Radiologe 2014 · 54:1213–1216 DOI 10.1007/s00117-014-2747-y Online publiziert: 19. September 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 A.P.W. Jöres · T. Klink Universitätsinstitut für Diagnostische, Interventionelle und Pädiatrische Radiologie, Inselspital, Universität Bern, Bern
Neu aufgetretene Dyspnoe
bei einer jungen erwachsenen
Patientin mit beidseitigen
renalen Angiomyolipomen
Anamnese
Eine 29-jährige Patientin in gutem Allge-meinzustand stellte sich zur sonographi-schen Verlaufskontrolle bekannter Angio-myolipome beider Nieren in unserer Kli-nik vor (. Abb. 1).
Während der sonographischen Unter-suchung des Abdomens klagte die Patien-tin über Luftnot. Zur diagnostischen Ab-klärung wurde ein Röntgenbild des Tho-rax angefertigt (. Abb. 2).
Abb. 1 9 a Sonogramm der rechten Niere (Konvex- schallkopf, 4 Mhz): echorei- che, glatt begrenzte Raum-forderung am Oberpol der rechten Niere mit Schall-schatten (Durchmesser der Raumforderung 3,5 cm, Pfeil). Innerhalb der Raum- forderung sind kleine- re, echoarme Anteile ab- grenzbar. b In der farbko-dierten Duplexsonographie ist die Raumforderung nur randständig gering vasku-larisiert Abb. 2 8 Thoraxröntgen p. a. Rechtsseitiger Spannungspneumothorax mit Verlagerung des Herz- und Mediastinalschattens nach links und des Zwerchfells nach kaudal. Die linke Lunge stellt sich unauffällig dar
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Spontanpneumothorax
wegen Zystenruptur mit
Lymphangioleiomyomatose
(LAM) und Angiomyolipomen
beider Nieren
Klinischer Befund
und weiterer Verlauf
Der Pneumothorax der Patientin wur-de zunächst mittels Bülau-Drainage be-handelt und mit einer extraanatomischen Teilresektion des rechten Oberlappens so-wie Talkpuderpleurodese weiter versorgt. Die histopathologische Aufarbeitung des Lungenteilresektats ergab eine klein-herdige interstitielle Lymphangioleiomyo-matose mit Emphysem sowie subpleura-len fibroelastotischen Narben. Außerdem zeigten sich mesotheliale Proliferationen mit einzelnen eosinophilen Granulozyten als Hinweise für eine stattgehabte Zysten-ruptur.
Die Patientin konnte am 4. postopera-tiven Tag in gutem Allgemeinzustand ent-lassen werden.
Aus der Vorgeschichte der Patientin ging hervor, dass sie bereits vor einigen Jahren beidseitige Spontanpneumotho-races hatte, die sowohl mit minimal-inva-siven Eingriffen (Thoraxdraingenanlage,
. Abb. 3a) als auch operativen Eingriffen (thorakoskopischer Lungenapexresekt-ion, Pleuraabrasio, Pleurektomie, thora-koskopischer Bullektomie, Talkpleurode-se) versorgt wurden.
Die Angiomyolipome beider Nieren (. Abb. 3b), der eigentliche Grund, wa-rum sich die Patientin in unserer Abtei-lung vorgestellt hatte, waren im einjähri-gen Verlauf größenkonstant. Im langfris-tigen, 6-jährigen Verlauf ergab sich eine Größenprogredienz.
Trotz der Größenzunahme ist aktuell keine Therapie erforderlich und es wur-de eine Verlaufskontrolle in 12 Monaten vereinbart.
Definitionen
Lymphangioleiomyomatose (LAM)
Von einer LAM sind fast ausschließlich Frauen betroffen. Das mittlere Erkran-kungsalter liegt bei 34 Jahren [3]. Die weltweite Inzidenz beträgt rund 100 Fäl-le/Jahr. Oftmals kommt es zu einer Verzö-gerung zwischen dem Auftreten der klini-schen Symptomatik und der anschließen-den Diagnosestellung. Bei der Erkran-kung kommt es zu einer abnormen Pro-liferation unreifer glatter Muskelzellen sowie zur Ausbildung von Lungenzys-ten. Typischerweise ist das zwischen den
Lungenzysten lokalisierte Lungenparen-chym normal. Die Lungenzysten können rupturieren mit der Folge eines Spontan-pneumothorax [4]. Eine Obstruktion der Lymphbahnen kann zu einem Chylotho-rax führen.
