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Mein Gott, Sie haben eine fürchterliche Arbeit unternommen! : der Briefwechsel zwischen Fritz Staub und Moritz Tscheinen

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Academic year: 2021

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Texte intégral

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Mein Gott, Sie haben

eine fürchterliche Arbeit unternommen!

Der Briefwechsel zwischen Fritz Staub und Moritz Tscheinen, herausgegeben von Niklaus BIGLER

Die hier abgedruckten Briefe sind ein eindrückliches zeitgeschichtliches Zeugnis: Da korrespondiert der von seiner beruflichen Tätigkeit durchaus über-zeugte, aber nicht restlos ausgefüllte Pfarrer eines kleinen Walliser Bergdorfes über Jahre mit einem überaus beschäftigten Zürcher Gelehrten. Zuerst geht es allein um die Beschaffung von lexikalischem Material für das eben gegründete Schweizerdeutsche Wörterbuch. Ab 1865 beschäftigen sich die Briefe auch mit der Publikation von Tscheinens Sagensammlung: Über viele Monate bemüht sich Staub um deren Abdruck in einer wissenschaftlichen deutschen Zeitschrift, aber Tscheinen lässt seine Sagen schliesslich im Wallis drucken, zusammen mit der Sammlung des Domherrn Peter Joseph Ruppen. Ein weiterer Anlass für Briefe sind Staubs «Fragezeddel», Listen mit Rückfragen zu den Mundartangaben, die er von Tscheinen erhalten hat. Gelegentlich besorgt Staub in Zürich das eine oder andere Buch für Tscheinens Bibliothek, ausserdem übermittelt er Tscheinens Mitteilungen an Professor Rudolf Wolf. Für diesen zeichnet Tscheinen über Jahrzehnte meteorologische, seismologische und ähnliche Beobachtungen auf; er ist nämlich auch korrespondierendes Mitglied der «Naturforschenden Gesell-schaft» Zürich, in deren Vierteljahresschrift zahlreiche Berichte von ihm publi-ziert sind. Im weiteren organisiert Tscheinen in seiner Gemeinde Theaterauf-führungen, oft mit selbst bearbeiteten Stücken. Fast schelmisch wirkt der Satz: «Der Bischof weiß es nicht, daß ich an 16 Volksspielen schon die Ursache gewe-sen bin» (18. 1. 1870).

Fritz Staub hat 1862 bei der Antiquarischen Gesellschaft Zürich die Gründung des Schweizerdeutschen Wörterbuchs initiiert und dessen Bearbeitung übernom-men. Brieflich knüpft er Kontakte in der ganzen deutschen Schweiz, um an die für sein Projekt benötigten Materialien zu kommen. Als Alleinredaktor (teilzeitig aus-serdem Bibliothekar der Stadtbibliothek) ist er ständig überlastet und hat fast keine Zeit für Korrespondenzen. So muss Tscheinen oft drei oder mehr Briefe schreiben, bis er endlich aus Zürich einen Gegenbrief erhält. Und doch, nach kur-zer Zeit sind die Briefe beiderseits geprägt von grosser Vertrautheit, freimütigen Äusserungen, die weit über die geschäftliche Sachlichkeit hinausgehen. Nachdem Staub einmal Tscheinens Pfarrei als eine «großartige Einsiedelei» bezeichnet hat, geht Tscheinen darauf ein, indem er sich «Einsiedler» oder «Waldbruder» von Grächen nennt und auch oft so unterschreibt. Ein häufiges Thema ist Tscheinens labile Gesundheit, später Staubs zunehmende Sehschwäche, dann, nämlich wenn Antwortbriefe ausbleiben, die Fragen, ob die letzte Sendung auch wirklich ange-kommen sei, begründet durch Zweifel an der Zuverlässigkeit der Briefboten oder

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F. Staub, Ausschnitt des Porträts von 1893. Vom Maler sind nur die Initialen (C. Th.) bekannt. (Schweizerdeutsches Wörterbuch).

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M. Tscheinen, Photographie, wohl 1866 (nach der Reproduktion in Walliser-Sagen.

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der Post. Noch drastischer sind Tscheinens Mutmassungen, Staub sei vielleicht erkrankt oder gar, und hier wird er ironisch, schon gestorben: «Weil ich aus Ihrem Stillschweigen fast vermuthen muß, Sie seien gar schon zum Himmel aufgefahren [...] Nicht wahr, Sie leben noch?» (3. 5. 1869), «Leben Sie wohl, verehrtester Herr, wenn Sie noch am Leben sind» (14. 5. 1870).

In den Sommern 1864 und 1865 hat Staub Tscheinen in Grächen besucht; ein Gegenbesuch in Zürich bleibt ein beiderseitiger Wunschtraum, immer wieder auf-geschoben wegen Krankheit oder anderen, mehr oder weniger realen Hinderungs-gründen, etwa dem Aufenthalt von Kriegsflüchtlingen aus Strassburg in Zürich. Tscheinens Verhältnis zum Projekt «Idiotikon» wirkt zwiespältig: Zwar ist das Wörterbuch auch für ihn ein grosses Desiderat, und immer wieder äussert er seine Bewunderung für Staubs Arbeit. In seinen Vergleichen wird aber deutlich, dass er an der Machbarkeit nach dem Staubschen Konzept zweifelt: Wiederholt schreibt er von einer «Riesenpyramide» oder gar einem «Babilonischen Turm». Auch sein Urteil nach Erhalt der ersten Lieferung ist überwiegend negativ: «viel zu gelehrt, viel zu viele terminologische Abkürzungen [...] viel zu kleiner Druck». Damit hat er bei Staub wohl wieder einmal eine vorübergehende Verstimmung ausgelöst, die zwar nicht aus Staubs Antwort ersichtlich ist, aber aus Tscheinens Brief zum Jahresende 1881. Anlass zu Verstimmungen (und anschliessender Ver-söhnung) können auch Neujahrsgeschenke sein: Wenn Tscheinen solche aus Zürich erhält, revanchiert er sich mit Gegengaben, oft Büchern, die Staub wohl nicht in jedem Fall interessieren, und das bekundet er mit der Feststellung, dass er keine Gegengeschenke erwarte.

Dass Staubs Briefe überhaupt (jedenfalls bis 1877) erhalten sind, ist ein gros-ser Glücksfall. Tscheinen hat ihm diese im Sommer 1877 zurückgeschickt, zusammen mit persönlichen Dokumenten und weiteren Briefen, die er für wert-voll hielt und sie ihm daher anvertraute. Dutzende Briefe verschiedenster Absen-der dokumentieren Tscheinens vielseitige wissenschaftliche und persönliche Kon-takte. Was Staub nicht behalten hat, übergab er der Stadtbibliothek, so dass heute ein Teil in der Handschriftensammlung der Zentralbibliothek Zürich liegt, der andere im Archiv des Schweizerdeutschen Wörterbuchs. Was die Staub-Korre-spondenz betrifft, so finden Tscheinens Briefe ab 1878 keine Entsprechungen mehr von Staubs Seite, da diese Gegenbriefe nach Tscheinens Tod bei der Auflö-sung des Haushalts offenbar vernichtet worden sind. Zu seiner Bibliothek schreibt Tscheinen schon im April 1880: «Damit meine hübsche Bibliotheke nach meinem Tode nicht dummen Befreundten [Verwandten] in die Hände falle, werde ich sie öffentlichen Anstalten u. guten Freunden verschenken.»

Sprachlich unterscheiden sich die beiden Autoren: Staubs Texte wirken etwas gewandter und entsprechen weitgehend den sprachlichen Normen seiner Zeit, während bei Tscheinen immer wieder Regionalismen und schwankende Ortho-graphie zu beobachten sind. Zum leichteren Verständnis habe ich ein Glossar angefügt; aus diesem geht zum Beispiel hervor, dass «aber» in Tscheinens Briefen oft ‘wieder’ bedeutet, wie das für das Schweizerdeutsche bis ins 20. Jh. dokumen-tiert ist. Bei Tscheinen findet man auch Entrundungsformen (pflicken, überzei-gen), die seinem Walliser Dialekt entsprechen.

Ich danke Iwar Werlen, der die Edition dieses Briefwechsels angeregt hat, für seine stetige organisatorische und fachliche Unterstützung, ebenso Lotti Lamp-recht, die beim Kollationieren der Briefe und beim Erarbeiten der Editions-grundsätze mitgeholfen hat.

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Grundsätze der Edition

Die Abschrift der Briefe erfolgte zeichengenau, nur die Interpunktion richtet sich nach neuerer Usanz. Aus Platzgründen wurden auch nicht alle Absatzwechsel der Handschriften übernommen. Tscheinens häufig fehlende Kongruenz der Fle-xionsformen (z. B. «Ihre verdienstvolle große Bemühungen») wurde nicht ausge-bessert oder markiert; nur bei störenden Brüchen in der Syntax stehen in eckiger Klammer Ergänzungen oder ein [sic]. Ebenfalls in eckigen Klammern sind Abkürzungen aufgelöst, soweit es zum Verständnis nötig schien. Textstellen, die in den Briefen unterstrichen sind, werden in der Edition kursiv dargestellt, ebenso Mundartformen in Aufstellungen. Mit dem Kürzel «R.» hat Staub am Anfang von Tscheinens Briefen eine Datumsangabe eingeleitet, um zu vermerken, wann er den betreffenden Brief beantwortet hat. Soweit vorhanden, sind am Schluss der Briefe auch die Adress-Anschriften wiedergegeben.

Abgekürzt zitierte Literatur

BWG Blätter aus der Walliser Geschichte, herausgegeben vom Geschichtforschenden Verein von Oberwallis, Bd. 1 (1889/95) ff.

BURGENER1864 Laurenz BURGENER, Die Wallfahrtsorte der katholischen

Schweiz,2. Bd., Ingenbohl, 1864.

CARLEN1982 Albert CARLEN, Theatergeschichte des deutschen Wallis, Brig, 1982.

GUNTERN1978 Josef GUNTERN, Volkserzählungen aus dem Oberwallis.

Sagen, Legenden, Märchen, Anekdoten aus dem deutsch-sprachigen Wallis,Basel, 1978.

ID. Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der

schweizer-deutschen Sprache [...] begonnen von Friedrich Staub und Ludwig Tobler [...],Bd. 1 ff., Frauenfeld, 1881 ff. IMHASLY1992 Marianne-Franziska IMHASLY, Katholische Pfarrer in

der Alpenregion um 1850,Freiburg Schweiz, 1992. WALLISER-SAGEN1872 Walliser-Sagen. Gesammelt und herausgegeben von

Sa-genfreunden,Sitten, 1872. Erster Theil [...] von Pfarrer

Moriz TSCHEINEN in Grächen. Zweiter Theil [...] von

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Die Briefe

[20. 11. 1862] Hochgeehrte Herrn!

