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Die Entlehnungen aus den Volkssprachen in lateinischen Texten aus Böhmen und Mähren

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Academic year: 2021

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in lateinischen Texten

aus Böhmen und Mähren

Einen großen Teil der Neologismen im mittellateinischen Wortschatz bilden Entlehnungen aus den nationalen Sprachen. Diese sind aus denselben Gründen entstanden wie alle anderen Neologismen: der Sprecher oder der Schreiber wollte eine Realität benennen, für die er keinen passenden Ausdruck fand. Dabei konnte es sich um eine Lücke in seinen Kentnissen handeln, oder so ein Ausdruck existierte bis dahin wirklich nicht. In diesem Fall musste man das, was man brauchte, neu formen ; und dabei spielten auch der Bildungsstand und die Absicht des Schöpfers eine Rolle.

In diesem Beitrag möchte ich kurz und nur in Umrissen skizzieren, in welchem Maße und in welcher Art sich die Volkssprachen im böhmischen Latein widerspiegeln1. Die Grundlage für dieses vorläufige Bild habe ich aus dem bisher bearbeiteten Material des Mittellateinischen Wörterbuchs für die Böhmischen Länder gewonnen2, dh. aus den Lemmata mit den Anfangsbuch­ staben A bis L, was ungefähr die Hälfte des endgültigen Umfangs des Wörter­ buchs darstellt ; die zweite Hälfte des Alphabets habe ich stichprobenweise exzerpiert. Ich lasse die Wörter mit griechischer und arabischer Herkunft weg (von denen die meisten zur christlichen und wissenschaftlichen Terminologie gehören), ebenso werde ich mich nicht mit den alten Entlehnungen aus dem Germanischen und dem Romanischen (die man besonders unter den Rechts­ und Verwaltungstermini findet) beschäftigen, obwohl ich die zweite Gruppe in der Statistik berücksichtige. Diese Wörter wurden ins böhmische Latein als bereits eingebürgerte übernommen, und sie wurden nicht mehr als fremdes

1 Das „böhmisch“ Latein wurde bisher in dieser Hinsicht noch nicht so gründlich untersucht, wie das K. W e y s s e n h o f f - B r o z k o w a , Wptyw polsczyzny na iacinç sredniowiecznq. w Polsce, Kraków, 1991, mit dem Material des polnischen mittellateinischen Wörterbuchs getan hat; bisher existieren nur Bemerkungen in margine, die während der Bearbeitung der Wörterbuchlemmata entstanden sind, zB. D. M a r t í n k o v á , „Recke prvky ve slovní zàsobë stredovëké latiny v öeskych zemich“, Zprávy Jednoty klasickych filologü 18 (1976) S . 106-114; D. M a r t í n k o v á , „Grécismy v díle Vojtecha Rañkova z Jeéova“, Listy filologické 107 (1984) S . 223-227 ; Z. S i l a g i o v á , „Utroque

idiomate loquuntur“, Listy filologické 122 (1999) S . 39-48.

2 Latinitatis medii aevi lexicon Bohemorum - Slovník stredovëké latiny v ceskych zemích, Praha, 1977- (im Folgenden LB).

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Element empfunden ; ich bespreche an dieser Stelle nur solche Ausdrücke, die während der Entwicklung der böhmischen lateinischen Literatur gebildet wurden, das heisst nach dem Jahr 1000.

Das Material unseres Wörterbuchs ist - was die Entlehnungen betrifft - sehr benützerfreundlich. Der erste günstige Umstand beruht auf der bei uns ange­ wandten Methode der Exzerption : neben den gedruckten Quellen wurden auch viele Handschriften exzerpiert3, und gerade hier, besonders in den Urkunden und in der Fachliteratur, findet man eine große Menge von Entlehnungen, die noch in keinem Druck nachweisbar sind.

Der zweite günstige Umstand ist die grammatische Struktur der Mutterspra­ chen der Einwohner des Königreichs Böhmen, des Tschechischen und Deut­ schen, die die leichte Latinisierung der volkssprachlichen Wörter und ihre orga­ nische Eingliederung in die lateinische Flexion ermöglicht.

