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Karl Barth und Martin Buber

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Karl Barth und Martin Buber

ASKANI, Hans-Christoph

ASKANI, Hans-Christoph. Karl Barth und Martin Buber. In: Karl Barths Theologie als europäisches Ereignis . Vandenhoeck & Ruprecht, 2008. p. 239-259

Available at:

http://archive-ouverte.unige.ch/unige:30138

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Einleitung

Im Folgenden soll dem Verhaltnis Karl Barths zu Martin Buber, wie es sich in der ,Kirchlichen Dogmatik" zu erkennen gibt, nachgegangen werden.1 Ich werde mich auf die drei Stellen der KD konzentrieren, an denen Buber ausdrücklich erwahnt wird, und werde sie daraufhin untersuchen, welche Bedeutung Buber fùr die Gedankenentwicklung Barths hatte.2 Beide Denker werden also nicht gleichberechtigt zur Sprache kommen, das Augenmerk wird sich vielmehr auf den ,Umgang' Barths mit Buber richten. Hat er auf sein Denken Einfluss gehabt? Wie wird auf hin Bezug genommen? Ver- spricht sich Barth etwas von der Begegnung mit ihm? Hat Buber im Zu- sammenhang der groJ3en und von Barth so bewusst und konsequent ange- legten Bewegung der KD etwas zu sagen? An einem thematischen Punkt, dem der Konzeption der ,Mitmenschlichkeit", wo Barth auf Bubers ,Ich und Du" zu sprechen kommt, werde ich mich langer aufhalten und versu- chen, das Profil des Barthschen Denkens im Gegenüber zu Buber plasti- scher werden zu lassen. Auch hier wird allerdings Bubers Denken nur ganz ansatzweise als solches gewürdigt werden konnen.3

Ein erster Eindruck darf vielleicht gleich benannt werden: W o Barth auf Buber kommt und auf ihn eingeht, scheint dies trotz aller intensiven Lektü- re (die sich nachweisen lasst) immer mit einer gewissen Beiliiufigkeit zu geschehen. Dieser Eindruck, wenn er sich denn bestatigen soUte, ware mehr als eine oberflachliche Charakteristik der Prasentation eines anderen Den- kers; er würde auf die innere Anlage der Barthschen Theologie zurückver- weisen.

Es wird nicht um eine erschopfende Studie gehen konnen. Umfangreichere Untersuchun- gen liegen in den Arbeiten von: D. Becker und E. Brinkschmidt vor: D. BECKER, Karl Barth und Martin Buber - Denker in dialogischer Nachbarschaft? Zur Bedeutung Martin Bubers fur die Anthropologie Karl Barths, Gottingen 1986; E. BRINKSCHMIDT, Martin Buber und Karl Barth.

Theologie zwischen Dialogik und Dialektik, Neukirchen 2000.

2 Die Bande der Kirchlichen Dogmatik werden im folgenden nur mit der romischen und arabischen Ziffer angezeigt, auf die die Seitenangabe folgt.

3 ln anderem - sprachphilosophischem - Zusammenhang habe ich mi ch mit Bu bers dialo- gischem Denken ausführlich auseinandergesetzt: H.-CHR. ASKANI, Das Problem der Übersetzung - dargestellt an Franz Rosenzweig. Die Methoden und Prinzipien der Rosenzweigschen und Buber-Rosenzweigschen Übersetzungen, HUTh 35, Tübingen 1997.

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240 Askani I.

Die erste Erwiihnung Bubers erfolgt im 2. Teilband des I. Bandes, wo es im groBeren Zusammenhang der ,Lehre vom W ort Gottes" um die

rung Gottes" und genauer die ,Fleischwerdung des W orts" geht. lm zweiten der drei diesem Thema gewidmeten Paragraphen handelt Barth von der ,Zeit der Offenbarung", die wiederum in drei Abschnitten durchgegangen wird: 1. Gottes Zeit und unsere Zeit; 2. Die Zeit der Erwartung; 3. Die Zeit der Erinnerung.

lm zweiten Abschnitt geht es also um das Verhiiltnis der Zeit der Erwar- tung zur Zeit der Erfüllung; man müsste vielleicht genauer sagen: um das Verhiiltnis der Zeit der Erfüllung zur Zeit ihrer Erwartung, denn es ist von der Erfüllung her die Erwartung bestimmt- und nicht umgekehrt.

Die erfüllte Zeit hat eine ganz bestimmte, ihr zugeordnete Vorzeit. [ ... ] Diese Vorzeit ist die Zeit des Alten Testaments oder die Zeit des Zeugnisses der Erwartung der Offenbarung. Diese Vorzeit gehi:irt mit zur Zeit der Erfüllung. [ ... ] Auch sie ist Zeit der Offenbarung, wenn auch als Zeit von deren Erwartung.4

Barth vertritt also die These - und seine ganzen folgenden Ausführungen haben zum Ziel, dies zu erliiutem -, dass im ,Alten Testament Offenba- rung, niimlich echte Erwartung der Offenbarung stattfinde" (79). Diese Affirmation ist, wie schwer zu übersehen, zweischneidig: Offenbarung ja, aber eben doch nur als deren Erwartung; Erwartung der Offenbarung and- rerseits doch so, dass sie schon in das Geschehen der Offenbarung selber hineingehort. Also Offenbarung und Vorliiufigkeit zugleich. So zu denken ist moglich, wo Offenbarung als Geschehen, als Geschichte gedacht wird.

Diese Geschichte hat einen eindeutigen Ziel- und Hohepunkt, der von sich aus das Kriterium, Offenbarung zu sein, nicht sowohl erfüllt, als vielmehr determiniert. Von der Offenbarung in Jesus Christus her wissen wir erst und einzig, was Offenbarung ist und was zu ihr gehort. Dementsprechend ergibt sich auch die Rolle des Alten Testaments. Barth bestimmt sie als ,singuliir" (vgl. 78). Seine Unvergleichlichkeit liegt nicht begründet in seiner etwa auBergewohnlichen religionsgeschichtlichen Bedeutung (vgl.

