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Spuren aus der Vorzeit

Worin bestand, wenn wir von der frontistisch geprägten Dissertation absehen, Kägis Engagement der frühen 1930er Jahre, soweit es sich überhaupt belegen

Anwaltspraxis eröffnet habe, von der gleichzeitigen Frontistenaktivität war selbstver-ständlich keine Rede (NZZ 2. August 1966).

12 Niederers Arbeit war zunächst vom Privatrechtler August Egger betreut worden. Mit der Begründung, dass sich die Dissertation zu einer «mehr publizistischen Arbeit»

entwickelt habe, wurde dann Giacometti gebeten, die Begutachtung zu übernehmen.

Niederers eigenartige Dissertation konnte mit Bewilligung der Fakultät bereits vor dem Schlussexamen im Berliner Verlag Duncker & Humblot erscheinen. Dieser war verständlicherweise an der Veröffentlichung dieses Buches mit dem Titel «Der Stän-destaat des Faschismus» (1932) sehr interessiert (erster Hinweis bei Glaus, 1969, S.

393). Die Dissertation wurde zwar bereits am 7. Mai 1932 begutachtet, das Verfahren aber erst 1933 mit dem Examen abgeschlossen. Giacometti beurteilte sie mit 3,25-3,5, was einer schlechten Benotung entsprach. Das Gutachten bemängelte, das Ganze sei zu konstruiert, ja schabloniert; wenn der Verfasser den modernen demokratischen Staat als individualistischen Staat definiere, so übersehe er, dass die Wirklichkeit sich nicht auf so einfache Nenner bringen lässt, dass Kollektivismus und Individualismus starr von einander getrennt werden können. «Aus dieser absolutistischen Einstellung folgt dann, dass manches vielfach schief, ja unrichtig gesehen wird» (Universitätsar-chiv Niederer U 105h.47). Niederer ging davon aus, «dass für unsere Epoche indivi-dualistischer Weltanschauung die Stunde geschlagen hat», dass man in einer «aus-klingenden Epoche individualistischer Vitalität» lebe, dass jetzt eine kollektivistische Epoche mit einem «arterhaltenden Lebenstrieb» angebrochen sei und diese Bewegung

«das Axiom eines gegebenen sozialen Gemeinschaftsorganismus ganz selbstverständ-lich» einschliesse, dass eine «aindividualistische Erneuerungsbewegung ihre Wellen über ganz Europa» geworfen habe und vielleicht sogar eine «neue europäische Zivili-sation» im Entstehen begriffen sei (1932, S. 1-8). – Eine weitere, 1936 von Giacomet-ti angenommene Doktorarbeit war die des FronGiacomet-tisten Wolf(gang) Wirz, Die Träger der verwaltenden Staatsgewalt im Kanton Unterwalden ob dem Wald im Laufe der staatsrechtlichen Entwicklung, Stans 1937. Darin pries Wirz das Landammann-Regime als urschweizerisches demokratisches Führertum, das bei der «von vielen gewünschten» Totalrevision berücksichtigt werden müsse. Giacometti schreibt in sei-nem Gutachten vom 5. Mai 1936, der Verfasser zeige historischen Sinn, die Darstel-lung des geltenden Rechts mute aber zu skizzenhaft an. Note 2 (Universitätsarchiv U105h.45). Auch in anderen Disziplinen, z.B. in der Geschichtswissenschaft, gab es

«Zeitgeist»-Arbeiten, was hier aber nicht weiter ausgeführt werden kann.

Helvetische Vergangenheitsbewältigung – Vom Umgang mit Werner Kägis Jugendsünden

lässt? Kägi trat 1931 als 22jähriger der vor allem aus Studenten und Jungaka-demikern zusammengesetzten «Neuen Front» bei. Zuvor hatte er nach eige-nen Aussagen (von 1978, vgl. unten) bei den Jungliberalen hineingeschaut;

diese Gruppe sagte ihm aber nicht zu, weil sie zu stark auf die Karriere in der freisinnigen Mutterpartei ausgerichtet gewesen sei.

