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ln seinem Buch «Vom Anderssein zur Assimilation» hat der damalige

Vor-steher der Fremdenpolizei des Kantons Bern, Mare Virot, grundsätzliche Über-legungen zum Thema Assimilation ange-stellt und vor allem praktische Hinweise gegeben, wie denn die «Assimilations-reife» eines Einzelnen beurteilt werden kann. Das Buch erschien 1968 und erlaubt Einblicke in die damalige

«Überfremdungsdebatte», die uns mal schmunzeln, mal schaudern lassen.

« Wir Schweizer wollen vielleicht nicht gern zugeben, dass Rassenmerkmale die Assimilation verhindern können. Ein Deutscher, ein Österreicher oder ein Franzose ist physiogno-misch von uns so wenig verschieden, dass wir ihn ganz unbe-wusst schon äusserlich akzeptieren. Ein kleingewachsener, schwarzhaariger und krausköpfiger Kalabrese kann von uns nur schwerlich als zukünftiger Schweizer betrachtet werden. Er wird überdies diesen Zustand irgendwie spüren und sich des-halb wenig ·assimilieren, weil er auch möglicherweise erkennt, dass er sich stark von uns unterscheidet. Wir glauben, dass dieses psychologische Problem eine sehr grosse Bedeutung hat und auch der Grund dafür ist, dass sich so wenig Italiener

oder Schwarzen einbürgern, so ist dies als Ausnahme ein

«interessanter» Fall für unser Gewissen, der nicht besagen will, dass wir nie a'-:1-f Rassenunterschiede sehen. Wir glauben, dass gewisse Typen nie bei uns aufgenoi?illen werden können, weil sie die Bevölkerung instinktiv ablehnt, wie wenn es sich um Farbige handeln würde. Wir verhalten uns dann wie die Durch-schnittsamerikaner, deren allgemeines Urteil einfach dahin geht: Neger sehen anders aus, folglich sind sie anders. Gewisse Parallelen mit der amerikanischen Einstellung gegenüber Japanem, Chinesen, Mexikanern und so weiter bestehen ge-wiss. Die Amerikaner akzeptieren Griechen und Italiener bald, weil sie gleich aussehen wie viele ihrer Vorfahren. Asiaten werden aber auch in späteren Generationen nicht voll genommen.

Bei uns ist das Verhältnis ähnlich, so dass sogar ein Jugoslawe, der gleich aussieht wie wir, eigenartigerweise besser toleriert wird als der erwähnte Kalabrese. »

« Auf der Strasse, in der Öffentlichkeit, vermeiden wir Gruppen, Lärm, lautes Reden, Singen und die südländische Gestikula-tion. Wir verlangen, dass die Fenster beim Radiohören und Fernsehen geschlossen bleiben. Jeder Ausländer, der sich nicht an unsere Gewohnheiten hält, fällt als Fremder auf, sei es, dass er vehement mit seinen Landsleuten laut auf der Strasse spricht, Frauen insistierend anstarrt, in Gruppen ein Fussgänger-hindemis darstellt, in der Nacht Kleinkinder auf den Armen hält oder auch nur, wenn er einen Stuhl vor das Haus trägt, um sich mit den andem zu unterhalten. Wenn Frauen auf der Strass~

rauchen, so ist dies bei uns ungewohnt. »

einbürgern lassen wollen. Es gibt einfach sehr viele Typen von « Wir möchten ganz allgemein, dass sich die Ausländer an-Italienern und Spaniern, die nicht mit einem Schweizer ver- ständig, gut erzogen und zivilisiert verhalten, also nicht grölen, wechselt werden können, was allerdings auch in der zweiten sich betrinken und Skandal erregen, im Kino nicht alles laut Generation der Fall sein wird. Wenn wir einmal einen Tibeter kommentieren und mit Esswaren Lärm erzeugen, am

Fuss-ballmatchoder Boxkampfkeine Flaschen werfen, Frauen nicht belästigen, die Strassen und Wohnungen nicht verunreinigen, nicht respektlos sind, sich auch in Gruppen korrekt verhalten, im Tram oder Bus gesittet aufschliessen, vor Schaltern ruhig in der Reihe anstehen und nicht rauchen, wo dies verboten ist.»

