• Aucun résultat trouvé

View of Böhnisch, Lothar (2019). Soziale Theorie der Schule. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Partager "View of Böhnisch, Lothar (2019). Soziale Theorie der Schule. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt."

Copied!
3
0
0

Texte intégral

(1)

2020 Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften 42 (1), 273-275 274

DOI 10.24452/sjer.42.1.15 ISSN 2624-8492

This article is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 International License.

Böhnisch, Lothar (2019). Soziale Theorie der Schule. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt. 168 Seiten.

Ausgehend von der Prämisse, dass es mit Schule nicht nur um die Vorbereitung auf ein späteres Berufsleben, sondern auch um soziales Lernen für eine humane Gesellschaft geht, macht sich Böhnisch auf die Suche nach einer «Grundformel»

(S. 9) für eine soziale Bildungsreform, die das ökonomische System sozial zu durchdringen und zu erweitern vermag. Seine These ist, dass sich die Aufgaben von Schule entlang gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse überformt haben, sodass sie sich heute als ökonomisch funktionalisiert und pädagogisch überfordert darstellt. Schule baue darüber eine «Grundspannung sozialer Verle- genheit» (S. 10) auf, wenn sie sich weiterhin «als in sich funktional geschlos- senes System» (ebd.) gegen soziale Einflüsse abschotte, «obwohl sie um ihrer Reproduktion und Modernisierung willen darauf angewiesen ist, Soziales aufzu- nehmen und zu integrieren» (ebd.).

Der Band beginnt mit einer kurzen historischen Aufarbeitung des pädagogi- schen Spannungsfelds zwischen kapitalistischem Verwertungsinteresse (Vermitt- lungs- und Beschäftigungsfähigkeit) und menschlicher Entfaltung (Emanzi- pation und Autonomie). Während in aktuellen Bildungsdiskursen dieser Konflikt tendenziell ausgeblendet bleibt, indem employability und Persönlich- keitsentwicklung als Gegenbegriffe thematisiert und/oder separat betrachtet werden, ist er bei Böhnisch der Ansatzpunkt für ein umfassendes Reformvor- haben, um sowohl Schule aus ihrer sozialen Verlegenheit zu befreien als auch das Fundament für eine soziale(re) Bildungspolitik zu legen.

Auf der Grundlage seiner Diagnose entwickelt Böhnisch ein sozialintegra- tives Schulmodell, das die skizzierten Widerspruchsverhältnisse als Herausfor- derung annimmt und bearbeitet: Die Abkehr vom funktional geschlossenen System bspw. stellt eine sozialintegrative Schule vor die Herausforderung, in Anerkennung von und Öffnung für sozial unterschiedliche Lebensweisen und -verhältnisse ihre bisherige sog. ‚Mittelschichtsorientierung‘ aufgeben zu müssen.

Dies wiederum bedeutet, die (sozialen) Probleme, die bislang nicht oder nur auf eine spezifische Art und Weise Eingang in die Lehrplanung fanden (hidden- curriculum), anders und aktiver in die Ausgestaltung von Schule und Unterricht mit einzubeziehen. Eine weitere Herausforderung entsteht über das Problem, dass dem rein ökonomischen (Verwertungs-)Denken das soziale Denken weitest- gehend fremd bleibt. Wenn bspw. Lernkonzepte, die ein selbstbestimmtes bzw.

selbstorganisiertes Lernen fördern sollen, nur zur Herstellung von employa- bility verwendet werden, so wird eine individualisierte und individualisierende Kompetenzentwicklung befördert und zur Verschärfung des Verwertungs- und Optimierungsdenkens beigetragen. Damit wird jedoch ignoriert, dass das Lernen immer auch einen sozialen Aspekt hat und somit nicht unabhängig vom Sozialen ist: Individuelles und soziales Lernen sind keine Gegenspieler sondern

R e z e n s i o n

(2)

2020 Swiss SJER 42 (1), DOI 10.24452/sjer.42.1.15

Petra Bollweg 275

R e z e n s i o n

– im Gegenteil – aufeinander verwiesen. Die Synthese aus diesen Überlegungen bildet das Grundgerüst für eine Soziale Theorie der Schule, die über das Modell einer sozialintegrativen Schule die Grundspannung sozialer Verlegenheit auflöst und die Idee eines Bildungsraums entfaltet, der «institutionell dereguliert und flexibel in der Berücksichtigung individuell-biografischer Optionen und Bewäl- tigungsprobleme sein kann» (S. 157). Was dies bedeutet, wird exemplarisch entlang verschiedener Gestaltungsbereiche (bspw. Beziehung, Rollenhandeln, Verhältnis Familie-Schule, Bildungslandschaft) und deren sozialem (Konflikt-) Potential u.a. im Hinblick auf Generationenverhältnisse, soziale Ungleichheit, Anerkennung, Bewältigung, institutionelle Diskriminierung und Lebenslanges Lernen diskutiert.

