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Die Auswirkungen der Missbrauchskontrolle auf die Innovationstätigkeit

Auf der Suche nach festerem Grund

B. Marktbeherrschende Stellung

III. Die Auswirkungen der Missbrauchskontrolle auf die Innovationstätigkeit

Im folgenden soll am Beispiel des Innovationsaspekts die Leistungsfähigkeit des neuen analytischen Instrumentariums getestet werden. Eine der innova-tivsten Branchen ist die Informationstechnologie. Hier sind zahlreiche markt-beherrschende Stellungen entstanden, die nicht so sehr auf Grössenvorteilen, sondern auf dem Netzwerkeffekt beruhen : Eine bestimmte Technologie setzt sich durch, weil der Nutzen des einzelnen Kunden dadurch steigt, dass mög-lichst viele dasselbe Produkt benutzen. Hohe Marktzutrittsschranken sind die Folge. Es stellt sich die Frage, welche Grenzen dem Marktbeherrscher durch

5 S.SchwalbeU.,ZimmerD.,Kartellrecht und Ökonomie, Frankfurt am Main (Verlag Recht und Wirt-schaft) 2006, S. 58 Fn. 16, wo der Unterschied zwischen Marktmacht im ökonomischen und Marktbe-herrschung im juristischen Sinn betont wird.

das Missbrauchsverbot gezogen sind. Von paradigmatischer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang derMicrosoft-Fall. Die Europäische Kommission hat, bestätigt durch das Europäische Gericht erster Instanz, zwei Missbräuche fest-gestellt, nämlich erstens die Weigerung, konkurrierenden Anbietern von Ser-versoftware die nötigen Schnittstelleninformationen zum Windows-Betriebs-system zu liefern, und zweitens die Integration desMicrosoft-eigenenWindows Media Playerin das Betriebssystem zum Nachteil von konkurrierenden Anbie-tern von Medienabspielsoftware.

Die Ausführungen der Kommission in der Mitteilung zum Behinderungs-missbrauch spiegeln die Argumentation derMicrosoft-Entscheidung : Die Zu-rückhaltung von Schnittstelleninformationen wird als Anwendungsfall der Lieferverweigerung, die Integration des Media Player als Kopplungsstrategie eingeordnet. Im Zusammenhang mit der Fallgruppe Lieferverweigerung wer-den die Auswirkungen auf die Innovationsanreize ausreichend berücksichtigt (s. z. B. Rdn. 75, 82, 87, 89 f. des Kommissionspapiers). Einer Neo-Schumpe-ter’schen Position, die auf kartellrechtliche Eingriffe gänzlich verzichten möch-te, wird eine Absage erteilt. Die Anwendung von Art. 82 EG wird von diffe-renzierten Bedingungen abhängig gemacht.

Anders verhält es sich beim Thema « Kopplung und Bündelung ». Eine spezielle Reflexion über den Einfluss von Kopplungsverboten auf das Innova-tionsverhalten ist nicht vorhanden. Damit wird die Gelegenheit zur Korrektur einer eklatanten Schwachstelle derMicrosoft-Entscheidung verpasst. Bekannt-lich hatte die Kommission die Integration des Media Player in das Betriebssys-tem deshalb als Missbrauch angesehen, weil die ubiquitäre Verbreitung des Windows-Programms zu einer erheblichen Schwächung konkurrierender Me-dienabspielsoftware führe. Diese Argumentation ist konsistent und wurde zu Recht vom Gericht erster Instanz bestätigt. Anders verhält es sich mit der hie-raus abgeleiteten Rechtsfolge :Microsoftwurde dazu verpflichtet, eine Version desWindows-Betriebssystems ohne den Media Player anzubieten. Da das Un-ternehmen das Recht hat, die Vollversion zum selben Preis wie die « EU-Ver-sion » anzubieten, ist das Interesse an der GrundverEU-Ver-sion verschwindend gering geblieben, was zu Spott und Autoritätsverlust für das europäische Kartellrecht geführt hat.

