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Erfolgreiche Strategien für eine bürgernahe Versorgung: Beispiele aus der Europäischen Region

Dans le document Der Europäische Gesundheitsbericht 2009 (Page 156-160)

Die Schaffung eines Gesundheitssystems, das den Mensch in den Mittelpunkt stellt, ist eine große Herausforderung, deren Bewältigung für die Länder der Europäischen Region keine leichte Aufgabe ist. Letztendlich ist ein Paradigmenwechsel nötig: Statt den gesamten Arbeitstag mit herkömmlichen 10­ bis 15­minütigen Patiententerminen zu füllen, sollten primärversorgende Ärzte und Teams die gesundheitlichen Bedürfnisse der ihnen zugeordneten Personen analysieren und entsprechend betreuen, entweder durch fallbezogene Strategien oder in nach Gesundheitsrisiken erstellten Gruppen (46). Die Strategien und Optionen, die die Länder im Hinblick auf die genannten Ziele erarbeitet haben, lassen sich in zwei Hauptkategorien unterteilen:

• Erprobung neuer Qualifikationsprofile der Leistungserbringer und neuer Praxismodelle oder

• Einführung integrierter Versorgungspläne in Kombination mit Krankheitsmanagementprogrammen.

Neuorganisation der ärztlichen Praxis und Neudefinition der Dienstleisterqualifikationen

Wie bereits dargelegt, sind personelle Ressourcen knapp und die Lösungsmöglichkeiten für eine bürgernahe Primärversorgung daher begrenzt. Eine Option besteht darin, Rahmenbedingungen und Organisation der ärztlichen Praxis zu verändern und neue Anforderungen an die Qualifikationen der Leistungserbringer festzulegen, bei denen Teamarbeit und Vernetzung im Vordergrund stehen. Einige Länder haben die Funktion der Pflegefachkräfte neu definiert. Das veränderte Qualifikationsprofil beinhaltet nun auch Aufgaben, die bislang von primärversorgenden Ärzten ausgeführt wurden. Beispielsweise wurde in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich das Berufsbild Nurse Practitioner (Pflegespezialist) eingeführt. Diese Berufsgruppe wird an den Universitäten ausgebildet und übernimmt neben den üblichen Aufgaben der Pflegekräfte auch Aufgaben, die traditionell von einem Arzt durchgeführt werden; so dürfen sie Medikamente verschreiben und unkomplizierte Behandlungen durchführen. In Deutschland wurde kürzlich das Berufsbild Gemeindepfleger/­schwester eingeführt; die betreffenden Personen nehmen ähnliche Funktionen wie die Pflegespezialisten wahr, sind jedoch vor allem auf Heimpflege für

chronisch Kranke in ländlichen Gebieten spezialisiert (52). Im Vereinigten Königreich setzen die Primary Care Trusts inzwischen sog. „Fallmanager“ ein; das sind persönliche Betreuer, die die Leistungserbringung für Personen mit Langzeiterkrankungen oder komplizierten sozialen und gesundheitlichen Bedürfnissen koordinieren. Sie analysieren die Gesamtheit der gemeldeten Personen in ihrem Zuständigkeitsbereich und stellen ihren jeweiligen Bedarf fest.

Sie erarbeiten Versorgungspläne und richten die Leistungserbringung daran aus. Schließlich überwachen sie auch die Qualität der Versorgung. Darüber hinaus wurde in England auch die Rolle der Apotheker neu definiert. Sie können nun Folgerezepte ausstellen, medikamentöse Behandlungen überprüfen und Leistungen im Bereich der Raucherentwöhnung anbieten (53).

Im Jahr 2003 führte die spanische Region Castilla y León ein Programm ein, das auf mehr Effizienz bei der Gesundheitsversorgung von sozial wie gesundheitlich bedürftigen Menschen (z. B. chronisch Kranken) abzielte. Die Behörden erkannten schnell, dass die Übertragung ärztlicher Funktionen auf Pflegefachkräfte und andere neue soziale Dienstleister eine Neudefinition der Rolle des Hausarztes voraussetzt. Ärzte können spezielle Schulungen erhalten, die sie auf ihre Führungsrolle innerhalb des Teams vorbereiten, da sie künftig mehr Zeit damit verbringen, Gesundheits­ und Sozialversorgungsteams zu koordinieren, und weniger Patiententermine wahrnehmen, wobei sie sich vor allem auf Patienten mit schweren Erkrankungen konzentrieren (54).