Das patriotische Unternehmen, dessen Gedanken einige edle Männer der antiquarischen Gesellschaft in Anregung brachten, von dem Sie mir durch Ihre geehrte Zuschrift Anzeige machten, hat mich mit Freude erfüllt. Warum sollte ich nicht für ein solches Werk Interesse fassen u. laut Kräften u. Umständen an dem Zustandekommen desselben lebhaften Antheil nehmen.1 Sie hatten, Verehrte

Herrn, die Güte, mich als Mitglied des weitern Ausschusses zum Mitwirken an diesem Werke zu erwählen, damit ich den Aufruf zu möglichster Verbreitung an die theilnehmenden Personen unsers Kantons versenden möchte. Ich danke Ihnen für dieses ehrenvolle Zutrauen, aber leider muß ich Ihnen kund thun, daß ich eine solche Betheiligung für meine Person nicht annehmen kann. Ich bin 5 Stunde[n] von der Hauptstraße, in einem hohen u. im Winter schwer zugänglichen Berge des Visperthals versezt, wo die Briefpost nicht exakt u. oft wegen Schnee u. ungestim-mer Witterung ganze Wochen ausbleibt; zudem bin ich allein Pfarrverweser auf diesem wilden Gebirge, u. ringsherum ist kein Statthalter für etwaige Entfernung zu erhalten, u. bin sonst mit Schul-Katechismus u. P[f]arrgeschäften beladen, besonders zur Winterszeit, somit wäre ich an einer Mitwirkung in weiterem Kreise für Ihr schönes Unternehmen völlig gehemmt. Nichts desto weniger ver-spreche ich Ihnen für das Visperthal, so gut als es mir die Umstände erlauben, Beiträge zum schweizerischen Idiotikon zu liefern u. Mithelfer hiefür zu gewin-nen. Ich versichere Sie auch, daß ich an einige Freunde ausser dem Visperthal, welche Liebhaber der Litteratur sind, schreiben werde, um für dies Werk als Wal-liser-Samler sie zu rekrutieren.

Die g[e]eigentste Person, welche als Mitglied des Kantons in den Ausschuß treten könnte u. Ihnen hierin die größten Dienste leisten könnte, wäre der ehrwür-dige Pater Kapuziner Sigismund Furrer in Sitten, Geschichtschreiber von unserem Wallis, welcher wirklich auch den geschichtlichen Verein vom Oberwallis präsi-dirt u. den Aufruf Ihres Unternehmens am schnellsten u. sichersten an die Mitglie-der seines Vereins übersenden könnte, ohne Beköstigung Ihnen zu verursachen. Der selbe hatte auch schon früher an einem walliser Idiotikon gearbeitet u. Vieles nach Wien geliefert. Ich habe demselben schon hierüber geschrieben, aber besser ist’s, wenn Sie selbst sich direkt an denselben wenden, so werden Sie am sicher-sten zum gewünschten Ziele gelangen.

Indessen für das Visperthal verspreche ich Ihnen meine eifrige u. möglichste Mitwirkung. Soll ich etwa den mir zugesandten Aufruf dem Ehrw. Pater Sigis-mund Furrer übersenden, so berichten Sie mich hierüber.

In der Hoffnung, Ihrem ehrenvollen Wunsch, wenn auch nicht ganz, dennoch zum theil entsprochen zu haben, bin ich, auf ferneren Bericht harrend, mit Gruß u. Hochachtung Ihr Diener Moriz Tscheinen, Pfarrer.

Grächen, d. 20. 9br1862

1 Zum Beginn von Tscheinens Wirken für das Schweizerdeutsche Wörterbuch s. auch IMHASLY 1992, S. 358-360, ferner Staubs Brief vom 25. 11. 1868.

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[27. 12. 1862]

Antiquarische Gesellschaft in Zürich / Société des Antiquaires a Zurich [gedruckter Briefkopf]

Zürich, 27. Dez. 62 Hochverehrter Herr Pfarrer!

Ich soll Ihnen im Auftrage unsres Comité den wärmsten Dank aussprechen für Ihr freundliches Entgegenkommen, welches wir um so höher schätzen, als wir wohl wissen, wie sehr Sie durch Ihre Amtspflichten u. andere Geschäfte, die Sie auf sich geladen haben, in Anspruch genommen sind. Unter solchen Umständen ist es zwar eine Art Unbescheidenheit, wenn wir Sie auch noch für uns gefangen nehmen, allein gerade Ihr Kanton ist so wichtig für unser Unternehmen, dass wir alle Federn anspannen müssen, um ihm das von Rechtes wegen gebührende Über-gewicht in der Schweizerischen Sammlung zu verschaffen. An den Herrn Pater Sigismund [Furrer] haben wir uns bereits gewendet u. werden es nochmals thun u. zugleich eine Anzahl Programme für die Histor. Gesellschaft beilegen. Ein Paar Worte von Ihnen könnten uns aber wohl zu Statten kommen, um uns bei dem viel-beschäftigten Manne geneigtes Gehör zu verschaffen.

Wir haben außerdem den Aufruf versendet an die Hhen Prof. Henzen, Th. [sic] v. Roten in Sitten, Pf. Kämpfen zu Inden u. A[ndere]. Für die Adressen, wel-che man uns nach dem Visperthal gegeben hat, erlauben wir uns, Ihnen eine Anzahl Exemplare zu übersenden, die Sie wohl so freundlich sind, mit Gelegen-heit an Mann zu bringen, od. falls solche GelegenGelegen-heit sich nicht geben will, auf unsre Kosten spedieren zu lassen. Die Auslagen für Porti, Schreibmaterialien überhaupt sind wir gerne bereit zu vergüten, indem die hiesige historische Gesell-schaft uns einen Credit eröffnet hat.

Was nun die Art u. Ausführung der Arbeit betrifft, so sagen Sie den Sammlern, welche meistens sehr ängstlich daran gehen, dass es durchaus keiner speziell phi-lologischen Bildung bedarf, um ganz wesentliche Dienste zu leisten, sondern sogar Jedermann, der auch nur allgemeine Schulbildung u. ein warmes Herz für die Sache besitzt, sich sehr nützlich machen kann. Es bedarf keiner Versuche, die Wörter herzuleiten, keine kunstgerechten Definitionen; das Einzige, was für einst-weilen Noth thut, ist, dass jeder Artikel möglichst erschöpfend dargestellt werde in

Beispielen u. Redensarten, dass die grammatikalischen Eigenthümlichkeiten angegeben und die Aussprache auf irgendeine Art unterschieden werde.

Für uns, die wir mit der unabsehbaren Arbeit des Eintragens beschäftigt sind, wäre es eine große Erleichterung, wenn die Artikel, welche mit dem gleichen Buchstaben anfangen, je auf 1 Blatt zusammengestellt, od. noch lieber, jeder Arti-kel auf ein eigenes Zeddelchen geschrieben würde, wozu wirklich jeder verlorene Fetzen Papier tauglich ist.

Zu einer Arbeit, die vorausgehen sollte (in allen Kantonen), bevor wir die schwierige Aufgabe eines Schreibsystemes für das Sammelwerk zu lösen versu-chen, möchten wir besonders anregen. Es wäre dieß eine vollständige, sorgfältige Aufzeichnung der sämmtlichen Laute, welche in den einzelnen Gegenden herr-schen. Zu jedem sollte dann eine möglichst reiche Beispielsammlung beigefügt werden. Wo möglich sollte diese Vorarbeit im Laufe dieses Winters abgethan wer-den, indem nächstes Frühjahr eine Tagsatzung der «Idioten» der sämmtlichen Kantone an einem centralen Punkte (Luzern, Olten) Statt finden soll, wo diese Frage wahrscheinlich auch aufs Tapet kommt. Machen Sie gef[älligst] unsre dorti-gen Mitarbeiter, mit denen Sie zusammenkommen, auf diese

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Generalversamm-lung aufmerksam. Sie sollen sich alle Ideen betreffend das Idiotikon, ihre Wün-sche, Anträge, Fragen, Zweifel, die ihnen im Laufe des Winters aufstoßen, auf-schreiben und uns rechtzeitig zustellen. Das Central-Comité wünscht nämlich die Traktanden für jenen Tag der Zusammenkunft vorzubereiten, damit möglichst viele Geschäfte in den kurzen Stunden können abgethan werden.

Ohne Mehreres für heute, erlaube ich mir nochmals das patriotische Unter-nehmen, aus dem, so Gott will, ein Ehrendenkmal für die Schweiz hervorgehen soll, Ihnen und Ihren Freunden ans Herz zu legen, und grüße Sie im Auftrage unseres Comité bestens.

F. Staub pr. adr. Helmhaus, oder 208, Zeltweg

Würden Sie es praktisch finden, wenn wir einige Exemplare von Stalder’s und Tobler’s Idiotikon2anschafften und zirkulieren ließen? Was für eine Frist müssten

wir für einen Band jedem Einzelnen, der ihn durchlesen u. danach arbeiten wollte, gestatten?

[28. 9. 1864 / R. 3. Nov. 64] Vielgeehrter Herr!

Damit Sie einen Beweiß haben, daß ich Ihre Aufforderung, an einem schwei-zerischen Idiotikon mitzuarbeiten, nicht ganz vergessen, so übersende ich Ihnen eine Samlung von Sprüchen, Volksreimen u. Redensarten u. Schwänke u. Anek-todten meistens vom Visperthal u. theils auch aus andern Orten des Oberwallis hergenomen. Freilich alles durcheinander, wie selbe mir der Zufall in die Feder lieferte. Selbes zu ordnen laut Ihrer Anweisung, auszulichten od. auszusiben u. so Manches davon wegzulassen, bleibt mir keine Zeit übrig. Sollte es Ihnen so, wie es da durcheinander liegt, nicht annehmbar sein, so schicken Sie mir es nur bei nächster Post zurück, ohne es Andern in die Hände zu lassen, damit ich es ad acta lege.

Gewiß finden Sie darin Manches, was Ihnen eine klare Idee vom Geiste u. Charakter unsers Oberwallis giebt, was Sie vieleicht in andern Zusendungen nicht angetroffen. Ich wollte darin offenherzig zu Werke gehen u. nicht allein Blumen übersenden. Nur bitte ich Sie, manche Anektode nicht unter meinem Namen zu veröffentlichen, weil es mir schaden könte.

Habe ich später Zeit u. Muße, noch Nachträge zu liefern, so werde ich es gern thun. Doch freute es mich, wenn Sie mich berichten wollten, was ich noch beson-ders nachholen sollte.

Sie herzlich grüßend u. Ihnen guten Erfolg zu Ihrem großartigen schönen, aber mühsamen Unternehmen wünschend, bin ich mit Empfelung Ihr Diener u. Fr. Moriz Tscheinen, Pfarrer.

