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Die Metrik Andri Peers im Spannungsfeld zwischen bündnerromanischer Tradition und europäischer Moderne

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Academic year: 2022

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Texte intégral

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Renzo Caduff

(Tujetsch, GR)

Die Metrik Andri Peers im Spannungsfeld zwischen bündnerromanischer Tradition und europäischer Moderne

Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde an der philosophischen Fakultät der Universität Freiburg in der Schweiz

Genehmigt von der philosophischen Fakultät auf Antrag der Professoren Clà Riatsch (1. Gutachter) und Georges Darms (2. Gutachter). Freiburg, den 20. Dezember 2010.

Prof. Thomas Austenfeld, Dekan.

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit wäre nicht in dieser Form entstanden, wenn ich nicht die Möglichkeit gehabt hätte, im SNF-Projekt Die Lyrik Andri Peers zwischen Tradition und Moderne (2005- 2008) unter der Leitung von Clà Riatsch (Universität Zürich) mitzuarbeiten. Mein Dank geht darum in erster Linie an die Projektgruppe Peer, mit Annetta Ganzoni, Dumenic Andry und Clà Riatsch, die mir mit zahlreichen Hinweisen, Rückmeldungen und Ermunterungen geholfen haben.

Des Weiteren gilt mein Dank Georges Darms (Universität Fribourg), der mir als Assistent für rätoromanische Sprache und Literatur an der Universität ideale Arbeitsbedingungen ermöglichte und immer wieder Interesse an meiner Arbeit bekundete.

Ein weiterer Dank geht an die Trägerschaft des Germanistischen Doktorandenkolloquiums der Universität Fribourg unter der Leitung von Harald Fricke für die Möglichkeit, an den Kolloquien teilnehmen zu dürfen und die stets konstruktiven Rückmeldungen zu meinen präsentierten Vorlagen.

Die Familie Peer ermöglichte mir Einblick in die umfangreiche Bibliothek sowie den noch umfangreicheren Nachlass im Schweizerischen Literaturarchiv, was mir half, die Welt Andri Peers und die literarischen Einflüsse auf ihn besser verstehen zu können.

Bedanken möchte ich mich auch bei Christian Genetelli, Guido Pedrojetta, Sara Pacaccio und Peter Frei für ihre bibliographischen Hinweise zur italienischen und französischen Metrik.

Schliesslich danke ich verschiedenen Freundinnen und Freunden für fachliche und technische Hilfeleistungen, mitdenkendes Korrekturlesen und ihr Interesse an meiner Arbeit.

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung: Fragestellung und Aufbau der Arbeit ...1

2 Bündnerromanische Lyrik und ihre metrische Beeinflussung von aussen ...4

3 Metriktheorien...8

3.1 Theoretische Grundlagen...8

3.2 Deutsche Metrik ...13

3.2.1 Metrische Typologie (Wagenknecht 1981)...14

3.2.2 Drei-Ebenen-Modell (Küper 1988) ...15

3.2.3 Versanalyse und metrische Gestaltprinzipien (Mellmann 2007 und 2008) ...20

3.2.4 Stufen der metrischen Abstraktion (Donat 2007) ...27

3.3 Italienische Metrik...28

3.3.1 Grundlagen der italienischen Metrik (Menichetti 1993) ...28

3.3.1.1 Verstypen ...29

3.3.1.2 Versbezeichnung und «Versallotropie»...31

3.3.1.3 Metrische Silbe und metrische Figuren ...32

3.3.1.4 Der Rhythmus: Akzente und ‚Pausen’ bzw. Verseinschnitte...35

3.3.1.5 Der Reim ...39

3.3.2 Positionen-Schema (Di Girolamo 1976)...40

3.3.3 Zeit-Schema (Esposito 2003)...41

3.4 Französische Metrik ...43

3.4.1 «Loi des huit syllabes» und «métricométrie» (Cornulier 1982 und 1995) ...44

3.4.2 «Métrique générale» und «prototype métrique» (Gouvard 2000a) ...48

3.5 Vergleich der besprochenen Metriken...54

4 Theorie der Freien Verse ...57

4.1 Grundform versus ‚Verszerfall’ ...58

4.2 Freie Verse in der deutschen Lyrik...60

4.2.1 Spielarten freier Versgestaltung (Wagenknecht 1981)...61

4.3 «Verso libero» im Italienischen ...62

4.3.1 «Metrica libera» (Mengaldo 1991)...66

4.4 «Préface sur le vers libre» (Kahn 1897)...68

5 Metrisch regulierte Gedichtformen bei Peer...70

5.1 Überblick über die Typen metrisch regulierter Gedichte ...70

5.2 Versifikation und Konvention: metrische Figuren ...80

5.3 Die Sonette...88

5.3.1 Aspekte einer Definition des Sonetts ...91

5.3.2 Zur Aktualität der Sonettform ...94

5.3.3 Das Sonett in der bündnerromanischen Tradition...97

5.3.4 Äusserungen Peers zum Sonett...102

5.3.5 Zu Form und Publikationsort der Sonette Peers ...105

5.3.6 Textbeispiele ...107

5.3.6.1 Momaint apatic...107

5.3.6.2 Il poet sulvadi...111

5.3.6.3 Il chant porta (1956) bzw. Vamporta (1960): Imitation und Neu-Dichtung ...116

5.3.7 Schlussfolgerungen zu den Sonetten Peers ...132

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5.4 ‚Volksliedhafte’ Gedichte und weitere Vierzeiler ...134

5.4.1 Zum Begriff «Volksliedstrophe» ...134

5.4.2 Textbeispiel: Vers saira...136

5.4.3 Textbeispiel: Pro ün pêr stinvs...139

5.4.4 Textbeispiel: Arsantüm...140

5.5 Zur Funktion metrisch regulierter Gedichtformen...142

6 Hybride Gedichtformen bei Peer ...144

6.1 Textbeispiel: Il psicosfuader...145

6.2 Textbeispiel: Abandun...147

6.3 Textbeispiel: Serainada...149

7 Freie Gedichtformen bei Peer ...154

7.1 Gebrauch gleicher Versformen ...154

7.1.1 Gedichte überwiegend in «settenari»...156

7.1.1.1 Akzentmodelle beim «settenario» ...162

7.1.1.2 Textbeispiel: La staziun...166

7.1.2 Gedichte überwiegend in «endecasillabi»...175

7.1.2.1 Textbeispiel: Davomezdi...179

7.1.3 Relikte des Alexandriners...185

7.1.3.1 Textbeispiel: Tantüna: Uoss’est qua...186

7.2 Gedichte im Reihungsstil...190

7.3 Reimwiederholung und Funktionen des Reims...197

7.3.1 Komische Funktion des Reims...198

7.3.2 Der Reim als Element der Einstimmung aufs Dichten (Ün man chi scriva) ...199

7.3.3 Reimgebrauch als ein Intertextualitätssignal (Chant da la plövgia)...202

7.3.4 Der Reim als Echo von «Naturstimmen» (Furnatsch)...209

7.3.5 Der Reimgebrauch als Anklang an Kinderreime (Ün mattin) ...214

7.3.6 Verweise auf die Volkstradition (Ustaria) ...220

8 Exkurs: Aspekte moderner Lyrik in Peers poetologischen Gedichten ...225

8.1 Textbeispiel: Ars poetica...226

8.2 Textbeispiel: Sül far not...231

9 Zusammenfassung und Ausblick ...235

9.1 Metrisch regulierte Gedichtformen ...235

9.2 Hybride Gedichtformen ...236

9.3 Freie Gedichtformen...237

9.4 Erkenntnisse für eine bündnerromanische Metrik ...237

9.5 Ausblick ...239

A Bibliographie ...240

B Abbildungsverzeichnis ...257

C Tabellenverzeichnis ...258

D Textvorlagen ...259

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Fragen bleiben jung. Antworten altern rasch.

Kurt Marti (1995:25)

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1 Einleitung: Fragestellung und Aufbau der Arbeit

Der Engadiner Andri Peer (1921-1985) gilt gemeinhin als erster und bis heute wichtigster

‚moderner’ Dichter des Bündnerromanischen (u.a. Camartin 1976, 1988 und 1994; Riatsch 2003 und 2006). Peer, der in Zürich und Paris Romanistik studierte, kam früh mit der modernen Lyrik zahlreicher europäischer Vertreter in Kontakt1. Charakteristisch für den von Andri Peer eingeleiteten Modernisierungsprozess innerhalb der bündnerromanischen Lyrik ist denn auch dessen Spannungsverhältnis zwischen Eigenem und Fremdem, Tradition und Innovation.

Als ‚moderner’ Vertreter einer Kleinliteratur hat sich Andri Peer zeitlebens zwischen den beiden Polen Tradition und Moderne bewegt (vgl. Camartin 1994:35). Im Rahmen des SNF-Projekts Tradition und Moderne in der Lyrik Andri Peers wurde dieses Spannungsverhältnis aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. So kontextualisiert Ganzoni (2011) die Prozesse der Gedichtentstehung, Andry (2008) weist Formen von Intertextualität und Interdiskursivität im lyrischen Werk Peers nach und Riatsch (2010) beschäftigt sich mit dem Engadin-Mythos bei Andri Peer2.