« Ein Assimilationsmerkmal könnte darin liegen, dass ein Aus-länder, der sich bei uns festsetzen will, mit der Zeit auf hand-werkliche und vor allem individuelle Produkte angewiesen ist oder auf Spezialitäten und deshalb wie ein Schweizer zum Fachmann geht. Es ist eine typische Art vieler Ausländer, ihre Einkäufe körbeweise ausschliesslich in Warenhäusern und bei Grossverteilern zu besorgen. »

« Können wir eine Kochkunst definieren, die für den Schweizer typisch ist? Kaum. Es wäre deshalb müssig, ein Eigenartsmerk-mal entwickeln zu wollen, das der Ausländer zu übernehmen hätte . Wir können von ihm nicht verlangen, er habe ohne weiteres unsere Spezialitäten zu schätzen. Immerbin sollte er sie nicht ablehnen, ohne sie vorher versucht zu haben . Der anerzogene Geschmack und übernommene Aversionen können ohne Not nicht aufgegeben werden. Zu kaufen ist aber praktisch jedes ausländische Nahrungsmittel. Auch der Schweizer liebt nicht jede schweizerische Spezialität und weridet sich zu Hause wie im Restaurant oft ausländischen Gerichten zu . Die schnelle Güterverteilung trägt dazu bei, dass wir Erzeugnisse aus aller Welt bei uns finden. Überdies spielt das Klima eine gewisse Rolle, wie auch die Regelung der Arbeitszeit. Ein Vergleich ist schwierig . Die Entwicklung der Ernährungslehre ist so gross, dass heute kaum ein Durchschnitterfasst werden kann . Ganz abgesehen davon, dass praktisch keine Möglichkeit besteht, die Ernährungsweise eines zivilisierten Ausländers zu überprüfen, darf unseres Erachtens bei der Bewertung der Assimilation nicht darauf abgestellt werden, welche Küche. der Ausländer bevorzugt. Er kann assimiliert sein und trotzdem Olivenöl ver-wenden. Wir dürfen nicht verlangen, ein Ausländer soll statt Chianti oder Rioja wie wir französischen Wein oder Coca-Cola trinken. Wenn er aber Vogelfallen aufstellt, so· bleibt er ein Fremder.»

« Bei der Freizeit sei nur darauf hingewiesen, dass für deren Verwendung keine Grenzen bestehen, doch sollte sie nicht für lukrative Arbeiten benützt werden, wie dies oft aus Gewinn-streben von Ausländern versucht wird . Es lässt sich kaum eine besondere schweizerische Freizeitbeschäftigung herausschä-len, es sei denn, dass um neun Uhr abends niemand mehr auf den Strassen ist. Der Ausländer kann allerdings auffallen, wenn es ihn immer wieder für Stunden zum Bahnhof zieht oder wenn er ausschliesslich mit Landsleuten im «Centro» oder in der

«Missione» verkehrt. Solange ein Ausländer nicht ebensoviel Kontakt mit Schweizern wie mit Landsleuten hat, solange ist er nicht auf dem Weg zur Assimilation . Ohne asozial zu sein, ist er vielleicht etwas kontaktarm, was seine Sache ist.

Er soll nur nicht mehr ausländischen Kontakt als schweizeri-schen haben, oder dann gar keinen. Die Assimilationsreife mit der Kontaktfähigkeit, mit den Beziehungen zu Schweizern gleichzusetzefol,. ist sicher eine heikle Frage. Dasselbe gilt für den Lesestoff, für Radio und Fernsehen. Unseres Erachtens kommt es viel mehr darauf an, ob zum Beispiel ein Italiener ausschliesslich italienische Fernsehsendungen oder Filme an-sieht, nur italienische Zeitungen liest oder italienische Sender hört, und weniger darauf, ob er schweizerische Kommunika-tionsmittel benützt. »

«Es scheint uns, dass der Ausländer dann nicht mehr auffallt, wenn er seine eigene, mitgebrachte Mentalität aufgegeben hat.

Mit andem Worten: er fällt nicht mehr auf, wenn er nicht mehr ein italienisches oder deutsches Verhalten hat und nicht, weil er plötzlich ein schweizerisches Verhalten an den Tag legt. Es wird deshalb nach einer gewissen Aufenthaltsdauer einen Zu-stand geben, bei welchem der Ausländer neutralisiert wird. Die Bindungen zu seiner Heimat sind verblasst, und er ist noch nicht in die neue Mentalität hineingewachsen. Er ist nicht mehr der typische Ausländer und noch nicht der typische Schweizer.

