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Das deutsche und Schweizer Krankenversicherungssystem: Kosten, Leistungen und Anreizwirkungen aus Sicht der Versicherten

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Academic year: 2022

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Das deutsche und Schweizer Krankenversicherungssystem:

Kosten, Leistungen und Anreizwirkungen aus Sicht der Versicherten

Von M a r t i n E l i n g u n d T h o m a s P a r n i t z k e , S t . G a l l e n*

InhaltsuÈbersicht 1. Einleitung

2. Das deutsche Krankenversicherungssystem 2.1. Leistungskatalog

2.2. Kosten

3. Das Schweizer Krankenversicherungssystem 3.1. Leistungskatalog

3.2. Kosten

4. Vergleich der Anreizwirkungen aus Sicht der Versicherten 4.1. Problematik des Moral Hazard

4.2. Problematik der Adversen Selektion 4.3. GegenuÈberstellung und Gesamturteil 5. Fazit

1. Einleitung

Das deutsche Gesundheitssystem weist grundsaÈtzlich einen hohen Versor- gungsstandard auf, gilt jedoch auch als kostenintensiv.

1

FuÈr die hohen Kos- ten gibt es sowohl exogene als auch endogene Ursachen. Eine exogene Ursa- che ist zum Beispiel der medizinisch-technische Fortschritt, da moderne Be- handlungsmethoden zumeist mit hohen Kosten verbunden sind.

2

Ein wei- teres Problem besteht darin, dass der Anteil von alten nicht berufstaÈtigen

* Dr. Martin Eling und Dipl.-Kfm. Thomas Parnitzke, UniversitaÈt St. Gallen, Insti- tut fuÈr Versicherungswirtschaft, Kirchlistrasse 2, CH ± 9010 St. Gallen. Wir danken Nadine Gatzert, Matthias Heer und Hato Schmeiser fuÈr wertvolle Hinweise und Kor- rekturen. Des Weiteren danken wir den anonymen Gutachtern sowie den Editoren.

1 Vgl. zum BeispielSachverstaÈndigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen(2005), S. 21,Beske, F. / Drabinski, T. / Golbach, U.(2005), S. 5 oder Werblow, A.(2002), S. 427.

2 Vgl.Farhauer, O. / Borchhardt, K. / Stargardt, T.(2004), S. 349,Heiss, W.(2004), S. 616 undDibbern, G.(2004), S. 640.

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Menschen an der GesamtbevoÈlkerung zunimmt, wobei diese Gruppe gleich- zeitig einen groûen Teil der Leistungen der Krankenversicherung in An- spruch nimmt.

3

Dies fuÈhrt zu einem zunehmenden Ungleichgewicht zwi- schen Einnahmen und Ausgaben in der Krankenversicherung. Der beschrie- bene Effekt wird in Deutschland durch die hohe Arbeitslosigkeit und die da- mit verbundene sinkende Anzahl der Beitragszahler verstaÈrkt. Angesichts dieser exogenen Entwicklungen sind in den kommenden Jahren steigende BeitragssaÈtze bei gleichzeitig sinkendem Leistungsniveau zu erwarten.

4

Jedoch gibt es fuÈr die Kostenproblematik in Deutschland auch eine Viel- zahl endogener Ursachen, die durch Fehlsteuerungen im Krankenversiche- rungssystem bewirkt werden. Die geringe Kostenbeteiligung und das Sach- leistungsprinzip fuÈhren in Deutschland dazu, dass es fuÈr den einzelnen Ver- sicherungsnehmer kaum Anreize gibt, sich bei der Inanspruchnahme medi- zinischer Dienstleistungen kostenbewusst zu verhalten.

5

Wir wollen hierzu die zugrunde liegende Moral Hazard Problematik aufzeigen. Weiterhin koÈn- nen sich Personen in Deutschland ab einer bestimmten EinkommenshoÈhe von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht befreien. Wie wir im Fol- genden zeigen moÈchten, hat dies Effekte der Adversen Selektion zur Folge.

Vor dem Hintergrund der beschriebenen exogenen und endogenen Pro- bleme wird uÈber VeraÈnderungen der Finanzierungsstruktur und des Leis- tungsumfangs im deutschen Krankenversicherungssystem intensiv dis- kutiert.

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Als ein Vorbild fuÈr das deutsche Gesundheitswesen wird haÈufig die Schweizgenannt.

7

Das Schweizer Gesundheitssystem wurde bereits in den 1990er-Jahren grundlegend neu geordnet. Aufgrund der obligatorischen Krankenversicherungspflicht wird fuÈr die gesamte BevoÈlkerung eine gesetz- lich geregelte Grundversorgung gewaÈhrleistet. Wer daruÈber hinaus Leistun- gen in Anspruch nehmen will, muss sich zusaÈtzlich versichern. Der Staat beaufsichtigt nur noch, ob die Wettbewerber auf dem Gesundheitsmarkt ei- nen Mindeststandard erbringen.

Dieser Beitrag geht insbesondere zwei Fragen nach: Durch welche Merk- male zeichnen sich das deutsche und Schweizer Krankenversicherungssys- tem aus? Und was sind aus anreiztheoretischer Sicht die Unterschiede zwi-

3 Vgl. Rodrig, S. / Wiesemann, H.-O. (2004), S. 17 ± 46, Dibbern, G. (2004), S. 640 ± 641 undHagist, C. / RaffelhuÈschen, B.(2004), S. 190.

4 Vgl.Schulenburg, J.-M. Graf v. d. / Greiner, W.(2000), S. 191 ± 192,Farhauer, O. / Borchhardt, K. / Stargardt, T.(2004), S. 349,Nickel, A.(2005), S. 962 undPimpertz, J.

(2002), S. 19.

5 Vgl.Giesen, R.(2004), S. 558 undOberender, A.(1996), S. 111.

6 Vgl. etwaAnlauf, M.(2001), S. 1,Klose, J. / Schellschmidt, H.(2001), S. 7,Wille, E. / Igel, C.(2002), S. 13,Schulze Ehring, F.(2004), S. 7,Beske, F. / Drabinski, T. / Gol- bach, U.(2005), S. 5,Nickel, A.(2005), S. 962.

7 Vgl.Greû, S. / Kocher, R. / Wasem, J.(2004), S. 59,Werblow, A.(2002), S. 427 ± 436, Germis, C. (2003), S. 84 ± 85, Flintrop, J. (2003), S. 450 ± 455, Spycher, S. (2004), S. 19 ± 26.

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schen beiden Systemen? Zur Beantwortung dieser beiden Fragen werden wir die Krankenversicherungssysteme in Deutschland und der Schweizun- ter Anreizgesichtspunkten miteinander vergleichen. Wir argumentieren auf informationsoÈkonomischer Basis und nehmen eine Beurteilung der Moral Hazard- und Adversen Selektions-Effekte in beiden Systemen vor. Dabei zeigen sich besonders deutliche Unterschiede in der Ausgestaltung der An- reize fuÈr die Versicherten. Von daher legen wir einen Schwerpunkt auf die Perspektive der Versicherungsnehmer. Weitere anreiztheoretische Bezie- hungen, etwa zwischen Arzt und Krankenkasse, werden dagegen weit- gehend aus der Betrachtung ausgeschlossen.

Der vorliegende Beitrag ist wie folgt gegliedert: In Abschnitt 2 werden die wichtigsten Elemente des Leistungskatalogs und die Kostenstruktur der deutschen Krankenversicherung dargestellt. Eine analoge Betrachtung fuÈr die Schweizer Krankenversicherung findet sich in Abschnitt 3. In Abschnitt 4 folgt eine vergleichende Analyse beider Systeme unter besonderer BeruÈck- sichtigung der Anreizwirkungen aus Sicht der Versicherten. Abschlieûend erfolgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse in Abschnitt 5.

