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GESELLSCHAFTRECHTLICHER PROBLEME

I.

Die in den Dreissigerjahren erfolgte Revision des Gesellschafts-rechtes war notig geworden, einmal weil der ausserordentlich starke Ausbau der Wirtschaft zahlreiche veranderte und auch zusatzliche wirtschaftliche Bedürfnisse geschaffen hatte, aber ebensosehr auch deshalb, weil der nach dem ersten Weltkrieg gründlich veranderten Einstellung zu zahlreichen rechtlichen und sozialen Problemen Rechnung getragen werden musste. Der heute geltende Gesetzestext wurde in einer Epoche vorbereitet und in Kraft gesetzt, die, wie wir heute erkennen müssen, deutlich den pro-visorischen Charakter einer Übergangsperiode aufwies. Wahrend vielerorts im Ausland als Folge des ersten Weltkrieges eine kollek-tivische Gesellschaftsordnung propagiert wurde, deren Ursache nur zum Teil durch die langandauernden, überaus schweren wirt-schaftlichen Krisen bedingt war, befand sich die Schweiz in einer zwar ausserlich ruhigeren, aber trotzdem auch noch wenig gefestig-ten Situation einer Neubesinnung auf die nun gültigen Werte.

Sie war durch den sehr grundsatzlichen Kampf zwischen noch vorhandenen Resten eines einseitigen Liberalismus und der mit grosster Intensitat zum sozialen Staat drangenden kollektiven Gegenbewegung gekennzeichnet. Der Erlass der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung, welcher dem Staat die Sorge für das

okono-mische Wohlergehen der Bevolkerung übertrug, zog erstmals die gesetzlichen Konsequenzen aus der veranderten Lage. Nach wie vor wurde zwar die Handels- und Gewerbefreiheit grundsatzlich anerkannt, aber gleichzeitig erfolgte doch auch eine bewusste und recht tiefgreifende Beschrankung der individuellen Betatigungs-freiheit im Interesse der Allgemeinheit, die noch wahrend langer Zeit als geführlicher Interventionismus befehdet wurde.

Dementsprechend bemühte sich die in der gleichen Epoche vorbereitete Revision des Gesellschaftsrechtes um neue Losungen auf Grund veranderter sozialpolitischer Überlegungen, die ebenfalls deutlich nach einem A usgleich zwischen den beiden scheinbar entgegengesetzten Tendenzen, den individualistischen und den kollektivistischen strebten; dabei wurden aber noch viele Probleme in Übereinstimmung mit unserer Rechtstradition einer konkreteren Ausgestaltung durch die Gerichtspraxis überlassen. Die fort-dauernden Schwankungen über Inhalt und Ausmass der noch wenig stabilisierten neuen rechtlichen Konzeption und die durch den zweiten Weltkrieg bedingte nochmalige Veranderung der Verhaltnisse und ihrer Beurteilung hatten allerdings zur Folge, dass auch die von der Gerichtspraxis verfolgten Richtlinien keineswegs einen einheitlichen und stabilen Eindruck aufweisen.

Charakteristisch und in gewissem Sinne unmittelbar vom Zeitgeschehen beciingt war es denn auch, dass an sich aitsserrecht-liche, primar sozialpolitisch bedingte Kriterien immer starker für die Beurteilung privatrechtlicher Fragen herangezogen wurden und mit der Zeit eine ausserordentliche Bedeutung erlangten.

Insbesondere bei der Beurteilung privater Ansprüche von Gesell-schaftern an die Gesellschaft- übrigens in gleicher Weise auch bei der Beurteilung von Konftikten, welche durch Boykotte bedingt waren - gewann die von Gustav Radbruch vertretene Lehre von der Interessenabwagung eine immer grossere Bedeutung für unsere Gerichtspraxis, weil sie eine Anpassung an die gerade gelten-den Auffassungen zu erleichtern schien.

