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Die Rolle der Zuckerindustrie

Neben des sozioökonomischen Umständen muss ebenfalls vermehrt Aufmerksamkeit auf die kommer-ziellen Einflussfaktoren gelegt werden. Kommerzielle Gesundheitsfaktoren werden definiert als „Strategien und Ansätze des Privatsektors zur Förderung gesund-heitsschädlicher Produkte und Entscheidungen”. Im Jahr 2013 erklärte WHO-Generaldirektorin Dr. Margaret Chan sogar: „Die Bemühungen zur Verhinderung nicht übertragbarer Krankheiten stehen im Widerspruch zu den Geschäftsinteressen mächtiger Wirtschaftsakteu-re. Dies ist aus meiner Sicht eine der größten

Heraus-forderungen der Gesundheitsförderung.” Es müssen demnach Strategien entwickelt werden um dem Ein-fluss der Industrie entgegenzuwirken.

Zucker wird bei der Herstellung vieler verarbeiteter Lebensmittel und Getränke verwendet. Alkoholfreie Ge-tränke sind eine wichtige Zuckerquelle in der globalen Ernährung. Coca-Cola und PepsiCo machen über ein Drittel des weltweiten Softdrink-Umsatzes (Umsätze von über 100 Milliarden US-Dollar) aus. Dabei handelt es sich um eine Summe die sogar das Bruttoinlands-produkt von Ländern mit hohen Einkommen übersteigt.

Kommerzielle Wirtschaftsmacht übersetzt sich leicht in politische Macht und politischen Einfluss.

Zwischen 2009 und 2015, investierten Coca-Cola, Pep-siCo und die American Beverage Association 114 Millio-nen Dollar in die Lobbyarbeit in den USA. Ein Experten-ausschuss hatte empfohlen, den Zucker auf weniger als 10% der gesamten Energieaufnahme zu beschränken.

Den Einschluss dieser Empfehlung in die globale Strate-gie konnten die Wirtschaftsakteure durch Beeinflussung des WHO-Generaldirektors verhindern. Unter anderem drohte die amerikanische „Sugar Association” unter-stützt von zwei US-Senatoren die US-Fördermittel für die WHO (406 Mio. USD) zu streichen.

Direktmarketing-Strategien für Kinder und Jugend-liche umfassen Markenauftritte in Prime-Time TV-Sen-dungen sowie Marketing in Social Media. Obwohl der Konsum von zuckerhaltigen Getränken in Nordamerika, Lateinamerika, Australasien und Westeuropa am höchs-ten ist, sinkt der Umsatz in Ländern mit hohem Einkom-men. Für die Produktvermarktung in einkommensschwa-chen Ländern wurde eine Summe investiert, welche ein mehrfaches des Gesamtbudgets der WHO betrug.

Folgen

Kinder

Bis zu einem Drittel der Kinder leiden an Zahn-schmerzen. Diese nehmen mit dem Alter des Kindes, dem Schweregrad der Karies und mit abnehmen-den sozioökonomischen Status zu. Viele Kinder aus

Figure 3: Social and commercial determinants of oral diseases Adapted from Watt and Sheiham.

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der vulnerablen Bevölkerung in einkommensstarken Ländern (HICs) leiden lebenslang an Zahnschmerzen.

Zahnprobleme können sich negativ auf die Schul leistung auswirken, was die sozialen Ungleichheiten weiterhin verstärken kann. Zahlreiche Studien zeigen, dass unbe-handelte Zahnkaries und die damit ver bundenen oralen Probleme die Lebensqualität des Kindes und seiner Be-treuer erheblich beeinträchtigen.

Erwachsene

Der Zugang zur zahnärztlichen Versorgung für Erwach-sene ist oft schwierig, da die Finanzierungs- und Betreu-ungsmodelle oft (in Bezug auf Budget und Leistungen) stärker eingeschränkt sind als bei der medizinischen Ver-sorgung. Das Ergebnis ist, dass viele Patienten warten, bis ihre Zahnprobleme schmerzhaft werden oder schwere Infektionen auftreten. Studien belegen, dass Personen die mehr Zuzahlung leisten müssen dazu neigen, weniger Zahnbehandlung in Anspruch zu nehmen als diejenigen, die weniger Zuzahlung leisten müssen.