In der hochaufgelösten CT-Untersu-chung des Thorax (HRCT) zeigen sich ty-pischerweise diffus verteilte, dünnwandi-ge Lundünnwandi-genzysten die typischerweise einen Durchmesser zwischen 2 und 5 mm auf-weisen. Vorzugsweise sind die Lungenzys-ten bei der LAM in den basalen Lungen-abschnitten lokalisiert. Neben den Lun-genzysten sind HRCT-typische Verände-rungen eine Verdickung der interlobulä-ren Septen sowie fleckige Milchglastrü-bungen. Darüber hinaus kann es zu einer hilären und mediastinalen Lymphadeno-pathie kommen.
Eine wesentliche Differenzialdiagno-se der LymphangioleiomyomatoDifferenzialdiagno-se ist die Langerhans-Zell-Histiozytose (LZH), bei der die Lungenzysten oftmals mit Rund-herden einhergehen, die im Verlauf ein-schmelzen können. Im Gegensatz zur LAM, bei der die Lungenzysten typischer-weise glatt begrenzt und uniform sind, weisen dahingegen die Lungenzysten bei der LZH oftmals bizarre Formen auf.
Abdominelle Manifestationen im Rah-men einer LAM treten bei mehr als 70% der betroffenen Patienten auf. In den
Abb. 3 8 a CT-Untersuchung des Thorax, welche 5 Jahre zuvor angefertigt worden war: Kleine dünnwandige Zysten sind in den Lungensegmenten 3 und 6 beidseits abgrenzbar (Pfeile). Bei Zustand nach Spontanpneumothorax links hier einliegende Thoraxdrainage (*). b Kontrastverstärkte CT-Untersuchung des Abdomens: Bekannte und im Verlauf größenprogrediente An-giomyolipome (Pfeile) beider Nieren. Charakteristisch sind die fettisodensen Dichtewerte innerhalb des Tumors (* [1]). Sollten Tumorkalzifikationen detektiert werden, ist differenzialdiagnostisch auch an ein Nierenzellkarzinom zu denken, das in selte-nen Fällen auch Fett enthalten kann. (Nach [2])
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meisten Fällen werden renale AML festge-stellt [5]. Aufgrund der Proliferation glat-ter Muskelzellen in abdominalen Lymph-gefäßen mit Obstruktion und konsekuti-ver Dilatation entwickeln sich Lymphan-gioleiomyome. Ferner werden eine Lym-phadenopathie sowie ein chylöser Aszites beobachtet [4].
Ohne Behandlung schreitet die Er-krankung langsam bis zum Lungenversa-gen fort. Die 10-Jahres-Überlebensrate bei Patienten mit LAM werden in der Litera-tur sehr unterschiedlich mit Werten zwi-schen 49 und 79% angegeben [4, 6]. Die Behandlungsstrategien bei Patienten mit LAM umfassen eine Vielzahl von Optio-nen (Hormontherapie, Oopherektomie, Pleurodese, Pleurektomie, Pleuraabrasio, Lungentransplantation). Eine Übersicht gibt Sullivan [7].
Angiomyolipom (AML)
Das AML ist der häufigste gutartige Nie-rentumor. Die Prävalenz von AML bei ge-sunden Erwachsenen wird in der Litera-tur mit 0,13% angegeben [8]. Angiomyo-lipome sind langsam wachsende Tumo-ren, die aus abnormen Blutgefäßen, glatter Muskulatur sowie Fett bestehen. Eine ty-pische Komplikation von AML mit einer Größe von >4 cm sind intratumorale
Ein-blutungen [9]. Intratumorale Aneurysma-ta gelten als Prediktor für die SponAneurysma-tanrup- Spontanrup-tur [9]. Tumorblutungen werden oftmals chirurgisch oder interventionell-radiolo-gisch behandelt. Nachdem Moorhead et al. [10] über den Nutzen der transarteriel-len Embolisation bei symptomatischen AML berichteten, wurde diese Methode zunehmend eingesetzt. Die transarteriel-le Embolisation kann sowohl bei ruptier-ten AML verwendet werden als auch um das Wachstum zu bremsen oder eine Rup-tur zur verhindern.
In seltenen Fällen wachsen Angiomyo-lipome aggressiv und dehnen sich z. B. bis in die V. cava inferior aus [11, 12].
Eine biphasische Kontrastmittel(KM)-verstärkte CT-Untersuchung kann hilf-reich sein, um zwischen einem fettarmen AML und einem Nierenzellkarzinom (NCC) zu differenzieren: AML zeigen ty-pischerweise ein homogenes, prolongier-tes Enhancement [2]. In Abhängigkeit vom Tumorsubtyp zeigen NCC dagegen oftmals ein „wash out“ [2, 13].
