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1. Österreichisches Deutsch

1.2. Österreichische Varietät der deutschen Sprache

Um einen genaueren Überblick über die österreichische Varietät der deutschen Sprache zu geben, empfiehlt sich ein Blick auf die Geschichte Österreichs und die sprachliche Entwicklung des Landes.

Vom Mittelalter bis Anfang des 19. Jahrhunderts war Österreich Teil des Heiligen Römischen Reiches, das die meisten heute deutschsprachigen Länder umfasste, und Wien war lange Zeit Sitz des Kaisers. Wien bzw. das heutige Österreich hatte somit eine besonders wichtige Stellung innerhalb des Heiligen Römischen Reiches. Im Spätmittelalter bildete sich zwar bereits eine eigene Schreibtradition, dies kann jedoch noch nicht als Zeichen für die tatsächliche Herausbildung einer eigenen österreichischen Varietät betrachtet werden, da sich in dieser Zeit viele Regionalsprachen entwickelten (vgl. Ammon, 1995, S. 117–118).

7 Während der Aufklärung kam es dann zur Aufnahme einer ostmitteldeutsch-meißnisch geprägten Schriftsprache. In besonderem Maße trug dazu die Verbreitung der sprachnormierenden Werke Johann Christoph Gottscheds, eines in Leipzig wirkenden Schriftstellers und Literaturtheoretikers, unter Kaiserin Maria Theresia in Wien bei. In der Regierungszeit Maria Theresias wurde auch die Schulpflicht eingeführt, und Maria Theresia setzte sich insbesondere für eine Intensivierung des Deutschunterrichts in den Schulen und die fehlerfreie Anwendung der Orthografie und Grammatik ein, wobei auch hier die Verwendung einer möglichst allgemeinen, von Regionalismen freien deutschen Sprache das Ziel darstellte (vgl. Wiesinger, 1988, S. 14–15).

Ammon (1995, S. 118) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es auch Widerstand gegen die Sprachpolitik Maria Theresias gab und einzelne Sprachwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen Listen mit spezifisch österreichischen Ausdrücken anfertigten, die jedoch meist nicht veröffentlicht wurden. Somit zeigte diese Widerstandsbewegung kaum Wirkung.

Auch im 19. Jahrhundert wurde v.a. von Gebildeten das Ideal einer möglichst dialektfreien Sprache weiterverfolgt. Als sich Österreich Mitte des 19. Jahrhunderts aufgrund von Konflikten mit Preußen endgültig vom Deutschen Bund abwandte und sich mit Ungarn zu einer Doppelmonarchie zusammenschloss, kam es auch zu einem sprachlichen Wandel. Nicht die deutschsprachigen Regionen im Norden galten nun als Vorbild, sondern vielmehr dialektfreie Gebiete im eigenen Land. Durch diese Abkehr von den anderen deutschsprachigen Gebieten waren die Voraussetzungen für die Bildung einer eigenständigen österreichischen Varietät gegeben. Aus dieser Zeit stammen auch Werke wie die Publikation Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung aus dem Jahr 1879, in der erstmals eine geringe Anzahl an österreichischen Besonderheiten vorkam. Ab Beginn des 20. Jahrhunderts kam es aber auch wieder vermehrt zu Vereinheitlichungen, v.a. bei der Rechtschreibung, z.B. durch die Veröffentlichung der für alle deutschsprachigen Gebiete geltenden Rechtschreibung der Buchdruckereien deutscher Sprache (vgl. Ammon, 1995, S. 121–123; Wiesinger, 1988, S. 16–17).

Nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg lehnte sich Österreich wieder mehr an Deutschland an, wobei es weder in der Zwischenkriegszeit noch nach dem Anschluss an Deutschland zu einer völligen Angleichung des deutschen und österreichischen Deutsch kam. Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Trennung Österreichs von Deutschland verliehen den Österreichern bzw. Österreicherinnen immer größeres Nationalbewusstsein. Österreich distanzierte sich in Folge von Deutschland

8 und versuchte nicht nur kulturell, sondern auch sprachlich zu eigenen Traditionen zurückzukehren oder neue eigene Wege zu gehen (vgl. Ammon, 1995, S. 122–126; Wiesinger, 1988, S. 16–17).

