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DES DEUTSCHEN AUSLIEFERUNGSGESETZES

Dans le document Etudes en l'honneur de Jean Graven (Page 89-105)

von

Professor Dr. Hans-Heinrich jESCHECK, Freiburg i. Br., Direktor des Max-Planck-Instituts für ausliindisches und internationales

Straf--recht, Vizepriisident der Association Internationale de Droit Pénal

Der jubilar und Freund, dem dieser Beitrag gewidmet ist, hat in einer vor 40 Jahren erschienenen Studie die Anfünge des schwei-zerischen Auslieferungswesens in seinem Heimatkanton, dem Wallis, bis in die erste Halte des 14. Jahrhunderts zurückverfolgt und dabei gezeigt, dass gewisse Gundprobleme der Auslieferung bis in unsere Zeit hinein die gleichen geblieben sind 1• In Anknüpfung an diese frühe Arbeit soli hier erêirtert werden, wie sich diese Probleme heute dar-stellen, wenn man ein Auslieferungsgesetz des klassischen Typus wie das deutsche vor Augen hat und sich die Frage stellt, was daran unter dem Gesichtspunkt der verstarkten internationalen Zusammenarbeit, der verbesserten Rechtsstellung des Einzelnen und der Entwicklung neuer Formen der Rechtshilfe zu reformieren ist. Der jubilar hat aber nicht nur die Frühformen der Auslieferung erforscht, sondern ais Prasident der Association Internationale de Droit Pénal auch für die Reformprobleme starkstes Interesse gezeigt. Ihm ist es mit zu danken, dass diese Fragen auf zwei internationale Strafrechtskon-gressen wesentliche wissenschaftliche Fêirderung erfahren haben 2

1 jean Oraven, Contribution à l'étude des origines de l'extradition en Suisse, SchwZStr 42 (1929) S. 46 ff.

2 Der IX. Internationale Strafrechtskongress in Haag (1964) behandelte das Thema der internationalen Wirkungen der Strafurteile und damit auch die neuen Formen der Rechtshilfe wie Vollstreckungsübernahme, übernahme der überwachung von bedingt verurteilten oder entlassenen Personen und über-nahme der Strafverfolgung (vgl. die Entschliessungen in ZStW 77 [1965]

S. 685 ff.; ferner unten Fussnote 28). Auf der Tagesordnung des X. Inter-nationalen Strafrechtskongresses im Oktober 1969 in Rom steht mit dem Thema

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Das deutsche Auslieferungsgesetz (DAO) vom 23. Dezember 1929 (ROB!. I S. 239) war für seine Zeit und in den Orenzen der damais gültigen Konzeption eine beachtliche gesetzgeberische Leistung. Es weist eine klare begriffliche Durchbildung auf, sichert durch weitge-hende Beteiligung der Oerichte die Rechtsstellung des Verfolgten gegen obrigkeitliche Willkür (BOHSt 2,44 [ 47]), gewahrt durch Trennung von richterlicher Zulassigkeits- und politischer Bewillig-ungsentscheidung auch der auswartigen Oewalt ein Mitspracherecht und gehôrt im Oanzen "zu den Teilen des internationalen Rechts, welche unauffallig und von der grossen ôffentlichkeit unbemerkt reibungslos funktionieren" 3 . Warum soll also ein so gutes Oesetz überhaupt geandert werden ? Nicht, weil man inzwischen verborgene Mange! entdeckt hatte, sondern weil sich die Welt mit ihren sozialen Beziehungen, die das Oesetz regeln soll, politisch und juristisch ver-wandelt hat. Wahrend früher im Hinblick auf die Gleichberechtigung der souveranen Staaten manche formalen, von der Sache der nicht geforderten Erschwernisse im Auslieferungsverkehr in Kauf genom-men wurden, strebt man heute unter dem Zeichen der verstarkten internationalen Zusammenarbeit auf dem Oebiet der Strafschrechts-pflege, nach Vereinfachung und Beschleunigung 4 Der fortschreitende Ausbau des Rechtsstaats durch das Orundgesetz der Bundesrepublik Deutschland führte zu der Forderung, dass die Stellung des Ver-folgten im Auslieferungsverfahren über den Stand von 1929 hinaus verbessert werden müsse. Endlich erscheint es wünschenswert, die im Europarat ausgearbeiteten neuen Rechtshilfeverfahren in das Aus-lieferungsgesetz aufzunehmen, damit sie überhaupt praktisch zum Zuge kommen konnen. An der Umgestaltung des DAO wird zur Zeit gearbeitet. Der Vorentwurf eines neuen Oesetzes soll im April 1969 von der Kommission zur Reform des deutschen Auslieferungsgesetzes