Als wichtigster Beitrag Peers für die bündnerromanische Lyrik gilt gemeinhin die Einführung der Freien Verse bzw. der freien Gedichtformen (vgl. u.a. Bezzola 1963 und 1979; Riatsch 2003). Peers lyrisches Werk weist jedoch die verschiedensten Vers- und Gedichtformen auf. Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, diese metrische Vielfalt in Andri Peers Gedichten zu beschreiben und zu zeigen, wie sich auch seine Metrik stets im Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne bewegte. Im Folgenden soll also untersucht werden, wie sich dieses kulturelle Spannungsverhältnis in der Vielfalt der Gedichtformen und Versifikationsarten Andri Peers spiegelt. Da Peers lyrisches Werk über einen relativ langen Zeitraum erschien (1943-1985) und die verschiedensten Formen aufweist, kann an ihm auch exemplarisch aufgezeigt werden, wie ein metrischer Modernisierungsprozess innerhalb einer Kleinliteratur verlaufen kann.

Das der Arbeit zugrunde liegende Textkorpus bildet in erster Linie die 2003 publizierte Gesamtausgabe der originalen Gedichte Andri Peers, Poesias (1946-1985). Eine weitere Grundlage für die folgenden Ausführungen stellen die Dokumente im Nachlass des Dichters im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern dar sowie seine zahlreich erschienenen literarischen und publizistischen Beiträge3.

Da diese Arbeit die Metrik Andri Peers immer auch im grösseren Zusammenhang der Nachbarliteraturen betrachtet, sollen als Erstes einige wichtige Einflüsse anderssprachiger Metriken auf die bündnerromanische Lyrik aufgezeigt werden (Kap. 2). In Kapitel 3 werden

1 Für genaue biobibliographische Angaben zu Andri Peer vgl. Peer (1994 und 2003).

2 Frühere Monographien über Peer stammen von Köhler (1985) und Stubbe (1979-1983/2008).

3 Siehe Peers Gesamtbibliographie unter www.nb.admin.ch/sla.

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denn auch – nach einigen allgemeinen theoretischen Überlegungen – die deutsche, italienische und französische Metrik in ihren Grundzügen vorgestellt und ihre Besonderheiten referiert. Da Peer nachweislich von der Lyrik dieser drei Sprachen beeinflusst war und eine bündnerromanische theoretische Metrik bis heute nicht existiert, werden in der vorliegenden Arbeit insbesondere diese drei Metriken berücksichtigt. Besondere Beachtung wird dabei den Stufen der metrischen Abstraktion, den Verskonstituenten und der Versebene geschenkt. Ein Vergleich dieser drei Metriken, in dem trotz unterschiedlichster metrischer Terminologie einige Gemeinsamkeiten festgestellt werden können, rundet dieses erste Theoriekapitel ab. In einem zweiten, theoretisch angelegten Kapitel (Kap. 4) werden aktuelle Erkenntnisse zu den Freien Versen vorgestellt. Für die Analyse des Gedichtkorpus Peers hat sich dabei insbesondere Mengaldos Kategorie der «metrica libera» (Kap. 4.3.1) als nützlich erwiesen.

Das Kernstück der Arbeit bilden die Kapitel 5 bis 7, in denen die Vielfalt der Gedichtformen Peers anhand exemplarischer Beispiele aufgezeigt wird. Als Erstes werden in Kapitel 5 die metrisch regulierten Gedichtformen Peers vorgestellt. Neben einer detaillierten Beschreibung typischer Formen wie der Sonette und der ‚volksliedhaften’ Gedichte werden auch mögliche Funktionen der metrisch regulierten Gedichte diskutiert. Das für Andri Peer typische Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne ist auf metrischer Ebene besonders gut für die hybriden Gedichtformen nachweisbar (Kap. 6). Mit diesem Begriff werden in dieser Arbeit Zwischenformen bezeichnet, die je nach eingenommenem Blickwinkel sowohl typische Merkmale regulierter wie auch freier Gedichtformen aufweisen.

In Kapitel 7 werden charakteristische Merkmale der freien Gedichtformen Peers vorgestellt.

Im Zentrum des Interesses steht dabei die Beschreibung verschiedener Segmentierungstechniken. Dazu gehört der überraschend häufige Gebrauch einzelner Versformen, welcher als Kompensation für die fehlende metrische Regulierung zu werten ist.

Andere von Peer wiederholt verwendete Techniken sind ein ausgeprägter Reihungsstil sowie ein ausgiebiger Reimgebrauch.

Anschliessend wird in einem Exkurs (Kapitel 8) anhand zweier poetologischer Gedichte Peers exemplarisch aufgezeigt, wie weitreichend die Beeinflussung der europäischen Moderne auf Peers lyrisches Schaffen ist. Kapitel 9 schliesslich gibt einen Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse dieser Arbeit. Dabei werden auch weiterführende Überlegungen für eine zukünftige bündnerromanische Metriktheorie angestellt.

In Anhang D finden sich die Textvorlagen einzelner ausgewählter Gedichte. Einerseits handelt es sich um Bavuorcha und Fin da la chatscha, zwei in Peer I (2003) nicht publizierte Gedichte, andererseits um die in Kap. 7 besprochenen, aber nicht abgedruckten Texte freier Gedichtformen.

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Sebastian Donats (siehe auch Kap. 3.2.4) neuer sprachübergreifender Ansatz einer deskriptiv-typologischen Matrix gebundener Verse4 war zur Zeit des Verfassens dieser Arbeit noch nicht publiziert. Dieser für zukünftige Versanalysen sicherlich viel versprechende Ansatz konnte somit für die folgenden Ausführungen nicht berücksichtigt werden.

Unter Einbezug theoretischer Erkenntnisse aus der russischen Verstradition (insb.

Buchštab und Gasparov) entwickelt Donat u.a. die in dieser Arbeit ebenfalls besprochenen metrischen Typologien von Lotz, Wagenknecht und Küper (vgl. Kap. 3.1, 3.2.1 und 3.2.2) weiter. In seiner deskriptiv-typologischen Matrix gebundener Verse steht dabei einerseits die Bestimmung der Verskonstituenten im Vordergrund, andererseits deren mögliche Anordnungsprinzipien. Konstitutiv sind gemäss Donat: (1) Silbenhaftigkeit, (2) prominente vs.

nicht-prominente Silben, (3) Reim und (4) ‚Pause’ bzw. Zäsur. Als wichtige Neuerung im Vergleich zu den früheren Typologien ist vor allem die «gleichberechtigte Berücksichtigung von Konstituenten- und Anordnungsebene» (2010:129) hervorzuheben. Neu ist zudem die klare Trennung der beiden Ebenen (ibd.). Die für die metrisch regulierten Gedichte Peers in der vorliegenden Arbeit berücksichtigten Klassifikationskriterien bzw. Konstituenten – (1) strukturbildende Strophen- bzw. Gedichtformen, (2) strukturierendes Reimschema, (3) konstante Silbenzahl und (4) Versfüsse (siehe Kap. 5.1) – stehen jedoch in keinem Gegensatz zu Donats Typologie, sie sind aber durchaus differenzierbar (vgl. z.B. die Pause als Verskonstituente).

4 Sebastian Donat, Deskriptive Metrik, Innsbruck/Wien/Bozen, StudienVerlag, 2010 (= Comparanda.

Literaturwissenschaftliche Studien zu Antike und Moderne, hg. v. Beate Burtscher-Bechter et al., Band 15).

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2 Bündnerromanische Lyrik und ihre metrische Beeinflussung von aussen

Da für die bündnerromanische Dichtung bis heute keine theoretischen Standardwerke und nur wenige Studien zur Metrik5 existieren, muss, wer eine Beschreibung ihrer Gedichtformen in Betracht zieht, immer auf die Metriken der Nachbarsprachen zurückgreifen. Wie die Studien und Einzelanalysen von Gedichten6 zeigen, wird dafür meistens die deutsche Metrik herangezogen. Dabei ist allen Studien gemeinsam, dass die Wahl der zugrunde gelegten Metrik gar nicht begründet wird. Im Folgenden soll exemplarisch aufgezeigt werden, dass nebst der deutschen Metrik auch andere Einflüsse auf die bündnerromanische Lyrik eingewirkt haben.

Für die meisten bündnerromanischen Dichterinnen und Dichter scheint die Analyse ihrer Gedichte nach den Regeln der deutschen Metrik vermutlich angebracht zu sein, denn aufgrund ihrer Ausbildung dürfte ihnen die deutsche Lyrik am nächsten liegen. Gion Antoni Huonder (1824-1867) und Giacun Hasper Muoth (1844-1906) studierten z.B. beide in München7 und schienen mit den damaligen metrischen Gepflogenheiten der deutschen Lyrik vertraut zu sein8. Dies zeigt sich besonders in jenen Gedichten, die sie später – wieder zurück in der Heimat – auf der Grundlage deutscher Melodien als Liedtexte verfassten9. Auch auf das frühe dichterische Werk Alfons Tuors (1871-1904) scheint die ‚volksliedhafte’10 (deutsche) Dichtung einen beträchtlichen Einfluss gehabt zu haben. In den ersten zwei Bänden (1891a, 1891b) seiner dreiteiligen Poësias romonschas I-III (1891-1894) lässt sich dieser Einfluss der deutschen Lieder bzw. Gedichte auf Tuors Übersetzungen ins Surselvische besonders gut nachweisen11.

Aufgrund dieses Einflusses deutscher Dichtung auf die damaligen bündnerromanischen Dichter erstaunt es nicht, dass auch in der Sekundärliteratur bei der Analyse bündnerromanischer Gedichte vornehmlich die deutsche Metrik herangezogen wird.

5 Dies gilt selbstverständlich auch für andere Teildisziplinen bzw. Teilbereiche der Metrik wie die historische, deskriptive und angewandte Metrik (u.a. Wagenknecht 2007:15).