2. Das deutsche Krankenversicherungssystem

In Deutschland existiert ein zweigeteiltes Krankenversicherungssystem, das die gesetzliche (GKV) und die private Krankenversicherung (PKV) un- terscheidet. FuÈr die folgende Darstellung werden jedoch nur die Kosten und Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung beruÈcksichtigt, um eine Vergleichbarkeit zur Schweizer Grundversorgung zu gewaÈhrleisten.

2.1. Leistungskatalog

Die Hauptbestandteile des Leistungskatalogs der gesetzlichen Kranken- versicherung sind Sach- bzw. Gesundheitsleistungen. Den kleineren Anteil machen Geldleistungen wie das Kranken- oder das Mutterschaftsgeld aus.

Die Zusammensetzung dieser Leistungen soll im Folgenden naÈher beschrie- ben werden.

8

Im Bereich der Sach- bzw. Gesundheitsleistungen haben Versicherte in Deutschland einen Anspruch auf aÈrztliche und zahnaÈrztliche Behandlun- gen, sofern diese durch einen von den Krankenkassen zugelassenen Arzt er- bracht werden. In diesem Zusammenhang besteht zumeist ein freier Zugang zu FachaÈrzten sowie eine freie Krankenhauswahl. Weitere Leistungen des

8 Vgl. zum Leistungskatalog der deutschen gesetzlichen Krankenversicherungen Bundesministerium fuÈr Gesundheit(2006a),Beske, F. / Drabinski, T.(2005), S. 42 ± 49 undBusse, R. / Riesberg, A.(2004), S. 91 ± 160.

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deutschen Krankenversicherungssystems sind die Bezahlung von erstat- tungsfaÈhigen Arznei- und Heilmitteln sowie die Erstattung der Kosten von Rettungs- und Krankentransporten. FuÈr diese Leistungen muss der Ver- sicherte gemaÈû dem Sachleistungsprinzip in der Regel nicht direkt bezah- len, denn die zugehoÈrigen Kosten werden zwischen dem Leistungserbringer (zum Beispiel dem Arzt oder der Apotheke) und der Krankenkasse des Ver- sicherten abgerechnet.

Zu den Geldleistungen gehoÈrt die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Demnach besteht ein Anspruch auf Lohnfortzahlung von bis zu sechs Wo- chen im Jahr je Krankheitsfall, der durch den Arbeitgeber getragen wird.

Ab der siebten Woche erhalten erwerbstaÈtige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung Krankengeld. Kein Krankengeld erhalten dagegen Rentner und beitragsfrei mitversicherte FamilienangehoÈrige. Das Kranken- geld belaÈuft sich auf 70% des Arbeitslohns bis zur Beitragsbemessungs- grenze von 42'750

A, ist aber begrenzt auf maximal 90% des aus dem Ar-

beitslohn resultierenden Nettoeinkommens.

9

Krankengeld wird in einem Zeitraum von drei Jahren maximal fuÈr anderthalb Jahre fuÈr dieselbe Krankheit gewaÈhrt. FuÈr die Pflege eines erkrankten Kindes unter 12 Jahren wird fuÈr einen bestimmten Zeitraum (von 10 bis 50 Tagen pro Jahr) eben- falls ein Krankentagegeld bezahlt. Mutterschaftsgeld wird in HoÈhe von 100% des letzten Netto-Arbeitsentgelts waÈhrend des Mutterschutzes, also in einem Zeitraum von 6 Wochen vor und 8 Wochen nach der Geburt, ge- waÈhrt. Das Mutterschaftsgeld als Lohnersatzleistung wird dabei von der Krankenkasse (13

A

/ Arbeitstag) und der daruÈber liegende Teil des Netto- entgeltes vom Arbeitgeber aufgebracht.

2.2. Kosten

Die BeitraÈge der gesetzlichen Krankenversicherung sind in Deutschland an das Einkommen des Versicherten gekoppelt. Die BeitraÈge belaufen sich dabei auf 12 bis 16% des sozialversicherungspflichtigen Bruttoeinkommens (im Jahr 2005 durchschnittlich 14,2%

10

). Diese Kosten werden grundsaÈtz- lich zur HaÈlfte vom Arbeitnehmer und vom Arbeitgeber getragen.

11

Die Obergrenze fuÈr die Versicherungspflicht in der GKV liegt im Jahr 2006 bei einem Bruttoarbeitseinkommen von 47'250

A

(Jahresentgeltgrenze). Die Bei- traÈge werden dabei jedoch nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze von

9 Alle Angaben: Stand April 2006.

10 Vgl.Bundesministerium fuÈr Gesundheit(2006b).

11 Ab dem 01. 07. 2005 wurde der Krankenkassenbeitrag, der haÈlftig von Arbeit- nehmer und Arbeitgeber zu tragen ist, um 0,9 Prozentpunkte gesenkt. Gleichzeitig wurde ein Anteil von 0,9%, der allein vom Arbeitnehmer getragen werden muss, ein- gefuÈhrt. Folglich wurde das Prinzip der paritaÈtischen Finanzierung etwas zu Gunsten der Arbeitgeber verschoben.

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42'750

A12

erhoben. Bei UÈberschreitung der Jahresentgeltgrenze ist es dem Arbeitnehmer freigestellt, ob er sich weiterhin in der gesetzlichen Kranken- versicherung versichern will, oder ob er sich privat versichern moÈchte. Die PraÈmien der privaten Versicherungen haÈngen im Unterschied zur gesetzli- chen Krankenversicherung von verschiedenen Risikofaktoren wie dem Alter oder dem Gesundheitszustand ab. Durch einen Wechsel zu einer privaten Krankenkasse kann ein junger und gesunder Arbeitnehmer einen Groûteil der BeitraÈge einsparen. Dabei muss jedoch bedacht werden, dass im Unter- schied zur gesetzlichen Krankenversicherung die BeitraÈge im Verlauf seines Lebens risikoabhaÈngig ansteigen koÈnnen und Familienmitglieder separat versichert werden muÈssen.

Zur Verringerung der BeitraÈge fuÈr die gesetzliche Krankenversicherung und somit zur Senkung der allgemeinen Lohnnebenkosten wurden in den vergangenen Jahren vermehrt Zuzahlungen eingefuÈhrt. Pro Quartal ist zum Beispiel eine PraxisgebuÈhr in HoÈhe von 10

A

fuÈr den ersten Besuch bei ei- nem Arzt zu zahlen. Die PraxisgebuÈhr muss nicht entrichtet werden, wenn die Arztkonsultation aufgrund einer UÈberweisung erfolgt. Die Anzahl der Arztbesuche mit UÈberweisung ist dabei unerheblich. Ausgenommen hiervon sind Besuche bei ZahnaÈrzten. UnabhaÈngig von der beschriebenen UÈberwei- sungsregel muÈssen hier gesondert 10

A

fuÈr die erste Konsultation pro Quar- tal entrichtet werden. Die PraxisgebuÈhr wird nicht fuÈr Kontrollbesuche beim Zahnarzt, Vorsorge- und FruÈherkennungsuntersuchungen sowie Maû- nahmen der Schwangerenvorsorge und Schutzimpfungen erhoben. Eine Be- freiung von der PraxisgebuÈhr kann erfolgen, wenn sich der Versicherte fuÈr ein von einigen Krankenkassen angebotenes Hausarztmodell entscheidet. In diesen FaÈllen muss der Versicherte bei Krankheit immer zuerst einen fest- gelegten Hausarzt aufsuchen und sich gegebenenfalls von dort zu den ent- sprechenden FachaÈrzten uÈberweisen lassen.

