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Neben der Beratung und Begleitung der Eltern erhält die Frühförderung die Aufgabe, der Familie einen Zugang zur Gebärdensprache zu ermöglichen. Je nach Alter und Sprachentwicklungsstand des Kindes sowie den Ressourcen der Eltern können dabei verschiedene Modelle in Betracht gezogen werden.

Vorwiegend verfügen Eltern zum Beginn der Frühförderung über keine Gebär-densprachkompetenzen und sollten daher nicht mit der Vorstellung konfron-tiert werden, ihrem Kind als umfassendes Sprachvorbild zur Verfügung stehen zu müssen. Grundlegende Idee ist vielmehr ein gemeinsamer Lernprozess von Eltern und Kind, bei dem beide auf unterschiedliche Erwerbsmechanismen zurückgreifen.

Frühe bilinguale Eltern-Kind-Dialoge

Die bilinguale Förderung konfrontiert Eltern mit besonderen Aufgaben, die mit einer großen Unsicherheit und Sorge einhergehen können (Becker, 2013).

Elterngespräche müssen daher Herausforderungen und Erwartungen transpa-rent machen sowie Förderziele und Schritte zu ihrer Erreichung konkretisieren.

Dies muss auf gemeinsamen Entscheidungsprozessen basieren und den Res-sourcen der Familie und der Frühförderung entsprechen.

Der Einsatz von Gebärden ist für Eltern eine neue Kommunikationsform, die eine starke Begleitung und Anleitung durch die Frühförderkraft benötigt. Im Mittelpunkt der frühen Eltern-Kind-Dialoge sollten vorerst lautsprachbeglei-tende Gebärden Anwendung finden (Günther, Hennies, 2012), welche sich an der natürlichen Gestik und den alltäglichen, sich wiederholenden Handlungen

Bilinguale Frühförderung: Aktuelle Trends in Deutschland...

-development support and education of children and youth with hearing impairment – comparative analysis on the example of five European countries aborniak-Sobczak, Katarzyna Ita Bieńkowska, Edyta Tomińska Wydawnictwo APS Warsaw 2017

orientieren. Der Kontextbezug ermöglicht den Eltern einen langsamen Ein-stieg sowie entspannte, natürliche Eltern-Kind-Dialoge. Der/die Frühförderer/

in muss auf dieser Stufe Gebärden vermitteln, die sich an den Bedürfnissen und Gewohnheiten der Familie orientieren, und als Sprachvorbild für die Eltern fungieren. Neben den Dialogen mit dem Kind können bereits erste Lieder mit Gebärden durch die Frühförderung vermittelt und gemeinsam erprobt werden.

Erweist sich der Einsatz lautsprachunterstützender bzw. –begleitender Gebär-den als gewinnbringend und wird darauf basierend eine Intensivierung und Erweiterung des bilingualen Angebotes angestrebt, kann die gezielte Gebärden-sprachförderung in der Familie installiert werden. Um eine hohe Qualität des Sprachinputs gewährleisten zu können, sollte spätestens ab dieser Stufe eine hoch gebärdensprachkompetente Person, im Idealfall ein/e gehörlose/r Native Signer/in, die Betreuung der Familie übernehmen. Je nach Möglichkeiten der Frühförderstelle sowie nach Bedürfnissen der Familie bieten sich mehrere Methoden an, um eine bilinguale Förderung durchzuführen.

Frühförderung in der Familie

Im günstigsten Fall wird die Frühförderung in dem häuslichen Umfeld durch ein Team aus einer/m gehörlosen und hörenden Fachkraft abgedeckt. Bei der Gestaltung des Vorgehens sollten die unter 3.3 beschriebenen Aspekte zur Arbeit in einem Tandem berücksichtigt werden. Zudem sollte mit den Eltern vereinbart werden, in welcher Form regelmäßige Gespräche gestaltet werden (z. B. Anwesenheit beider Frühförderer/innen).