In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg stellte eine größtmögliche Distanzierung vom deutschen Nachbarn das Ziel dar. Es handelte sich also anfangs mehr um eine antideutsche Entwicklung als um die Erhaltung und Förderung der eigenen Kultur. So wurde z.B. auch das Schulfach Deutsch bis 1952 in Unterrichtssprache umbenannt. Im Laufe der Zeit entwickelte sich jedoch mehr Österreichbewusstsein, und Österreich wurde von seinen Einwohnern und Einwohnerinnen immer mehr als eigenständige Nation empfunden. Seit einigen Jahrzehnten geht es den Österreichern und Österreicherinnen im Allgemeinen nicht mehr nur um die Abgrenzung zu Deutschland, sondern vorrangig um den Schutz und die Förderung der eigenen Kultur und Sprache (vgl. Ammon, 1995, 126–127; Wiesinger, 1988, S. 17).

Zusätzlich zu den historischen Gegebenheiten muss darauf hingewiesen werden, dass Österreich zum oberdeutschen Sprachgebiet zählt und das österreichische Deutsch somit Gemeinsamkeiten mit der deutschen Sprache in der Schweiz und in Süddeutschland aufweist.

Außerdem gibt es häufig Unterschiede zwischen Ost- und Westösterreich. Die Bundesländer von Tirol bis Burgenland zählen ebenso wie die benachbarten Gebiete Bayerns und Südtirols zum bairischen Sprachraum, während das Bundesland Vorarlberg und ein kleiner Teil Tirols zum alemannischen Sprachraum zählen. Dort wiederum gibt es mehr Gemeinsamkeiten mit dem angrenzenden Teil Bayerns, dem Bundesland Baden-Württemberg sowie der Schweiz und Liechtenstein. Viele der dialektal geprägten Austriazismen wurden Teil der regionalen Standardsprache, sind allerdings nicht in ganz Österreich gebräuchlich (vgl. Wiesinger, 1995, S. 62).

Ebner (2008, S. 8) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass sich der Geltungsbereich bestimmter Austriazismen nicht immer genau mit dem Staatsgebiet Österreichs deckt. So gibt es aufgrund der sprachgeschichtlichen Entwicklungen und geografischen Gegebenheiten z.B.

Austriazismen, die nicht in ganz Österreich verwendet werden. Gleichermaßen finden sich aber auch als typisch österreichisch geltende Ausdrücke, die über die Staatsgrenzen hinaus verwendet werden. Daher bezeichnet Ebner (2009, S. 442) das österreichische Deutsch als

„die Gesamtheit der in Österreich oder einer österreichischen Landschaft vorkommenden standardsprachlichen Ausprägungen“. Austriazismen beschränken oder erstrecken sich also nicht zwangsläufig auf das österreichische Staatsgebiet.

9 1.3. Merkmale des österreichischen Deutsch

In diesem Kapitel sollen die spezifischen Merkmale des österreichischen Deutsch näher erläutert werden. Dazu wurden v.a. die Werke des Österreichischen Sprachdiploms Deutsch (2000, S. 37–80), Ammons (1995, S. 142–180), Tatzreiters (1988, S. 71–98), Muhrs (1995, S. 208–234) sowie Ebners (2008, S. 15–46) herangezogen.

Die spezifischen Merkmale des österreichischen Deutsch können in fünf Kategorien eingeteilt werden: Aussprache, Grammatik, Pragmatik, Orthografie und Lexik. Bei den in Klammern angegebenen Beispielen handelt es sich um einen Vergleich der österreichischen und der bundesdeutschen Varietät der deutschen Sprache, wobei die österreichische Variante immer als erstes Beispiel aufgeführt wird. Die Varianten der Vollvarietät Schweizerhochdeutsch stimmen teilweise mit den österreichischen oder deutschen Beispielen überein, werden hier jedoch nicht näher erläutert, da sie im Hinblick auf die spätere Analyse der österreichischen und deutschen Varietät innerhalb der Europäischen Union keine Rolle spielen.

Der Bereich der Aussprache wird in der vorliegenden Arbeit nicht näher beschrieben, da sich die Arbeit ausschließlich mit dem schriftlichen Gebrauch des österreichischen Deutsch beschäftigt.

