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ZUR SCHAFFUNG VON PRIVILEGIERTEN AKTIEN UND VON GENUSSCHEINEN

(DER ANWENDUNGSBEREICH

voN ART. 655, ART. 648 ABs. l UND ART. 658 OR)

1.

lm Jahre 1933 hat Professor Carry in einer ausführlichen

«Note» der «Semaine judiciaire» 1 die Grundsiitze festgehalten, die damais, unter der Herrschaft des Obligationenrechts von 1881 (aOR), für die (nachtriigliche) Ausgabe von Vorzugsaktien, einschliesslich Stimmrechtsaktien, galten: Da jede Sondernor~

fehlte, durfte die Generalversammlung diese Ausgabe mit einfacher Stimmenmehrheit beschliessen (Art. 648 aOR). Sie verletzte damit kein wohlerworbenes Recht der bisherigen Aktioniire (Art. 627 Abs. l aOR), vorausgesetzt, dass die Ausgabe nicht willkürlich war und alleu Aktioniiren Gelegenheit gegeben wurde, «de parti-ciper à l'opération en faisant les versements nécessaires» 2

1 1933, S. 445 ff., zum Bundesgerichtsurteil i.S. Stoll c. Trullas & cie.

(BGE 59 II 44).

2 Diese Formel die das Bundesgericht von Carl 'Vieland (Handelsrecht II 202) übernommen hatte (BGE 59 II 49), wurde von Prof. Carry (aaO.

S. 447 f) restriktiv ausgelegt: Nach seiner Ansicht gewahrleistete sie (ent-gegen Wieland) kein Bezugsrecht der alten Aktionare bei der Ausgabe neuer Vorzugsaktien, sondern betraf nur den Fall, da die Gesellschaft, ohne das Grundkapital zu erhéihen, die Umwandlung bisheriger Aktien in Vor-zugsaktien gegen Zuzahlungen der Aktionare vorsah (hienach II, Fall 6);

jeder Aktionar sollte alsdann das Recht haben, solche Zuzahlungen zu leisten und auf diese Weise die Umwandlung seiner Aktien zu erreichen.

Das revidierte Obligationenrecht von 1936 gestattet nunmehr der Generalversammlung ausdrücklich, « die Ausgabe von Vorzugs-aktien » zu beschliessen cc oder bisherige Aktien in Vorzugsaktien » umzuwandeln (Art. 654 Abs. l). Doch hat es den frühern Rechts-zustand insofern geandert, als es Beschlüsse cc über die Ausgabe von Vorzugsaktien » den gleichen Anforderungen unterstellt wie Art. 646 die Beschlüsse über eine Erweiterung des Geschaftsbereichs:

Mindestvertretung von zwei Dritteln des Grundkapitals, unter Vorbehalt der Einberufung einer zweiten Versammlung mit Mindestvertretung von einem Drittel (Art. 655). Zudem sind cc Vorzugsaktien » nur solche, die einen vermogenswerten Vorzug gewahren (Art. 656). Daneben gibt es, als zweite Art einer privile-gierten Aktie, die Stimmrechtsaktie, die nur mit Zustimmung von zwei Dritteln des Grundkapitals cceingeführt » werden kann (Art. 648 Abs. I}. Unbekannt ist dem geltenden Recht, wie schon dem aOR, die stimmrechtslose (Vorzugs-)Aktie 1 Dagegen kennt das Gesetz die Genusscheine. Sie konnèn keine Verwaltungs-, wohl aber gleiche Vermogensrechte gewahren wie Aktien (Art. 657 Abs. 4). Ihre

« Ausstellung » unterliegt derselben qualifizierten Beschlussfassung wie die cc Ausgabe »von (gewohnlichen) Vorzugsaktien (Art 658).

Somit gelten seit 1937 drei Vorschriften, welche die Beschlüsse über die cc Ausgabe », cc Einführung » und « Ausstellung >> von privilegierten Aktien und Genusscheinen erschweren. lm folgenden sei versucht, deren Anwendungsbereich naher zu umschreiben.