Das Hinauszögern der notwendigen Zahnbehandlung führt dazu, dass die Betroffenen bei auftretenden Zahn-schmerzen die Notaufnahmen der Kliniken aufsuchen. In der Regel sind Notaufnahmen nicht dafür ausgestattet, so dass sich die Leistungen auf palliative Maßnahmen wie die temporäre Schmerzbehandlung beschränken.

Eine landesweite Studie in Kanada ergab, dass zahn-bezogene Probleme zu einem umgerechneten Produktivi-tätsverlust von fast 700 Millionen Euro führen. Arbeitslo-se die eine Zahnbehandlung absolvieren haben nach der Zahnbehandlung eine doppelt so hohe Wahrscheinlich-keit, eine zufriedenstellende Beschäftigung zu erreichen, wie diejenigen, die keine Pflege erhalten.

Ältere Menschen

Für viele Zahnärzte stellt die Versorgung von Menschen mit komplexen medizinischen Problemen eine Herausforderung dar. Die eingeschränkte Mobi-lität und die mit dem hohen Lebensalter verbunde-nen Transportschwierigkeiten erschweren den Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung. Ältere Menschen können demnach die zahnärztlichen Angebote in ei-nem geringeren Maße wahrnehmen. Dies führt zu einer Häufung von unbehandelten Zahnbeschwerden oder einer späten Krankheitsdiagnose und damit zu einer schlechten Prognose.

Ältere Menschen berichten von Sorgen wegen dem ho-hen Bedarf an Zahnpflege, Probleme durch Schmerzen, Essen und schlechten Mundkomfort sowie Probleme bei der Verwendung ihrer Zahnprothesen. Eine schlechte Mundgesundheit beeinträchtigt im späteren Leben so-ziale Beziehungen und Einsamkeit und führt zu einer schlechten Ernährung. Der Pflege kommt eine zentrale Rolle zu in der Mundpflege von älteren Menschen zu.

Empfehlungen

Die Erkenntnis steigt, dass politische Initiativen notwendig sind, welche die Ungleichheiten der

Mund-gesundheit auf struktureller Ebene angehen. Dabei soll der Schwerpunkt auf die gemeinsamen Risiko faktoren wie z.B. Zucker-, Tabak- oder Alkoholkonsum der oralen Krankheiten und anderer Erkrankungen gelegt werden.

Die zunehmende Verfügbarkeit un gesunder Konsumgü-ter, einschließlich zuckerreicher Lebens mittel und Ge-tränke, verändert das Verhalten und trägt zur Zunahme von anderen Erkrankungen bei.

Der derzeitige behandlungsdominierte, zunehmend hochtechnologische Ansatz bekämpft Krankheiten nicht an der Wurzel und kämpft nicht gegen Ungleichheiten in der Versorgung an.

Die Autoren der Lancet-Serie geben folgende Empfehlungen:

Verbesserte Überwachung der oralen Gesundheit Um das volle Ausmaß und die Schwere der oralen Erkrankungen weltweit beurteilen zu können, sind stan-dardisierte und vergleichbare Systeme zur Überwachung oraler Krankheiten erforderlich. Das Gleiche gilt unserer Meinung nach für die Pflege in Luxemburg. Das geplante Gesundheitsobservatorium würde diese Möglichkeit bieten. Allerdings gibt es hier noch einige Hürden, welche wir in unserer Pressekonferenz am XXXXX aufge-griffen haben. Weitere Infos finden Sie in der Pressemap-pe, welche in dieser Ausgabe nochmals angedruckt wird.

