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3. Der Eurolekt

3.1 Die Sprachpolitik der EU

3.1.4 Fakten versus Grundsätze

Werden die dargelegten Fakten mit den Grundsätzen der EU-Sprachpolitik verglichen, wird deutlich, dass die Ziele der Mehrsprachigkeit in der Praxis relativiert werden müssen. Ein wich-tiges Argument ist hierbei der Kostenfaktor. Obwohl die Notwendigkeit dieser Kosten aus den Reihen der Linguistik und Übersetzungswissenschaft häufig verteidigt wird (z. B. Richter, 2010, S. 226; Baaij, 2012, S. 21), wird meist eine kostensparendere Lösung angestrebt (Luttermann, 2009, S. 315 f.). Mit Verweis auf Lönnroth (2008) stellt Baaij (2012, S. 20) in diesem Kontext heraus: „[D]espite the fact that the number of official EU languages has doubled in recent years due to the accessions of 2004 and 2007, the EU budget for translation and interpretation services in the EU institutions has remained the same.“ Das führt dazu, dass die Sprachdienst-leistungen eingeschränkt wurden (Baaij, 2012, S. 20).

Disanto (2012, S. 142) stellt fest, dass in der EU „intern de facto mit Englisch und Französisch gearbeitet“ wird. Diese Entwicklung ist keiner bewussten Entscheidung der EU-Organe zuzu-schreiben, sondern das Resultat politischer und wirtschaftlicher Gründe (Phillipson, 2011, S. 60). Caliendo, Di Martino und Venuti (2005, S. 381) bekräftigen, dass sich Englisch nach dem

19 Für weitere Informationen zu Arbeitsweise und Aufbau der GDÜ siehe Rubino (2014).

21 Beitritt Großbritanniens schnell als Arbeitssprache etabliert und Französisch immer mehr ver-drängt hat.

Morkunas (2014, S. 35) betont, dass sich die Vorliebe für Englisch als Arbeitssprache nach der Osterweiterung zusätzlich verstärkt hat und auch im Parlament öfter zu Englisch als zur Mut-tersprache gegriffen wird. Gründe dafür sind zum einen die Möglichkeit, so die eigene Sprach-kompetenz zu beweisen, und zum anderen das Gefühl, auf Englisch besser verstanden zu wer-den (Morkunas, 2014, S. 35).20 Auch die Personalregelungen unterstützen dieses Phänomen, denn Personen, die sich bei der EU bewerben, müssen dies in mindestens zwei Sprachen tun, wovon eine Englisch, Französisch oder Deutsch sein muss (Gravier und Lundquist, 2011, S. 79).

Aus den genannten politischen und gesellschaftlichen Gründen der Demokratie und Erhaltung der kulturellen Identität stellen sich viele Fachleute gegen den Trend, ausschließlich Franzö-sisch und Englisch als Arbeitssprachen zu verwenden. So bezeichnet Phillipson (2011, S. 62) diesen Zustand sogar als „linguistic apartheid“. Disanto (2012, S. 141 f.) stellt die Frage nach dem Erhalt der kulturellen Identität in EU-Texten, da die Gefahr bestehe, dass kulturspezifi-sche Merkmale durch den exzessiven Gebrauch der englikulturspezifi-schen Sprache verloren gehen und starke Einflüsse des Englischen auftreten. Gotti (2005, S. 159) beschäftigt dieser Punkt aus po-litischer Sicht: „[…] the adoption and influence of this language [English] often has controversial political, social and economic implications.“ Obwohl er die Notwendigkeit einer gemeinsamen Kommunikationssprache sieht, spricht er sich aus diesem Grund gegen die alleinige Verwendung von Englisch aus (ebd., S. 160).

Allerdings wird der ausschließliche Gebrauch von Englisch nicht nur auf sprachpolitischer Ebene als Diskriminierung angesehen. Es ist auch eine Diskriminierung aufgrund der jeweiligen Sprachkompetenz, da Kommunikationssituationen nicht gleichberechtigt ablaufen können, wenn die Teilnehmenden die englische Sprache nicht im selben Maß beherrschen (Phillipson, 2011, S. 62). Die mehr oder weniger vorhandene Sprachkompetenz kann außerdem zu prakti-schen Problemen führen, da das verwendete Englisch stark durch die jeweilige Muttersprache

20 Morkunas (2014, S. 35) macht allerdings darauf aufmerksam, dass es sich dabei um einen Trugschluss handelt:

„Broken English is difficult to both understand and interpret. If English is not one’s mother tongue, chances are that there will be all kinds of mistakes and imperfections that make interpreters’ task more difficult. Very often, when expressing yourself in a foreign language, you make do with saying what you know how to say but not what you really want to say“.