Unter Umständen kann das Angebot nur durch eine hörende, gebärden-sprachkompetente Fachkraft abgedeckt werden. Hier müssen Vereinbarungen mit den Eltern über die möglichen und gewünschten Diskursstrategien (s. 3.3) getroffen werden, an denen sich die Gestaltung der Fördereinheiten orientiert.

Entscheidend ist dabei, dass die Eltern eine Kommunikationsform finden, die sowohl Sicherheit vermittelt als auch ohne Anstrengungen angewandt werden kann. Im Mittelpunkt der Angebote steht neben der Erweiterung sprachlicher Kompetenzen auch die Vermittlung von Methoden (z. B. Wie lese ich ein Buch mit Gebärden vor? Wie gestalte ich Spielsituationen? Welche Sprachvarietäten nutze ich außerhalb der Familie?).

Johannes Hennies, Kristin Hofmann

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Förderung der elterlichen Gebärdensprachkompetenzen

Kurse in der Gebärdensprache, die von gehörlosen Dozenten/innen angeboten werden, sind notwendig, um einen gezielten Sprachinput zu ermöglichen. Die Kurse werden häufig an Volkshochschulen oder in privaten Kursen für unter-schiedliche Zielgruppen angeboten. Letzteres hat zur Folge, dass die Inhalte nicht immer auf die spezifischen Bedürfnisse einer Familie abgestimmt sein können. Ein ergänzendes Angebot ist die gebärdensprachliche Frühförderung durch eine gehörlose Fachkraft. Eine Fördereinheit kann dann auch als gezielter Input in Form eines Kurses gestaltet werden. Zudem erwerben die Eltern durch gemeinsame Interaktionen mit dem Kind und dem/der gehörlosen Frühförderer/

in Gebärdensprachkompetenzen (in Form eines ungesteuerten Spracherwerbs).

Ergänzend dazu benötigen die Eltern Beratung hinsichtlich der Eignung unter-schiedlicher Gebärdensprach- und/oder Selbstlernmaterialien. Frühförderkräfte sollten in diesem Bereich über umfangreiches Wissen verfügen. Unter Umstän-den besitzen Frühförderstellen ein größeres Inventar an Materialien, welches an Familien entliehen werden kann.

Eltern-Kind-Treffen

Eltern-Kind-Treffen bieten auch in der bilingualen Frühförderung eine wert-volle Möglichkeit, um eine Austauschplattform für bilinguale Kinder und ihre Eltern zu generieren. Die Gestaltung der Treffen durch die Frühförderstelle geht je nach Kapazitäten der Einrichtung mit einem großen Handlungsspielraum einher (z.B. Sprachkurse für die Eltern, bilinguale Spielangebote für Kinder und Eltern, offener Austausch zwischen Eltern und Frühförderern/innen). Die Angebote müs-sen alltagsbezogen sein und werden von den Frühförderern/innen durchgeführt und angeleitet, sodass die Eltern diese zu Hause eigenverantwortlich umsetzen und den neu erworbenen Wortschatz umgehend anwenden und festigen können.

Neben der Vermittlung von Gebärdensprachkompetenz und dem Austausch mit Gleichbetroffenen können die Treffen auch kulturelle Begegnungen ermöglichen.

Die Angebote können auch für gehörlose Eltern geöffnet werden, damit authen-tische Sprachkontakte entstehen, die die Zweisprachigkeit der Familien in ihrer Anwendung unterstützt und zusätzliche Erwerbskontexte generieren.

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Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Als vierter Eckpfeiler der Frühförderung bietet die Begleitung der Kinder in den Kindertagesstätten und die damit verbundene Interdisziplinarität weitere Her-ausforderungen für ein bilinguales Konzept. Die Bilingualität der Kinder endet nicht mit Eintritt in eine frühpädagogische Einrichtung. Auch wenn die Förde-rung der Lautsprache durch den Besuch einer Einrichtung in der hörenden Welt relevanter wird, darf die Gebärdensprache nicht zwangsläufig an Bedeutung abnehmen. Da zu diesem Zeitpunkt noch keine Prognosen über den Erwerbsver-lauf in beiden Sprachen getroffen werden können und die Gebärdensprache auch in der hörenden Majorität, insbesondere in Bildungsinstitutionen, ihre Berechti-gung besitzt, muss auch in der Kita ein entsprechender Raum geschaffen werden.