Es gibt zum Beispiel im Tschechischen wie im Lateinischen die a-Stämme der Feminina und Maskulina. In diesem Fall bietet es sich ohne weiteres an, den tschechischen und den lateinischen Nominativ gleichzusetzen und im Lateinischen weiter nach der ersten Deklination zu deklinieren, wie duchna,

-ae, f. (Federbett4) oder holota, -ae, m. (Hundeführer5). Die tschechischen

Neutra der o-Stämme gingen zum größten Teil in die dritte Deklination über, und zwar deswegen, weil ihr auf -o endender Nominativ mit dem lateinischen übereinstimmte, zB. dlato, -onis, m. (M eissei6). In derselben Deklination wurden auch die meisten Maskulina der oStämme aufgenommen, nachdem sie im Nominativ die Endung -o angenommen hatten, zB. drastniko, -onis, m. (Hersteller von Troddeln und Fransen7), oder kmeto, -onis, m. (Beisitzer am Landgericht oder höriger Bauer8) oder bosako, -onis, m. (Barfüßer9). Dieser Prozess war sehr produktiv10, und von den so entstandenen Substantiven bildete man dann auch mit dem Suffix -issa Feminina-Ableitungen, zB. drast­

niko - drastnikonissa n . Nur ein kleiner Teil der maskulinen oStämme wurde

durch die Anfügung der Endungen -us, -ius zum tschechischen Nominativ, der ohne Endung ist, latinisiert und dann in die zweite lateinische Deklination

3 Das Material des Wörterbuchs besteht aus ungefähr 800000 Exzerpten, ein Drittel davon stammt aus ungedruckten Quellen, aus Traktaten, Glossarien und archivalischen Dokumenten und stellt einen wichtigen Beitrag dar. Zur Bedeutung der Exzerption handschriftlicher Quellen s. D. M a r t í n k o v á , „Vÿznam rukopisnÿch dokladü pro zpracování Slovniku stredovëké latiny v

öeskych zemich“, Zprávy Jednoty klasickych filologü 15 (1973) S. 14-18. 4 duchna < tsch. duchna, s. LB n, S. 290a.

5 holota < tsch. holota, s. LB n, S. 1000a.

6 dlato < tsch. dláto, s. LB n, S. 235b (es gibt auch dlatum, -i, n. , s. ebd. Ein anderer gebildeter Schreiber hat auch das tschechische o-Neutrum der richtigen Deklination zugewiesen, vgl. kopyto (Leisten), gen. pl. copytorum, s. LB m, S. 363b-364a).

7 drastniko, < tsch. drástník, s. LB n, S.286a-b. 8 kmeto < tsch. kmet, s. LB m, S. 362b-363a. 9 bossako < tsch. bosák, s. LB i, S.427a.

10 Das ist sicher auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass die dritte Deklination die zahlenmässig stärkste ist.

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eingeordnet, zB. : borus, -i, m. (Kieferwald12), korbelus, -i, m. (Humpen13),

krosnarius, -ii, m. (einer, der Waren in einem Rückenkorb trägt14).

Auch für die Verben, die im Vergleich mit den Substantiven viel weniger zahlreich übernommen wurden und fast alle in die erste Konjugation gelangten15, gibt es eine Parallele zwischen dem Tschechischen und dem Latein, nämlich die Verben mit dem Stammvokal -a. Bei ihnen genügte es, für das neue Verbum das Infinitiv-Suffix zu ändern, wie zB. bei klinkare, von tsche­ chischen klinkati, wo lateinisches -re das tschechische Suffix -ti ersetzt hat16.

Auch die deutsche grammatische Struktur ermöglichte eine schnelle Latini- sierung. Die Nomina agentis auf -er ordneten sich nach dem Muster magister in die zweite Deklination; manchmal haben sie dann später sekundär den Nominativ auf -us oder -ius zugebildet, zB. : gartner, -i, m. (Gärtner17),

hofrichter, hofrichterus, hofrichterius (Hofrichter18), arcer,-eris, m. und arce- rius, -ii, m. (Erker19). Die deutschen Feminina auf -e wurden zu ^-Stämmen der

ersten Deklination, zB. hutta,- ae, f (Werkstatt, Laden, Hütte20), ioppa, ae, f (Joppe, Jacke21). In dieselbe Deklination gingen auch die Feminina auf -in über, wenn ihnen zuerst im Nominativ die Endung -a hinzugefügt wurde, zB.

bruchlerinna, -ae, f. (Verkäuferin von kleiner Textilware 22), greslarinna, -ae. f.