22 geprägt sein kann (Flyvholm Jørgensen und Yli-Jokipii, 2004, S. 81). Das führt dazu, dass der Text einerseits zum Hybrid aus zwei Sprachen wird und andererseits sprachliche Mängel auf-weist (Phillipson, 2011, S. 62; Cosmai und Best, 2014, S. 92 f.).

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Argumente für den alleinigen Gebrauch von Englisch.

Allen voran ist die Effizienz zu nennen. Die Befürworterinnen und Befürworter dieses Ansatzes sehen das Englisch der EU als ein Kommunikationsmittel – ein Werkzeug, das notwendig ist, aber keine kulturelle Dominanz ausdrückt (zum Beispiel Dollerup, 2001, S. 287). Außerdem wird das Argument gebracht, dass sich das im Rahmen der EU verwendete Englisch so stark vom Englisch Großbritanniens unterscheidet, dass von dieser Varietät keine kulturelle Domi-nanz ausgehen kann (Caliendo, Di Martino und Venuti, 2005, S. 382; Catenaccio, 2008, S. 267).

Je̜drzejowska (2011, S. 62) merkt in diesem Sinne an, dass dieses sogenannte Euro-Englisch sogar ein Vorteil für die EU darstellen könnte:

„English of mainland Europe, open to and embracing all the regional varieties, could become a vehicle of communication between the EU citizens who are in need of a linguistic tool which would allow them to share both the diversity of their cultures of origin as well as their common experience of the united Europe.“

Im Allgemeinen ist es jedoch als problematisch anzusehen, dass sich eine Sprachpraxis ausge-bildet hat, die nicht offiziell festgelegt wurde (Phillipson, 2011, S. 60). Dies liegt vor allem da-ran, dass die Sprachenfrage sehr sensibel ist: „[A]ll proposals for formal reductions in the num-ber of languages have been rejected by the Memnum-ber States, because of national sensitivities and also for the legal reasons […]“ (Wagner, Bech und Martínez, 2012, S. 10 f.). Luttermann (2009, S. 316) stellt fest, dass eine Anpassung der Sprachregelung auf lange Sicht unabdingbar ist.

In Zukunft wird sich auch die Frage stellen, ob sich Englisch noch als wichtigste Arbeitssprache der EU behaupten kann, wenn es nach dem Brexit nicht mehr den Status einer EU-Amtsspra-che innehat.21 Die praktischen Gründe, die zum fast exklusiven Gebrauch der englischen Spra-che geführt haben, werden durch den Brexit nicht verschwinden (Baaij, 2018, S. 103), und da das Euro-Englisch nicht mehr ein Symbol nationaler Identität mit politischem Wert für den entsprechenden Mitgliedstaat darstellen würde, könnte es als unabhängiges

21 Die anderen beiden EU-Mitgliedstaaten mit Englisch als Amtssprache (Irland und Malta) haben sich gegen Eng-lisch als ihre EU-Amtssprache entscheiden (Baaij, 2018, S. 101).

23 Kommunikationsmittel angesehen werden. Allerdings wird es aus politischen Gründen nicht einfach sein, diesen Gebrauch weiterhin zu rechtfertigen, da kaum noch Muttersprachlerin-nen und Muttersprachler der englischen Sprache in der EU leben würden (ebd.). Außerdem würde es die Authentizität aller Sprachversionen weiter schwächen, wenn die „Ursprungsver-sion“ der EU-Rechtsakte in einer Nicht-EU-Amtssprache ausgehandelt wird, die letztendlich nicht bindend ist (ebd., S. 101). Baaij (ebd., S. 102) macht allerdings darauf aufmerksam, dass es nicht dazu kommen muss, dass Englisch seinen Status in der EU verliert: „Whether that will transpire or not will be determined by a unanimous vote by the European Council ex Art. 342 TFEU.“ 22