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3. Der Eurolekt

3.2 Besonderheiten des EU-Rechts

3.2.1 Besonderheiten der Rahmenbedingungen

Die Konzeption des EU-Rechts war zunächst etwas Neues, da es weder als innerstaatliches Recht noch als Völkerrecht bezeichnet werden kann:

„Traditionally in legal education, law is subdivided into two main areas, namely national and international. […] For the last 50 years there has been another field, that of European law, which is neither national nor international in its substance and for which the term supranational was coined.“ (Chromá, 2004, S. 197)

Eine Besonderheit des Rechts ist damit sein supranationaler Charakter. Das bedeutet, EU-Recht steht über nationalem EU-Recht und die Mitgliedstaaten müssen es umsetzen (Biel, 2017, S. 62). Dadurch entwickelt sich eine besondere Dynamik zwischen nationaler und supranatio-naler Gesetzgebung, die dem innerstaatlichen Recht und dem Völkerrecht fremd sind (ebd., S. 86 f.).

22 Zum Zeitpunkt der Fertigstellung der vorliegenden Arbeit ist noch keine entsprechende Entscheidung gefallen.

24 Das Recht der EU kann nach Rechtsakten klassifiziert werden, die an dieser Stelle kurz skizziert werden sollen. EU-Recht wird in Primärrecht und Sekundärrecht eingeteilt (ebd.). Die Verträge der EU bilden das Primärrecht (Europäische Union, 2019) und somit eine Art Verfassung der EU, sie werden direkt angewendet (Biel, 2017, S. 86). Ein Merkmal der primären Rechtsvor-schriften besteht laut Biel (ebd.) darin, dass sie grundlegende Konzepte und Begriffe festlegen.

Das Sekundärrecht muss sich folglich an die Terminologie des Primärrechts halten. Die Ver-träge entsprechen daher der Idee des Völkerrechts (Felici, 2010, S. 100).

Die sekundären Rechtsvorschriften bedürfen dagegen meist einer Handlung der Mitgliedstaa-ten selbst. Das Sekundärrecht entsteht gemäß Artikel 288 des Vertrags von Lissabon, der die wichtigsten Rechtsakte auflistet:

„Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu er-reichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.

Beschlüsse sind in allen ihren Teilen verbindlich. Sind sie an bestimmte Adressaten ge-richtet, so sind sie nur für diese verbindlich.

Die Empfehlungen und Stellungnahmen sind nicht verbindlich.“23

Verordnungen gelten demnach unmittelbar in Inhalt und Form (Caliendo, 2004, S. 242). Be-schlüsse sind zwar auch in Form und Inhalt verbindlich, haben aber oft „a more limited appli-cation“ (ebd.). Dagegen sind Richtlinien nur in ihrem Inhalt verbindlich. Den Mitgliedsstaaten steht es frei, wie sie diesen umsetzen. Das bedeutet wiederum, dass ein aktives Handeln der Mitgliedstaaten notwendig ist. Hier tritt die Dynamik zwischen innerstaatlichem und europä-ischem Recht besonders hervor (Caliendo, Di Martino und Venuti, 2005, S. 385).

Als Tertiärrecht wird zusätzlich von Kaeding (2007, S. 3) die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) angeführt. Auf diese Kategorie kann hier nicht im Detail eingegangen werden, jedoch wird deutlich: Es gibt nicht ein Genre von EU-Rechtsakten. Sie unterscheiden sich nicht nur in ihrer Form und ihrem Inhalt, sondern auch im Grad des Zusammenspiels zwi-schen EU-Recht und nationalem Recht (Biel, 2017, S. 60 f.). Diese Vielfalt an Rechtsakten ist eine weitere Besonderheit der EU.

23 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union: https://eur-lex.europa.eu/legal-con-tent/de/TXT/?uri=celex:12012E/TXT; aufgerufen am 20.02.2019; Hervorhebung durch die Verfasserin.

25 Die Besonderheit der Richtlinie selbst liegt in ihrer Umsetzung durch die Mitgliedstaaten. Das bedeutet, dass Richtlinien derart formuliert sein müssen, dass den Mitgliedstaaten einerseits genug Spielraum gegeben wird, um unterschiedliche Maßnahmen ergreifen zu können, das Ziel der Richtlinien aber andererseits so eindeutig sein muss, dass kein Mitgliedstaat davon abweichen kann. Das performative Ziel der Richtlinie beeinflusst folglich die verwendete Spra-che, die zum einen durch Autorität und zum anderen durch Abstraktion und Flexibilität ge-kennzeichnet ist (Caliendo, Di Martino und Venuti, 2005, S. 385 f.; Biel, 2017, S. 60).