86), auch nicht in einem ,besonderen geschichtlichen Zusammenhang", der zwischen Judentum und Christentum besteht,S sie beruht einzig und allein darauf, dass das Alte Testament bereits am Ereignis der Offenbarung in Jesus Christus teilhat, insofem es auf diese hinweist und hinlauft.6 In die-

4 BARTH, KD I/2, 77, Hervorhebung im Original. (Wo im folgenden nicht ausdrlicklich anders indiziert, stammen die Hervorhebungen immer vom zitierten Autor; der Sperrdruck der ,Kirchlichen Dogmatik" wird durch Kursivsetzung wiedergegeben.)

5 V gl. 87 un ter Verweis auf Schleiermacher.

6 Barth verweist fur diese Einsicht auf verschiedene ,groBe" Gestalten der Theologiege- schichte: Ignatius von Antiochien, Irenaus, Augustin, Calvin, Luther. Wir fuhren hier nur letzteren

Karl Barth und Matiin Buber

das Alte Testament Jesus Christus (vgl. 87).

241 sondern auch

Die Frage, die sich für Barth nun stellt, ist, ob die Fortschritte der alttes- tamentlichen Exegese in historischer, sprachlicher, religionsgeschichtlicher Hinsicht auch mit der Erfüllung ihrer Hauptaufgabe, namlich die differen- zielie Einheit des biblischen Zeugnisses im Hinblick auf die Christusoffenba- rung herauszuarbeiten, Schritt gehalten haben. Er ist diesbezüglich auBeror- dentlich skeptisch.

Die Erkenntnis oder Wiedererkenntnis dieser Einheit, wie sie in der ganzen alten Kirche lebendig war, steht als Hauptaufgabe noch var der modemen alttestamentli- chen Wissenschaft. Es ist in der Tat so, wie W. Eichrodt (Theo!. d. A.T. Bd. 1, 1933, S. 4) schreibt: ,daB alle noch so gliinzenden Ergebnisse der historischen Forschung doch im Ernst keinen Ersatz bieten konnen fur die Erfassung des wesenhaften Zu- sammenhangs zwischen Altem und Neuem Testament'. Die Verkündigung der Kirche und mit ihr die Dogmatik kann sich hinsichtlich des Verstiindnisses des Alten Testa- ments sehr viel weniger ais hinsichtlich des Neuen an die Leistungen der maBgeben- den Vertreter der zustiindigen wissenschaftlichen Disziplin hatten, sondem sieht sich wohl oder übel genotigt, ihren Weg im BewuBtsein der damit gegebenen Gefahren- moglichkeit selber zu suchen. Die gewisse Unbekümmertheit, mit der der Nichtfach- mann dabei vorgehen muB, ist die fatale Folge der Unbekümmertheit, die die alttesta- mentlichen Fachleute nun seit bald zwei Jahrhunderten ihrer theologischen Hauptauf- gabe gegenüber bewiesen haben. (87)

Und nun verweist Barth - und das ist für unsere Fragestellung von Bedeu- tung - nicht nur ,dankbar" auf einige W erke christlicher Alttestamentler, die hier, wie er anerkennt, zumindest im Erkennen des Problems weitsichtig waren, sondem auch ,auf die Bücher israelitischer Zeitgenossen". Es ist die genaue Formulierung, auf die es hier ankommen muss:

Ich verweise zum Folgenden [gemeint ist die Entfaltung der Erwartung der endgülti- gen Offenbarung bereits im AT] dankbar auf das eben erwiihnte Werk von W. Eich- rodt, dessen theologische Absicht ich allerdings gerne grundsiitzlicher und radikaler, als es geschehen ist, durchgeführt sehen würde, vor Allem auf W. Vischer ,Das Alte Testament und die Verkündigung' und ,Das Alte Testament und die Geschichte', sowie auf sein das Problem schon im Tite! scharf erfassendes Buch ,Das Christus- zeugnis des Alten Testaments' [ ... ], und doch auch ausdrücklich auf die Bücher israelitischer Zeitgenossen wie Martin Buber, ,Konigtum Gottes' 1932, H.J.

an: ,Disse vorheyssung gottis ist damach durch die propheten fast wol getrieben und weytter aussbreyttet, und haben a/lesampt von der tzukunfft Christi, seyner gnad und Euangelij geschrie- ben, wie S. Petrus sagt Act. 4: Derselbigen gotlichen vorheyssung haben alle heyligen fur Christus gepurt geglewbt, und alsso ynn und durch den zukunfftigen Christum mit solchem glaw- ben behalten und selig worden [ ... ]." (Adv. Post. 1522, Predigt über Rom l3,llf, zit. BARTH, KD 1/2, 83.)

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242 Hans-Christoph Askani

Schoeps ,Jüdischer Glaube in dieser Zeit' 1 932 und ,Jüdisch-christliches Religions- gesprach' 1937, E.B. Aufrufzum Judentum 1934 die als nun wirklich ,reine' Alttestamentler sowohl in dem, was sie ais emste Juden sagen, ais auch in dem, was sie ais unbekehrte Juden nicht sagen konnen, zu unserer Frage Iehrreich anzuhoren sind. (87)

Es soll hier zuniichst nicht darum gehen, inhaltlich auf die Gründe fur Barths - freilich nicht ungeteilte - Anerkennung einzugehen. Ich begnüge mich mit einer groben Skizze seines Anliegens.