Sein Name erscheint im November 1931 auf einem Papier einer Arbeits-gruppe der «Neuen Front», er hielt, schon damals als Doktorand («cand. iur») angekündigt, vielleicht erst als Gast, einen Vortrag zu einem Thema, das sein Lebensthema werden sollte: «Allgemeine Verfassungsgrundsätze».13

Das Programm der «Neuen Front» machte sich für Gemeinsinn statt Indi-vidualismus, für Führergefolgschaft statt egalitäre Demokratie, für berufs-ständische statt liberale Wirtschaftsordnung stark. Für die aktiven Mitglieder der Kerngruppe galt, was vom Geschäftsführer Robert Tobler gesagt wurde:

Man war überzeugt, «in einer Zeitenwende zu leben und vor Problemen zu stehen, deren Bewältigung für die Gestaltung der Zukunft auf Jahrzehnte, ja Jahrhunderte hinaus» entscheidend wäre.14Hinzu kam eine positive Einschät-zung der als nötig und erfreulich beurteilten Entwicklungen in Italien und in Deutschland. Sozialdarwinismus («Durchsetzung des Stärkeren») fand An-klang, bemerkenswerterweise aber kaum der Antisemitismus.15

Die «Neue Front» war seit 1933 mit der extremeren und militant antise-mitischen «Nationalen Front» in einem Kampfbund zusammengeschlossen.16 Aktivisten der «Nationalen Front» soll es gelungen sein, die «Neue Front»

auf den Boden des Antisemitismus zu ziehen.17Es ist verständlich, dass Kägi 1978 die Opposition der «Neuen Front» zur «Nationalen Front» betonte und herausstrich, dass er gegen die Radikalisierung des Frontismus angekämpft habe.18Die Übergänge zwischen den beiden ursprünglich separaten Gruppen waren fliessend (und bleiben selbst in der Literatur unklar). Selbst Kägi be-nutzte 1934 zur Bezeichnung der eigenen Bewegung den Namen «Nationale Front» und wurde im «Volksrecht» vom 6. Juni 1934 auch dieser zugeordnet.

Die «Nationale Front» stieg 1935, als Kägi noch immer dieser Gruppierung angehörte, mit antisemitischen Parolen und Postulaten in den Nationalrats-wahlkampf: «Jüdisches Wesen und jüdischer Geist sind dem Schweizervolk

13 Nachlass Rolf Henne (AfZ), Dossier 27, Sitzungspapiere, 27. Nov. 1931.

14 Glaus, 1969, S. 50.

15 Glaus, 1969, S. 37-70. Wolf, 1969, S. 107-112. – Christine Weber-Hug, Die Studen-tenschaft 1933-1983, in: Die Universität Zürich 1933-1983, Zürich 1983, S. 196-201.

16 Wolf, 1969, S. 151-165.

17 Glaus, 1969, S. 201.

18 Mit einem klareren Bekenntnis zu seiner Vergangenheit als Aktivist der «Nationalen Front»: Hans von Wyl, in: Heinz Bütler, «Wach auf Schweizervolk!». Die Schweiz zwischen Frontismus, Verrat und Selbstbehauptung, 1914-1940, Bern 1980, S. 223-243.

Georg Kreis

fremd. (...) Seit das eidgenössische Volk besteht, war ein gesunder Antisemi-tismus in ihm lebendig.» Darum sollten alle seit 1918 vorgenommenen Ein-bürgerungen von Juden überprüft und die Zahl der Juden in bestimmten Be-rufsarten (Ärzten, Rechtsanwälten, etc.) beschränkt werden, was Kägis Ka-merad Niederer bereits 1932 schriftlich gefordert hatte.19

Kägi, der 1977 wegen seines Einstehens für den Kleinstaat den Ehren-doktor der Hebräischen Universität von Jerusalem erhalten sollte, wirkte in diesem antisemitischen Verbund mit. Werner Niederer schlug 1934, was Kägi gewusst haben muss, unter anderem vor, in «unauffälligen» Presseartikeln den empörenden Hinweis anzubringen, dass man einerseits eingewanderte Juden zu Nationalräten avancieren lasse, andererseits «dafür gute Schweizer ihrer religiösen Tätigkeit wegen aus der Heimat vertreibe»20– gemeint war damit das Betätigungsverbot für Jesuiten, für dessen Aufhebung sich der Protestant Kägi (gewiss zu Recht) später einsetzen sollte, was ihm 1973 auch einen Ehrendoktor der Theologischen Fakultät der Universität Bern eintrug.

Was Kägis Fronten-Zugehörigkeit bedeutete und worin seine Mitwirkung bestand, ist bisher nicht untersucht worden. Mit einer Auswertung des im Archiv für Zeitgeschichte (ETH/ZH) aufbewahrten Nachlasses des Frontisten Rolf Henne lässt sich dies wenigstens für das Jahr 1934 teilweise klären.21 Werner Kägi war nicht nur Mitläufer, sondern gehörte zur Kerngruppe der Bewegung. Seine Hauptaufgabe bestand darin, die katholisch-konservative Presse zu beobachten und in Berichten aus frontistischer Sicht kritisch zu analysieren. Ferner musste er Argumentarien entwickeln, mit denen Katholi-ken für die Frontenbewegung gewonnen werden konnten. Er gehörte jeden-falls zu den ideologischen Vordenkern. Die Qualifizierung als frontistischer

«Hofphilosoph» («Volksrecht» 1934, vgl. Anm. 51) war eine zutreffende Einordnung. Kägis Militanz ging aber über die politischen Analysen hinaus.