Reform des Gesundheitssystems

Die Zahnmedizin des 21. Jahrhunderts war weitge-hend unfähig, die globale Herausforderung der Mund-krankheiten zu bewältigen. Dieser ist nicht die Schuld einzelner Zahnärzte, sondern der philosophische Ge-samtansatz, das System und das Modell der zahnärztli-chen Versorgung. Eine Reform der oralen Gesundheits-dienste ist dringend erforderlich denn die zahnmedizini-schen Berufe und die Praxis werden immer noch stark von behandlungsorientierten und technischen Philoso-phien dominiert. Diese basiert auf Erkenntnissen über Zahnerkrankungen, die vor über 80 Jahren aktuell wa-ren und letztlich auf die chirurgischen Ursprünge des Berufes zurückgehen.

In vielen Ländern sind Reformen der Gesundheits-systeme oft eine Antwort auf die Bedenken hinsichtlich der Kostendämpfung, anstatt proaktivere Anstrengungen zur Verbesserung der Versorgungsqualität zu unterneh-men. Dies ist unserer Meinung in Luxemburg nicht selten ebenfalls der Fall.

Ein ideales orales Gesundheitssystem soll:

- keine Kluft zwischen zahnmedizinischer und allge-meiner Gesundheitsversorgung aufweisen;

- die Fähigkeiten und Kompetenzen eines breiteren Teams von Fachkräften der Mundgesundheit und anderen Gesundheitspersonal nutzen;

- die Gesundheitsförderung und die Prävention von Krankheiten in den Vordergrund stellen;

- die Bedürfnisse der Bevölkerung überwachen und darauf eingehen;

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- evidenzbasiert, klinisch wirksam und kosten-effizient sowie nachhaltig, gerecht und universell sein; und

- den Einzelnen und die Bevölkerung stärken.

Aus- und Weiterbildung der zukünftigen Arbeitskräfte im Gesundheitswesen

Zahnärzte sollen patienten- oder gesundheitsorientiert und nicht mehr krankheitsorientiert ausgebildet werden.

Eine Verlagerung des zahnärztlich orientierten Modells der Behandlungsleistung hin zu einem Team ansatz in welchem ebenfalls Pflegende mitarbeiten ist unerlässlich.

Bekämpfung von Ungleichheiten bei der Mundgesundheit

Die Systeme der oralen Gesundheitsversorgung müssen zugänglicher für sozial benachteiligte und ge-fährdete Gruppen sein. Der rasante Anstieg des Ver-hältnisses von Zahnarzt zu Bevölkerung führt zu einem erhöhten Risiko einer schädlichen Überbehandlung.

Darüber hinaus lassen sich nur wenige der neuen Zahnärzten in ländlichen und abgelegenen Gebieten nieder. Ob dies in Luxemburg ebenfalls der Fall ist kön-nen wir schwer sagen, da uns hierzu keine die Zahlen vorliegen.

Verbesserung der Versorgungsqualität

Der Mangel an wissenschaftlichen Belegen für viele zahnärztliche Eingriffe bleibt eine große Heraus forderung.

Zum Beispiel war das Kariesmanagement traditionell da-rauf ausgerichtet, die Karies zu ent fernen und eine Fül-lung einzusetzen. Studien zeigen allerdings, dass Karies vermeidbar ist und sogar nach der Entstehung reversibel sein könnte, wenn die Behandlung im Frühstadium er-folgt. Der Einsatz präventiver Maßnahmen wie topischer Fluoride zur Kariesbekämpfung erweist sich als hochwirk-sam. Allerdings muss bedacht werden: Zuckerkonsum ist nach wie vor die Hauptursache für die Kariesentwicklung.

Vorrangig sollten Investitionen in bevölkerungs-weite Politiken wie Steuern auf zuckerhaltige Getränke, strengere Vorschriften für die Werbung von zucker-haltigen Lebensmitteln und Getränken für Kinder be-rücksichtigt werden. Ebenfalls in die Förderung einer angemessenen Exposition gegenüber Fluorid mit Zahn-pasta und Wasser sowie in die Festlegung eines gemein-samen Risikofaktoransatzes zur Verringerung des Tab-akkonsums und des schädlichen Alkoholkonsums sollte investiert werden.