Wesentlich für eine erfolgreiche Integration sind die Akzeptanz der Bilingualität des Kindes und eine barrierefreie Kommunikation. Insbesondere bei Kindern, deren lautsprachliche Fähigkeiten (noch) nicht ausreichen, muss die gebärden-sprachliche Kommunikation an Bedeutung gewinnen, entweder unterstützend für den Lautspracherwerb oder als ausschließliches Kommunikationssystem. Im Folgenden wird die Einzelförderung in frühkindlichen Bildungsinstitutionen aus-geklammert, da deren Gestaltung sich an Kapitel 3.3 orientiert. Im Fokus stehen daher Tätigkeitsfelder der interdisziplinären Zusammenarbeit.

Gruppenangebote

Neben der Förderung in Kleingruppen ermöglichen Gruppenangebote eine Sensibilisierung des Umfeldes eines Kindes für dessen Zweisprachigkeit sowie einen gezielten Sprachinput. Die Gruppenangebote können sowohl durch den/

die Frühförderer/in als auch gemeinsam mit dem/der Erzieher/in gestaltet wer-den. Je nach Ziel des Angebotes kann oder sollte dieses auch durch eine/n gehör-lose/n Frühförderer/in durchgeführt werden. Ferner können Gruppenangebote und Interaktionen gebärdensprachlich begleitet werden. Lieder und Spielsitua-tionen, aber auch Ausflüge eignen sich für (indirekte) Sprachkontakte. Darüber hinaus ist der Transfer der Einzelförderung in die Gruppe in zweierlei Hin-sicht bedeutsam: die bilinguale Kommunikation wird präsent für alle Kinder der Gruppe und es findet eine indirekte Gebärdensprachförderung der Erzieher/

innen und aller Kinder, die an den Angeboten teilnehmen wollen, statt.

Johannes Hennies, Kristin Hofmann

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Gebärdensprachkompetenz der Erzieher/innen

Wie auch in der Elternarbeit muss zunächst hervorgehoben werden: Erzie-her/innen dürfen mit der bilingualen Kommunikation nicht überfordert wer-den. Stellt bereits die heterogene Gruppe (mit einem hörgeschädigten Kind) an sich eine Herausforderung dar, kann die Forderung nach bilingualen Kommu-nikationsformen Unsicherheit und mitunter Abwehr auslösen. Ein behutsamer, langsamer Einstieg in das Thema sowie sensible Beratungs- und Informations-gespräche, die ein gemeinsames Vorgehen thematisieren, sind zu Beginn unbe-dingt erforderlich.

Neben der Möglichkeit, durch die Teilnahme an Fördereinheiten Gebärden lernen zu können, erweist sich ein Gebärdensprachkurs als notwendig. Teil-weise können Dozenten/innen diesen in der Einrichtung anbieten, wenn sich eine ausreichend große Gruppe aus dem Kollegium bildet. Daneben sollte die Frühförderung die Erzieher/innen über Kursangebote und Selbstlernmaterialien informieren und ggf. zur Verfügung stellen. Auch die Möglichkeit regelmäßi-ger Inputsituationen durch die/den Frühförderer/in kann bei Bedarf in Betracht gezogen werden.

Praxisbeispiele

Die folgenden Beispiele2 stammen aus einem Frühförderzentrum für Hören und Kommunikation in Deutschland. Die Frühförderstelle arbeitet unter einem freien Träger. Die beschriebenen Angebote wurden teilweise aufgrund der besonderen Bedürfnisse der Familien installiert und erst nachträglich als fester Bestandteil in das Konzept der Einrichtung integriert.