Im Sommer 1934 forderte er, dass «endlich» mit einer «concerted action»

gegen die «Aufgebots»-Leute vorgegangen werde, weil diese eine zu kriti-sche Haltung gegenüber den Frontisten einnähmen.22

Gut belegt ist Kägis Tätigkeit im Jahr 1934 durch seine Presseberichte an den «Kamerad Landesführer», die er meistens ebenfalls mit «cand. iur.»

zeichnete. Diese Berichte hielten primär fest, welche Positionen im Lager des

19 Das Flugblatt richtete sich auch gegen den «Volk und Vaterland zersetzenden Kultur-bolschewismus» (Nachlass Henne, Bd. 37).

20 Exposé von Werner Niederer, in dem mehrfach auch von Kägi die Rede ist, vom 2. Juli 1934, vgl. unten Anm. 26.

21 Den Bestand «Rolf Henne» konnte Klaus Urner, Leiter des Archivs für Zeitgeschich-te, von Hennes Sohn übernehmen.

22 Kägi ärgerte sich darüber, dass Jakob Lorenz von der «Aufgebot»-Bewegung «an-tifrontistische Polemik in Form von erzieherischen Ratschlägen eines sich sorgend-besorgt gebenden Mentors» betreibe (Bericht vom 25. Juni 1934).

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politischen Katholizismus vertreten wurden. Das war seine Spezialität. Die-sen Zusammenstellungen kann man jedoch auch entnehmen, was der Beob-achter selber von den registrierten Themen hielt beziehungsweise was er als selbstverständlich hinnahm. So störte ihn nicht die vom «Aufgebot»-Blatt im Sommer 1934 kritisierte Judenhetze der Frontisten, sondern die Kritik an dieser.23Oder es irritierten ihn nicht die Morde im so genannten Röhm-Putsch, sondern dass diese von ihm verharmlosend als «Juniereignisse» be-zeichneten Morde der «bürgerlichen Selbstgerechtigkeit und Saturiertheit»

neuen Auftrieb gegeben haben und dass das politische Zentrum, dessen Zer-fall auch er sich wünschte, wieder gestärkt worden sei. Kägi beklagte, dass von bürgerlicher Seite Nationalsozialismus und «Nationale Front» zumeist

«in einem Atemzug» genannt würden; hinter dieser «scheinbar selbstsichern – zuweilen etwas hysterischen Erregung» verberge sich aber «eine letzte Orientierungslosigkeit und Instinktlosigkeit».24

Im weiteren störte Kägi nicht die Ausrichtung der Frontisten auf das Drit-te Reich, sondern die Kritik der NichtfrontisDrit-ten am DritDrit-ten Reich: Die Schär-fe der AngrifSchär-fe der katholischen Presse auf das Dritte Reich stehe derjenigen der marxistischen Presse zuweilen um nichts nach, oder dann, wie er wörtlich beifügte «höchstens darin, dass die Gemeinheiten etwas feiner serviert wer-den». Die «geistigen Entgleisungen» eigener Leute schrieb Kägi «unbedeu-tenden Unterführern» zu; dafür beanstandete er, dass diese in «übergrosser Aufmachung» zur Anti-Propaganda verwendet würden.25Werner Kägi war für die Anwerbung von katholischen Sympathisanten zuständig, er sollte mit geeigneten Argumenten Werbeinstruktionen verfassen.26Kägis Meinung war auch gefragt, als man sich in rechtskonservativen Kreisen im Zusammenhang mit der Aufnahme der Sowjetunion in den Völkerbund überlegte, ob man mit einer Volksinitiative einen Austritt der Schweiz herbeiführen soll. Kägis Empfehlung lautete: zuwarten bis irgendein Ereignis in der Völkerbundspoli-tik einen Angriffspunkt biete.27Alles in allem: Es wäre für die Schweiz eine Katastrophe geworden, wenn die 1934 von Kägi vertretenen Positionen, zum

23 Bericht vom 25. Juni 1934: «In ein ähnliches Kapitel gehören auch die Betrachtungen über die ‚Judenhetze’ in derselben Nummer.» In dieser Ausgabe fand sich allerdings nichts dergleichen, sondern eine spitze Bemerkung gegen «arisch eingestellte» Leser sowie eine Glosse gegen den jugendlichen «Totalitätsanspruch» der Frontisten (Auf-gebot vom 6. Juni 1934).