FuÈr Arznei- und Heilmittel sowie fuÈr Kranken- und Rettungstransporte werden ebenfalls Zuzahlungen faÈllig. Diese belaufen sich auf 10% der ent- standenen Kosten. Es sind dabei mindestens 5

A, hoÈchstens jedoch 10A

zu bezahlen. Die Kosten fuÈr nicht verschreibungspflichtige Medikamente wer- den nicht mehr von den Krankenkassen getragen. Die Zuzahlungen bei Auf- enthalten in KrankenhaÈusern und bei stationaÈren Vorsorge- und Rehabili- tationsmaûnahmen belaufen sich auf 10

A

je Tag und muÈssen bis zu 28 Tagen im Kalenderjahr vom Versicherten bezahlt werden.

Die genannten Zuzahlungen muss der Versicherte bis zu einer HoÈhe von 2% seines Bruttoeinkommens tragen. Bei chronisch Kranken verringert sich diese Obergrenze auf 1% des Bruttoeinkommens. Bei UÈberschreitung der

12 Unter einem Einkommen von 400Amonatlich werden keine BeitraÈge faÈllig. Es existiert weiterhin eine Mindestbemessungsgrundlage fuÈr freiwillig Versicherte in HoÈhe von 805Amonatlich, welche den Mindestbeitrag fuÈr diese Versicherten auf rund 113Amonatlich festlegt.

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genannten Grenzen ist der Versicherte von weiteren Zuzahlungen fuÈr das betreffende Jahr befreit.

3. Das Schweizer Krankenversicherungssystem

In der Schweizgibt es zwei Arten von Krankenversicherungen: die fuÈr die gesamte BevoÈlkerung obligatorische Grundversicherung und die freiwil- ligen Zusatzversicherungen. FuÈr die Grundversicherung existiert ein ein- heitlich gesetzlich definierter Leistungskatalog. Sie kann bei oÈffentlichen oder bei staatlich anerkannten privaten Krankenversicherern abgeschlos- sen werden. Im Vergleich zum deutschen System bietet die obligatorische Versicherung eine geringere medizinische Grundversorgung. Eine Vielzahl weiterfuÈhrender Versicherungsleistungen, wie Zahnbehandlungen, freie Krankenhauswahl oder homoÈopathische Heilmethoden, muss uÈber Zusatz- versicherungen erworben werden.

3.1. Leistungskatalog

Im Unterschied zu Deutschland herrscht in der Grundversicherung der Schweiz anstelle des Sachleistungsprinzips das Kostenerstattungsprinzip vor.

13

Dabei muÈssen die Versicherten Gesundheitsleistungen in der Regel zunaÈchst selbst bezahlen. FuÈr entstandene Kosten im Rahmen des vertragli- chen Leistungsversprechens erfolgt im Anschluss eine RuÈckerstattung durch die Krankenversicherung. Eine andere Ausgestaltungsform sieht, wie in Deutschland, die Abrechnung der Kosten zwischen Arzt und Kranken- kasse vor. Jedoch erhalten die Versicherten im Nachhinein Abrechnungen von der Krankenkasse, mit denen auch der vom Versicherten zu tragende Kostenanteil eingefordert wird.

Im Bereich der Sach- bzw. Gesundheitsleistungen uÈbernimmt die Schwei- zer Grundversicherung grundsaÈtzlich die Kosten von aÈrztlichen Behandlun- gen. Jedoch werden die Kosten einer zahnaÈrztlichen Behandlung nur in sel- tenen AusnahmefaÈllen uÈbernommen. In der Grundversicherung koÈnnen Versicherte je nach Angebot der Krankenkasse zwischen verschiedenen Ver- sorgungsmodellen waÈhlen, die unter dem Stichwort Managed Care bekannt sind. Durch Managed Care erfolgt seitens der Krankenkasse eine Ein- schraÈnkung in der Art der Leistungserbringung mit dem Ziel einer gesteu- erten Behandlung und Pflege.

13 Vgl. zum Leistungskatalog der Schweizer GrundversicherungBundesamt fuÈr Gesundheit (2006a), Tiemann, S. (2006), S. 138 ± 168 und Beske, F. / Drabinski, T.

(2005), S. 105 ± 112.

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Das so genannte traditionelle Modell erlaubt, wie in Deutschland, die freie Arzt- bzw. Facharztwahl. Das IPA-Modell (Independent Practice Asso- ciation oder auch Hausarztmodell) sieht vor, dass der Versicherte immer zu- erst seinen Hausarzt aufsucht, der ihn dann bei medizinischer Notwendig- keit zu den entsprechenden FachaÈrzten uÈberweist. Beim PPO-Modell (Prefe- red Provider Organization) ist der Patient nicht verpflichtet, immer den gleichen Hausarzt zu konsultieren, jedoch wird die Auswahl der AÈrzte mit Hilfe einer Liste eingeschraÈnkt. Das HMO-Modell (Health Maintenance Or- ganization) verlangt, dass Versicherte immer zuerst ein Gesundheitszen- trum aufsuchen, welches ein Team von Haus- und FachaÈrzten beherbergt.

14

Die Krankenhauswahl in der Grundversicherung ist auf die allgemeinen Abteilungen, der durch die Spitalliste des Wohnkantons vorgegebenen KrankenhaÈuser, beschraÈnkt. Die freie Krankenhauswahl muss uÈber eine Zusatzversicherung abgedeckt werden. Die Erstattung von Heil-, Hilfs- und Arzneimitteln erfolgt anhand einer Positivliste. Beispielsweise erstattet die Grundversicherung fuÈr Erwachsene alle 5 Jahre Kosten in HoÈhe von 200 CHF (rund 130

A) fuÈr Sehhilfen.

Reine Geldleistungen gehoÈren nicht zum Leistungskatalog der Schweizer Grundversicherung. So wird im Unterschied zu Deutschland kein Kranken- tagegeld und kein Mutterschaftsgeld ausbezahlt. Ein Anspruch auf Lohn- fortzahlung im Krankheitsfall besteht nur beim Arbeitgeber fuÈr bis zu drei Wochen im Jahr, sofern das ArbeitsverhaÈltnis noch nicht laÈnger als ein Jahr bestand. Besteht das ArbeitsverhaÈltnis laÈnger als ein Jahr, sollte der Lohn fuÈr einen angemessenen laÈngeren Zeitraum fortgezahlt werden. Eine ver- gleichbare WeiterfuÈhrung des Krankentagegelds, wie in Deutschland, muss uÈber eine Zusatzversicherung abgesichert werden. FuÈr die Zeit nach der Geburt muss nach dem Mutterschaftsgesetzseit dem 01. 07. 2005 eine Lohn- fortzahlung in HoÈhe von 80% des letzten Nettoeinkommens fuÈr 14 Wochen vom Arbeitgeber gewaÈhrt werden.

3.2. Kosten

Prinzipiell sind alle Personen mit Wohnsitz in der Schweiz in der Grund- versicherung versicherungspflichtig (Kontrahierungszwang). Eine beitrags- freie MitversicherungsmoÈglichkeit von FamilienangehoÈrigen existiert nicht.

Alle Einzelpersonen (auch MinderjaÈhrige) muÈssen demzufolge separat ver- sichert werden. Die BeitraÈge werden pro Kopf erhoben und sind im Unter- schied zu Deutschland unabhaÈngig vom Bruttoeinkommen.

15

Eine Betei- ligung des Arbeitgebers an den KrankenversicherungsbeitraÈgen erfolgt

14 Vgl. zum Konzept des Managed Care u. a.Schulenburg, J.-M. Graf v. d. / Greiner, W.(2000), S. 215 ± 218.

15 Vgl. zum Konzept der KopfpraÈmienFarhauer, O. / Borchardt, K. / Stargardt, T.

(2004), S. 350 ± 351.