Je nach Herkunft und Gefälle bei den Unterschieden wird dieser Zeitpunkt früher oder später oder überhaupt nie eintreten. Je-nem, dem durch seine Erziehung, durch das Milieu, das Klima, die soziale Stellung, die Arbeit oder Arbeitslosigkeit eine be-sonders starke Eigenart eingeprägt wurde und. der nicht mehr jung und beweglich genug ist, um sich davon zu lösen, wird es schwerlieb gelingen, diesen Zustand der Neutralisation zu er-reichen. Ein anderer wird jedoch schon nach kurzer Zeit die mitgebrachte Mentalität über Bord werfen.

Wir vertreten deshalb die Ansicht, dass die Anpassung vorerst nicht gezielt ist, sondern in dem Sinne erfolgt, dass der Aus-länder neutralisiert wird, weil er durch das Verstehen unserer Mentalität seine eigene Art aufgibt. Der bei uns arbeitende Ausländer hat eine gewisse Disposition hierzu, ansonst er eben seine Heimat nicht verlassen hätte. Erst wenn ihm dies wegen der Umstände gelungen ist, kann er sich weiter assimilieren und unsere Eigenart übernehmen, zuerst die Verhaltensweisen und später, ganz langsam, die innere Einstellung und vor allem die politische Überzeugung .»

Virot Mare, 1968, Vom Anderssein zur Assimilation. Merk-male zur Beurteilung der Assimilationsreife der Ausländer in der Schweiz . Bern: Verlag Paul Haupt.

terra cogn ita 9/2006

lrena Brezna

Brief an

schwarzen

«Was für ein schöner Tag!»

Die Sonne stand im Zenit. Die Geburtswehen hatten schon im Morgengrauen angefangen. Ich wollte dich nicht hergeben. Ich meinte, du solltest noch an Kraft gewinnen, bevor dich die Welt kennenlernt. Ich sagte zu deinem Vater:

«Wir werden ihn zur Stärke erziehen.»

Ich glaubte dich schwach. Und er wandte ein:

«Er ist schon stark.»

Noch solltest du im Verborgenen leben, geschützt, namenlos und farblos. Noch waren wir nicht entlarvt. Noch war ich eine gewöhnliche, weisse, schwangere Frau. Noch hattest Du keine Farbe, noch warst du weiss. Alle Embryos sind weiss. Aber der gebieterische Schmerz zog dich heraus, war deine Hebamme, er war rund, ein Feuerball. Er verschluckte mich, ich rollte mich gehorsam zusammen. Wir waren eins, der Schmerz und ich.

Wir spuckten Schreie. Wir waren grell wie das Mittagslicht, das durch die Schneemassen tausendfach verstärkt in den Gebärsaal hereinschien. Ich entschloss mich, brach entzwei, und du glittest mühelos ins Freie hinaus. Draussen fing gerade ein Schneesturm an. In meine Haut strömte Milch. Ich glättete mich vor Glück. Das Ungeheure war geschehen. Dein Vater gab dir seinen Namen, ich gab dir einen nordischen Namen, taufte dich im Schnee, du schwarze Orchidee.

Im Sandkasten unter den Kastanienbäumen im Park gab es noch keine Rassenkriege, bloss Territorialkämpfe und Zorn-ausbrüche über die Verletzung des Besitzrechts, bis dann diese pflichtbewusste Mutter kam, sich liebevoll zu ihrer zweijährigen Tochter neigte, mit dem Finger auf dich deutete und wie eine Führerin durch den botanischen Garten aufklärerisch sagte:

«Das hier, das ist ein Negerli.»

Über dem Sandkasten breitete sich Stille aus. Die Stille der Er-kenntnis, des Innehaltens vor dem grossen Krieg.

Auch ich beugte mich zu dir vor, streckte den Finger aus und . sagte:

«Das hier, das ist ein Käs-Schweizerli!»

Doch niemand hörte mich. Das war so eine kleinliche Rache, die ich in Gedanken beging, stundenlang später, zu Hause, nachts wachend über dir.

me1nen

Die alten, gebrechlichen Frauen aus dem Quartier nennen dich ebenfalls «herziges Negerli». In ihrem ungebrochenen Kolonialgeist blieb als farbiger Fetzen nur noch die Kinderge-schichte über die zehn kleinen Negerlein hängen. Wie herzig, wie bedrohlich dieseNegerleinen masse! Zum Glück steuert die Geschichte in schnellem Tempo, in heiterem Erzählstil auf die Lösung der Urängste zu: Die fröhliche~ Negerlein verenden eins nach dem anderen. Und dann, Jahrzehnte später, aus der Kinderstube ins Altersheim verlegt, purzelt auf einmal so ein Negerlein aus dem Kinderbuch direkt in einen Kaufhauswagen hinein, sitzt da und lacht wie ein Riesenfrosch mit grossem, grasszügigem Mund die alte Frau an. Sie kann nicht anders, sie geht auf dich zu, steht gebannt, entzückt vor dir.