"Aktuelle Probleme der Auslieferung" die Gesamtheit der Reformfragen; die deutschen Beitrage dazu sind zusammen mit dem vorlaufigen Generalbericht von Hans Schultz in ZStW 81 (1969) S. 115 ff. abgedruckt, die ausliindischen Beitrage erscheinen in der Revue internationale de droit pénal 1968, Heft 3i4 (im Druck).

a So Schultz, Aktuelle Probleme der Auslieferung (vorliiufiger General-bericht), ZStW 81 (1969) S. 197.

4 Die durchschnittliche Dauer der 1967 in der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Auslieferungsverfahren erscheint mit 2,9 Monaten zwar nicht übermassig lange, <loch ist diese günstige Zahl nur der Tatsache zu verdanken, dass mehreren sehr langwierigen Verfahren zahlreiche Falle gegenüberstehen, die innerhalb von 6 Wochen abgeschlossen werden konnten; vgl. Grützner, Der Auslieferungsverkehr der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ausland im jahre 1967, BAnz Nr. 165 v.4.9.1968, Beilage S. 14 f.

REFORM DES DEUTSCHEN AUSLIEFERUNGSGESETZES 77 in 1. Lesung abschliessend beraten werden. Da die Ergebnisse der Kommissionsarbeit noch nicht veroffentlicht sind, kann der Verfasser an dieser Stelle nur seine eigenen Oedanken zur Reform des deutschen Auslieferungsgesetzes mitteilen.

A. Vereinf achung und Beschleunigung des Auslief erungsverkehrs

1. Die Oegenseitigkeit

1. Das Kernstück des deutschen Auslieferungsrechts, wie es im Jahre 1929 durch das DAO festgelegt wurde, stellt das Prinzip der Oegenseitigkeit ais Rechtsbedingung jeder Auslieferung dar: nach

§ 4 Nr. 1 DAO ist die Auslieferung unzuliissig, wenn die Oegen-seitigkeit nicht verbürgt ist. OegenOegen-seitigkeit bedeutet zweierlei: ein-mal muss feststehen, dass der ersuchende Staat, wenn er im umge-kehrten Fall um Auslieferung ersucht würde, zu der gleichen Leistung verpflichtet wiire, zum anderen darf auch kein rechtliches Hindernis bestehen, das im umgekehrten Falle ein Auslieferungsersuchen des jetzt ersuchten Staates unmoglich machen würde. Für die Aufrechter-haltung des Oegenseitigkeitsprinzips spricht der das Vôlkerrecht beherrschende Orundsatz der Gleichheit der souveriinen Staaten. Das ist auch der Orundgedanke des Schopfers des Deutschen Ausliefer-ungsgesetzes Wolf gang M ettgenberg gewesen, der durch das Oegen-seitigkeitsprinzip der Diskriminierung Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg entgegentreten und die Anerkennung der Gleichberecht-igung seines Landes erreichen wollte 5 • Man wird derartigen Er-wiigungen angesichts der politischen Lage nach dem zweiten Welt-krieg zwar ihre Berechtigung nicht absprechen konnen, aber sie müssen doch auf dem Oebiet der Auslieferung ais einem Teil der Rechtspflege hinter den Forderungen der modernen Kriminalpolitik zurücktreten. Für die Oegenseitigkeit spricht zwar, dass sie einen gewissen Druck auf die Staaten auszuüben vermag, die Auslieferungs-bedingungen einander anzugleichen und im eigenen Interesse Aus-Iieferungsersuchen anderer Staaten moglichst grosszügig zu

be-5 Vgl. Oehler, Aktuelle Probleme der Auslieferung, ZStW 81 (1969) S. 140 f.

Zur Politik ais "rechtsgestaltendem Faktor" bereits Mettgenberg, Die Rezipro-zitiit im deutschen Auslieferungsrecht, ArchoffR 25 (1909) S. 135, nach dem die Gegenseitigkeit "rückhaltlose Anerkennung ais Rechtssatz beansprucht"; vgl.

ferner derselbe, Der Entwurf des deutschen Auslieferungsgesetzes, ZStW 48 (1928) S. 431 f.