(Lebensmittelhändlerin, österr. Greißlerin23).

Auf die Entlehnungen aus den nationalen Sprachen entfällt in unserem Wörterbuch nach vorläufigen Berechnungen und Schätzungen ungefähr ein Achtel der Gesamtzahl der Artikel24, dabei sind nur die Grundwörter, nicht die

12 borus < tsch. bor, s. LB i, S. 426b. 13 korbelus < tsch. korbel, s. LB m, S. 364a. 14 krosnarius < tsch. krosnár, s. LB h i, S. 365a.

15 Vgl. O. P r i n z , „Mittellateinische Wortneubildungen, ihre Entwicklungstendenzen und ihre

Triebkräfte“, Philologus 122 (1978) S. 266.

16 klinkvare < tsch. klinkati, s. LB m, 362b. Weitere Belege : drapulare (kratzen) < tsch. drápati,

s. LB ii, S. 286a; kokrizare (krähen) < tsch. kokrhat, s. LB in S.363a; planeare (mit Planken

umzäunen, palissadieren, mhd. planken) < tsch. plañkovat. 17 gartner, -i, m. < dt. Gärtner, s. LB n, S. 816a.

18 Das deutsche Wort Hofrichter ist in das böhmische Latein in zwei Varianten eingetreten ; die erste wurde direkt vom Deutschen als hofrichterus oder hofrichterius übernommen, die zweite Form hofrichterzo, zu der auch das Femininum hofrichterzonissa gebildet wurde, ist über das Tschechische gekommen: hofrichterzo, -onis, m. < tsch. hofrychtér < dt. Hofrichter, s. LB n, S. 998b-999a. Diese Art der Neubildung war sehr häufig bei den deutschen Substantiven auf -er, die im Tschechischen ein neues Suffix -er bekommen haben, vgl. weiter hunterius-hunterzo, krum- perius-krumperzo (Anm. 48, 50).

19 arcer, arcer(i)us < dt. Erker, s. LB i, S. 246b.

20 hutta < dt. Hütte, s. LB ii, S. 1043a-b; die Ableitungen hutka, huttniko s. ebd.,

S. 1043a, 1044a.

21 ioppa < dt. Joppe, s. LB in, S. 295a; die Ableitungen iopparius, ioppator, ioppipara, ioppi- sator, ioppitura, ioppula, ioppulator, ioppulatrix, ioppulinus s. ebd., S. 295b-296a.

22 bruchlerinna < mhd. brüechlaerinne, s. LB i, S. 440a. 23 greslarinna < mhd. greißlerin, s. LB n, S. 894b.

24 Die gesamten Neologismen im Material des LB bilden nach vorläufiger Schätzung ungefähr

die Hälfte der Gesamtzahl der Exzerpte ; das entspricht auch den Feststellungen von M. P l e z ia , „La

structure du latin médiéval d'après les données fournies par le Ier volume du dictionnaire polonais“, ALMA 28 (1958) S. 271-284; O. P r i n z , „Mittellateinische Wortneubildungen...“, Philologus 122

