• Aucun résultat trouvé

Das schweizerische Bankprivatrecht 2016 = Le droit bancaire privé suisse 2016

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Partager "Das schweizerische Bankprivatrecht 2016 = Le droit bancaire privé suisse 2016"

Copied!
39
0
0

Texte intégral

(1)

Reference

Das schweizerische Bankprivatrecht 2016 = Le droit bancaire privé suisse 2016

EMMENEGGER, Susan, et al.

Abstract

Aperçu de la jurisprudence de l'année 2016 avec résumés des 44 arrêts les plus significatifs.

EMMENEGGER, Susan, et al . Das schweizerische Bankprivatrecht 2016 = Le droit bancaire privé suisse 2016. Revue suisse de droit des affaires et du marché financier , 2017, vol.

89, no. 2, p. 210-248

Available at:

http://archive-ouverte.unige.ch/unige:94653

Disclaimer: layout of this document may differ from the published version.

1 / 1

(2)

Inhaltsübersicht – Table des matières Vorbemerkungen – Remarques introductives I. Bankgeschäfte – Activités bancaires

II. Anlagegeschäfte – Activités d’investissement III. Sicherheiten und Verwertung – Sûretés et

réalisation

IV. Rechenschaftsablegung, Retrozessionen und Auskünfte – Reddition de compte, rétrocessions et renseignements

V. Zivilverfahren und Vollstreckung – Procédure civile et exécution forcée

VI. Steuerkonformität der Kunden und Kontosperren – Conformité fiscale du client et blocage de comptes VII. Lieferung von Mitarbeiterdaten – Transmission

de données sur les collaborateurs VIII. Diverses – Divers

Vorbemerkungen – Remarques introductives Das Bankprivatrecht regelt diejenigen Rechtsbezie- hungen der Bank, die ihre Grundlage im Privatrecht haben, wobei die vertragsrechtlichen Bindungen zwischen der Bank und ihren Kundinnen zum Kern- bestand gehören. Die diesjährige Rechtsprechungs- übersicht will dies nicht in Frage stellen. Was aller- dings auffällt, ist die Häufung von bankprivatrecht- lichen Sachverhalten, die gleichzeitig eine straf - rechtliche Relevanz aufweisen. Immerhin: Es gibt noch Rechtsprechung mit einem genuin privatrecht- lichen Hintergrund, und auch diese Fälle zeigen inte- ressante Entwicklungen auf.

Die «Verstrafrechtlichung» des privaten Bankrechts

Die «Verstrafrechtlichung» des privaten Bankrechts ist durchaus facettenreich. Da ist einmal die Gestal- tungsrolle des Strafrechts bei der Beurteilung zivilrecht- licher Fragen. So sind in- und ausländische Strafnor- men ein entscheidender Faktor bei der Beurteilung

von Barabhebungs- und anderen Transferbeschrän- kungen seitens der Banken (r37–r40). In die Ent- scheide betreffend die Übermittlung von Mitarbeiter- daten fliesst sodann das Risiko einer Wiederaufnah- me der US-Strafverfahren gegen die Banken in die datenschutzrechtliche Interessenabwägung ein (r41–

r43).

Da ist weiter die Hilfsfunktion des Strafprozesses im Hinblick auf die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche. Hier dient das Strafverfahren als Beweis- generator, indem im Zivilverfahren auf die strafpro- zessuale Sachverhaltsermittlung zurückgegriffen wird. So zitiert die erste zivilrechtliche Abteilung des Bundesgerichts im Fall Didier Piguet/Informations- pflichten der Depotbank über mehrere Seiten hinweg Zeugenaussagen aus dem Strafprozess (r13). Im Fall der Cum-Ex-Geschäfte/Bank Safra Sarasin (r14) reichten die Zivilkläger Dokumente aus deutschen Strafverfahren zum Beweis ein. Absehbar ist die

«Steigbügelfunktion» des Strafverfahrens für Zivil- klagen im Fall ASE Investment AG/BKB, in welchem der erstinstanzliche Strafprozess im Dezember 2016 mit drei Schuldsprüchen endete. Ob in der schriftli- chen Urteilsbegründung auch die mündliche Ein- schätzung des Richterkollegiums, wonach die BKB ihre Sorgfaltspflichten aufs Gröbste verletzt habe,1 ihren Niederschlag finden wird, bleibt abzuwarten.

Man sollte im Blick behalten, dass die BKB im besag- ten Verfahren nicht angeklagt war, sondern selbst als Privat- und Strafklägerin auftrat. Hingegen gibt es eine Strafanzeige gegen die BKB wegen Geldwäsche- rei – und es verwundert nicht, wenn dem Vernehmen nach die Entscheidung zur Einreichung von Zivilkla- gen nicht zuletzt vom Ausgang des Geldwäscherei- strafverfahrens abhängt. Unbegrenzt können Zivil- kläger allerdings nicht auf den strafprozessualen Be- weisgenerator zurückgreifen. Dem Versuch zweier Kläger, das bereits über fünf Jahre andauernde und kurz vor dem erstinstanzlichen Entscheid stehende Zivilverfahren zu sistieren, weil das von einem von ihnen initiierte Strafverfahren weitere Beweise her- vorbringen würde, schob das Obergericht Zürich ei- nen Riegel. Eine Sistierung sei nicht gerechtfertigt, da die Zivilgerichte an die strafgerichtliche Beurtei- lung nicht gebunden seien (Art. 53 OR).2

1 NZZ 16. Dezember 2016, 29 (Exemplarisch hohe Strafen).

2 ZH Obergericht, RB160007-O/U vom 19. April 2016 (Fall- konstellation ausserhalb des privaten Bankrechts).

* Prof. Dr. Susan Emmenegger ist Professorin an der Univer- sität Bern und Direktorin des Instituts für Bankrecht. Prof.

Dr. Luc Thévenoz ist Professor an der Universität Genf und Direktor des Centre de droit bancaire et financier. MLaw Thirza Döbeli ist wissenschaftliche Assistentin am Institut für Bankrecht der Universität Bern. Leandro Lepori ist Rechtsanwalt und wissenschaftlicher Assistent am Centre de droit bancaire et financier der Universität Genf.

(3)

Da ist weiter die genuine zivilrechtliche Rechtsan- wendungs und -fortbildungsfunktion der Strafgerichte im Rahmen der Beurteilung von Adhäsionsklagen. In der vorliegenden Berichtsperiode hiess das Strafge- richt in einem Fall von Churning die Schadenersatz- klage der Privatklägerin gut und konkretisierte in diesem Zusammenhang die Aufklärungspflichten der Vermögensverwalterin (r7). In der vergangenen Be- richtsperiode äusserte sich das Strafgericht zu den Anforderungen für einen gültigen Verzicht auf die Herausgabe von Retrozessionen in den AGB.3

Da ist schliesslich ganz allgemein gesprochen die Trigger-Funktion von Strafverfahren: Straftaten im Fi- nanzbereich führen naturgemäss zu finanziellen Schäden und zu einer entsprechenden zivilrechtli- chen Nachbereitung. So lebt etwa das Schneeballsys- tem «Madoff» in der Frage weiter, inwieweit die Bank gestützt auf ihr AGB-Pfandrecht Risiken aus anderen Rechtsbeziehungen auf die Kunden abwälzen kann (r18, r19).

All diese Konstellationen führen letztlich zum Eingeständnis, dass das Bankprivatrecht zu einem nicht unbeachtlichen Teil von der zivilrechtlichen Aufarbeitung kriminellen Handelns lebt.

Claw-Backs und Umfang von AGB-Pfandrechten [Madoff]

Die Geschichte um die claw-back-Forderungen der Madoff-Liquidatoren gegenüber den Depotbanken bzw. die Frage, ob die Banken die Kundenguthaben im Umfang der Rückforderungsansprüche der Liqui- datoren zurückbehalten können, hat eine erstaunli- che Wende genommen. Im Mai 2014 hatte das Han- delsgericht Zürich entschieden, es handle sich bei den Forderungen der Liquidatoren um Verbindlich- keiten, die der Bank unter dem Titel von Art.  402 Abs. 1 OR entstehen, weshalb die Bank vom Kunden die Befreiung verlangen könne. Das Bundesgericht bestätigte den Entscheid im Juli 2015, liess aber die Frage offen, ob Art.  402 Abs.  1 OR dafür eine ein- schlägige Rechtsgrundlage biete. Es stützte den Rückforderungsanspruch der Bank auf die Vereinba- rung der Parteien, das Geschäft auf Rechnung des Kunden durchzuführen.4 Die Genfer Cour de Justice

3 SZW 2016 217 r9.

4 ZH Handelsgericht, HG120079-O vom 27. Mai 2014 (Vor- instanz); BGer, 4A_429/2014 vom 20.  Juli 2015, beide besprochen in SZW 2015 388 f., 399 r13.

hingegen entschied im August 2015 ohne Bezugnah- me auf die ihr offensichtlich entgangene Rechtspre- chungsentwicklung, die Bank könne sich für die Kos- tenabwälzung weder auf Art. 402 Abs. 1 OR noch auf das Pfandrecht der Bank stützen. Diesen Entscheid kassierte das Bundesgericht mit Urteil vom April 2016 (r18). Die Rechtsgrundlage für das Zurückbe- haltungsrecht sah es in der Pfandklausel der Bank.

Die Frage nach der Anwendbarkeit von Art. 402 OR liess es wiederum offen, stellte aber klar, dass die Be- stimmung dispositiver Natur sei und durch die Ver- einbarung der Parteien abgeändert werden könne.

Im Oktober 2016 lag dem Bundesgericht wieder- um ein Madoff-Fall vor (r19). Hier hatte die Waadt- länder Vorinstanz – im materiellen Gleichklang mit dem Bundesgerichtsurteil vom April 2016  – den Rückbehaltungsanspruch der Bank bejaht und stütz- te diesen im Kern auf das in den AGB vereinbarte Pfandrecht. Das Bundesgericht urteilte in voller Be- setzung, die claw-back-Forderungen der Madoff-Li- quidatoren seien vom Pfandrecht der Bank nicht er- fasst. Es handelt sich um einen Leitentscheid, er ist zur amtlichen Publikation vorgesehen. Das Bundes- gericht führt aus, ein Pfandrecht für künftige Forde- rungen, namentlich für solche der Bank gegenüber ihrem Kunden, sei zulässig, solange die Forderungen bestimmbar seien. Bestimmbar seien die Forderun- gen dann, wenn sie aus der Geschäftsbeziehung der Parteien hervorgehen und diese bei Abschluss des Pfandvertrages vernünftigerweise mit deren Entste- hung rechnen mussten. Claw-back-Forderungen eines Dritten oder andere Klagen, die im Nachgang zu ei- nem Betrugsfall erhoben wurden, gehörten nicht in die Kategorie der vorhersehbaren Forderungen. Also sei die Forderung zu wenig bestimmt.