Grächen, d. 28. 7br1864

2 Franz Joseph STALDER, Versuch eines Schweizerischen Idiotikon [...], Bd. 1, Basel und Aarau, 1806, Bd. 2, Aarau, 1812. Das Buch soll Staubs Mitarbeitern als Anregung beim Sammeln dienen. Staub schreibt in diesem Zusammenhang einfach vom «Stalder». – Titus TOBLER, Appenzellischer

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[9. 11. 1864 / R. 15. Nov.] Hochverehrter Herr!

Ich habe unlängst eine ziemliche Samlung von der Volkssprache des Oberwal-lis, namentlich des Visperthals u. besonders von Zermatt, Törbel u. Grächen mit der Addresse: An die antiquarische Gesellschaft des schweiz. Idiotikons in die Post legen lassen. Weil ich es aber durch keine zuversichtliche Person bis nach S. Niklaus schickte, so möchte ich wissen, ob es Ihnen zugekommen od. etwa ver-loren gegangen? Ob Sie es so, ohne Ordnung hingeschrieben brauchen können od. nicht? Sollten Sie es nicht benutzen können, so ersuche ich Sie, selbes durch Post mir zurük zu senden. Wenn es mir die Zeit erlaubte, so hätte ich es gern laut Anweisung abgeschrieben. Ihr Idiotikon mir zu übersenden laut Verabredung in Grächen,3scheint auch die Muße Ihnen gemangelt zu haben. Sollte ich noch

fer-nere Samlung machen, so müßte ich von dem, was ich übersandte, das Original od. Copie zurückerhalten, um nicht das Gleiche wieder zu überschicken.

Hier auf dieser Einöde vernimmt man gar keinen Ton mehr, ob das mit so großer Begeisterung angegriffene nationale Unternehmen eines deutschschweize-rischen Volkssprachwörterbuchs od. Idiotikons ins Stocken gerathen u. ob der so unternehmende Geist der Gelehrten Zürichs den Muth zur Aufstellung eines sol-chen Riesenwerks schon habe sinken lassen.

In der Hoffnung, diese Zeilen werden Sie in bester Gesundheit antreffen u. daß Ihre Wallisserreise Ihnen gut angeschlagen, wenigstens gesund nach Hause Sie zurück[k]ehrten, bin ich mit recht vielen Grüßen u. herzlicher Empfelung Ihr Freund Moriz Tscheinen, Pfarrer.

Grächen, d. 9. 9br1864

An Vielgeehrten Herrn Herrn F. Staub, Sekretair der Antiquarischen Gesell-schaft in Stadelhofen Nr7, Zürich

[3./15. 11. 1864] Zürich, 3. Nov. 64

Hochwürdiger Herr!

Sie haben uns mit Ihrer Sendung vom 28. Sept. aufs Angenehmste überrascht, & wir sagen Ihnen besten Dank für diesen ersten größern Beitrag aus dem Wallis, diesem für unsern vorliegenden Zweck eben so reichen als schwer erreichbarem Lande. Wir wissen, wie sehr Sie nach vielen Seiten hin in Anspruch genommen sind, weil Sie mit vielseitigen Kenntnissen und einem jugendlichen Interesse an allem Schönen, Wahren & Vaterländischen eine so unverdrossene Dienstbereitwil-ligkeit verbinden, dass Grächen allenthalben in der Schweiz herum eine wolbe-kannte Station für alle vaterländisch-wissenschaftlichen Bestrebungen geworden ist. Um so mehr schätzen wir den Dienst, den Sie uns zu leisten die Güte hatten.

3 Staub hatte im Juli/August 1864 eine grössere Explorationsreise gemacht, nach Schwyz, Uri, Pomatt sowie Gurin und zuletzt ins Wallis, wo er neben Tscheinen die Geistlichen Sigismund Furrer, Matthias Mooser und wohl auch Ruppen traf. Der erste Teil der Reise (bis zur Ankunft im Binntal) ist in Staubs Briefen an seine Frau dokumentiert; s. Schweizerdeutsches Wörterbuch,

Bericht über das Jahr 1988, S. 10-34 (Pomatt/Gurin); ebd. 2000, S. 11-33 (Innerschweiz). – S. auch Staubs Rechenschaftsbericht des Schweizerischen Idiotikons (1868/69), S. 3. 46 ff.

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Das übersandte Material enthält sehr viel Neues & Werthvolles für uns, Sie dürfen daher nicht erwarten, dass wir es Ihnen so bald wieder zurücksenden. Allerdings wird die alphabetische Einreihung dieser außerordentlichen Masse Mühe kosten, die wir uns aber nicht verdrießen lassen. Nur müssen Sie Geduld haben u. Ihr Mscr. nicht so bald zurückverlangen. Ferner erweckt es Appetit, mehr u. Ausführlicheres zu vernehmen u. liegt darin das Missliche schriftlicher Mitthei-lung, dass sie oft zweideutig aufgefasst werden kann, weil die Schrift nur eine Krücke ist. Daher müssen Sie verzeihen, dass ich Sie (vide Beilagen) mit einer Unmasse von Fragen bestürme. Ich habe es mir eben (u. darin hoffe ich auch von Ihnen gebilligt zu werden) zum Gesetze gemacht, Nichts ins Idiotikon einzutra-gen, über das ich noch Zweifel habe. Übrigens muss ich, um Ihnen den ersten Schreck über meine Unbescheidenheit wieder zu dämpfen, beifügen, dass es für’s Erste nicht pressiert mit der Beantwortung u. dass Sie solche nur mit aller Bequemlichkeit geben sollen; 2tenshabe ich die Fragen so aufgeschrieben, dass die

Antwort gleich darunter u. darum in aller Kürze kann angebracht werden; oft genügt bloßes Durch- od. Unterstreichen. Ihr Gesuch betreffend gewisse Anekdo-ten und Ausdrücke u. die Nennung Ihres Namens soll gewissenhaft gehalAnekdo-ten wer-den, Sie dürfen sich darauf verlassen.

Hingegen Ihre freundliche Frage, was zunächst noch nachliefern, zu beant-worten bin ich in Verlegenheit; die Gebiete sind so manigfach, das Feld in jedem so unermeßlich, dass ich fürwahr immer auf die unverschämte Antwort hinaus-käme: sammelt Alles, was dem Zahn der Zeit bloßgestellt ist! Ich weiß aber wol, dass die Ausführung unmöglich ist u. das Arbeitsgebiet getheilt werden muss, u. zwar erfahre ich immer, dass wir am Besten fahren, wenn Jeder sich das Feld wählt, für welches er am meisten Sinn u. Verständniss hat, der für das Sprachliche, Jener für Sitten, Gebräuche, Spiele. Von den Sprachliebhabern fühlt sich der Eine mehr angezogen von der Poesie & dem Witz in der Sprache: er sammle

Sprich-wörter, Redensarten, Wortspiele, Reimereien, Haussprüche, Räthsel;ein Andrer grübelt den Gesetzen der Sprache, der Grammatik nach, u. jedenfalls ist es eine unerläßliche Aufgabe für uns, für jeden Dialekt festzusetzen, wie viele verschie-dene Laute in demselben vorkommen (u. Beispiele dazu!), wie die Zeitwörter abgewandelt werden etc. etc. Einem Andern hinwieder ist es am Leichtesten u. Gedeihlichsten, entweder an der Richtschnur des Alphabetes od. aus der Betrach-tung der einzelnen Gegenstände u. Thätigkeiten die vereinzelten Ausdrücke aufzu-schreiben u. ihre Bedeutungen u. Anwendungen zu zeigen. Ich kann für Näheres auf unsere gedruckten Anleitungen verweisen, die, glaube ich, auch in Ihrer Hand liegen. Aber gewiss kann keiner Alles, darum danken wir auch für jeden kleineren Beitrag.

Da ich Sie aus der Walliser Monatsschrift auch als Poeten4kenne, so dachte

ich, es interessiere Sie vielleicht, von den mundartlichen Gedichten zweier Geist-licher aus der Mittelschweiz Notiz zu nehmen. Sie liegen hier nebst Einigem Andern bei; behalten Sie den ganzen «Karsumpel», es sind nur Sachen, die ich doppelt hatte. Gerne hätte ich auch gleich den Stalder zur Benutzung beigelegt, allein es ist noch kein Exemplar von der Zirkulation zurückgekehrt; übrigens steht Ihr Name bereits auf der Zirkulationsliste.

4 Neben Sagen und landeskundlichen Beobachtungen publizierte Tscheinen in der Walliser

Monats-schriftauch eigene Gedichte; s. die Aufstellung von Marianne-Franziska IMHASLYin BWG 20 (1988), S. 250.

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Obige Zeilen lagen unvollendet schon seit 10 Tagen auf meinem Pulte, unter-brochen durch das Wochenbett meiner Frau u. die Geburt eines Knäbleins [Hein-rich Theodor Staub], als Ihr zweiter Brief v. 9. dß anlangte. Ich hoffe aber bei Ihnen sattsam entschuldigt zu sein. Wenn Sie überhaupt sparsam mit Correspon-denz von mir bedient werden, so müssen Sie nachsichtig sein; die Arbeit ist so unermeßlich u. meine Kraft so unzureichend, dass ich kaum die Zeit zum Brief-schreiben erübrigen kann. Desswegen dürfen Sie aber doch nicht wähnen, der schöne Plan sei eine glänzende Seifenblase gewesen u. als solche zerronnen. Es ist mein fester Entschluss, so lange mir Gott die erforderliche Gesundheit an Leib u. Seele schenkt, meine ganze Kraft dieser Aufgabe zu widmen, u. ließen mich Alle im Stich (zu welcher Befürchtung aber, Gottlob, keineswegs Grund vorhanden ist), so wollte ich bei der Fahne ausharren. Das Einzige, was die Freunde u. Unter-stützer der Sache mit Grund zu besorgen haben, ist, dass sie in meinen Händen, da ich ein sehr schwerfälliger Arbeiter bin, nur langsam gedeihen.

Um schließlich noch auf Ihre letzte Frage zu antworten, kann ich Sie versi-chern, dass ich von meiner Walliser Reise sehr befriedigt bin u. mehrfachen Grund habe über die Ergebnisse derselben mich zu freuen. Allerdings meine nächste Reise von Ihnen weg war eine verfehlte, indem ich den H. Kaplan in Saas5nicht

zu Hause traf. Doch tröste ich mich mit dem Genuss, den mir der originelle Älpler auf Tirbjan6, Ihr Pfarrkind, von Profession Schuster, durch seine Munterkeit &

Mittheilsamkeit verschaffte. Wenn Unsereiner unterwegs viele solche Leute anträfe, die sind Futter für’s Idiotikon! Grüßen Sie den lustigen Alten von mir.