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handeln 6 Aber auch diese Wirkung darf man in ihrem praktischen Effekt nicht überschatzen.

2. Die Nachteile des strengen Oegenseitigkeitsprinzips über-wiegen die Vorteile bei weitem. Vor allem führt die Gegenseitigkeit dazu, dass der Auslieferungsverkehr in Fallen behindert wird, in denen die Leistung der Rechtshilfe im Hinblick auf die internationale Verbrechensbekampfung auch im Interesse des ersuchten Staates lage.

Die Abweichung des auslandischen Rechts, die dazu führt, die Gegen-seitigkeit zu verneinen, kann auch vom Standpunkt des ersuchten Staates durchaus berechtigt oder wenigstens verstandlich erscheinen.

Muss die Auslieferung trotzdem abgelehnt werden, wird damit ohne sachlichen Grund der Strafrechtspflege des ersuchenden Staates ein Schaden zugefügt, der sich durchaus auch für den ersuchten Staat nachteilig auswirken kann, weil dem Beschuldigten ein Schutz ge-wahrt wird, den dieser mit grosster Wahrscheinlichkeit nicht verdient.

Zwar gibt das deutsche Recht in derartigen Fallen an sich die Moglichkeit der stellvertretenden Aburteilung (§ 4 II Nr. 3 StGB), doch fehlt es für die selbstandige Durchführung des Strafverfahrens meist an den Beweisen.

3. Die Reziprozitat sollte deswegen in einem künftigen Auslie-ferungsgesetz zwar nicht vollig preisgegeben werden, aber doch hin-ter den kriminalpolitischen Inhin-teressen zurücktreten 7 • Praktisch würde das bedeuten, dass die Verbürgung der Gegenseitigkeit ais Rechts-bedingung der Auslieferung im Gesetz entfiele 8 • Um Missbrauche zu verhindern, sollte freilich die Regierung im Bewilligungsverfahren bei vertragsloser Auslieferung die Befugnis behalten, ein Ersuchen

abzu-lehnen, wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist. Anders ist die Frage in Auslieferungsvertriigen zu beurteilen. Hier sollte an der

6 V gl. jescheck, Die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in Europa, ZStW 66 (1954) S. 527.

7 So heute die überwiegende Meinung; vgl. Grützner, Staatspolitik und Kriminalpolitik im Auslieferungsrecht, ZStW 68 (1956) S. 510; derselbe, Aktuelle Probleme der Auslieferung, ZStW 81 (1969) S. 121; Herlan, Aus der neuen Rechtsprechung zum Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in Strafsachen, JZ 1966, 176; Oehler, ZStW 81 (1969) S. 140 f.; Schultz, ZStW 81 (1969) S. 207 ff.;

Vogler, ZStW 81 (1969) S. 164 ff.

s über den zunehmenden Verzicht auf die Verbürgung der Gegenseitigkeit in den europaischen Auslieferungsgesetzen (so schon das Schweiz. Auslieferungs-gesetz v. 22.1.1892 in Art. 1 Abs. 1) vgl. Dieter Weber, Die zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Voraussetzungen des Gegenseitigkeitsprinzips, Diss. Frei-burg i.Br., 1962, S. 58 ff. In dieser Richtung auch BGHSt 10, 227 (228).

REFORM DES DEUTSCHEN AUSLIEFERUNGSGESETZES 79 Gegenseitigkeit prinzipiell festgehalten werden, weil kein Staat auf die Dauer einseitig Verpflichtungen übernehmen kann, die ein anderer am Vertrage beteiligter Staat für sich ablehnt. Doch sollte die Gegen-seitigkeit auch in Vertragen dahingehend modifiziert werden, dass man nicht die übernahme einer buchstablich gleichen Pflicht fordert, sondern sich mit wertmassig entsprechenden Pflichten begnügt (mate-rielle Reziprozitiit) 9 , z.B. übernahme der Strafverfolgung anstelle der Auslieferung eines eigenen Staatsangehêirigen 10•