Zum voraus ist sicher, dass alle drei Vorschriften nur bei nach-traglicher Schaffung gelten. Werden privilegierte Aktien und Genusscheine bei der Gründung einer Gesellschaft geschaffen -was zulassig ist 2 - , so sind die Art. 655, 648 Abs. l und 658 weder unmittelbar noch analog anwendbar. 3 Damit ist auch der gesetz-ge beriche Z weck dieser Vorschriften klargestellt : Sie dienen einzig

1 Vgl. demgegenüber das deutsche Aktiengesetz, § n5.

2 Für Vorzugsaktien: Botschaft 1928, 29; SrnGWART N. 16 zu Art. 654 - 56. Für Stimmrechtsaktien: Sten. Bull. Standerat 1931, 364; Protokoll der nationalriitlichen Kommission VII. Session S. 24 ; BIBER, Die Stimm-rechtsaktie .. ., Diss. Zürich 1940, rn3 ff. ; BüRGI N. 20 zu Art. 693. Für Genusscheine: Art. 657 Abs. 2; SIEGWART N. 18 zu Art. 657158; JA.GGI SAG 34,1 ff. ; vgl. auch BGE 31 II 441 ; Archiv f. schweizer. Abgaberecht 17, 541.

3 SIEGWART N. 16 zu Art. 654 - 56 und N. 14 zu Art. 657/58; BIBER, aaO, 103 ff.

dem Schutz der (bisherigen) Aktionare 1Dagegen will das Gesetz die Schaffung von privilegierten Aktien und von Genusscheinen nicht schlechthin erschweren, etwa um der èiffentlichen Ordnung willen oder um dem Verkehr die Übersicht über die gesellschafts-internen Verhaltnisse zu erleichtern. Sonst hatte das Gesetz auch die Schaffung bei der Gründung erschweren müssen.

Gelten die drei Vorschriften in

f

edem F all nachtraglicher Schaffung? Das ist die Hauptfrage, die wir uns stellen. Sie ist für jede Vorschrift gesondert zu prüfen, wobei, was die (disposi-tiven) Art. 655 und 658 anbetrifft, auf die Mèiglichkeiten ab-weichender statutarischer Ordnung nicht eingetreten wird.

II.

Art. 655 bezieht sich, nach seinem Wortlaut, (nur) auf die

« Ausgabe » («émission») von Vorzugsaktien. Nach allgemeinem Sprachgebrauch bedeutet « Ausgabe » die Schaffung neuer Aktien neben bisherigen. Nun lasst sich aber die nachtragliche Schaffung von Vorzugsaktien auch so denken, dass bisherige Aktien in Vor-zugsaktien umgewandelt werden (was einzig dann einen Sinn hat, wenn die Umwandlung nur einen Teil der Aktien betrifft). Diese zweite Hauptmèiglichkeit wird in Art. 654 Abs. r ausdrücklich erwahnt, neben der Ausgabe. Sie ist also zulassig. Samit hat es den Anschein, dass es (einzig) zwei Falle nachtraglicher Schaffung von Vorzugsaktien gibt - Ausgabe und Umwandlung - und dass nur die Ausgabe einer qualifizierten Beschlussfassung bedarf.

Aber die Dinge liegen nicht so einfach. Denn einmal muss jeder Wortlaut wertend ausgelegt werden (Art. r Abs. r ZGB). Wie un-zuverlassig der Wortlaut für sich allein ist, zeigt schon der Umstand, dass der Randtitel zu Art. 654 nur die « Ausgabe » erwahnt, also mit diesem Ausdruck auch die in Abs. r von Art. 654 erwahnte Umwandlung einschliesst. Daher drangt sich die Frage auf, ob

« Ausgabe »in Art. 655 den gleichen weiten Sinn hat wie im Rand-titel oder ob « Ausgabe » auch hier, wie in Abs. r von Art. 654, als Gegensatz zur Umwandlung zu verstehen ist.