1.3.1. Grammatik

Im Bereich der Morphologie und Wortbildung gibt es sowohl bei den Substantiven als auch bei den Verben, Adjektiven und Adverbien unterschiedliche Varianten in Österreich und Deutschland.

Im österreichischen Deutsch sind bei Substantiven insbesondere das -er Suffix bei Ordinalzahlen (z.B. der Einser/die Eins), substantivische Verkleinerungssuffixe wie -ert/-el/-l/-ler (z.B. Packerl/Päckchen, Würstel/Würstchen) und die unterschiedliche Verwendung des Fugenmorphems -s bzw. -ø statt/neben -e Morphem (z.B. Aufnahms-prüfung/Aufnahmeprüfung) hervorzuheben. Die bekanntesten Unterschiede bei Substantiven betreffen den Genus (z. B. das Prospekt/der Prospekt, das Cola/die Cola) sowie eine abweichende Bildung des Plurals auch mit Umlaut (Bögen/Bogen). Des Weiteren werden Personennamen in Österreich häufig mit Artikel gebraucht (der Franz hat.../Franz hat...) (vgl.

Österreichisches Sprachdiplom Deutsch, 2000, S. 61–65; Tatzreiter, 1988, S. 73–86).

Die Unterschiede bei den Verben erstrecken sich u.a. auf die Wortbildung: Bildung mit dem Suffix -ieren (z.B. eruieren/herausfinden), dem Suffix -eln, dem Suffix -en anstatt von -igen oder mit Umlaut statt ohne Umlaut. Zudem können Verben mit einer Präposition als Präfix

10 entweder ein anderes Präfix aufweisen (z.B. absammeln/einsammeln) oder mit einem anderen Stammverb kombiniert werden (z.B. sich ausrasten/sich ausruhen).

Die syntaktischen Unterschiede in Bezug auf Verben beziehen sich beispielsweise auf Unterschiede in der Rektion und Valenz von Verben (z.B. auf etwas vergessen/etwas vergessen), Unterschiede bei der Verwendung des Reflexivpronomens sich (z.B. sich ausgehen/reichen), Unterschiede bei der Bildung des Perfekts mit haben oder sein (z.B. ist gesessen/hat gesessen), Unterschiede bei der Bildung und Verwendung des Partizips II der Modalverben (z.B. hat wollen/hat gewollt), Unterschiede in der Reihenfolge der verbalen Elemente im sogenannten Schlussfeld des Satzes (z.B. weil der die Geschäfte auffliegen hatte lassen/weil er die Geschäfte hatte auffliegen lassen) und Unterschiede bei der Wahl der Präposition in Präpositionalgruppen (z.B. bei/an) (vgl. Österreichisches Sprachdiplom Deutsch, 2000, S. 65–75).

Bei den Adjektiven und Adverbien gibt es beispielsweise unterschiedliche Suffixe sowie Bildungen mit Umlaut (z.B. färbig/farbig) oder Neubildungen (z.B. fallweise/gelegentlich).

Bezüglich der Unterschiede im Temporalsystem ist anzumerken, dass das Präteritum v.a. in der gesprochenen Sprache in Österreich fast vollständig fehlt und das Perfekt als universelle Vergangenheitsform verwendet wird. Des Weiteren wird in Österreich insbesondere in der gesprochenen Sprache noch häufiger als in anderen deutschsprachigen Gebieten das doppelte Perfekt anstelle des Plusquamperfekts verwendet (z.B. er hat dort sein Auto abgestellt gehabt) (vgl. Österreichisches Sprachdiplom Deutsch, 2000, S. 76-80).

1.3.2. Pragmatik

Im Deutschen Universalwörterbuch (Dudenredaktion, 2007, S. 1309) wird Pragmatik als

„linguistische Disziplin, die die Beziehung zwischen sprachlichen Zeichen u. den Benutzern sprachlicher Zeichen untersucht“ bezeichnet. Es handelt sich dabei also um den unterschiedlichen Gebrauch der deutschen Sprache in Österreich und Deutschland bzw.

typisch österreichische Sprechhandlungen.