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Ableitungen berücksichtigt25. Nach Art und Zahl werden die Sprachen, aus denen die Entlehnungen stammen, in zwei Gruppen eingeteilt : auf der einen Seite stehen Tschechisch und Deutsch, mit denen das böhmische Latein im ununterbrochen direkten schriftlichen und mündlichen Kontakt war, auf der anderen Italienisch und Französisch, aus denen das böhmische Latein vor allem durch die Vermittlung von Schriftstücken schöpfte. Die Entlehnungen aus diesen vier Sprachen bilden die überwiegende Mehrheit aller solchen Neolo­ gismen ; aus den anderen Sprachen übernommene Wörter kommen selten vor, und in den meisten Fällen finden sie sich in Texten, die mit den Realien der betreffenden Länder verbunden sind, zB. banus (Ban, Stellvertreter des Königs im Banat26) aus dem Ungarischen, boyarus (Bojar, russischer Adeliger27) aus dem Russischen, dagardus (Dolch 28) aus dem Englischen, iunkus (Dschunke 29) aus den orientalischen Sprachen ; oder sie sind hapax legomena aus den Glos­ sarien und der Fachliteratur, zB. almasium, almasia (Kauftrunk30) aus dem Ungarischen, gramatyka (Brei31) aus dem Polnischen. Für alle Sprachen gilt, dass fast ausschließlich Substantive übernommen wurden32, und dass sie in den narrativen Quellen im Vergleich mit den Urkunden und der Fachliteratur nur in minimalem Ausmaß Vorkommen.

(1978) S. 249-275; A.-M. B a u t i e r - M. D u c h e t - S u c h a u x , „Des néologismes en latin médiéval: Approche statistique et répartition linguistique“, ALMA 44-45 (1985) S. 43-63. Zu den Unter­ schieden nach Zeitstellung und Textsorten der Neologismem im böhmischen Latein und den Typen ihrer Bildung vgl. D. M a r t í n k o v á , „Prispëvek k Charakteristik slovní zàsoby stredovëké latiny v ëeskÿch zemich“, Zprávy Jednoty klasickych filologü 27 (1985) S. 18-24.

25 ZB. bildet das Substantivum berna, -ae, f. (Steuer) zusammen mit seinen Ableitungen bemalis, bernarius, bernator, bemensis und bemista nur einen Beleg.

26 banus < ung. ban, s. LB i, S. 371b, die Ableitung banatus s. ebd., S. 368b. Man findet das Wort zB. in der Urkunde vom Jahr 1260, mit der König Premysl Otakar n. dem Papst den Sieg über

die Ungarn mitteilt, s. Regesta diplomatica ... Bohemiae et Moraviae, n, ed. J. E m l e r , Pragae, 1882,

S. 103.

27 boyarus < ßoapt, s. LB i, S. 428b. Der Ausdruck wurde im Vertrag zwischen dem böhmi­ schen und polnischen König Vladislaus und dem litauischen Herrscher Witold benutzt, s. Urkund­ liche Beiträge zur Geschichte des Hussitenkrieges, i, ed. F. P a l a c k ÿ , Prag, 1873, S. 345, 347.

28 dagardus < engl, dagger, s. LB n, S. 2b. Das Wort kommt im Brief des schottischen Ritters Quintin Folhyrde vor : Qui indutus est pro temporali defensione, ut diploide, pileo, gladio, pelta, sicca, dagardo, lancea, arcu et sagittis, s. Listy skotské, ed. J. S e d l á k , Praha, 1915 (M. Jan Hus, S. 182*-188*), S. 186*. Die Briefe existieren auch in einer zeitgenössischen tschechischen Version, wo dieses Wort fehlt ; der Übersetzer war offenbar bei diesem Ausdruck ratlos und hat ihn ausge­ lassen.

29 iunkus < vom Malaysischen, s. LB m, S. 334a-b. Das Wort benutzte Giovanni Marignola in dem Passus seiner Chronik, wo er seine Reise von Indien nach Ceylon beschreibt, s. Chronica Bohemorum, ed. J. E m l e r , Praha, 1882 (Fontes rerum Bohemicarum, m), S. 500a.

30 almasium < ung. aldamasa, áldomás, s. LB i, S. 136a. 31 gramatica < pol. gramatyka, grumatka, s. LB n, S. 877b.

32 Die aus dem Tschechischen übernommenen Verben sind oben zitiert (Anm. 16). Deutscher Herkunft sind zB. die Verben assoldare < mhd. solden ; demarcare < de + mhd. marken ; hacare < dt. hacken ; hovizare < mhd. hovieren ; dieses Verbum wurde sehr häufig benutzt und hat mehrere Ableitungen (hoviza, hovizatio, hovizatoria, hovizatrix), s. LB n, S. 1031b-1032a. Aus dem Franzö­ sischen stammen zB. die Verben affino, -are < fr. affiner ; grullo, -are < fr. grouler ; aus dem Italie­ nischen ebannio, -ire < it. sbandire.