Management chronischer Krankheiten und integrierte Versorgung

Neue Dienstleisterprofile und flexible Praxismodelle machen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Versorgungsebenen erforderlich, wobei dem Primärversorgungsteam eine Koordinations­ und Schnittstellenfunktion zukommt (Abb. 3.2).

Die organisatorischen Veränderungen orientieren sich an den epidemiologischen Entwicklungen. Aufgrund der Zunahme chronischer und multipler Erkrankungen haben mehrere Gesundheitssysteme, die bereits über eine gut ausgebaute primäre Gesundheitsversorgung verfügen, probeweise Versorgungsmodelle eingeführt, die auf spezielle Krankheiten ausgerichtet sind, z. B. Diabetes, Herz­Kreislauf­Erkrankungen und Krebs. Dies führt dazu, dass die primäre Gesundheitsversorgung die Rolle einer zentralen Koordinationsschnittstelle einnimmt. Eine solche Entwicklung ist u. a. in Dänemark, Frankreich, Irland, Italien und dem Vereinigten Königreich festzustellen (11). Häufig angeführtes Beispiel sind die Krankheitsmanagementprogramme, die 2002 in Deutschland für Diabetes Typ 1 und 2, Asthma, chronische obstruktive Lungenerkrankungen, ischämische Herzkrankheit und Brustkrebs eingeführt wurden. Bis 2008 hatten sich 4,7 Mio. Personen für die erwähnten Programme angemeldet, und in vielen Fällen hatten die betroffenen Hausärzte spezielle Schulungen für die fraglichen Krankheiten erhalten (55). Zwisler, Schou & Sørensen (56) berichteten 2000 über den Beginn einer klinischen Versuchsstudie, die in Dänemark an Personen mit ischämischer Herzkrankheit durchgeführt wurde und bei der den Patienten integrierte Rehabilitationsleistungen im Rahmen einer ambulanten Versorgung angeboten wurden. Es wurden interdisziplinäre und speziell geschulte Teams zusammengestellt, wobei das Kernteam jeweils aus einem Kardiologen, einer Pflegefachkraft, einem Physiotherapeuten, einem Ernährungsberater und einer Sekretärin bestand. Ergänzend wurden dem Team weitere Mitarbeiter zur Seite gestellt, u. a. ein Sozialarbeiter und ein Psychiater. Nach der Evaluierung der Versuchsstudie im Jahr 2003 wurde u. a. empfohlen, in der Anschlussphase des Projekts auch einen Psychologen und einen Seelsorger in das ergänzende Team aufzunehmen (56).

Andere Länder haben breiter angelegte integrierte Versorgungsmodelle und Dienst­

leistungsnetzwerke erprobt, die sich auf chronische Erkrankungen im weiteren Sinn

spezialisieren. Beispielsweise hat die sektorübergreifende Transmural Care [dt.: mauern­

übergreifende Versorgung], die in den Niederlanden seit den frühen 1990er Jahren praktiziert wird, einen großen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung und die Entwicklung der primären Gesundheitsversorgung. Ziel der Transmural Care ist es, die Qualität der Versorgung von Patienten, die nicht mehr ganz ohne fremde Unterstützung leben können, durch eine erfolgreiche Steuerung der Schnittstelle zwischen akuter Krankenhausversorgung und primärer Gesundheitsversorgung unter Einbeziehung der Sozialversorgung zu verbessern (57).

Auswirkungen für die Zukunft

Bevor die bürgernahe Primärversorgung in der Europäischen Region grundlegend reorganisiert werden kann, sind eine Reihe wichtiger Fragen zu klären. Erstens muss näher untersucht werden, welche Investitionen zur Deckung des Personalbedarfs in der primären Gesundheitsversorgung, einschließlich Ausbildung und Schulungen, getätigt werden müssten.

Soweit die althergebrachten Funktionen der Akteure neu definiert und gegebenenfalls – z. B. für Pflegefachkräfte – erweitert werden, müssen die Vergütungsmodelle neu überdacht werden, wobei eventuell alternative teamorientierte Vergütungssysteme entwickelt werden müssen.

Zweitens müssen Strategien entwickelt werden, mit denen sich die Verlagerung auf neue inter­

disziplinäre Teams und Netzwerke unter Einbeziehung des sozialen Sektors bewältigen lässt.