6 Vgl. u.a. Hartmann (1906 und 1908), Maxfield (1938), O. Peer (1964), Deplazes (1991) und Walther (1993).

7 So entstand auch Muoths Idyll Las spatlunzas während der Studienzeit in München. In der St.

Galler-Zeitung (12.11.1872) schreibt der Rezensent: «Die Verse lassen sich ausserordentlich leicht scandiren und sind für die Rhätoromanen Bündens wahrscheinlich nicht schwerer im rythmischen Takt zu lesen, als für uns die Idyllen von Voss, mit welchen sie wohl in der Dichtungsart Verwandschaft haben.» (Muoth 1997b:25).

8 Riatsch schreibt zu Huonders Il pur suveran (1863-65): «Cun sias 4 strofas da 4 vers giambics (cun 4 u 3 silbas accentuadas, en alternanza regulara) correspunda questa chanzun a la furma da standard da la chanzun populara.» (2002:116).

9 Vgl. dafür Muoths, Al pievel romonsch: «Stai si! defenda» (1997a:75f., v. 1), welches auf der Grundlage des Liedes Der Sängerbund, «Wacht auf, ihr Lieder» (v. 1) entstand. Ausführlicheres dazu in Deplazes (1988:19-31) und Muoth (1997b:127-152).

10 Vgl. Wagenknecht (2007:70-75) und Moennighoff (2004:39-42; insb. S. 41), ferner unten Kap. 5.4.

11 Vgl. jeweils die Nachbemerkung des Autors zu den zwei Gedichtbändchen. Vgl. auch Caduff (2004:24ff.).

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Auf diese Weise verfährt z.B. Walther (1993:211-235) in ihrer Analyse bündnerromanischer Sonette. Als typisches Versmass der Sonettform gelten demzufolge die elfsilbigen Zeilen bzw. die jambischen Fünffüssler (1993:211). Dieses einseitige Vorgehen erweist sich zumindest für einzelne Dichter als problematisch. Als Beispiel sei das metrisch analysierte Sonett Lansels Iris florentina (1993:215-217) genannt. Während Walther zum Schluss kommt, dass «in der Hälfte der Zeilen die metrische Füllung nicht in Ordnung» sei (1993:215), zeigt Fasani in einer fast zur gleichen Zeit erschienenen Analyse zur Metrik Peider Lansels, dass dieses Sonett durchaus den Regeln der italienischen Metrik entspricht und als regelmässig bezeichnet werden kann (1992/93).

Fasanis weitere metrische Analysen von Gedichten Lansels lassen ferner vermuten, dass die italienische Metrik bei einzelnen, vor allem engadiner Dichtern12, eine grössere Rolle spielt, als bisher angenommen wurde. Bei seinen Analysen bedient er sich der metaphorischen Unterscheidung zweier Begriffe aus dem Sonett Iris florentina (Lansel 1966:25), den «fluors» (v. 8) und der «ragisch» (v. 10). Über die «fluors» im Werk Lansels hält Fasani Folgendes fest: «I ‚fiori’ sono le varie forme che il Lansel prende dalla poesia toscana: prima fra tutte, il sonetto […]; poi lo stornello; poi la terzina; poi la sestina lirica; e infine il verso sciolto.» (1992/93:4f.). Neben den gerade genannten Gedicht- und Strophenformen interessiert er sich vor allem für ‚die Wurzel’ dieser Formen:

Ma ben altra portata ha quella che chiamo la ‚radice’, cioè la forma segreta. Anzitutto, essa risiede nella preferenza data all’endecasillabo, […] Poi, e soprattutto, la

«radice» sta nel modo in cui il Lansel usa questo verso, che non corrisponde al Blankvers o al fünffüssiger Jambus delle letterature germaniche, ma rimane una tipica creazione di quelle romanze […] (1992/93:5)

Für diese Versform geht Fasani also klar von einer Leseweise nach italienischem Muster aus und bringt dies folgendermassen auf den Punkt: «Ora, il poeta romancio che interrompe in modo deciso, ma senza divenire per questo un caposcuola, la tradizione del verso giambico, è appunto il Lansel.» (1992/93:6). Fasani verdeutlicht seine Aussage, dass Lansel mit der Tradition des jambischen Verses gebrochen habe, mit Beispielen zu vier «endecasillabo»- Typen 13 aus Lansels Gedicht Il vegl chalamer (1966:7-11), welche sich von der gewöhnlichen jambischen Lesart nach deutschem Muster unterscheiden14. Was Fasani hier für den «endecasillabo» an Lansels Gedichten ausführt, müsste einerseits auf die anderen italienischen Versformen (z.B. «settenario», «ottonario», «novenario») und andererseits auf

12 Dies lässt sich damit erklären, dass es sich bei den meisten engadiner Dichtern um sogenannte Randulins, Emigranten, handelt, die entweder ihre Kindheit in Italien verbrachten z.B. Peider Lansel (Maxfield 1938:146) oder sich arbeitshalber in Italien aufhielten und somit dem Italienischen näher standen als dem Deutschen. So veröffentlicht S. Caratsch neben seinen auf Puter verfassten Gedichten auch neun Gedichte auf Italienisch. Vgl. die letzte Sektion mit dem Titel Poesie italiane in seinem ersten Gedichtband Poesias umoristicas e populeras (1865:135-150).

13 Es handelt sich um folgende vier Typen: «endecasillabo» 1. «di 3a [e 6a]», 2. «di 7a», 3. «di 6a e 7a» und 4. «di 4a e 5a» (1992/93:7-12).

14 Die Frage, warum bei Maxfield (1938), die in persönlichem Kontakt mit dem Dichter stand, die Rede von «blank verse» (1938:190) ist, bleibt hingegen weiterhin offen.

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mehrere Dichter ausgeweitet werden, um genauere Aussagen zum Einfluss der italienischen Metrik machen zu können.

Wenn Fasani Recht hat, wäre Zaccaria Pallioppi (1820-1873) in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Denn seine metrischen Anmerkungen im Band Poesias I. Seguonda ediziun (1868a) und Poesias III (1868b) deuten sowohl auf einen Einfluss einer antiken, fussmessenden (1868a:41-43; 1868b:53-56) als auch auf einen Einfluss deutscher und italienischer Metrik hin. Pallioppi gibt darin u.a. eine genaue Beschreibung des Aufbaus des Hexameters und Pentameters mit den möglichen Zäsuren und den Ersetzungsmöglichkeiten eines Fusses durch einen anderen.

Als Beispiel für die Nachbildung eines antikisierenden Metrums soll an dieser Stelle Pallioppis Ode All’Elvezia angeführt werden, deren metrisches, d.h. asklepiadeisches Schema, im Gedichtband nach dem Titel abgedruckt wurde15:

All’Elvezia.

–  –   – | –   –  – –  –   – | –   –  – –  –   – 

–  –   –  –

Grand sarò l’univers, be ün atom in quel, Mamma terra, sarost, bel e glüschaint però;

Rer asil d’üna rera

Glieud, chi mê nun bütschet il giuf. (1868b:13-15)

Für die aus dem Italienischen stammende Sonettform spricht Pallioppi von einem «metro jambic», welches diese kennzeichne, und zitiert August Wilhelm Schlegels berühmtes poetologisches Gedicht Das Sonett (1868a:44-46; siehe in dieser Arbeit auch Kap. 5.3.3).

Mögliche Einflüsse der italienischen Metrik lassen sich bei Pallioppi in den Formen der

«terzina dantesca» und der «octava calabraisa» (1868b:56-58) nachweisen.

Im Unterschied zur italienischen Metrik scheint der Einfluss der französischen Metrik auf die bündnerromanische Lyrikproduktion gering zu sein. Neben dem Alexandriner, der jedoch meistens indirekt über die deutsche Tradition eingeführt wurde, sind es am ehesten einzelne Gedichtformen wie z.B. das Rondeau, welche auf die französische Tradition hinweisen. Alfons Tuor z.B. macht von beiden Gebrauch, so vom Alexandriner in den Gedichten Ils zens (En alexandrins) (1898:213) und Sin la pézza (Sonnet en alexandrins) (1898:230)16 oder von der Gedichtform des Rondeaus in Rondeau sil rondeau (1898:233f.).

In seiner letzten Gedichtpublikation in den Annalas da la Societad Retorumantscha (ASR) 15 schreibt Tuor zudem: «Las poesias suondontas ein u en fuorma ne metrum tuttas differentas

15 Neben Pallioppi notieren auch andere bündnerromanische Dichter ab und zu das Metrum eines Gedichts durch Versfussnotation (siehe Kap. 3.2.3). Meistens geschieht dies oberhalb der ersten Verszeile wie die Autographen G.H. Muoths, Gian Caldar (1997b:414), A. Tuors, Il semnader (im Nachlass des Dichters) oder G. Fontanas (1966:6) verdeutlichen.

16 An dieser Stelle wurden in den ASR 12 die Titel zweier Gedichte vertauscht, vgl. Bab e fegl (1898:230) und Sin la pézza (1898:233).

(15)

in da l’autra. Pliras fuormas ein cheu applicadas per l’emprema gada el lungatg sursilvan.»

(1901:135). Diese Aussage deutet auf den hohen Stellenwert der Form bei diesem Dichter hin.

Trotz der aufgezeigten Einflüsse der italienischen und französischen Metriktradition kann für die bündnerromanische Dichtung davon ausgegangen werden, dass die deutsche Metrik auf sie den grössten Einfluss ausgeübt hat, ist doch das Deutsche für die meisten bündnerromanischen Dichterinnen und Dichter die erste Kontaktsprache.