Vorher warst du noch ein Kind, jetzt hat man dich zum Ange-hörigen einer Rasse degradiert, dich hinter dem Leuchten deiner Haut zum Verschwinden gebracht. Deine bräunlich-goldene Haut, getunkt im Mandelöl, blendet die Augen, stiftet Verwirrung.

Wer kann sie nicht beachten? Wer kann ihr widerstehen?

Und der alten Frau,jener mit dem besonderen Erkenntnis-drang, der Intel~ektuellen des Quartiers, die uns mit ihrer Krücke auf der abschüssigen Strasse entgegenklopfte und in heller Freude über die eigene Welterfahrenheit fragte: «Ein Halb-negerli, nicht wahr?», der antwortete mein plötzliches Frösteln.

Halb, halbbatzig, weder - noch?

Noch bist du ein fröhliches, herziges Negerlein. Wann wird dir der erste in Wut zurufen: «Sauneger, wo wagst du dich hin?»

Wollen wir Kräfte sammeln, gewappnet sein gegen das, was auf uns noch zukommen wird, mein Sohn.

Kinderraub. Ein Wort, und du bist ein anderer, man reisst dich weg von mir, stösst dich mit aller Kraft hinaus. Ein Fremdkörper.

Ich war bloss das Gefäss, in dem du gediehst. Wir waren nie vereint, denn: Die Haut blendet die Hirne. Die täglichen, farb-besessenen Gerichte fertigen Gutachten an über unseren Ver-wandtschaftsgrad. Der Mensch, ein farborientiertes Tier.

Meist, noch während sich die Frage im Kehlkopf der Leute unschlüssig wälzt, erkenne ich sie an ihrem dumpfen Geräusch,

und schon bin ich mit der Antwort da, die Gefälligkeit erweisend, die Achtung vieler verlieren! Wozu mit einem Schwarzen? Als

in Eile, befl.issen: ob es nicht genug weisse Männer gäbe!»

«Sein Vater, wissen Sie ... » Das :Sündnis mit einer anderen Rasse, ein Malheur, ein

leicht-«Ach, so · ... » sinniger Ferienausrutscher. ( ... )

Gott sei Dank gerettet, die Frage erstickt, die Schuld für die Haut

auf den Vater abgeschoben, du bleibst mein. Eine muffige, voll gestopfte Altwohnung mit zwei ver-Bei Überraschungsfragen:

«Sind Sie das Kindermädchen?» tripple ich schnell rückwärts, schaffe den richtigen Abstand zwischen dir und mir, fokussiere dich wie eine Fotografin durch die Linse. Sehen wir denn so verschieden aus? Ich will ein Foto von dir, das Ergebnis des unerbittlichen Kamerablicks, die andere Sicht. Denn in der ständigen Nähe mit dir ist mir dein Kükengeruch vertraut.

«Kam er aus deinem Bauch, oder hast du ihn gekauft?»

fragte mich ein Mädchen.

Sie war in dem Alter, in dem sie noch stolz war, grün von gelb, blau von braun zu unterscheiden.

Der Kinderarzt fragte mild:

«Seit wann ist er schon bei Ihnen?»

Ich schaute ihn verwundert an.

«Sehen Sie die gewölbte Stirn nicht? Die hat er von mir.»

Er schwieg. Ich schaute dich wieder an und sah, was er sah. Nicht . die Wölbung, sondern die Tönung. Ein Findelkind? Gefunden unter Gefahren der tropischen Zone, unterernährt, entrissen der Obhut der Affen, der Wölfin, ein Tarzan, ein Romulus und Remus auf schwarz?

In Gedanken meine Rettungsversuche: Noch weiss ic?, wie der grosse Bauch mich besetzt hielt gleich einer hungrigen Armee, über mich donnernd hinwegrollte und eine Dehnung hinterliess. Zum Glück gab es den Schmerz des Verlassens. Dass ich es nicht vergesse, das, was unmöglich ist: Du wurdest in mir modelliert, damit du aussiehst wie aus Ton. Blitzschnell knöpfe ich die Bluse auf, du ziehst die Brüste hinab, kneifst mich vor Un-geduld, trinkst die Milch deiner weissen Mutter. Mein Bauch ist dein Bauch, mein Busen ist dein Busen. Gedrängt in die Defen-sive besinne ich mich aufunsere Blutsbande. Und doch will ich es nicht. Über den Bauch hinaus will ich dich lieben.( ... )

Verantwortungslos nannte man mich, als ich dich wollte.