In einer retrospektiven Studie von Hindman et al. [14] wurde versucht, mit-tels MRT zwischen fettarmen AML und NCC zu differenzieren. Die Autoren kom-men zu dem Schluss, dass die diagnosti-sche Aussagefähigkeit von In- und Out-phase-Gradientenechosequenzen einge-schränkt ist, wohingegen T2-gewichtete Sequenzen hilfreich sein können: Ein Si-gnalabfall relativ zum Nierenparenchym sowie eine geringe Tumorgröße sprechen eher für ein fettarmes AML. Ein gro-ßer Tumor mit intratumoralen Nekrosen spricht demgegenüber für ein NCC. Soll-te innerhalb des Tumors kein Fett deSoll-tek- detek-tiert werden können, empfiehlt sich die engmaschige Verlaufskontrolle mit einer Ultraschall- oder einer nicht kontrastver-stärkten CT-Untersuchung.
In einer kürzlich publizierten Arbeit kommen Kang et al. [15] zu dem Schluss, dass weder mit der CT, noch der MRT zu-verlässig zwischen soliden gutartigen Tu-moren (z. B. Onkozytom, lipidarmes An-gioleiomyom) und bösartigen Raumfor-derungen der Niere differenziert werden kann. Letztlich ist in einigen Fällen eine bioptische Sicherung erforderlich [16].
Tuberöser Sklerosekomplex
(„tubersosis sclerosis complex“, TSC)
Bei der tuberösen Sklerose handelt sich es um eine seltene, autosomal dominant vererbte Erkrankung, die zur Gruppe der Phakomatosen gezählt wird. Die Präva-lenz der tuberösen Sklerose reicht von 1:6000–1:12.000 und rund zwei Drittel der Fälle treten sporadisch auf [17]. Die tube-röse Sklerose kann eine Vielzahl von Be-schwerden an nahezu allen Organen ver-ursachen. Inzwischen hat sich daher die Bezeichnung TSC durchgesetzt: Neben ossären und kardialen (Rhabdomyome) Veränderungen sind v. a. intrakranielle (Astrozytome, subependymale Tubera), pulmonale (runde, dünndwandige Zys-ten [LAM]) und renale Veränderungen (AML) zu berücksichtigen. Nierenzell-karzinome, die im Rahmen der TS auftre-ten, sind bei jüngeren Patienten zu beob-achten. Eine Übersicht über die Manifes-tationen der TS in verschiedensten Orga-nen findet sich in [18].
Lungenzyste
Eine Lungenzyste hat typischerweise eine 1 mm bis max. 4 mm dicke Wand. Der Durchmesser einer Lungenzyste ist nor-malerweise unter 1 cm (. Abb. 4). Per Definition kann zwischen Lungenzysten und Kavernen differenziert werden, wo-bei wo-bei letzteren die Wanddicke >4 mm beträgt. Oftmals gibt es Überlappungen zwischen zystischen Lungenerkrankun-gen mit LunLungenerkrankun-generkrankunLungenerkrankun-gen, die mul-tiple Kavernen aufweisen. Eine Übersicht über die Differenzialdiagnose multipler Lungenzysten gibt . Tab. 1.
Fazit für die Praxis
F Bei Patientinnen im gebärfähigen Al-ter mit dünnwandigen, bipulmonalen Lungenzysten ist an eine LAM zu den- ken. Von einer LAM sind nahezu aus-schließlich Frauen betroffen. F Bei Angiomyolipomen beider Nieren ist an eine Lymphangioleiomyomato-se (LAM) und/oder an eine tuberöse Sklerose (TS) zu denken. F Die Ursachen von Lungenzysten sind vielfältig (. Tab. 1). Lungenzysten, Abb. 4 8 Ausschnittsvergrößerung aus Abb. 3a. Lungenzyste im Segment 3 links (Pfeil). Durch die vor 5 Jahren angefertigte CT-Untersuchung des Thorax wurde erstmals der Verdacht auf eine Lymphangioleiomyomatose im vorliegen- den Fall geäußert. Bei Zustand nach Spontan- pneumothorax links einliegende Thoraxdrai-nage (*)
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die im Rahmen einer Lymphangio-leiomyomatose auftreten, sind nicht von Lungenparenchymveränderun-gen, die mit einer tuberösen Sklerose vergesellschaftet sind, zu differenzie-ren.