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Nach der Zahl der übernommenen Wörter führt die Reihe der Sprachen das Deutsche an, aus dem 41 % der Gesamtzahl der Entlehnungen stammen, erst dann folgt das Tschechische mit 33 %, dann Italienisch mit 14 % und Franzö­ sisch mit 12%. Die Zahlen täuschen aber, denn bei genauer Prüfung muss man feststellen, dass es das Tschechische war, das zur Vermehrung des Wortschatzes am meisten beigetragen hat, denn den größten Teil der Germanismen bilden die alten Übernahmen aus der Zeit, als das böhmische Latein noch nicht im Kontakt mit dem Deutschen war, und die dem Lateinischen in allen Ländern zu eigen sind, wie zB. blaveus, brodium, brunus, clenodium, ladula. Die erste Rolle spielen hier die Rechts- und Verwaltungstermini, dann folgen die Termini aus der naturwissenschaftlichen Literatur, zB. alodium, bancus, bannum,

burgus, crida, binda, daxus. Ähnliches gilt auch für die Wörter aus dem Italie­

nischen und Französischen, zB. baliva, balivus, cambium, demanium, fran-

chisia, guardia, guerra 33.

Interessanter sind die Wörter, die auf böhmischem Boden enstanden sind. In diesem Hinsicht weisen die Gruppen der Bohemismen und Germanismen einige gemeinsame Züge auf. Der Bedeutung nach sind die übernommenen Wörter am häufigsten Bezeichnungen für Berufe, Werkzeuge, Arbeitseinrich­ tungen und von zur Produktion nötigen Stoffen, weiter Bezeichnungen von Arbeitsplätzen und Erzeugnissen. Sie stammen vor allem aus der Feder der Stadtschreiber, die sich zu der Latinisierung des tschechischen oder deutschen Wortes in zwei Fällen entscheiden mussten : entweder sie haben den korrekten aus der Antike stammenden Ausdruck nicht gekannt, oder das antike Latein hat den passenden Terminus nicht geboten.

Bezeichnungen des ersten Typs sind nur vereinzelt belegt, ihre Verständlich­ keit ist an ein bestimmtes Gebiet und an eine bestimmte Zeit gebunden. Diese Bildungen haben nur eine unvollständige Flexion, und im Material findet man zu ihnen als Synonyme die älteren Termini oder die von lateinischen Wurzeln gebildeten Neologismen. Am besten sieht man das an den Bezeichnungen für Handwerker : zB. finden wir für den Färber im Wörterbuchmaterial die Termini

fa rb e r34 und tinctor, der Hersteller von Nadeln wird als gehelniko35 und auch acufex36 oder acufactor37 bezeichnet, seine Frau gehlarzka38 und acuficissa39 ;

der Fassbinder heisst bednarius 40 oder doliator41 und dolista 42, der Verkäufer

33 Aber auch das Tschechische und Deutsche dieser Zeit hat zur Verwaltungsterminologie seinen Beitrag geleistet, zB. mit den Termini berna, kmeto, laneus, Ihota, granicia, heroldo, hofrichter, knappo.

34 farber < mhd. farber, s. LB n, S. 592a.

35 gehelniko < tsch. jehelnik (im Mittelalter ge- geschrieben), s. LB n, S. 819b. 36 S. LB i, S. 51b.

37 S. LB i, S. 51b.

38 gehlarzka < tsch. jehlárka < jehlár, s. LB n, S. 820b. 39 S. LB I, S. 51b.

40 bednarius < tsch. bednár, s. LB i, S. 387b. 41 S. LB il, S. 247a.