II. Beiderseitige Strafbarkeit und Verfolgbarkeit

1. Das Prinzip der beiderseitigen Straf barkeit bedeutet, dass die Tat, die Gegenstand eines Auslieferungsverfahrens ist, sowohl nach dem Recht des ersuchenden ais auch nach dem Recht des ersuchten Staates strafbar sein muss 11 Umstritten ist dabei lediglich die Frage, ob die beiderseitige Strafbarkeit in abstracto (Existenz einer ent-sprechenden Strafvorschrift) oder in concreto (Strafbarkeit im Einzel-fall) zu verstehen ist. überwiegend wird heute die Auffassung ver-treten, dass die konkrete Strafbarkeit nach dem Recht des ersuchten Staates nachgewiesen werden muss, und zwar unter Einschluss der Bestimmungen über den raumlichen Geltungsbereich wie auch etwaiger Rechtfertigungs- oder Schuldausschliessungsgründe (jedenfalls dann, wenn deren Vorliegen offensichtlich ist) 12 Das Prinzip der beider-seitigen Strafbarkeit ist in den Auslieferungsgesetzen und -vertragen der Gegenwart fast ausnahmslos anerkannt 13, obwohl zu sagen ist, dass die Auslieferung als Akt der Rechtshilf e zum Zwecke der

For-o Vgl. dazu Jescheck, ZStW 66 (1954) S. 528.

10 Ein wichtiges Beispiel der Auflockerung des starren Gegenseitigkeits-prinzips bietet Art. 2 Abs. 7 des Europaischen Auslieferungsübereinkommens vom 20. April 1959 (BOB!. 1964 II S. 1369). Ebenso schon Art. V der Resolution des Institut de Droit International v. 9.9.1880: "La condition de réciprocité, en cette matière, peut être commandée par la politique: elle n'est pas exigée par la justice" (Annuaire de l'Institut, Ed. nouv., Bd. 1, 1875-1883, Bruxelles 1928, S. 733).

11 V gl. dazu niiher Schultz, Das Schweizerische Auslieferungsrecht, 1953, S. 311 ff.

12 Vgl. Schultz, ZStW 81 (1969) S. 212; ferner Schultz, Das Schweizerische Auslieferungsrecht, S. 330.

13 Vgl. Dieter Weber, Die zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Voraus-setzungen des Gegenseitigkeitsprinzips, S. 114 ff. Darüber, dass die beider-seitige Strafbarkeit auch historisch ais Auslieferungsbedingung nie zweifelhaft war, Graven, SchwZStr 42 (1929) S. 59.

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derung eines ausliindischen Strafverfahrens die Strafbarkeit der Tat nach dem Recht des ersuchten Staates im Grunde nicht voraussetzt.

Das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit hat den Nachteil, dass es die Gewahrung von Rechtshilfe auch in den Pallen verhindert, in denen die Tat zwar nach dem Recht des ersuchten Staates nicht mit Strafe bedroht ist, aber vom Standpunkt der Gerechtigkeit nichts dagegen eingewendet werden kann, wenn sie der ersuchende Staat gleichwohl ais strafwürdig empfindet. Der entscheidende Vorteil der beider-seitigen Strafbarkeit liegt jedoch darin, dass dieser Grundsatz ais formales Prinzip eine ordre public - Klauzel entbehrlich macht, die für die Gerichte schwer zu handhaben ware und zu standigen Ausein-andersetzungen mit dem Ausland führen würde.

2. An der beiderseitigen Strafbarkeit wird deswegen auch in einem zukünftigen deutschen Auslieferungsgesetz

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estzuhalten sein 14, aber doch mit gewissen Ausnahmen. Einmal sollte das Vorliegen eines eigenen Strafanspruchs des ersuchten Staates bei Anwendung der Regeln über den raumlichen Geltungsbereich auf den sinngemass um-gestellten Pail dann nicht verlangt werden, wenn der weitergehende Anknüpfungspunkt des auslandischen Rechts im Rahmen dessen liegt, was volkerrechtlich anerkannt ist, denn der ersuchte Staat hat in diesem Palle keinen Anlass, seine Vorstellungen über die Betroffenheit der eigenen Rechtsordnung gegenüber dem ersuchenden Staat durch-zusetzen 15 Perner konnte auf das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit im Palle der akzessorischen Auslieferung verzichtet werden 16 • Weiterhin sollte ein neues deutsches Auslieferungsgesetz nach dem Vorbild des Art. 4 des schweizerischen Auslieferungsge-setzes von 1892 die Auslieferung trotz Pehlens einer Strafbestimmung im Inland dann zulassen, wenn die Straflosigkeit lediglich auf ausseren Umstanden beruht wie auf der Verschiedenheit der geographischen, klimatischen oder ethnologischen Verhaltnisse. Beseitigt werden sollte das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit endlich für jede Art von

14 So die einhellige Meinung; vgl. Griitzner, ZStW 81 (1969) S. 122; Meyer, Die Einlieferung, 1953, S. 111; Oehler, ZStW 81 (1969) S. 146; Schultz, ZStW 81 (1969) S. 214; Vogler, ZStW 81 (1969) S. 169.