Die Neuregelung der Aktiengeselschaft konnte sich im Gegensatz zur neu eingeführten GmbH auf eine frühere gesetzliche Ordnung und eine auch vertiefte Erfahrung stützen; dasselbe gilt übrigens

auch für die Genossenschaft, deren Revision weniger eine Umge-staltung als eine Sicherung ihrer tragenden Elemente durch gesetz-liche Massnahmen gegen Pseudogenossenschaften anstrebte und in anerkennenswertem Umfange auch erreichte. Die revidierten Texte, insbesondere diejenigen über die AG, gründen sich noch in erblichem Ausmasse auf der freilteitlichen individitalistischen Tradition, ja sie gewahren sogar zusatzliche Freiheiten, wie z.B.

die Zulassigkeit der Ausgabe von Inhaberaktien bei Kleingesell-schaften. Auch die der Verwaltung übertragene wertvolle Kompe-tenzausweitung, welche eine straffere Führung der Gesellschaft erlaubte und die Selbstfinanzierung und damit eine selbstandige Finanzpolitik erleichterte, wurde zunachst, trotz der damit ver-bundenen vermehrten Haftung keineswegs als schwerwiegende Einschrankung der Individualrechte empfunden. Auch schienen die starker betonten wohlerworbenen Rechte den letzteren einen genügen-den Schutz zu gewahren, der übrigens in der Botschaft des Bundes-rates sehr deutlich zum Ausdruck gelangte, insbesondere da er Richtlinien für eine vernünftige Begrenzung der Haftungsfülle aufzuweisen schien, welche dem Aktionar genügende Sicherung gegen eine zu einseitige Betonung der überindividualistis~hen

Gesellschaftsinteressen boten.

Nach einer Geltungsdauer von weniger als 20 Jahren sind wesent-liche Teile des neuen Gesellschaftsrechtes, insbesondere des Rechtes der AG und der GmbH, jedoch offenbar schon wieder überholt und das Bedürfnis nach einer neuen Revision dürfte sich in den nachsten Jahren deshalb immer starker verbreiten. Die nochmals stark beschleunigte Wirtschaftsentfaltung und die im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg erfolgte Neuorientierung von Kapital und Arbeit - ihrerseits der Ausdruck eines verânderten sozial-und staatspolitischen Denkens, welches durch eine vertiefte Erkenntnis der Beziehungen zwischen I ndividuum und Gesellschaft mit-bedingt ist, verlangen eine grundsatzliche N euiiberpriifung vieler Probleme; ihre Richtlinien werden von dem veranderten Vorent-scheid der N achtkriegsepoche bestimmt werden. Dazu kommen freiwillige und weniger freiwillige Impulse, welche durch die unerwartet rasche Integration Europas bestimmt sind und Anpassungen verlangen werden, welche vom schweizerischen

BGE 20 951 zeigt erstmals eine Interessenabwagung im oben erwahnten Sinne :

Welche Rechte des Aktionars als wolùerworben anzusehen seien, insbesondere ob darunter auch dessen Anspruch auf Innehaltung des Gesetzes und der Statuten zu verstehen sei, ist aus diesem Artikel (nanùich Art. 627 Abs. r aOR) nicht zu entnehmen. Umgekehrt kann aber aus Art. 639 ibidem, wonach die Rechte, welche Aktionaren in den Angelegenheiten der Gesellschaft zustehen, von der Gesamtheit der Aktionare in der Generalversammlung ausgeübt werden, nicht geschlos-sen werden, dass der einzelne Aktionar in allen Angelegenheiten, welche die Aktiengesellschaft betreffen, schlechthin gebunden sei; denn es fragt sich eben in jedem einzelnen Falle, ob durch diese letztern lediglich Gesamtinteressen, oder nicht auch Rechte berührt werden, bezüglich welcher der einzelne von dem Gesamtwillen unabhangig ist. Es muss daher die vorliegende Frage nach den allgemeinen, das Recht der Aktiengesellschaft beherrschenden Grundsatzen gelê:ist werden.

