Schwerpunkt: Genomweite Assoziationsstudien
Internist 2014 · 55:124–127 DOI 10.1007/s00108-013-3373-x Online publiziert: 9. Januar 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 C. Ospelt · S. Gay Zentrum für Experimentelle Rheumatologie, Klinik für Rheumatologie, UniversitätsSpital Zürich, SchweizEpigenetik bei
entzündlichen
Systemerkrankungen
In den letzten Jahren konnten mithilfege-nomweiter Assoziationsstudien (GWAS) immer mehr „single nucleotide polymor-phisms“ (SNP) mit verschiedenen Er-krankungen assoziiert werden. Trotzdem können beispielsweise bei der rheuma-toiden Arthritis (RA) die bis jetzt gefun-denen SNP nur etwas mehr als ein Drit-tel der Erblichkeit erklären [10]. Epigene-tische Veränderungen haben einen tief-greifenden, stabilen Einfluss auf die Ge-nexpression, ohne dabei die Sequenz der DNA zu verändern. Wenigstens zum Teil sind sie auch an die Nachkommen vererb-bar. Während die DNA-Sequenz den Ge-notyp definiert und in jeder Zelle eines In-dividuums prinzipiell gleich ist, regulie-ren epigenetische Mechanismen, welche Gene in welcher Zelle transkribiert wer-den. Damit bestimmen sie den Phäno-typ einer Zelle. Im Gegensatz zum geneti-schen Code, der sich in der Regel im Laufe des Lebens nicht verändert, hat der epige-netische Code eine gewisse Plastizität und kann durch Umwelteinflüsse modifiziert werden. Dieser Mechanismus ermöglicht den Zellen, sich an lang anhaltende Ver-änderungen in ihrer Umgebung anzupas-sen. Er erinnert an die Evolutionstheorie von Lamarck, die besagt, dass auch Fähig-keiten, die im Laufe des Lebens erworben wurden, vererbt werden können.
Der epigenetische Code
Die DNA bildet im Kern zusammen mit den Histonen, um die sie gewickelt ist, das Chromatin. Epigenetische Modifika-tionen können direkt an der DNA oder aber an den frei stehenden Histonseiten-ketten, den sog. Histonarmen, platziert
sein (. Abb. 1). Die Modifikationen der Aminosäuren der Histonarme sind viel-fältig und umfassen u. a. Acetylierungen, Methylierungen und Phosphorylierun-gen. Modifikationen der Histonseitenket-ten können durch ihre Ladung zu einer Auflockerung des Chromatins und da-mit zu einer besseren Zugänglichkeit der DNA für Transkriptionsfaktoren führen. Häufiger jedoch dienen sie als Bindungs-stelle für Effektorproteine, die wiederum die Transkriptionsmaschinerie stabilisie-ren oder hemmen können.
Im Gegensatz dazu ist die Methy-lierung bzw. HydroxymethyMethy-lierung von Cytosin bislang die einzige bekannte epi-genetische Modifikation der DNA. Die Demethylierung der Cytosine in der Pro-motorregion eines Gens ermöglicht des-sen Transkription, während die Methy-lierung eines Promotors zur Abschaltung des Gens führt. Die Gesamtheit der epi-genetischen Veränderungen an einem be-stimmten Gen ist der epigenetische Code, der je nach Zusammensetzung die Ex-pression des Gens blockiert oder zulässt.
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Auch chronisch-inflammatorische Erkrankungen
gehen mit epigenetischen
Veränderungen einher
Veränderungen im epigenetischen Code wurden zuerst in Tumorzellen analysiert. Die Hypermethylierung von Tumorsup-pressorgenen und die damit einhergehen-de Blockaeinhergehen-de einhergehen-der Expression sowie die ab-errante Expression von Onkogenen durch Verlust der Methylierung sind verbreitete Mechanismen, die zur malignen
Transfor-mation führen und in den verschiedens-ten Tumortypen gefunden wurden [9].