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3 Metriktheorien

Wie aus Kapitel 2 hervorgegangen ist, müssen für die metrische Analyse bündnerromanischer Gedichte zwangsläufig Metriken anderer Sprachen hinzugezogen werden. Dieses Kapitel widmet sich deshalb ausgewählten metrischen Ansätzen, die aus der deutschen, italienischen und französischen Metrikologie stammen und auch für die Analyse der Gedichte Peers von Relevanz sein können. Da die Bestimmung des metrischen Typs immer auch von der Sprache abhängt, müssen zunächst jedoch einige grundlegende Überlegungen zum Verhältnis von Sprache und Metrum vorausgeschickt werden. Ferner soll Jakobsons einflussreiche Unterscheidung verschiedener Abstraktionsebenen beim Vers, die sprach- und literaturübergreifende Gültigkeit hat, dargelegt werden.

3.1 Theoretische Grundlagen

Im Zusammenhang mit Metrik bzw. Metrum ist immer auch von Sprache die Rede. In der Sekundärliteratur wird auf die kausale Abhängigkeit des Metrums von der Phonologie der Sprache immer wieder hingewiesen (Baehr 1996:437; Wagenknecht 2007:33). Die Struktureigenschaften einer Sprache sind es, die das Metriksystem wesentlich bestimmen.

Für das Italienische formuliert es Menichetti so:

Il metro ha il suo fondamento nella lingua: i tratti costitutivi della sua fisionomia sono quelli della lingua portatrice, le sue figure sono la stilizzazione di procedimenti linguistici, così come linguistici sono quei tratti a cui il metro assegna una speciale rilevanza strutturandoli secondo moduli propri. […] Lingua e metro sono così indissolubilmente legati (Menichetti 1993:60f.)

Der Sprach-Typ muss somit immer auch in Betracht gezogen werden, will man näheres über den Metrik-Typ aussagen.

In der Phonetik wird auf der Basis der Prosodie zwischen silben- (syllable-timed) und akzentzählenden (stress-timed) Sprachen unterschieden (siehe Auer 2001:1391-1399)17. So tendieren nach der Isochroniehypothese in den silbenzählenden Sprachen die Zeitabstände von einem Silbenbeginn zum nächsten dazu, gleich (isochron) zu sein, in den akzentzählenden Sprachen sind es hingegen die zeitlichen Intervalle von einem Akzent zum nächsten (2001:1391f.). Als typisch silbenzählende Sprachen gelten das Italienische und Spanische18, exemplarisch für akzentzählende Sprachen werden hingegen das Deutsche, Englische, Russische und Portugiesische angeführt (ibd.). Laut Auer hat sich die ursprüngliche dichotomische Unterscheidung zwischen Silben- und Akzentssprachen im

17 In neuerer Zeit wird z.B. für das Japanische ein dritter, morenmetrisierter Typ angenommen (2001:1392). Bussmann definiert die «More» folgendermassen: «Phonologische Masseinheit für eine kurze Silbe, die aus einem kurzen Vokal und höchstens einem Konsonanten besteht.» (2002:448).

18 Ähnliches gilt höchst wahrscheinlich auch für das Französische, das bei Auer (2001) nicht aufgeführt ist. Als Beispiel einer Silbensprache wird es dafür neben dem Italienischen und Ungarischen bei Bussmann erwähnt (2002:63f.).

(17)

Laufe der Zeit zu einer skalaren gewandelt (2001:1393). Man kann deshalb nicht mehr davon ausgehen, «dass Sprachen entweder dem einen oder dem anderen Typ angehören;

vielmehr sind vielerlei Zwischenstufen möglich» (2001:1398).

In ähnlicher Art und Weise unterscheidet Mellmann (2007:90-95) für die Versanalyse zwischen sogenannten Gewichtssprachen, d.h. Quantitäts- und Akzentsprachen (z.B.

Lateinisch, Deutsch), und nicht-gewichtssensitiven Sprachen wie dem Französischen.

Während im Deutschen die Silbenqualität (betont und unbetont) relevant sei, habe diese für das Französische keine prosodische Relevanz (2007:90). Der klassische französische Alexandriner sei daher allein durch die Silbenzahl (12 bzw. 13 Silben je nach Endreim) und durch die Zäsur nach der sechsten Position definiert (siehe Kap. 3.4). Die prosodischen Unterschiede innerhalb der verschiedenen Sprachen, aber auch Sprachstufen (z.B. das quantitierende Alt- und Mittelhochdeutsche vs. das akzentuierende Neuhochdeutsche) machen also deutlich, dass «die jeweils spracheigentümliche Prosodie für eine ‚natürlich’

sich in dieser Sprache entwickelnde bzw. langfristig sich durchsetzende Metrik» (2007:92) von Bedeutung ist. Wenn metrische Schemata von einer Sprache in eine andere entlehnt werden, müssen solche Sprachunterschiede demnach berücksichtigt werden 19 . Im Zusammenhang mit den Begriffen «gewichtssensitive» und «nicht-gewichtssensitive»

Sprachen bleibt m.E. anzumerken, dass die Tendenz zur Tonik oder Syllabik keine feste, sprachbedingte Eigenschaft ist, sondern dass einer Sprache beide Möglichkeiten innewohnen. Im Zentrum steht also immer die Frage nach der jeweiligen Dominanz.

Wie wichtig es ist, die entsprechenden prosodischen Merkmale einer Sprache bei der metrischen Analyse zu berücksichtigen, verdeutlicht folgendes Zitat von Frey zu den Freien Versen bzw. zum Verszerfall:

Dass die Auflösung der strengen metrischen Gesetze nicht wie in Frankreich als eine Bedrohung des Verses gedeutet wurde, hängt mit den andersartigen Voraussetzungen des deutschen Versbaus zusammen. Der französische Vers ist hauptsächlich durch die Silbenzahl bestimmt und dadurch viel prekärer als der deutsche, der von den Akzenten lebt. Der rhythmisch schwächer ausgeprägte französische Vers ist deshalb auch in höherem Masse als der deutsche auf den Reim angewiesen, der dazu beiträgt, ihn fassbarer abzugrenzen, als dies sonst geschehen könnte. (Frey 2000:34)

Der von Frey festgestellte Unterschied zwischen dem französischen und dem deutschen Vers ist somit auch für das Beispiel des Verszerfalls von besonderer Relevanz, so wenn es wie hier um den Verzicht des verskonstitutiven Elements «Reim» geht20.

19 Mellmann verweist aus Sicht der historischen Metrik ferner auf «das Problem des musikalisch bedingten Metrums» (2007:92). In diesem Fall dürften metrische Besonderheiten älterer Texte nicht nur prosodisch zu erklären sein, sondern auch aufgrund damaliger musikalischer Konventionen, nach welchen der Text vorgetragen wurde (ibd.).

20 Auf die Rolle der sprachlichen Unterschiede weist auch Jakobson hin: «Der vers libre ist eine internationale Erscheinung, die in den letzten Jahrzehnten in mehreren Literaturen aufgekommen ist.

Es genügt aber, den russischen und den französischen freien Vers zu vergleichen, um sich zu

(18)

Die sprachtypologische Unterscheidung spiegelt sich auch in den verschiedenen Metrik-Typen. Ein typologischer Ansatz, welcher die prosodischen Konstituenten der Sprache als Ausgangspunkt für die Beschreibung verschiedener Versifikationssysteme nimmt, ist John Lotz’ Aufsatz Metric Typology (1960 und 1972):

Metric Types:

A. Simple B. Complex

Metric relevancy: Syllabicity. Metric relevancy: Syllabicity and Prosodics.

Metric unit: Syllable. Metric unit: Base.

Numerical regularity: Number. Numerical regularity: Number and Position.

(Example: Hungarian folk poetry)

a. Tonal: frequency-defined b. Dynamic: energy-defined c. Durational: time-defined Base classes: 1. Even. Base classes: 1. Heavy. Base classes: 1. Long.

2. Changing. 2. Light. 2. Short.

(Example: Chinese) (Examples: English and German) (Examples: Classical Greek and Arabic)

Abbildung 1: Metric Typology von Lotz (1972:16)

Lotz (1972:13-16) geht von einem (einfachen) syllabischen Typ und mehreren (komplexen) syllabisch-prosodischen Verstypen aus: (A) Alleiniges Kriterium des einfachen syllabischen Typs ist die Silbenhaftigkeit der Sprache. Lotz verweist für diesen Typ auf die ungarische Volksdichtung. (B) Die syllabisch-prosodischen Verstypen haben zusätzlich zum Kriterium der Silbenhaftigkeit jeweils noch eine zusätzliche prosodische Eigenschaft:

(a) Der tonale Typ kennzeichnet sich durch die zusätzliche Eigenschaft des Tonverlaufs (eben und nicht-eben) aus. Beispiel für diesen Typ ist die chinesische Dichtung.

(b) Der dynamische Typ weist als zusätzliches Merkmal zwei Akzentklassen (schwer und leicht) auf. Zu diesem Typ gehören die englische und deutsche Dichtung.

(c) Der quantitierende Typ hat als zusätzliches Kriterium die Silbenquantität (lang und kurz).

Als Beispiele können die klassische griechische und die arabische Dichtung angeführt werden (siehe Küper 1988:253).

Wenn also in den entsprechenden Metriken für das Deutsche von einem akzentuierenden Prinzip, für das Italienische und Französische von syllabisch-rhythmischen Prinzipien ausgegangen wird (vgl. Kap. 3.2, 3.3 und 3.4), so sind dennoch beide Prinzipien Lotz’ komplexem, dynamischem Verstyp (B.b) zuzuordnen, jeweils mit unterschiedlicher Dominanz von Tonik und Syllabik.

überzeugen, wie grundverschieden diese Formen sind, eben weil die entsprechenden sprachlichen Strukturen verschieden sind.» (Jakobson 1988:63).