Auch auf Ebene der Mitgliedstaaten hat diese Besonderheit Konsequenzen: Sie müssen sich für eine Umsetzungsmethode entscheiden. In Deutschland wird dafür zunächst der Umset-zungsbedarf der Richtlinie ermittelt:

„Um den Umsetzungsbedarf zu ermitteln, sind bestehende bundesrechtliche Vorschriften mit den Richtlinienvorgaben zu vergleichen. Regelungsbedarf kann dort bestehen, wo ei-nem von der Richtlinie erfassten Bereich keine Regelung im Bundesrecht gegenübersteht oder eine Richtlinienbestimmung nicht vollends durch bundesrechtliche Rechtsnormen erfasst ist.“ (BMJV, 2008, S. 95)

Das Grundmuster für diese Untersuchung ist dem Handbuch zu entnehmen (ebd., S. 95 f.). Auf Grundlage dieser Untersuchung wird die Entscheidung für eine der folgenden Möglichkeiten getroffen: (1) die wörtliche Übernahme der Richtlinie, (2) die intralinguale Übersetzung der Richtlinie oder (3) die Verweisung in entsprechenden Gesetzen auf die Vorschriften der Richt-linie24 (BMJV, 2008, S. 96; Catenaccio, 2008, S. 262).

Sowohl bei der wörtlichen Übernahme als auch bei der intralingualen Übersetzung kommt es zu einer sprachlichen Beeinflussung der nationalen Rechtssprache durch den jeweiligen Euro-lekt. Im ersten Fall wird die im Eurolekt verfasste Richtlinie wörtlich in die nationale Gesetz-gebung übernommen, was eine höhere Beeinflussung vermuten lässt. Im zweiten Fall kann die Hypothese angestellt werden, dass der Eurolekt im Umsetzungsprozess neutralisiert wird und letztendlich ein Text in der nationalen Rechtssprache vorliegt. Allerdings wäre das eine zu mechanische Auffassung des intralingualen Übersetzungsprozesses, da in der Übersetzungs-wissenschaft davon ausgegangen wird, dass der Ausgangstext den Übersetzenden beeinflusst (Mauranen, 2008, S. 32). Ob und inwiefern es bei der Umsetzung von Richtlinien zur

24 Diese Möglichkeit kann nur selten gewählt werden: „Für eine Umsetzung durch Verweisung eignen sich nur hinreichend bestimmte und verständliche Richtlinien, deren Gegenstand noch nicht durch deutsches Recht geregelt ist“ (BMJV, 2008. S. 96).

26 Beeinflussung durch den Ausgangstext (die Richtlinie) kommt, soll in dieser Arbeit untersucht werden.

Wie bereits beschrieben besteht eine Besonderheit des EU-Rechts darin, dass die Rechtsakte der EU in allen Amtssprachen veröffentlicht werden müssen und auch in allen Amtssprachen verbindlich und rechtsgültig sind (Biel, 2017, S. 62). Die Notwendigkeit, alle Sprachversionen als authentisch zu erklären, begründet sich dadurch, dass die EU zwar ein supranationales Rechtssystem darstellt, aber keine supranationale Sprache besitzt. Sie muss sich den Sprachen ihrer Mitgliedstaaten bedienen, die unweigerlich mit den Konzepten und Denkweisen des in-nerstaatlichen Rechts dieser Staaten behaftet sind (ebd., S. 78). Das Fehlen einer eigenen Rechtssprache ist daher als weitere Besonderheit des europäischen Rechtssystems zu nen-nen.25

Um zu verhindern, dass der supranationale Rechtscharakter durch die Formulierung in natio-nalen Sprachen verloren geht, muss ein Kompromiss gefunden werden: „The resulting lan-guage […] is a symbol of intercultural, interlinguistic mediation. As such, it is often a hybrid concept resulting from negotiation among different cultural, legal and linguistic traditions“

(Bhatia, Candlin und Evangelisti Allori, 2008, S. 10). Die Sprache der EU muss sich folglich von den nationalen Rechtssprachen abheben, um die Gleichberechtigung der Mitgliedstaaten und Rechtssicherheit zu gewährleisten.