Da Sie es so ausdrücklich wünschen, sende ich Ihre Beiträge zurück, aber wirklich ungern, da ich für’s Erste dieselben gerne beihanden hätte, um im vor-kommenden Falle darin nachschlagen zu können; zweitens weil sie bei dem Hin-u. Herschiken verloren gehen könnten Hin-u. 1 Spatz in der Hand sichrer ist als 10 auf dem Dache. Doch werden Sie es auch Ihrerseits nicht an zweckmäßiger Sorgfalt fehlen lassen, damit Ihre Sammlung s. Z. dem Idiotikon wieder zu Gute kommt. Noch wollten wir Sie dringendst gebeten haben, die Sache Ihren übrigen Amtsbrüdern, wo Sie mit solchen zusammenkommen, anzuempfehlen. In Stalden ließ ich aus Blödigkeit eine treffliche Gelegenheit entschlüpfen. Ich traf nämlich dort im Wirthshaus die Geistlichen von Stalden, S. Niklaus u. einen Dritten7

bei-sammen, war aber zu schüchtern, sie im offenen Lokale anzupacken. Nun lege ich unsern Aufruf für die beiden Herren in S. N. & St. bei, den Sie ganz gelegentlich wollen von Stapel laufen lassen. Auf den Namen des H. Pf. in Stalden kann ich mich nicht besinnen; bitte Sie, die Adresse z. vervollständigen.

Doch ich will endlich schließen. Empfangen Sie den Ausdruck unserer auf-richtigen Hochschätzung.

Namens des Comité f. d. Schweiz. Idiotikon, F.Staub (in Stadelhofen).

Es ist mir ganz sonderbar zu Muthe, wenn ich mich aus unserem Stadtgewühl in ihre großartige Einsiedelei hinauf denke.

5 Offenbar wollte Staub Johann Joseph Imseng (1806-69) aufsuchen, der damals Kaplan in Saas war. Er gilt heute vor allem als Pionier des Alpinismus.

6 Staub kam im August 1864 zur Eistener Alp Tirbjan, als er von Grächen nach Saas unterwegs war. 7 In Stalden war der spätere Domherr Joseph Anton Anthamatten Pfarrer, in St. Niklaus Josef Adolf

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[11. 1. 1865 / R. 5. 3. 65] Verehrtester Herr!

Sie werden verzeihen, daß ich Ihr freundschaftliches u. interressantes Schrei-ben, nebst den werthen Geschänken, die Sie gütigst beilegten, erst jetzt bescheine u. verdanke. Es giebt oft Hindernisse, die uns zwingen, die theursten Pflichten aufzuschieben. Es freute mich in Ihrem Briefe zu erkennen, was es für eine edle Sache ist, eine so schwierige Aufgabe mit unverdrossenen Muthe und patrioti-scher Aufopferung zu lösen. Gott gebe Ihnen Gesundheit, Kräfte u. hinlän[g]liche Muße, diesem hochherzig unternommenen schweizerischen Riesenwerke die Krone der Vollendung aufzusetzen.

Ihrem Talente u. Unermüdung wird das Vaterland einst großen Dank für das schöne Denkmal schulden. Sobald möglich werde ich die von Ihnen mir gemachte Aufgabe lösen u. die Lücken mit Erklärungen füllen, auch indessen fortfahren, im Visperthal auf den Bergen u. Thälern im Volkssprachgebiete zu botanisiren. Es freut mich, wenn ich zu dem großen Denkmale einige Bausteine Ihnen zuschicken kann u. Sie mich mit Ihrem Beifalle dafür gütigst belohnen.

So bald möglich werde ich Ihre übersandten Blätter ausgefüllt übersenden. Die Comissionen habe ich erfüllt. Genehmigen Sie bei diesem Jahreswechsel meine herzlichsten Neujahrswünsche u. Danksagung für die recht lieben Bücher, welche sie die Güte hatten zu übersenden, schade daß ich nicht etwas als anständi-ges Gegenanständi-geschänk Ihnen übersenden kann. Genehmigen Sie nebst vielen Grüßen die Empfelung Ihres Dieners Moriz Tscheinen, Pfarrer.

Grächen, 11. Jener 1865 An Vielgeehrten Herrn Herrn F. Staub, Sekretär der Antiquarischen Gesell-schaft, Wohnung, bei Stadelhofen Nr7 in Zürich

[7. 2. 1865 / R. März] Grächen, d. 7. Febr. 1865

Hochverehrter Herr!

Endlich übersende ich Ihnen die ganze Masse von Fragen so gut als möglich beantwortet. Wohl muß ich fürchten, daß durch manche Antworten Ihrem vielsei-tigen Verlangen nicht ganz entsprochen wurde; bin aber zu fernerem Auskunftge-ben immer bereit. Eine der schwierigsten Antworten ist, welches von jedem Worte oder Spruchweise das Geburtsort sey. Vor 10 od. 20 Jahren hätte man diese Auf-gabe leichter lösen können, wo das Durcheinanderströmen der Völker noch selte-ner Platz hatte; jetzt aber, wo die inselte-nersten mit den äussern Bewohselte-nern des Vis-perthals, die Gommer mit Visperthalern, die Bergleute mit den Grund- oder Rhonethal-Bewohnern, die Deutschen mit den Welschen od. Unterwallissern sich stark verheirathen, kann dies oft nicht mehr zuversichtlich geschehen. Meine Samlung kommt die meiste von Zermatt, dann von Naters, Törbel u. Grächen. Auch etwas von Saas, Goms, S. Niklaus, Raron u. Turtmann, doch die größte Pflanzensamlung gehört dem Visperthal an, wo ich seit Jahren fleißig botanisirte. Es freut mich, wenn ich zu dem großen Tempel u. schönen Denkmale des Schwei-zerischen Idiotikons dem unermüdeten u. patriotischen Baumeister Herrn Fr. Staub auch einige Bausteine hiemit überreichen kann. Sie überschätzen durch Ihre freundliche Aufmunterung in Ihrem verehrten Schreiben gewiß meine schwa-che Leistung; dennoch danke ich Ihnen für die gütige Aufmunterung. Es thut einem Einsiedler wohl, auf diesem hohen Berge, von aller gebildeten

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Unterhal-tung abgeschlossen u. von seinen Mitbrüdern verlacht, wenn man sich mit solchen unrömischen Arbeiten beschäftigt, wenn man von solchen Männern ein trostvolles und aufmunterendes Wort vernehmen kann. Ich danke Ihnen besonders für die gütige Sendung von einigen sehr originellen u. werthen Gedichten, die ich mit Dank zum theuren Andenken an Sie behalten werde; ich bitte Sie auch ein kleines Andenken von mir zu genehmigen u. zu behalten.

Uebrigens, so angenehm mir Ihre Briefe immer wären, so werde ich Ihr spar-sames Schreiben zu entschuldigen wissen, wegen der Ueberzeugung, daß Sie mit überhäufter Arbeit beladen sind u. ich mich nur wundere, wie Sie zu einem so weitschichtigen, aufmunternden, erklärenden u. gemüthlichen Schreiben noch Zeit fanden; u. zwar eben in einer Zeit, wo Ihnen Ihre liebe Frau noch ein munte-res Knäbchen schänkte. Gott schänke Ihrer verehrten Frau u. theuren Kinde die beste Gesundheit, Glück u. Seegen.

Indem Sie einigen Werth auf meine Sendung legten u. wünschen, daß ich es bei Gelegenheit zurücksende, so will ich, damit sie nicht verloren gehe, Ihnen lieber selbe zurücksenden; mit der Bitte, durch einige Zeilen mich zu versichern, daß Sie Alles richtig erhalten haben. Ihre Aufträge habe ich besorgt, u. der lustige Älpler freute sich über Ihren Gruß u. erwiedert recht freundlich denselben.

In dem Raum, den Sie zwischen Ihren Fragen gelassen, habe ich hie u. da noch etwas hineingeschoben, das, ich glaube, auch noch von einigem Interesse sein könnte. Um Ihrem Wunsche in Rücksicht der landesüblichen Kinder-, Jugend- oder Volksspiele zu entsprechen, so übersende ich ihnen eine ziemliche Sammlung davon, leider auf Flugblätter nur notirt, die ich abschreiben sollte, [was] mir aber meine Geschäfte kaum erlauben; bitte diese Vernachläßigung des Anstands keiner anderen Ursache als der sparsam zugemessenen Zeit zuzuschrei-ben u. dabei meine Bereitwilligkeit, bei solchen Kinderspielen, die ihr Interresse erwekten, zu berücksichtigen. Die Kinder- oder Jugendspiele, die meistens noch im Oberwallis, besonders im Visperthal, üblich sind, sind, unter hundert andern, auch folgende, die ich in beiliegenden Blättern mit einer kurzen Beschreibung zu erklären suchte:

1oDen König verspotten, Kinder- u. Jugendspiel

2oDi Gersta stōssu, Kinderspiel u. Jugendspiel

3. Der Sant Martisch Eschel, Jugendspiel 4. Das Togju oder das Toggi fah, Jugendspiel 5. Das Trechili muru, Kinderspiel

6. D’s Schaaf ufu od. d’ Schaaflauffu, Jugendspiel 7. Es regnot uf di Brigga, Kinder- u. Jugendspiel 8. D’ Chetti schlifu, Jugendspiel

9. D’ Suppa sūffu, Jugend- u. Kinderspiel 10. Marflu, Jugend- u. Kinderspiel

11. D’ Suw tribu (d. Schwein treiben), Jugendspiel 12. Blind’s Verbergs, Jugend- u. Kindrspl

13. Der Her Abt het d’ Nach[t]kappa verloru, Jugendspiel 14. Die Farbe, Jugendspiel

15. Das Tuoch messu, Jugendspiel 16. Das Engelti trägu, Jugendspiel 17. Das Dotschu, Jugend- u. Kindersp. 18. Das Hani u. Henni abfressu, Jugendspiel 19. Das Schrot läuffu, Kinderspiel

20. Das Fendru od. Fendern, Jugendspiel 21. Der Wurto chlopfu, Kinder- u. Jugendsp.

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22. D’ Hozze dreschu, Kinderspiel 23. D’s Lagel löschu, Kinderspiel

24. D’s Geitu oder Wäggu, reittilu, Jugendspiel 25. D’ Sterne guggu, Kinderspiel

26. D’s Schießblattju, Jugendspiel 27. D’ Seelen od. d’ Seelu, Kinderspiel.

Zu diesen Spielen kommen, doch selten, das Ballspiel oder Ballschlagen, Vierekspiel. Am häufigsten auf den Bergen in den langen Winterabenden wird das

Trogguu. chartu getrieben mit größern u. kleinern Karten u. die Barrote, barru, d. h. Abendsitz- od. Familientänze. Wo Mädchen zu den Buben kommen, reitzen sie dieselbe[n] fast immer zum Tanzen an, welches oft Stunden lang mit größter Leidenschaft betrieben wird. (Die größte Leidenschaft haben d. Männer jetzt für d. Sauffen.) Nur in den hintersten Thälern hört man etwas Singen, an den übrigen Ortschaften hört man nur Juzzu Jauchzen; das Lieder Singen ist im Visperthal etwas ganz Seltenes – doch genug. Leben Sie wohl in Ihrem aufgeklärten, rühri-gen Zürich u. rühri-genehmirühri-gen Sie meine herzliche Grüße u. Empfelung. Moriz Tscheinen, Pfarrer.