Behandlung kommerzieller Einflussfaktoren auf die Mundgesundheit

Strengere Vorschriften und Gesetze sind erforder-lich, um Unternehmensstrategien zu überwinden, die die Mundgesundheit bedrohen. Basierend auf den Er-fahrungen aus der Tabakkontrolle sollten Zahnärzte-organisationen, akademische Einrichtungen, Forscher und politische Entscheidungsträger keine Finanzierung, Sponsoring oder Unterstützung durch die Zuckerindust-rie akzeptieren. Es müssen klare und transparente

Ver-fahren und Richtlinien eingeführt werden, um möglichen Interessenkonflikte entgegenzuwirken.

Schlussfolgerung

Trotz erheblicher wissenschaftlicher Fortschritte beim Verständnis der Pathogenese und der Ursachen von Mundkrankheiten in den letzten Jahrzehnten hat sich die globale Belastung durch orale Erkrankungen fortgesetzt und dürfte sich sogar noch verschärfen. Mundkrankheiten betreffen über 3,5 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt, wobei unbehandelte Zahnkaries die häufigste Ge-sundheitsbedingung weltweit ist. In einkommensstarken Ländern (HICs), in denen die Gesamtprävalenz von Kari-es in der Kinderpopulation abgenommen hat, bleibt der fortschreitende und kumulative Charakter der Erkrankung bis ins Erwachsenenalter ein großes Problem. Starke so-zioökonomische Ungleichheiten bei der Mundgesundheit führen dazu, dass arme und gefährdete Gruppen in der Gesellschaft besonders betroffen sind. So verursachen Oralerkrankungen nach wie vor Schmerzen, Infektionen und eine geringe Lebensqualität für eine große Anzahl von Menschen auf der ganzen Welt. Die Kosten der Zahnbehandlung können einen großen Einfluss auf die Haushaltskassen und die Gesundheitssysteme haben.

Es besteht ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Bedürfnissen der Gemeinden im Bereich der Mund-gesundheit und der Verfügbarkeit, dem Standort und der Art der angebotenen zahnärztlichen Dienstleistun-gen (Zahnärzte, die unabhängig voneinander im privaten Sektor in Einzel- oder Kleingruppenpraxen arbeiten, oft isoliert von den herkömmlichen Gesundheitsdiensten).

In einkommensstarken Ländern sind Kleinkinder, Fami-lien mit niedrigem Einkommen, Obdachlose und Häftlin-ge sowie Menschen mit BehinderunHäftlin-gen im AllHäftlin-gemeinen unterversorgt, während Zahnbehandlungen oft in habenden Stadtvierteln angesiedelt sind, in denen wohl-habende, gesunde Erwachsene möglicherweise unnötige Zahnbehandlung erhalten.

Die Zahnmedizin muss stärker in die Grundversor-gung integriert werden. Gesundheitssysteme sollten sich mehr auf die Förderung und Aufrechterhaltung der Mundgesundheit und die Gleichbehandlung aller Men-schen unabhängig von ihrem sozioökonomiMen-schen Status konzentrieren. Zucker, Alkohol, und Tabakkonsum sowie die zugrunde liegenden sozialen und kommerziellen Fak-toren sind RisikofakFak-toren, welche ebenfalls eine Reihe anderer nicht übertragbarer Krankheiten (NCDs) beein-flussen. Eine kohärente Regulierung und Gesetzgebung ist notwendig. Derzeit beeinflusst die Zuckerindustrie die Zahnforschung, die Mundgesundheitspolitik und die Be-rufsverbände durch ihre gut entwickelten Unternehmens-strategien. Es bedarf der Entwicklung einer klarer und transparenter Politik und von Verfahren zur Begrenzung und Klärung des Einflusses der Zuckerindustrie auf For-schung, Politik und Praxis. Die Bekämpfung kommerziel-ler Einflüsse sollte eine der wichtigsten politischen Prio-ritäten sein.

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Eine Erweiterung des Nomenklaturkataloges

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