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Übersetzungsstrategien für Realien und Metaphern in literarischen Werken

2. Forschungsstand

2.2 Übersetzungsstrategien für Realien und Metaphern in literarischen Werken

Eine umfangreiche Studie zum Umgang mit Realien in der literarischen Übersetzung erschien 1998 mit der historisch-deskriptiven Dissertation Pekka Kujamäkis. Er interessierte sich insbe-sondere für die in der finnischen Ausgangs- und der deutschen Zielkultur geltenden literari-schen und übersetzeriliterari-schen Normen sowie die jeweilige „Rezeptionslage und -bereitschaft“

(1998, S. 73). Anlass für die Untersuchung war die Tatsache, dass „im Zusammenhang mit dem [analysierten] Romantext wiederholt seine nationale Bedeutung und die realistische Darstel-lung Finnlands und der Finnen hervorgehoben [wurden]“ (S. 293). Er ging davon aus,

18 daß aus der Analyse der Vorgehensweisen der Übersetzer beim Übersetzen von Realienbezeichnungen Informationen über das übersetzerische Selbst-, Werk- und Leser-verständnis sowie über die übersetzerischen Konventionen insgesamt in verschiedenen Phasen der übersetzerischen Rezeption des finnischen Romans Seitsemän veljestä in der Zielkultur zu gewinnen sind. (1998, S. 73)

In seiner Analyse hat Kujamäki die Realien verschiedenen Themenbereichen sowie die Reali-enübersetzungen bestimmten Vorgehensweisen zugeordnet, wodurch die Verteilung der Übersetzungsstrategien auf die Themenbereiche ersichtlich wird (vgl. Anhang II). Des Weite-ren ist er den Ursachen und Wirkungen der DiffeWeite-renzen zwischen den ziel- und ausganssprach-lichen Realienbezeichnungen nachgegangen. Ziel seiner Arbeit war es, „aus mikrostrukturel-len Einzelbeobachtungen übersetzerische Tendenzen“ und „Muster von Normauffassungen“

herauszukristallisieren sowie die Konsequenzen der Übersetzungsstrategien für den Gesamt-text zu eruieren (1998, S. 76). Darüber hinaus hat er ebenfalls „mögliche Kausalbeziehungen zwischen übersetzungsinternen und -externen Normen“ studiert (S. 77). In diesem Sinne hatte seine Forschungsarbeit nicht nur den Vergleich der unterschiedlichen Übersetzungsstrategien zum Zweck, sondern auch die Kontextualisierung der Übersetzungen in Bezug auf „einen so-wohl ausgangs- wie auch zielseitig geprägten kulturpolitischen Bedingungsrahmen und auf in-dividuelle Konzepte der Übersetzer“ (S. 293), um aus den Entscheidungen der Übersetzerin-nen und Übersetzer Rückschlüsse auf „die Ideologie, Poetik und Funktion literarischen Über-setzens“ (S. 297) ziehen zu können. Mithilfe der „Kontextualisierung der Befunde“ ist es ihm gelungen, die „übersetzungsinterne[n] Normen“ (d.h. die Übersetzungsnormen, die sich aus den „übersetzungsinterne[n] Tendenzen ergeben“ [S. 293]) „zu übersetzungsexternen Nor-men in Beziehung zu setzen“ (S. 76). Zu letzteren zählt er

Bedeutungen des Originals als ausgangsseitiger Normenstruktur, Funktion und Status des literarischen Textes in der Ausgangskultur, zielsprachliches Potential, Selbst- und Werk-verständnis sowie persönliches Übersetzungskonzept des Übersetzers, zielseitige Vorstel-lungen von der richtigen Art und Funktion der Literatur in der Zielkultur, von der Art und Funktion literarischer Übersetzungen in der Zielliteratur sowie von Status und Funktion des jeweils vorliegenden literarischen Werks bzw. dessen Autors in der Zielliteratur.

(1998, S. 295)

Die Untersuchung ergab, dass die Übersetzerinnen und Übersetzer sehr unterschiedlich mit den Realien des Ausgangstextes umgingen und die finnische Kultur auf sehr verschiedene Art und Weise dem deutschen Zielpublikum zu vermitteln versuchten (Kujamäki, 1998, S. 294).