Der Entscheid ist fraglos eine Kehrtwende im Hinblick auf das Urteil vom 1.  April 2016; man ist versucht, auf das genaue Entscheiddatum zu verwei- sen. Die Genfer Cour de Justice ist nicht zu beneiden:

Sie ist an den bundesgerichtlichen Rückweisungsent- scheid vom 1.  April 2016 gebunden und muss das Pfandrecht der Bank bejahen  – wohl wissend, dass das Bundesgericht am 3. Oktober 2016 eine diamet- ral entgegengesetzte Rechtsauffassung vertreten hat.

Im Übrigen wird das Urteil vom 1.  April 2016 vom neuen Leitentscheid mit keinem Wort erwähnt. Auch der Hinweis auf das Urteil vom 20. Juli 2015 erfolgt in nachgerade kryptischer Weise. Letztlich handelt es sich um eine Änderung der Rechtsprechung, ohne

(4)

dass das Bundesgericht diese an den dafür geltenden Parametern misst.

Immerhin verfolgt das Bundesgericht seine neue Rechtsprechungslinie mit einiger Konsequenz. In ei- nem Entscheid vom 8. November 2016 nimmt es aus- führlich auf den Leitentscheid vom 3. Oktober 2016 Bezug und kommt auch hier zum Ergebnis, der Pfandrechtsanspruch der Bank sei durch die Pfand- rechtsklausel in den AGB nicht gedeckt (r20). Im be- sagten Fall ging es um eine Geschäftsbeziehung zwi- schen der Bank und einer Gesellschaft, die der Bank Kunden zuführte und dafür von der Bank Retrozessi- onen im Umfang von 33% der Kommissionen erhielt.

Ein Kunde klagte gegen die Bank auf Rückerstattung seines ursprünglichen Guthabens, einschliesslich al- ler Kommissionen. Die Bank machte daraufhin ge- genüber der Gesellschaft ein Pfandrecht in Höhe der bezahlten Retrozessionen geltend, und zwar gestützt auf ungerechtfertigte Bereicherung. Das Bundesge- richt hielt fest, dass die Pfandklausel künftige Forde- rungen erwähne, aber nicht ausdrücklich solche aus ungerechtfertigter Bereicherung. Diese seien auch nicht vom hypothetischen Parteiwillen gedeckt; die Gesellschaft habe nicht vernünftigerweise damit rechnen müssen, dass sie Zahlungen, die sie aufgrund der Zuführung neuer Kunden von der Bank erhalten hatte, möglicherweise zukünftig einmal zurücker- statten müsse. Wäre es anders, so würde dies dazu führen, dass der Pfandgläubiger die Pfandsache auch nach der Vertragsbeendigung langfristig zurückbe- halten könnte, hindere doch gemäss Art.  140 OR selbst die Verjährung der Forderung (Art. 67 OR) die Geltendmachung des Pfandrechts nicht. Eine solche Rechtsfolge sei offensichtlich nicht zu rechtfertigen.

Mit dem Entscheid vom 8. November 2016, der – anders als die Madoff-Rechtsprechung – nicht die Be- sonderheit eines Jahrhundertbetrugs mit US-Berüh- rungspunkten betrifft, festigt das Bundesgericht sei- ne Linie im Hinblick auf die AGB-Pfandrechte der Banken. Im Ergebnis sollen die Pfandrechte nicht uneingeschränkt dazu eingesetzt werden können, unvorhergesehene Regressforderungen der Banken gegenüber ihren Kunden sicherzustellen. Vielmehr sollen die Banken diejenigen Risiken, die aus ihren eigenen Vertragsbeziehungen entstehen, grundsätz- lich selber tragen. Regressforderungen sind damit nicht ausgeschlossen, nur sind sie nicht mit einer Pfandsicherheit unterlegt. Diese Lösung ist mit Blick auf die häufig fehlende Vorhersehbarkeit von Re- gressforderungen folgerichtig. Trotzdem ist in die-

sem Themenbereich das letzte Wort noch nicht ge- sprochen; man darf gespannt sein auf weitere Fälle und entsprechende Differenzierungen. Und schliess- lich wird sich die Frage des Umfangs der Pfandhaft spätestens dann auf der Stufe einer AGB-Kontrolle wieder stellen, wenn die Banken ihre AGB an die Madoff-Rechtsprechung angepasst haben.

Informationspflichten der Depotbank

Wo es viele Schafe gibt, sind auch immer ein paar schwarze dabei. Im Jahr 2003 traf es den Finanzplatz Genf, wo die vom Financier Didier Piguet kontrollier- te Vermögensverwaltungsgesellschaft «Golden Lion SA» in Konkurs geriet.5 Die in diesem Zusammen- hang eingeleiteten Strafverfahren führten zu Verur- teilungen wegen Betrugs.6 Auch in diesem Fall kam es zu Zivilklagen von Anlegern, die mit den von der Golden Lion geführten Anlagefonds, und namentlich mit dem dritten dieser Fonds, grosse Verluste erlitten.

Im Verfahren gegen eine der Depotbanken wurde auf die Sachverhaltsermittlungen im Strafverfahren zu- rückgegriffen – ein Beispiel für die «Steigbügelfunkti- on» des Strafverfahrens im privaten Bankrecht (r13).

Das Bundesgericht steht der Haftung der Depot- bank bei Vorliegen eines externen Vermögensverwal- tungsmandats bekanntlich zurückhaltend gegenüber.

Die Depotbank ist nur im Ausnahmefall verpflichtet, Informationen über die getätigten Geschäfte einzu- holen, die Tätigkeit des Vermögensverwalters zu überwachen oder den Kunden über die Risiken auf- zuklären.7 Ein solcher Ausnahmefall lag dem Bun- desgericht in der Affaire «Golden Lion SA» vor, wobei das Vorliegen einer Informationspflicht über alle Ins- tanzen unstreitig war: Die Bank hatte der Golden Lion ein Empfehlungsschreiben zuhanden des Kun- den ausgestellt, einer ihrer Mitarbeiter hatte den Kunden zu einem Treffen mit den Organen der Ge- sellschaft nach London begleitet, und schliesslich hatte die Bank dem Kunden einen Kredit für die In- vestition in die später hohe Verluste generierenden Anlagefonds der Golden Lion gewährt. Streitig war

5 SHAB 17. März 2004, 25.

6 Siehe News.ch 30.  November 2009 (Genfer Strafgericht spricht Didier Piguet schuldig); RTN 30. November 2009 (Escroquerie: Didier Piguet écope du six ans de prison ferme).

7 Statt vieler: BGE 133 III 97 E. 7.1.1 S. 102 f. Siehe auch SZW 2011 380 r5; SZW 2012 329 f. r8 und r9.

(5)

hingegen, ob der Bank informationswürdige Tatsa- chen vorlagen, die sie dem Kunden hätte mitteilen müssen. Die Genfer Cour de Justice hatte dies ver- neint.8 Das Bundesgericht weist den Entscheid zur weiteren Abklärung zurück. Seine Erwägungen las- sen der kantonalen Instanz allerdings kaum mehr den Spielraum, um an der ursprünglichen Entschei- dung festzuhalten. Zu Recht: Die Bank war als Depot- bank für die ersten beiden Anlagefonds der Golden Lion tätig gewesen. Der erste Fonds wurde geschlos- sen, nachdem er bedeutende Verluste eingefahren und die Eidgenössische Bankenkommission verlangt hatte, dass er in einen Fonds nach schweizerischem Recht umgewandelt werde. Der Nachfolgefonds musste wegen mangelnder Investitionen geschlossen werden. Beim dritten Fonds (Fonds F3) hatte sich die Bank geweigert, überhaupt noch als Depotbank zu agieren. Der verantwortliche Mitarbeiter hatte die Funktionsweise des Fonds selbst nach dem Beizug ei- nes Spezialisten nicht verstanden und ihn als «pro- duit nébuleux et obscur» und als «affaire pas très séri- euse» bezeichnet. Insgesamt hatten Mitarbeitende die Fonds der Golden Lion als «bricolage» bezeichnet.

Über den Geschäftsführer der Golden Lion, Didier Pi- guet, waren zudem in den Jahren zuvor in der loka- len Presse negative Berichte erschienen, eine Zeitung bezeichnete das Geschäftsgebaren des Direktors als

«inquiétant». Das Bundesgericht fordert die Cour de Justice auf, zu begründen, warum sie die oben er- wähnten Zeugenaussagen nicht berücksichtigt hat, die – sollten sie in die Beweiswürdigung einfliessen – zur Feststellung einer Verletzung der Informations- und Warnpflicht seitens der Depotbank führen wür- den.

Cum-Ex-Geschäfte

Die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte haben nicht nur grosse mediale Aufmerksamkeit erfahren,9 sondern sie haben in der aktuellen Berichtsperiode auch zu einem Bundesgerichtsentscheid geführt. Die Kläge- rin, eine niederländische Gesellschaft, die von portu- giesischen Investoren kontrolliert wird, klagte gegen die Bank J. Safra Sarasin, nachdem sie einen Gross-

8 SZW 2016 218 r11.

9 Süddeutsche Zeitung 5.  Dezember 2012 (HVB-Affäre er- fasst Bank Sarasin); NZZ 5. April 2014, 31 (Bank Sarasin unter Druck); NZZ 25. Oktober 2014, 27 (Safra Sarasin im Steuerdickicht).

teil ihrer angelegten CHF 6.5 Mio. verloren hatte.10 Die Investorin machte sowohl Willensmängel als auch die Verletzung von Aufklärungspflichten gel- tend. Das Bundesgericht wies die Klage ab (r14). Im Kern hielt das Gericht fest, dass die professionellen Investoren um die Risiken der Cum-Ex-Geschäfte ge- wusst hätten oder hätten wissen müssen.