[11. 3. 1865 / R. 28. März] Vielgeehrter Herr!

Ich habe Ihnen unlängst die an mich gestellten Fragen über die Visperthaler-Volkssprache beantwortet überschickt, nebst dem ganzen Part der frühern Sen-dung u. einigen Beschreibungen von Volksspielen (Chinder-Machote), zugleich ein Schreiben beigelegt, mit der Bitte, mich zu berichten, ob Sie die Sendung erhalten. Ich will Ihnen sagen, warum ich diese Bitte an Sie stellte: Ich habe den ganzen Pak Geschreibsel durch Gelegenheit bis auf Visp übersendet u. zwar durch eine nicht ganz zuverläßige Person. Ich bin daher, bis ich von Ihnen einen Emp-fangschein erhalten, in Besorgniß, meine Sendung könnte verloren gegangen sein, was mir sehr leid thäte, besonders um die frühere Sammlung.

Ich muß Sie noch fragen, ob Sie auch Sagen, d. h. Volkssagen (alti Zehllote

[Zellete]), in Ihre Arbeit aufnehmen oder ob selbe Ihnen für Ihre Arbeit auch erwühnscht wären, muß aber bemerken, daß einige von selben ziemlich breit u. lang ausfallen würden, wenn man sie laut Hörensagen wiedergeben sollte. Es sind Gespenster- (Bozen-) Geschichten, Armen-Seelen- u. allerart schauerliche Sagen darunter, die ich aber zuvor noch aufschreiben müßte, weil ich selbe nur auf Papierfetzen notirt habe. Ihnen recht glückliche Ostern wünschend verharrt mit herzlicher Begrüßung u. Empfelung Ihr Diener Moriz Tscheinen, Pfarrer.

Grächen, d. 11. März 1865 An Herrn Herrn F. Staub, Sekretair der Antiquarischen Gesellschaft u. des Schweizerischen Idiotikons in Stadelhofen 7 in Zürich

[28. 3. 1865] Zürich, 28. März 65

Hochwürdiger Herr!

Ich muss mich wirklich schämen, dass ich Sie durch meine Trägheit veranlaßt habe, zum zweiten Mal zu schreiben, und nebenbei noch den Schein der Undank-barkeit auf mich geladen habe. Allein gerade der Reichthum und bedeutsame Inhalt Ihrer Aufzeichnungen sind die Schuld, dass ich mit dem Durchstudieren

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derselben neben meinen übrigen Arbeiten und während der hier eben in diese Zeit fallenden Schulprüfungen nicht so bald zum Ziele kam.

Wir sind Ihnen großen Dank schuldig für Ihre Beiträge an das Idiotikon, um so mehr als uns Wallis im Übrigen scheint im Stiche lassen zu wollen. Bei dieser zweiten Sendung waren mir neben den reichlichen Aufschlüssen, die Sie auf meine hundert Fragen ertheilt haben, namentlich die Spiele höchst interessant. In manchen liegt so viel Sinniges und Zartes, wie ich es (offen gestanden) unter den derben Älplern nicht vermuthet hätte; auch die Spiele aber sind bezeichnend für den Charakter eines Volkes. Manche hinwieder finden sich ebenso in hiesiger und andern Gegenden vor und beweisen die uralte Verbrüderung der allemannischen Stämme.

Natürlich wäre uns eine Sammlung Sagen (wovon Sie sprachen) aus der glei-chen Feder sehr willkommen. Dass sie breit und lang ausfallen müssten, wie Sie in Aussicht stellen, wäre unter gewissen Bedingungen eher ein Vorzug als ein Man-gel. Nur müssen Sagen, wenn sie wirklich der Wissenschaft Material zuführen sollen, so objektiv und naturgetreu als möglich, am Besten gerade mit den Worten und Ausdrücken des alten Mannes oder Mütterchens, aus deren Mund sie her-fließen, wiedergegeben werden. Und geschähe die Aufzeichnung gar in der Mundart, so würde sie uns begreiflicherweise doppelt nutzbar. Darin bestand eben die große Kunst u. Meisterschaft der großen Sprachforscher Gebrüder Grimm in ihrer weltberühmten Sagensammlung, dass sie sich enthalten haben, die Uneben-heiten und selbst Widersprüche, welche in den Volkssagen scheinbar vorkommen, zu glätten. Fast Niemand hat vermocht, es ihnen gleich zu thun. Doch muss ich mit großem Ruhm die Sagen aus den V Orten von Curatpriester Lütolf, jetzt Sub-regens in Solothurn, erwähnen. Die Meisten sind, statt Sagensammler zu bleiben, Sagenbearbeiter geworden, haben den großen Dienst, welchen sie der Wissen-schaft mit ihrem Materiale hätten leisten können, vertändelt, indem sie mehr Befriedigung darin fanden, dem Material den Stempel ihres lieben Ich durch styli-stische u. poetische Bearbeitung aufzudrücken. Solche Sagen sind bloß Nasch-werk für die flatterhafte Lesewelt und leben nur einen Tag; für unsere Aufgabe sind sie zu unverläßig. Doch genug hievon. Nur auf eine Äußerlichkeit muss ich noch zurückkommen. Sie haben ihre Sagenaufzeichnungen auf losen Zeddeln gemacht. Das wäre gerade die Form, die ich vorzöge; wenn Sie also keinen andern Grund haben, so könnten Sie sich die Mühe des Abschreibens ersparen. Falls wir uns noch ferner Ihrer Mitwirkung zu erfreuen haben, so würde ich Ihnen über-haupt empfehlen, sich – wie Sie theilweise bei Ihren letzten Beiträgen gethan haben – alter Briefe oder Papieres zu bedienen, das auf der einen Seite beschrie-ben ist, indem uns solches den Vortheil gewährt, die einzelnen Artikel von den andern auszuschneiden u. gerade an ihren rechten Platz zu kleiben. Es ist selbst-verständlich, dass ich dafür sorgen werde, dass Sie für Schreibmaterial u. auch für Ihre Zeit entschädigt werden, sobald u. in welcher Weise Sie es wünschen. Ich gewärtige darüber Ihren Wink.

Nun muss ich wieder Abschied von Ihnen nehmen. Ich wollte mich für 8 Tage zu Ihnen auf Ihren Winterberg versetzen können. Wie hart, aber auch wie maje-stätisch mag der Winter bei Ihnen sein u. wie eigenthümlich muss das Leben der Menschenkinder unter so besonderen Verhältnissen sich gestalten. Hier war der Winter auch sehr drückend, aber mehr durch allerlei Krankheiten, von denen kaum ein Haus verschont blieb, und eine abnorme Sterblichkeit, als durch Schnee u. Eis, welche wir immer nur spärlich haben. Zwar schneite es gerade gestern noch, am Frühlingsfeste der Zürcher, dem sogen. Sechseläuten. Was Ihnen aber unser Winter wahrscheinlich am Meisten verleiden würde, ist, dass man fast

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4 Monate lang keinen blauen Himmel, keine Sonne sieht. Es ist aber weislich ein-gerichtet, dass kein Fleck der Erde ein vollkommenes Paradies, sondern an jedem Orte sowol das Lächeln als der drohende Finger des Herrgottes erkennbar ist.

Ich grüße Sie herzlich, F.Staub (Stadelhofen).

P. S. Mit beiliegenden Kleinigkeiten möchte ich Ihnen Etwas an die Hand geben, um der jungen Gesellschaft, die in ihr Haus kommt, die Winterzeit, oder vielmehr etwa einmal ½ Stündchen derselben theils belehrend theils mit Scherz zu verkürzen.

[unten auf der Seite:] W. S. G. U.

Wenn ich mich recht besinne, äußerten Sie den Wunsch, Stalder’s Idiotikon einmal zu sehen. Ich lege heute eines der zum Behuf der Cirkulation uns geliehe-nen Exemplare bei. Ein großer Dienst wäre es uns allerdings, wenn Sie Musse fän-den, Stalder mit Beziehung auf Ihre Gegend zu ergänzen u. zu berichtigen, namentlich auch statt der von ihm angewandten Verhochdeutschung die volks-thümliche Aussprache zurückzuführen.

[26. 4. 1865 / R. 8. Mai] Grächen, d. 26. April 1865

Vielgeehrter Herr!

Mit herzlichem Danke bescheine den Empfang der vielen hübschen Bilder, lustigen u. classischen Inhalts. Sie haben wahrlich damit meinen Schulkindern, welche an solchen lustigen u. merkwürdigen Sachen sich zu weiden freuen, Viel Vergnügen gemacht, u. Sie werden dieselbe nicht mehr zurückerhalten, warum sind Sie so großmüthig? Die Kinder möchten selbe nicht nur betrachten, sondern sich gern aneignen; warum haben Sie in ihnen diese Lust erwekt? Nicht einmal ein Gegengeschänk werden Sie dafür erhalten, weil man hier oben arm ist u. nichts hat.

Das Einzige, wenn ich durch meine geringe Arbeit Ihre Zufriedenheit verdie-nen kann, ist, was ich zum Gegengeschänk leisten kann. Für meine Mühe begehre ich gar nichts u. auch nichts für das Papier, wenn ich sogar überschriebenes anwenden darf. Wenn Sie mir Zeit lassen, so will ich versuchen, mit Stalders Idio-tikon für das schweizerische IdioIdio-tikon noch etwas zu thun. Aber Sie müßten mich berichten, bis wie lang ich das geliehene Werk behalten darf, damit ich mich darnach richten kann. Bei nächster Gelegenheit werde ich Ihnen eine ziemliche Samlung von Sagen, Märchen u. Bozugeschichten8 übersenden. Sie rühren alle

aus mündlicher Ueberlieferung von alten Müttern oder am Krummstab gebeugten Greisen her. Schon als Knabe bestürmte ich eine steinalte Wittwe, Johanna Mich-lig von Naters, die ein besonderes Talent hatte, solche Sagen in Menge u. mit Naivetät zu erzählen, sie solle doch meine Wißbegirde hierin befriedigen. Ich ließ nicht nach mit Bitten u. Schmeichlen, bis sie mich endlich erhörte u. aus dem reichen Sagen- u. Geister-Magazin einige Stücke hervorholte. Noch jetzt in mei-nen 57 Jahren heimeln mich, währenddem ich selbe aufschreibe, jene

Geister-8 Der folgende Bericht über Johanna Michlig deckt sich inhaltlich mit dem ersten Teil von Tschei-nens Vorwort in WALLISER-SAGEN1872. Weitere Gewährsleute nennt Tscheinen im Brief vom Mai/Juni 1865.