Muhr (1995, S. 230) verweist zunächst auf die häufige Verwendung von Titeln für Positionen in der staatlichen Bürokratie oder akademischer Titel, die gesetzlicher Bestandteil des Namens sind (z.B. Magister, Doktor, Professor, Hofrat). Diese Titel können in der Anrede sogar den Namen ersetzen (z.B. Lieber Herr Doktor!), was in der bundesdeutschen Varietät eher unüblich ist. Auch die Grußformeln unterscheiden sich in Österreich und Deutschland.

Der Willkommensgruß Grüß Gott ersetzt das bundesdeutsche Guten Tag in weiten Teilen

11 Österreichs. Als Abschiedsformel werden auf standardsprachlicher Ebene Auf Wiederschauen oder Auf Wiedersehen verwendet, in informellerem Rahmen umgangssprachliche Varianten wie Pfiat di oder mittlerweile auch das ursprünglich bundesdeutsche Tschüss.

Muhr (1995, S. 231) erläutert zudem, dass sich das Verhalten von Österreichern bzw.

Österreicherinnen und Deutschen in Kommunikationssituationen unterscheidet. Muhr (1995, S. 230–231) beschreibt dies folgendermaßen:

„In Österreich sind die Faktoren Personalisierung, Hierarchisierung, Harmonieerhaltung, Gesichtsbewahrung, Situationshandeln, Normenambivalenz, Wirklichkeitsmanipulation und Humor wichtige gesprächssteuernde Elemente. Dem stehen in Deutschland Sachbezogenheit, persönliche Leistung, Prinzipienhandeln, Normentreue, Konstanz, Wirklichkeitsüberhöhung und Ernsthaftigkeit als handlungsleitende Vorannahmen gegenüber.“

Deutsche sind Muhr zufolge leistungs- und sachorientierter und tragen Konflikte offen aus, während Österreicher bzw. Österreicherinnen Konflikte zu vermeiden versuchen und sich bei ihren Sprechhandlungen am Gesprächspartner orientieren.

Muhr (1995, S. 231–232) identifiziert des Weiteren Unterschiede bei der Verwendung von sogenannten illokutionsmodifizierenden Elementen wie Modalpartikeln (z.B. einmal, mal, ja, doch, eben): „Österreichische Sprecher verwenden im Vergleich zu deutschen Sprechern demnach a) insgesamt deutlich weniger illokutionsmodifizierende Elemente, b) weniger Modalpartikel, c) andere Modalpartikel und d) andere Kombinationen zwischen modifizierenden Elementen“ (Muhr, 1995, S. 232).

Muhr erläutert zudem Unterschiede beim Entschuldigungs- und Bitten- und Aufforderungsverhalten. So zeigen Österreicher und Österreicherinnen in Entschuldigungs-situationen „eine signifikant größere Bereitschaft zur expliziten Hörerzuwendung“ (Muhr, 1995, S. 232), was sich durch die vermehrte Anwendung von Anredeformeln, Exklamativen und gesprächseröffnenden Partikeln zeigt. Deutsche sind in Konfliktsituationen direkter, während Österreicher bzw. Österreicherinnen das Problem oft nicht direkt ansprechen. Auch bei Aufforderungen und Bitten treten große Unterschiede bei der Direktheit der Sprecher bzw.

Sprecherinnen auf. Österreicher bzw. Österreicherinnen fügen ihren Aufforderungen und Bitten demnach lange Erklärungen oder Entschuldigungen hinzu, oftmals sogar bevor sie überhaupt zu ihrer Bitte oder Aufforderung kommen. Für Deutsche, die aufgrund unterschiedlicher Kulturstandards Bitten oder Aufforderungen direkt ansprechen, kann dies umständlich und verwirrend wirken (vgl. Muhr, 1995, S. 232–233).

12 1.3.3. Orthografie

Die Orthografie stellt den Teil der Sprache dar, bei dem sich die wenigsten typisch österreichischen Varianten herausgebildet haben. Bei den wenigen unterschiedlichen Varianten sind auch meist die bundesdeutschen Varianten in Österreich zulässig.