Viel Raum nahm vor allem im erstinstanzlichen Entscheid des Handelsgerichts Zürich die Frage ein, ob die Cum-Ex-Geschäfte illegal seien. Zur Erinne- rung: Bei diesen Geschäften wurden kurz vor dem Dividendentermin Aktien an der Börse erworben (im Fall des hier relevanten Sheridan-Fonds im Wert von rund EUR 6 Mia.), um sie kurz nach dem Dividenden- termin wieder zu verkaufen. Mithilfe von komplizier- ten Strukturen und unter Einsetzung einer ausländi- schen Depotbank konnte man erreichen, dass sowohl dem Verkäufer wie auch dem Erwerber eine Beschei- nung über die Abführung von Kapitalertragssteuern ausgestellt wurde, obwohl die effektive Abführung nur einmal stattfand. Im Anschluss daran forderte man die (nicht abgeführte) Kapitalertragssteuer vom deutschen Fiskus gestützt auf das Doppelbesteue- rungsabkommen Deutschland–USA zurück.

Die Konstrukte wurden von deutschen Steuer- kanzleien entwickelt. Trotz zahlreicher Strafverfah- ren, die auch zu Zahlungen von führenden schweize- rischen Bankpersönlichkeiten führten,11 ist deren Le- galität noch nicht abschliessend geklärt. Der deutsche Bundesfinanzhof hat im April 2016 ein Urteil gefällt und entschieden, bei Cum-Ex-Geschäften bestehe sei- tens des Erwerbers kein Anspruch auf die (nicht ab- geführte) Rückerstattung der Kapitalertragssteuer.

Die Frage des strafrechtlich relevanten Gestaltungs-

10 Gemäss Urteil war die Rückerstattung der Investition auf September 2011 terminiert, zu diesem Zeitpunkt liefen bezüglichen den Cum-Ex-Geschäften in Deutschland schon Ermittlungen. Das Finanzamt Wiesbaden II fordert mit Bescheid vom 3. Februar 2011 EUR 113 Mio. Steuern von der Finanzfirma Rajon zurück, siehe Handelsblatt 16. März 2016 (Cum-Ex-Deals – Die Chronik). Siehe auch Süddeutsche Zeitung 29. November 2012 (Schlag gegen die Hypo-Vereinsbank), unter Hinweis auf Haftungsbe- scheid vom 22. Dezember 2011.

11 Das gegen Eric Sarasin (stellvertretender Chef der Bank J. Safra Sarasin) geführte Strafverfahren wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung und gewerbsmässigen Betrugs wurde gegen eine Zahlung von EUR 200 000 eingestellt.

Siehe dazu NZZ 8. Januar 2016, 26 (Einstellung des Ver- fahrens gegen Eric Sarasin); Handelsblatt 8. Januar 2016 (200 000 Euro ersparen Eric Sarasin ein Strafverfahren).

(6)

missbrauchs solcher Konstrukte beantwortete er nicht. «Diese Frage, die […] vieldiskutiert wird […]

und die auch im Streitfall in der Argumentation der Finanzverwaltung im Vordergrund steht, kann nach wie vor unbeantwortet bleiben.»12 Spontan möchte man darauf antworten, dass die Illegalität der Rück- erstattung einer Steuer, die man vorher dem Fiskus nicht überwiesen hat, offensichlich ist  – man fragt sich sogar, woher die so aufgesetzten (Schein-)Ge- sellschaften bzw. die Anwälte die Dreistigkeit nah- men, eine nie bezahlte Steuer zurückzufordern und die Rückforderung bis vor dem Bundesfinanzhof zu erstreiten.13 Andererseits ist – gerade im Hinblick auf die häufig medial proklamierten Wahrheiten von Strafermittlungsbehörden – die vorsichtig nüchterne Betrachtung des Bundesfinanzhofs, der ja kein Straf- senat ist, positiv zu würdigen.

Weiterführend ist zu sagen, dass mit der Feststel- lung der Illegalität der Cum-Ex-Geschäfte die dogma- tischen Fragen nicht zwingend einfacher würden.

Denn dann wäre vorab zu klären, welche Auswirkun- gen die Strafbarkeit nach deutschem Recht auf einen dem schweizerischen Recht unterstellten Investiti- onsvertrag hätte.

Und schliesslich: Der «Drogeriekönig» Müller be- ruft sich bei seiner Klage gegen die Safra Sarasin er- folgreich auf den Konsumentengerichtsstand gemäss Lugano-Übereinkommen (r36). Die Klage wird also nach schweizerischem Recht, aber von deutschen Gerichten beurteilt werden. Man kann gespannt sein auf das Urteil und seine Begründung.

Kontosperren

In dieser Berichtsperiode sind wiederum Entscheide über bankseitige Transferbeschränkungen im Steuer- kontext zu vermelden.14 Das vorläufig letzte Kapitel

12 BFH, I R 2/12 vom 16. April 2014 Rz. 42.

13 Siehe aber z.B. die Zusammenfassung des 4.  Untersu- chungsausschusses (Cum/Ex) des Deutschen Bundestages vom 14. April 2016 und die dortigen Hinweise auf die un- terschiedliche Beurteilung der Strafbarkeit in der Wissen- schaft, <www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2016/

kw15-pa-4ua-cum-ex/417826>. Welche Professoren Gut- achten für die Initiatoren dieser Fonds geschrieben haben, die später auch in Fachzeitschriften erschienen, kann man mittels Internet-Recherche leicht ermitteln. Es klärt aber nicht abschliessend die Frage nach der Strafbarkeit dieser Geschäfte.

14 Siehe bereits SZW 2015 387 f.; SZW 2016 208 ff.

dieser Geschichte schrieb das Bundesgericht im Ok- tober 2015. Es bestätigte zwei Entscheide des Tessi- ner Tribunale d’Appello, das die Klagen zweier italie- nischer Kunden auf Barauszahlung ihrer Guthaben im summarischen Verfahren (klare Rechtslage) gut- geheissen hatte.15 Allerdings musste sich das Bundes- gericht aufgrund des Prozessverlaufs nicht mit allen materiellrechtlichen Fragen vertieft auseinanderset- zen. Diese Arbeit hat nun die Genfer Justiz im Rah- men eines ordentlichen Verfahrens geleistet. In ei- nem Entscheid vom Dezember 2016 bestätigte die Genfer Cour de Justice den Entscheid der ersten Ins- tanz, wonach die Bank die Ausführung der Transfer- anweisungen eines niederländischen Kunden mit Wohnsitz in Frankreich zu Unrecht verweigert hatte (r37). Der Kunde hatte die Beibringung einer Steuer- konformitätserklärung unterlassen und zunächst den Transfer seines unbestrittenermassen unversteu- erten Guthabens (EUR 606 000) nach Dubai ange- ordnet. Als die Bank dies verweigerte, beendete er die Bankbeziehung und verlangte die Überweisung auf ein Konto in den Niederlanden, was die Bank wie- derum verweigerte.

Die Cour de Justice erinnerte zunächst an die oben erwähnte bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach ein Bankkunde ein Recht darauf habe, sein Guthaben am Ende der Vertragsbeziehung in bar zu erhalten, ohne dass er seine Steuerkonformität nach- weisen müsse. Die AGB-Bestimmung der Bank, wo- nach diese jederzeit und ohne Begründung eine Transaktion (opération) verweigern könne, sei nicht einschlägig. Der Kunde könne nach Treu und Glau- ben nicht davon ausgehen, dass sich die Bank mit die- ser Klausel vorbehalte, ihre Pflicht zur Rückerstat- tung der Gelder zu beschränken. Im Übrigen sei die Gültigkeit einer solchen Klausel mit Blick auf die zwingende Natur von Art. 475 Abs. 1 OR höchst zwei- felhaft. Umfassende Erwägungen finden sich mit Blick auf den Einwand einer nachträglichen unver- schuldeten Unmöglichkeit im Sinne von Art. 119 OR.

Nach Auffassung der Cour de Justice hat sich seit der Kontoeröffnung im Jahr 1997 weder die schweizeri- sche noch die französische Rechtslage massgeblich verändert, weshalb es am Tatbestandselement der Nachträglichkeit fehle. Das schweizerische Recht enthalte nach wie vor keine Bestimmung, welche die Banken explizit auf die Einhaltung ausländischen

15 SZW 2016 225 f. r27.

(7)

Rechts verpflichte oder ihnen den Transfer unver- steuerter Gelder auf ein anderes Bankkonto verbiete.

Im französischen Recht seien zwar Strafverschärfun- gen eingetreten, an den Strafbarkeitsvoraussetzun- gen habe sich aber nichts geändert. Auch den Ein- wand, dass die Bank nicht verpflichtet werden könne, rechts- oder sittenwidrige Weisungen auszuführen, liess das Gericht nicht gelten; die Tatsache, dass aus den Weisungen eines Kunden hervorgehe, dass sich dieser einer steuerlichen Regularisierung widersetze, mache diese Weisungen nach schweizerischem Recht nicht rechtswidrig. Was sodann deren Sittenwidrig- keit angehe, so sei diese im Rahmen von Art. 19 IPRG zu untersuchen. Die genannte Bestimmung müsse aufgrund ihrer Zielsetzung zurückhaltend angewen- det werden, und im vorliegenden Fall sei nicht belegt, dass die französischen Bestimmungen über Steuer- delikte und Geldwäscherei von so fundamentaler Be- deutung seien, dass sie dem französischen ordre pub- lic zuzurechnen seien. Eine Berufung auf die clausula rebus sic stantibus halte der Überprüfung ebenfalls nicht stand, da sich seit der Kontoeröffnung keine massgeblichen Änderungen im Rechtsrahmen erge- ben hätten. Die Verschärfung der französischen Rechtspraxis sei zudem nicht unvorhersehbar gewe- sen, und eine Vertragsanpassung rechtfertige sich auch deshalb nicht, weil die Bank die Kontobezie- hung über zwanzig Jahre geführt habe, ohne sich je- mals auf die Auswirkungen der französischen Steuer- gesetzgebung zu berufen. Abschliessend verneinte das Gericht auch einen Rechtsmissbrauch seitens des Bankkunden: Er habe ein legitimes Interesse, die an- vertrauten Gelder zurückzuerhalten, indem diese auf ein Konto in seinem Heimatland (pays d’origine) überwiesen würden.

