst kein Kraftfahr-zeug fiihrten (also von typischerweise besonders schwachen Opfern von VerkehrsunfaIlen wie Fussgiingern oder Fahrradfahrern), hinsichtlich ihrer Personenschiiden nur noch dann anspruchsmindernd, wenn es unent-schuldbar und ausschliessliche Ursache des Unfalles war43. Auch die bel-gische Versicherungslôsung sieht eine solche Privilegierung von Verkehrs-unfallopfern vor". Nach schwedischem und iihnlich nach diinischem Recht werden bei Personenschiiden grundsiitzlich nur Vorsatz und grobe Fahrliis-sigkeit des Unfallopfers beTÜcksichtigt4s.

Weitere Differenzierungen werden manchenorts zugunsten besonders junger, vereinzelt auch zugunsten iilterer Verkehrsteilnehmer gemacht: Die niederliindische Rechtsprechung beTÜcksichtigt bei Personen unter 14 Jah-ren nur Vorsatz und bewusste Fahrliissigkeit anspruchsmindernd46. Nach der belgischen Versicherungslôsung bleibt selbst grobes Mitverschulden des Opfers unbeTÜcksichtigt, wenn dieses jünger aIs 14 Jahre war. Die franziisische Loi Badinter dehnt diesen Schutz bis zum 16. Lebensjahr aus und erstreckt ihn auch auf Personen, die iilter aIs 70 Jahre sind. fhr

Mitver-42 Niederlandischer Hoge Raad 28.2.1992, Nederlandse jurisprudentie (NJ.) 1993, 566.

4J "inexcusable", Art. 3 Abs. 1 der Loi Badinter; Beispiele bei v,ney, Indemnisation,

DO. 32 ff.; 50 ctwa, wenn cin Fussganger unverrnittelt an vôHig unübersichtlicher SteUe am Ausgang cines Tunnels oder hinter eÎner Hecke hervor cine vielbefahrene Strasse überquert, siche - slellvcrtrctcnd für vicie - die Entscheidungen der Cour de Coss. 15.6.1988, Bull.

civ. JI, no. 138, oder 28.6.1989, Bull. civ. Il, no. 137.

44 Das Opfer kaon sich nur dann nicht auf den Versicherungsschutz berufen, wcnn es über 14 Jahre aIt ist und zu dem Unfall durch ein unentschuldbares Fehlverhalten (cine faute inexcusable) beigetragen hal und dies dÎe alleinige UnfaUursache war (la seule cause de l'accident), Art. 29bis § 1 Abs. 5 und 7 des belgischen KfzPflVersG.

" 12 § Abs. 1 S. 1 des schwedischen Verkehrsschadcnsgesetzes (SFS 1975:1410); § 101 Abs. 2 des dtinischen Geselzes über Strassenverkehr .

.. Hoge Raad 1.6.1990 (Ingrid Kolkman), NJ. 1991, 720, und Hoge Raad 31.5.1991 (Marbclh van Vitregt), NJ 1991, 721, dazu z.B. van Boom / Nieper, VersR-AI 1998, 60 (61).

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schulden wird nur beTÜcksichtigt, wenn sie den Unfall willentlich herbei-geführt haben47.

Andere Rechtsordnungen k"ennen keine solche Privilegierung des Op-fers von Strassenverkehrsunfallen.

ln Deutschland werden mit der Gefahrdungshaftung Haftungshiichst-summen verbunden4'. Der deutsche Gesetzgeber wollte so dem Umstand gerecht werden, dass "die Gefahrdungshaftung ein weniger zwingendes Schadensüberwiilzungsprinzip sei aIs der Verschuldensgrundsatz"4'. Zu-dem ist in Deutschland die Auffassung verbreitet, die Kalkulation der Ver-sicherungspriimien werde bei der Gefahrdungshaftung erst durch Haf-tungshiichstsummen miiglich.