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von Heringen heringerus 43 oder alleciator44 ; der Mann, der für andere Hand­ werker die Erde zur Arbeit vorbereitet, ist ein argillator45 oder hlinaco46. Causa efficiens in diesen Fällen war einfach die Unkenntnis und Ungeschick- licheit des jeweiligen Schreibers, und in allen solchen Fällen gilt, dass die vom lateinischen Stämmen gebildeten Wörter weit häufiger sind.

Bei der zweiten Gruppe war es das Fehlen der genauen terminologischen Entsprechung, die die Schreiber zu den Neubildungen gezwungen hat. Dafür zeugen die öfter und von mehreren Seiten belegten Bezeichnungen für die spezialisierten Handwerker, wie zB. drobniko und das Femininum drobniko-

nissa41, dh. der Metzger, der nur die Innereien verkauft ; hunterius, hunterzo

und Femininum hunterzka 48, der auswärtige Metzger, der auch da Recht hatte in der Stadt während der Märkte zu verkaufen ; pflugerius49, Hersteller von Pflügen ; krumperius oder krumperzo mit dem Femininum krumperzka50, Gold­ oder Silbersticker, und andere51. Zur besseren Gewöhnung an einige von solchen Handwerkemamen hat beigetragen, dass sie auch von Ortsbezeich­ nungen her gut bekannt waren : zB. gab es in Prag eine domus ad have ritas52, ein Haus bei den Hauern, also Bergleuten, vicus flasneriorum oder flasca-

riorum53, dh. Flaschenherstellerstrasse, weiter platea czaltnerorum54 Zeltner-

strasse (die heutige Strasse Celetnd) ; in Brünn eine platea irchariorum55, Weißgerberstrasse.

Alle diese Feststellungen gelten entsprechend auch für die anderen mit der Handwerkerarbeit zusammenhängenden Bezeichnungen, dh. für die Namen der Werkzeuge, Arbeitsstätten und Erzeugnisse56.

Der Bedarf nach eindeutigen und genauen Ausdrücken führte auch zur Über­ nahme der Maß- und Gewichtsbezeichnungen, genauer gesagt, das neue

metro-43 heringerus < mhd. heringer, s. LB ii, S. 974b. 44 S. LB I, S. 130a.

45 S. LB I, S. 260a.

46 hlinaco < tsch. hlinák, s. LB n, S. 998a.

47 drobniko < tsch. drobmk, s. LB n, S. 287a; drobnikonissa < drobniko, s. ebd.

48 hunterius < mhd. hunter, s. LB n, S. 1042a; hunterzo < tsch. hunter < mhd. hunter, s. ebd; hunterzka < tsch. huntérka < hunter, s. ebd.

49 pflugerius < mhd. pfluger.

50 krumperius < tsch. krumpér, krumplér < mhd. krumpe(l)n = Festlichkeiten anstellen, vgl. v.

M a c h e k , Etymologicky slovnik jazyka ceského a slovenského, Praha, 1957, S. 239a; oder < dt. Krämpler, vgl. J. J u n g m a n n , Slovnik cesko-némecky, n, Praha, 1836, S. 206b ; krumperzo < tsch. krumpér ; krumperzka < tsch. krumpérka, krumplérka < tsch. krumpér, krumplér ; s. LB in, S. 365a.

51 ZB. : chmelerso, chmelersonissa (Hopfenbauer) < tsch. chmelar ; kabatniko (auf Mäntel spezialisierter Schneider) < tsch. kabátník ; ladarzo (Getreide[zwischen]händler) < dt. laden.

52 haverita < dt. Hauer, s. LB n, S. 955b.

53 flasnerius < mhd. flaschner, s. LB n, S. 687a-b ; flascarius < ahd. fiasca, s. ebd., S. 686b. 54 czaltner, czaltnerius < tsch. czalta, s. LB n, S. 1020a.

55 ircharius < tsch. jirchár, s. LB m, S.299b.