Manche Wörter weisen aufgrund der besonderen österreichischen Aussprache auch eine andere Orthografie auf (z.B. Geschoß/Geschoss). Bei Fremd- und Lehnwörtern unterscheidet sich teilweise der Eindeutschungsgrad, wobei es sich dabei um einen sich ständig wandelnden Bereich handelt (z.B. Stefanitag/Stephanitag) (vgl. Ammon, 1995, S.148–149).

Die von Ammon (1995, S. 149) genannten Beispiele der unterschiedlichen Getrennt-/Zusammenschreibung bzw. Groß-/Kleinschreibung wurden im Zuge von Rechtschreibreformen fast vollständig angeglichen, wodurch sich die besonderen österreichischen Varianten in der Orthografie auf eine geringe Anzahl beschränken.

Ebner (2008, S. 39) verweist in Bezug auf die Getrennt- und Zusammenschreibung beispielsweise auf die Fügung zu Abend essen, die in Österreich auch zu dem Verb abendessen zusammengefügt werden kann, womit in Österreich der Infinitiv abendessen sowie das Partizip II abendgegessen zulässig sind.

1.3.4. Lexik

Die Lexik ist der Bereich, bei dem innerhalb der einzelnen Varietäten wohl die meisten Unterschiede auftreten, und der deshalb auch am besten erforscht ist. Oftmals werden die spezifischen österreichischen Merkmale der deutschen Sprache auch nur auf die Lexik beschränkt.

Ebner (2008, S. 14–15) unterscheidet bei der Lexik a) Varianten aufgrund des Dialektraumes, die nunmehr zum regionalen Standard zählen (z.B. Bairisch-österreichisch Nudelwalker/Nudelholz), b) Varianten aufgrund der gesamtoberdeutschen Entwicklung (z.B.

das in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz gebräuchliche Bub im Gegensatz zu Junge in Mittel- und Norddeutschland), c) ältere Varianten, die in Österreich im Gegensatz zu Deutschland aufgrund unterschiedlicher sprachlicher Entwicklungen erhalten blieben (z.B.

Pennal/Federbüchse), d) nationale Varianten, die durch die staatliche Verwaltung geschaffen wurden (z.B. Schularbeit/Klassenarbeit).

Das Österreichische Sprachdiplom Deutsch (2000, S. 54–61) unterscheidet in Bezug auf die Struktur der lexikalischen Unterschiede Parallelformen, Präferenzunterschiede sowie Teilsynonyme, Polysynonyme und falsche Freunde.

13 Die Parallelformen werden untergliedert in echte Parallelformen, bei denen es sich um Synonyme handelt, die jedoch bezüglich Konnotation und Stil voneinander abweichen können (z.B. Familienbeihilfe/Kindergeld), Sachspezifika als unechte Parallelformen, die nur in einem Land vorkommen oder anderen Einrichtungen oder Gegenständen nur bedingt ähneln (z.B. Trafik/Tabakladen oder Kiosk), und Sprachgebrauchsspezifika, bei denen es sich um inhaltlich übereinstimmende oder ähnliche und im Gebrauch unterschiedliche Ausdrücke handelt (z.B. das Deka/10 Gramm) (vgl. Österreichisches Sprachdiplom Deutsch, 2000, S. 54–58).

Bei den Teilsynonymen, Polysynonymen oder falschen Freunden handelt es sich um „formal gleiche Ausdrücke, die in den verschiedenen Varietäten vorkommen, jedoch eine ganz oder teilweise verschiedene Bedeutung haben“ (Österreichisches Sprachdiplom, 2000, S. 58).

Beispiele dafür wären das Wort angreifen, das in Österreich sowohl attackieren als auch in die Hand nehmen heißt, in Deutschland jedoch nur für attackieren steht, da für in die Hand nehmen das Wort anfassen verwendet wird. Ein weiteres Beispiel wäre das Wort Sessel, das in Österreich sowohl für ein ungepolstertes als auch für ein gepolstertes Sitzmöbel für eine Person steht. In der Varietät Deutschlands entspricht das Wort Sessel nur der zweiten Bedeutung, während für eine ungepolsterte Sitzgelegenheit für eine Person und meist ohne Armlehne nur das Wort Stuhl verwendet wird (vgl. Österreichisches Sprachdiplom Deutsch, 2000, S. 60).