Auch im Zusammenhang mit chro-nisch-inflammatorischen Erkrankungen zeigen immer mehr Studien, dass epige-netische Veränderungen mit dem Krank-heitsverlauf einhergehen. Im rheumato-logischen Formenkreis wurden sowohl beim systemischen Lupus erythemato-des als auch bei der RA und systemischen Sklerose von Gesunden abweichende Muster der DNA-Methylierung und His-tonmodifikationen gefunden [7]. So ist beispielsweise in synovialen Fibroblas-ten von RA-PatienFibroblas-ten der Promotor des Chemokins CXCL12 demethyliert, was zu einer hohen basalen Expression dieses proinflammatorischen Faktors führt [6]. Es wird vermutet, dass dieser oder ähn-liche Mechanismen zur Chronifizierung von Entzündungen führen.
MicroRNA
Neben epigenetischen Modifikationen der Histonarme und der DNA beeinflus-sen auch nichtcodierende RNA-Moleküle die Genexpression substanziell, u. a. lange nichtcodierende RNAs (lncRNA) und mi-croRNAs. Die Funktion der lncRNAs ist großenteils ungeklärt. Es wird angenom-men, dass sie Enzyme, die epigenetische Modifikationen katalysieren, sequenzspe-zifisch an den richtigen Ort im Chroma-tin führen. MicroRNAs binden an Mes-senger-RNA (mRNA) und können da-durch deren Umschreibung in Proteine hemmen. D Die Expression von microRNAs ist bei vielen Erkrankungen dereguliert. Schwerpunktherausgeber W.L. Gross, Lübeck S. Schreiber, Kiel
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Der Internist 2 · 2014Schwerpunkt: Genomweite Assoziationsstudien
Da microRNAs auch im Serum sehr sta-bil sind, könnten sie die nächste Genera-tion von Biomarkern werden [3]. So ließ sich etwa zeigen, dass das Auftreten der leberspezifischen microRNA miR-122 im Blut gut mit Acetaminophen-induzierten Leberschäden korreliert [8]. Bei RA-Pa-tienten korrelierten hohe miR-16-Plasma-werte zu Beginn der Therapie mit einem besseren Ansprechen und einer stärke-ren Verminderung der Krankheitsaktivi-tät [2].
Genetik und Epigenetik
Wie bereits erwähnt kann der epigeneti-sche Code von Umwelteinflüssen modu-liert und vererbt werden. Sehr eindrück-lich konnte dies an Mäusen gezeigt wer-den, deren Mütter während der Trage-zeit mit methylierenden Nahrungsergän-zungsmitteln gefüttert wurden. Durch die spezielle Nahrung der Mütter wurde in den Nachkommen das Gen für die helle Fellfarbe methyliert, was zu einer dunklen Färbung der Jungtiere führte [11]. Auch
bei Menschen wurde ein Einfluss der Nahrung auf die DNA-Methylierung ge-funden. Bei Kindern, deren Mütter wäh-rend des niederländischen Hungerwinters 1944/1945 schwanger waren, war das Gen des „insulin-like growth factor II“ hypo-methyliert [5]. Dies könnte der Grund für das häufigere Auftreten von Typ-2-Diabe-tes und Adipositas bei diesen Nachkom-men sein.
Aber auch der genetische Code be-einflusst das Epigenom. SNP in microR-NAs können beispielsweise dazu führen, dass die microRNA ihre Ziel-mRNA nicht mehr erkennt und damit auch nicht mehr inhibiert. Andererseits kann ein SNP in der Zielsequenz die Bindung einer mi-croRNA oder auch einer lncRNA verhin-dern. So zerstört etwa eine stille Mutation im IRGM-Gen die Bindungsstelle der mi-croRNA miR-196. Bei einer Entzündung der Darmmukosa wird miR-196 induziert, was normalerweise zu einer Reduktion des IRGM-Proteins führt. Verminder-te IRGM-Spiegel sind wiederum die Vo-raussetzung für die Beseitigung von
Mor-bus-Crohn-assoziierten, adhärent-invasi-ven Escherichia-coli-Stämmen [1]. Da In-dividuen mit dem Risiko-SNP im IRGM-Gen ein erhöhtes Risiko haben, an Mor-bus Crohn zu erkranken, liegt die Ver-mutung nahe, dass der Krankheitsaus-bruch mit der Persistenz adhärent-invasi-ver E. coli zusammenhängt.