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nicht. Allerdings erhalten Einzelpersonen und Familien unter einer be- stimmten Einkommensgrenze ZuschuÈsse zu den Krankenversicherungsbei- traÈgen aus Steuergeldern.

Die PraÈmienhoÈhe kann vom Versicherer frei festgelegt werden und ist re- gional, in AbhaÈngigkeit von der Kostenstruktur, sehr unterschiedlich. Die Tarife muÈssen aber vom zustaÈndigen Bundesamt fuÈr Gesundheit genehmigt werden. Die PraÈmien der Grundversicherung sind dabei nicht vom Alter oder anderen Risikofaktoren abhaÈngig. Die zwei elementaren Bestandteile zur Beeinflussung der PraÈmien durch die Versicherten sind die Wahl der Franchise (Selbstbehalt) und des Versorgungsmodells. Wie erwaÈhnt, koÈnnen sich Versicherte zwischen dem traditionellen Modell (freie Arztwahl) und alternativen Modellen mit eingeschraÈnkter Arztwahl, wie dem HMO-Mo- dell, entscheiden. Die Wahl eines alternativen Modells kann durch die ge- nannten EinschraÈnkungen zu PraÈmienersparnissen von bis zu 25% fuÈhren.

Noch gravierender ist der Einfluss der Franchise auf die monatlichen PraÈ- mienzahlungen. Demnach koÈnnen die Versicherungsnehmer in Abstufungen zwischen einer Mindestfranchise von 300 CHF (rund 195

A) und einer Fran-

chise von 2'500 CHF (rund 1'625

A) pro Jahr waÈhlen, bis zu der die Ver-

sicherten Gesundheitsleistungen selbst tragen. UÈbersteigen die Kosten die Franchise, uÈbernimmt die Krankenkasse 90% aller Kosten. Damit muss der Versicherte auch nach UÈberschreiten der Franchise uÈber eine prozentuale Selbstbeteiligung 10% der Kosten selbst bezahlen. Diese Selbstbeteiligung ist jedoch auf einen jaÈhrlichen Betrag von 700 CHF (rund 455

A) begrenzt.

FuÈr die Grundversicherung ist in AbhaÈngigkeit von den genannten Varia- blen ein monatlicher Preis von 100 CHF (rund 65

A) bis uÈber 300 CHF (rund

195

A) zu zahlen, zuzuÈglich der Zahlungen im Rahmen der Franchise und

der Selbstbeteiligung.

Das primaÈre GeschaÈft der Krankenkassen besteht im Vertrieb der Grund- versicherung. Es steht den Krankenkassen jedoch frei, neben der Grundver- sicherung auch Zusatzversicherungen anzubieten. Dabei handelt es sich insbesondere um zahnmedizinische Leistungen, freie Krankenhauswahl, Chefarztbehandlung und um komplementaÈrmedizinische Angebote. Im Un- terschied zur Grundversorgung findet im Bereich der Zusatzversicherungen jedoch eine preisliche Differenzierung nach Alter und Gesundheitszustand der Versicherten statt. Die Preisbildung erfolgt hier in AbhaÈngigkeit von den angebotenen Leistungen und den genannten Risikofaktoren.

Abgesehen von der Franchise sind kaum Zuzahlungen zu leisten. Ein Bei-

spiel fuÈr eine Zuzahlung ist ein taÈglicher Betrag von 10 CHF (rund 6,50

A),

der bei Krankenhausaufenthalten zu entrichten ist. Eine weitere Form der

Zuzahlung ist die beschriebene proportionale Selbstbeteiligung, die nach

UÈberschreiten der Franchise geleistet werden muss. Diese wurde im Bereich

der Medikamentenwahl zum 01. 01. 2006 neu reguliert. Sofern vergleich-

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bare Generika zu OriginalpraÈparaten existieren, muÈssen nun 20% statt 10% Selbstbeteiligung fuÈr vom Versicherten gewuÈnschte OriginalpraÈparate bezahlt werden. FuÈr die entsprechenden Generika werden weiterhin nur 10% Selbstbeteiligung faÈllig.

4. Vergleich der Anreizwirkungen aus Sicht der Versicherten

Im Zentrum der folgenden Betrachtungen steht die Analyse und Beurtei- lung von Anreizwirkungen aus Sicht der Versicherten. Wir werden somit vorrangig die Beziehungen zwischen Krankenkassen und Versicherten und das VerhaÈltnis zwischen Arzt und Versicherten untersuchen. Anreizwirkun- gen, die sich aus dem VerhaÈltnis zwischen Krankenkasse und Arzt ergeben, sollen nur am Rande beruÈcksichtigt werden. Tabelle 1 stellt die in Abschnitt 2 und 3 beschriebenen Leistungen und Kosten des deutschen und des Schweizer Krankenversicherungssystems gegenuÈber und bildet die Grund- lage der anschlieûenden Evaluation.

4.1. Problematik des Moral Hazard

Die Beziehung von Krankenversicherung und Versicherten wird haupt- saÈchlich durch den Austausch von VersicherungsbeitraÈgen und Versiche- rungsleistungen gepraÈgt. Wenn, wie in Deutschland, die PraÈmienzahlungen von den Leistungen weitgehend getrennt sind, hat dies das Problem des Mo- ral Hazard bzw. moralischen Risikos zur Folge.

16

Demnach hat der Ver- sicherungsnehmer nach Abschluss der Krankenversicherung die MoÈglich- keit sein Verhalten zu Ungunsten des Versicherungsgebers zu veraÈndern.

Man kann dabei zwischen ex-ante und ex-post Moral Hazard unterschei- den.

17

Ex-ante Moral Hazard beschreibt die ErhoÈhung des Schadeneintrittsrisi- kos. Der Versicherte kann durch Leichtsinn und einen gesundheitsgefaÈhr- denden Lebensstil das Risiko einer Erkrankung erhoÈhen.

18

Ein extremes Beispiel fuÈr ex-ante Moral Hazard ist ein Sportler, der sich nach Vertrags- abschluss risikofreudiger verhaÈlt und damit seine Verletzungswahrschein- lichkeit erhoÈht. Der Versicherer ist hingegen bemuÈht, den ex-ante Moral Hazard und damit die Wahrscheinlichkeit des Krankheits- bzw. Schaden- eintritts etwa durch PraÈventionsprogramme moÈglichst gering zu halten.

16 Vgl.Giesen, R.(2004), S. 558.

17 Vgl.Zweifel, P. / Eisen, R.(2003), S. 295 ± 296.

18 Vgl.Breyer, F. / Zweifel, P. / Kifmann, M.(2005), S. 222 undSchreyoÈgg, J.(2004), S. 692.

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Tabelle 1

GegenuÈberstellung von Leistungen und Kosten im deutschen und Schweizer Krankenversicherungssystem

Land Deutschland Schweiz

Leistungen

Versorgungsmodelle: zumeist traditionelles Modell (freie Arztwahl), selten IPA (Haus- arztmodell), sehr selten PPO (AÈrzte-Auswahlliste) oder HMO

(Gesundheitszentrum)

Versorgungsmodelle: oft tradi- tionelles Modell (freie Arzt- wahl), aber auch relativ haÈufig

IPA (Hausarztmodell), PPO (AÈrzte-Auswahlliste) oder HMO

(Gesundheitszentrum) freie Krankenhauswahl beschraÈnkte Krankenhauswahl UÈbernahme der Kosten fuÈr Arzt

und Zahnarzt UÈbernahme der Kosten fuÈr Arzt, aber nicht fuÈr Zahnarzt Geringe Kostentransparenz: Ge-

sundheitsleistungen muÈssen nicht direkt bezahlt werden

Hohe Kostentransparenz: Ge- sundheitsleistungen muÈssen meist direkt bezahlt werden Weitgehende Bezahlung von er-

stattungsfaÈhigen Arznei- und Heilmitteln sowie Erstattung der Kosten von Rettungs- und