Als Präferenzunterschiede werden „Unterschiede in der Gebrauchshäufigkeit und Auswahl weitgehend synonymer Ausdrücke innerhalb eines lexikalischen Feldes“ bezeichnet (Österreichisches Sprachdiplom Deutsch, 2000, S. 60). Als Beispiel werden im lexikalischen Feld der visuellen Wahrnehmung für etwas kopieren/abschreiben in Österreich präferenziell abschauen oder abschreiben verwendet, während in Deutschland Ausdrücke wie abgucken, abschreiben und nachmachen bevorzugt werden.

Besonders charakteristisch für die österreichische Lexik ist im Vergleich zum bundesdeutschen Deutsch auch die starke Prägung durch Fremd- und Lehnwörter. Dies ist teilweise auf die historischen Gegebenheiten zurückzuführen (z.B. Übernahme vieler Fremdwörter aus Ostsprachen während der österreichisch-ungarischen Monarchie).

Bis ins 18. Jahrhundert war Italien der wichtigste Partner Österreichs, was zur Aufnahme vieler italienischer Fremdwörter führte (z.B. Karfiol/Blumenkohl, Fasche/Binde). Da lange Zeit Latein Amtssprache in Österreich war, finden sich auch heute noch viele Wörter lateinischen Ursprungs in der österreichischen Lexik (z.B. Konsumation/Verzehr, Primar(arzt)/Oberarzt oder Chefarzt). Die französischen Einflüsse im österreichischen

14 Deutsch verschwinden zwar immer mehr, dennoch gibt es in Österreich noch einige häufig verwendete Wörter französischen Ursprungs, die in Deutschland schon als veraltet gelten oder überhaupt nicht mehr gebraucht werden (z.B. retour/zurück). Bis auf moderne Anglizismen hat das Englische keinen so großen Einfluss auf das österreichische Deutsch. Nur im Sportbereich haben sich in Österreich einige englische Fremdwörter gehalten, die in Deutschland bereits verschwunden sind (z.B. out/aus, Corner/Eckball). Während der österreichisch-ungarischen Monarchie kam es auch zu einem relativ großen Einfluss der slawischen Sprachen auf das österreichische Deutsch. Aus dem Slowenischen kommen Wörter wie Jause (Zwischenmahlzeit oder kalte Abendmahlzeit), aus dem Tschechischen und Slowakischen v.a. Ausdrücke aus der Küchensprache wie Kolatsche (meist quadratisches gefülltes Hefegebäckstück) und Kren (Meerrettich). Der ungarische Einfluss war jedoch geringer und viele ungarische Fremdwörter werden nur regional verwendet (z.B.

Fogosch/Zander) (vgl. Ebner, 2008, S. 15–17).

1.4. Kodifizierung des österreichischen Deutsch

Wie bereits in Kapitel 1.1. angegeben, muss eine Varietät einer plurizentrischen Sprache zumindest teilweise über eine eigene Kodifizierung verfügen, um als eigene Varietät zu gelten.

Zunächst muss in Bezug auf die Kodifizierung des österreichischen Deutsch das Österreichische Wörterbuch genannt werden. Die erste Auflage dieses Wörterbuchs wurde im Jahr 1951 vom Bundesministerium für Unterricht veröffentlicht. Die Erstellung des ÖWB kann als eine der Maßnahmen der österreichischen Regierung zur Förderung einer klar von Deutschland abgegrenzten österreichischen Kultur nach dem Zweiten Weltkrieg verstanden werden. Heute gibt es bereits 42 Auflagen, und obwohl sich das ÖWB im Laufe der Zeit stark verändert hat, blieb die Zielsetzung immer die gleiche: das ÖWB sollte und soll auch heute noch eine Rechtschreibgrundlage in österreichischen Schulen und Ämtern darstellen.