Das Alte Testament ist wie das Neue das Zeugnis von der Offenbarung, die entschei- dend ais einfreies, schlechthin einmaliges, konkretes Handeln Gottes zu verstehen ist. (88)

Offenbarung Gottes im Alten Testament ist durchgangig ein in der souveranen Frei- heit der gottlichen Tat je und je sich selbst setzendes Sichverhalten Gottes. [ ... ] Ein Sichverhaiten des einen einzigen Gottes aus eigener unbeschrankter Initiative je in dem schiechthinnigen Jetzt seiner Entscheidung. Dieses Jetzt der gottlichen Ent- scheidung und aiso die Offenbarung Gottes ist im Alten Testament die berith, der Bund. (88)

Und dem entspricht nun - aus christlicher Sicht - der Sinn davon: ,Dieser im Alten Testament bezeugte Bund ist Gottes Offenbarung, weil er Erwar- tung der Offenbarung Jesu Christi ist." (89) Oder etwas spiiter: ,Der Bund Gottes mit seinem Volk durch die Menschwerdung Gottes ist wirklich das Mysterium, aber ist wirklich das Mysterium, das Geheimnis des Alten Tes- tamentes." (92)

Dieselbe Beziehung des Vorverweises auf eine erst noch ausstehende Er- füllung kehrt in diesem Paragraphen noch zweimal wieder: a) wo es um das Verhiiltnis des verborgenen zum off en baren Go tt geht (cf. 92ff); und b) wo die Beziehung zwischen Gottes Gegenwart und Gottes Kommen bedacht wird (cf. 1 09). Gegen En de des Kapitels resümiert Barth:

Gerade das Geheimnis der Offenbarung, das das Geheimnis der freien, unverdienten Gnade ist, schliel3t die Kirche des Neuen Testamentes unzerreil3bar mit dem Voik zusammen, dessen Begnadigung uns im Aiten Testament bezeugt ist ais Erwartung Jesu Christi. Und eben dieses Geheimnis steht nicht nur trennend, sondem auch verbindend zwischen der Kirche und der Synagoge, die als die verstockte Schwester mit sehendem Auge nicht sehen will, dal3 jenes Voik wirklich Jesus Christus erwarte- te und in dieser Erwartung begnadigt war. (111)

Was uns hier zuniichst interessiert, sind also nicht diese inhaitlichen Ge- sichtspunkte (die im einzelnen niiher zu betrachten und mit den Ausführun- gen der erwiihnten jüdischen Autoren zu vergleichen wiiren), sondem ist viel bescheidener nur Barths priizise Formuiierung und die Haitung, die, wie wir sehen werden, ihr zugrunde liegt.

Karl Barth und Mmiin Buber 243

Ich verweise zum Folgenden dankbar [ ... ] doch auch ausdrücklich auf die Bücher israelitischer [ ... ], die ais wirklich ,reine' Alttestamentler sowohi in dem, was sie ais ernste Juden sagen, ais auch in dem, was sie als unbekehr- te Juden nicht sagen konnen, zu unserer Frage Iehrreich anzuhoren sind.

Zuniichst der Ausdruck: ,sowohl in dem, was sie als emste Juden sagen, als auch in dem, was sie als unbekehrte Juden nicht sagen kèinnen". Es ist ein Doppeltes, was Barths Verhiiltnis zu den ,israelitischen Zeitgenossen"

charakterisiert: Sie haben etwas zu sagen, aber sie haben nicht alles zu sagen. Praziser: sie haben etwas Entscheidendes zu sagen, aber sie haben nicht das Entscheidende zu sagen. Oder noch einmal anders gewendet: sie haben in dem Entscheidenden, das sie gesehen und zu sagen haben, das wirklich Entscheidende nur geahnt, aber nicht erkannt. Dies wirklich Ent- scheidende ist das - so arrogant das klingt -, was nur die Christen sehen konnen, weil erst in Christus Ietztlich offenbar wurde, worauf eigentlich alle Erwartung, alles V erstehen, alles Glauben und Hoffen hinauswill. Eben an diesem Christusereignis haben über das Verhiiltnis von Aitem zu Neuem Testament auch die Juden teil, und nichts anderes ist ihre Relation zu dem hier in Frage Stehenden als Teiihabe, aber diese Teilhabe ist eben doch nur Teilhabe, doch erst Vorliiufigkeit und noch nicht Erfüllung. Damm auch der paradoxe Ausdruck von den ,unbekehrten Juden". Wenn sie nicht mehr wiiren, was sie sind, würden sie sehen, was sie so nur ahnen, obwohl es doch zu sehen ist (wiire).

Nach der gieichen Struktur erkliirt sich auch die andere Formulierung, der zweideutige und bewusst als zweideutig eingeführte Ausdruck: ,[ ... ] die gerade als nun ,reine' Alttestamentler [ ... ]". Mit dem ,rein" ist ein Doppeites gemeint: eine Speziaiisierung, aber auch eine Verengung. ,,Rei- ne' Aittestamentler" sind die, die in Konzentration auf ihr Gebiet (die Bi bei der Juden) zustiindig und kompetent sind; ,,reine' Alttestamentier" sind aber auch die, die über den Horizont, der dem Alten Testament gezogen ist (ganz schiicht dadurch gezogen ist, dass es nicht das Neue, sondem - mit aller Dignitiit, die das einschlieBt -das Alte Testament ist), nicht hinausse- hen kèinnen, nicht hinaussehen kèinnen kèinnen. Um wirkliche Alttestament- Ier zu sein, müssten sie paradoxer W eise keine rein en sein, sondem das Alte Testament von der Erfüllung her Iesen, die ihm zugleich bestimmt und verborgen ist, d.h. müssten sie ais Aittestamentler zugleich Neutestament- Ier, müssten sie ais Juden zugieich Christen sein.