Krankentransporten

Weitgehende Bezahlung von er- stattungsfaÈhigen Arznei- und Heilmitteln sowie Erstattung der Kosten von Rettungs- und

Krankentransporten Krankengeld (Arbeitgeber /

Krankenkasse) Krankengeld (Arbeitgeber) 14 Wochen Mutterschaftsgeld

(100% des Netto-Arbeitsent- gelts ± Arbeitgeber / Kranken-

kasse)

14 Wochen Mutterschaftsgeld (80% des Netto-Arbeitsentgelts

± Arbeitgeber) Familienversicherung Individualversicherung

Kosten

Krankenversicherungsbeitrag

abhaÈngig vom Einkommen Krankenversicherungsbeitrag unabhaÈngig vom Einkommen Beteiligung des Arbeitgebers an

den Krankenversicherungsbei- traÈgen

Keine Beteiligung des Arbeit- gebers an den Krankenversiche-

rungsbeitraÈgen Geringe Kostenbeteiligungen:

PraxisgebuÈhr 10A, geringe Zu- zahlungen fuÈr Arznei- und Heil- mittel, Rettungs- und Kranken- transporte sowie Krankenhaus- aufenthalte; Kostenbeteiligung beschraÈnkt auf bis zu 2% des

Bruttoeinkommens

Hohe Kostenbeteiligungen: Zu- zahlungen fuÈr Gesundheitsleis- tungen im Rahmen der Fran- chise und der Selbstbeteiligung;

Kostenbeteiligung beschraÈnkt auf Franchise und die Selbst- beteiligung bis zu 700 CHF

(rund 455A) jaÈhrlich

(11)

Das PhaÈnomen des ex-post Moral Hazard beschreibt die Beeinflussung der SchadenhoÈhe nach Schadeneintritt. Die Krankenversicherung kann die Schwere und den Verlauf der Krankheit grundsaÈtzlich nur schwer beurtei- len, so dass die LeistungshoÈhe im Schadenfall zumeist nicht fixiert werden kann. Im Gegensatz zu anderen Versicherungszweigen, in denen die HoÈhe der Leistung vorab durch Festlegung einer Versicherungssumme definiert wird, muss die Krankenversicherung damit die insgesamt anfallenden Aus- gaben zur Wiederherstellung der Gesundheit erstatten. Dies gewaÈhrt dem Versicherten einen gewissen Spielraum in seinem Nachfrageverhalten. Er kann die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen im Extremfall sogar unbe- grenzt bzw. bis zur SaÈttigungsmenge ausdehnen.

19

Eine AuspraÈgung des ex- post Moral Hazard ist das PhaÈnomen des AÈrztetourismus, bei dem der Ver- sicherte sich im Krankheitsfall ohne RuÈcksicht auf die dabei entstehenden Kosten mehrere Arztmeinungen einholt. Dieser Fall des Moral Hazard tritt insbesondere auch bei einer FehleinschaÈtzung des Gesundheitszustandes seitens der Versicherten auf, zum Beispiel wenn Versicherte sich uÈbermaÈûig stark um ihre Gesundheit sorgen und bereits geringe Beschwerden als schwere Erkrankungen interpretieren.

Dieses Verhalten, welches aus Sicht des Versicherten durchaus rational sein kann, fuÈhrt bei den Krankenkassen zu hohen Kosten, die in Form hoÈhe- rer PraÈmien an die Versicherten weitergegeben werden muÈssen. Das Moral Hazard PhaÈnomen hat insgesamt eine ineffiziente Verteilung von Ressour- cen und einen gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlust zur Folge.

20

Es werden deshalb verschiedene Maûnahmen zur Begrenzung von Moral Ha- zard getroffen. Die Instrumente Kostenbeteiligung, Transparenz, PraÈmien- ruÈckerstattung, Managed Care und Fallpauschalen sollen dabei prinzipiell zur Verringerung des Moral Hazard beitragen.

21

Auf diese Instrumente wird im Folgenden naÈher eingegangen.

Das wichtigste Instrument zur Begrenzung von Moral Hazard ist die Kos- tenbeteiligung. Durch Kostenbeteiligungen kann zum einen ex-post Moral Hazard wirksam vermindert werden, denn es bestehen fuÈr den Patienten fi- nanzielle Anreize, aÈrztliche Leistungen sparsam in Anspruch zu nehmen bzw. auf uÈberfluÈssige Behandlungen zu verzichten. Zum anderen kann durch Kostenbeteiligungen auch eine Reduktion des ex-ante Moral Hazard erreicht werden, da dem Versicherten aufgrund der Vertragsgestaltung klar ist, dass er im Krankheitsfall einen Teil der Kosten selber tragen muss.

19 Vgl.Breyer, F. / Zweifel, P. / Kifmann, M.(2005), S. 222.

20 Vgl.SchreyoÈgg, J.(2004), S. 691.

21 Eine weitere MoÈglichkeit die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen zu begren- zen, besteht in der ErhoÈhung der mit den Gesundheitsleistungen verbundenen Zeit- kosten insbesondere durch eine Rationierung des Angebots (zum Beispiel durch eine VerlaÈngerung der Wartezeiten in den Arztpraxen). Vgl.Schulenburg, J.-M. Graf v. d. / Greiner, W. (2000), S. 70, Giesen, R. (2004), S. 555 ± 582 und Zweifel, P. (2004), S. 583 ± 601.

(12)

Demnach hat er einen zusaÈtzlichen finanziellen Anreiz einer Erkrankung vorzubeugen.

Die Anreizwirkung zur EinschraÈnkung von Moral Hazard wird dabei maûgeblich durch die Ausgestaltung und die HoÈhe der Kostenbeteiligung determiniert. Demzufolge ist die in Deutschland eingefuÈhrte PraxisgebuÈhr zur Verminderung des Moral Hazard bei weitem nicht so effektiv wie die teilweise sehr hohen Franchisen und die dargestellte Form der Selbstbetei- ligung in der Schweiz. Die PraxisgebuÈhr kann zwar eine gewisse Lenkungs- funktion bei den Arztbesuchen erfuÈllen und vermutlich helfen, den AÈrzte- tourismus in gewissem Umfang einzudaÈmmen. Unseres Erachtens kann ein kostenbewusster Umgang mit Gesundheitsleistungen und eine EinschraÈn- kung uÈbermaÈûigen Konsums jedoch nur durch deutlich hoÈhere Franchisen, wie etwa in der Schweiz, erreicht werden.

In der deutschen GKV haben die Krankenkassen zwar seit der EinfuÈh- rung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversiche- rung im Januar 2004 die MoÈglichkeit, Tarife mit Selbstbehalt anzubieten.

Diese sind jedoch der relativ kleinen Gruppe der freiwillig versicherten Mitglieder, also Beamten, SelbststaÈndigen und Angestellten, deren Einkom- men die Jahresentgeltgrenze uÈbersteigt, vorbehalten.

22

Aus anreiztheoreti- scher Sicht waÈre jedoch eine Ausweitung von Selbstbehalt- bzw. Selbst- beteiligungs-Tarifen auf alle Versicherte als Instrument zur BeschraÈnkung von Moral Hazard grundsaÈtzlich geeignet. Ein empirischer Beleg fuÈr die Wirkung von Selbstbehalten und Selbstbeteiligungen auf das Nachfrage- verhalten der Versicherten wurde dabei bereits im Rahmen des Rand Health Insurance Experiments erbracht.