Die Beziehung zwischen übersetzungsinternen und -externen Normen äusserte sich in der Erstübersetzung von 1921 durch Gustav Schmidt darin, dass die „relativ treue Übersetzungs-methode […] [und die] landeskundlichen Erläuterungen […] auf die finnische Initiative […], […]

19 im Ausland finnische Literatur zu Zwecken der nationalen Selbstdarstellung zu publizieren“

zurückzuführen waren. Die von Kürzungen und Auslassungen geprägte Übersetzung von 1935 durch Hahn-Blåfield hingegen zeugte vom Ziel, „ein leichter lesbares, deutsches Volksbuch“

hervorzubringen. Noch grössere Eingriffe nahm 1961 Josef Guggenmos vor, der „für eine handlungs- und spannungsbetonte Robinsonade den Dialog und realistische Details aus dem Weg räumte“ und das Werk an ein jugendliches Zielpublikum anpasste (1998, S. 295). In der

„originalgetreuen“ Übersetzung Schapers von 1950 schlug sich dagegen „das Werkverständnis des Übersetzers und seine Auffassung von dem hohen Status des Originals in der Ausgangsli-teratur und -kultur nieder“. Schiefer wiederum folgte 1989 „scheinbar [der] Translationsthe-orie von Reiß und Vermeer und formulierte einen ungehinderten Lesefluß zum Zweck seiner Sieben-Brüder-Übersetzung“ (1998, S. 296). Bei Rita Öhquists Übersetzungen von 1942, 1947 und 1962 schliesslich war ein „Schwung von einer eher eindeutschenden zu einer stark ver-fremdenden Übersetzungsmethode“ festzustellen, der besonders deutlich aufzeigte, dass die Betrachtung von externen Normen (in diesem Fall zum Beispiel der „zeitbedingten Verlags- und Kritikervorstellungen der vierziger Jahre von Ideologie, Poetik und Funktion der Überset-zungsliteratur in Deutschland“) zentrale Erklärungen für die Vorgehensweise einer Übersetze-rin oder eines Übersetzers liefern kann (S. 297).

Eine weitere Studie von Übersetzungsstrategien für Realien stellt Pernilla Rosell Steuers Dok-torarbeit von 2004 dar, in der sie die Realienübersetzung fünf verschiedener Übersetzungen des Romans Ein weites Feld von Günter Grass aus kultureller Sicht verglich. Dabei handelte es sich um Übersetzungen aus dem Deutschen ins Schwedische, Dänische, Norwegische, ameri-kanische Englisch und Französische. Rosell Steuer wollte herausfinden, ob die angewandten Übersetzungsmethoden je nach Grösse der Sprache und der Kultur eher in Richtung „foreign[i-zing]“ oder „domesticat[ing]“ gingen (Venuti, 1998, S. 11). Diese dichotomische Einteilung von Übersetzungsstrategien stammt von Lawrence Venuti, der vor dem Hintergrund der in den USA üblichen „domestication“ von fremden Texten (S. 11) auf die ethische Verpflichtung der Übersetzerin oder des Übersetzers hinwies, der amerikanischen Leserschaft die Existenz an-derer, minoritärer Kulturen aufzuzeigen und sich der „global hegemony of English“ zu wider-setzen (S. 10). Dieses auch als „foreignization“ (Dinçkan, 2010, S. 465) bezeichnete Vorgehen nennt er daher aus der Sicht der englischsprachigen Kultur „minoritizing translation“ (Venuti, 1998, S. 12). Während die „domestication“ in diesem Sinne der „inscription of a foreign text

20 with domestic intelligibilities and interests” gleichkommt (S. 11), ist daher das Ziel der „minor-itizing translation [to] resist[] this assimilationist ethic by signifying the linguistic and cultural differences of the text – within the major language” (S. 12).

Ziel der Arbeit von Rosell Steuer war nebst der Betrachtung der Übersetzungsstrategien im Rahmen dieser Dichotomie die Beschreibung der konkreten Schwierigkeiten und Möglichkei-ten im Zusammenhang mit der Übersetzung von Realien. Die Realien konnMöglichkei-ten jedoch nicht bestimmten Übersetzungsstrategien zugeordnet werden, weil in den verschiedenen Überset-zungen sehr unterschiedlich damit umgegangen wurde. Dieser Unterschied war insbesondere in der Kategorie der pragmatischen Strategien Chestermans auffällig (Rosell Steuer, 2004).