Mit seinem Entscheid hat das oberste Genfer Ge- richt zweifellos einen massgeblichen jurisprudentiel- len Nagel eingeschlagen. Noch steht allerdings die höchstrichterliche Klärung der Fragen in einem or- dentlichen Verfahren aus. Zudem bleibt das Gebiet in dem Mass dynamisch und einzelfallbezogen, als sich die in- und ausländischen Rahmenbedingungen än- dern und jede Kontobeziehung ihre Besonderheiten aufweist. Gewisse Erwägungen sind davon allerdings nicht betroffen. So werden sich die Kautelarjuristen wohl mit den Transferbeschränkungen in den AGB befassen müssen. Ein AGB-Freibrief für die bankseiti- gen Transferbeschränkungen lässt sich angesichts des zwingenden Charakters von Art. 475 Abs. 1 OR schlechterdings nicht bewerkstelligen.

Aus dem Tessin und seiner «Entscheid-Hoch- burg», der Pretura del Distretto di Lugano, stammen weitere drei Entscheide, die allesamt im Summarver- fahren ergingen. Wie bisher betreffen sie italienische Kunden, die ihre Guthaben abziehen wollten. Wäh- rend der Pretore die Klage auf Barabhebung in Höhe von rund EUR 156 000 nicht schützte (r39), hiess er zwei Klagen auf Überweisung des gesamten Bank- guthabens auf ein anderes Konto bei einer Schweizer Bank gut (r38). Alle drei Entscheide ergingen nach der Publikation der beiden einschlägigen Bundesge- richtsurteile vom Oktober 2015. Im Fall der verwei- gerten Barabhebung hielt der Pretore fest, die bun- desgerichtliche Rechtsprechung sei nicht einschlägig.

In BGer 4A_168/2015 sei es nur um rund EUR 75 000 gegangen, und nicht  – wie im Entscheidfall  – um rund EUR 156 000.  In BGer 4A_170/2015, wo das Bundesgericht eine Barabhebung von rund EUR 550 000 gutgeheissen hatte, sei die Sachverhaltsdar- stellung des Kunden von der Bank nicht bestritten worden, was hier nicht zutreffe.

Transferbeschränkungen beschäftigten in der Berichtsperiode auch das Zürcher Handelsgericht (r40). Der Einzelrichter verneinte im summarischen Verfahren (klare Rechtslage) den Anspruch von zwei Schweizer Kontoinhabern mit Wohnsitz in der Schweiz, die zunächst eine Barauszahlung von je CHF 50 000 und – nachdem die Bank dies verweigert hatte – den Vertrag aufgelöst und die Barauszahlung des gesamten Guthabens in Höhe von rund CHF 560 000 verlangt hatten. Die Bank berief sich für ihre Weigerung insbesondere auf die Geldwäschereige- setzgebung (insb. Art. 15, 32 GwV-FINMA) und auf ihr Strafbarkeitsrisiko hinsichtlich einer Gehilfen- schaft zu vorsätzlicher Steuerhinterziehung (Art. 177 Abs. 1 DBG). Der Entscheid ist in verschiedener Hin- sicht bemerkenswert. Erstens geht es um Schweizer Kontoinhaber im Schweizer Steuerkontext und das diesbezügliche Strafbarkeitsrisiko der Banken. In Bankkreisen gibt es zum Strafbarkeitsrisiko bei inlän- dischen Steuerdelikten noch keine einheitliche Ein- schätzung. Erste Finanzinstitute haben aber begon- nen, sich von ihrer nicht-steuerkonformen schweize- rischen Kundschaft zu trennen. Wenn nun die Gerichte das Argument des Strafbarkeitsrisikos im Rahmen von Transferbeschränkungen für einschlä- gig halten, so verstärkt dies umgekehrt den Druck auf die Banken, sich mit dem Thema der inländischen Steuerkonformität auseinanderzusetzen. Zweitens werden die per 1.  Januar 2016 in Kraft getretenen

(8)

Bestimmungen der GwV-FINMA als entscheidrele- vant angesehen – wenn auch nur insoweit, als über deren Auswirkungen auf die Vertragsbeziehung kei- ne klare Rechtslage herrsche, weshalb über den Her- ausgabeanspruch der Kunden nicht im summari- schen Verfahren entschieden werden könne. Die neue GwV-FINMA und die dort statuierten Pflichten des Finanzintermediärs, bei gewissen Transaktionen den Paper Trail zu wahren, bieten interessante An- satzpunkte für die Beschränkung von Barauszahlun- gen, die im Einzelnen vertieft zu untersuchen sind.

Bei der Lektüre des hier referierten Falles stellt man sich aber spontan die Frage, ob die GwV-FINMA überhaupt anwendbar sei. Das Regelwerk konkreti- siert die Pflichten der Finanzintermediäre zur Be- kämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinan- zierung (Art. 1 GwV-FINMA). Geldwäscherei im hier relevanten Steuerkontext verlangt nach einem quali- fizierten Steuervergehen – namentlich einer Straftat gemäss Art.  186 DBG  – und einer hinterzogenen Steuer, die pro Steuerperiode mehr als CHF 300 000 beträgt. Wie man mit einer Kontobeziehung, die ei- nem Wert von CHF 560 000 entspricht, diese Schwel- le erreichen kann, wird im Entscheid nicht gesagt.

Insgesamt ist die kantonale Rechtsprechung auch nach den beiden Entscheiden des Bundesgerichts noch erstaunlich vielfältig. Mit der wachsenden Liste von Ländern, mit denen die Schweiz ein Abkommen zum automatischen Informationsaustausch in Steu- ersachen abschliesst, reduziert sich aber in quantita- tiver Hinsicht das Konfliktpotential von Transferbe- schränkungen.16 Eine Schlussbemerkung: In einem hier referierten Bundesgerichtsentscheid (r28) hatte sich ein Kunde anlässlich der Finanzturbulenzen im Jahr 2008 sein gesamtes Vermögen in bar auszahlen lassen, um es in einem Safe bei der Bank zu horten.

Es handelte sich um rund CHF 15 Mio. Tempi passati!

Allerdings hat diesen Kunden die Gegenwart insofern eingeholt, als ihm sein Kundenberater mitteilte, es sei nicht möglich, das Bargeld im Safe der Bank wie- der auf sein Konto bei der Bank einzuzahlen. Ob die- se Auskunft richtig war, ist unter anderem Gegen- stand des Verfahrens.

16 Per Ende 2016 hat die Schweiz mit der EU sowie mit 32 weiteren Staaten eine Vereinbarung zur Einführung des AIA abgeschlossen. 10 Abkommen treten per 1.  Januar 2017 in Kraft, siehe dazu die (nachgeführte) Liste unter

<www.sif.admin.ch>, Themen, Internationale Steuerpoli- tik, Automatischer Informationsaustausch.

Datenlieferungen an die US-Behörden

Seit 2015 berichten wir über Entscheide, bei denen sich (ehemalige) Bankmitarbeitende, Anwältinnen und Vermögensverwalter dagegen wehren, dass die Banken ihre Daten an das DOJ übermitteln. Per Ende 2015 sollen rund 1000 Klagen hängig gewesen sein.17 Per Ende 2016 verkündete das DOJ den erfolgrei- chen Abschluss des Bankenstreits.18 Die Klagen selbst wurden von Beginn weg gutgeheissen, soweit sie nicht an prozessualen Hürden scheiterten oder die Bank zusicherte, die Daten vorerst nicht weiterzulei- ten. Aus der Vogelperspektive hatten die Gerichte ein leichtes Spiel: Bei den vorsorglichen Massnahmen konnten sie sich auf den Standpunkt stellen, der Er- lass eines nur vorsorglichen Verbots der Datenüber- mittlung werde die Vergleichsverhandlung der jewei- ligen Bank nicht zum Scheitern bringen.19 War die Vergleichslösung mit dem DOJ erst einmal abge- schlossen, so konnte die fehlende Datenübermittlung diesen Erfolg nicht mehr ernsthaft gefährden (r41, r42).20 Eine Ausnahmeentscheidung traf das Arbeits- gericht Zürich: Die Datenübermittlung beurteile sich ausschliesslich nach Art. 328b OR. Da diese aber we- der die Eignung des Arbeitnehmenden für das Ar- beitsverhältnis betreffe, noch zur Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich sei, könne sie nicht zu- gelassen werden (r43).

Bei den endgültigen Verboten der Datenüber- mittlung drehen sich die Kernfragen um die Anwen- dung von Art. 6 Abs. 2 lit. d DSG. Danach sind Daten- übermittlungen in die USA nur zulässig, wenn die Bekanntgabe im Einzelfall entweder für die Wahrung eines überwiegenden öffentlichen Interesses oder für die Feststellung, Ausübung oder Durchsetzung von Rechtsansprüchen vor Gericht unerlässlich ist. Um

17 NZZ 17. Dezember 2015, 29 (Die Banken verlieren meis- tens vor Gericht). Das Arbeitsgericht verzeichnete im Ver- gleich zum Vorjahr bei der Anzahl der eingereichten Kla- gen einen Anstieg von 30%, siehe dazu NZZ 3.  August 2016, 17 (Ein harter Job). Davon wurden 2016 37 Verfah- ren materiell entschieden (gemäss Auskunft des Arbeits- gerichts).

18 NZZ 30. Dezember 2016, 24 (USA schliessen Programm zum Steuerstreit ab).

19 So z.B. GE Cour de Justice, ACJC/1529/2015 du 11  dé- cembre 2015, SZW 2016 227 f. r31.

20 Siehe aber auch den Genfer Entscheid zugunsten der Bankmitarbeiterin in SZW 2015 407 f. r32 betreffend eine Kategorie-I-Bank, die nicht am DOJ-Programm teilneh- men konnte.