23

Jedoch ist zu beachten, dass auch die Ausweitung von Franchisen problematische Anreize mit sich bringen kann.

Beispielsweise besteht bei hohen Franchisen eine gewisse Gefahr der Ver- schleppung von Krankheiten, die wiederum zu steigenden Kosten fuÈhren kann. Weiterhin wird eine Franchise ihre Wirkung auf das Konsumverhal- ten verlieren, wenn der Versicherte antizipiert, dass er in dem betreffenden Zeitraum den Franchisenbetrag mit Sicherheit uÈberschreiten wird.

24

In die- sem Fall fuÈhrt die Franchise unter UmstaÈnden sogar zu einer deutlichen Ausweitung anstatt zu einer EinschraÈnkung der Konsummenge. Dieser An- reizproblematik kann jedoch dadurch begegnet werden, dass auch nach UÈberschreiten der Franchise eine bestimmte Selbstbeteiligung zu tragen ist

± eine Maûnahme, die im Schweizer Krankenversicherungssystem imple- mentiert ist.

22 Vgl. § 53 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversiche- rung.

23 Vgl.Manning, W. G. et al.(1987).

24 Vgl.Breyer, F. / Zweifel, P. / Kifmann, M.(2005), S. 226.

(13)

Ein weiteres Instrument zur Begrenzung von Moral Hazard ist die Trans- parenzbezuÈglich der mit den Gesundheitsleistungen verbundenen Kosten.

Durch die EinfuÈhrung von Selbstbehalten und Selbstbeteiligungen wird in den meisten FaÈllen eine Abrechnung der erbrachten Leistungen mit den Versicherten notwendig. Einerseits entsteht so ein zusaÈtzlicher administra- tiver Aufwand. Andererseits wird dadurch die Transparenzder Gesund- heitskosten fuÈr den Versicherten erhoÈht. Damit hat dieser die MoÈglichkeit ein Kostenbewusstsein fuÈr die in Anspruch genommenen medizinischen Leistungen zu entwickeln. So wird der Versicherte, bedingt durch die Wir- kung von Franchisen und Selbstbeteiligungen, eher nach guÈnstigeren Be- handlungsmethoden und Medikamenten fragen.

Franchisen, Selbstbeteiligungen und PraxisgebuÈhren werden von den Versicherten als zusaÈtzliche Kostenbelastung bzw. als indirekte Beitrags- erhoÈhungen wahrgenommen. Jedoch gibt es auch Instrumente, die zu Kos- tenbewusstsein motivieren und zugleich vom Versicherten als Kostenerspar- nis wahrgenommen werden. Dazu gehoÈrt insbesondere das Instrument der PraÈmienreduktion bzw. PraÈmienruÈckerstattung. Demnach koÈnnen freiwillig Versicherte in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung bis zu ei- nem ZwoÈlftel der JahrespraÈmie pro Jahr ohne Krankheitsfall einsparen. In der Schweizexistiert sogar die MoÈglichkeit, dem Versicherten eine pro Jahr steigende PraÈmienreduktion zukommen zu lassen, wenn er keine Leistun- gen einfordert.

25

In beiden LaÈndern wird damit die PraÈmienreduktion be- reits als Instrument zur Verringerung von ex-post Moral Hazard eingesetzt.

Diese langfristig gesetzten Anreize koÈnnen gleichzeitig zu einem insgesamt gesunden Lebensstil und somit auch zu einer EinschraÈnkung des ex-ante Moral Hazard fuÈhren.

Eng verbunden mit dem Instrument der PraÈmienreduktion sind auch PraÈ- ventionsprogramme und FruÈherkennungsuntersuchungen, die ebenfalls der Verringerung des ex-ante Moral Hazard dienen. Demnach koÈnnen AktivitaÈ- ten zur Vermeidung von KrankheitsfaÈllen, wie die Teilnahme an Fitnesskur- sen, KrebsfruÈherkennungsuntersuchungen oder die ZugehoÈrigkeit zu einem Disease-Management-Programm durch eine PraÈmienreduktion oder durch attraktive Bonusprogramme belohnt werden.

26

Solche Programme gibt es derzeit vor allem in der deutschen Krankenversicherung, weniger dagegen in der Schweiz.

Eine BeschraÈnkung der Versicherten bei der Auswahl der zugaÈnglichen Leistungserbringer kann ebenfalls zur Reduktion des Moral Hazard und zur KosteneindaÈmmung dienen. Das Instrument des Managed Care dient diesem Zweck. Managed Care umfasst das bereits beschriebene Hausarzt- modell, die AÈrzte-Auswahlliste und das Konzept des Gesundheitszentrums.

25 Vgl.Bundesamt fuÈr Gesundheit(2006b).

26 Vgl.Breyer, F. / Zweifel, P. / Kifmann, M.(2005), S. 318.

(14)

Mit Hilfe von Managed Care soll sowohl eine verbesserte Behandlung als auch eine Reduktion der Kosten erreicht werden. Dies geschieht vor allem durch die EinschraÈnkung der freien Arztwahl, womit eine deutliche Reduk- tion des moralischen Risikos seitens des Versicherungsnehmers erzielt wer- den kann. Dies betrifft wiederum insbesondere den ex-post Moral Hazard etwa bezuÈglich des AÈrztetourismus.

Das Konzept des Managed Care wird in Deutschland nur ansatzweise durch das Hausarztmodell umgesetzt. Im Gegensatz dazu kommt Managed Care in der Schweizrelativ haÈufig zur Anwendung. Die dabei gewaÈhrten PraÈmienrabatte weisen auf ein tatsaÈchlich vorhandenes Einsparpotential hin. Dies kann zum Beispiel mit Effizienzgewinnen durch eine bessere Or- ganisation der Versorgung in Gesundheitszentren erklaÈrt werden.

27

Weiter- hin fehlt dem Versicherten durch die vorherige Festlegung auf einen oder wenige Leistungsbringer die Option mit einer moÈglichen Abwanderung Druck auf den Arzt auszuuÈben, um zum Beispiel eine gewuÈnschte Behand- lung zu erhalten. Die Kostenersparnisse koÈnnen aber auch mit den staÈrke- ren KontrollmoÈglichkeiten (zum Beispiel Globalbudgets, AÈrzte im Ange- stelltenverhaÈltnis) der Krankenkasse uÈber das entsprechende Gesundheits- zentrum begruÈndet werden. Diese staÈrkeren KontrollmoÈglichkeiten bergen allerdings auch Gefahren. So kann ein zu knappes Globalbudget unter Um- staÈnden zu einer Unterversorgung der Patienten fuÈhren.

Im Zusammenhang mit den Globalbudgets kann auch das Instrument der Fallpauschalen genannt werden, welches in Deutschland seit 2004 einge- setzt wird. Demnach werden beispielsweise Krankenhausleistungen nicht mehr tageweise, sondern abhaÈngig vom Krankheitsbild mit Fallpauschalen verguÈtet. Dadurch soll eine ErhoÈhung der Transparenzder von den Kran- kenhaÈusern erbrachten Leistung und eine Verringerung der Behandlungs- dauer erreicht werden. In der Schweizwird derzeit noch mit Tagespauscha- len gerechnet, jedoch gibt es auch hier Bestrebungen Fallpauschalen ein- zufuÈhren.