15 Dass § 4 Nr. 2 DAO auch die Regeln des raumlichen Geltungsbereichs berücksichtigt wissen will, zeigt die bei Mettgenberg-Doerner, Deutsches Aus-lieferungsgesetz, 2. Aufl. 1953, S. 292 abgedruckte Begründung.

16 Einen ersten Schritt in dieser Richtung unternimmt Art. 2 Abs. 2 des Europaischen Auslieferungsübereinkommens. Dagegen aber Vogler, ZStW 81 (1969) S. 169.

REFORM DES DEUTSCHEN AUSLIEFERUNGSGESETZES 81 Rechtshilfe, die nicht in der Auslieferung oder Durchlieferung des Beschuldigten besteht, denn es ist ein grosser Unterschied, ob der Verfolgte in Person zwangsweise der ausliindischen Strafgewalt zuge-führt wird oder ob Rechtshilfe für ein ausliindisches Strafverfahren cladurch geleistet wircl, dass Zeugen geladen, Beweisstücke heraus-gegeben, Akten übersandt oder andere Hilfsfunktionen übernommen werden. Hier genügt die ordre public - Klausel, wenn das ausliin-dische Verfahren ausnahmsweise seinem Gegenstand nach der U nter-stützung durch den ersuchten Staat nicht würdig erscheint 17 •

3. Von der beiderseitigen Strafbarkeit ist die beiderseitige Verfolg-barkeit zu unterscheiden. Mit der vollen Anerkennung des Erforder-nisses der beiderseitigen Verfolgbarkeit der Tat zieht das geltende deutsche Auslieferungsgesetz die iiusserste Konsequenz aus dem Grundsatz der Gegenseitigkeit (§ 4 Nr. 2 DAO). Die Auslieferung ist nach dieser Vorschrift unzuliissig, wenn die Strafverfolgung oder Strafvollstreckung wegen der Tat nach deutschem Recht infolge von Verjiihrung, wegen eines Gnadenerweises (z.B. eines Amnestiegesetzes) oder aus anderen Gründen (z.B. wegen fehlenden Strafantrags) unzu-Jassig wiire. Die Auslieferungsgesetze der übrigen europiiischen Lander haben sich diesem extremen Standpunkt des deutschen Straf-rechts nicht angeschlossen 18. Meist wird zwar angenommen, dass die nach dem Recht des ersuchten Staates eingetretene Verjiihrung die Auslieferung ausschliesst, aber nirgends findet sich ein Hinweis darauf, dass ein nach dem Recht des ersuchten Staates erforderlicher Straf-antrag vorgelegt werden müsste oder dass einer im ersuchten Staat erlassenen Amnestie für die Auslieferung Bedeutung zukomme. Auch Art. 10 des Europiiischen Auslieferungsübereinkommens beschriinkt sich auf die Bestimmung, dass die Auslieferung nicht bewilligt wird, wenn nach dem Recht des ersuchten Staates die Strafverfolgung oder - vollstreckung verjahrt ist. Das zukünftige deutsche Auslieferungs-gesetz sollte über die Verjiihrung ais Auslieferungshindernis ebenfalls nicht hinausgehen 19 • Diese Einschriinkung ist berechtigt, da die

Ver-11 Zugrunde gelegt ist diese Losung in Art. 2, 5 des Europaischen über-einkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen v. 20. April 1959 (BOB!. 1964 II S. 1386).

1s Vgl. naher Dieter Weber, Die zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Voraussetzungen des Gegenseitigkeitsprinzips, S. 119 ff.

19 In der Literatur wird teilweise bei Vorliegen eines deutschen Strafans-pruchs dem Grundsatz der beiderseitigen Verfolgbarkeit das Wort geredet; vgl.

Oehler, ZStW 81 (1969) S. 148 ff.; Grützner, ZStW 81 (1969) S. 127; Vogler, ZStW 81 (1969) S. 171. Meinen früher in ZStW 66 (1954) S. 537 f. geausserten Standpunkt mochte ich für die Verjahrung nicht aufrecht erhalten.