Epigenetik in der Praxis
Auch wenn viele epigenetische Studien heute an Zellen oder Tiermodellen durch-geführt werden, wird eine Nutzung des Wissens um epigenetische Veränderun-gen in der Praxis voraussichtlich mög-lich sein, sowohl in Form von Biomar-kern und prognostischen Faktoren wie auch als therapeutischer Ansatz. Der Ein-satz als Biomarker bietet sich v. a. für mi-croRNAs an.
Therapeutisch werden große Hoff-nungen in die Hemmung histonmodifi-zierender Enzyme gesetzt. Hemmer von Histondeacetylasen (HDACi) sind für die Behandlung von Lymphomen zugelassen und zeigten in Tiermodellen für RA, Koli-tis, multiple Sklerose und Lupus eine gute antiinflammatorische Wirkung [4].
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Hemmer von
Histondeacetylasen zeigten
in Tiermodellen eine gute
antiinflammatorische Wirkung
In der Behandlung von RA und chro-nisch-entzündlichen Darmerkrankungen verdichten sich die Beweise, dass in einem frühen Stadium behandelte Patienten grö-ßere Chancen auf eine Remission haben. Ein epigenetischer Hintergrund dieses Gelegenheitsfensters ist denkbar. Vermut-lich werden bei chronisch-entzündVermut-lichen Erkrankungen nach lang anhaltender Krankheitsaktivität die entzündlichen Si-gnalwege epigenetisch modifiziert, sodass sie stabil aktiviert bleiben und nicht mehr ausgeschaltet werden können. In frühen Krankheitsstadien sind die Zellen noch nicht geprägt, ihre Funktion kann somit leichter wieder normalisiert werden. Soll-te sich diese Theorie bewahrheiSoll-ten, könn-ten viele chronische Krankheikönn-ten mit Me-dikamenten kuriert werden, die das Epi-genom normalisieren. Abb. 1 9 Der epige-netische Code. Sowohl die DNA als auch die Histonarme können epigenetische Modifi-kationen tragen, die in ihrer Gesamtheit den epigenetischen Code ausmachen. Me Me- thylierung, Ac Acety- lierung, Ph Phospho-rylierung. (Adaptiert nach [12])
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Der Internist 2 · 2014Fazit für die Praxis
F Der epigenetische Code kann durch Umwelteinflüsse modifiziert werden. Aber auch der genetische Code beein- flusst das Epigenom, so etwa „sing- le nucleotide polymorphisms“ in mi-croRNAs. F Modifikationen der Histonseitenket- ten können eine bessere Zugänglich- keit der DNA für Transkriptionsfakto-ren bewirken. Häufiger jedoch dienen sie als Bindungsstelle für Effektorpro- teine, die wiederum die Transkrip-tionsmaschinerie stabilisieren oder hemmen können. F Die Demethylierung der Cytosine in der Promotorregion eines Gens er-möglicht dessen Transkription, die Methylierung führt zur Abschaltung des Gens. F Bei verschiedenen rheumatologi- schen Erkrankungen wurden von Ge-sunden abweichende Muster der DNA-Methylierung und Histonmodifi-kationen gefunden. F MicroRNAs könnten die nächste Ge-neration von Biomarkern werden. F Therapeutisch setzt man große Hoff- nungen in die Hemmung histonmodi-fizierender Enzyme.Korrespondenzadresse
C. Ospelt Zentrum für Experimentelle Rheumatologie, Klinik für Rheumatologie, UniversitätsSpital Zürich Gloriastr. 23, 8091 Zürich Schweiz caroline.ospelt@usz.chEinhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. C. Ospelt und S. Gay geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.