Das ist das, was man, wenn es nur eine Entgleisung wiire, an dieser Stei- Ie ais Barths Arroganz bezeichnen kèinnte und müsste; was aber, wo es nicht ein Versehen, sondem das ganze Anliegen ist, nicht wohi ais Arro- ganz, sondem vieimehr ais Grenzbeschreibung und als Priizisierung der eigen en Aufgabe zu vers teh en ist. Das W esen von Barths Aniiegen und Ansatz, das Wesen des seiner Theologie Gegebenen und Aufgegebenen

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244 Hans-Christoph Askani

dass die ganze Erfüllung, die ganze Offenbarung - wenn sie nun in Jesus Christus ist die samtlichen Bande der KD sprechen ja von nichts anderem ais davon) -, dass sie dann nicht auch ohne ihn oder vor ihm oder irgendwie anders ge ge ben sein kann.

So kann Barth die ,israelitischen Zeitgenossen" in bemerkenswertem und bewusstem Überspringen ihrer eigenen Selbsteinschatzung überhaupt als ,Alttestamentler" bezeichnen. W enn ich mi ch nicht sehr tausche, kann die Diskrepanz, die Barth hier bewusst einführt, und die letztlich zu nichts anderem als zur Charakteristik der Steilheit der eigenen Position dient, nicht ohne Wahmehmung einer feinen Ironie (Selbstironie), die Barths Ausfüh- rungen begleitet (und die zu ihnen ebenso wie ihr Pathos gehèirt - ja die wohl ein Moment dieses Pathos ist), wirklich begriffen werden. Eine feine Ironie, die allerdings die eigene Position nicht zurücknimmt, sondem im Gegenteil erlaubt, sie geradeheraus zur Sprache zu bringen. - Aber geht es hier überhaupt um eine ,Position' und um eine ,eigene'? Geht es nicht um ein Sprechen von einem grèiBeren Ganzen her, von einem Geschehen her, in das der, der so spricht, sich hineingenommen weiB?

W enn das aber so ist, wie kèinnen dann Ansiitze, die nicht von die sem selben Geschehen getragen sind, in die Entwicklung seiner Darstellung hineinkommen und in ihr Bedeutung erlangen? Am Beispiel Bubers haben wir gesehen, dass dies nur auf etwas umstiindliche W eise mèiglich ist. So wie Barths eigene Gedankenentwicklung angelegt und bestimmt war, konn- te Buber fur Barth sozusagen nur quer hereinkommen. Nur insofem er sich unübersehbar, unüberhèirbar mit einem Gedanken verband, der sich fùr Barth aber von woandersher schon zu entwickeln begonnen hatte. Da oder da hat der und jener und hat nun z.B. ,der Jude M. Buber"7 auch etwas gesagt. Also muss man es hèiren. Aus zweierlei Gründen. Zum einen, weil es eben unüberhèirbar gesagt ist (wer wollte, wenn er etwa mehr oder weni- ger von selber auf den ,Kategorischen Imperativ" oder etwas iihnliches stieBe, nicht auch Kant zu Wort kommen lassen?; so auch, wer wollte, wenn er etwa mehr oder weniger von selber auf die !ch-Du-Relation stieBe, nicht auch M. Buber erwiihnen?); zum andem aber, weil es nun von Seiten jenes Judentums gesagt ist, dem doch eine gewisse Niihe zu allem christlich zu Sagenden nicht abzusprechen ist. Eine gewisse, sogar wesentliche Niihe, aber doch auch ein nicht weniger groBer, nicht weniger wesentlicher Ab- stand.

In genau diesem Verhiiltnis (Nahe, aber doch auch Abstand; groBe Nahe, aber im Wesentlichen noch grèiBerer Abstand) müssten- von Barths Vor- aussetzungen a us - jüdische Denker etwa zu W ort kommen.

Trifft dies nun mit den weiteren ,Befunden' zusammen?

7 Vgl. BARTH, KD !II/2, 333.

Karl Bmih und Ma1iin Buber 245

II.

Der zweite für den wir uns findet sich in KD II/2 Lehre von Gott", im Achten Kapitel: ,Gottes Gebot", § 38 ,Das Gebot als Entscheidung", Abs. 2 ,Die Bestimmtheit der gèittlichen Entscheidung".

Der Leitsatz zu § 38 !autet:

Indem uns Gott in Jesus Christus gniidig ist, ist sein Gebot die souveriine, bestimmte und gute Entscheidung über den Charakter unseres Tuns: die Entscheidung, von der wir immer herkommen, unter der wir immer stehen und der wir immer entgegen gehen. (701)

Das wird spezifiziert zu Beginn des zweiten Absatzes:

DaB Gott uns in Jesus Christus gniidig ist, das bedeutet unsere ganzliche Inanspmch- nahme zum Gehorsam und so auch die ganzliche Entscheidung über Gut und Bose in der Wahl unserer Entscheidungen. Das bedeutet also fur uns: unsere ganzliche Ver- antwortlichkeit. (73 7)

W orin diese Verantwortlichkeit eigentlich besteht, inwiefem sie vom Ge- horsam herkommt, und inwiefem dieser nicht nur über unser Tun entschei- det, sondem in ihm über uns bereits entschieden ist, das ist das Thema dieses Abschnittes. Zwei Ausformulierungen des gèittlichen Gebots bringt Barth in ausführlicher Weise zur Sprache: Die Zehn Gebote (762-766) und die Bergpredigt (766-782).

Die Zehn Gebote werden als ,Ortsangabe" begriffen. Sie ,stecken offen- bar den Bereich ab, in welchem sich Gottes Handeln mit seinem Volk und dann auch seines Volkes Handeln vor ihm und mit ihm abspielen soll."

(764) Die Zehn Gebote sind also etwas ganz anderes als eine, wie sehr auch immer gültige, Zusammenfassung von Handlungsanweisungen; sie erschèip- fen sich freilich auch nicht in einer Ortsumschreibung, die rein neutra! und anspruchslos ware. Es wird in ihnen (und in ihrer ,Ortsangabe") über die Existenz dessen bestimmt, dem sie gesagt sind- und zwar von dem her, der sie sagt, der sie gebietet.