(9)

die Durchsetzung von Rechtsansprüchen vor Gericht geht es bei den DOJ-Verfahren nicht (r42). Bleibt die Frage, ob die einzelne Datenübermittlung zur Wah- rung eines überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig («unerlässlich») ist. Welches das relevan- te öffentliche Interesse ist, wird selbst im Zusammen- hang mit dem DOJ-Programm unterschiedlich beant- wortet.21 Durchsetzen dürfte sich die Formel des Bundesgerichts: Das öffentliche Interesse liege in der Einhaltung und Aufrechterhaltung der durch das Joint Statement vorgezeichneten Lösung und, damit verknüpft, in der Reputation der Schweiz als verläss- liche Verhandlungspartnerin (r41).22 Das Problem liege allerdings darin, dass die einzelne Datenüber- mittlung mit Blick auf die Beilegung des Steuerstreits nie notwendig sei, dass aber ohne eine grosse Anzahl von Datenübermittlungen die Beilegung des Steuer- streits nicht erreicht werden könne. Trotzdem sei, so das Bundesgericht, die konkrete Situation im Urteils- zeitpunkt zu berücksichtigen, und damit auch die Tatsache, dass die betreffende Bank bereits einen Ver- gleich abschliessen konnte. Unter diesem Aspekt sei die Datenherausgabe zur Vermeidung einer erneuten Eskalation des Steuerstreits nicht unerlässlich, obwohl sie es in einem früheren Zeitpunkt gewesen wäre.

Bleibt die Frage, inwieweit der Weiterbestand der Bank ein öffentliches Interesse im Sinne von Art. 6 Abs. 2 lit. d DSG darstellt. Die unteren Instan- zen, namentlich das Obergericht Zürich (r42), lies- sen dieses Argument nur in engen Grenzen zu. Ein öffentliches Interesse sei nur gegeben, wenn es sich um eine systemrelevante Bank handle. Das Bundes- gericht scheint sich hier alle Optionen offenhalten zu wollen. So erklärt es umständlich, der Weiterbestand einer Bank sei zwar kein öffentliches Interesse im Sinne von Art. 6 Abs. 2 lit. d DSG, aber dieses könne allenfalls indirekt und gleichsam als Folge des öffent- lichen Interesses an einer effektiven Teilnahme der

21 ZH Bezirksgericht Horgen, CG140026-F vom 9. Juli 2015, SZW 2016 228  f. r32 (öffentliches Interesse an der Ver- meidung eines Bankzusammenbruchs); ZH Obergericht, LB160032-O/U vom 27. September 2016 E. 6.3 (öffentli- ches Interesse an der Vemeidung eines Zusammenbruchs einer systemrelevanten Bank).

22 So schon die Vorinstanz: ZH Handelsgericht, HG140186-O vom 16. Dezember 2015 E. 5.3.8.2. Ähnlich auch GE Cour de justice, ACJC/1529/2015 du 11 décembre 2015, SZW 2016 227 f. r31. So nunmehr auch die neuen Entscheide des OGer ZH: LA160009-O/U und OGer ZH, LA160028- O/Z, beide vom 22. Dezember 2016.

Banken am US-Programm geschützt sein. Die Aus- führungen sind nicht wirklich verständlich  – das Bundesgericht hilft, indem es den Satz anfügt, den man effektiv versteht: «Zudem stellt sich die Frage, ob der Bestandesschutz nicht auch im öffentlichen Interesse liegen kann.» Es fügt dann allerdings im Hinblick auf den konkreten Fall an, es liege keine Feststellung über eine drohende, existenzgefährden- de Anklage vor. Im Ergebnis bleibt also die Frage of- fen. Das ist pragmatisch, es bedeutet aber im Ergeb- nis, dass das Ausmass des schweizerischen Daten- schutzes vom Druck abhängt, den ausländische Behörden, die in diesem Stadium in ihrem Heimat- staat keiner gerichtlichen Kontrolle unterstehen, auf- bauen können.

Retrozessionen und Courtagen

Bei den Retrozessionen zeichnet sich mittlerweile eine konsoldierte Anwendung der bundesgerichtli- chen Rechtsprechung ab. Dabei geht es durchaus auch um kleinteilige Verhältnisse, bei denen die über Jahre aufgelaufenen Retrozessionen wenige tausend Franken betragen. Das Zürcher Obergericht wies die Beschwerde eines Vermögensverwalters ab (r26), der geltend machte, der Kunde könnte nicht über sie- ben Jahre nach Vertragsabschluss mit der Behaup- tung aufwarten, er habe nichts über die Retrozessio- nen gewusst, zumal er eine allgemeine und damals übliche Verzichtsklausel unterschrieben habe, er ge- schäftserfahren sei und man öfter über Retrozessio- nen gesprochen habe. Das Obergericht verweist auf die Retrozessions-Rechtsprechung des Bundesge- richts. Der Vermögensverwalter ist für den informier- ten Verzicht des Kunden beweispflichtig. Diese Infor- mation umfasst beim geschäftserfahrenen Kunden den Hinweis auf die technischen Eckwerte der beste- henden Retrozessionsvereinbarung mit Dritten so- wie das zu erwartende Transaktionsvolumen bzw.

die Angabe der erwarteten Rückvergütungen als Pro- zentbandbreite des verwalteten Vermögens (BGE 137 III 393 E. 2.5 S. 400). Eine mündliche Informati-

on würde genügen, müsste aber behauptet und be- wiesen sein. Angemerkt sei noch, dass die vom Ver- mögensverwalter getätigten Anlagen zu einem Total- verlust der anvertrauten Gelder führten, der Kunde die Retrozessionen nach Vertragsbeendigung her- ausverlangte und den Anspruch an einen Dritten ze- dierte, der ihn anschliessend gerichtlich geltend machte. Dass der Retrozessionsanspruch zur Scha-

(10)

densbegrenzung und emotionalen Bewältigung ei- nes Vermögensverwaltungsverhältnisses mit unbe- friedigendem Ausgang eingesetzt wird, dürfte vom Verlauf her nicht ganz untypisch sein.

Um Courtagen aus Versicherungsmaklervertrag ging es in einem anderen Fall, der dem Bundesge- richt in der Berichtsperiode zur Entscheidung vorlag (r27). Der Versicherungsmakler forderte von der Ver- sicherungsnehmerin die Courtagen für Versicherun- gen, die er ihr vermittelt hatte. Das Bundesgericht wies die Klage ab. Es hielt fest, die Vereinbarung zwi- schen der Versicherungsnehmerin und der Versiche- rungsmaklerin sehe (usanzgemäss) vor, dass die Kun- din eine Bruttoversicherungsprämie bezahle und das Honorar für den Versicherungsmakler «durch die von den Versicherungsgesellschaften gezahlten Cour- tagen» abgegolten sei. Danach verzichte der Versi- cherungsmakler auf eine direkte Zahlung durch die Kundin und bedinge sich die Zahlung durch die Ver- sicherer aus. Die Kundin ihrerseits akzeptiere damit zumindest implizit, dass sie eine Bruttoprämie ent- richte und dass der Versicherer dem Makler Courta- gen ausrichte, auf deren Herausgabe sie verzichte.

Das Bundesgericht nimmt damit erstmals Stel- lung zum Rechtsverhältnis zwischen dem Versiche- rungsmakler und dem Versicherungsnehmer, und es verwirft in diesem Zusammenhang auch von der oben dargestellten Lösung abweichende Lehrmei- nungen. Für das private Bankrecht ist allerdings der Entscheid aus einem anderen Grund bemerkenswert:

Das Bundesgericht bringt den Herausgabeverzicht des Kunden in keiner Art und Weise mit seiner Retro- zessions-Rechtsprechung in Verbindung. Dabei hat es im Jahr 2011 eine sehr ähnliche Abgeltungsklau- sel im Kontext von Finanzanlagen mit Versicherungs- charakter vollumfänglich genau dieser Judikatur un- terstellt.23 Auch die kantonale Rechtsprechung ist dieser Linie gefolgt.24 Die Interessenkonflikte, die ge- nerell mit Courtagenzahlungen im Versicherungs- kontext verbunden sind, unterscheiden sich von der Qualität her nicht von den Interessenkonflikten, wel-

23 BGer, 4A_427/2011 vom 29. November 2011 E. 5, SZW 2012 336 r25. Die Klausel lautete: «Sämtliche Beratungs- kosten und -spesen für die Umsetzung des Anlageplans […] sind mit der Abschlussprovision, welche [der Anlage- berater] von der Versicherungsgesellschaft erhält, abge- golten.»

24 TI Tribunale d’appello, 12.2012.105 du 22 mai 2014, SZW 2015 404 r26 (Anlageberatung im Versicherungsbereich).

che Retrozessionszahlungen im Bankenkontext ge- nerieren. Im Aufsichtsrecht will man denn auch im VAG die Vertriebsentschädigungen bei Versiche- rungsprodukten einer Regelung unterstellen, wie sie für Banken aufgrund des FIDLEG vorgesehen ist.

Nun ging es hier – jedenfalls vor Bundesgericht – nicht um die Herausgabeansprüche der Versiche- rungsnehmerin, sondern um die Courtagenansprü- che der Versicherungsmaklerin. Im kantonalen Ver- fahren hatte die Versicherungsnehmerin zusätzlich verrechnungsweise diese Herausgabeansprüche gel- tend gemacht, war aber vor der zweiten Instanz ge- scheitert und hatte diesen Punkt nicht angefochten.

Trotzdem hätte man konsequenterweise die Entschä- digungsklausel im Lichte der Retrozessions-Recht- sprechung untersuchen müssen, mit dem Ergebnis, dass der Herausgabeverzicht ungültig ist. Mit Blick auf die entgeltliche Natur des Versicherungsmakler- vertrags wäre dieser nunmehr um eine Entschädi- gungsklausel zu ergänzen gewesen (vgl. Art. 414 OR).