56 ZB. : Werkzeuge : brusso (Schleifstein) < tsch. brus ; craczula (Art der Hacke) < tsch. kratcê ; hamro (Hammer) < dt. Hammer ; grusto (Gerüst) < mhd. geniste. Arbeitsstätten : buda (Laden) < tsch. bouda ; cihelna (Ziegelhütte) < tsch. cihelna ; kramczo (Laden) < tsch. krámec < tsch. kram < dt. Kram. Erzeugnisse : coflico (Becher) < tsch. koflik ; hussula (Semmel) < tsch. houska ; korba (Wagenkasten) < tsch. korba ; fiasca (Flasche) < ahd. fiasca ; lebes (Lebkuchen) < mhd. lebe.

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logische System brachte auch neue Bezeichnungen mit sich57. Diesem System, wo praktisch jede gemessene oder gewogene Sache eine eigene Einheit hatte, konnte die antike Nomenklatur nicht genügen. Philologisch ist an diesen Neubildungen nichts besonders Interessantes : ihre Schöpfer und die Art der Bildung unterscheiden sich nicht von der vorigen Gruppe. Man kann dazu nur hinzufügen, dass einige Maße und Gewichtsbezeichnungen auf dem ganzen Gebiet belegt sind, wie zB. aus dem Tschechischen carrata (Maß für die Flüs­ sigkeiten, oder Wagen, Maß für Heu, Holz, Stein usw.58), kbelczo, korczo (Schüttmaße59), kbelico (Hohlmaß für Flüssigkeiten60), laneus (Feldmaß61), oder aus dem Deutschen huba (Feldmaß62), laca, laga, lagula (Hohlmaße für Flüssigkeiten63), lachter, lachtro (Längenmaß64), lasto (Maß für Heringe65); im Gegensatz dazu überschreiten die anderen nicht die Grenzen einer Region oder einer Stadt ; und von diesen finden wir mehrere Beispiele, zB. balvanus,

beczka (Maß für Salz66), cubulus, dreilingus, dreilinko (Maße für Flüssig­

keiten67), leita (Weinbergflächenmass68), hamatio (Weinmaß69), nosellum (Wein- und Essigmaß70).

Aus allen diesen Beispielen folgt, dass bei der Bildung der Neologismen auf volkssprachlicher Grundlage die städtischen Schreiber am produktivsten waren, sicher vor allem deswegen, weil sie während ihrer Schulzeit nicht zu den fleißigsten und wissbegierigsten Schülern gehört hatten. Aber auch Personen, bei denen man bessere oder sehr gute lateinische Kenntnisse voraussetzen muss, verzichteten nicht auf eine solche Wortschatzbereicherung. Die Chronik- Verfasser, Dichter, Polemiker, Prediger, Autoren der verschiedenen Univer­ sitätsreden oder von Formularen haben sich gern, auch wenn sie ein treffendes und ganz verständliches Wort brauchten, aus dem Wortschatz ihrer Mutter­ sprache oder der ihrer Leser und Zuhörer bedient. Die Polemiker und Prediger liehen sich vor allem expressive Ausdrücke aus. Es gibt keinen Grund zu vermuten, dass Johannes Hus oder andere Prediger die WÖrter fornicator, mere-

trix oder monachus nicht gekannt hätten, trotzdem haben sie lieber aus dem

57 Zu den Maßen und Gewichten in Böhmen vgl. A. Sedlâôek, Paméti a doklady o staroceskych mírách a vahách, Praha, 1923 ; G. H o f m a n n , Metrologická pñrucka pro Cechy, Moravu a Slezsko do zavedeni metrické soustavy, Susice, 1984.

58 carrata < tsch. káry, s. LB i, S. 566a-567b.

59 kbelczo < tsch. kbelec, s. LB in, S. 361a-b ; korczo < tsch. korec, s. ebd., S. 364a. 60 kbeliko < tsch. kbelik, s. LB m, S. 361b.

61 laneus < tsch. lán, s. LB m, S. 393b-395a. 62 huba < mhd. huobe, s. LB n, S. 1033a.

63 laca, laga, lagula < mhd. lägel, s. LB m, S. 375a, 386a. 64 lachter, lachtro < mhd. lachter, s. LB m, S.376b. 65 lasto < dt. last.

66 balvanus < tsch. balvan, s. LB i, S. 368b ; beczka < tsch. becka, s. ebd., S. 386b.