Wahrend der eben zitierte BGE noch eine eigentliche Abwéigimg vornimmt, hat schon BGE 29 II 452 ff. nur nocli die Sicher-stellung des Unternehmens und entsprechend die Unterordnung des Aktionars « aus der Natur der Sache» im Auge:

Indem die Statuten, übereinstimmend mit dem Gesetze, ein Recht der Generalversammlung, auch nicht in den Statuten vorgesehene Spezialreserven zu beschliessen, aufstellen, schranken sie damit das Recht der Aktionare auf die Dividendenzuteilung notwendigerweise ein.

Dieses letztere Recht ist jener im Interesse der Aktiengesellschaft aufgestellten Befugnis der Generalversamnùung der Natur der Sache nach untergeordnet. Dagegen ist den KHigern darin beizutreten, dass das gesetzliche (und statutarische) Recht der Generalversammlung, vor Verteilung der Dividenden die Anlegung von in den Statuten nicht vorgesehenen Reserveanlagen zu beschliessen, geknüpft ist an eine bestimmte Voraussetzung, indem dies nur geschehen kann, wenn und insoweit die Sicherstellung des Unternehmens es erfordert. Immerhin ist zu beachten, dass das Gesetz die Befugnis der Generalversammlung insofern einschrankt, als es sich ausdrückt, die Anlegung von Spezial-reserven dürfe insoweit beschlossen werden, als die Sicherstellung des Unternehmens es erfordere, also jedenfalls blosse Wünschbarkeit nicht genügt.

Dieser Standpunkt wird in der Folge der für <las Bundesgericht massgebende. Seine Argumentation stützt sich sozusagen aus-schliesslich und immer deutlicher auf die Interessen der Gesellschaft,

die es in den verschiedensten Interessenkonflikten, z.B. Verletzung wohlerworbener Rechte durch Prioritatsaktien (51 II 427, 53 II 231, 59 II 48), Einschrankung des Dividendenrechtes durch Anlegen von Reserven (53 II 260, 54 II 28), von Wohlfahrtsfonds (72 II 306), Verweigerung der Übertragung vinkulierter N amenaktien (76 II 60 ff.), m.E. zu einseitig schützt und bevorzugt. ln BGE 59 II 48 umschreibt das Bundesgeriçht das Ziel und entsprechend die Tendenz seiner Rechtsprechung wie folgt :

L'arrêt cité du Tribunal fédéral note (BGE 51 II 426, vgl. auch 53 II 23) la tendance qui se manifeste actuellement dans l'évolution du droit en matière de société anonymes : on vise à protéger non seulement les intérêts des créanciers et des actionnaires, mais encore, et surtout, ceux des entreprises elles-mêmes, en facilitant leur création en assurant leur existence, en leur garantissant une plus grande liberté d'action en temps de crise, en leur donnant à cet effet divers moyens de conserver ou de renouveler leur activité ; toutes choses inspirées par l'idée que la prospérité de l'entreprise est la meilleure sauvegarde des intérêts des sociétaires eux-mêmes.

Hinsichtlich der Dividenden- bzw. Reservenpolitik und den daraus entstehenden Interessenkonflikten bestatigte das Bundes-gericht in BGE 54 II 28 (vgl. auch 53 II 260) seinen bereits in BGE 29 II 452 ff. eingenommenen Standpunkt:

Es genügt schon, das vom Standpunkt einer vorsichtigen, die Gegenwart und Zukunft ins Auge fassenden Geschaftsleitung aus die Anlage derartiger Reserven ... als geboten erscheint, wobei im Zweifel dem Verfügungsrecht der Generalversammlung und dem Bestreben, das Unternehmen sicherzustellen, gegenüber demjenigen auf Erreichung eines baldigen Reingewinns der Vorzug zu geben ist.

Die damit zwangslaufig verbundene Relativierung gewisser wohlerworbener Rechte, insbesondere des Dividendenrechts, spricht das Bundesgericht wërtlich in BGE 72 II 297 aus:

Der gesetz- und statutenmassige Dividendenanspruch des Aktionars wird zwar als ein wohlerworbenes Recht angesehen (BGE 47 II 436, 41 II 618). Indessen besteht dieses Recht nicht unbedingt. Es setzt einen Reingewinn voraus, der nach Gesetzt und Statuten zur Verteilung gelangen kann. Hierfür befindet die Generalversammlung, und nui soweit sie bei der Besclùussfassung Gesetz und Statuten rnissachtet oder bei Handhabung der Bilanzierungsgrundsatze willkürlich vorgeht, ist das Recht auf Dividenden verletzt.