Pointiert formuliert bemüht sich der Autor um die (Re-)Vitalisierung der Idee von Vergesellschaftung, die er in ein ‚modernes‘ Narrativ bringt. Im Spannungs- verhältnis zwischen (neoliberalem) Primat der Individualisierung und Kompe- tenzorientierung (Humankapital) und gesellschaftlicher Bedingtheit öffentlicher Erziehung und Bildung (Persönlichkeitsentwicklung) werden aktuelle (schul-) pädagogische Perspektiven und Umsetzungsformen hinterfragt und projekt- förmige Herangehensweisen vorgestellt: Inhalte, Sozialformen, Zeitfenster usw.

werden von den verschiedenen schulischen Akteur*innen gemeinsam erarbeitet und in Ziele wie Respekt, Befähigungsgerechtigkeit, Anerkennung und Konflikt- akzeptanz überführt. Im Kern geht es dabei um die Schaffung einer «Struktur der Gegenseitigkeit» (S. 147), die die zentralen schulischen Akteur*innen sowohl in ihrem (funktionalen) Rollenhandeln, als auch in ihrem (dysfunktionalen)

‚Mensch-Sein‘ umfasst.

Der Band ist eine gelungene Einführung in die Sichtweisen pädagogischer Soziologie. Es gelangen die Strukturen in den Blick, welche die pädagogische Arbeit rahmen, «ohne dass wir es merken, vor allem aber ohne dass wir es wahrhaben wollen» (Böhnisch, 2003, S. 28). Als Einführung kann der Band sowohl Studierenden der Bildungswissenschaften, als auch Lehrenden und (Schul-)Sozialarbeiter*innen mit bildungswissenschaftlicher Ausrichtung empfohlen werden. Auf nur wenigen Seiten und in nachvollziehbarer Weise werden die Problemfelder benannt, die nicht nur die Ambivalenzen pädago- gischer Arbeit kennzeichnen, sondern auch die multiple «systemisch geprägte Befangenheit» (S. 21) von Schule insgesamt deutlich machen. Über die syste- matische Zusammenführung von sozialen Problemdimensionen und Konflikt- feldern ermöglicht der Band einen anderen Zugang zu den komplexen (sozialen) Verhältnissen, wie sie sich auch innerhalb von Schule darstellen und zu bearbeiten sind. Insgesamt bietet Böhnisch zwar keinen wirklich neuen, progres- siven Gegenentwurf zur Neuausrichtung von Bildung und Politik im Spätkapi- talismus (vgl. Bünger, Sanders & Schenk, 2018), jedoch werden Möglichkeiten von sozialer Schul- und Unterrichtsentwicklung aufgezeigt, die der permanenten (Re-)Adressierung von zu optimierenden Schüler*innen als Humankapital und deren (administrativer) Verwaltung etwas entgegenstellen.

(3)

2020 Swiss SJER 42 (1), DOI 10.24452/sjer.42.1.15

Petra Bollweg 276

R e z e n s i o n

Dr. Petra Bollweg, Universität Bielefeld, Fakultät für Erziehungswissenschaft Bibliographie

Böhnisch, L. (2003). Pädagogische Soziologie. Eine Einführung (2., überarb. und erw. Aufl).

Weinheim: Juventa.

Bünger, C., Sanders, O. & Schenk, S. (2018) (Hrsg.). Bildung und Politik nach dem Spätkapi- talismus. Hamburg: Argument.

Références

Documents relatifs

Inhaltsverzeichnis aus Rathmann und Hurrelmann, Leistung und Wohlbefinden in der Schule: Herausforderung Inklusion, ISBN 978-3-7799-3859-0. © 2018 Beltz Juventa in der

Durch die eingehende Analyse der Rezeption des amerikanischen Modells der demokratischen Schule für alle im deutschen Diskurs über Schulreformen wird nicht nur die Attraktivität

Emotionen traumatisierter Schülerinnen und Schüler – eine Herausforderung für

Welche Konsequenzen für Bildungsforschung und Bildungspolitik hat die dargelegte Situation von Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Deutschland im Hinblick auf den

Und auch für die Persönlichkeit der Schulab- gänger ist es vorteilhafter, wenn sie von Beginn an merken, dass sie an den allgemeinbildenden Schulen ausreichend auf eine

Après cela, les élèves reportent enfin ces formes en B9 et comparent leurs résultats avec ceux de leurs voisins; ils complètent ensuite la règle.. Pendant que les élèves

Aber weshalb sollten diese Maßnahmen einen Austritt aus dem Euro erforderlich machen.. Mir wollte nie einleuchten, dass zwischen diesen beiden Maßnahmen ein direkter

Einer der drei Lehrer dieser Studie entschied sich, einen Schüler auszuwählen, der für diesen Ablauf verantwortlich war und dafür sorgte, dass alle iPads auf ihren