Chesterman (2016) unterscheidet zwischen syntaktischen, semantischen und pragmatischen Übersetzungsstrategien. Letztere sind meist auf die globale Übersetzungskonzeption der Übersetzerin oder des Übersetzers zurückzuführen und können die Botschaft des Ausgangs-textes verändern, da pragmatische Strategien bestimmen, welche Informationen des Aus-gangstextes in Funktion des beim Zielpublikum angenommenen Wissens in den Zieltext über-nommen werden sollen (S. 104). Der Umstand, dass sich die Ergebnisse Rosell Steuers im Rah-men dieser Kategorie stark unterschieden, macht demnach insofern Sinn, als dass pragmati-sche Übersetzungsstrategien den Text ans Zielpublikum anzupassen suchen, welches in Rosell Steuers Analyse im Rahmen jeder Übersetzung einer unterschiedlichen Kultur entsprach.

Eine Studie zu Übersetzungsstrategien für Metaphern in literarischen Texten wurde 2014 von Burmakova und Marugina realisiert. Sie haben die Metaphernübersetzung in den Übertragun-gen ins Englische einer Reihe von Kurzgeschichten des russischen Autors Vasily Shukshin von einem kognitiven Gesichtspunkt aus betrachtet. Ihre Studie stützt sich insbesondere auf die Annahme von Lakoff und Johnson (1980), dass Metaphern „due to the fact that different cul-tures conceptualize the world in different ways“ kulturspezifisch sind, sowie die These von Lakoff und Turner (1989), dass im Alltag gebräuchliche Metaphern von Schriftstellerinnen und Schriftstellern in literarischen Werken auf kreative Weise eingesetzt werden (Burmakova &

Marugina, 2014, S. 531). Ausgehend von der „Cognitive Translation Hypothesis“ (S. 530) von Mandelblit (1996), die sich in den Rahmen dieses kognitiven Ansatzes einschreibt, haben die Autorinnen anthropomorphische Metaphern quantitativ untersucht, die der generellen Kon-zeptmetapher „NATURE IS MAN“ untergeordnet werden konnten (S. 531).

21 Die im Rahmen der kognitiven Linguistik von Lakoff und Johnson aufgestellte Theorie, gemäss welcher der alltägliche Sprachgebrauch und die menschliche Denkweise von Metaphern ge-prägt sind (1980, S. 3), wurde erstmals von Nili Mandelblit (1996) für die Übersetzungswissen-schaft fruchtbar gemacht. Seine Hypothese der kognitiven Übersetzung besagt, dass die Über-setzung von Metaphern nicht nur ein sprachliches, sondern auch ein kognitives Problem ist.

Dies ist darauf zurückzuführen, dass zwischen zwei verschiedenen konzeptuellen Vorstellun-gen von der Welt und nicht nur zwischen Sprachen übersetzt werden muss, wenn in der Aus-gangssprache unterschiedliche Verbindungen von Erfahrungs- und Bildbereichen üblich sind als in der Zielsprache (S. 486). Da die sprachliche Struktur der ausgangssprachlichen Metapher auf der konzeptuellen Zuordnung eines Bildbereiches zu einem anderen basiert, die in der Zielsprache nicht üblich ist, muss die Übersetzerin oder der Übersetzer zuerst erkennen, dass die konzeptuelle Zuordnung zwischen den beiden Sprachen unterschiedlich ist. Erst dann kann sie oder er bewusst das Konzeptualisierungssystem wechseln und die ausgangssprachliche Metapher mit einer in der Zielsprache gebräuchlichen Konzeptualisierung wiedergeben. Aus-gehend von diesen Überlegungen hat Mandelblit die These aufgestellt und empirisch über-prüft, dass die Übersetzung von Metaphern leichter fällt und daher schneller geht, wenn in den involvierten Sprachen ähnliche konzeptuelle Zuordnungen üblich sind, das heisst ein Kon-zept durch einen metaphorisch verwendeten Ausdruck aus demselben Erfahrungsbereich aus-gedrückt wird (S. 487).

Nebst diesen Studien gibt es zahlreiche weitere Analysen zur Übersetzung von Realien im en-geren Sinne und von Metaphern in literarischen Werken (z. B. Brandolini, 2011; Daniel, 2016;

Tarif, 2013; Paillet, 2013; Lapina & Ermakova, 2017; Lunkova & Pavlova, 2018). In Bezug auf die Übersetzung von Kriminalromanen nimmt die Erforschung dieser Übersetzungsstrategien jedoch sehr viel weniger Platz ein. Nachfolgend wird spezifisch auf jene Studien eingegangen, die dem übersetzerischen Vorgehen bei der Realien- und Metaphernübersetzung von Krimi-nalromanen gewidmet wurden.