1 Vgl. Randtitel bei Art. 646 und Botschaft 1928, 27 f.

Sodann bezieht sich die Unterscheidung von « Ausgabe » und

« Umwandlung » nur darauf, ob alte oder neue Aktien bevorzugt werden. Daneben gibt es weitere Tatbestandsvarianten, die erst dann zum Vorschein kommen, wenn nicht nach dem Gegenstand der Bevorzugung, sondern nach andern Gesichtspunkten unter-schieden wird, namlich darnach: ob die Schaffung von Vorzugs-aktien mit einer Kapitalerhi:ihung verbunden ist und, falls das zutrifft, ob das neue Kapital durch die Zeichner der neuen Aktien oder aus Gesellschaftsmitteln liberiert wird; ob die Vorzugsaktionare für die Bevorzugung eine besondere Leistung zu erbringen haben ; ob die bisherigen Aktionare hinsichtlich der Bevorzugung einander gleichgestellt sind ; ob die Bevorzugung (nur) dadurch erreicht wird, dass (neue) Aktien mit Sonderrechten ausgestattet werden oder (nur) dadurch, dass die Rechtsstellung der bisherigen Aktien verschlechtert wird. Diese verschiedenen Einteilungen durch-kreuzen sich, so dass die Tatbestande nicht systematisch sauber gegliedert werden konnen. Doch lassen sich einzelne Hauptfülle unterscheiden. Für jeden von ihnen ist im folgenden zu prüfen, ob Art. 655 auf ibn anwendbar ist. Dabei wird der Einfachheit halber vorausgesetzt, dass es sich um die erstmalige Schaffung von Vorzugsaktien handelt.

FaU I: Kapitalerhi:ihung im gewohnlichen Sinn von Art. 650 ff (Liberierung der neuen Aktien durch die Zeichner). Die neuen Aktien sind Vorzugsaktien.

Das ist der Grundfall, da er <lem Wortlaut des Art. 655 (« Ausgabe ») am besten entspricht und überdies an den in Art. 650 ff. geregelten Tatbestand anschliesst. Unter dem Gesichtspunkt des gesetzgeberischen Zweckes (hievor 1) müssen aber innerhalb dieses Grundfalles zwei Varianten unterschieden werden: Der Kapitalerhi:ihungsbeschluss belasst das gesetzliche Recht der bisherigen Aktionare auf Bezug der neuen (Vorzugs-) Aktien oder er schliesst es aus (Art. 652). Gilt Art. 655 ohne Unterschied für beide Falle oder nur bei Ausschluss des Bezugsrechtes? Sofern er für beide Falle gilt, fragt es sich für den Fall des Ausschlusses weiter, ob die Anwendung des Art. 655 den Ausschluss ausreichend rechtfertigt, so dass er keiner weitern sachlichen Begründung bedarf. Art. 655 hangt somit aufs engste mit der Gestaltung des

Bezugsrechtes zusammen, ohne dass der Wortlaut dies erkennen Hi.sst.

Der Zusammenhang zeigt sich aber in den Gesetzesmaterialien:

Die Entwürfe von r9r9 (Art. 7r3 f.) und r923 (Art. 669 f.) wollten audrücklich die Ausgabe von Vorzugsaktien « mit oder ohne Vorrecht der bisherigen Aktionare auf den Erwerb von Vorzugs-aktien >> regeln, woraus zweierlei folgt : Die Entwürfe forderten eine qualifizierte Beschlussfassung auch dann, wenn das Bezugs-recht belassen wurde ; anderseits erachteten sie dessen Ausschluss ohne weiteres a1s zulassig. lm Entwurf von 1928 fehlte die ange-führte Wendung. Der Grund für ihre Weglassung wurde nicht angegeben. Allem Anschein nach war er nur redaktioneller Natur, da der heutige Art. 654 Abs. r aus andern Gründen neu gefasst wetden musste. Somit drangt sich die Annahme auf, dass das Gesetz auf dem gleichen Standpunkt steht wie die ersten Entwürfe.

Diese Annahme wird, was ausschlaggebend ist, durch sachliche Gründe gestützt, namlich durch die Interessenlage, auf welche Art. 655 zugeschnitten ist: Nach den Materialien schwebte dem Gesetzgeber einzig der Fall der Sanierung vor Augen. Nur dieser Fall wurde als Anlass zur Ausgabe von Vorzugsaktien erwahnt 1.

Bei einer Sanierung liegen aber die Varianten der Belassung und des Ausschlusses des Bezugsrechtes interessemassig nahe bei-einander. Denn alsdann sind die bisherigen Aktien schon aus wirt-schaftlichen Gründen entwertet. Wird ihre Rechtsstellung ver-schlechtert, durch Ausgabe von Vorzugsaktien, so ist das nur die adaquate Folge dieser Entwertung. Zudem bedeutet die Ausübung des Bezugsrechtes bei schlechter Finanzlage für den Aktionar eher ein Opfer, eine Art von (riskantem) Nachschuss gleich wie die Zuzahlung (Fall 6). Folglich wiegt auch der Ausschluss des Bezugs-rechtes nicht so schwer, sofern wenigstens durch ihn erreicht werden kann, dass Dritte neues Kapital bereitstellen und dass sich der drohende ganzliche Verlust des alten Kapitals ohne neuen Kapitaleinsatz der bisherigen Aktionare vermeiden lasst.