Abb. 3.2: Primäre Gesundheitsversorgung als Koordinationsschnittstelle

Quelle: The world health report 2008. Primary health care – Now more than ever (38).

Drittens ist zu prüfen, welche Lösungen praktikabel sind und welche Modelle sich nicht bewährt haben. Beispielsweise gibt es nur begrenzt Erkenntnisse zu der Frage, ob neue Qualifikationsprofile der Leistungserbringer und neue Praxisstrukturen zweckdienlich sind. Pilotstudien legen den Schluss nahe, dass erweiterte Zuständigkeiten der Pflegekräfte zu einer verbesserten Versorgung chronisch Kranker führen. Ebenso sind populationsbasierte Evaluierungen und Kosten­Nutzen­Analysen weiterhin dünn gesät oder nicht aussagekräftig, obgleich einige kleinere Untersuchungen zu Krankheitsmanagement und integrierten Versorgungsprogrammen vermuten lassen, dass die Patienten von den neuen Versorgungsverfahren profitieren (57). Soweit sich Länder im Übergang zu einem an der Primärversorgung orientierten Gesundheitsmodell befinden, müssen sie überwachen können, ob die Besonderheiten einer patientenzentrierten Versorgung in der Praxis ihres Primärversorgungssystems Fuß fassen. Auf dieser Grundlage können die Länder sodann die Verfahren und Ergebnisse der primären Gesundheitsversorgung verbessern. Ohne derartige Monitoring­Verfahren kann nicht analysiert werden, ob Reformen des Systems die Leistungserbringung tatsächlich verändern. Das WHO­Regionalbüro für Europa hat ein Instrument entwickelt, das die Mitgliedstaaten bei der Überwachung und Evaluierung der in der primären Gesundheitsversorgung eingesetzten Organisationsmodelle unterstützen soll (51).

Die Erneuerung der bürgernahen Primärversorgung in der Europäischen Region muss durch intensivere Forschungsaktivitäten ergänzt werden. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass in einer Cochrane­Untersuchung nur eine einzige gültige Studie ermittelt werden konnte, in der die Frage, wie sich in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen die primäre Gesundheitsversorgung integrieren lässt, aus Sicht der Patienten behandelt wurde (38,58).

Sicherung der Leistungsfähigkeit durch eine gezielte Gesundheitsfinanzierungspolitik

Innerhalb der Europäischen Region sind unterschiedliche Reformen der Gesundheits­

finanzierung unternommen worden. Dabei war ihre Ausgestaltung jeweils von den institutionellen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten der Länder abhängig (59). Die meisten Länder fühlen sich weiterhin den grundlegenden Werten verpflichtet, die in der Charta von Ljubljana über die Reformierung der Gesundheitsversorgung (2) enthalten sind. Durch Reformen wurde in der jüngsten Zeit versucht, die Bedarfsgerechtigkeit zu verbessern, finanzielle Hürden zu senken und eine allgemeine Versorgung zu gewährleisten. Ein Schwerpunkt der Reformen war es, trotz steigender Kosten an den genannten Zielen festzuhalten. Hierzu wurden verschiedene Methoden eingesetzt, u. a. wurde dem Gesundheitssektor bei der Verteilung öffentlicher Mittel eine höhere Priorität eingeräumt, Ressourcen wurden diversifiziert oder zusammengelegt, der Geldfluss und die Zusammenführungsmechanismen wurden umstrukturiert und es wurden neue Wege zum Einkauf von Gesundheitsleistungen mit dem Ziel der Effizienzsteigerung erprobt. (In diesem Zusammenhang ist mit dem Einkauf von Leistungen die Übertragung der zusammengeführten Ressourcen von einer Institution – z. B. private oder öffentliche Versicherer, regionale oder nationale Behörden oder sonstige öffentliche Einrichtungen – auf Dienstleister gemeint.) Vorstehend wurde bereits die Frage der allgemeinen Versorgung und des Zugangs zu finanzieller Absicherung untersucht. Der folgende Abschnitt befasst sich speziell mit

Verfahren zur Finanzierung der Gesundheitsversorgung und schildert die Reformen, mit denen die Länder die Intensität ihrer Anstrengungen zur Verwirklichung der angestrebten Ziele aufrechterhalten wollen.

Neuzuweisung öffentlicher Mittel an den Gesundheitssektor trotz knapper

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