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Beispiel 3: Haftung for Unfallschiiden im Strassenverkehr

Thomas Kadner Graziano

C. Beispiel 3: Haftung for Unfallschiiden im Strassenverkehr

Die oben gesehilderten zahlreiehen Untersehiede bei der Haftung flir Ver-kehrsunfalle geben in konkteten Fallkonstellationen ebenfalls vieWiltigen Anlass zum Forum-Shopping. Die Reebtslage in transnationalen Konstel-lationen kann hier noch erheblieh komplizierter sein ais etwa im obigen Beispiel des Sportunfalls63. Der untersehiedliche Umfang objektiver Haf-tung bei Verkehrsunfallen hat aber über den Einzelfall weit hinausreichen-de, den einheitlichen europiiiseben Markt berührende Konsequenzen.

Entgegen allen Bestrebungen der Europiiischen Union gibt es in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversieherung einen europâischen Versicherungs-markt praktisch nieht. Nach wie vor bieten die Kfz-Haftpfliehtversicherer ihre Produkte fast ausschliesslich auf den nationalen Teilmiirkten an. Von einem Binnenmarkt ohne Grenzen kann auf diesem Sektor faktisch noeh keine Rede sein.

Ein Hauptgrund hierfùr liegt nach Angaben der Versicherer in den Unterschieden der nationalen Haftungs- und Schadensrechte, die es den Versicherem praktisch unmôglich machten, ihre Produkte ausser auf dem-jenigen nationalen Markt, fiir den sie konzipiert seien, auch auf ausliindi-schen Miirkten den dortigen Kunden anzubieten. Die europaweite Situation im Hafhmgsrecht wird aIs vôllig intransparent angesehen und es herrseht, aus gesamteuropiiischer Sieht, erhebliehe Rechtsunsieherheit. Ein grenz-überschreitender Wettbewerb findet - vor allem aus diesem Grund - prak-tisch nicht statt"'.

63 Siehe etwa das Beispiel eines Verkehrsunfalles mit Auslandsbc:rührung bei KadlJer Graziano. Gemeineuropaisches Internationales Privatrecht, S. 466 If.

~ ZUI Prasenz auslandischer Untcmehmen auf inHindischen (Teil-) Markten und einem international en Wenbc:werb kommt es allein infolge von Fusionen oder der Griindung auslandischer Niederlassungen, also dadurch, dass von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht wird, nicht dagegen im Wege grenzüberschreitender Dienstleistungen und dem Gebrauchmachen von der Dienstleistungsfreiheit. Kleinere Untemehmen, flir die Fusionen

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III. Ausblick

Bei der objektiven Haftung- bèstehen zwischen den nationalen Rechten vieWiltige und zum Teil erhebliche Unterschiede in den Einsatzbereichen dieser Haftung, in den Haftungsvoraussetzungen in den Schadensrechten und infolgedessen auch in den Ergebnissen im Einzelfall. In transnationa-len Konstellationen geben diese Unterschiede vieWiltigen Anlass zum Forum-Shopping und schaffen ein reiches Betatigungsfeld fiir Anwalte, welche die transnationale Perspektive beherrschen. Die geschilderten Bei-spielsfâlle môgen dies verdeutlichen.

Man mag die oben exemplarisch geschilderten Konsequenzen, zu denen die Unterschiede der objektiven Haftungen in transnationalen Kon-stellationen und aus gesamteuropaischer Sicht fiihren, zum Anlass nehmen, fiir eine Harrnonisierung oder Rechtsvereinheitlichung auf eu-ropaischer Ebene einzutreten. Eine solche Vereinheitlichung WÜTde in transnationalen Konstellationen Forum-Shopping obsolet rnachen, Rechts-sicherheit schaffen und die Transparenz des europaischen Rechtszustandes erhôhen.

Wer fiir eine Rechtsvereinheitlichung eintritt, steht vor der Frage nach deren Gegenstand: Zum Teilliessen sich die erwahnten Ziele bereits durch eine Vereinheitlichung deIjenigen Regelungen erreichen, welche der Koordination der unterschiedlichen nationalen Haftungsrechte dienen, durch eine Vereinheitlichung des Koordinationsrechts oder IPR also. Man kônnte daher erwiigen, die Bemühungen um Rechtsvereinheitlichung statt auf das materielle Recht auf das Koordinationsrecht der ausservertragli-chen Schuldverhaltnisse zu konzentrieren - und zu beschranken. Arbeiten zur Vereinheitlichung des Koordinationsrechts der ausservertraglichen Haftung sind in der Europaischen Kommission Iatsiichlich bereits im Gangé'.