(19)

Da die sprachspezifischen Besonderheiten des Bündnerromanischen kaum erforscht sind21, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschliessend diskutiert werden, ob es sich beim Bündnerromanischen bzw. seinen fünf verschiedenen Idiomen22 tendenziell eher um Silben- oder Akzentsprachen handelt. Was die einzelnen Idiome betrifft, so ist ferner – sowohl aus synchronischer wie diachronischer Sicht – mit unterschiedlichen Verteilungen und Verschiebungen zwischen den beiden Polen «Akzent-» vs. «Silbensprache» zu rechnen. Für das Surselvische lassen die zahlreichen Alternanzen im Vokalismus des Verbalsystems (Verbalstamm des Präsens, z.B. «cantár» -> «cónta») eine nicht unbedeutende Rolle des Akzents vermuten. Im Vallader ist diese Alternanz weniger häufig («chantár» -> «chánta»), was sich auch auf den Stellenwert des Akzents in diesem Idiom auswirken dürfte.

Ausgehend vom Rückläufigen Wörterbuch des Surselvischen/Dicziunari Invers dil Romontsch Sursilvan (DIRS) (1988) wurde in einer Seminararbeit die Akzentuierung des surselvischen Wortschatzes untersucht (Degonda/Tambornino 1990). Für jeden Endbuchstaben A-Z wird die Anzahl Wörter angegeben, welche auf der letzten, zweit-, dritt- bzw. viertletzten Silbe betont sind. Wenn man die Zahlen der entsprechenden Endungen zusammenzählt, kommt man zu folgendem Ergebnis:

endbetonte Wörter: 14766 Wörter

Wörter, die auf der zweitletzten Silbe betont sind: 9445 Wörter Wörter, die auf der drittletzten Silbe betont sind: 351 Wörter Wörter, die auf der viertletzten Silbe betont sind: 13 Wörter

Es wäre jedoch falsch aufgrund dieser Zahlen darauf zu schliessen, dass eine Charakteristik des surselvischen Verses dessen ausgeprägte Endbetonung sei. So gibt es für die Endung auf «-r» bzw. «-ár» (z.B. «cantar») im Surselvischen 2906 Nachweise. Davon machen jedoch nicht weniger als 2904 Infinitivendungen von Verben der 1. Konjugationklasse aus23 (1990:20). Finite Verbalformen werden in dieser Aufstellung nicht berücksichtigt. Diese sind jedoch in der Lyrik sicherlich von ebenso grosser Bedeutung wie die infiniten Verbalformen.

Wichtiger als eine sprachtypologische Zuordnung des Bündnerromanischen bzw.

seiner Idiome zu einem der oben genannten Sprach-Typen scheint im Fall der Metrik einer Kleinliteratur wie jene des Bündnerromanischen vielmehr der direkte Einfluss der

21 Nach Liver (2010:41) fehlt eine «umfassende Beschreibung des heutigen Bündnerromanischen auf dem Stand der aktuellen Forschung». Ausserdem sind «ganze Bereiche […] entweder mangelhaft (so Syntax und Wortbildung) oder überhaupt nicht bearbeitet (Semantik, Intonation)» worden (ibd.).

22 Im Gegensatz zu den zahlreichen Regional- und Ortsdialekten haben die Idiome, die ein bestimmtes Dialektgebiet vertreten, einen Status als Schriftsprachen. Siehe für weitere Informationen Liver (2010:43ff. und 93ff.).

23 Bei den beiden anderen Nachweisen handelt es sich um «cár» als Adjektiv und als Nomen. Im DIRS und dementsprechend auch in der Seminararbeit nicht berücksichtigt ist der Nachweis für «bar»

(«die Bar»). Auch wenn die Angaben für eine weitere Verwendung überprüft werden müssten, können sie an dieser Stelle als Indikatoren von Tendenzen herangezogen werden.

(20)

Nachbarliteraturen zu sein. Diese haben nicht nur die bisherigen metrischen Analysen bündnerromanischer Lyrik (Kap. 2) bestimmt, sondern hatten auch einen Einfluss auf das Verfassen der Gedichte. So kann dieser Einfluss z.B. für Zaccaria Pallioppi anhand seiner eigenen Anmerkungen zu den Gedichten nachgewiesen werden (vgl. Kap. 2). Dabei ist für die bündnerromanische Lyrik hauptsächlich von Einflüssen deutschen und italienischen Ursprungs auszugehen. Für Peer als Romanist ist ferner mit einem Einfluss seiner französischen Lektüren und somit der französischen Metrik zu rechnen24.

Als grundlegenden Beitrag für die vergleichende Metrik kann Jakobsons Unterscheidung zwischen verschiedenen Abstraktionsebenen des Verses gelten. In Linguistics and Poetics (1960) 25 erschienen, ist diese Unterscheidung neben den Ausführungen zum Kommunikations- und Funktionsmodell der Sprache fast ein wenig untergegangen. In der Metriktheorie (u.a. Wagenknecht 1981/2007; Küper 1988; Menichetti 1993; Gouvard 2000a;

Donat 2007) wird aber dennoch immer wieder an Jakobsons Unterscheidung zwischen

«verse design» – «verse instance» bzw. «delivery design» – «delivery instance» (Jakobson 2007:181-185) angeknüpft:

Das Metrum – oder expliziter: der Verstyp [verse design] – ist durchaus kein abstraktes Schema der Theorie, sondern die Grundlage jeder einzelnen Zeile – oder, mit einem logischen Terminus, jeder einzelnen Versrealisierung [verse instance]. Typ und Realisierung gehören als Begriffe zusammen. Der Verstyp legt die invarianten Eigenschaften der Versrealisierungen und die Grenzen für die Variationen fest.

(Jakobson 2007:181)

Ausgangspunkt jeder Versrealisierung ist also immer ein bestimmter Verstyp. Zwischen diesen beiden Stufen metrischer Abstraktion spielt sich denn auch das für die Versifikation grundlegende Verhältnis von Invarianz und Variation ab26.

Analog zu «Verstyp» und «Versrealisierung» wird auf der Ebene des Versvortrags zwischen «Vortragstyp» und «Vortragsrealisierung» (2007:185) unterschieden27. Jakobson hat dafür die beiden Begriffe «delivery design» und «delivery instance» geprägt. Für den Bereich der Versifikation sind jedoch nur der Verstyp und die Versrealisierung von

24 Ein diesbezüglicher Einfluss der französischen Metrik könnte vor allem auf der Versebene, im Spezifischen für die Versform des Alexandriners, zu erwarten sein.

25 Für die Publikationen und die bestehenden Übersetzungen dieses Beitrags siehe Jakobson (2007:155).

26 Nach Holenstein/Schelbert (1979:83) ist das Verhältnis Invarianz – Variation als «methodologisches Prinzip bei der Aufklärung der Beziehung zwischen Idee und Realisation (z.B. einem allgemeinen Verstyp und einer einzelnen Instanz eines solchen Typs) einerseits und der Produktion und Rezeption eines dichterischen Textes (z.B. dieser einzelnen Versinstanz und ihren verschiedenen Rezitationen) andererseits» zu berücksichtigen.

27 Vgl. Jakobson (2007:185): «In acht nehmen müssen wir uns vor den binären Vereinfachungen, die zwei Paare in einen einzigen Gegensatz pressen, indem sie entweder die hauptsächliche Unterscheidung zwischen Verstyp und Versrealisierung (und auch die zwischen Vortragstyp und Vortragsrealisierung) fallen lassen oder fälschlich Vortragsrealisierung und Vortragstyp mit Versrealisierung und Verstyp gleichsetzen.»

(21)

Interesse28, währenddem der Vortragstyp und die Vortragsrealisierung zur Ebene der akustischen Realisation gehören (Jakobson 2007:183).

Die strenge Unterscheidung zwischen der Ebene des Verses und jener des Vortrags ist auch der Grund, weshalb die sowohl aus Sicht des Vortragstyps als auch der Vortragsrealisierung durchaus interessanten Aufnahmen der Gedichtrezitationen Peers (Ganzoni (ed.) 2008a) in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden.

Jede Sprache hat im Laufe ihrer Literaturgeschichte ein ihr entsprechendes eigenes metrisches System ausgebildet. Deshalb sollen hier überblicksmässig die einzelnen Systeme der Nachbarsprachen, von denen auszugehen ist, dass sie einen Einfluss auf die bündnerromanische Metrik gehabt und immer noch haben, vorgestellt werden.

3.2 Deutsche Metrik

Im Folgenden sollen einige wichtige metrische Modelle mit vorwiegender Relevanz für die deutsche Lyrik vorgestellt werden. Im Fokus soll dabei die Frage nach den primären Verskonstituenten und deren Anordnungsprinzipien stehen. Bei der Auswahl wurde neben der Aktualität der Theorie im Speziellen deren Eignung für die spätere Anwendung auf das Gedichtkorpus Andri Peers berücksichtigt. Aus der Fülle der in den 1980er Jahren erschienenen Metriken29 zum Deutschen sollen deshalb zunächst Wagenknechts (1981) und Küpers (1988) metrische Modelle näher vorgestellt werden30. Wagenknechts metrische Typologie ist für diese Arbeit besonders interessant, da sie es erlaubt, die Charakteristika verschiedener metrischer Systeme zu berücksichtigen und miteinander zu vergleichen.

Gegenüber Wagenknechts Metrik eher kritisch eingestellt ist Küper (1988). Das von ihm vorgeschlagene Drei-Ebenen-Modell bietet einige nützliche Begriffspezifizierungen und regt zu weiteren metrischen Überlegungen an.