Vertragswidrige Anlagestrategie

Gleich vier Entscheide hatten Schadenersatzklagen im Zusammenhang mit einer vertragswidrigen Anla- gestrategie zum Gegenstand. In keinem dieser Fälle liessen die verschiedenen Gerichte das Argument der Vermögensverwalterin gelten, der Kunde habe der Änderung der Anlagestrategie zugestimmt. Die

schriftliche Vereinbarung wird hoch gewichtet, eine mündliche Abänderung nicht leichthin angenom- men. So hielt die strafrechtliche Abteilung des Bun- desgerichts insbesondere fest, aus der fehlenden Be- anstandung von Depotauszügen könne nicht auf eine Billigung der entsprechenden Transaktionen ge- schlossen werden. Der Vermögensverwalter wäre vielmehr verpflichtet gewesen, die Kundin von sich aus über die Chancen und Risiken der Auftragsaus- führung aufzuklären (r7). Die erste zivilrechtliche Abteilung des Bundesgerichts entschied, der Vermö- gensverwalter könne sich nicht erfolgreich auf die im Vertrag vereinbarte Genehmigungsfiktion berufen.

Eine stillschweigende Zustimmung zur Veränderung der Anlagestrategie setze voraus, dass der Kunde an- gemessen über den Strategiewechsel informiert wor- den sei. Ein geschäftsunerfahrener Kunde müsse nicht die einzelnen Transaktionen kontrollieren (r8).

Das Obergericht des Kantons Zürich präzisierte, auch der geschäftserfahrene Kunde sei nicht gehalten, die tatsächlichen Vermögensanlagen einer genaueren

(11)

Prüfung zu unterziehen, wenn die Vermögensverwal- terin in jedem Rechenschaftsbericht bestätigte, dass sie die vereinbarte Anlagestrategie verfolge (r11).

Und das Handelsgericht Zürich befand, dass der wirt- schaftlich Berechtigte einer panamesischen Gesell- schaft zwar über solide kaufmännische Kenntnisse verfügte und ein gewisses Vermögen durch die Ver- mittlung von Immobilien und WIR-Geld erwirtschaf- tet hatte, aber dass dies nicht ausreiche, um von ei- nem sachkundigen Anleger auszugehen. Entspre- chend hoch waren deshalb die Hürden für die Genehmigung der abweichenden Anlagestrategie (r12). Interessant ist im Zusammenhang mit diesem Entscheid die Erwägung des Handelsgerichts, wo- nach ein vertraglicher Ausschluss der Haftung für leichte Fahrlässigkeit – wäre er denn Vertragsinhalt geworden – im Auftragsrecht ohnehin nicht zulässig wäre. Die Frage ist in der Lehre umstritten. Das Bun- desgericht hat sie offengelassen25 – gleichzeitig aber lässt es, wie etwa die oben referierte Rechtsprechung zu den Legitimationsmängeln zeigt, eine Haftungs- beschränkung der beauftragten Bank regelmässig zu.

Schadensberechnung

Das Bundesgericht hat sich in zwei Entscheiden zur Schadensberechnung bei vertragswidriger Anlage von Kundenvermögen geäussert. Im ersten Fall nahm es die standardmässige Berechnung vor, indem es den Vermögensstand beim Ende des Mandatsverhält- nisses mit dem Stand im Falle eines hypothethischen, rechtskonform angelegten Vermögens verglich. Es wies ausdrücklich darauf hin, dass bei dieser Berech- nungsmethode den allgemeinen Marktentwicklun- gen, einschliesslich einer Markt-Baisse, Rechnung getragen werde (r8). Im zweiten Entscheid hingegen schützte es die Einzelbetrachtung der Vorinstanz, die für die einzelnen pflichtwidrigen Anlagen in Options- geschäfte auf die Differenz zwischen der ursprüngli- chen Investition und dem Ertrag im Zeitpunkt des Verkaufs abstellte. Wenn, so das Bundesgericht, eine konkrete Bezifferung des Schadens möglich und tat- sächlich ausgewiesen sei, erübrige sich die Schadens- berechnung nach dem hypothetischen Portfoliowert (r16). Das vorinstanzliche Obergericht Zürich hatte für die Schadensberechnung auf BGer 4C.158/2006

25 BGer, 4C_158/2006 vom 10. November 2006 E. 2.3; BGE 124 III 155 E. 3c S. 165.

abgestellt.26 Dort hatte das Bundesgericht entschie- den, dass innerhalb der Vermögensverwaltung zwi- schen der pflichtwidrigen Anlagestrategie (gesamtes Portfolio) und der pflichtwidrigen Einzelanlage (ein- zelne Posten des Portfolios) zu unterscheiden ist. Im ersten Fall ist auf das gesamte übergebene Vermögen abzustellen. Im zweiten Fall ist der Vergleich zwischen dem aktuellen und dem hypothetischen Vermögens- stand auf den Teil des Vermögens zu beschränken, der für sorgfaltswidrige Anlagen eingesetzt wurde.

Der Kläger hatte den Schaden nach beiden Varianten berechnet. Das Obergericht entschied sich für die Einzelberechnung, und dies wurde vom Bundesge- richt geschützt. Allerdings ist nicht ersichtlich, dass die beiden Gerichte (und auch schon das vorinstanz- liche Bezirksgericht) die Rechtsprechung in BGer 4C.158/2006 umfassend berücksichtigt hätten. Der genannte Entscheid berücksichtigte nämlich auch bei der Einzelberechnung die damaligen allgemei- nen negativen Kursentwicklungen.27

Wirtschaftliche Berechtigung

Im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Ent- scheid Didier Piguet/Informationspflichten der De- potbank pflegten sowohl die Genfer Gerichte als auch das Bundesgericht einen pragmatischen Umgang mit der Figur des wirtschaftlich Berechtigten (r13). So war das Empfehlungsschreiben der Bank nicht an die Klägerin (eine Gesellschaft mit Sitz auf den Bermu- das), sondern an deren wirtschaftlich Berechtigten gerichtet. Auch begleiteten die Bankmitarbeitenden spezifisch den wirtschaftlich Berechtigten und nicht die Klägerin an das Treffen mit den Vertretern der später konkursiten Golden Lion Vermögensverwalte- rin. Auf diese Zusicherungen der Bank in Wort und Tat konnte sich die Klägerin berufen.

Ähnlich verhielt es sich im Fall Fortis/ABN AMRO (r6); hier fanden die Gespräche, die gemäss Bundes- gericht zu einem punktuellen Anlageberatungsver- trag mit der als Klägerin auftretenden Gesellschaft und der Bank führten, mit den wirtschaftlich Berech- tigten der Gesellschaft statt. Ein weiteres Beispiel fin- det sich in einem Entscheid des Handelsgerichts Zü- rich; hier bemass sich der Sachverstand der in Pana-

26 Bestätigt u.a. in BGer, 4A_539/2014 vom 7. Mai 2015 E. 3.3.

27 BGer, 4C.158/2006 vom 10. November 2006 E. 4.1.

(12)

ma domizilierten Klägerin an deren wirtschaftlich Berechtigten (r12).28

Die einheitliche Betrachtung des wirtschaftlich Berechtigten und der von ihm kontrollierten Gesell- schaft führte in einem weiteren Entscheid zu einer klassischen Durchgriffshaftung. Der wirtschaftlich Berechtigte hielt 95% der Aktien der Schuldnerge- sellschaft, zudem transferierte er einen Teil des Dar- lehens, das an die Gesellschaft vergeben wurde, auf sein persönliches Konto. Das Bundesgericht schützte die Erweiterung der Verarrestierung auf das persön- liche Vermögen des Schuldners (r33).

In einem anderen Fall hingegen unterschied das Handelsgericht Zürich konsequent zwischen der wirtschaftlich Alleinberechtigten einer Gesellschaft und der Gesellschaft selbst und verneinte die Aktivle- gitimation der wirtschaftlich Berechtigten.29 Das mit der Sache befasste Bundesgericht dagegen liess bei- de Beschwerdeführerinnen zu, ohne dies aber zu be- gründen (r21).

All dies zeigt: Die Rechtsstellung des wirtschaft- lich Berechtigten folgt noch keiner konsolidierten Rechtsprechungslinie, sondern wird von Fall zu Fall (pragmatisch) beurteilt. Der Entscheid des Handels- gerichts und seine Bestätigung durch das Bundesge- richt sind aber auch deshalb bemerkenswert, weil sie fast schon exemplarisch die Risiken offenlegen, die mit der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Berechti- gung beim Aufsetzen von Gesellschaftsstrukturen verbunden sind. In der Sache ging es um die Verpfän- dung des gesamten Vermögens der Offshore-Gesell- schaft zugunsten eines einzigen Schuldners. Teilha- berin dieses Schuldners war die Kundenberaterin, welche für die wirtschaftlich Alleinberechtigte die Offshore-Struktur entworfen hatte. Sie hatte den Pfandvertrag um den Namen des Schuldners ergänzt.

Unterschrieben hatten den blanko Pfandvertrag die drei Direktoren der Offshore-Gesellschaft. Sie amte-

28 Siehe auch BGer, 4A_488/2008 vom 15.  Januar 2009 E.  5.2, SZW 2009 285 r26 (Widerspruch des wirtschaft- lich Berechtigten gegen Kontobelastung verhindert Ver- mutung stillschweigender Genehmigung durch Kontoin- haberin); ZH Handelsgericht, ZR 106/2007 Nr.  36 vom 18. Dezember 2006, SZW 2008 423 r4; GE Cour de Justice, C/15736/2004 du 23  février 2007, SZW 2008 423 r5 (Bank darf Anweisung des wirtschaftlich Berechtigten Folge leisten).

29 ZH Handelsgericht, HG120067-O vom 24.  März 2015, SZW 2016 221 f. r18.

ten gleichzeitig als Direktoren des pfandbegünstig- ten Schuldners. C’est louche!

Legitimationsmängel

Im Zeitalter des cyber crime entstehen auch Legitima- tionsmängel unter neuen Rahmenbedingungen. Sche- re und Leim gehören der Vergangenheit an, neuer- dings hacken die Kriminellen die E-Mail-Konten der Bankkunden. In dieser Berichtsperiode beschäftig- ten gleich zwei solche Fälle die Genfer Gerichte, ein Fall entschied das Zürcher Handelsgericht.

Der erste Fall betraf eine Gesellschaft mit Sitz auf den Seychellen, deren Transferanweisungen alle- samt per E-Mail erfolgten (r2). Das Konto wurde ge- hackt und es wurden zwei unbefugte Transferanwei- sungen in Höhe von EUR 2 Mio. und EUR 1.355 Mio.

