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2. Die Rechtssprache Deutschlands

2.1 Rechtssprache als Fachsprache

In Fachkreisen herrscht weitestgehend Konsens darüber, dass die Rechtssprache eine Fach-sprache darstellt (Rathert, 2006, S. 9; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher-schutz, 2008, S. 33; Thieme, Raff und Tacke, 2010, S. 160 f.; Youn, 2016, S. 42). Meist wird in diesem Kontext die Definition von Möhn und Pelka (1984) zitiert. Demnach ist Fachsprache

„die Variante der Gesamtsprache, die der Erkenntnis und begrifflichen Bestimmung fachspe-zifischer Gegenstände sowie der Verständigung über sie dient und damit den spezifischen kommunikativen Bedürfnissen im Fach allgemein Rechnung trägt“ (Möhn und Pelka, 1984, S. 26).

4 Die Rechtssprache unterscheidet sich allerdings in einigen Punkten von anderen Fachspra-chen, weswegen sich einige Stimmen gegen ihren fachsprachlichen Status aussprechen (Youn, 2016, S. 42). Zunächst ist hierbei auf die Abgrenzungsproblematik zwischen Gemeinsprache2 und Rechtssprache hinzuweisen, die Griebel (2013, S. 127) unter anderem den „Überschnei-dungen zwischen den Rechtstermini und den Wörtern der Gemeinsprache“ zuschreibt. Auf-grund dieser Überschneidungen argumentieren einige Stimmen, dass sich die Rechtssprache auf terminologischer Ebene nicht genug von der Gemeinsprache unterscheide, [d]enn die Rechtssprache beinhalte zwar viele Fachwörter, aber bloß einen fachsprachlich geprägten Teil einer Gemeinsprache“ (Youn, 2016, S. 42). Tatsächlich besteht ein wichtiges Merkmal der Rechtssprache in ihrer Abhängigkeit von der Gemeinsprache (Je̜drzejowska, 2011, S. 54; Youn, 2016, S. 43). Der Grund dafür ist, dass die Gemeinsprache die Basis der Rechtssprache bildet und folglich beide Varietäten in zahlreichen Punkten (Grammatik, Orthographie usw.) über-einstimmen (Rathert, 2006, S. 9; Mattila und Goddard, 2013, S. 3). Daher können Rechts- und Gemeinsprache nicht als zwei getrennte Systeme angesehen werden (Fischer, 2010, S. 8).

Youn argumentiert weiterhin, dass jede Fachsprache in gewissem Sinne eine fachlich geprägte Gemeinsprache darstellt. Zudem sei die klare Abgrenzung zwischen Fachsprache und Gemein-sprache an sich problematisch (Fischer, 2010, S. 8 f.; Youn, 2016, S. 42 f.). Youn (ebd.) akzep-tiert die enge Verbindung zwischen Rechtssprache und Gemeinsprache daher nicht als Argu-ment gegen den fachsprachlichen Status der Rechtssprache. Weiterhin ist zu betonen, dass die Rechtssprache ihrerseits auch die Gemeinsprache beeinflusst (Mattila und Goddard, 2013, S. 58). Es besteht daher eine in beide Richtungen verlaufende Dynamik zwischen den Varietä-ten.

Eine weitere Besonderheit der Rechtssprache ist ihre Systemgebundenheit (Salmi-Tolonen, 2003, S. 313; Wiesmann, 2004, S. 19; Youn, 2016, S. 64; Biel, 2017, S. 21). Dies ist daran er-sichtlich, dass keine international einheitliche Form dieser Fachsprache existiert, während dies in naturwissenschaftlichen Fachsprachen durchaus der Fall ist (Sander, 2004, S. 3; Youn, 2016, S. 46). Die starke Bindung der Sprache an die jeweilige Rechtskultur erklärt sich vor allem dadurch, dass die Geschichte der Rechtssprache deutlich weiter zurückreicht als die der meis-ten technischen Fachsprachen (Anissimova, 2007, S. 104; Youn, 2016, S. 46 f.). Als Konsequenz

2 Mit Gemeinsprache ist in diesem Kontext die Standardsprache gemeint (Thieme, Raff und Tacke, 2010, S. 157).

5 unterscheidet sich die Rechtssprache auch in verschiedenen Ländern, in denen dieselbe Spra-che gesproSpra-chen wird (Sander, 2004, S. 3; Pommer, 2006, S. 17). Doch auch innerhalb eines Rechtssystems existieren verschiedene Rechtssprachen nebeneinander:

„Die Verfassungssprache wirkt eher werbend-programmatisch, die Verwaltungssprache eher nüchtern anordnend. Dogmatisch geformte Sprachen des Zivil- oder des Strafrechts folgen den Linien der Fachterminologie, die Sprache junger Disziplinen wie das Umwelt- oder das Datenschutzrecht sucht noch ihren Weg zwischen Allgemein-, Rechts- und Sach-sprache. Regeln für die vorgefundene Wirklichkeit – wie das Polizeirecht – sind offen für reale Entwicklungen, Regeln für Kunstfiguren des Rechts – wie das Steuerrecht – verhar-ren im Raum des Sollens.“ (Kirchhof, 2009, S. 208)