1 Vgl. Prot. Expertenkommission 225 ft; StenBull. Nationalrat, 1934, 276. Auch im zeitgenossischen Schrifttum stand der Fall der Sanierung im Vordergrund: KA.Gr, Die Prioritatsaktien ... Diss. Zürich 1918, 10 f. und 70 f.; SPRENGER, Die Prioritatsaktien ... Diss. Zürich 1932, 78 f.

allerdings kaum jemals Anlass besteht 1 - , so vermag die An-wendung von Art. 655 eine solche einschneidende l\fassnahme für sich allein nicht zu rechtfertigen. lm Fall 3 zeigt sich somit die vom Gesetz vernachlassigte Unterscheidung - Belassung oder Ausschluss des Bezugsrechtes - in ihrer vollen Scharfe.

Fall 4: Gewohnliche Kapitalerhühung. Die bisherigen Aktien werden in Vorzugsaktien umgewandelt.

Durch dieses Vorgehen kann eine Gesellschaft bei sehr guter Finanzlage gleichzeitig ihre Kapitalbasis verbreitern und die Stellung der bisherigen Aktionare festigen 2 Die Vorzugsaktien werden hier nicht <c ausgegeben », sondern durch Umwandlung geschaffen. Ein Grund, Art. 655 trotzdem anzuwenden, in aus-dehnender Auslegung des Wortlautes, liegt nicht vor. Denn die bisherigen Aktionare werden ja besser gestellt, bedürfen also keines besondern Schutzes, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie ein Bezugsrecht auf die neuen (nicht bevorzugten) Aktien haben oder nicht.

F all 5: Keine Kapitalerhohung. Zerlegung aller bisherigen Aktien gemass Art. 623 Abs. r und so, dass jede Aktie in eine Vorzugs- und in eine gewohnliche Aktie zerfü..llt.

Auch hier werden die Vorzugsaktien durch Umwandlung, nicht durch Ausgabe geschaffen. Wiederum besteht kein sachlicher Grund zur ausdehnenden Auslegung von Art. 655. Nicht durch-schlagend ware die folgende Erwagung : Die Schaffung von zwei verschieden berechtigten Aktiengattungen rechtfertigt für sich allein eine qualifizierte Beschlussfassung im Sinne von Art. 655 (und Art. 649), auch dann, wenn kein bisheriger Aktionar in seiner personlichen Rechtsstellung beeintrachtigt wfrd ; denn die Ein-heitlichkeit des Aktienkapitals bildet die Regel, der Bestand verschiedener Aktiengattungen die eher verponte Ausnahme.

Diese Erwagung wird weder durch den Wortlaut von Art. 655 noch durch die Gesetzesmaterialien gestützt. Auch vermag sie die Gleich-stellung unseres Falles mit den Tatbestanden des Art. 649 nicht ausreichend zu begründen, da der Gesetzgeber aile diese

Tat-1 Vgl. immerhin ÛTT, aaO, S. 74 f.

2 KA.GI, aaO, S. 82.

bestande einzig unter dem Gesichtspunkt der (relativ) wohlerwor-benen Rechte ausgewahlt hat und hiebei eher zu weit gegangen ist 1 Fall 6: Keine Kapitalerhi:ihung. Bisherige Aktien, für die der Aktionar eine von der Gesellschaft festgesetzte Zuzahlung leistet, werden in Vorzugsaktien umgewandelt.