Ein einheitliches europaisches IPR würde Forum-Shopping obsolet machen und manche der dargestellten Verwerfungen beheben. Andere Probleme blieben dagegen bestehen, so etwa die faktischen Hindemisse, welche von den Unterschieden der nationalen Haftungsregelungen fiir die

oder die Grundung von Niederlassungen nicht in Betracht kommen oder einen zu grossen Aufwand darstellen, sind vom intemationalen Wettbewerb damit faktisch ausgeschlossen.

65 lm Juli 2003 wurde ein konkreter Regelungsvorschlag vorgelegt, siehe die "Proposition de règlement du Parlement Européen et du Conseil sur la loi applicable aux obligations non contractuelles (Rome II)'' vom 22.7.2003, COM(2003) 427 final.

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Europaisierung des Haftpflichtversicherungsmarktes und damit fur die Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit ausgehen.

Diese Hindernisse kônnen daher Anlass geben, sich Gedanken über eine Harmonisierung auch des materiellen Haftungsrechts zu machen66.

Wer solche Überlegungen fur den Bereich der objektiven Haftung anstellt, steht nicht nur vor der Aufgabe, erhebliche rechtstechnische Unterschiede zu überwinden. ln vielen Punkten gilt es hier angesichts vielniltiger und ganz erheblicher Unlerschiede zunachst, Einigkeit über den Zweck und die Anwendungsbereiche objektiver Haftung sowie über den Umfang einer solchen Haftung zu erzielen. So ware etwa - ganz grundlegend - zu kliiren, ob die objektive Haftung auf bestimmte Gefàhrdungstatbestiinde beschriinkt werden und diese enumerativ aufgefuhrt werden sollten, wie dies gegenwartig etwa im deutschen Recht der Fall ist, oder ob - wie zum Beispiel bei der franzosischen Sachhalterhaftung oder auch im schwei-zerischen Vorentwurf eines Bundesgesetzes zur Überarbeitung und Verein-heitlichung des Rechts der ausservertraglichen Haftung67 - eine General-klausel objektiver Haftung den Vorzug verdien!. Zudem ware wohl zu kliiren, inwieweit der Gedanke einer lntemalisierung externer Effekte, dem zum Beispiel im Umwelthaftungsrecht zu Recht eine zunehmende Bedeu-tung eingeraumt wird, zu einer Ausdehnung objektiver Haftung über be-sonders gefàhrliche Aktivitiiten hinaus fuhren sollte. Angesichts solcher Fragen sowie der oben erwahnten und vieler weiterer Unterschiede der materiellen Rechte bietet die objektive Haftung fur Überlegungen zur Rechtsharmonisierung ein reiches Betatigungsfeld.

Ausser der Frage, ob und was harmonisiert werden soli, stellt si ch die weitere Frage, auf welchem Weg dies geschehen konnte oder sollte. Man kann einer VereinheitIichung der europaischen Regelungen objektiver Haftung auf dem Gesetzeswege durchaus kritisch gegenüberstehen. Zum Ende der Tagung wurde von einem Teilnehmer insoweit auf den Rechtszustand in den USA verwiesen, wo die Kompetenz fur das ausservertragliche Haftungsrecht trotz einheitlichen Wirtschaftsraumes bei den 50 Einzelstaaten belassen wurde, ohne dass dies zu unüberwindbaren Schwierigkeiten und zu einer heillosen Rechtszersplitterung im einh eitli-chen Wirtschaftsraum USA gefuhrt hatte.

66 Siche auch Magnus, Europa'und sein Deliktsrecht - Gronde fiir und wider die V erein-heitlichung des ausservenraglichen Haftungsrechts, in: Kozioll Sp;er (Hg.), Liber Amico-rom Pierre Widmer, S. 221 ff.