Die Gesetzesoffenbamng als solche proklamiert, wer der ist, der in Form solcher W eisungen mit den Seinigen umgeht und wer die sind, die diese W eisungen als die seinigen empfangen dürfen. (765f)

Das heiBt hier die ,Ortsangabe": Zugehèirigkeit im Sich-sagen-Lassen;

Hèiren und Gehorchen als Bestimmung des Menschen im Verhiiltnis, im Gegenüber zum redenden Gott. Die Frage nach dem Ort ist im Geschehen der Begegnung zwischen Gott und Mensch die Frage nach dem Wer. Über dies W er wird im Sagen und Hèiren entschieden. Das ist der Einsatz, der im Bund Gottes mit seinem Volk auf dem Spi el steht.

(6)

246 Askani

Die Bergpredigt bildet in Fortführung und dieses Einsatzes eme Sie handelt wieder nicht einfach und letztlich von Handlungsanweisungen; sie ist vielmehr die Ansage einer Wirklichkeit, in der der Mensch steht, einer Wirklichkeit aber, die nicht nur vorgeschrie- ben und verheiBen wird, sondem die bereits in Gang gesetzt, ja bereits durchgeftihrt ist. Und zwar in Jesus.

Die Besonderheit [ ... ] der Bergpredigt besteht aber darin, daB jetzt auch Jesus (wie einst der Gott Moses) in Form von umfassenden positiven und negativen Weisungen den Raum absteckt: den Raum seines Zusammenseins mit den Seinigen, mit den von ihm Berufenen und noch zu Berufenden, den Raum seiner Fürsorge für sie und seiner Herrschaft über sie. Es ist der Raum, wo das verkündigt und gehéirt ist und in Geltung steht: daB das Reich Cottes nahe herbeigekommen, weil und indem er, Jesus, ge- kommen und auf dem Plane, weil jener siebente Tag, der Tag aller Tage jetzt an- gebrochen ist. Die Bergpredigt umreiBt die Lebensordnung dieses Sabbattages. Inso- fem durchkreuzt sie die Zehn Gebote in einer in diesen selbst noch nicht sichtbaren neuen Dimension: von oben nach unten, d.h. unter Voraussetzung eines vom Himmel her auf die Erde hin geschehenen Ereignisses macht sie eben das offenbar, was dort- in der Erwartung dieses Ereignisses - noch verborgen ist: daB Gott selber und in eigener Person den Bund, den er zwischen sich und den Menschen aufrichtet, nicht nur seinerseits in Treue hait, sondem auch zugunsten des Menschen selber durchführt und in seinen Bedingungen erfiillt.8

Hier sind wir bereits so weit, dass wir Barths Beurteilung der Kompetenz Bubers in diesem Zusammenhang begreifen konnen. Barth behauptet nam- lich, dass Buber die mit Jesus hereingekommene neue Dimension, die mit seinem Auftreten und seiner Verkündigung, wie sie exemplarisch in der ,Bergpredigt" laut wird, geschehende Radikalisierung (vgl. 777 und v.a.

779) der alttestamentlichen VerheiBung und Gebotsansage hat verkennen müssen, indem er sie letztlich nicht als eine Neubestimmung des Menschen begreifen konnte, sondem als eine Übersteigerung der Anforderung an ibn. Die Formulierung, in der Buber erwahnt wird, ist wieder charakteris- tisch:

MARTIN BUBER hat mehr recht ais er denkt, wenn er dem Jesus der Bergpredigt den Vorwurf macht, daB er zurückgehen wolle ,in die Wolke überm Berg, aus der die Stimme sc hal! t', daB ,er dringen wolle in die Urabsicht Gottes, in die Urunbedingtheit des Gesetzes, wie sie war, ehe sie si ch in der menschlichen Materie brach' .9

,Buber hat mehr recht als er denkt."- Was hat er begriffen, was hat er nicht begriffen? Er hat begriffen - und zwar kritisch -, dass es hier um Gottes

8 BARTH, KD II/2, 766. Vgl. zu weiteren Prazisierungen: 768, 770, 774, 777. ,Wenn die zehn Gebote sagen, wo der Mensch vor Gott und mit Gott stehen darfund sol!, so sagt die Berg- predigt, daB er durch Gottes Tat wirklich d01·thin gestellt ist." (768.)

9 BARTH, KD Il/2, 779. BARTH zitiert Buber nach: E. GAUGLER, Das Spatjudentum, in:

DERS., Der Mensch und die Religion !942, 288.

Karl Barth und Martin Buber 247

geht. Und er hat begriffen, dass Jesus in diese Urabsicht dringt.

Er hat aber nicht dass genau dies dem Menschen ge- schieht. D.h. er hat nicht verstanden, dass es Jesus nicht in und Überforderung des Menschen um ein erst noch zu erftillendes - und in dieser Radikalitat nie zu erftillendes - Gebot geht, sondern um ein - und zwar eben in Jesus selber - bereits erfülltes. Buber hatte, so denkt Barth, doch nur die alttestamentliche Linie, die ja bereits auf viel mehr als ethische Anforderung ausgerichtet war, namlich Wirklichkeitsansage, weiterftihren (oder besser gesagt si ch von ihr weiterführen lassen) müssen, und er hatte wahmehmen kéinnen, dass diese Wirklichkeitsansage in Jesus realiter auf die W elt kam, im Vokabular Israels gesprochen, dass der Messias das für Israel Geforderte und VerheiBene schon eingeli:ist hat. (V gl. 767) Das hat Buber also nicht gesehen, ja, er hat es, nachdem er es nun einmal nicht gesehen hat, auch nicht sehen konnen - nicht aus einer Beschranktheit sei- uer Einsicht heraus, sondern aus der ihm eigenen Existenzbestimmtheit heraus. Diese (die Tatsache, dass er als Jude eben ,unbekehrter Jude" war) hat ihn zwar verstehen lassen, dass Jesus in Gottes ,Urabsicht" drang, aber doch so, dass er nicht begriff, was es mit dieser Urabsicht eigentlich auf sich hat. Gerade das groBe Geschehen, das mit Jesu Wirklichkeit wurde:

dass Gottes ,Urabsicht" sich in ihm nicht nur kundgetan, sondern sich in ibm zugleich ins W erk gesetzt hat, gerade das, konnte Buber, als der, der er war, nicht verstehen. Nicht Forderung an den Menschen sind ja die Gebote der Bergpredigt, sondem das neue Sein, das in ihnen dem Menschen ge- schenkt ist. So irrt sich Buber notwendig, wenn er Jesus die Radikalitat der Bergpredigt, zum Vorwurfmacht, wenn er das beurteilt als ,Grausamkeit' gegen ,das Volk, das jetzt nicht eher als damals im Urreinen wird atmen kéinnen'." (779)