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Geschichten an, die mir die liebe alte Johanna, Gott tröste ihre Seele, erzählte u. oft mit so lebendigen Farben die Bozen schilderte, daß es mir eiskalt über den Rücken liff u. ich die Beine auf den Bank hinaufzog, weil ich vermeinte, daß sie mich an den Beinen anfaßten, oder sie erzählte mit solcher Heiterkeit, daß ich immer hätte zuhorchen mögen u. mit Trauer mich von ihr trennte. Längst ist sie Staub geworden, während ihre Sagen noch leben u. von mir, ihrem alten Schüler, nach Zürich sollen übersandt werden, zu einem verehrten Freunde, der sie vieleicht noch dem Drucke übergeben könnte. Aber nur vieleicht! Sollten Sie etwa dies Jahr noch eine Reise nach dem Visperthale machen, so erbitte ich mir, daß Sie einen Abstecher nach Grächen machen, eine herzliche Gastfreundschaft ist Ihnen dort bereitet. Sie haben Recht, auf so hohen isolirten Gebirgen muß der lange Winter etwas Eigenthümliches haben – auch daran läßt sich’s gewöhnen. Am 22. d[ies] ¼ nach 7 U[hr] M[orgens] erschreckte uns hier ein selts. Phoenomen. Ein großer Meteor explodirte, bei hellem Himmel- u. Sonnenschein, fast Mitte über Grächen. Ich habe d. H. Prof. Wolf, Astronom in Zürich, d. näher. Beschrei-bung mitgetheilt. Mit herzl. Gruß, Dank und Empfelung, Ihr Fr. Moriz Tscheinen Pfarrer.

An Vielgeehrten Herrn Herrn F. Staub Sekretair der Antiquarischen Gesell-schaft, in Stadelhofen Nr7. Zürich

[28. 4. 1865 / R. 8. Mai] Grächen, 28. Ap. 1865

Verehrtester Herr!

Dem vorigen Schreiben füge ich zugleich die versprochenen Sagen- u.

Gei-stergeschichtenbei. Sie kommen alle von alten Müttern u. gebeugten Greisen her. Eines, ein merkwürdiges Manuscript, rührt von einem noch lebenden Priester im Visperthal9 her. Das Gastmal vom berichtig[t]en Geisterseher Felisser Josi10

längst tod. An selbem habe ich mit besonderm Interresse gearbeitet, weil, wenn es gedruckt würde, ich vieleicht eine Familie aus ihrer Gleichgültigkeit für ihre merkwürdige Familiengeschichte aufrütteln möchte. Die Erscheinung soll der Felisser Josi dem Inhalt nach so erzählt [haben]; ich habe ihm nur mit Absicht leb-haftere Farben gegeben. Ich hatte schon früher die Absicht, diese Sagen herauszu-geben.

Doch wenn man so isolirt lebt, hat man keine Einsicht in solche Sachen, ob es der Mühe werth wäre? Ob man mit so etwas in’s Puplikum rücken dürfte? Ob es nicht besser sey, die Manuscripta zurückzunehmen. Was Sie mir, Vielgeehrter Herr, rathen, das will ich befolgen. Da mir Niemand die Druckkösten übernehmen würde, so könten Sie mich mit Gelegenheit berichten, was so was zu drucken kosten würde. Sollte es nicht können gedruckt werden, so würden Sie mir die Manuscripta nicht aus Ihrer Hand lassen u. mit Gelegenheit selbe zurücksenden; denn ich hange an selben immer noch wie ein Kind, so sehr heimeln sie mich an. In der Hoffnung, Sie werden den ganzen Pak richtig erhalten, bin ich mit herz-licher Empfelung Ihr Fr. M. Tscheinen, Pfarrer.

P. S. Der Todtengang v. Belvald [Bellwald] erzählte man noch vor wenig Jah-ren in ganz Goms für eine Wahrheit.

19 Wohl Kaplan Mooser; s. die biographischen Notizen im Anhang. 10 Name einer Figur in Tscheinens Sagen (WALLISER-SAGEN1872 I, Nr. 2).

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[6. 6. 1865] Zürich, 6. Mai 1865 Hochverehrter Herr und Freund!

Nur damit Sie nicht unruhig werden über das Schicksal der Ihnen so lieben Sammlung, zeige ich Ihnen vorläufig den richtigen Empfang an. Ich habe dieselbe mit dem gespanntesten Intresse durchgelesen und sie auch meinem gelehrteren und sachkundigeren Freunde Prof. Schweizer-Sidler mitgetheilt. Wir haben uns vorläufig über Ihren Wunsch, sie drucken zu lassen, mit einander besprochen und werden unser Möglichstes thun, damit er in Erfüllung gehe, denn es ist wirklich auch der unsrige geworden. Es ist Vieles darunter so eigenthümlich und neu, dass Ihr Beitrag unter der Legion von Sagensammlungen ganz gut Platz hat; ich habe Ihre Sagen genau verglichen mit der reichhaltigen Sammlung, welche unser gelehrter Freund Curatpriester Lütolf aus den Vierwaldstätten zusammengestellt hat, finde aber nur spärliche Berührungspunkte, geschweige Repetitionen. Hinge-gen erinnere ich mich allerdings mit Gewissheit, die Sage von der schönen Mailänderin11 ganz mit dem gleichen Detail irgendwo gelesen zu haben, mein

schwaches Gedächtniss aber lässt mich nicht mehr darauf kommen, wo u. wann. War es etwa in der Walliser Monatsschrift, von der ich die ersten Jahrgänge nicht selber besitze? Sonst kamen mir nur noch eine oder zwei der anderen Sagen bekannt vor; alle anderen erscheinen mir sehr originell u. lokal. Gewiss würden sie nicht nur Leser verdienen, sondern auch finden; was an uns liegt, würden wir gerne thun, um zur Verbreitung mitzuwirken.

Übrigens glauben wir nicht unwahr zu prophezeien, wenn wir allen Mitthei-lungen über Sprache, Sitten & Sagen aus dem Wallis zum Voraus eine günstige Aufnahme versprechen, denn bis zur Stunde ist das in den genannten Beziehun-gen hortreiche Land noch ein Nebelland; aus keinem Kanton der Schweiz wissen wir so wenig. Ich hoffe, dass es dem Idiotikon gelingen werde, nicht nur die Spra-che, sondern indirekt auch die Sagen, Sitten u. Spiele Ihres merkwürdigen Landes zu Ehren zu ziehen. Von diesem Gesichtspunkte aus kamen wir (Prof. Sch[weizer] u. ich) übereinstimmend zu der Überzeugung, dass Sie Ihr Büchlein doppelt inter-essant machen u. ihm eine größere Zahl von Käufern sichern könnten, wenn Sie ihm sein landschaftliches Gewand anzögen, ich meine, die Sagen ganz oder theil-weise in der Landesmundart erzählten. Zum Mindesten sollte Letzteres da gesche-hen, wo Landleute redend aufgeführt werden, denen die Verhochdeutschung wie eine Verkleidung steht. Die passendste Weise für dergleichen Mittheilungen scheint mir immer der Mittelweg, den der unübertreffliche Gotthelf gefunden hat, der auch seine Leute durchaus in der Mundart berichten lässt, den Faden der Erzählung aber in einer halb verhochdeutschten Sprache dazu gibt, wo nur die

Formhochdeutsch ist u. die Bernerischen Ausdrücke beibehalten sind. (Wenn Sie seine Bücher noch nicht gesehen haben, kann ich Ihnen eines schicken.) Für Sagen kommt noch ein besonderer Grund dazu, der diese Form vorzüglich macht. Es liegt fast immer in der Situation einer Sage so viel Tragisches od. Liebliches, der Volksmund aber ist so keusch – möchte ich sagen – od. scheut wenigstens die poetische Darstellung so sehr, dass ein Herausgeber von Sagen kaum der Versu-chung wiederstehen kann, von seinen eigenen Gefühlen dazuzuthun, die wirkli-chen od. scheinbaren Lücken auszufüllen usf.

Was die Sagen auf diese Weise an Form gewinnen, verlieren sie an ihrem naturwüchsigen Kerne, u. die Gelehrten nehmen dergleichen Darstellungen gar

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nicht oder nur mit großem Misstrauen auf, da der Darsteller, ohne es zu wissen u. zu wollen, unrichtige Bezüge zu Stande gebracht u. die objektive Wahrheit über-malt haben könnte. Man kann Nichts Besseres thun, als die Sagen so zu erzählen, wie es die Brüder Grimm thaten, nämlich so, dass man die Großmutter selber zu hören vermeint.

Es sind in den letzten Jahren in der Schweiz verschiedene Bücher erschienen, deren größter Werth in der mundartlichen Sprache besteht u. die man ohne diesen Schmuck kaum gekauft hätte; wie viel mehr müsste Walliser Deutsch intressieren, das so zu sagen noch Niemand kennt.

Wenn Sie auf unsere Idee eingehen, so würde ich Ihnen die Sammlung nochmals zurücksenden. Natürlich wäre die Umarbeitung nicht eine wörtliche Übersetzung der jetzigen Form, sondern eine Darstellung nicht bloß in der Mund-art, sondern auch im Volkston.

Es ist möglich, dass ich Sie mitten in der Arbeit überraschen würde, denn allerdings steckt es mir im Sinne, meine Sommerferien nochmals dem Wallis zu widmen, nur hatte ich allerdings eigentlich im Sinne, mich dießmals dem Löt-scherthale zuzuwenden. Ich will also nicht geradezu versprechen, dass ich Ihre freundliche Einladung annehmen kann u. werde; an Lust dazu fehlt es mir aller-dings nicht. Wie, wäre es aber nicht umgekehrt möglich, uns in Zürich zu sehen? Sie stehen freilich in einem Alter, wo Unsereinem kein Zahn mehr weh thut u. man längst die letzte Reise hinter sich hat, aber Sie sind noch so frisch wie ein Jüngling. Ich kann Ihnen nicht sagen, was für eine Freude u. Ehre ich hätte, Sie als meinen Gast in Zürich herumführen zu können; und Sie haben so manchen Freund u. Correspondenten hier, der sich freuen würde, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen oder zu erneuern. Erwägen Sie die Sache einmal! Sie müssten aber Ihren Besuch nicht auf unsere Sommerferien (Mitte Juli bis Mitte August) richten, da Sie dann keine Bekannten hier anträfen.

Es hat mich gefreut, aus Ihrem Briefe zu entnehmen, dass Hr. Kaplan Moo-ser12, den ich letzten Sommer in einem sehr bedenklichen Zustande antraf, noch

lebt. Immerhin rechne ich nicht darauf, dass er Sie etwa nach Zürich begleiten würde. Wenn Sie mit ihm correspondieren, so grüßen Sie ihn von mir.

Den Stalder behalten Sie, so lange er Ihnen dient; es liegt weniger in unserem Interesse, dass er bei möglichst Vielen cirkuliere, als vielmehr, dass er an Orten liegen bleibe, wo er benutzt wird. Am liebsten wollte ich ihn zusammen mit Ihnen durchgehen!