Das ist der Fall der« Zuzahlungssanierung » 2, der wirtschaftlich der Sanierung durch Ausgabe neuer Vorzugsaktien nahekommt. Die Rechtslage ist eigentümlich:

Einmal fragt es sich, ob diese Art der Schaffung von Vorzugs-aktien überhaupt zulassig ist. Zwar ist die Umwandlung an sich bedenkenfrei, sofern sie sich wenigstens in einem kurzen Zeitraum abspielt und die Zahl der umgewandelten Aktien in den Statuten festgehalten wird (Art. 626 Ziff. 3). Zweifelhaft ist dagegen, ob es zulassig ist, die Rechtsstellung der Aktionare, welche keine Zuzahlung leisten, dadurch zu verschlechtern, dass ihnen keine Vorzugsrechte eingeraumt werden. Dem Gesetzgeber war <las Problem bekannt. Er hat es eri:irtert, schliesslich aber <loch nicht geli:ist. Mit der herrschenden Ansicht ist anzunehmen, die Zu-zahlungssanierung sei nicht schlechthin unzulassig 3 Es ware widersinnig, wenn <las Gesetz die Umwandlung bisheriger Aktien in Vorzugsaktien ausdrücklich gestatten, aber den zur Zeit des Gesetzeserlasses praktisch wichtigsten Fall einer Umwandlung verbieten würde.

Ist aber die Zuzahlungssanierung zulassig, so muss der Beschluss, der sie vorsieht, <lem Art. 655 unterstellt sein, trotzdem Art. 655 die Umwandlung nicht erwahnt. Denn der Aktionar, der nicht zuzahlen will, ist gleich geführdet wie ein Aktionar, der keine neue Vorzugsaktie zeichnet 4 Somit ist Art. 655 zu eng gefasst, denn er sollte auch den Hauptfall der Umwandlung erwahnen. Er ware

1 Botschaft 1928, 27 f. ; GEILINGER, Die erschwerten Beschlüsse der Generalversammlung ... , Diss. Zürich 1948, 66.

2 KA.GI, aaO, S. 93 fi.

3 Vgl. die Angaben über Materialien und Schrifttum bei NAEGELI, Der Grundsatz der beschrii.nkten Beitragspflicht..., Diss. Zürich 1948, 155 ff.

und DEGIACOMI, Die Grundlagenverii.nderung bei der Sanierung... Diss.

Zürich 1958, 41 ff.

4 Gl. M. Wrnz, Die Vereinheitlichung des Aktienkapitals, Diss. Bern 1956, 42.

durch neues Kapital ersetzt, so kann für die alten Aktien trotz des herabgesetzten Nennwertes das dem ursprünglichen Nennwert entsprechende Stimmrecht beibehalten werden. Diese Privilegierung ist eben nur scheinbar. In Wirklichkeit wird durch sie nur darauf verzichtet, die neuen Aktien bezüglich des Stimmrechtes mittelbar zu privilegieren (vgl. hievor II, Fall 7). Daher bedarf es keines qualifizierten Mehrs im Sinne von Art. 648 Abs. I. Es genügt das für Statutenanderungen erforderliche Mehr 1.

Sodann verwendet Art. 648 Abs. I die Ausdrücke « Ausgabe » und (( Umwandlung >> nicht - der erste Ausdruck erscheint aller-dings in Art. 627 Ziff. IO - , sondern spricht allgemein von « Ein-führung », womit unterschiedslos die Ausgabe neuer und die Umwandlung bisheriger Aktien gemeint sein kann. Auch hier ist jedoch der Wortlaut kritisch zu prüfen. Hiebei kommt es zunachst auf den allgemeinen Zweck der Bestimmung - Schutz der bisherigen Aktionare (hievor I) - und, im Rahmen dieses Zweckes, wiederum darauf an, was für ein Tatbestand dem Gesetz-geber bei Erlass des Art. 648 Abs. I vorgeschwebt hat.

Bekanntlich wurde die Stimmrechtsaktie erst im Verlauf der parlamentarischen Beratung zugelassen, und zwar nur unter den Kautelen von Art. 693 (für welche übrigens Prof. Carry die ersten Anregungen gegeben hatte 2). Dem Gesetzgeber ging es einzig darum, den Gesellschaften ein wirksames Mittel gegen die Überfremdungs-gefahr in die Rand zu geben. Daher wollte er ihnen gestatten, neben ihren bisherigen Aktien neue, im Stimmrecht bevorzugte Aktien von kleinerem Nennwert zu schaffen. Das war das Vorgehen, das einige bedeutende Gesellschaften in den

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ahren vor der parla-mentarischen Beratung angewendet hatten 3 Dem Gesetzgeber stand nur dieser Fall vor Augen 4, wahrend die Moglichkeit, bisherige Aktien in Stimmrechtsaktien umzuwandeln, nie erwahnt wurde und offenbar ganz ferne lag 6

1 BüRGI N. 48 zu Art. 692.

2 CARRY, SJZ 1930/31, 23 ff.

3 JANGGEN, SJZ 1929/30, 195 f.; CARRY, Semaine judiciaire 1933, 448 ; ZIMMERMANN, Stimmrechtsaktien und ahnliche Gebilde, Zürich 1951, I I ff. ; StenBull. Standerat 1931, 408.