61 Art. 50 des Vorentwurfes.

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Für den Fortbestand einzelstaatlicher Kompetenz liesse sich anfiihren, dass sie Spielraum fUr die ~nl!Vicklung unterschiedlicher Lôsungen und deren Test in der Praxis schafft und sie so einen Wettbewerb unterschiedli-cher Lësungen erlaubt. Tatsiichlich stellen die USA mit ihren 50 Einzel-staaten gleichsam ein Laboratorium des Rechts dar, in dem unterschiedli-che Lësungen entwickelt und getestet werden· kënnen, in Konkurrenz miteinander treten und sich in anderen Bundesstaaten durchsetzen oder im Wettbewerb der Lësungen wieder verworfen werden. Der viel beklagte

"versteinernde Effekt" (ossifoing effect oder effet pétrifiant) von Einheits-gesetzgebung wird so vermieden. Die gegenseitige Kenntnisnahme vonei-nander und die über die Lôsungen des eigenen Staates hinausweisende Perspektive haben zudem den Effekt einer "sanften Harmonisierung" des Rechts. Einzelstaatenkompetenz ist also keineswegs mit einer heillosen Rechtszersplitterung verbunden oder gar gleichzusetzen68 Je nachdem, wieweit die sanfte Hannonisierung reicht, kann diese durchaus auch An-reize zum Forum-Shopping beseitigen.

Ali die in den USA zu beobachtenden positiven Effekte rechtlicher Vielfalt und sanfter Hannonisierung infolge des Wettbewerbs unterschied-licher Lôsungen setzen jedoch voraus, dass von andemorts geltenden Lësungen Kenntnis genommen wird, man sich also in Lehre und Studium, in Dogmatik und Rechtsprechung nicht auf die Lôsung des eigenen Rechts beschriinkt. In den USA ist diese Voraussetzung gegeben und die grenz-überschreitende Perspektive im Verhiiltnis der 50 Einzelstaaten zueinander selbstverstandlich. Für die USA kann daber trotz unterschiedlicher einzel-staatlicher Regelungen von einem fundierten die einzelnen Bundesstaaten übergreifenden einheitlichen Rechtsbewusstsein gesprochen werden69.

In Europa sind wir hiervon noch weit entfemt. Der Lage in den USA und derjenigen in Europa ist gemeinsam, dass es hier wie dort an der ge-setzgeberischen Kompetenz der Union fUr eine fliichendeckende Verein-heitlichung des ausservertraglichen Haftungsrechts und damit auch der objektiven Haftung fehlt. Auch in Europa dürften angesichts zablreicher Unterschiede und vieler grundsiitzlicher Fragen, die vor einer Vereinheitli-chung der objektiven Haftung(en) noch zu kliiren sind, sanfte Wege der Hannonisierung gegenwiirtig den Vorzug verdienen vor gesetzgeberischen Akten der Vereinheitlichung. Eine gegenseitige verstiirkte Kenntnisnahme

68 Dazu - flir das Gebiet des Vertragsrechts, auf dem die Situation vergleichbar ist - ein·

drucksvoll Eisenberg, Why is American Contract Law 50 Uniform, in: Hans·Leo Weyers (Hg.), Europaisches Vertragsrecht, S. 23 ff.

69 Ausfiihrlich und instruktiv Eisenberg, aaO.

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voneinander durch eine Europaisierung der Lehre und der rechtswissen-schaftlichen Literatur, eine Hannonisierung durch Rechtsprechung, die Ausarbeitung "europiiischer Prinzipien" iihnlich den US-arnerikanischen Restatements stellen auch hier notwendige Etappen auf dem Weg zu einem wirklich einheitlichen Recht und Rechtsbewusstsein dar70

Auf dem Gebiet der ausservertraglichen und insbesondere der objek-liven Haftung zu den Entwicklungen auf dern Gebiet des europiiischen Vertragsrechts aufzuschliessen, wo wir auf diesem Weg schon sehr viel weiter fortgeschritten sind, stellt eine der grossen aktuellen Herausfor-derungen des europaischen Privatrechts dar.

70 Ein tür das europàische Privatrecht historischer Schritt wurde soeben durch die Er/ro-pean Group on Torl Law (Groupe de li/burg/Vienne) getan mit der Vorstellung ihrer " Prin-cipes européens du droit de la responsabilité extra-contractuelle 1 Principlcs of European Tort Law"; cine kommentierte Veroffentlichung der Principles ist rur das Jahr 2004 vorge-.. ben.

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La vente internationale d'un produit défectueux