Das Phänomen, das Sie mir meldeten, hatte ich ebenfalls dem H. Wolf ange-zeigt. Sonderbares Zusammentreffen! Denken Sie nur, wenn Sie etwa zu einem schönen Sterne aufblicken, an Ihren kleinen Freund in Zürich, so treffen unsre Grüße zuweilen zusammen, auch wenn der Stern nicht im rechten geometrischen Winkel steht. Hier in Zürich huschte übrigens jene Himmelserscheinung ganz lautlos vorbei, weshalb auch fast Niemand sie beachtete.

Doch genug der Plaudereien. Ihnen mit Herzlichkeit ergeben F. Staub.

P. S. Wir haben in Betreff der Sagen uns noch an keinen Verleger gewendet, glauben aber jedenfalls weit entfernt, dass Sie die Druckkosten tragen müssten, sollte ein Profit für Sie herauskommen. Gäbe es ein größeres Buch, so wäre es der

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Mühe werth gewesen, sich an Hirzel in Leipzig zu wenden, welcher als der nobel-ste Verleger gilt. Wären Sie nur hier, so wollte ich Ihnen zeigen, was für Stoffe aus anderen Kantonen zusammengestellt worden sind, & ich bin versichert, dass Sie mit einigen Gleichgesinnten eine noch größere Masse aus dem Wallis zusammen-brächten.

Sr WohlEhrwürden Herrn Pfarrer M. Tscheinen, Grächen, Visperthal. Ctn

Wallis

[Mai/Juni 1865]

Verehrtester Herr u. Freund!

Ich danke Ihnen recht herzlich für die gütige Aufnahme meiner einfältigen Sagen, daß Sie denselben noch so viele Aufmerksamkeit geschänkt haben. Ich habe in meiner blinden Vorliebe für diese Samlung gewiß eine zu unbescheidene Bitte an Sie gestellt u. bestehe auch gar nicht darauf, daß selbe jetzt sogleich dem Drucke übergeben werden möchten. Nein, es pressirt damit nicht; wollen Sie vieleicht etwa später mit andern Schweitzer-Sagen auch diese herausgeben oder sonst nach Ihrer bessern Einsicht sonstwie benutzen, sie stehen zu Ihrer Verfügung – ich mache ihnen mit selben ein kleines Geschänk für das patriotische edle Unternehmen «des schweizerischen Idiotikons», wollen Sie selbes gütigst nicht verachten. Im Falle aber Sie selbe nicht für unpassend hielten früher oder später dem Drucke zu übergeben, so bitte [ich] Sie, an selben nichts zu verändern, ausge-nommen die Schreibfehler, deren es dabei viele giebt u. was sich sonst für das Puplikum nicht schikt. Nur muthen Sie mir mit Ihrem hochverehrten Freunde nicht an, selben das landschaftliche Walliserkleid anzuziehen, d. h. selbe in der barbarischen Mundart unsers Landes abzufassen.

Alle die übersandten Sagen, mit Ausnahme sehr weniger, sind sehr alt. Unge-fähr vor 40 Jahren u. zum Theil 50, erzählte mir selbe eine gewisse Anna Michlig, die etwa schon 80 Jahre war, die ungeachtet ihres hohen Alters noch ein so fri-sches Gedächtniß hatte u. so anziehend zu erzählen verstand, daß es für mich wiß-begierigen Knaben ein wahres Fest war, wenn das alte liebe Weib in unsere Stube zum Abendsitz kam. Wir Kinder ließen ihr keine Ruhe, bis sie uns zu erzählen ver-sprach, wir dann einen Kreis um sie bildeten u. mit andächtiger Aufmerksamkeit auf ihre naiven Erzählungen horchten. Tröste sie Gott, die liebe, gute, geistvolle Anna Michlig! Ich habe später keine Person mehr angetroffen, die einen solchen Sagenreichthum besaß u. mit solcher Anmuth u. Lebhaftigkeit zu erzählen ver-stand. Schade, daß ich erst zu spät auf den Gedanken kam, den Inhalt wenigstens zu notiren – aber wie Vieles gieng verloren. Und nun denken Sie, wie wäre es mir möglich, in der ächten Wallissermundart solche längst gehörten Sagen zu reprodu-ziren, da ich seit bald 30 Jahren im Visperthal mich aufhalte, wo ein ganz anderer Dialekt als in Naters ist. Um das Aechte zu treffen, müßte ich die Provinzialismen od. Mundarten von Goms, Mörel, Brigerberg, Rarens u. Leucks kennen; was rein unmöglich ist; denn es heißt hier, der oberste Gommer u. hinterste Visperthaler verstünden einander nicht – so verschieden ist ihre Mundart.

Und Unächtes, d. h. erkünsteltes Kauderwelsch oder wirkliches Wallisdütsch mit dem ächten alten Dialekt vertauschen, wäre nicht aufrichtig u. ein größeres Verderbniß, als hie u. da einen poetischen Pinselstrich anbringen, der doch wenig-stens die Sage im lieblichern Bilde zeigt, anstatt verunstaltet u. eckelhaft macht. Gewiß ist’s, daß jede Sage mehr Dichtung als Wahrheit ist, so haben die Dichter an sie mehr Anrecht als die Forscher u. Wissenschaft. Uebrigens so etwas in einer

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Sprache schreiben, für welche noch keine grammatikalische Regeln bekannt sind, [die] in keiner Schule noch gelehrt wurde, jeder nach Willkühr, d. h. nach seinem Dialekt schreibt – der Gommer anders als der Mörjer, der anders als der Natisser, der anders als der Briger, der anders als der Rarner u. Leucker u. diese anders als die Visperthaler u. selbst diese ungleich, weil der Zermatter ganz andere Mundart hat als der Saaser. Ja, dafür kann ich stehen, daß Wenige im Wallis diese ihre Mundarten lesen, geschweige schreiben können; ja ich weiß auch, daß man über solches Geschreibsel hier nur lacht u. spottet u. Niemand Sagen, in solchem Styl verfaßt, im Wallis lesen würde; ausgenommen etwa ein oder der andere Sprach-forscher, u. der würde sagen, das ist nicht das alte Wallisdütsch, sondern das heu-tige, mit aller Art fremdem Zeug vermischte, erkünstelte.

Es ist die höchste Zeit, daß Sie, hochverehrter Herr, mit einigen edlen patrioti-schen Männern durch das schöne Unternehmen des schweizeripatrioti-schen Idiotikons die wenigen Ueberreste der Schweizermundarten zu retten suchen, damit nicht Alles im Strome der Zeit untergehe. Denn ist die Sprache der Griechen u. Römer, dieser großen u. berühmten Völker, eine todte geworden, warum sollten nicht unsere Schweizer-Mundarten nach einiger Zeit untergehen können, ja sie sind schon zum Theil verschwunden u. durch das Durcheinanderströmen der Völker vermischt u. verunstaltet worden. Viel kommt auf den Gust u. Bildung eines Volkes an, um an solchem Volkdialekt in Schriften Vergnügen zu haben, aber in Wallis findet er keine Gunst. Salomons Toblers «Enkel Winkelried»13, wie oft

werden dort die Schweitzerhelden redend eingeführt u. doch nirgends in ihrer Mundart; u. wäre dies geschehen, so würde sein schönes Gedicht gewiß nicht so allgemeinen Beifall gefunden [haben]. Grimm u. Jeremias Gotthelf waren Künst-ler in ihrem Fache, haben vieleicht auch eine erkünstelte Volksmundart sich geschaffen; wenigstens haben die alten Mütterchen dem H. Grimm seine Sagen gewiß nicht in die Feder diktirt, dafür ist der Bauer zu schüchtern, vor solchen Herrn ihre Sagen auszukramen u. die, welche sie solchen Sagensamlern preißge-ben, sind gewöhnlich nicht die gewissenhaftesten Nacherzähler, das habe ich selbst oft erfahren. Wenn ich also nicht dafür bin, solche poetische Altherthümmer in das rohe barbarische Kleid des Schlechtdütsch zu stecken, so war ich so gewis-senhaft als möglich, in soweit ich mich an diese Erzählungen einer Michlig Anna, einer Magdalena Gasser, Gasser Hans, Eggel Moriz u. meiner lieben Mutter, see-ligen Andenkens, erinnere, den Inhalt unverändert in einer verständlichen Sprache wiederzugeben. Nur im Gastmal um Mitternacht suchte ich einige dunkle Stellen mit leichtem Pinsel zu erhöhen, aber die ächten Züge nicht zu verwischen.

[weitere Blätter mit der Fortsetzung fehlen] [20. 6. 1865]

Vielgeehrter Herr!

Ich beeile mich, Ihrem Schreiben auf mein leztes zuvorzukommen, durch Uebersendung noch einiger Walliser-Sagen – u. zwar im hießigen Volksdialekt. Ich wollte nur einen Versuch wagen, was ich hierin leisten könnte, habe aber wenig Zutrauen auf meine Fähigkeit in diesem ganz unbekantem Styl- u. Ortho-graphie-Fache – es scheint mir eine ganz willkührliche Schreibart. Diese gesam-melten Reste mögen Sie, wenn sie Ihnen nicht gar zu fad und einfältig erzählt fin-den [sic], zu fin-den übrigen Walliser-Sagen legen – es sind die lezten Sagen, die ich 13 Die Enkel Winkelried’s. Epische Dichtung,Zürich, 1837.

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Ihnen übersende, u. Sie werden dessen gewiß zufrieden sein, weil Sie solcher Waare gewiß schon überdrüssig sind u. auch für mich das Interresse sehr verloren haben. Genannte Sagen sind, mit weniger Ausnahme, fast mündlich nacherzählt. Und nun noch eine wohl etwas unbescheidene Bitte, aus dem Sie den einfa-chen Einsiedler u. Pilger von Gräeinfa-chen erkennen werden: Weil ich nicht weiß, ob ich Sie vor meinem Tode noch einmal sehen kann, so wünschte ich sehr Ihr photo-graphisches Portrait zu besitzen, u. sollte durch Zufall das ihrer Frau auf der glei-chen Karte stehen, so würde mich das auch sehr freuen. Wenn ich vom Waldbru-der von Grächen eines hätte, so würde ich auch eines übersenden. Aber hier kommen keine Photographen, nur ein Pfuscher kam, der Negative blos einige auf-genohmen u. handwerksmäßig. Mit der Zeit hoffe ich von H. H. Prof. der Astrono-mie R. Wolf, Dr. Heusser u. meinem Lieblingsdichter Salom. Tobler auch ihre Photographie zu erhalten. Bis wie lange werde ich den Stalder behalten können, um für das Walliser-Idiotikon Beiträge zu liefern? Es wäre mir lieb, wenn Sie ungefähr die Zeit bestimmen könnten, wie lange man daran arbeiten dürfe, ohne zu verspäten.