67 cubulus < dt. Kübel, s. LB i, S. 984a ; dreilingus, dreilinko < mhd. doline, s. LB n, S. 286b. 68 leita < mhd. lite.

69 hamatio < mhd. ham, s. LB n, S. 949b. 70 nosselum < mhd. nössl, nessi.

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Deutschen helmbrechtor71 und aus dem Tschechischen cubierta12 und kukliko (der eine Kapuze trägt73) in ihre Reden übernommen. So konnten sie mit einer grösseren Wirkung bei ihren Hörem rechnen ; der negative Inhalt des Wortes wirkte direkt, stärker und wurde noch durch die dem Ohr bekannte Lautung betont. Wenn man in einer Predigt von Konrad Waldhauser die Kritik gehört hat, dass duo monasteria klinkvant contra se 74, konnte man von jenem Verbum

klinkvare, das das tschechische onomatopoetische klinkati oder das deutsche klingeln imitiert, eine ganz plastische Vorstellung haben, wie sich die beiden

Klöster mit leeren und lärmenden Reden angriffen.

Das Thema der Entlehnungen aus den Volkssprachen in den mittellateini­ schen Wortschatz hat noch eine Reihe von unerforschten Aspekten und verweist auf unterschiedliche Probleme, und zwar nicht nur für Philologen ; sicher können auch Historiker, Demographen, Geographen, Ethnographen, Wirt­ schaftshistoriker und andere von den Ergebnissen solcher Untersuchungen profitieren. Was die Philologen oder Literaturhistoriker (und auch die Wissen­ schaftshistoriker) betrifft, wäre zB. sehr interessant, zu verfolgen, wie die mittelalterlichen Lexikographen und Enzyklopädisten die volkssprachlichen Wörter für ihre Bedürfnisse umformten, und durch welche Motivation sie zu Neubildungen veranlasst wurden. Es würde sich vielleicht zeigen, dass sie eher selten nur eine mechanische Latinisiemng vomahmen, dass es ihnen bei den Neuprägungen an Scharfsinn nicht fehlte und dass sie ins Lateinische nicht nur Elemente aus ihrer eigenen Muttersprache einbrachten, sondern auch von anderen Sprachen75. Eine andere Frage wäre, mit welcher Absicht die Verfasser von Chroniken und die Autoren der Formulare die fremden Wörter und Wendungen benutzten ; eine interessantes Thema stellen auch die volkssprach­ lichen Eigennamen dar, die Appellativa geworden sind16.

Zuzana S i l a g i o v á

71 helmbrechtor < tsch. helmbrechtor < dt. Eigenname Helmbrecht, s. J. G e b a u e r , Slovnik starocesky, i, Praha, 1903, S. 411b. Helmbrecht ist der traurig berühmte Protagonist (er hat die Ratschläge seines Vaters missachtet und ist Raubritter geworden) aus der gleichnamigen Versno- velle von Wemher dem Gärtner (13. Jh.).

72 cubiena < tsch. kubêna < lat. concubina, s. LB i, S. 983a, die Ableitung cubeinarius, -a,-um s. ebd.

73 kuklicus, kuklico < tsch. kuklik, s. LB m, S. 365b. 74 S. LB in, S. 362b.

75 Gerade die Autoren der Glossarien, die für die Neubildungen eine grosse Vorliebe hatten, sind eine reiche Quelle für Neologismen, und zwar nicht nur im Lateinischen, sondern auch in den Volkssprachen. Zum Werk des grössten tschechischen Lexikographen des Mittelalters, Bartolomé) Klaret z Chlumce (Bartholomaeus de Solentia, dictus Claretus), vgl. A. V id m a n o v á , „Mistr Klaret a jeho spisy“, Listy filologické 103 (1980) S. 213-223 ; E. M i c h á l e k , Ceská slovní zásoba v Klaretovych slovnících, Praha, 1989.

76 ZB : cataduca, cathaduca, catadupla (Wassergraben) < Catadupa (Nil-Katarakte), s. LB i, S. 582b ; carthusia, s. ebd. S. 568a; damascus, s. LB n, S. 3a; ludas, s. LB m, S. 319a.

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