Mit Blick auf die verschiedenen Rechtskulturen wird vor allem zwischen Common-Law- System, Zivilrechtssystem und Scharia-System unterschieden (Bhatia, 1993, S. 136). Die deut-sche Rechtssprache ist dem Zivilrechtssystem zuzuordnen, das sich durch den Anspruch der Allgemeingültigkeit auszeichnet (ebd., S. 137). Die Rechtskultur Deutschlands ist das Ergebnis vielfältiger Einflüsse, wobei der Einfluss des römischen Rechts der deutlichste ist und sich bis heute an der Abstraktheit des Rechts und dem Fokus auf Begrifflichkeiten erkennen lässt (Mattila und Goddard, 2013, S. 163).

Eine dritte Besonderheit der Rechtssprache besteht darin, dass jede Person dem Recht unter-steht und folglich mit dieser Fachsprache konfrontiert wird, während die Teilnahme an den Diskursen anderer Fachsprachen nicht verpflichtend ist (Rathert, 2006, S. 7). Dies bedeutet aber nicht, dass sowohl Autorschaft als auch Zielpublikum der Rechtssprache eindeutig fest-zumachen sind (Nussbaumer, 2002, S. 24). Hier ergibt sich vielmehr eine weitere Besonderheit der Rechtssprache. Mit Blick auf die Autorschaft ist es problematisch, vom „klarem Willen des Gesetzgebers“ zu sprechen, da kaum Gesetze mit absoluter Mehrheit verabschiedet werden und verschiedene Personen mit unterschiedlichen Interessen an den Gesetzestexten arbeiten (ebd., S. 25 f.). Darüber hinaus kommt es zu einer Abgrenzung zwischen Rechtschaffung und Rechtsverfassung:

„In most other written varieties, the author is both the originator and the writer of what he creates, whereas in legislative provisions, the parliamentary draftsman is only the writer of the legislative act, which originates from the deliberations of a parliament in which he is never present.“ (Bhatia, 1993, S. 102)

Mit Blick auf das Zielpublikum der Gesetze findet sich ein ähnliches Problem, denn Gesetze

„sind immer mehrfach adressiert“ (Nussbaumer, 2002, S. 27 f.). Zunächst richten sich Gesetze zwar an die gesamte Bevölkerung, als wirkliches Zielpublikum macht Bhatia (1993, S. 102 f.)

6 aber die Rechtsanwendung aus. Sandrini (2004, S. 139) betont dagegen, dass sich Gesetze vor allem an das Volk richten. In diesem Sinne bestätigen Thieme, Raff und Tacke (2010, S. 159):

„Die wenigsten Normen sind nur für Juristen gemacht. Meist betreffen sie die Allgemeinheit, das heißt den Richter genauso wie den juristischen Laien.“ Dieses Phänomen bezeichnet Sandrini (2004, S. 139) als „Adressatenpluralität von Rechtssprache“. Wiesmann (2004, S. 17), die in diesem Kontext von „Mehrfachadressiertheit“ spricht, unterstreicht in ihren Ausführun-gen den Unterschied, der sich dadurch zu anderen Fachsprachen ergibt:

„Durch die Mehrfachadressiertheit der gleichen Texte (fachinterne und zugleich fachex-terne Kommunikation) unterscheidet sich die Rechtssprache wesentlich von allen ande-ren Fachsprachen, wo Texte mit hohem Fachsprachlichkeitsgrad ausschließlich an Fach-leute mit den entsprechenden Kenntnissen adressiert sind […].“

Griebel (2013, S. 133) führt dazu aus, dass die Besonderheit schlussendlich darin liegt, dass sich die Rechtssprache trotz Mehrfachadressiertheit „im Hinblick auf Fachlichkeit und Abstrak-tionsgrad“ nicht von anderen Fachsprachen unterscheidet. Nussbaumer (2002, S. 29) betont, dass die Pluralität von Autorschaften und Zielgruppen zur Überschneidung verschiedener Dis-kurse führt:

„Teilweise haben wir es mit einem innerfachlichen Diskurs zu tun: Nicht-juristische Fach-leute sprechen zu ihresgleichen […], und Juristen sprechen zu ihresgleichen […]. Wir haben es aber ganz stark auch zu tun mit einem interfachlichen Diskurs, der die Einzel-fachgrenzen überschreitet: Juristen sprechen zu juristischen Fachleuten und nicht-juristische Fachleute zu Juristen.“

Daher führt Youn (2016, S. 43) an, dass die Rechtssprache nicht nur einen engen Bezug zur Gemeinsprache, sondern auch zu anderen Fachsprachen hat.