übermittelt. Dazwischen erfolgten aber Transferan- weisungen der Kundin selbst. Zwar entsprach die ers- te unbefugte Anweisung in ihrem Stil nicht der übli- chen Kommunikation; hingegen erfolgte auf die Nachfrage der Bank prompt eine weitere E-Mail, die sich von der üblichen Korrespondenz nicht unter- schied. Die Bank schickte die Belastungsanzeigen an die vereinbarte E-Mail-Adresse; es gab keine Anzei- chen, dass diese die Kundin nicht erreichten. Zudem waren die Begründungen für die Transferanweisun- gen plausibel (Eröffnung eines neuen Kontos, Zahlung einer Rechnung) und die Höhe der Anweisungen war nicht ungewöhnlich. Schliesslich trugen die Anwei- sungen die Unterschrift der Verwalterin der Gesell- schaft in griechischen Buchstaben; diese Schreibwei- se hatte die Verwalterin im Rahmen ihrer Korrespon- denz mit der Bank mehrmals verwendet. Kurz: Die Genfer Cour de Justice befand, dass die Bank auch bei Anwendung der geschäftsüblichen Sorgfalt nicht erkennen konnte, dass die Transferanweisungen nicht von der Kundin selbst stammten.

Der zweite Fall betraf einen US-Kunden (r1).

Hier sahen es die Genfer Instanzen und das Bundes- gericht als erwiesen an, dass genügend Verdachtsmo- mente bestanden, um den Legitimationsmangel zu erkennen. Der Kunde hatte zuvor nur wenige konser- vative Transaktionen vorgenommen; nun sollten plötzlich grosse Beträge nach Hong Kong verschoben werden. Die Anweisungen erfolgten zudem in fehler- haftem Englisch, und die übermittelte Unterschrift entsprach in keiner Weise der bei der Bank hinterleg- ten Unterschrift des Kunden. Auch liessen die Gerich- te die Einwendung der Bank nicht gelten, der Kunde

(13)

habe fahrlässig gehandelt, indem er die gesamte Kor- respondenz mit der Bank auf seinem E-Mail-Konto belassen habe. Das Bundesgericht doppelt sogar nach: Selbst wenn dem Kunden ein leichtes Verschul- den vorzuwerfen wäre, so würde dies im Lichte von Art. 99 Abs. 3 i.V.m. Art. 44 Abs. 1 OR eine erfolgrei- che Schadenersatzklage ausschliessen. Zugespro- chen wurden dem Kunden sodann die Anwaltskosten seiner im Wesentlichen erfolgreichen Klage in Hong Kong, mit der er einen massgeblichen Teil der fehlge- leiteten Gelder wiedererlangte. Die Rechtsgrundlage war hier die Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 422 Abs. 1 OR).

Erstaunlich ist bei diesem Fall sodann ein Neben- schauplatz, nämlich die Allgemeinen Geschäftsbe- dingungen der Banken betreffend die Legitimations- mängel. Im Genfer Entscheid mit dem US-Kunden sahen diese vor, dass die Bank für solche Mängel nur bei schwerem Verschulden haftet.30 Man wähnt sich in längst vergangenen Zeiten, hat doch die EBK be- reits 2006 die Banken aufgefordert, ihre Legitimati- onsklauseln anzupassen. Dem sind, nach dem Vor- bild der UBS im Jahr 2008, die meisten Banken ge- folgt.31 Das Bundesgericht bezeichnet die Klausel der betreffenden Bank hingegen als «habituel» und be- gnügt sich mit der Feststellung, dass für Banken Art.  100 Abs.  2 OR und für deren Hilfspersonen Art. 101 Abs. 3 OR gelte. Auch in einem anderen Gen- fer Entscheid, der sich aktuell erst im Stadium der vorsorglichen Beweisabnahme befindet (r29), geht es in der Sache um einen Legitimationsmangel. Und auch hier sehen die AGB der Bank eine Schadensab- wälzung auf den Kunden vor, wenn die Bank kein grobes Verschulden trifft.

Der dritte Fall betraf einen ehemaligen Genfer Banker, der bei einer Zürcher Bank ein Konto eröffnet hatte, das er zu privaten Zwecken nutzte. Auch hier gelang es unbekannten Dritten, den Mailaccount des Kunden zu hacken und rund CHF 360 000 (teilweise in USD) nach London und Georgien überweisen zu lassen (r2a). Das Handelsgericht gab dem Kunden recht. Von massgeblicher Entscheidrelevanz war die Tatsache, dass die bisherigen Überweisungen durch-

30 Dasselbe gilt für die AGB der Bank Julius Bär im SED-Legi- timationsfall (r3). Allerdings betrafen diese den Zeitraum der 1990er-Jahre.

31 Für Formulierungsbeispiele entsprechender Schadenab- wälzungsklauseln siehe Arnold F. Rusch, Schadensabwäl- zungsklauseln in der Inhaltskontrolle, SZW 2012, 440.

weg zugunsten eines Kontos des Kunden in Genf er- folgt waren und zudem die Bank mit dem Kunden gelegentlich in Telefonkontakt stand, weshalb eine telefonische Nachfrage ohne Weiteres hätte erfolgen können. Interessant und lesenswert ist der Entscheid, weil er sich ausführlich und sorgfältig zu den Beweis- lastfragen und der Frage nach der Anwendung von Art. 8 UWG äussert (in casu verneint). Auch enthält er zahlreiche Erwägungen zu den spezifischen Umstän- den des elektronischen Bankverkehrs. Und schliess- lich gehört er zu jenen Entscheiden, bei denen das Gericht der Schadensüberwälzungsklausel gestützt auf Art. 100 Abs. 2 OR (analog) die Anwendung ver- sagt. Die Klausel selbst sah eine bedingungslose Schadensabwälzung bei Nutzung von elektronischen Kommunikationsmitteln vor, jedoch erklärte die Bank in einer allgemeinen Haftungsklausel ihre Ver- antwortlichkeit bei schwerem Verschulden. Das Han- delsgericht beanstandete diese Klauseln an sich nicht.

Es hielt lediglich fest, dass die Bank bei Legitimati- onsmängeln gestützt auf Art. 100 Abs. 1 OR (analog) für grobfahrlässiges Verhalten haftet, und dass auch bei leichter Fahrlässigkeit seitens der Bank der Scha- densüberwälzungsklausel nach gerichtlichem Er- messen, in Abwägung der Interessen und unter Wür- digung der gesamten Umstände die Anwendung ver- sagt werden kann (Art. 100 Abs. 2 OR analog). Diese Abwägung führte im vorliegenden Fall zur Nicht- Anwendung der Schadensüberwälzungsklausel. Hin- zuzufügen ist, dass das Gericht dem Erfüllungs an- spruch des Kunden zwei Rechtsgründe ent gegen- stellt: Einen verrechnungsweisen Schadenersatz- anspruch aus Sorgfaltspflichtverletzung des Kunden und die Schadensüberwälzungsklausel. Zur Natur der Schadensüberwälzungsklausel enthält der Ent- scheid keine Ausführungen. Nach einer neueren Auf- fassung handelt es sich auch hier um eine Grundlage für einen Schadenersatzanspruch.32 Alternativ kann darin ein Erfüllungsanspruch der Bank gegen den Kunden gesehen werden. Die rechtsdogmatische Dis- kussion darüber steckt noch in den Anfängen.

Um Legitimationsmängel geht es auch in der Saga um das Parteivermögen der sozialistischen Ein- heitspartei Deutschlands (SED). Hier hat das Be- zirksgericht Zürich ein weiteres Kapitel geschrieben

32 Siehe dazu Jean-Marc Schaller, Legitimationsmängel, in:

S. Emmenegger (Hrsg.), Bankvertragsrecht, Basel 2017, im Erscheinen.

(14)

(r3). Die SED benutzte zur Devisenbeschaffung ver- schiedene Handelsgesellschaften, und diese wieder- um hatten Konten bei Schweizer Banken. Von diesen Konten wurden kurz nach der Wiedervereinigung von der Handelsgesellschaft B. namhafte Summen abgezogen. Das Bundesgericht hat im Jahr 2013 be- reits eine Erfüllungsklage der Bundesanstalt für ver- einigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) gegen die UniCredit Bank Austria AG in Höhe von CHF 128 Mio.

gutgeheissen.33 Diesmal ist die Bank Julius Bär im Vi- sier der BvS.34 Nach einer Schlaufe über das Bundes- gericht, das die Zuständigkeit des Bezirksgerichts Zürich bejahte,35 hat nun das besagte Gericht ent- schieden, dass die Bank keinen Anlass hatte, an der eingeschränkten Verfügungsbefugnis der Handelsge- sellschaft B. bzw. deren Organe zu zweifeln. Da es auch hier um über CHF 100 Mio. geht, ist davon aus- zugehen, dass die BvS den Instanzenzug ausreizen wird.36

Genehmigungsfiktion

Nach gefestigter Rechtsprechung beurteilt sich die in den Bank-AGB enthaltene Genehmigungsfiktion im Lichte von Art. 6 OR.37 Bei Änderungen der AGB folgt daraus, dass die Bank sich dann auf die Genehmi- gungsfiktion berufen kann, wenn sie nach Treu und Glauben erwarten durfte, dass der Kunde mit der Vertragsänderung einverstanden ist. Sie kann sich nicht auf die Genehmigungsfiktion berufen, wenn sie nach den Umständen wusste oder wissen musste, dass dem Kunden der Genehmigungswille fehlt.38

Im Zusammenhang mit den Kontosperren bei fehlendem Nachweis der Steuerkonformität versagte der Pretore di Lugano der Bank die Berufung auf die Genehmigungsfiktion. Die neuen AGB, welche der Bank das Recht zur Kontosperre einräumen würden,

33 BGer, 4A_258/2012 vom 8. April 2013, SZW 2013 315 f.

r2; NZZ 12. April 2013, 25 (Streit um SED-Gelder in der Schweiz).