Aber auch inhaltlich kann die Entbündelungsanordnung nicht überzeu-gen : Einem Unternehmen, das auf Hochtechnologiemärkten tätig ist, werden Vorschriften über den inhaltlichen Zuschnitt und die Weiterentwicklung seiner Produkte gemacht. Hier geht es nicht um mehr oder weniger indirekte Auswir-kungen auf die Anreizstrukturen, sondern um technische Eigenschaften des Produkts selbst. Die Konsequenzen sind unabsehbar. Überall, wo der Netz-werkeffekt zu Ubiquität führt, wären den Innovationsmöglichkeiten enge Gren-zen gesetzt, nicht nur auf den Softwaremärkten, sondern–um nur ein Beispiel zu erwähnen–auch bei Suchmaschinen, wo der Marktbeherrscher in der

Auf-nahme neuer Funktionen eingeschränkt wäre. Ganz in diesem Sinn verfolgt die Europäische Kommission ein weiteres Verfahren gegenMicrosoft: Diesmal geht es um die Integration des BrowsersInternet Explorerin das Betriebssystem.6

Von dieser Vorgehensweise sollte Abstand genommen werden. Zwar fol-gen aus Art. 82 EG besondere Anforderunfol-gen an das Verhalten von Marktbe-herrschern. Auch sollte das Missbrauchsverbot dafür sorgen, dass marktbe-herrschende Unternehmen ihre Marktmacht nicht wettbewerbswidrig auf andere Märkte ausdehnen. Dies sollte aber nicht der weiteren Entwicklung der IT-Märkte im Wege stehen. Zu fordern ist, dass die Auswirkungen auf die Innovationstätigkeit nicht nur bei der Auslegung des Missbrauchstatbestands, sondern auch bei der Ausgestaltung der Rechtsfolgen einbezogen werden soll-ten. Gefordert sindsmart sanctions, die Missbräuche verhindern, aber nicht zur Behinderung des technischen Fortschritts führen. Für die Microsoft-Problema-tik bedeutet dies z. B., dass neu in das Betriebssystem aufgenommene Funktio-nen in deradd/remove-Liste erscheinen müssen, vom Nutzer also unsichtbar gemacht werden können, dass den Distributoren keine Wettbewerbsverbote auferlegt werden, und dass vor allem den Anbietern konkurrierender Produk-te die Distributionswege des Marktbeherrschers durch eine must carry-Ver-pflichtung geöffnet werden.

Im Kommissionspapier zum Behinderungsmissbrauch wurde in dieser Hinsicht eine Chance verpasst : Zwar wird näher ausgeführt, unter welchen Vo-raussetzungen der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorliegt.

Eine Hilfestellung dabei, wie die Missbräuche verhindert werden können, ohne dass der Innovationstätigkeit des Marktbeherrschers Steine in den Weg gelegt werden, erfolgt aber nicht.

IV. Ausblick

Das Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen eröffnet unter al-len kartellrechtlichen Tatbeständen die grössten Auslegungsspielräume. Dies schafft Rechtsunsicherheit, zunächst bei den Unternehmen, die in den Anwen-dungsbereich des Missbrauchsverbots fallen könnten, aber auch bei den Kartell-behörden und bei potentiellen Zivilklägern. Es ist deshalb von grosser Bedeu-tung, die Konturen der Norm zu schärfen. Die Mitteilung der Europäischen Kommission ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, kann aber nur ein Anfang sein. Die traditionell durch das Missbrauchsverbot aufgeworfenen Pro-bleme zeigen, dass die stärkere Einbeziehung wirtschaftswissenschaftlicher Konzepte durchaus Chancen für die Herstellung von mehr Rechtssicherheit bie-tet.

6 S.Eur opäische Kommission, MEMO/09/15 vom 17. 1. 2009.