Dass das Bundesgericht auch heute noch eine sehr weit verstandene Existenzsicherung der AG, mit andern Worten die Interessen des Unternehmens den individuellen Rechten bei der Abwagung überordnet, lassen gerade zwei der jüngsten Entscheide keine Zweifel offen :

- BGE 88 II 105 ff. halt, unter Berufung auf BGE 69 II 248 ff., am Grundsatz der Gleichbehandlung aller Aktionare fest, soweit nicht im Interesse der Gesamtheit aller Aktionare zur Verfolgung der Gesellschaftszwecke Ausnahmen notwendig sind. Dieser Grundsatz werde insbesondere nicht verletzt, sofern ein Beschluss des Ver-waltungsrates sachlich gerechtfertigt sei. Z.B. lasse sich der Verkauf bzw. Wiederverausserung eines in den Besitz der Gesellschaft gelangten Aktienpaketes durch die Verwaltung an einen einzigen Aktionar, welcher einer Machtgruppe angehôrt, die dadurch die zur Beschlussfassung gemass Statuten notwendige Mehrheit von 2/3 erlangt, damit rechtfertigen, dass die GV andernfalls be?chluss-unfahig ware, weil 2 Machtgruppen einander gegenüberstehen und keine der beiden die Auflosung aus wichtigen Gründen (OR 736 Ziff. 4) verlangen konne.

- BGE 86 II 82 ff. befasst sich mit der Abschreibung der Aktien auf Null, die dann grundsatzlich erlaubt sei, wenn sie weder wohler-worbene Rechte des Aktionars noch das Gleichbehandlungsprinzip verletze. « Aus dem Stillschweigen des Gesetzes muss gefolgert werden dass es die Beeintachtigung der in Frage stehenden Rechte als Folge der Herabsetzung des Aktiennennwertes zu Sanierungszwecken in Kauf nimmt und sie den alten Aktionaren zumutet. Daraus ergibt sich, dass ein wohlerworbenes Recht der Aktionare, das die ange-griffene vollstandige Abschreibung des Grundkapitals der Beklagten ausschliessen würde, von Gesetzes wegen nicht besteht n.

Immerhin liess das Bundesgericht in der letzten Zeit <loch gelegentlich auch Grenzen seiner Tendenz zur einseitigen Bevor-zugung der Interessen des Unternehmens erkennen, namlich solche bei der Überbewertung gemeinschaftlicher Interessen (BGE 83 II 64) und solche der Mehrheitsherrschaft (84 II 49 ff., 86 II 395):

- BGE 83 II 63 ff. : Die Klager verkennen, « dass der Aktionar in der Generalversammlung in der Regel auch in eigener Sache Stimmrecht hat. . .. Nur das Verbot des Rechtsmissbrauchs (Art. 2 ZGB) beschrankt es. Rechtsmissbrauch aber liegt nicht jedesmal vor,

wenn das Interesse des Aktionars sich nicht mit dem der Gesellschaft deckt. Daher ist die Zustimmung der Generalversammlung zur Übertragung der Aktien nicht schon deshalb nichtig, weil B. und N.

am Übergang interessiert waren, die AG dagegen ein Interesse gehabt haben oll, für die noch nicht einbezahlte Halfte des Grundkapitals die alten Aktionare als Schuldner beizubehalten ».

- BGE 84 II 47 ff. : «Comme l'ont très justement relevé les premiers juges, il en résulte que ce n'est pas seulement au sujet de l'une ou l'autre des décisions des membres du conseil représentant la majorité des porteurs d'actions que dame B. a lieu de se plaindre, mais d'une série d'actes dont la répétition démontre à l'évidence que, depuis un certain nombre d'années ... des mêmes personnes ont administré les fonds sociaux avec un mépris total de ses intérêts légitimes et au seul profit de quelques actionnaires ... Or, étant données la facilité et même la légèreté avec laquelle les représentants du groupe majori-taire disposaient des biens sociaux, il est tout à fait compréhensible que l'intimée ait jugé ne plus pouvoir tolérer un état de choses qui risquait à la longue de compromettre l'équilibre financier de la société et par voie de conséquence de lui causer un préjudice consi-dérable.»