28

Auf den ersten Blick erscheinen Fallpauschalen zwar nicht als wirksames Instrument zur BeschraÈnkung des Moral Hazard von Seiten des Patienten geeignet, denn in erster Linie wird durch Fallpauschalen das Ver- haÈltnis zwischen Arzt und Krankenkasse definiert. Jedoch kann durch ei- nen von der Krankenkasse fest vorgegebenen Leistungsumfang das Angebot an Gesundheitsleistungen und damit zugleich der Spielraum in der Nach- frage effektiv beschraÈnkt werden. Allerdings ist die EinfuÈhrung von Fall- pauschalen nicht frei von Problemen. Insbesondere besteht wiederum die Gefahr der Unterversorgung des Versicherten, zum Beispiel wenn sich ein konkreter Krankheitsfall kostenintensiver als die vorgegebene Fallpauscha-

27 Vgl.Breyer, F. / Zweifel, P. / Kifmann, M.(2005), S. 441 ± 443.

28 So wird unter dem Stichwort Diagnosis Related Groups uÈber ein Patientenklas- sifikationssystem diskutiert, mit dem Patientengruppen mit moÈglichst aÈhnlichen Be- handlungskosten definiert werden koÈnnen. Vgl. etwaFischer, W.(2004).

(15)

le erweist und die Behandlung aus diesem Grund in einem reduzierten Um- fang durchgefuÈhrt wird. Weiterhin wird ein Mehraufwand an BuÈrokratie geschaffen, der insbesondere dadurch entsteht, dass ein System zur Bestim- mung adaÈquater Fallpauschalen entwickelt, implementiert, kontrolliert und regelmaÈûig adjustiert werden muss. Aufwand und Nutzen der EinfuÈhrung von Fallpauschalen sind damit im Unterschied zu Selbstbehalten und Selbstbeteiligungen nicht eindeutig geklaÈrt.

4.2. Problematik der Adversen Selektion

Eine besondere Problematik des deutschen Krankenversicherungssystems besteht darin, dass sich bestimmte Personen von der gesetzlichen Kranken- versicherungspflicht befreien koÈnnen. Dies hat das Problem der Adversen Selektion zur Folge.

29

So koÈnnen sich abhaÈngig BeschaÈftigte ab einer be- stimmten EinkommenshoÈhe, SelbstaÈndige sowie Beamte in einer fuÈr sie guÈnstigeren privaten Krankenversicherung (risikoabhaÈngige Tarife) ver- sichern. FuÈr Versicherte, die hohe Krankheitskosten verursachen oder viele Kinder haben (und so von der Familienversicherung profitieren), lohnt sich ein Wechsel in eine private Krankenversicherung dagegen meist nicht, da diese dann keine guÈnstigeren Versicherungskonditionen als die gesetzliche Krankenversicherung bietet. Folglich verbleiben von diesem Personenkreis lediglich die Personen in der gesetzlichen Krankenkasse, die hohe Gesund- heitskosten verursachen. Durch diese Negativauslese wird der Risikoaus- gleich im deutschen Krankenversicherungssystem eingeschraÈnkt.

30

Einer Negativauslese zwischen den Krankenkassen aufgrund verschiedener Kos- tenstrukturen und dementsprechend unterschiedlichen PraÈmiensaÈtzen wird mit Hilfe eines Risikostrukturausgleichs begegnet.

31

Durch den Risikost- rukturausgleich werden die finanziellen Auswirkungen unterschiedlicher Versichertenstrukturen innerhalb der Krankenkassen, zum Beispiel hin- sichtlich der Zahl der beitragsfrei versicherten Familienmitglieder, aus- geglichen.

In der Schweiz existiert dagegen keine Differenzierung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung. Damit bestehen auch keine ver- gleichbaren Probleme der Adversen Selektion. Aus diesem Grund funktio- niert der Risikoausgleich im Schweizer System besser als in Deutschland.

Durch die Wahl eines hohen Selbstbehalts und damit einer geringen Kran- kenversicherungspraÈmie koÈnnen Schweizer Versicherte ihren Anteil an der Finanzierung der Grundversorgung nur in einem gewissen Umfang reduzie-

29 Vgl. zur Problematik der Adversen Selektion grundlegendZweifel, P. / Eisen, R.

(2003), S. 320 ± 342.

30 Vgl.Hagist, C. / RaffelhuÈschen, B.(2004), S. 185 ± 186.

31 Vgl. zum Risikostrukturausgleich in Deutschland und in der Schweiz Breyer, F. / Zweifel, P. / Kifmann, M.(2005), S. 319 ± 322.

(16)

ren. Allerdings koÈnnen die Schweizer Krankenkassen zum Beispiel durch attraktive Angebote im Bereich der Zusatzversicherungen eine Risikoselek- tion betreiben, um ihren Anteil an schlechten Risiken zu verringern. Dieses Problem wird jedoch durch einen Risikostrukturausgleich gemildert.

Dennoch existieren auch im Schweizer Krankenversicherungssystem Pro- bleme der Adversen Selektion. Beispielsweise ist die Zusatzversicherung fuÈr Zahnbehandlungen, die aus dem Leistungskatalog der Grundversiche- rung ausgeschlossen ist, von diesem Problem betroffen. Es ist davon aus- zugehen, dass diese Versicherung vor allem abgeschlossen wird, wenn in Zukunft sehr hohe Kosten fuÈr Zahnbehandlungen erwartet werden. Dies er- hoÈht die PraÈmie fuÈr diese Zusatzversicherung und laÈsst das Produkt fuÈr Per- sonen mit geringen zu erwartenden Zahnbehandlungskosten unattraktiv er- scheinen.

4.3. GegenuÈberstellung und Gesamturteil

In der Analyse von Moral Hazard und Adverser Selektion im deutschen und Schweizer Krankenversicherungssystem lassen sich grundlegende Un- terschiede feststellen. Tabelle 2 stellt die AuspraÈgungen von Moral Hazard und Gegenmaûnahmen in beiden Krankenversicherungssystemen gegen- uÈber.

Tabelle 2

GegenuÈberstellung von Moral Hazard

im deutschen und Schweizer Krankenversicherungssystem

Anreizprobleme Gegenmaûnahme Deutsch-

land Schweiz

Moral Hazard (fehlendes Kostenbewusstsein, AÈrzte-

tourismus)

Kostenbeteiligung gering hoch

Kostentransparenzgering hoch

PraÈmienruÈckerstattung hoch gering

Managed Care gering hoch

Fallpauschalen ja nein

Das deutsche Krankenversicherungssystem leidet unter einem geringen

Kostenbewusstsein, welches sich zum Beispiel im PhaÈnomen des AÈrztetou-

rismus widerspiegelt. Diese Effekte sind auf die weitgehende UnabhaÈngig-

keit von Kosten und Leistungen zuruÈckzufuÈhren, die Probleme des Moral

(17)

Hazard zur Folge haben. Moral Hazard besteht im Schweizer Krankenver- sicherungssystem in einem geringeren Umfang, da hier eine Vielzahl wirk- samer Gegenmaûnahmen implementiert sind. Dazu gehoÈren insbesondere hohe Kostenbeteiligungen und eine hohe Kostentransparenz. Beide Maû- nahmen halten den Versicherten zu einem kostenbewussten Umgang mit Gesundheitsleistungen an. Zudem gibt es eine Vielzahl von Maûnahmen des Managed Care. Im deutschen System wird dem moralischen Risiko nur im geringen Umfang durch Kostenbeteiligungen, wie mit der PraxisgebuÈhr, be- gegnet. Bonusprogramme, PraÈmienruÈckerstattungen fuÈr die Teilnahme an PraÈventionsmaûnahmen sowie Fallpauschalen mit dem Ziel der Reduktion des moralischen Risikos sind hingegen insbesondere im deutschen Kran- kenversicherungssystem zu finden. Insgesamt wird dem Problem des Moral Hazard jedoch im Schweizer Krankenversicherungssystem deutlich wirk- samer begegnet als im deutschen System.

