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Vom Umgang mit Prof. Werner Kägis politischen Jugendsünden 1

Staatsrechtler Werner Kägi war ein höchst angesehener Mann: Seit 1947 Professor an der Universität Zürich, 1956 Dekan der Juristischen Fakultät, allerdings nie – wie andere Juristenkollegen – Rektor der Universität, zwei Ehrendoktoren 1973 und 1977, allerhand andere Ehrungen, 1982 zum Bei-spiel von der «Stiftung für abendländische Besinnung», Mitgliedschaften in angesehenen Gemeinschaften und Institutionen, Gutachter des Bundesrats, eine Festschrift zum Abschluss der Lehrtätigkeit, Würdigungen in der NZZ zu allen runden Geburtstagen – und natürlich auch am Schluss seines Le-bens.2Alle Würdigungen bekräftigten das Bild einer makellosen, gradlinigen Laufbahn. Kollege Dietrich Schindler (jun.) erwähnte 1979 anerkennend die Habilitationsschrift, in der sich Kägi mit den «rechtsstaats- und demokratie-feindlichen Tendenzen der Zeit» auseinandergesetzt habe; und 1989 würdigte Schindler das «leidenschaftliche Engagement für unseren Staat», lobte erneut die «in der Krisen- und Kriegszeit der 30er und 40er Jahre» verfasste Habili-tationsschrift. Er sah aber über die problematische Dissertation von 1936 hinweg.3Als Werner Kägi im Oktober 2005 im Alter von 96 Jahren starb, verfasste Redaktor Max Frenkel für die NZZ den Nachruf und griff, wohl gestützt auf die vorliegenden Würdigungen aus früheren Jahren, in einem Punkt massiv daneben: «Gegenüber braunen und roten Versuchungen blieb Kägi standhaft, und seinen zur Nazizeit ins totalitäre Lager geschwenkten früheren Mentoren in Deutschland verzieh er diese Charakterlosigkeit nie...».4

* Em. Prof. für Geschichte der Universität Basel und ehem. Leiter des interdisziplinären Europainstituts

1 Diese Abklärungen sind das Nebenprodukt zu einem von der Burgergemeinde Bern ergangenen Auftrag, im Anschluss an die Dissertation von Katrin Rieder (2008), das Verhältnis von Bernburgern zum Frontismus zu untersuchen.

2 NZZ 25./26. August 1979 und vom 26./27. August 1989. Zehn Jahre später übernahm Daniel Thürer als Dekan diese Aufgabe der Würdigung, vgl. NZZ vom 26. August 1999.

3 Schindler, vgl. unten Anm. 10.

4 Bezüglich «früheren Mentoren»: Wie Kley zeigt, könnte damit Carl Schmitt gemeint sein. – Max Frenkel, Rechtslehrer und Humanist, in: NZZ vom 7. Oktober 2005. Der im AfZ (PA, Kägi) aufbewahrte Zeitungsausschnitt ist an dieser Stelle mit Bleistift mit einem Ausrufezeichen versehen und um den Namen «Neue Front» ergänzt. Wie konnte es bei Frenkel zu dieser Fehleinschätzung kommen? Einerseits gab es bereits bei Schindler (1979) erste Ansätze dazu, die in der Eile der Redaktionsarbeit

vergrö-Georg Kreis

Das jüdische Wochenblatt «tachles» übernahm ausgerechnet diesen Satz und verwies, wie es auch die NZZ getan hatte, auf den Ehrendoktor von 1977 der Hebräischen Universität Jerusalem.5«Rote Versuchungen» gab es für Kägi in der Tat keine, den «braunen Versuchungen» war er aber stark ausgesetzt – und für eine kürzere Zeit auch teilweise erlegen.

Dem folgenden Beitrag geht es nicht darum, diese belastende Jahre hä-misch in Erinnerung zu rufen. Wichtiger ist der nachträgliche Umgang mit dem, was häufig als Jugendsünde bezeichnet wird. Da gibt es die Tendenz, gnädig, aber auch etwas zu pauschal von «Irrtümern der Zeit» zu sprechen, was davon absieht, dass Zeitgenossen doch eine gewisse Wahl zwischen ver-schiedenen Positionen hatten. Wenn sich da jemand für die «falsche» Partei entschieden hatte, sollte man als Nachgeborene im Urteil grosszügig sein;

man kann nicht wissen, wie man selber auf bestimmte Herausforderungen reagiert hätte.

Das geschönte Bild wurde 2011 in einem ersten wichtigen Punkt zurecht-gerückt. Der Rechtshistoriker Andreas Kley zeigte auf, dass Kägi in seiner Habilitationsschrift von 1943/456zum gleichen Thema so ziemlich das Ge-genteil von dem schrieb, was er 1936 in seiner Doktorarbeit entwickelt hatte:

«Die autoritären, völkischen Redeweisen waren jetzt verschwunden». Einige Passagen der Doktorarbeit hatten sich deutlich in den Denkbahnen der Erneu-erungsbewegung bewegt. Kley bemerkte weiter, die Schrift, die emphatische Passagen zum nationalsozialistischen Deutschland und faschistischen Italien enthalten habe, sei von Zaccaria Giacometti «anstandslos» abgenommen worden.7

Zu welchen Schlüssen war der Jungjurist Kägi in seiner Dissertation, die er ausdrücklich als «Erstlingswerk» bezeichnete, gekommen? Ausgehend davon, dass der Parteienpluralismus eine «moderne Völkerkrankheit» sei, beanstandete er dessen negative Auswirkungen auf den Parlamentarismus, es ist von «Parlamentokratie», von «korrumpierten Legislativen» und «Parla-mentsabsolutismus» die Rede. Kägi sah die Lösung in der «Gewaltenkonzent-ration» (mithin dem Abrücken von der Gewaltenteilung); nötig sei eine auto-ritäre Straffung der staatlichen Autorität und ein «verantwortliches Sein in Gemeinschaft durch eine führende Elite»; zugleich verwahrte er sich

vorbeu-bert wurden; anderseits dürfte sich der Frenkel auf Gewährsleute abgestützt haben, die dem gleichen rechtskonservativen Milieu angehört haben. Zum 80. Geburtstag hatte Kägi auch in der «Schweizerzeit» vom 11. August 1989 eine von Ernst R. Borer ver-fasste Würdigung als «Kämpfer für die Menschenrechte» erfahren.

