CHRONIQUES ET COMPTES RENDUS
PAYS DE LANGUE ALLEMANDE
HANDWÖRTERBUCH DER MUSIKALISCHEN TERMINOLOGIE . Im Auftrag der Kommission für Musikwissenschaft der Akademie der Wissen-schaften und der Literatur zu Mainz herausgegeben von Hans Heinrich EGGEBRECHT, Wiesbaden, Steiner, I . Lieferung, 1972 , X-96 S, DM 6o .
Mit dem Handwörterbuch der musikalischen Terminologie hat ei n großangelegtes Nachschlagewerk zu erscheinen begonnen, das sich in technischer wie in sachlicher Hinsicht durch einen bemerkens-werten Mut zum Experiment auszeichnet und schon deshalb besonder e Beachtung verdient . Wenn auch die konventionelle alphabetisch e Anordnung der Stichwörter grundsätzlich beibehalten wird, so sin d die einzelnen Lieferungen noch nicht strikt hierauf abgestellt, wi e der Inhalt des ersten Faszikels mit den folgenden Artikeln zeige n mag : Cantus firmus, Clavis, Diaphonia, Kammermusik, Organum , Semibrevis, Tactus, Tafelmusik, Unendliche Melodie . Das neuartig e Prinzip besteht darin, das, was gerade druckfertig ist, gleich z u publizieren . Diese Methode setzt, um am Ende doch zu einem konti-nuierlichen Alphabet zu gelangen, eine Mobilität der einzelnen Artike l voraus, die durch Verwendung von losen Blättern erreicht wird . Diese sind in die mitgelieferten und mit einem Register versehene n Ordner einzufügen . Jeder Artikel muB natürlich auf einem neue n Blatt beginnen und kann nur in sich durchpaginiert werden . Um di e unvermeidliche Abnutzung der Blätter an den Lochstellen zu redu-zieren, ist ein besonders starkes Papier verwendet worden .
Diese aufgelockerte Publikationsform hat unbestreitbare Vorteil e für sich . So entfallen die Verzögerungen, die viele in Lieferunge n erscheinende Sachwörterbücher durch Nichteinhaltung von Termine n seitens der Mitarbeiter erleiden . Dann kann rationeller gearbeitet werden, indem ganze Sachkomplexe in einem Zug erledigt werden . Ferner lassen sich Spezialisten leichter zu gelegentlicher Mitarbeit
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gewinnen, wenn Aussicht auf baldige Publikation ihres Beitrage s besteht . Schließlich ist es möglich, die Liste der Stichwörter z u modifizieren und einzelne Artikel zu ergänzen oder sie sogar durc h eine Neufassung zu ersetzen . Denn das Werk versteht sich zunächs t als ein Provisorium oder als ein ` musikterminologisches Periodicurn ' , dessen Fernziel die Abrundung zu einem einheitlichen Ganzen sein soll . Bis dahin wird es freilich noch gute Weile haben, denn die Schät-zung rechnet mit einem Gesamtumfang von etwa vierzig Lieferunge n bei einem Erscheinungsmodus von zwei im Jahr.
Die Artikel fallen schon äußerlich durch Großzügigkeit angeneh m ins Auge ; Umfangsbeschränkungen, für viele Lexika ein ewiges Leid , scheint es nicht zu geben, wie sich schon an der reichlichen Verwen-dung von ZeilendurchschuB zeigt . Typographische Möglichkeiten wi e Normal- und Petitdruck, Antiqua und Kursive, Kapitälchen u .ä . sind geschickt zur Förderung der Übersichtlichkeit ausgenutzt worden . Bei der Gestaltung der Artikel ist den Bearbeitern beträchtliche r Spielraum belassen worden, jedoch ist allgemein eine straffe Glie-derung festzustellen . An die Spitze der einzelnen Artikel wird da s Dispositionsschema mit knappem erläuterndem Text gestellt, wodurc h dem Benutzer sogleich ein Überblick über den Inhalt ermöglich t wird . Einen erfreulich starken Anteil scheinen die Termini zu haben , die schon in der Antike und im Mittelalter geprägt sind . Anzuerkennen ist das Bemühen, aus der Gesamtentwicklung eines Wortes seinen speziellen musikalischen Gebrauch abzuleiten und dessen Entwicklun g an Hand reichlich gebotener, in extenso ausgezogener und ausführ-lich kommentierter Belege zu verfolgen . Dabei ergeben sich interessan-te Perspektiven, so etwa bei ` Diaphonia ', einem Fachausdruck, der , von Plato an zunächst für das ` Nichtzusammenpassen von Tönen ' gebraucht, sich im späteren Griechischen verengt und ins Lateinisch e erst durch Isidor von Sevilla eingeführt wird, anfangs im Sinne de s griechischen Gebrauchs, dann aber zum ' Namen der Mehrstimmig-keit ' wird und schließlich aus dieser Position von anderen Termin i verdrängt wird . Eine ähnlich bewegte Entwicklung als Fachwor t kann ` Organum ' aufweisen, während Cantus firmus ', ` Clavis ' und ` Semibrevis ' erst im hohen Mittelalter als musikalische Fachausdrück e erscheinen .