- BGE 86 II 395 : «lm übrigen gilt das lVIehrheitsprinzip sogar bei der Umwandlung des Zwecks einer Aktiengesellschaft nicht un-beschrankt. Soll namlich bei einer solchen ausnahmsweise nicht bloss der Bereich der Geschaftstatigkeit geandert, sondern der Endzweck der Erzielung und Verteilung eines Gewinns aufgegeben werden, so ist dafür auch heute noch die Einstimmigkeit aller Aktionare erforderlich, weil ein solcher Beschluss in das wohler-worbene Recht auf Dividende eingreift ».

Ob die erwahnten 3 letzten Entscheide bereits eine etwas differenziertere Anwendung der Lehre von der Interessenabwagung andeuten, wird erst die Praxis der nachsten

J

ahre beantworten.

Das Kriterium für die Interessenabwagung ist übrigens auch auf andere Rechtsgebiete in gleicher Weise angewendet worden. Am wenigsten überzeugte es bei der Beurteilung der Boykottprobleme 1, wo die jeweils geltenden, extrem schwankenden sozialpolitischen

1 Ein Unterschied gegenüber der Interessenabwagung im Gesellschafts-recht besteht insofern als die Abwagung der Boykottpraxis die individuellen Rechte weniger in einen Gegensatz zu den überindividualistischen Kartell-interessen ais zu den noch allgemeineren beinahe transpersonalen der allgemeinen Wirtschaftsordnung setzt.

Auffassungen der letzten

J

ahrzehnte allzu deutlich zur Auswirkung gebracht wurden. Nachdem die individuellen Rechte auf freie wirt-schaftliche Entfaltung wiihrend langer Zeit immer stiirker abgewer-tet worden waren, zeigt die neueste Entwicklung auf diesem Gebiet in sehr symptomatischer Weise eine Wiederanerkennung dieses Personlichkeitsrechtes, aus dem ein Rechtsanspruch auf wirtschaft-liche Existen;; und auf freien Wettbewerb abgeleitet wird, der nun auch wieder eine innere Übereinstimmung zwischen der privat-rechtlichen Wettbewerbsfreiheit und dem Grundsatz der offentlich-rechtlichen Handels- und Gewerbefreiheit verwirklichte. Diese Umkehr der Rechtsauffassungen kommt auch im neuen Kartellgesetz deutlich zum Ausdruck. Sie deckt sich übrigens auch mit der in der N achkriegszeit in ganz Europa aufgekommenen kartellfeindlichen Einstellung, welche ihrerseits einem Wiederaufleben neoliberali-stischen Denkens entspricht 1

1 Die Boykottrechtsprechung des Bundesgerichtes war in der Doktrin mehrmals Gegenstand von Untersuchungen (vgl. KÜNG, Der Boylwtt, in:

Wirtschaft und Recht, 1953, S. 281 ff.; FINK, Die Darstellung der Bundesge-Yichtspraxis über die Kartellfrage, in: Wirtschaft und Recht 1954, S. rn7 ff. ;

SIMONIUS, Ein verkanntes Freiheitsrecht, in: Festgabe Erwin Ruck, Basel 1952, S. 26I fi.; HuBER, Das Kartellproblem auf der Verfassungsstufe, in:

Wirtschaft und Recht, 1955, S. 165 ff.; G1GER, Wirtschaftliche und ordnungs-politische Probleme des Boykotts, insbesondere des Kartellboykotts und ihre rechtspolitische Behandlung, Diss. HHS 1957, S. 197 ff.; HAFNER, Boykott und Autonomie des I ndividuums nach schweizerischen Privatrecht, Diss.