24 Bericht vom 25. Juli 1934 (alle Presseberichte im Nachlass Henne, Dossier 53).

25 Bericht Nr. 7/31. August 1934.

26 Niederer: «Im Übrigen wird der L.F. (Landesführer, d. Vf.) am besten jeweils mit Kägi sich besprechen, damit je nach Person des Auskunftsuchenden in der erteilten Antwort das Hauptgewicht auf dieses oder jenes Problem gelegt werden kann» (2. Juli 1934, Nachlass Henne, Dossier 53).

27 Bericht vom 4. Oktober 1934.

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Beispiel auch diejenige in der Abstimmung von 1935 zur Totalrevision, eine Mehrheit gefunden hätte.28

In dieser Zeit sprach Kägi, sich ganz mit dem Frontismus identifizierend, immer wieder von «unserer Bewegung»; anerkennend hielt er fest, dass man sich «kompromisslos-absorptiv» verhalte und forderte, dass man Gegensätze nicht überdecke, die Führung innerhalb der Frontenbewegung beanspruche und für die Totalrevision der Bundesverfassung eine «totale Mobilmachung»

betreibe. Für Kägi war im Juli 1934 klar, dass die Totalrevision kommen wird und es nur um die Frage gehe, welche Variante, von links oder von rechts:

«Staatssozialismus (und Schlimmeres!) oder Ständestaat?»29Dem bürger-lichen Lager warf Kägi Mangel an Radikalität vor: «Hier steht bürgerliche, ja recht eigentlich bourgeoise Haltung gegen frontistische Haltung, das bour-geoise ‚quieta non movere’ gegen den frontistischen Willen zur Tat, die bür-gerliche Existenzsicherung gegen das frontistische Wagnis, der bürbür-gerliche Verfassungskompromiss gegen die frontistische Totalrevision im tieferen Sinn».30– Kägi, der am 22. Februar 1936 das Promotionsexamen absolvierte und am 1. Februar 1937 promoviert wurde, figurierte nicht mehr auf der Frontistenliste vom Mai 1936, nachdem er von 1932-1935, zuerst als Mitglied der «Neuen Front», dann der «Nationalen Front» regelmässig aufgeführt war.

Diese Liste musste zu Handen des Rektorats von der Bewegung selbst zu-sammengestellt werden und verzeichnete noch andere «interessante» Na-men.31Die Auflösung der Hochschulgruppe der «Nationalen Front» auf den 1. Oktober 1937 wurde dem Rektorat mit der Begründung bekannt gegeben, dass die studentischen Mitglieder enger in die Gesamtbewegung eingegliedert werden sollen.32– Nur bedingt fassbar ist, was Kägi nach dem Doktorexamen gemacht hat. 1938 konnte er immerhin eine neu geschaffene Stelle als Biblio-theksassistent an der Juristischen Fakultät antreten, was nicht ohne

Unterstüt-28 Peter Stadler, Die Diskussion um die Totalrevision der Schweizerischen Bundesver-fassung 1933-1935. In: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 19 1969, S. 75-169.

– Auch Giacometti war grundsätzlich für eine Totalrevision, er erwartete aber etwas anderes als sein Student Kägi (Kley, 2011, S. 145 u. 166).

29 Bericht Nr. 2 vom 9. Juli 1934.

30 Bericht vom 25. Juli 1934.

31 Zum Beispiel James Schwarzenbach (Rüschlikon), Fritz Wille (Feldmeilen), Otto Wanner (Baden) und Georges Thormann (Bern). Den Hinweis auf diesen Bestand (Universitätsarchiv: Z 70.1788 Stud. Verbindungen und Vereine M-Q (1887-1962) verdanke ich Andreas Kley.

32 Einmal wurde die Gruppe zurechtgewiesen, weil sie am Anschlagbrett Anzeigen mit rein politischem Charakter angebracht und damit die Bestimmung verletzt hatte, dass nur Veranstaltungen zu studentischen Belangen zugelassen sind.

Helvetische Vergangenheitsbewältigung – Vom Umgang mit Werner Kägis Jugendsünden

zung seiner akademischen Lehrer möglich war.33Sicher blieb er, wie einem Briefwechsel zu entnehmen ist, mit Giacometti in engem Kontakt.34