lm europiiischen Vergleich zeigt sich jedoch, dass die Gefahrdungs-haftung keineswegs gesetzliche Haftungshiichstsummen erforderlich macht, ja dass die summenmiissige Beschrankung der Gefahrdungshaftung rur Verkehrsunfalle in Europa sogar eine seltene Ausnahme ist. So ist die Gefahrdungshaftung im Strassenverkehr ausser in Deutschland in Oster-reich und Portugal durch eine Hiichstsumme begrenzt50In der grossen Mehrzahl der europiiischen Rechte haIt man Haftungshiichstsummen da-gegen auch bei der objektiven Haftung für nicht erforderlich.

lm europiiischen Rechtsvergleich finden sich weitere Beschriinkungen der objektiven Haftung für Verkehrsunfallschiiden, die auf einzelne Rechtsordnungen begrenzt sind. Die meisten Rechtsordnungen erstrecken die Gefahrdungshaftung gleichermassen auf Personen- wie Sachschaden51.

In Finnland und Spanien gilt das gesetzliche Regime der Gefahrdungs-haftung dagegen allein für Personenschiiden, wiihrend für Sachschiiden die Regeln der Verschuldenshaftung massgeblich sind. In den Niederlanden erstreckt sich die objektive Haftung zwar auch auf Sachschiiden; sie ist bei diesen aber grundsiitzlich auf den Wert des Pkw beschriinkt52. lm belgi-schen Haftungsrecht gilt überhaupt noch die Verschuldenshaftung. Wie gesehen, wird dies zwar dadurch kompensiert, dass der Versicherer des

47 Art. 3 Abs. 2 und 3 der Loi Badinter. Beispiel: Selbstrnord oder selbstmôrderisches Verhalten des Unfallopfers, Cour de Casso 24.2.1988, Bull. civ. II, no. 49; Cour de Casso 21.7.1992, Recueil Dalloz (D.) 1993, Somm. 212 Anm. Aubert; zu diesen "victimes super-privilégiées ou super-protégées" auch Starck 1 Roland / Boyer. Obligations, 1., no. 820 ff.

48 Dazu elwa Esser / Weyers, Schuldrecht, Il, BT 2, § 63 Il 5.b); so in § 12 des StYG.

49 Esser / Weyers, aaO.

50 Siehe rur Dsterreich § 15 Abs. 1 des EKHG; rur Portugal § 508 des COdigo civil.

51 So etwa das deutsche, das schweizerische und das italienische Recht.

52 Art. 185 des niederlândischen StVG (Wegenverkeerswet): Wert des Pkw, mindestens aber 500 hfl.

TRANSNATIONALE PERSPEKllVE 93

Ralters fur die Unfallschiiden selbst dann einsteht, wenn der Halter (man-gels Verschuldens) zivilrechtlich nicht haftet. Dies giIt jedoch nur fur Per-sonen-, nicht aber für Sachschiiden, so dass es für diese bei der Verschul-denshaftung bleibt.

Die Vorstellung, Scbmerzensgeld müsse auf die Haftung wegen Ver-schuldens beschriinkt sein, herrscht heute noch in Italien. In Deutsch/and wurde diese Auffassung lcürzlich aufgegebenS3. ln Frankreich, Luxemburg, den Nieder/anden, in 6sterreich und in der Schweiz, in Spanien, Porlllga/

und Griechen/and wird Schmerzensgeld seit langem auch auf Grundlage objektiver Haftung gewiihrt.

In den Schadensrechten der europiiischen Staaten kommen vieWiltige weitere Unterschiede hinzu. Sie führen in konkreten Fallkonstellationen selbst dann zu erheblichen Unterschieden in den Ergebnissen, wenn über den Anwendungsbereich der Gefàhrdungshaftung, den Kreis der Haft-pflichtigen und Berechtigten sowie über Voraussetzungen und Grenzen der objektiven Haftung ausnahmsweise einmal Einigkeit herrscht.

II. Konsequenzen für transnationale Konstellationen

ln greozüberschreitenden Fallkonstellationen haben die erwiihnten Unter-schiede der materiellen Rechte erhebliche Konsequenzen.