In den letzten Jahrzehnten vervielfachte sich der Umfang des Wörterbuchs, welcher nun bei knapp 850 Seiten für das Wörterverzeichnis liegt. Außerdem umfasst die 42. Auflage des ÖWB auch Anhänge zum österreichischen Deutsch, zu Grammatik und Rechtschreibung und weitere hilfreiche Informationen. Gerade in der Vergangenheit wurde das ÖWB jedoch aufgrund seiner Ostlastigkeit3 und strittiger Markierungen bei manchen Wörtern stark kritisiert. Manche der Kritikpunkte dürften in den folgenden Auflagen berücksichtigt worden

3 Frühere Auflagen des ÖWB enthielten v.a. im Osten Österreichs verwendete Varianten, häufig auch besonders wienerische Ausdrücke, während typische Varianten der westlichen Bundesländer (Vorarlberg, Tirol) oftmals nicht darin aufgenommen wurden.

15 sein, da es zu einigen Änderungen bei der Gestaltung kam (beispielsweise wurde die Kennzeichnung in Österreich unüblicher deutscher Wörter durch einen Asterisk entfernt).

Trotz der Kritik am ÖWB handelt es sich bei der im Auftrag des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur herausgegebenen Publikation wohl um das wichtigste Werk der Binnenkodifizierung des österreichischen Deutsch (vgl.

Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, 2012; vgl. Reiffenstein, 1995, S. 161-164).

Als weiteres wichtiges Werk in Bezug auf die Kodifizierung des österreichischen Deutsch kann die Publikation Duden: Wie sagt man in Österreich (Ebner, 2009) genannt werden.

Diese Veröffentlichung ist der Außenkodifizierung zuzuordnen, da sie vom Dudenverlag (Bibliographisches Institut), dessen Niederlassung sich in Deutschland befindet, publiziert wurde. Dieses Wörterbuch weist mit seinem rund 400-seitigen Wörterverzeichnis jedoch einen deutlich geringeren Umfang als das ÖWB auf. Es ist gleichermaßen für Deutsche, Schweizer und Schweizerinnen, Österreicher und Österreicherinnen wie auch andere Interessierte (Übersetzer bzw. Übersetzerinnen, Literaturwissenschaftler bzw. Literatur-wissenschaftlerinnen, etc.) bestimmt und dient v.a. dem praktischen Gebrauch. In der aktuellen vierten Auflage wurden viele dialektnahe und veraltete Wörter nicht mehr aufgenommen. Auch dieses Wörterbuch umfasst einen Anhang über das österreichische Deutsch und seine Merkmale (vgl. Ebner, 2009).

In Bezug auf die Kodifizierung ist auffällig, dass das österreichische Deutsch bei Weitem über keine so weitreichende Kodifizierung verfügt wie etwa das bundesdeutsche Deutsch.

Alleine die Dudenreihe umfasst 12 Bände, und auch andere in Deutschland verlegte Wörterbücher wie Wahrig sind umfangreicher und oft bekannter als die österreichischen Wörterbücher. Dies entspricht jedoch dem in Kapitel 1.1. genannten Konzept der dominanten Varietät und der anderen Varietät und stellt somit keine Besonderheit der österreichischen Varietät der deutschen Sprache dar.

2. Die deutsche Sprache in der Europäischen Union

Beim Beitritt Österreichs zur Europäischen Union im Jahr 1995 kam der Sprachenfrage innerhalb der EU aufgrund der Plurizentrik der deutschen Sprache, mit der sich die EU nunmehr auseinandersetzen musste, neue Bedeutung zu. Doch bereits davor wurde die Verwendung der Sprachen in der EU in verschiedenen Verträgen und Rechtsvorschriften genau bestimmt. Diese Sprachenregelung und insbesondere jene Vorschriften über die

16 Verwendung der Sprachen in den Organen wie auch jene zur Wahrung der sprachlichen Vielfalt als Teil der europäischen Kultur sollen hier kurz erläutert werden, da sie den Grundstein für die Verwendung und Achtung der deutschen Sprache innerhalb der EU darstellen.

Außerdem unterscheidet sich die in der EU verwendete Varietät des Deutschen teilweise von den anderen Varietäten dieser plurizentrischen Sprache. Diese EU-Varietät der deutschen Sprache soll hier anhand von Beispielen näher erklärt werden.

2.1. Sprachenregelegung in der Europäischen Union

Die Sprachenfrage stellte schon immer ein wichtiges Thema innerhalb der Europäischen

Die Sprachenfrage stellte schon immer ein wichtiges Thema innerhalb der Europäischen