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jahrung im Ausland überwiegend ais Bestandteil des materiellen Strafrechts angesehen wird und auch in der Bundesrepublik die ge-mischte materiell-prozessrechtliche Theo rie überwiegt. Die Verj ahrung kann deswegen den materiellen Strafbarkeitsbedingungen an die Seite gestellt werden. Niemand denkt dagegen beim Erlass eines Amne-stiegesetzes an Straftaten, die im Ausland begangen werden, und niemand denkt im Ausland an die Stellung eines Strafantrags, wenn dieser nach aus!andischem Recht nicht erforderlich ist und erst durch ein Auslieferungsverfahren eine Rolle spielt.

III. Beschrankungen der Auslieferung wegen der Eigenart der Tat 1. Seit Iangem wird die Frage erürtert, ob die nach überlieferter Auffassung nicht auslieferungsfühigen Delikte (politische, militarische, fiskalische Straftaten) unter gewissen Voraussetzungen in die Aus-Iieferung einbezogen werden konnen 20 • Diese Frage kann indessen in einem Auslieferungsgesetz nicht ge16st werden, da dieses für den ver-tragslosen Auslieferungsverkehr bestimmt ist, wahrend eine begrenzte Zulassung der Auslieferung wegen politischer, militarischer oder fis-kalischer Delikte nur zwischen Staatengruppen in Betracht kommt, die sich in ihrer politischen Grundhaltung nahe stehen, durch militarische Bündnisse zusammengeschlossen sind oder eine engere Wirtschaftsge-meinschaft bilden 21 Die Auslieferungsprobleme, die sich hier ergeben, werden immer nur auf vertraglicher Grundlage geregelt werden konnen.

2. Dagegen besteht eine zunehmende internationale Tendenz, Verbrechen des V olkermordes nicht mehr ais politische Delikte aufzu-fassen, nachdem in Art. VII der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Volkermordes vom 9. Dezember 1948 (BOB!. 1954 II S. 730) bestimmt ist, dass V61kermord in Auslieferungsfüllen nicht ais politisches Verbrechen angesehen werden darf 22 • So hat neuer-dings die italienische Regierung erk!art, dass sie infolge der über-nahme der Volkermordkonvention in das inneritalienische Recht durch

20 Vgl. jescheck, ZStW 66 (1954) S. 532 ff.

21 V gl. dazu Schultz, ZStW 81 (1969) S. 217 ff. mit zahlreichen Hinweisen auf die Landesberichte zum Romischen Kongress. Zur Frage der Auslieferung wegen militiirischer Straftaten ferner eingehend Potz, Generalbericht für den IV.

lnternationalen Kongress für Militiirstrafrecht in Madrid 1967.

2 2 Vgl. jescheck, Die internationale Genocidium-Konvention, ZStW 66 (1954), S. 211.

REFORM DES DEUTSCHEN AUSLIEFERUNGSGESETZES 83 verfassungsanderndes Gesetz eine Auslieferung aus Italien nach Deutschland zur Strafverfolgung wegen NS-Verbrechen nicht mehr ablehnen würde 23 Die deutsche Regierung würde im umgekehrten Palle mit Sicherheit denselben Standpunkt einnehmen, da die Vülker-mordkonvention auch innerdeutsches Recht ist. Die Aufnahme dieser wichtigen Einschrankung der grundsatzlich bestehenden Nichtaus-Iieferungsfahigkeit politischer Delikte in das neue deutsche Ausliefer-ungsgesetz ist jedoch nicht erforderlich, da sie sich aus dem geltenden Vôlkerrecht und seiner Umwandlung in das staatliche Recht ohnehin ergibt. Hinsichtlich der Kriegsverbrechen im engeren Sinne haben sich die Staaten in den Genfer Konventionen zwar nicht unmittelbar zur Auslieferung, aber immerhin zur Anwendung des Grundsatzes "aut dedere aut punire" verpflichtet (Konvention I Art. 49 Abs. 2; Konven-tion II Art. 50 Abs. 2; KonvenKonven-tion III Art. 129 Abs. 2; KonvenKonven-tion IV Art. 146 Abs. 2).