Zürich 1959, S. 53 ff.). Herrschend war die Ansicht, dass sich die Bundes-gerichtspraxis grundsiitzlich in 3 Phasen einteilen lasst :

- in eine solche der individualistischen Grundtendenz,

- in eine solche der mehr oder weniger ausgeglichenen Interessenab-wagung und

- in eine solche der kollektivistischen Grundtendenz.

Als vierte tritt die durch BGE 86 II 375 geschaffene neue Praxisanderung hinzu, welche eine wirkliche Abwagung anstrebt; sie dürfte mit den hier in allgemeiner Weise vertretenen Auffassungen grundsatzlich ûbereinstim-men.

lm ersten Abschnitt, noch vom Wirtschaftsliberalismus des letzten Jahrhunderts bestimmt, beurteilte das Bundesgericht den Boykott als eine Verletzung des wirtschaftlichen Personlichkeitsrechtes des Boykottierten auf freie wirtschaftliche Betatigung der folglich unabhangig von den ange-wandten Mitteln als widerrechtlich zu betrachten sei (BGE 22 II 175 ff.).

(Vgl. BGE 32 II 325 fi.). In BGE 40 II 267 taucht erstmals der Begriff der Interessen auf, findet mit andern Worten eine Interessenkonfrontation und entsprechende Interessenabwagung statt. Doch erst in BGE 51 II 225 fi.

tritt der merkliche Umschwung in dem Sinne ein, dass das Bundesgericht anstelle des Personlichkeitsrechts der Individuen das Prinzip der Interessen-abwagung in den Vordergrund rückt und damit die kollektivistischen Interessen und die individualistischen gewissermassen auf dieselbe Stufe

Die auch wegen dieser schwankenden Boykottpraxis des schweizerischen Bundesg;:irichts entstandene Notwendigkeit des Erlasses eines Gesetzes gegen Kartellmissbrauche hat die neueste individualistischere Einstellung des Bundesgerichts zu den Boykott-problemen nun gesetY.lich verankert; dadurch gelangte die in den

stellt (vgl. 54 II 160 ff., 56 II 431 ff., 62 II 97 ff.). Die Phase kollektivistischer Überwertung, der vollstandigen Aufgabe des Personlichkeitsschutzes gemass Art. 28 ZGB, beginnt mit BGE 62 II II 276 ff., wo das Bundesgericht alle früher entwickelten Grundsatze verlasst und die volkswirtschaftliche Zweck-massigkeit der Kartellabrede als massgebendes Kriterium betrachtet. Diese Argumentation erfahrt ihren Hohepunkt in BGE 76 II 288 ff. (vgl. auch BGE 81 ff.), womit das Bundesgericht beginnt, sich offen in wirtschafts-politische Diskussionen einzulassen. In seinen jüngsten Entscheiden (86 II 203, 86 II 371 ff.) scheint es die Einseitigkeit seiner langjahrigen Praxis jedoch erkannt zu haben, indem es eine bestmogliche Abwagung aller Interessen anstrebt. In BGE 86 II 375 ff. beleuchtet das Bundesgericht die Praxi13anderungen wie folgt :

« Das Bundesgericht vertrat ursprünglich die Auffassung, wenn ein Verband von Gewerbetreibenden durch Drohung oder Zwang Kunden oder Lieferanten vom Verkehr mit einem Aussenseiter abhalte, begehe er eine unerlaubte Handlung (22 II 184 ff.). Bald darauf erklarte es den von Arbeit-nehmerverbanden ausgeübten Zwang für zulassig, wenn er einem erlaubten Zwecke diene und mit rechtmassigen Mitteln erfolge (25 II 80 f., 30 II 282 ff.).