«Die Haut ... er wird leiden, du bist egoistisch .. . »

«Du wirst nichts verändern», sagten sie und meinten damit, sie scheuten die Anstrengung, ihre verklebten Hirne zu lösen.

Als der Bauch noch nicht zu sehen war, redete man mir zu:

«Noch ist Zeit. Es ist jetzt passiert, schon gut. Wir wollen dir ja verzeihen. Doch besinne dich jetzt, nimm Vernunft an! Du wirst

lrena Breina ist Schriftstellerin, Publizistin, Slawistin und Psychologin. Ihre Bücher ver-binden West und Ost, schwarz und weiss, krank ond gesund, Krieg und Frieden. Die Autorin stammt aus der Slowakei und ist in vielen Kulturen beheimatet.

lassenen Frauen darin, die dich hüten wollen: Mutter und Tochter.

Das einzige entfernt an einen Mann erinnernde Wesen ist ihr kleiner Kläffhund - ein Eunuch. Unser Erscheinen bringt sie in Verlegenheit, sprengt gefährlich die gemütliche Enge.

«Sind sie etwa die Mutter?»

Die gewagte Frage stellt die Tochter. Sie trägt eine dunkle Brille.

Die Mutter hinkt. Ich ahne das Unglück, doch ich lache, als wäre es der Anfang eines fröhlichen Beisammenseins.

«Sein Vater ist Afrikaner.»

Und schon rudern sie abwehrend mit vielen Armen und sagen das Gegenteil: «Das macht gar nichts! Wir mögen alle Kinder.»

Hüte dich, mein Sohn, vor Tarnungen. Die zeitgenössi-schen Rassisten haben eine Untergrundmentalität. Ans Licht ge-krochen, verstecken sie sich hinter der Verneinung: «Ich bin kein Rassist, ich mag alle Menschen», doch bald folgt das Wörtchen

«aber», das die entscheidende Wende einleitet, von dem dein Schicksal abhängen könnte. Die Allermenschenbrüderlichkeit ist bloss die Demonstration der Stärke, hinter der ein zittriges Tier hockt. Sein Bellen ist meist von schlechtem Geschmack, manch-mal wirkt es kultiviert.

Du bringst sie zum Brodeln, du bist ihre Prüfung, du bist der Barometer ihrer Gesundheit. Dein Gegenüber sackt in seine tiefsten Schichten ab und fühlt, wie sein Tumor wächst. Der Rassismus ist eine GewebekrankheiL Verflucht, eingezwängt ist dein Gegenüber, ein Beamter, der bei deinem Anblick am liebsten sein Büro noch vor der Pensionierung verlassen möchte, der den Internationalismus beschwört, der von der Weite spricht, die ihn ausser Atem bringt. Und dann, erschöpft, lenkt er ein. Der so genannte Wirklichkeitssinn überkommt ihn. Nach dem «aber»

prasselt es Einschränkungen, sogenannte bewiesene Unter-schiede,Argumente gegen den Ausbruch aus dem doppelt, drei-fach versicherten Büro.

«Ich war einmal sogar mit einem Schwarzen befreundet.»

Während sie von der Ausnahme daherplappern, meinen sie, du solltest mit dem Kopf vor Dankbarkeit nicken, dafür dass sie dich mit ihrem uneigenen Grossmut, das Törlein ihres Käfigs müh-selig einen Spalt öffnend, ausnahmsweise zu sich, in die Mensch-heit aufnehmen wollen. Still stehen! Keine heftige, freimütige Bewegung! Bleibe das hölzerne arme Negerlein, aufgestellt im sauberen Gang der Sonntagsschule, das bei den Münzengaben vorprogrammiert mit seinem Köpfchen wackelt. Denn die Un-dankbaren, die Beweglichen werden als erste liquidiert.

«Wir mögen alle Menschen, alle Kinder. .. »

Bewahre den Abstand, mein Sohn, aber flüchte nicht. Betaste den Tumor, lerne ihn kennen . Er ist auch in dir.

Aus «Karibischer Ball». Erzählungen und Reportagen, Zürich-Dortmund 1991, 131 -149. Der Wiederabdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des eFeF-Verlages. Die mit ( ... ) gekennzeichneten Stellen sind Auslassungen gegenüber der Originalfassung.

terra cog n ita 9 I 2006

Integration dans le discours scientifique Sandro Cattacin et Milena Chimienti

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en politique

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La question de l'«integration» des