So muB sich der neupharisaische Jude, so muB sich aber jeder irren, der die Forde- rungen der Bergpredigt abstrahiert davon, daB sie Spiegelungen des messianischen Ereignisses sind, meint !esen und verstehen zu sollen. Was ihm ais Grausamkeit erscheint und erscheinen muB, ist in Wirklichkeit darum die Barmherzigkeit der Bergpredigt und des Bergpredigers, weil in ihren Forderungen eben die Stimme, die aus der Wolke schallt und mit ihr zugleich das Volk, ,das im Urreinen wird atmen kéinnen' auf den Plan getreten ist. Genau dieses Voilees Leben beschreibt die Berg- predigt. (779f)

Buber hat also viel ,mehr recht als er denkt", wie Barth sagt, d.h. er hat in seinem Rechthaben doch zugleich unrecht, weil er zwar den grundsatzli- chen Anruf, der mit Jesus in die Welt, zu uns Menschen kam, wahmimmt und richtig benennt, allerdings in seinem Sinn doch nicht versteht. (Und nur dies Missverstehen erlaubt ibm ja die rich tige Benennung.)

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248 Askani

Wir haben bisher- nicht wirklich das Verhaltnis zwischen K. Barth und M.

Buber untersucht müsste die Bubersche Seite viel starker in An- schlag gebracht werden), sondern viel bescheidener Barths , Umgang' mit Buber, seine Inanspruchnahme und wiederum die Abstandnahme von ihm.

In den beiden bisher erwiihnten Passagen fand Buber Erwiihnung als ein Denker, der bis zu einem gewissen Grad zu dem von Barth zu Bedenkenden etwas beizutragen hat, im Entscheidenden aber dann doch nicht mitreden kann. Zwei überraschende W endungen Barths charakterisieren weniger Buber selber ais vielmehr Barths Positionierung zu ihm, bzw. die Positio- nierung Bubers in dem groBen Zusammenhang der Entfaltung der Dogma- tik, der Barth seinerseits weniger einfach vorsteht, als vielmehr selber ver- pflichtet ist. Buber: ,reiner Alttestamentler"; Buber: ,unbekehrter Jude".

Beide Forrnulierungen sind aus jüdischer Sicht nur allzu offensichtliche Fehlgriffe. Buber ist ja überhaupt kein Alttestamentler; und wie soUte er denn ein bekehrter Jude sein? Aus jüdischer Sicht ist nichts Widersinnige- res denkbar. Doch dieser jüdischen Sicht hiilt Barth seine christliche entge- gen. Und in der Tat: wo der Christ im Zentrum seines Glaubens spricht, muss der jüdische Anspruch, das Entscheidende bereits gesehen zu haben, zum AnstoJ3 werden. Diesen AnstoB nimmt Barth auf und wendet ihn um, indem er den ,Juden" so in sein eigenes Denken hineinzieht, dass der im Gronde sagen müsste, was der Christ zu sagen hat. Der Jude kann demge- genüber reklamieren, doch nicht Christ zu sein, und er hat zweifellos recht;

genau dies aber hiilt Barth ihm seinerseits vor. Wie ich schon sagte, nicht ohne Selbstironie. Nicht ohne jene Ironie, die den sehr freizügigen Umgang erlaubt, und dabei die eigene Rede, die eigene , Überzeugung' (freilich hier ein schlechtes Wort) in ihrem Übergewicht beliisst.

III. Des Menschen Mitmenschlichkeit

Wir kommen nun zur dritten Stelle, an der Barth Buber erwiihnt. Es geht in ihr um die Bestimmung des Menschen, zu der Buber sich in zahlreichen Schriften, am wirkungsmiichtigsten in seinem 1923 erschienen Buch ,Ich und Du"10 geiiuBert hat. Barth kommt auf die Bubersche !ch-Du- Philosophie in seiner theologischen Anthropologie, die einen Bestandteil seiner Schopfungslehre ausmacht, zu sprechen. Dort, wo Barth von der ,Grundforrn der Menschlichkeit" handelt, wird auch - und in besonders akz:entuierter W eise - die Mitmenschlichlœit zum Thema.

lm folgenden zitiert nach M. BUBER, Werke, 1. Band (BW 1): Schriften zur Philosophie, München 1962, 77-170.

Karl Bmih und Martin Buber 249

schen widerfahrender nicht nur

Gegebenheit, mit der er sich willkürlich auseinandersetzen, so oder so zu- rechtfinden konnte. Er ist vielmehr von Haus aus und eben indem er Mensch ist, nicht nur nicht ohne, sondern mit dem Mitmenschen. Er ist mit dem Mitmenschen nicht ein W esen, sondem er ist mit ihm, indem er der Eine und der Mitmensch der Andere ist. 11

Barth selber entfaltet dies Verhiiltnis denn auch als das von und Du"12, was nicht ohne Anklang an die ,dialogische Philosophie" sein kann.

Aber nicht nur ,begrifflich', sondern auch ,sachlich' ist die Niihe zu M.