Besitzen Sie auch in Zürich so konstant schönes helles Wetter wie wir in Grächen? Ein kalter seltsamer Wind vertreibt jede Wetterwolke. Die Dürre macht sich in Aeckern u. Gärten fühlbar, u. von S. Niklaus od. gar von Täsch bis gegen Saas u. Visp zeigt sich eine Art Waldkrankheit, durch welche die Kriss-Nadeln aller Lerchbäume verdorren oder abgefressen werden, von kleinen schwarzen Würmern, die die äussersten Zweige umspinnen u. an den Fäden ihres Spinnge-webs sich herunterlassen u. die Nadeln abfressen. An den Tannen, Thelen u. Arven bemerkt man aber gar nichts, es scheint also eine innere Krankheit zu sein. Im Grund zeigen sich Heuschrecken in zu starker Generation u. Freßlust. Das Heu aber steht hier in Grächen wie seit Menschen-Andenken nie, in so herrlichem Wachsthum u. Fülle – doch genug von meinen Berg-Novitäten.

Leben Sie wohl u. genehmigen die freundlichen Grüße von Ihrem Fr. Moriz Tscheinen, Pfarrer i. Grächen, d. 20. Juni 1865.

[11. 9. 1865, nach Staubs erneutem Aufenthalt in Grächen] Hochverehrter Herr Staub!

Endlich werden Sie wieder bei den lieben Ihrigen angelangt u. Ihre geehrte Frau wird Ihnen das gefährliche Heimweh glücklich vertrieben haben. Ich wün-sche es aus ganzem Herzen, das dem so sey u. Sie eine recht vergnügte Heimreise gemacht haben u. gesund u. wohl Ihre liebe Familie angetroffen.

Was mich betrifft, bin ordentlich gesund u. trage endlich kein Verband mehr an der Hand, wie damals, als Sie mich die Güte hatten zu besuchen, wo ich wie ein alter Inwalide neben Ihnen stand, um Sie in Ihrem schweren Heimweh zu trösten u. zu ermuntern. Aber eine alle Zeit in Anspruch nehmende Aufgabe ist uns von den geistl. Obern geworden, nämlich die Abhaltung des kirchlichen Jubiläums14,

welches viele Arbeit kostete u. mir für das Idiotikon wenig oder keine Zeit übrig ließ; hoffe aber, bald wieder mehr Muße dafür zu gewinnen. Ich übersende Ihnen einige in Eile aufgezeichnete Sagen u. Volksschwänke; ob Sie selbe für die Wal-lisersagen brauchen können, überlasse ich Ihrem Gutdünken. Ich muß noch be-14 Nach freundlicher Auskunft von Herrn Gregor Zenhäusern dürfte es sich um den Jubiläums-ablass für das Jahr 1865 handeln, den Papst Pius IX. im Zusammenhang mit seiner Enzyklika

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merken, daß ich zu viele Freiexemplare begehrte, statt 20, was übertrieben war, würde ich mich mit 10, ja auch 5 begnügen u. selbst auf diese würde ich Verzicht leisten, wenn man wenige Abnahme befürchtete. Auf 2 bis 3 Duzzend würde ich für mich subscribiren, denn ich weiß wohl, es sind halt nur Sagen, deren zu 100 000 gedrukt werden. Sollten diese Sagen an einen Drucker zu bringen Ihnen zu viel Mühe verursachen, so lassen Sie es nur bleiben. Auf nächsten Herbst od. Winter wird Herr Ruppen, ehemaliger Pfarrer in S. Nicklaus, von Naters Pfarrei vieleicht wieder eine Familienstatistik herausgeben u. selbe wieder mit Noten von Sagen aus Naters begleiten; doch seine Sagen sind von frischem Datum u. können nur kurz ausfallen, denn das gegenwärtige Geschlecht weiß wenig mehr von den Sagen des Alterthums – u. spottet nur darüber.

Ich übersende Ihnen hiemit ein seltsames g’spässiges Allerlei von jung- u. alten Seiten. Ich erinnere mich, daß Ihnen das Troggenspiel neu war, darum wage ich Ihnen ein Muster zuzusenden. Mehr gaben Sie mir Auftrag, was überhaupt auf Mundart u. Kulturgeschichte des Wallis Bezug hat, zuzusenden. Ich übersende Ihnen da 4 Prattiken, die von 1830 u. 31 sind v. H. Schwäller, der ehemals Buch-drucker u. Buchbinder war, später in d. Postbüreau kam u. endlich als armer Mann im Spital in Brig gestorben – die v. 1843, 45 u. 47 kommen v. H. Dekan Berchtold, berühmten Andenkens, Verfasser der Meteorologie15u. Denkschrift16v. d. 27. u.

28. Aug. 1834 u. vieler anderer Schriften.

Ich konnte nur diese mehr auffinden, u. der, welcher mir diese gab, will selbe nicht verkauffen, sondern auf mein Verlangen zur Durchsicht Ihnen selber über-senden, u. wenn Sie solche durchmustert haben, sollten Sie selbe – ganz – zurück-senden. Das Uebrige Alte u. Neue, leider sehr Unbedeutende, sollten Sie als kurz-weiliges u. auch frommes Andenken behalten. Von den Volksspielen habe ich nur diese beigelegten Antiquitäten erhalten u. zusenden können – immerhin dienen sie als Muster. Das Märchenbüchlein soll Ihnen das Heimweh vertreiben, wenn es wiederkehren sollte, mir sind als melancholischen Cälibatär dieselbe etwas zu lustig. Die frommen Büchlein schänkte mir ein Herr aus Lausanne, sind aber, so gut u. schön der Inhalt ist, für kathol. Priester conterband.

Werden Sie nicht zornig, mein lieber Herr, wenn ich für Ihre schöne Sendun-gen so kostbare u. glänzende Sachen übersende. Sehen Sie nicht auf ihren Werth, sondern auf die gute Meinung des Waldbruders von Grächen, der noch immer mit Freuden an die Augenblicke denkt, so Herr Staub mit meiner geringen Gast-freundschaft verlieb genommen u. sich auch in Ihre fernere Freundschaft empfielt. Mit herzlichen Grüßen an Sie, Ihr alter Waldbruder u. Freund in Grächen, Moriz Tscheinen, Adm., d. 11. 7br1865.

[26. 10. 1865 / R. Apr. 66] Vielgeehrter Herr!

Indem ich eben Gelegenheit finde, meine wenige Arbeit für das Idiotikon in Post legen zu lassen, muß ich ihnen melden, daß ich selbe nochmals habe durchse-hen wollen u. leider vergessen hatte; sollte Sinnstörendes vorkommen, so berich-ten Sie mich. Auch bitte ich mir Winke zu geben, wenn diese Art von Durcharbei-tung des Stadlerschen Lexikons nicht passen sollte. Hätte ich mehr Muße, so 15 Wohl als «Metrologie» zu verstehen; vgl. Anm. 17.

16 Josef Anton BERCHTOLD, Denkschrift über den 27. und 28. August 1834; hrsg. von einem

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würde es vollkommener ausfallen; indessen sehen Sie doch meinen guten Willen, wenn auch Zeit u. Kräften fehlen. Haben Sie meine lezte seltsame Sendung durch die Post erhalten? Oder waren Sie davon beleidigt? Denn das wäre mir leid; der Waldbruder von Grächen, wenn er auch einfältig gemacht, so hatte er doch keine böse Absicht damit.

Ich bin noch immer Schuldner für das hübsche Guc[k]kästchen, dessen Betrag ich die Höfflichkeit hatte, nicht mal Sie anzufragen; es ist mir ganz ausge-blieben. Ich werde Ihnen den Betrag, wen Sie mich darüber berichten wollen, bal-digst übersenden. Ich wollte mich geschämt haben, wenn ich so Vieles u. Theures für meine schwache Idiotikons-Arbeiten von Ihnen als verdient abnehmen sollte; solcher Besoldungen könnten Sie doch endlich müd werden. Noch dazu eine Bitte an Sie: ob Sie nicht bei Gelegenheit mir H. Professor Rudolf Wolf der Astronomie fragen wollten, ob er die 2 Broschürchen von Domher Berchthold «System des Meters der Natur»17erhalten, die ich ihm durch Post zusandte u. von denen er im

lezten Brief keine Meldung that. Wenn er sie erhalten, so brauchte er nur durch Uebersendung seiner mir erwünschten Photographie den Empfang zu bescheini-gen, mit Vermelden, ich werde wieder bald etwas Phänomisches senden. Vom Dichter Tobler, der so schön die Enkel Winkelrieds besungen, wird man keine Photographie, denke ich, erhalten können? Verzeihen Sie mir meine Zutraulich-keit, genehmigen Sie diese wenige Arbeit als einen Beweiß, daß an den freundli-chen u. guten Herrn F. Staub recht oft denkt der Waldbruder Moriz Tscheinen, Pfarrer in Grächen, d. 26. 8br1865.

[22. 11. 1865]

Hochverehrter Herr Staub!

Nochmals erscheine ich mit einer Sendung Walliser-Mundarten, u. diesmal mit 32 Seiten stark. Lezthin habe ich Ihnen 20 Seiten von gleicher Qualität über-sendet. Ich hoffte diesmal den I. Bd. des H. Stadlers durchzuarbeiten, konnte aber noch nicht zu Ende kommen, so reichhaltig ist die Wallisersprache. Mein Gott, Sie haben eine fürchterliche Arbeit unternommen! Einstweilen muß ich abbrechen, weil sich meine Berufsgeschäfte zu sehr häufen u. ich seltenere Muße hiezu mehr finde, auch habe ich noch keine Antwort auf meine dritte Sendung u. drittes Schreiben erhalten, was mich fast fürchten läßt, der gute Herr Staub sey krank geworden oder gar, was Gott verhüten wolle, gestorben. Jedenfalls arbeite ich nicht mehr weiter am Idiotikon, bis ich eine Nachricht von Ihnen erhalte.

Was nun den Inhalt meiner gesammelten u. überschikten Materialien betrifft, so versichere ich Sie, daß ich nur solche Mundarten notirte, von denen ich aus langjähriger Erfahrung weiß, u. bestimmt weiß, daß sie dem Oberwallis angehören, sey es dem Visperthal oder Briger- oder Gommer oder Rarner- od. Leuker-Distrikten. Alles übrige, woran [ich] im geringsten zweifelte, ob sie der Walliserbotanik angehören, übergieng ich. Neben den Redensarten habe ich mei-stens Beispiele angehängt zur leichtern Verständniß. Wo die ganz od. fast gleiche Erklärung im Stalder vorkam, habe ich auf selben hingewiesen. Finden Sie, des-sen ungeachtet über Manches Zweifel, so berichten Sie mich.

17 Josef Anton BERCHTOLD, Abhandlung über das Massensystem der Natur als Grundlage der

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