Neueren Datums sind die Studien Mellmanns (2007 und 2008)31 und Donats (2007).

Mellmanns Verdienst ist es, neu gewonnene Erkenntnisse auch aus dem Bereich der kognitiven Poetik (insbesondere Tsur 1998) für die deutsche Metrik fruchtbar gemacht zu haben (Kap. 3.2.3). Donat schliesslich entwickelt unter Einbezug von Überlegungen Jakobsons und Küpers ein fünfstufiges Modell der metrischen Abstraktion (Kap. 3.2.4).

28 Vgl. Gouvard (2000a:25): «C’est bien entendu à ces seuls objets [verse design et verse instance, R.C.], c’est-à-dire le modèle de vers et ses «exemples», que le métricien doit s’intéresser.»

29 Vgl. auch Asmuth (1972/71984), Arndt (1981/121990), Breuer (1981/41999), Albertsen (1984/21997) und Behrmann (1989).

30 In den letzten Jahren sind zahlreiche ältere Werke zur deutschen Metrik neu aufgelegt worden. So ist z.B. Wolfgang Kaysers Kleine deutsche Versschule (11946) im Jahre 2002 in 27. Auflage erschienen oder Christian Wagenknechts Deutsche Metrik (11981) 2007 in 5., wenn auch erweiterter, Auflage herausgekommen.

31 Spezifisch zur Gattungsfrage bzw. zu Begriffen wie «Gedicht» und «Lyrik» haben sich schliesslich Lamping (1989/32000 und 1991/2008) und Zymner (2009) geäussert. Darin finden sich ferner nützliche bibliographische Hinweise zur aktuellen Diskussion.

(22)

3.2.1 Metrische Typologie (Wagenknecht 1981)

Stellvertretend für andere in denselben Jahren erschienenen Metriken soll in dieser Arbeit diejenige Wagenknechts (1981/52007) herangezogen werden32. Wie oben erwähnt, erlaubt sie es, die Charakteristika verschiedener metrischer Systeme miteinander zu vergleichen.

Ausgehend von Jakobsons Vorschlag (Kap. 3.1) zwischen «verse instance» und «verse design» klar zu trennen, unterscheidet Wagenknecht zwischen der Realisation des einzelnen Verses und dessen Metrum33. Im Vergleich zur lautlichen und graphischen Realisation des Verses («delivery instance») bildeten diese beiden Grössen relativ ‚abstrakte’ Gegenstände (2007:16)34. Ein Verstext bestehe einerseits aus «sprachlichen Konstituenten» (2007:17), die der Prosodie angehörten, andererseits aus Versifikationsregeln «über die Anordnung der prosodisch bestimmten Konstituenten» (ibd.)35. Prosodisch wird die Silbe als «wichtigste phonetische Einheit des Textes» (2007:18) in Äquivalenzklassen eingeteilt, wobei Wagenknecht mit drei verschiedenen Möglichkeiten rechnet: (1) alle Silben sind gleich und gehören einer einzigen Äquivalenzklasse an; (2) die Silben können nach «‚prosodischen’

Merkmalen» wie «schwer» vs. «leicht» verschiedenen Äquivalenzklassen angehören; (3) die Silben können aufgrund «‚inhärenter’ (oder ausserdem ‚prosodischer’) Merkmale» in verschiedene Klassen bzw. Reimgruppen eingeteilt werden (2007:18ff.). Je nach Art der Prosodie unterscheidet Wagenknecht deshalb zwischen folgenden drei Arten der Versifikation (2007:20ff.):

(1) Im Falle einer Prosodie, die die Silben nur als solche bestimmt, unabhängig davon, wie sie im einzelnen beschaffen sind, regelt die Versifikation die Anzahl der Silben im Vers. Diese Verse sind dann nach Silben gezählt.

(2) Wenn die Prosodie die Silben nach ‚prosodischen’ Merkmalen klassifiziert, dann regelt die Versifikation Anzahl und Abfolge der Elemente dieser Klassen im Vers. Die Verse sind nach Grössen (Lotz: «bases») geordnet.

(3) Im Falle einer Prosodie, die die Silben nach ‚inhärenten’ Merkmalen in Reimgruppen zusammenstellt, regelt die Versifikation die Stellung einander

32 Vorwiegend auf Wagenknechts Typologie beziehen sich Moennighoff (2004 und 2008) und Zymner 2009:60f.).

33 Der Rhythmus bezeichnet nach Wagenknecht hingegen «die Art und Weise […], in der irgendein Metrum jeweils behandelt wird.» (2007:17). Küper (1988) weist darauf hin, dass Jakobsons «verse design» eine «Realisierungsform eines Metrums, die für eine bestimmte Periode typisch oder gar normativ» (1988:106) sei, bezeichne. Beim «verse design» handle es sich somit um eine «Abstraktion niedrigerer Stufe als das abstrakte metrische Schema» (1988:106). Fälschlicherweise sei in der Jakobson-Rezeption aber häufig das «verse design» mit dem abstrakten metrischen Schema oder Versmass identifiziert worden, wie dies z.B. bei Wagenknecht (2007:15f.) der Fall sei (1988:106).

34 Vgl. Wagenknecht: «Ebensowenig wie mit seinem Metrum darf der einzelne Vers mit irgendeiner seiner phonetischen oder graphischen Realisationen, im Vortrag oder im Druck, verwechselt werden – schon darum nicht, weil diese Realisationen («delivery instances» nach Jakobson) je nach Massgabe des Verses für mehr oder minder ‚angemessen’ und im Extremfall auch für ‚fehlerhaft’ müssen gelten können.» (2007:16).

35 Vgl. März «Seine Bauform [des Verses, R.C.] ist bestimmt durch die Prosodie nach der Seite des Sprachmaterials (z.B. Länge, Kürze, Hebungsfähigkeit von Silben) und die Versifikation nach der Seite der Metrik.» (2003:761). Für die Bedeutung und Definition des Worts «Prosodie» vgl. auch Küper (1988:76).

(23)

entsprechender Elemente im Vers. Dann sind die Verse nach Reimen gebunden.

(Wagenknecht 2007:20)

Diese Arten der Versifikation bzw. Verskonstituenten – (1) Silbenhaftigkeit, (2) Versfüsse, (3) Reim – können je nach Metrik einzeln oder kombiniert vorkommen. Daraus ergeben sich folgende Kombinationsmöglichkeiten. Wagenknecht spricht dabei von einer metrischen Typologie und ihren entsprechenden Metrik-Typen:

nach Silben

gezählt nach Grössen

geordnet nach Reimen

gebunden

(1) + – –

(2) – + –

(3) – – +

(4) + + –

(5) + – +

(6) – + +

(7) + + +

Tabelle 1: Metrische Typologie nach Wagenknecht (2007:30f.)

Im Anschluss an diese Kreuzklassifikation führt Wagenknecht für jeden dieser sieben Metrik- Typen (2007:31ff.) Beispiele an. Für das Textkorpus Peers sind insbesondere die Typen (4), (5) und (7) von Bedeutung. Dem Typus (4) entspricht in der deutschen und englischen Literatur der Blankvers. Typus (5), der durch Silbenzählung und Reimbindung charakterisiert ist, findet eine ausgeprägte Verwendung in der italienischen und französischen Lyrik. Typus (7), bei dem alle drei Versifikationsarten vorhanden sind, entspricht in der deutschen Literatur der Barockdichtung und grosser Teile der nachfolgenden ‚volksliedhaften’ Dichtung.

Wagenknecht weist selbst darauf hin, dass seine Typologie der Versifikation im Vergleich zu anderen sprachwissenschaftlich orientierten Metriken (vgl. Lotz 1960; 1972 und Küper 1988) Neuerungen beinhalte, so der Umstand, dass die Reimbindung als grundlegende Verskonstituente angesehen werde (2007:21).

3.2.2 Drei-Ebenen-Modell (Küper 1988)

In seinem linguistisch perspektivierten Ansatz entwickelt Küper ein dreistufiges Modell metrischer Abstraktion. Sein Drei-Ebenen-Modell sieht folgende Ebenen bzw. Stufen der metrischen Abstraktion vor:

Abbildung 2: Drei-Ebenen-Modell nach Küper (1988:149)

(24)

Das metrische Schema wird als «komplexe, abstrakte metrische Einheit» (1988:109) durch die Verszeile realisiert. ‚Komplex’ ist das Schema deshalb, da es sich als Folge metrischer Einheiten konstituiert, die wiederum aus Untereinheiten bestehen können, z.B. werden Versfüsse von Hebungen und Senkungen gebildet (ibd.). ‚Abstrakt’ ist das Schema, da es

«zunächst einmal unabhängig von jeder sprachlichen Realisierung zu denken» (1988:110) ist. Den Unterschied zwischen der ersten und zweiten Ebene, d.h. zwischen dem metrischen Schema und seiner sprachlichen Realisierung, illustriert Küper am Beispiel der Zuordnungsproblematik von Position (= metrische Einheit, zum metrischen Schema gehörend) und Silbe (= sprachliche Einheit, zur sprachlichen Realisierung zählend). Die damit einhergehenden Schwierigkeiten sind insbesondere für silbenzählende Metriken wie die italienische und französische von Bedeutung (vgl. Kap. 3.3.1.3).

Die zweite Ebene, die sprachliche Realisierung, verdeutlicht die möglichen Versrealisierungen eines metrischen Schemas. Auf einer dritten Ebene können die verschiedenen sprachlichen Realisierungen eines metrischen Schemas schliesslich «durch eine beliebig grosse Zahl von Rezitationen […] akustisch aktualisiert» (1988:148) werden.