'Vgl. etwa Sten Bull. Nationalrat 1934, 306.

6 So schon BIBER aaO, l06 Anm.157.

In der Tat stellt die Ausgabe neuer Aktien als Stimmrechts-aktien den Hauptfall dar, in dem sich die strenge (und zwingende) Norm des Art. 648 Abs. I innerlich rechtfertigt. Ganz anders verhalt es sich dann, wenn eine Gesellschaft ihre bisherigen Aktien ganz oder teilweise in Stimmrechtsaktien umwandelt und hiebei sowohl alle Aktionare gleich behandelt als auch die Erfordernisse des Art. 693 einhalt (welch letztere natürlich auch bei der Um-wandlung gelten, so gut wie bei der Gründung 1). Hieher gehüren die folgenden Falle : r. Alle bisherigen Aktien werden zerlegt (Art. 623 Abs. r) in Aktien von verschiedenem Nennwert, aber gleicher Stimmkraft. 2. Durch gewohnliche Kapitalerhühung werden neue Aktien ausgegeben, die einen hohern N ennwert, aber das gleiche Stimmrecht haben wie die bisherigen Aktien ; letztere werden dadurch zu · Stimmrechtsaktien. 3. Bei einer Kapital-erhohung aus Gesellschaftsmitteln wenlen die neuen Aktien den bisherigen Aktionaren nach Verhaltnis ihres Aktienbesitzes zugewiesen und als Stimmrechtsaktien ausgestaltet. In allen diesen Fallen bleibt die Stimmkraft samtlicher bisheriger Aktionare voll gewahrt. Zu einem Schutz dieser Aktionare (genau : einer Minder-heit gegenüber einer Mehrheit ebenfalls bisheriger Aktionare) besteht daher nicht der geringste Anlass. Ein Aktionar, der sich gleichwohl gegen eine solche Umwandlung wendet, kann sich nicht darauf berufen, dass sich seine personliche Rechtsstellung ver-schlechtern würde, sondern er muss die Schaffung von zwei Aktien-gattungen mit verschieden starker Stimmkraft an sich angreifen.

Dieses unpersonliche, lediglich auf allgemeine Erwagungen gegrün-dete Argument hat jedoch mit dem Minderheitenschutz im Sinne von Art. 648 Abs. r, der nur den Schutz personlicher Rechts-stellungen, der wohlerworbener Rechte, erstrebt 2, nichts zu tun.

Somit ist der Ausdruck « Einführung » in Art. 648 Abs. r zu weit. Er bezieht sich grundsatzlich nur auf die Ausgabe neuer Aktien als Stimmrechtsaktien. Aber doch nicht ausnahmslos.

Werden namlich bestehende Aktien nicht gleichmassig in

Stimm-1 Art. 693 wurde mit Absicht so gefasst, dass er auch auf Stimmrechts-aktien zutrifft, die bei der Gründung geschaffen werden (Protokoll der nationalriitlichen Kommission, VII. Session S. 24).

2 Botschaft 1928, 27 f.

rechtsaktien umgewandelt, so gilt Art. 648 Abs. r auch für diese Umwandlungen, z.B. dann, wenn nur ein Teil der Aktien zerlegt und teilweise in Stimmrechtsaktien umgewandelt wird 1 oder wenn verschiedene Aktiengattungen anderer Art (Stamm- und Vorzugsaktien) bestehen und nur die Aktien der einen Gattung in Stimmrechtsaktien umgewandelt werden 2 Auf solche Falle bezieht sich wohl die nicht naher begründete Ansicht, dass Art. 648 Abs. r auch bei Umwandlungen gelte 3