Lotta

Lotta ist gehörlos und hat kein CI. Sie erhält gebärdensprachliche Früh-förderung seit ihrem 1. Lebensjahr. Die gehörlose Frühförderin besucht die Familie zweimal wöchentlich. Die Fördereinheiten werden durch gemeinsame

2 Alle Namen wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen geändert.

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Spielsituationen mit Lotta oder als Sprachkurse für die Eltern gestaltet. Die Familie besucht zusätzlich einmal monatlich den Gebärdensprachkurs für Familien des Frühförderzentrums3. Seit Eintritt in die Kindertagesstätte wird Lotta durch eine gehörlose Integrationshelferin in der Einrichtung betreut. Alle Erzieher/innen der Einrichtung besuchen seit Lottas Eintritt einen Gebärden-sprachkurs. Die Kommunikation zwischen Lotta und den anderen Kindern oder Erzieherinnen findet gebärdensprachlich statt.

Anton & Andrea

Die Zwillinge sind gehörlos und bilateral mit einem CI versorgt. Die Frühför-derung war anfangs lautsprachlich orientiert. Erste Kontakte zur Gebärdenspra-che hatte die Familie durch den Gebärdensprachkurs für Familien, den sie regel-mäßig besucht. Die Frühförderung wird durch eine hörende und eine gehörlose Fachkraft abgedeckt, welche gemeinsam Elterngespräche führen. Die gehörlose Kollegin besucht die Familie einmal wöchentlich im häuslichen Umfeld zur gebärdensprachlichen Förderung. Die hörende Frühförderin besucht die Kin-der einmal pro Woche in Kin-der KinKin-dertagesstätte. Hauptanliegen ist hierbei die Hörerziehung und Lautsprachentwicklung (unter dem Einsatz unterstützender Gebärden) sowie der interdisziplinäre Austausch. Andrea und Anton nutzen in der Kita vorrangig Lautsprache und im häuslichen Umfeld Sprachmischungen.

Jerik

Jerik ist ein hörender Junge. Aufgrund der Versorgung mit einer Trache-alkanüle ist für ihn die Lautsprachproduktion schwer bis unmöglich. Jeriks Sprachverständnis ist unauffällig. Seit seinem dritten Lebensjahr wird er gebärdensprachlich gefördert. Die Eltern besuchen je nach zeitlichen Kapazi-täten den Gebärdensprachkurs für Familien der Frühförderstelle. Die hörende

3 Organisation: Nach einem gemeinsamen Einstieg in das Thema und einem Interaktionsangebot für Eltern und Kinder (z.B. gemeinsames Singen) erhalten die Eltern einen 30 minütigen Gebärden-sprachkurs durch eine gehörlose Dozentin. Die Frühförderinnen beschäftigen sich zeitgleich mit den Kindern. Abschließend steht Raum für Austausch zur Verfügung.

Johannes Hennies, Kristin Hofmann

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Frühförderin besucht Jerik einmal wöchentlich in der Kindertagesstätte, wobei die Fördereinheiten in der Gruppe und je nach Jeriks Interesse unter Einbezug anderer Kinder stattfinden. Die Frühförderin nutzt hier vorwiegend sukzes-siv-bilinguale Diskursstrategien. Aller drei Wochen erhalten Jeriks Eltern durch die Frühförderin einen Gebärdensprachkurs. Für die Erzieher/innen aus Jeriks Gruppe sowie weitere Kollegen/innen aus der Einrichtung bietet die Frühförde-rin einmal im Monat einen Gebärdensprachkurs an, bei dem vorwiegend rele-vante Lieder, Bücher oder Gedichte (gemeinsam) übersetzt werden. Zusätzlich fertigt die Frühförderin für die Eltern und Erzieher/innen je nach Bedarf Videos mit Gebärden und übersetzten Liedern an und stellt diese über einen Medien-pool als Lernmaterial zur Verfügung.

Insgesamt zeigen die Beispiele, dass sowohl methodisch als auch zielgrup-penspezifisch die bilinguale Frühförderung vielfältige Möglichkeiten bietet.

Die Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familien sind heterogen. Das vorgestellte Konzept muss nicht in seiner Gesamtheit Anwendung für jedes Kind finden. Es stellt jedoch einen Pool dar, welcher individuelle auf die Förderziele und Res-sourcen angepasst werden kann.

Zusammenfassung und Ausblick: Bilinguale Frühförderung

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