Die drei beschriebenen Ebenen stehen in einer hierarchischen Beziehung zueinander.

Folglich kann ein vorhandenes abstraktes metrisches Schema auf verschiedene Art und Weise sprachlich realisiert werden. Jede sprachliche Realisierung, d.h. der Wortlaut des Textes, kann wiederum verschiedentlich rezitiert werden. Küper weist jedoch darauf hin, dass diese Abhängigkeit nicht einseitig sei. So könne oft von einer «‚Spannung’» zwischen metrischem Schema und sprachlicher Realisierung die Rede sein. Die Rezitation könne dann «sozusagen auf die eine oder andere Seite schlagen oder einen Kompromiss zwischen beiden darstellen» (1988:149). Als typischen Kompromiss einer Rezitationsweise, die sich in einer Art ‚Zwischenbereich’ zwischen metrischem Schema und sprachlicher Realisierung abspielt, nennt Küper die «schwebende Betonung», während die Tonbeugung auf eine metrisch orientierte Rezitation hinweise (1988:150). Ferner bezeichnet Küper die verschiedenen Rezitationen als «eigene Analyseobjekte» (1988:151), welche im Schema der metrischen Abstraktion aber gerade darum berücksichtigt werden müssten, weil die jeweilige Rezitation sich entweder mehr nach dem metrischen Schema oder nach der entsprechenden sprachlichen Realisierung richten könne.

In einem Folgekapitel an die verschiedenen Stufen metrischer Abstraktion behandelt Küper die Beziehungen zwischen den metrischen Ebenen. Wichtige Kernprobleme, die darin herausgearbeitet werden, sind die Korrespondenzregeln, die zwischen dem metrischen Schema und seiner sprachlichen Realisierung bestehen36. Dabei wird zwischen den

36 Küper bezeichnet diese Korrespondenzregeln als «das eigentliche Kernstück der generativen Metrik» (1988:153).

(25)

Aspekten der «Metrikalität», der «metrischen Ambiguität» und der «Komplexität»

unterschieden (1988:153ff.).

Unter dem Begriff der «Metrikalität» (1988:156-167) differenziert Küper zwischen metrischen, unmetrischen und ametrischen Versen. «Metrisch» sei ein Vers, wenn er dem metrischen Schema einer bestimmten Gedichtform entspreche. Ein «unmetrischer» Vers hingegen verstosse gegen bestimmte metrische Regeln oder sei in einem anderen Metrum geschrieben. Nach Küper müsste man also einen korrekten trochäischen Vers innerhalb eines jambischen Gedichts als «unmetrisch» bezeichnen. Für sich betrachtet, sei er aber durchaus metrisch. Die ametrischen Verse würden schliesslich Prosa oder Verse bezeichnen, die überhaupt keinen metrischen Regeln entsprächen (1988:167). Küper betont des Weiteren, dass die Metrikalität nicht nur als «klassifikatorisches Prädikat» (1988:166) zu verstehen sei, durch welches Verse in Klassen «metrisch» vs. «unmetrisch» eingeordnet würden, sondern vor allem auch in ihrer graduellen Dimension von Bedeutung sei. Vor dem Hintergrund der Korrespondenzregeln der generativen Metrik (1988:152-156) könne der jeweilige Grad der Metrikalität bzw. Unmetrikalität bestimmt werden.

Von «metrischer Ambiguität» (1988:167-176) ist dann die Rede, wenn das Metrum eines Verses ohne Einbezug des Kontexts nicht eindeutig bestimmt werden kann (1988:167). So kann ein Vers wie:

Einmal kamen sie an eine Stadt

(Brecht, Kinderkreuzzug, Str. 27, zitiert nach Küper 1988:168) –  –  –  –  – (trochäisch)

         (akzentuierend)

sowohl trochäisch als auch akzentuierend (3 Hebungen) aufgefasst werden. Erst aufgrund des Kontexts wird deutlich, dass Brecht für sein Gedicht Kinderkreuzzug von einem akzentuierenden Versifikationstyp ausgeht.

Um mit der metrischen Ambiguität sinnvoll umgehen zu können, schlägt Küper eine weitere Darstellungsebene, den «metrischen Typ» (1988:172ff.) vor, welcher sich zwischen dem metrischen Schema und der sprachlichen Realisierung situieren lässt37. Bei dieser abstrakten Darstellung werden einzig eindeutig hervorgehobene Silben (Wortakzent sowie Phrasen- oder Satzakzent) markiert. Wichtig ist dabei, dass «die Zuordnung des Akzents […]

allein aufgrund der phonologischen Regeln der Sprache» (ibd.) erfolgt, währenddem das Metrum keine Rolle spielt38. Jedes metrische Schema kann durch verschiedene metrische Typen – d.h. der «Menge aller Verszeilen mit dem gleichen Akzentmuster» (1988:172) –

37 Sinnvollerweise müsste Küper also von einem Vier-Ebenen-Modell sprechen.

38 Gemäss Küper erlaubt insbesondere das Konzept der metrischen Typen eine «metrische Stilistik»

zu entwickeln. Siehe ferner für die Bestimmung des Akzentbegriffs Küper (1997:33f.): «Als ein rein sprachbezogener Begriff ist ‚Akzent’ strikt von dem metrischen Begriff Hebung zu unterscheiden. In welcher Weise Hebungen und Senkungen im Vers durch betonte und unbetonte Silben realisiert werden, gehört zum Untersuchungsbereich der Metrik» (hier S. 33).

(26)

realisiert werden, wobei es möglich ist, dass ein metrischer Typ verschiedenen metrischen Schemata angehören kann. Dies illustriert Küper an folgendem Beispiel Rilkes:

Zwar ist kein Hören heil in dem Durchtobtsein, doch der Maschinenteil will jetzt gelobt sein.

(Rilke, 18. Sonett aus Sonette an Orpheus, 2. Quartett, zitiert nach Küper 1988:170) Der metrische Typ dieser vier Verse, die jeweils nur eine einzige eindeutige Hebung aufweisen (Wortakzent der mehrsilbigen Wörter) ist somit zwei metrischen Schemata gemeinsam. Im vorliegenden Fall können die vier sprachlichen Realisierungen zwei verschiedenen metrischen Schemata angehören:

jambisches Schema:     () anapästisch-daktylisches Schema:     ()

Alle vier basieren sie aber auf dem gleichen metrischen Typ (vgl. auch Kap. 3.2.4):

metrischer Typ:      

Neben der Metrikalität spielt in Küpers theoretischen Ausführungen – dasselbe gilt auch für die Theorie der generativen Metrik – die «metrische Komplexität» (1988:176-252; vgl. auch Moennighoff 2004:24-31) eine ausschlaggebende Rolle. Komplexität wird dabei als graduelle Kategorie verstanden, welche es erlaubt zwischen Versen zu differenzieren, die das metrische Schema «sozusagen ‚rein’ realisieren» (1988:177) und solchen, die hingegen stark vom metrischen Schema differieren und deswegen als metrisch komplex zu bezeichnen sind. Die Kategorie der «metrischen Komplexität» ist laut Küper insbesondere für die zukünftige Annahme einer metrischen Stilistik von Interesse, deren Relevanz «für die metrische Stilanalyse einzelner Texte, des Werks individueller Dichter, bestimmter Perioden und/oder literarischer Textformen (Genres) sowie für die Datierung anonymer Texte oder die Bestimmung ihres Autors» (ibd.) klar erkennbar sei.

Im Anschluss an diese vor allem für die theoretische Diskussion grundlegenden Überlegungen zu den Ebenen metrischer Abstraktion und ihren Beziehungen untereinander schlägt Küper im Hinblick auf eine praktische Anwendung der Ergebnisse folgende Versifikationstypen für das Deutsche und Englische vor:

Versifikationstypen metrisch (numerisch) relevante Einheiten

einfach komplex

Position Hebung Fuss Takt

syllabisch + – – –

syllabotonisch + + + –

fussmessend – – + – akzentuierend – + – –

taktierend – – – +

Tabelle 2: Versifikationstypen des Deutschen und Englischen nach Küper (1988:257)

Die Versifikationstypen gründen auf Lotz’ Metric Typology (1972) (siehe Kap. 3.1). Gemäss Küper nimmt diese aber nur «auf sprachliche Eigenschaften» (1988:254) Bezug und eignet

(27)

sich vor allem dazu, die verschiedenen Versifikationssysteme einzelner Sprachen miteinander zu vergleichen. Für «eine angemessene Beschreibung verschiedener Versifikationsprinzipien innerhalb ein und derselben Sprache […] oder für den Vergleich zwischen Verstraditionen in verwandten Sprachen» (ibd.) reiche sie jedoch nicht aus.

Aus obiger Tabelle ist erkennbar wie der im (vorwiegend) theoretischen Teil herausgearbeitete Unterschied zwischen sprachlichen und metrischen Einheiten beibehalten wird39. Auf der Grundlage der vier «metrisch (numerisch) relevanten Einheiten» (1988:257) Position, Hebung, Fuss und Takt, welche in verschiedenen Kombinationen auftreten können, konstituieren sich für das Deutsche und Englische folgende fünf Versifikationstypen:

syllabisch, syllabotonisch, fussmessend, akzentuierend und taktierend.

Beim syllabischen Typ ist einzig die Zahl der Positionen numerisch bestimmt. Im syllabotonischen Typ sind hingegen die Anzahl der Positionen und der Hebungen sowie deren Anordnung bestimmt. Im Unterschied dazu können beim fussmessenden Versifikationstyp bestimmte Versfüsse durch andere ersetzt werden, so z.B. beim Hexameter40. Die Gesamtzahl der Positionen pro Vers spielt bei diesem Versifikationstyp jedoch keine Rolle. Für die beiden letzten Versifikationstypen sei der Unterschied oft fliessend und die Grenze somit nicht immer leicht zu bestimmen (1988:268). Während beim akzentuierenden Typ die Hebungen für die numerische Strukturierung verantwortlich sind, sind es beim taktierenden Typ die Takte.