Bei der Ausgabe neuer Aktien als Stimmrechtsaktien sind, wie bei den Vorzugsaktien (hievor II, Fall r), wiederum zwei Varianten zu unterscheiden: Entweder haben alle bisherigen Aktionare ein proportionales Recht auf Bezug der neuen Aktien oder dieses Bezugsrecht wird ausgeschlossen, in der Weise, dass nur die der Verwaltung genehmen Aktionare Stimmrechtsaktien erhalten konnen. lm ersten Fall liegt die im Schrifttum hervorge-hobene « Schwere des Eingdffes » in die Rechtsstellung der bisherigen Aktionare 4 gar nicht vor. Ein Nachteil liegt einzig darin, dass der Aktionar, um eine erhebliche Schwachung der relativeri Grosse seinér Stimmkraft zu vermeiden, neue Mittel (durch Zeichnung von Stimmrechtsaktien) einsetzen muss. Nur im zweiten Falle kann von einer « Schwere des Eingriffs » gesprochen werden.

Bei der Gesetzesberatung wurden jedoch die beiden Varianten nicht unterschieden 5Daher wurde auch nie festgehalten, dass die viel besprochene Gefahr für die bisherigen Aktionare nicht so sehr in der nachtraglichen Ausgabe von Stimmrechtsaktien als viel-rnehr im Ausschluss des Bezugsrechtes liege. Dem gesetzgeberischen

1 Vgl. das Beispiel von GuHL, Das schweizerische Obligationenrecht, 5. Aufl. Zürich 1956, 524.

2 Vgl. das Beispiel bei BIBER, aaO, S. 106 f.

3 SrnGWART N. IO zu Art. 648 und BüRGI N. 27 zu Art. 693.

4 GEILINGER, aaO, S. 108.

6 Immerhin hat sich die nationalratliche Kommission mit der Frage befasst (VII. Session S.20 ff.). Sie lehnte den Vorschlag des Justizdeparte-mentes, « bei Ausgabe von Stimmrechtsaktien den bisherigen Aktionaren das Bezugsrecht wenigstens für die Halfte der neu auszugebenden Aktien » zu gewahr!';n, ab, da sonst « die Abwehrfunktion der Stimmrechtsaktie gegen die Uberfremdung » in Frage gestellt werde. Im Plenum beider Rate kam das Bezugsrecht nicht zur Sprache.

Zweck batte es am besten entsprochen, wenn das Gesetz das qualifi-zierte Mehr des Art. 648 Abs. I einzig bei Ausschluss des Bezugs-rechtes und in den weitern, hievor erwahnten Fallen ungleicher Behandlung der bisherigen Aktionare gefordert batte.

Der Grund für die mangelnde « Treffsicherheit » des Gesetz-gebers liegt wohl darin, dass sich für ihn der Ausschluss des Bezugs-rechtes im Fall der nachtraglichen Schaffung von Stimmrechts-aktien (durch Ausgabe neuer Aktien) von selbst verstand. Denn das alte Recht kannte kein gesetzliches Bezugsrecht. Ein solches Recht war von der herrschenden Meinung auch für den Fall der Ausgabe von Vorzugs-, insbesondere von Stimmrechtsaktien abgelehnt worden 1Zudem liess sich der Zweck der Ausgabe von Stimmrechtsaktien - die Verhinderung einer drohenden Überfrem-dung - gerade in den kritischen Fallen nur dann vermeiden, wenn die Verwaltung die Stimmrechtsaktien ausschliesslich den zuver-lassigen Aktionaren zutf·ilen konnte. Die dem Gesetzgeber bekann-ten Stimmrechtsaktien waren denn auch fast ausschliesslich auf diese Weise geschaffen worden. Aus diesen Feststellungen folgt zweierlei:

Einerseits dient die qualifizierte Mehrheit des Art. 648 Abs. I dazu, nicht nur die Ausgabe von Stimmrechtsaktien, sondern auch den Ausschluss des Bezugsrechtes zu rechtfertigen (vgl. hievor II, Fall 1) : Wenn sich eine so starke Mehrheit für Ausgabe und

Einerseits dient die qualifizierte Mehrheit des Art. 648 Abs. I dazu, nicht nur die Ausgabe von Stimmrechtsaktien, sondern auch den Ausschluss des Bezugsrechtes zu rechtfertigen (vgl. hievor II, Fall 1) : Wenn sich eine so starke Mehrheit für Ausgabe und