5 Tachles Nr. 41 vom 14. Oktober 2005, S. 5.

6 Werner Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundlage des Staates, Zürich 1945 (2. Aufl., Zürich 1971).

7 Andreas Kley, Geschichte des öffentlichen Rechts der Schweiz, Zürich/St. Gallen 2011, S. 155-157.

Helvetische Vergangenheitsbewältigung – Vom Umgang mit Werner Kägis Jugendsünden

gend dagegen, dass eine derartige Gesellschaftsordnung mit abschreckenden Schlagworten wie «Diktatur» und «Faschismus» verdunkelt würde.8

Wie war es möglich, dass der als links-liberal eingeordnete Zaccaria Gia-cometti eine solche Dissertation überhaupt akzeptierte und sogar, was bisher nicht bekannt war, mit dem besten Prädikat (summa cum laude) bedachte.

Man würde gerne nachlesen, was das Gutachten zu dieser Arbeit gesagt hat.

Das entsprechende Aktenstück ist im Universitätsarchiv aber nicht auffind-bar, was von der zuständigen Stelle als sehr seltsam bezeichnet wird. Es stellt sich die Frage, ob die Abnahme einer solchen Dissertation durch einen aka-demischen Lehrer nicht mindestens so problematisch ist wie das Verfassen eines stark einem bestimmten Zeitgeist ausgesetzten Erstlingswerkes eines Jungakademikers. Es stellt sich aber auch die generellere Frage, ob ein aka-demisches Traktat, zumal es von hochgestochenen Zitaten nur so strotzte, eine gute intellektuelle Leistung sein kann, obwohl es politisch schädliche Ideen propagiert?9Abgesehen davon, dass Kägi möglicherweise als brillanter und engagierter Student beeindruckte, könnte, da Kägi seine Jugend in Davos verbracht hatte, auch eine Bündner Verbundenheit, von der Dietrich Schind-ler im Geburtstagsartikel von 1979 sprach, im Verhältnis zu Giacometti eine Rolle gespielt haben.10

Kägis Arbeit war nicht die einzige von frontistischem Zeitgeist geprägte Dissertation. Und Kägi war auch nicht der einzige Frontist, der bei Giacomet-ti doktorierte und später an seiner Fakultät zum Professor erhoben wurde.

Ähnliches spielte sich mit dem radikaleren Frontisten und von Kägi 1978 als

«sehr anregendes Mitglied» gewürdigten Werner Niederer ab, der 1932/33 über den italienischen Faschismus promovierte und 1939 als Privatrechtler habilitierte und 1946 ausserordentlicher Professor wurde.11Im Falle

Niede-8 Oskar Werner Kägi, Zur Entstehung, Wandlung und Problematik des Gewaltentei-lungsprinzips. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte und Verfassungslehre, Zürich 1937.

9 Ein Beispiel für die Flughöhe der Ausführungen: Wissenschaft müsse danach streben,

«das lebendige Staatsdenken aus den Fesseln gestriger Objektivationen zu befreien, jene ‚abgesunkenen Begriffe, Dogmen und Prinzipien’ (Nicolai Hartmann), jene

‚formules magiques’ (Gaston Jèze), an denen sich die verfassungspolitische und staatstheoretische Sophistik nährt, auszutilgen» (S. 250).

10 Schindler beleuchtete diese Gemeinsamkeit allerdings nur aus Kägis Sicht: «Seinem bündnerischen Lehrer (...) bewahrte er, trotz Verschiedenartigkeit des Denkens, stets eine tiefe Zuneigung.» (NZZ Nr. 196 vom 25./26. August 1979). Kägi verbrachte sei-ne Jugend in Davos und war nach der in Zürich abgelegten Matur wieder für andert-halb Jahre in Davos für die Graubündner Kantonalbank tätig.

11 Niederer wurde 1939 Privatdozent in Privatrecht und 1946 Extraordinarius. Eine Ernennung zum Ordinarius lehnte er später aus Rücksicht auf seinen Beruf ab. 1966 verfasste Kägi einen Geburtstagsartikel zum 60. Geburtstag, in dem er anerkennend hervorhob, dass Niederer in der Krisenzeit 1934 trotz grosser Schwierigkeiten eine

Georg Kreis

rers reagierte Giacometti mit der nötigen Kritik. Im entsprechenden Gutach-ten, das in diesem Fall erhalten geblieben ist, steht: «Eine solche Verabsolu-tierung relativer politischer Gegensätze im Sinne von Scheidung zwischen demokratischem Staat und fascistischem Staat als schwarze und weisse Scha-fe ist überhaupt symptomatisch für einen Teil der heutigen Studenten-schaft.»12Es bleibt ein Rätsel, warum Giacometti Kägis Dissertation nicht ähnlich kritisch beurteilte.