Wie schon in der ausführlichen Einleitung von H .H . EGGEBRECH T
bemerkt wird, kann von den Artikeln noch keine Perfektion erwarte t werden, denn einmal liegt das Material noch nicht vollständig vor , zum anderen sind die Begriffsbestimmungen in Ermangelung vo n Vorarbeiten oft schwierig. Letzteres betrifft besonders die Termin i aus der Antike und dem Mittelalter . Trotzdem erreichen diese Artikel
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ein beachtliches, dem gegenwärtigen Stand der Forschung entspre-chendes Niveau und können dem Altertumswissenschaftler wie de m Mediävisten von groBem Nutzen sein .
Willigis ECKERMANN,Der Physikkommentar Hugolins von Orvieto OESA, ein Beitrag zur Erkenntnislehre des spätmittelalterlichen Augustinismus (Spätmittelalter und Reformation, Texte und Unter-suchungen 5), Berlin, New York, De Gruyter, 1972, XXVI-149 S . ,
DM 48 . — .
Die neue Reihe, die mit dieser als der zeitlich ersten Publikation i n die Öffentlichkeit tritt, hat sich nach den einleitenden Ausführunge n ihres Herausgebers H . A . OBERMAN das Ziel gesetzt, die bisher nur
unzureichend bekannte, aber geistesgeschichtlich hochbedeutsame Übergangszeit vom Spätmittelalter zurReformation(etwa von 1350 bis 1550) mit besonderer Berücksichtigung der Hauptvertreter de s Augustinismus erschließen zu helfen . So stehen außer Hugolin noc h Gregor von Rimini, Johann Hiltalingen von Basel, Johann von Paltz und Johann von Staupitz auf dem Programm .
Hugolin von Orvieto (j 1373) hat in letzter Zeit durch speziell e Abhandlungen die Aufmerksamkeit zunehmend auf sich gelenkt . I n Paris ausgebildet, hat er dann daselbst und in Bologna gelehrt, wo er die theologische Fakultät begründete . Schließlich ist er 1368 bis z u der Stellung des Ordensgenerals der Augustinereremiten aufgestiegen . Einer seiner Vorgänger in diesem Amt, Gregor von Rimini (t 1358) , zählt zu den bedeutendsten Augustinertheologen und hat auch auf Hugolin eingewirkt.
Das Hauptwerk Hugolins, der Kommentar zu den Sentenzen des Petrus Lombardus, ist noch nicht ediert worden . Sein Kommentar zur Physik des Aristoteles ist nur in einer Handschrift der Seminar-bibliothek vonCasaleMonferrato, die vermutlich aus dem Augustiner-kloster San Marco in Mailand stammt, überliefert, aber sie enthält
nur die ersten vier Bücher . Ob das 1362 in Paris geschriebene Werk unvollendet geblieben oder sein zweiter Teil verlorengegangen ist , bleibt noch ungeklärt .
Der große Umfang des Werkes ließ es geraten erscheinen, nebe n dem Verzeichnis aller Quästionen und Konklusionen in volle m Wortlaut nur die beiden ersten Quästionen des ersten Buches al s grundlegend für Hugolins erkenntnistheoretische Einstellung z u edieren und ausführlich zu kommentieren . Zwei Fragen sind es, au f die sich Hugolin in diesem Auszug konzentriert, nämlich auf das