34 Finenews.ch 10.  Dezember 2016 (Bezirksgericht Zürich weist BvS-Klage gegen Julius Bär ab).

35 BGer, 4A_242/2015 vom 19. August 2015, SZW 2016 212 r1.

36 Siehe Handelszeitung, 25.  Januar 2017 (Deutschland zieht Klage gegen Julius Bär weiter).

37 BGer, 4A_42/2015 vom 9.  November 2015 E.  5.2; BGer, 4C.175/2006 vom 4. August 2006 E. 2.1.

38 Siehe BGer, 4A_42/2015 vom 9.  November 2015 E.  5.2 m.w.N.

seien offensichtlich nachteilig für die Kunden und vorteilhaft für die Bank, was mit Art. 6 OR nicht ver- einbar sei (r38, r39). Dem Pretore ist im Ergebnis zuzustimmen, allerdings unter folgender Präzisie- rung: Von einem fehlenden Genehmigungswillen ist nicht schon dann auszugehen, wenn die Bank ihre AGB zum Nachteil der Kunden ändert. Verschiebun- gen im Pflichtenkanon sind zu erwarten, und die Ge- nehmigungsfiktion würde ihren Zweck der effizien- ten Vertragsgestaltung im Massengeschäft verfehlen, wenn einzig Änderungen zugunsten der Kunden von ihr erfasst würden. Werden hingegen grundlegende Änderungen in der Vertragsbeziehung vorgenom- men, so kann die Bank nicht mehr gutgläubig auf die Zustimmung des schweigenden Kunden vertrauen.

Will sich eine Bank vorbehalten, bei fehlendem Nach- weis der Steuerkonformität ein Konto zu sperren, so bedeutet dies jedenfalls bei langjährigen Kunden eine grundlegende Änderung in der Vertragsbezie- hung. Eine solche Umstellung – und diesbezüglich ist dem Pretore Recht zu geben – lässt sich im Hinblick auf das Konsensprinzip des Vertragsrechts nicht mit der Genehmigungsfiktion bewältigen.39

Im Zusammenhang mit dem gehackten E-Mail- Konto eines US-Kunden hatte das Bundesgericht so- dann Gelegenheit, die Rahmenbedingungen für die Genehmigungsfiktion weiter zu konkretisieren (r1).

Nach seiner Standardformel ist bei der banklagern- den Korrespondenz unter dem Aspekt des Rechts- missbrauchsverbots auf Unverbindlichkeit der Ge- nehmigungsfiktion zu erkennen, wenn diese nach den Umständen des Falles zu einem unbilligen, das Rechtsempfinden verletzenden Ergebnis führt. So darf sich die Bank nicht auf die Genehmigungsfiktion berufen, wenn sie diese benutzt, um den Bankkun- den absichtlich zu schädigen. Sodann setzt die Ge- nehmigungsfiktion voraus, dass dem Kunden die Re- klamation objektiv möglich und zumutbar sein muss;

sie kann durch den Nachweis umgestossen werden, dass die Bank um die tatsächliche Nichtgenehmigung wusste.40 Im Fall des gehackten E-Mail-Kontos hätten diese Rahmenbedingungen dem US-Kunden, dessen Konto «leergeräumt» wurde, wenig genützt. Die Bank wollte den Kunden nicht schädigen und sie konnte –

39 Susan Emmenegger/Rahel Good, Der Einfluss ausländi- scher (Steuer-)Regulierung auf die Bank/Kunden-Bezie- hung. Welche Rechte haben Abschleicher? in: S. Emme- negger (Hrsg.), Verhaltensregeln, Basel 2015, 118 ff.

40 BGer, 4A_42/2015 vom 9. November 2015 E. 5.2 m.w.N.

(15)

da sie selbst die Piraterie nicht erkannt hatte – nicht wissen, dass der Kunde die Transaktionen nicht ge- nehmigt hatte. Hingegen hätte sie die Piraterie bei Anwendung der geschäftsüblichen Sorgfalt erkennen können. Ihre grobe Fahrlässigkeit in dieser Hinsicht ist gemäss Bundesgericht einer vorsätzlichen Schädi- gungsabsicht gleichzustellen.41

Was in diesem Fall (wieder) auffällt, ist die un- scharfe Trennung zwischen Zustellungs- und Geneh- migungsfiktion, die sich einmal in der Textbaustein- Sammlung des Bundesgerichts eingenistet hat und sich nun perpetuiert. Das Bundesgericht beginnt mit den Rahmenbedingungen für die Zustellfiktion und endet dann mit dem Satz, die Bank könne sich nicht auf die Genehmigungsfiktion berufen. Die beiden Fiktionen operieren inhaltlich mit überlappenden Kriterien, aber sie haben einen unterschiedlichen An- wendungsbereich. Die Zustellfiktion regelt den Zeit- punkt, ab dem eine Willenserklärung als zugestellt gilt. Die Genehmigungsfiktion regelt die Frage, ob und wann die Zustimmung zu einer zugestellten Wil- lenserklärung als erteilt gilt. Man kann die Zustellfik- tion durchaus unter die strenge Schranke des Rechts- missbrauchs stellen; dann würde die Zustellung in diesen Fällen als nicht erfolgt gelten, womit auch die Genehmigung ausgeschlossen wäre. Die Genehmi- gungsfiktion dagegen untersteht unabhängig von der Frage der banklagernden Korrespondenz der Schran- ke des Vertrauensprinzips (Art.  6 OR). Die Zustim- mung gilt nur dann als erteilt, wenn die Bank als ver- nünftige und redliche Vertragspartei mit der Zustim- mung rechnen konnte.

Gattungsarrest auf die Aktiven der Bank

Weitreichende Folgen dürfte der amtlich publizierte Entscheid des Bundesgerichts über die Zulässigkeit eines Gattungsarrests auf die Aktiven der Bank ha- ben (r34). Die Klägerin (eine Bank in Liquidation) hatte im Anschluss an ein Schiedsgerichtsurteil die Verarrestierung aller Vermögenswerte im Eigentum einer anderen Bank verlangt. Das Betreibungsamt hatte dem Arrest stattgegeben. Auf Beschwerde der beklagten Bank hin hatte die Aufsichtsbehörde in Be- treibungs- und Konkurssachen (in casu die Genfer Cour de Justice) die Arresturkunde und die Ankündi- gung des Arrestvollzugs für nichtig erkannt. Sie hielt

41 So schon BGer, 4C.81/2002 vom 1. Juli 2002 E. 4.3.

fest, dass die gattungsmässige Bezeichnung der Ar- restgegenstände nicht ausreiche, wenn es sich bei der Schuldnerin um eine Bank (und nicht um einen Bankkunden) handle. Denn in diesem Fall müsste die Bank ihre gesamten Kundenbeziehungen offenlegen, damit festgestellt werden könne, ob sie den Kunden gegenüber über Forderungen verfüge. Zudem seien diese Forderungen in einem ständigen Fluss. Das Ar- restbegehren sei deshalb zu wenig bestimmt und lei- de an einem Formfehler. Das Bundesgericht kassierte die Entscheidung. Die Schwierigkeiten einer Gläubi- gerin, die Arrestgegenstände zu bezeichnen, seien höher zu gewichten als die Schwierigkeiten der be- klagten Bank, die verarrestierten Vermögensgegen- stände zu individualisieren, zumal die genaue Be- zeichnung bis zum Zeitpunkt der Pfändung aufge- schoben werden könne.

Negativzinsen

Seit 2015 erhebt die Schweizerische Nationalbank Negativzinsen auf Girokontoguthaben in Schweizer- franken, sofern diese einen für jede Bank individuell festgelegten Freibetrag überschreiten. Bislang haben die Banken diese Zinsen vor allem indirekt, also mit- tels Erhöhung der Gebühren, an ihre Geschäfts- und Privatkunden weitergegeben.42 Unter welchen Vor- aussetzungen die Negativzinsen auf die Kunden überwälzt werden können, ist umstritten.43 Das erste Bundesgerichtsurteil zu diesem Thema gibt darauf keine Antwort (r35). Streitig war einzig, ob die Erhe- bung von Negativzinsen durch die kantonale Deposi- tenanstalt der betreibungsrechtlichen Beschwerde unterliegt. Das Bundesgericht folgte den Argumen- ten der Vorinstanz, wonach die Festlegung des Zins-

42 Handelszeitung 11. Dezember 2016 (Bankkunden müssen 2017 mit Negativzinsen rechnen); NZZ 12.  November 2016, 29 (Die Postfinance macht den nächsten Schritt);

Cash 11. September 2016 (Negativzinsen: Wie Schweizer Banken Kunden zur Kasse bitten); NZZ 22. Januar 2015, 26 (Negativzinsen bei Lombard Odier); NZZ 19.  Januar 2015, 20 (Negativzinsen für Grosskunden der CS). Tages- anzeiger 27. Februar 2017 (Bankkunden müssen Negativ- zinsen zustimmen).

43 Vgl. Benedikt Maurenbrecher/Fabrice Eckert, Aktuelle ver- tragsrechtliche Aspekte von Negativzinsen, GesKR, 2015 371  ff.; Jean-Marc Schaller, Negativzinsen im Aktiv- und Passivgeschäft von Banken, in: M.  Grosz/S.  Grünewald, Recht und Wandel, Festschrift für Rolf H. Weber, Zürich 2016, 245 ff.

Références

Documents relatifs

Une obligation d’information accrue n’existe que lorsque les parties sont déjà liées par un rapport durable de confiance dépassant la conclusion du seul contrat, lorsque

Le fait pour la banque de deuxième rang d’exécuter la contre- garantie (i.e. de payer à la banque de premier rang suite au versement par cette dernière du montant de

Nach hiesigen Handelsgebrauchen kann der Anweisungs- empflinger in guten Treuen aus der blossen Aushan- digung einer Kopie durch die angewiesene Bank nicht auf deren

comme commissionnaire, il n'aurait pas encouru de responsabilité. En effet, il n'était pas chargé de gérer les fonds de la banque, qui décidait seule, de cas en cas, s'il y

L’accord de collaboration est un contrat par le- quel le gérant indépendant, qui n’est pas dans une situa- tion de subordination, s’engage pour une certaine durée (déterminée

Nichts Neues stellt die Erkenntnis dar, dass die Bank ihr Verrechnungsrecht auch dann ausüben kann, wenn eine Kundenforderung gepfändet wird (r1).. Ebenso gefestigt

1. En envoyant un extrait de compte dont le solde est positif en faveur du client, la banque émet une re- connaissance de dette et renonce à faire valoir les exceptions et