IV. Erleichterungen im Auslieferungsverfahren

1. Vielfach Iegt der Verfolgte auf die Beobachtung der Pôrm-lichkeiten des Auslieferungsverfahrens selbst gar keinen Wert, sondern dringt im Gegenteil darauf, moglichst bald in sein Heimatland über-stellt zu werden. In diesem Palle ist die dem geltenden deutschen Recht unbekannte Môglichkeit der formlosen übergabe (brevi manu traditio) nach dem Muster des schweizerischen und franzôsischen Ausliefer-ungsrechts von Wert (Art. 29 Abs. 1 schweiz. Auslieferungsgesetz;

Art. 15 franz. Auslieferungsgesetz v. 10.3.1927). 24 Die formlose über-gabe ist eine U nterart der Auslieferung, die Voraussetzungen der Bewilligung müssen deswegen ebenso wie bei einer fürmlichen Aus-Iieferung gegeben sein. Sie werden jedoch nur summarisch geprütt, wenn der Verfolgte nach Belehrung zu richterlichem Protokoll in die vereinfachte Auslieferung einwilligt. In diesem Pail kann, um Zeit zu gewinnen, die Entscheidung der staatsanwaltlichen Behôrde über-tragen werden, die das Verfahren durchführt. Ein Auslieferungsver-fahren Iasst sich unter diesen Umstanden vom Eingang des Ersuchens bis zur übergabe des Verfolgten an den ersuchenden Staat in weniger ais zwei Wochen abwickeln. Die Spezialitiitswirkung der Auslieferung wird übrigens durch die formlose übergabe nicht notwendig

be-23 Vgl. Grützner, BAnz Nr. 165 v. 4.9.1968, Beilage S. 16.

24 Vgl. Schultz, Das Schweizerische Auslieferungsrecht, S. 159 ff.

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seitigt 25 • Die Zustimmung des Verfolgten hat nur für die innerstaat-Iiche Gestaltung des Verfahrens Bedeutung, nicht für <las vOlker-rechtliche Verha!tnis zum ersuchenden Staat. Gemessen wird die Spe-zialitat an <lem Inhalt der Bewilligungserklarung des ersuchten Staates.

2. Die moderne Porm der Durchlieferung eines Verfolgten ist die Befürderung auf <lem Luftwege ohne Zwischenlandung (Non-Stop-Flug). Oft genug wird diese Art der Befürderung ohne amtliche Unter-richtung des überflogenen Landes gewahlt werden, <loch ist <las eine Unkorrektheit im vOlkerrechtlichen Verkehr, die nicht einreissen sollte.

Die Durchlieferung im Non-Stop-Plug ist deshalb in Art. 21 Abs. 4 des Europaischen Auslieferungsübereinkon11nens geregelt worden.

Nach dieser Bestimmung braucht der ersuchende Staat im Palle einer Durchlieferung auf dem Luftwege ohne Zwischenlandung <lem Staat, dessen Hoheitsgebiet überflogen werden soli, nur <las Vorhandensein eines vollstreckbaren Straferkenntnisses oder eines Haftbefehls zuzu-sichern. lm Palle einer unvorhergesehenen Zwischenlandung hat diese Mitteilung dann die Wirkung eines Antrags an den betreffenden Staat, den Verfolgten nicht freizulassen, sondern in vorlaufige Auslieferungs-haft zu nehmen. Dieses Verfahren sollte in einem künftigen deutschen Auslieferungsgesetz ausdrücklich geregelt werden, weil sonst die deut-schen Behêirden gar nicht <las Recht hatten, den Verfolgten im Palle einer unvorhergesehenen Zwischenlandung in Haft zu nehmen. Die

Nach dieser Bestimmung braucht der ersuchende Staat im Palle einer Durchlieferung auf dem Luftwege ohne Zwischenlandung <lem Staat, dessen Hoheitsgebiet überflogen werden soli, nur <las Vorhandensein eines vollstreckbaren Straferkenntnisses oder eines Haftbefehls zuzu-sichern. lm Palle einer unvorhergesehenen Zwischenlandung hat diese Mitteilung dann die Wirkung eines Antrags an den betreffenden Staat, den Verfolgten nicht freizulassen, sondern in vorlaufige Auslieferungs-haft zu nehmen. Dieses Verfahren sollte in einem künftigen deutschen Auslieferungsgesetz ausdrücklich geregelt werden, weil sonst die deut-schen Behêirden gar nicht <las Recht hatten, den Verfolgten im Palle einer unvorhergesehenen Zwischenlandung in Haft zu nehmen. Die

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