Des Weiteren leidet das deutsche Krankenversicherungssystem unter der Abwanderung guter Risiken an die private Krankenversicherung. Diese Ad- verse Selektion ist ein Unterschied zwischen dem deutschen und Schweizer Krankenversicherungssystem, der sich nicht ohne grundlegende VeraÈn- derungen beseitigen laÈsst. Da diese nicht zu erwarten sind, stellt die Adver- se Selektion einen Nachteil des deutschen gegenuÈber dem Schweizer Kran- kenversicherungssystem dar.

Zur Begrenzung von Anreizproblemen sind jedoch sowohl Bestandteile des Schweizer als auch des deutschen Krankenversicherungssystems geeig- net. Das Schweizer System kombiniert eine Vielzahl anreizkompatibler Ele- mente mit sozialen Gesichtspunkten. FuÈr Personengruppen mit geringen Einkommen erfolgt die Finanzierung der KrankenkassenbeitraÈge aus Steu- ermitteln. Zudem existiert ein Strukturausgleich zwischen den Kranken- kassen. Aus dem Katalog der anreizkompatiblen Elemente ist insbesondere das Instrument der Kostenbeteiligung und der Kostentransparenzhervor- zuheben. Das chweizer Gesundheitssystem kann in diesen Bereichen ein Vorbild fuÈr eine anreizorientierte Umgestaltung des deutschen Gesund- heitssystems sein.

Allerdings sind auch Bestandteile des deutschen Krankenversicherungs- systems zur Begrenzung von Anreizproblemen geeignet. Dabei sind ins- besondere die Instrumente der PraÈvention und der Bonusprogramme zu nennen, die wirksame Mittel zur Reduktion des Moral Hazard darstellen.

Zudem weisen diese Instrumente den groûen Vorteil auf, dass sie im Unter- schied zur Kostenbeteiligung von den Versicherten nicht als zusaÈtzliche Be- lastung, sondern als positiver Anreizwahrgenommen werden.

Insgesamt kommen wir aber zu dem Urteil, dass das Schweizer Kranken-

versicherungssystem im Hinblick auf die von uns analysierten Anreizpro-

bleme dem deutschen System uÈberlegen ist. Insbesondere sind die im

(18)

Schweizer System zur Reduktion von Anreizproblemen implementierten In- strumente deutlich besser geeignet als entsprechende Instrumente des deut- schen Systems. Aus anreiztheoretischer Sicht kann daher das Schweizer Krankenversicherungssystem als Vorbild fuÈr den Umbau des deutschen Krankenversicherungssystem herangezogen werden.

5. Fazit

Seit einigen Jahren wird in Deutschland uÈber VeraÈnderungen in der Aus- gestaltung des Krankenversicherungssystems intensiv diskutiert. In der Diskussion werden dabei haÈufig problematische Anreizstrukturen bezuÈg- lich des Verhaltens der Versicherten genannt, denn diese haben in Deutsch- land im Krankheitsfall nur ein geringes Interesse an einer kostenguÈnstigen Behandlung. HaÈufig wird dann auf das Schweizer Krankenversicherungs- system als ein Beispiel verwiesen, in welchem die Versicherten ein hoÈheres Kostenbewusstsein aufweisen. Vor diesem Hintergrund wurden in diesem Beitrag die Krankenversicherungssysteme in Deutschland und der Schweiz aus der Perspektive der Versicherten gegenuÈbergestellt. Dabei standen zwei Fragen im Mittelpunkt: Durch welche Merkmale zeichnen sich das deutsche und Schweizer Krankenversicherungssystem aus? Und wie wird in beiden Systemen mit den Anreizproblemen des Moral Hazard und der Adversen Selektion umgegangen?

Sowohl in Deutschland als auch in der Schweizwerden die Gesundheits- kosten zu einem groûen Teil von einer solidarisch finanzierten Krankenver- sicherung abgedeckt. In beiden Krankenversicherungssystemen gibt es eine Versicherungspflicht, einen Kontrahierungszwang, ein Diskriminierungs- verbot sowie einen Risikostrukturausgleich, welcher eine Risikoselektion von Seiten der Krankenversicherung verhindern soll. WaÈhrend in der deut- schen gesetzlichen Krankenversicherung die PraÈmien proportional mit dem Bruttoeinkommen steigen, werden in der obligatorischen Schweizer Kran- kenversicherung einheitliche Kopfpauschalen erhoben. Haushalte mit ge- ringem Einkommen erhalten jedoch einen staatlichen Zuschuss. Es besteht somit in beiden LaÈndern ein fuÈr alle Einkommensklassen garantierter Zu- gang zur medizinischen Grundversorgung.

Im deutschen und im Schweizer System sind unterschiedliche Maûnah- men zur Verhinderung von Moral Hazard implementiert. Im deutschen Sys- tem wird dem moralischen Risiko weniger durch Kostenbeteiligungen, son- dern vor allem durch Fallpauschalen und PraÈventionsprogramme begegnet.

Das Schweizer System zeichnet sich dagegen durch hohe Kostenbeteiligun-

gen und durch Maûnahmen des Managed Care aus. Diese Instrumente wer-

den im deutschen System zwar intensiv diskutiert, sind aber derzeit noch

sehr wenig verbreitet. Zudem leidet das deutsche Krankenversicherungs-

(19)

system unter der Adversen Selektions-Problematik ± einer Abwanderung guter Risiken zur privaten Krankenversicherung.

Insgesamt weist das Schweizer Krankenversicherungssystem damit in der Ausgestaltung der Anreizwirkungen zahlreiche Vorteile gegenuÈber dem deutschen System auf. Zu nennen sind vor allem die Instrumente der Kos- tenbeteiligung und der Kostentransparenz, die grundsaÈtzlich fuÈr eine an- reizorientierte Umgestaltung des deutschen Gesundheitssystems heran- gezogen werden sollten. Aus dem deutschen Krankenversicherungssystem ist dagegen vor allem der Bereich der PraÈventionsmaûnahmen und der Bo- nusprogramme als beispielhaft zu bezeichnen. In diesen Bereichen kann das deutsche Krankenversicherungssystem Vorbild fuÈr die Schweizsein.

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Zusammenfassung

Seit einigen Jahren wird in Deutschland uÈber VeraÈnderungen in der Fi- nanzierung und im Leistungskatalog des Krankenversicherungssystems in- tensiv diskutiert. Dabei werden haÈufig problematische Anreizstrukturen im Hinblick auf das Verhalten der Versicherten genannt. Insbesondere haben Versicherte in Deutschland im Krankheitsfall grundsaÈtzlich wenig Interesse an einer kostenguÈnstigen Behandlung. Zugleich wird auf das Schweizer System als ein Beispiel verwiesen, in dem die Versicherten ein hoÈheres Kos- tenbewusstsein aufweisen. Im folgenden Beitrag werden die Krankenver- sicherungssysteme Deutschlands und der Schweizaus der Perspektive der Versicherten anhand der informationsoÈkonomischen Begriffe des Moral Ha- zard und der Adversen Selektion analysiert. Dabei zeigt sich, dass beide Systeme bei der Verringerung von Anreizproblemen voneinander lernen koÈnnen.

Abstract

In the last years changes in the financing and in the service catalogue of

the German health insurance system have been intensively discussed. The

problematic incentive structures regarding the behaviour of the insured are

frequently mentioned in these discussions. In particular, German insured

(22)

have only little interest in a cost-efficient treatment of illness. At the same

time the Swiss health insurance system is an example in which the insured

show a higher cost consciousness. In the following article, the health insu-

rance systems of Germany and Switzerland are compared from the per-

spective of the insured on the basis of the information-economic terms ¹mo-

ral hazardª and ¹adverse selection.ª We find that both systems can learn

from each other in reducing incentive problems.

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