Buber unübersehbar. Eine Niihe, ja Verwandtschaft, die Barth denn auch relativ ausführlich thematisiert und problematisiert (333ff). Der Stellenwert dieser Nahe liisst sich in folgenden Punkten zusammenfassen, die in etwa die Ausrichtung der Barthschen Argumentation von S. 333ffwiedergeben:

Die angesprochene Niihe ist nicht wirklich überraschend. Sie ist erfreu- lich ohne entscheidend zu sein. Dabei kommt die Gedankenentwicklung der theologischen Anthropologie weder von den Erkenntnissen der so genann- ten dialogischen Philosophie her, noch bedarf sie deren Bestatigung. Sie braucht aber über die Àhnlichkeiten mit ihr auch nicht zu erschrecken, als würde die Tatsache, dass auf nicht-theologische Weise vergleichbare Ein- sichten gefunden würden, der theologischen Eigenstandigkeit Abbruch tun;

dies umso weniger als die nicht bestreitbare Verwandtschaft sich bei niihe- rem Zusehen ohnehin als weniger eng erweisen wird als dies auf den ersten Blick erscheint; wenngleich sich die Frage stellt, ob bei allem faktischen Auseinandergehen nicht auch die ,Weiseren unter den Weisen dieser Welt"

(334) von der wahren Auffassung des Menschen in ihrem wahren Sinn etwas geahnt, wenn auch nicht durchsichtig verstanden haben.

Barth schreibt hier also, wenn man so will, vollig entspannt. Er aner- kennt ein gewisses Zusammentreffen im weitesten Sinne philosophischer mit theologischer Erkenntnis dort, wo es um die Menschlichkeit des Men- schen geht. Von dieser Beobachtung aus gibt es mehrere Moglichkeiten des Weiterfragens: Eine erste wiire die, einer eventuellen Abhiingigkeit der Barthschen Ausführungen von der Buberschen ,Teh-Du-Philosophie' nach- zugehen. Das soll hier nicht unternommen werden. Eine zweite giilte dem Interesse eines sachlichen Vergleichs der Barthschen theologischen Anth- ropologie mit der philosophischen Bestimmung des W esens des Menschen bei Buber. Ein solcher Vergleich würde die Grenzen dieses Aufsatzes sprengen. Mein Anliegen ist beschriinkter: ich begnüge mich mit dem Ver-

Il BARTH, KD lii /2, 322. Alle folgenden Barthzitate, soweit nicht anders vermerkt, stam- men aus diesem Band, und werden nur mit Angabe der Seitenzahl nachgewiesen.

12 Vgl. 291-299,299-329.

(8)

250 Askani

such, aus der wie Barth auf Buber Bezug nimmt und wie er dessen

Erkenntnisse in seine einen

fischen Grundzug seiner Anthropologie hervorzuheben. Wie ist nun Barths , Umgang' mit Buber zu charakterisieren?

Schon zu Anfang habe ich den Eindruck geauJ3ert, dass Barth auf Buber im Gronde nur beilèiufig zu sprechen kommt. In einer genaueren Analyse des Gedankengangs von S. 333 konnte das unschwer nachgewiesen werden.

Noch deutlicher wird es, wenn man sich die Ausarbeitung der ,Grundform der Menschlichkeit" ansieht, wie Barth sie S. 290-335 prasentiert. Insbe- sondere die Darstellung der Ich-Du-Beziehung (vgl. 291ft) enthalt so viele Anklange an Buber, dass das Unterlassen eines Hinweises auf diesen er- staunt. Noch erstaunlicher ist, wie Barth Buber dann schlieJ3lich doch noch ins Spiel bringt.

Es ist wohl wahr, daB die theologische Anthropologie hier anf ihrem eigenen Weg und indem sie diesen entschlossen zu Ende geht, zu Satzen kommt, die denen ganz ahnlich sind, in denen die Humanitat auch schon von ganz anderer Seite (z.B. von dem Heiden Konfuzius, von dem Atheisten L. Feuerbach, von dem Juden M. Buber) beschrieben worden ist. Sollten wir uns darum von diesen Aussagen abhalten las- sen? (333)

Man kann diese Satze auf zweierlei Weise lesen: a) als etwas schiibiges Kaschieren eines Verdankens von Einsichten, die auch für Barth nicht vom Rimmel gefallen sind; oder b) als tatsachliche Verhiiltnisbestimmung theo- logischer und philosophischer Anthropologie, d.h. genauer gesagt als retro- spektives Hervorheben der Eigenart des beschrittenen theologischen Wegs.

Es konnte sein, dass beides zutrifft. Wenn das der Fall sein sollte, würde ich die These verteidigen, dass b) a) überwiegt, d.h. dass die Nichterwahnung Bubers dort, wo sie zu erwarten ware, weniger Gründe personlicher Eitel- keit ais vielmehr solche systematischer Natur hat. M.a.W., so sehr- m.E.

ohne Zweifel Barth Profit aus der Lektüre von Buber ,Ich und Du" gezo- gen hat, so sehr ist doch auch die Entwicklung der Ich-Du-Beziehung, als entscheidendes Moment der Menschlichkeit des Menschen, im theologi- schen Zusammenhang und aus diesem heraus gedacht.