Im Zusammenhang mit dem syllabotonischen – dem im Deutschen seit Opitz am häufigsten verwendeten – Versifikationstyp verweist Küper auf die hohe Variationsbreite der sprachlichen Realisierungen und betont die Wichtigkeit, klar zwischen metrischem Schema und sprachlicher Realisierung zu unterscheiden:

Alle Versuche, konkrete Verszeilen, die in einem syllabotonischen Versmass geschrieben sind und dem metrischen Schema nicht exakt folgen, durch verschiedene andere Versfüsse zu beschreiben, müssen insofern scheitern, als hier die Ebene der sprachlichen Realisierung mit der Ebene des abstrakten metrischen Schemas vermischt wird. (Küper 1988:259)

Im Vergleich zu den anderen Versifikationstypen, die sich nur aufgrund der Rekurrenz einer einzigen metrisch relevanten Einheit konstituierten, zeichne sich der syllabotonische Versifikationstyp durch eine «doppelte Fixierung seiner Bauelemente» aus: «erstens durch die Zahl (wie bei den übrigen Typen auch), und zweitens durch die exakte Angabe, wie diese Bauelemente arrangiert» (1988:261) seien. Die Möglichkeiten bei der sprachlichen

39 «Denn das metrische Schema ist immer eine bestimmte Organisationsform metrischer Einheiten, die sich nicht immer mit den sprachlichen Einheiten, welche die Grundlage für die metrischen Einheiten bilden, decken, und folglich werden auch nicht die sprachlichen, sondern die metrischen Einheiten numerisch organisiert.» (Küper 1988:256). Vgl. auch «Nichts hat in der Geschichte der Metrik so fatal gewirkt und den allseits beklagten Wirrwarr ausgelöst wie gerade das Versäumnis, sauber zwischen sprachlichen und metrischen Einheiten zu unterscheiden.» (Küper 1988:36f.).

40 Dem fussmessenden Typ entsprechen in der bündnerromanischen Lyrik z.B. Muoths Hexameter aus Las spatlunzas und Il Gioder (Muoth 1997a:13ff.; 53ff.).

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Realisierung vom metrischen Schema abzuweichen, seien deshalb um ein Wesentliches grösser41. Die Anzahl der Abweichungen bestimme dabei die Komplexität der Realisierung, die bis zu einem gewissen Grad durchaus erwünscht sei, um eine metrische Gleichförmigkeit zu vermeiden. (1988:260)42. Neben diesen metrisch bedingten Ursachen für den Erfolg des syllabotonischen Verstyps, nennt Küper auch sprachliche Gründe, insbesondere das

«Alternieren», das einer gemeinsamen Tendenz der beiden Sprachen entspreche.

Im Gegensatz zur metrischen Typologie Wagenknechts (siehe 3.2.1) zählt Küper den Reim nicht zu den metrisch relevanten Einheiten bzw. zu den Grundkonstituenten des Verses. Der Reim sei vielmehr als «eigenständige poetische Struktur aufzufassen, die zusammen mit metrischer Organisation auftreten kann, aber nicht daran gebunden ist»

(1988:255). Die Reimbindung als «zusätzliches Phänomen» (ibd.) ist, laut Küper, also ohne Belang, wenn es darum geht den Versifikationstyp zu bestimmen, für die genauere Klassifizierung eines metrisch regulierten Texts ist sie jedoch einzubeziehen43.

Wie die metrische Typologie Wagenknechts erlaubt auch Küpers Versifikationstypologie die Beschreibung mehrerer Versifikationsprinzipien innerhalb einer Sprache. Dies ist für die bündnerromanische Lyrik, bei der wie im Deutschen von mehreren Versifikationstypen ausgegangen werden kann, sicherlich ein Vorteil.

3.2.3 Versanalyse und metrische Gestaltprinzipien (Mellmann 2007 und 2008)

Weiterführende Überlegungen zur deutschen Versanalyse und zu den metrischen Gestaltprinzipien hat in den letzten Jahren Katja Mellmann (2007 und 2008) angestellt.

Mellmann geht grundsätzlich davon aus, dass die Analyse «eines als ‚Vers’ klassifizierten Textabschnitts» (2007:81) zum Ziel hat, dessen sprachliche Form zu rekonstruieren. Alle Verse sind in erster Linie durch die Segmentierung resp. durch die vorgenommenen Zeilenumbrüche optisch markiert. Zentrales Formmerkmal für die akustische Erkennung eines Verses ist dessen metrisches Schema. Als Bestandteile des metrischen Schemas bzw.

verskonstituierende Merkmale nennt Mellmann (1) eine festgelegte Silbenzahl und/oder (2) eine festgelegte Anordnung akzentfähiger Silben. In einzelnen Fällen können noch (3) Wort- und Kolongrenzen (Zäsuren) hinzutreten. Oft bestehen zwischen den einzelnen Versen auch (4) Homöophonien (z.B. Reim, Assonanz), die mehrere Verse zu «grösseren Gebilden»

(ibd.) z.B. Strophen verbinden44. Bei modernen Verstexten, «die auf metrische Regulierung

41 Das metrische Schema muss trotz der Abweichungen aber immer erkennbar sein.

42 Vgl. auch Kayser: «Das Ziel des Verses kann nicht sein, die exakte Regelmässigkeit zu erlangen, die immer unlebendig ist. Das Metrum mag das unterliegende Schema sein. Das eigentliche tragende Element des Verses ist der Rhythmus.» (1960:16).

43 Vgl. folgende Stelle: «im Deutschen und Englischen ist die Reimbindung für viele Strophen- und Gedichtformen konstitutiv.» (Küper 1988:254).

44 Versbildende Wirkung kann in einigen («seltenen») Fällen auch vom parallelismus membrorum, damit ist die «Gleichordnung der Satzglieder» gemeint, ausgehen (Mellmann 2007:81; vgl. auch Küper 1988:50ff.). Wagenknecht zählt den parallelismus membrorum der alten hebräischen Poesie,

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der Verse, auf homöophonische und syntaktische Bindung mitunter ganz verzichten»

(2007:81) ist die Einheit eines Verses in erster Linie optisch durch die vorgenommenen Zeilenumbrüche erkennbar.

Als Grundelement eines metrischen Schemas sei – für die deutsche Dichtung – der Versfuss anzusehen: «Das Basiselement eines metrischen Schemas ist der Versfuss»

(2007:81). Für die deutsche Lyrik komme man fast immer mit folgenden fünf Versfüssen aus:

Jambus, Trochäus, Anapäst, Daktylus und Spondeus. Das Versmass bezeichnet hingegen eine festgelegte Abfolge von Versfüssen innerhalb einer Verszeile. Je nachdem ob ein Vers oder eine Strophe aus gleichartigen oder unterschiedlichen Versfüssen bzw. Versmassen besteht, wird von einem iso- oder heterometrischen Versmass bzw. Strophenmass gesprochen45. Eine weitere Konstituente des metrischen Schemas stellt der Reim dar. Für das Deutsche sind neben dem Stabreim, der die Alliteration an Tonstellen bzw. Hebungen bezeichnet, insbesondere die verschiedenen Endreimmuster (z.B. Paarreim aabb, umarmender Reim bzw. Blockreim abba, Kreuzreim abab…) sowie «verschiedene Grade des Gleichklangs» (ibd.) z.B. reiner/unreiner Reim, Assonanz, Konsonanz zu nennen.

Innovativ an Mellmanns metrischen Überlegungen sind insbesondere die unterschiedlichen Notationssysteme, die passend zu Textkorpus und Beschreibungsabsicht gewählt werden können. Mellmann (2007:82ff.) unterscheidet für die metrische Analyse folgende Notationssysteme: (1) die Silbenakzentnotation, (2) die Versfussnotation, (3) die quasimusikalische Notation des Taktschemas (anstelle von Versfüssen), (4) die taktorientierte Notationsform. Diese unterschiedlichen Notationsformen (vgl. ferner u.a.

Wagenknecht 1981/2007:26-30 und Küper 1988:124-127) sollen an dieser Stelle kurz vorgestellt werden, da sich ihre Kenntnis für die Versanalyse der metrisch regulierten Gedichtformen Peers als nützlich erwiesen hat.

Die Grundlage für all diese Notationssysteme bildet (1) die Silbenakzentnotation. Bei dieser Notationsart entspricht jede Silbe einem «  », welches bei einer Hebung noch mit einem Akzent versehen wird. Um das Versmass eines Gedichts zu bestimmen, werden zuerst die Wortakzente mehrsilbiger Wörter bestimmt. Beim sich abzeichnenden metrischen Schema sollte es dann möglich sein, die fehlenden Hebungen zu vervollständigen.

Dies sieht z.B. für zwei Verse aus Georges Nach der lese folgendermassen aus46: Der reinen wolken unverhofftes blau

Erhellt die weiher und die bunten pfade.

(1.a)          

          

z.B. die Psalmen des Alten Testaments, nicht zum Bereich der Metrik. Seiner Meinung nach lässt sich dieser mit den Begriffen der Rhetorik beschreiben und erklären (2007:21).

45 Siehe für die Bezeichnungen «Vers», «Versfuss» und «Versmass» März (2003).

46 Die Beispiele stammen alle aus Mellmann (2007:82-84).

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