Die Rechtsprechung entwickelte sich dann dahin weiter, dass der organisierte Zwang zur Wahiung wirtschaftlicher Interessen als in der Regel zulassig erklart wurde. Als unerlaubt bezeichnete das Bundesgericht ihn nur, wenn er sich zur Vernichtung des wirtschaftlichen Auskommens des Betroffenen eigne oder wenn der mit ihm verfolgte Zweck oder die angewendeten Mittel rechtswidrig seien oder den guten Sitten widersprachen (32 II 366 ff., 33 II

n6 ff., 34 II 252 ff., 36 II 562, 37 II 383 ff., 423, 40 II 619 ff., 41 II 443 ff., 5II, 44 II 479 ff., 48 II 327). Spater entschied es, dass eine nach Zweck und Mitteln nicht zu beanstandende kollektive Zwangsmassnahme dann uner-laubt sei, ·wenn der erstrebte Vorteil zum zugefügten Schaden in einem offenbaren Missverha!tnis stehe, dass also sogar die Vernichtung des wirt-schaftlichen Auskommens des Betroffenen sie nicht notwendigerweise rechtswidrig mache, aber anderseits die Widerrechtlichkeit unter Umstanden auch schon bejaht werden müsse, wenn dieses Auskommen nicht gefahrdet sei (51 II 529 ff., 52 II 383, 54 II 175, 56 II 435 ff., 58 II 226, 61 II 252 ff., 62 II 105, 280, 69 II 82, 73 II 76, 75 II 313, 76 II 287, 81 II 125, 82 II 299, 85 II 496, 552; vgl. 57 II 341, 491). Damit hat das BGE eine von der Theorie schon Jang vertretene Auffassung zu seiner eigenen gemacht und seine so eingehende, auf die Interessenabwagung gestützten Ansichten vollstandig umgewandelt.

Vgl. dazu im neueren Schrifttum namentlich-F. GUISAN, La protection de la personnalité et le boycott commercial, Festgabe fiir Carl Wieland, Basel 1934, S. 174 ff.; O. A. GERMANN, Unlauterer Wettbewerb, Zürich 1945, S. 302 ff. ; A. SIMONIUS, Ein verkanntes Freiheitsrecht, Festgabe fiir Ei'win Ruck, Basel 1952, S. 261 ff.; H. MERZ, Über die Schranken der Kartellbindung, Bern 1953, S. 29 ff.; M. KUMMER, Anwendungsbereich und Schutzgut der privatrechtlichen Rechtssiitze gegen unlauteren und gegen freiheitsbeschriinken-den Wettbewerb, Bern 1960, S. 129 ff., }AEGGI, ZBJV 96 S. 389; H. MERZ, ZB ]V 96 S. 460 ff.

allerletzten Jahren vielerorts sichtbar werdende Reaktion gegen eine Überspitzung der Berücksichtigung kollektivistischer Elemente deutlich zum Ausdruck. Es dürfte nur logiscli und konsequent sein, wenn nun auch eine analoge N euiiberprüfung der Richtlinien erfolgen würde, welche für die Interessenabwagung bei der Behand-lung aktienrechtlicher Fragen zu beachten sind, umsomehr als der Unterschied zwischen Aktionar und Gesellschaft in erster Linie nur privatrechtliche Interessen betrifft und die haufige Identifizierung von Gesellschafts- und Allgemeininteressens doch oft recht pro blema tisch erschein t.

II.

Zweifellos ist eine angemessene Interessenabwdgung auch heute im hochsten Masse zeitgemiiss und schon deshalb grundsatzlich richtig. Dass ihr Ergebnis aber so oft unbefriedigend erscheinen musste, hangt da von ab, dass bisher noch kân obfektiver M asstab für die Bewertumg beider Interessenkategorien gefunden werden konnte und das richterliche A bwagen oft mehr durch gefiihls-miissige, von den jeweils herrschenden Auffassungen bestimmte als von objektiven und rechtlichen Richtlinien bedingt war. Eine

Zweifellos ist eine angemessene Interessenabwdgung auch heute im hochsten Masse zeitgemiiss und schon deshalb grundsatzlich richtig. Dass ihr Ergebnis aber so oft unbefriedigend erscheinen musste, hangt da von ab, dass bisher noch kân obfektiver M asstab für die Bewertumg beider Interessenkategorien gefunden werden konnte und das richterliche A bwagen oft mehr durch gefiihls-miissige, von den jeweils herrschenden Auffassungen bestimmte als von objektiven und rechtlichen Richtlinien bedingt war. Eine