Ad a) Zunachst aber zurück zum Erstaunen hinsichtlich der Nicht- Erwahnung. Barth hat sich mit Buber viel intensiver befasst, ais es die ex- plizite Bezugnahme auf den Seiten von KD III/2 vermuten lasst. Nicht nur, dass Bubers Exemplar von ,Ich und Du" ,starke Spuren der Bearbeitung [ ... ] aufweist"13; Barth hat auch 1943144 im Kolleg eine ausführliche Aus- einandersetzung mit Barths !ch-Du-Philosophie vorgetragen (die er spater allerdings nicht in die ,Kirchliche Dogmatik" aufnahm). Das Vorlesungs-

13 M. LEINER, Martin Buber und Karl Barth, in: ZDT 17 (2001), 188-191, 188.

Karl Barth und Martin Buber 25

Typoskript ist über CD-Rom zuganglich14 und die intensive Lektüre wieder.15 Nach über 5 Seiten sich erstreckenden Bu- berschen Gedanken tritt Barth in die Kritik ein. Diese ist für uns insofem interessant, als sie strukturgleich mit jener in KD 1/2 und KD II/2 vorge- brachten ist: Buber hat W esentliches gesehen, er hat aber auch W esentliches - namlich das Entscheidende - nicht sehen konnen. Beides hangt mit dem zusammen, was er war und was er nicht aufhorte zu sein. Was er sah, ver- dankt er seinem Jude-Sein, was er nicht sah, verdankt er seinem Jude- Bleiben. Barth erkennt und würdigt hinter den nicht in biblischer Sprache redenden Ausführungen von ,Ich und Du" die ,Quelle, aus der er letztlich zweifellos geschüpft hat, namlich aus dem Alten Testament seines Volkes Israel" (1 098). Aber eben dies Alte Testament ist nach Barths entschiede- nem Urteil nicht das ,wirkliche" (1099), sondem das vom Neuen Testament abstrahierte. Und dies vom Neuen Testament getrennte Alte verkennt das gottliche Gegenüber, den ,Heiligen Israels", der nicht nur - wie Bubers W erk nahe legt - ,ewiges sondem Du und Ich ist, um daraufuin, in der Erfüllung seines in und mit der Schopfung anhebenden Bundes dem Men- schen zugute auch menschliches Du und Ich zu werden[.]" (1098). Es miss- deutet aber auch den israelitischen Menschen, der recht - das heiJ3t vom Neuen Testament her- gesehen

eben nicht darauf angewiesen ist [ ... ] seine eigene Erlosung zu verwirklichen, [der]

vielmehr das W esen ist, dem das ewige Du Trene geschworen und gehalten hat trotz seiner Untreue und dem es sich ohne dessen Wesenstat und ihr entgegen zum Erloser gesetzt hat. (1098.)

Aus diesem doppelten grundsatzlichen Verkennen gehen alle weiteren einzelnen Punkte unmittelbar hervor, in denen Buber, obwohl er doch ,ganz nahe dran war', das Entscheidende nicht erkannte und nicht erkennen konn- te. Diese einzelnen Aspekte sollen hier unter Rückgriff auf Barths Ausfüh- rungen nur kurz gestreift werden.

Der Tite! von Bubers Buch !autet: ,Ich und Du' und schon daraus ist ersichtlich, dass es bei ihm zu jener Umkehrung der theologischen Grammatik nicht gekommen ist.

Sein Problem ist und bleibt das Ich: seine Not[ ... ], seine Zwiespaltigkeit [ ... ]und bis zuletzt seine Er!Osung ans oder in dieser Zwiespaltigkeit.16

Das Ich bleibt Herr der Lage. Es wird es in der Ich-Du-Beziehung sogar erst recht.

[ ... ]Es bekommt eben seinerseits keinen Herm. (Ebd.)

14 K. BARTH, Supplemente zur Karl Barth-Gesamtausgabe 1, Unveroffentlichte Texte zur Kirch1ichen Dogmatik, Zürich, 2005, Nr. Il,§ 43/2: ,Des Menschen Menschlichkeit".

15 Die von mir konstatierte ,Bei1aufigkeit" der Beschaftigung Barths mit Buber wird hier - nichtsdestoweniger von Barth se1bst g1eich zu Anfang herausgestellt ( vgl. Typoskriptseite 1084.)

16 BARTH, Supp1emente, 1099; die Hervorhebungen finden sich im Typoskript (a1s Un- terstreichungen).

(9)

252 Askani

Dementsprechend begegnet ihm auch die Gnade nicht ais reines Widerfahr-

nis als wird auch seine Not nicht in

der ganzen Tiefe, namlich als Sünde gesehen ... Es muss hier nicht auf alle Eiemente der Barthschen Kritik eingegangen werden. Wir sind ja genau genommen noch damit befasst, unsere Verwunderung über die stiefmütter- liche Erwahnung Bubers in KD III/2 zu vertiefen. Denn das ist doch auffal- lig, dass, nachdem Barth Buber so ausführlich studiert hatte, in jenen Pas- sagen der theologischen Anthropologie (KD III/2, 291 ff), die wohl jeden unbefangenen Leser an Buber denlœn lassen, auf diesen nicht verwiesen wird.

,Ich bin, indem Du bist [ ... ]", heiBt es bei BarthY Oder: ,Ich bin, indem ich dem Anderen begegne [ ... ]."18 Oder:

[ ... ] indem Ich- wirklich Ich!- bin, bin ich in der Unterscheidung und Beziehung zu dem Anderen, das eben damit, dass ich Ich bin, Du, mein Du ist, und für das ich wieder Du bin, um allein so, von ihm, von seinem Sein her, die Bestatigung zu emp- fangen, dass es auch mit meinem Sein, mit dem ,Ich bin' seine Richtigkeit hat. (294) W er diese Satze li est, dem werden verwandte von Buber ins Gedachtnis kommen. Hat Barth sie übernommen? Meine These ist: sie werden auch ihm - nach der ausführiichen Lektüre - in der ausdrücklichen Nahe zu Bubers Werk bewusst gewesen sein. Sie stehen in der ,Kirchlichen Dog- matik" aber in einem genuinen Zusammenhang, und werden von Barth darum mit Recht ais von dort und von nirgendwo anders her kommend verstanden.

Ad b) Wie sieht nun dieser Zusammenhang a us?

W enn man si ch auf Barths eigene Verhiiltnisbestimmung zu Bubers Beitrag auf den Seiten 333-335 konzentriert, fallt auf, wie Barth das Eigentümliche der theologischen Anthropologie an einem Wort festmacht, das - gegen Buber ins Feld geführt - beinahe kleinlich wirkt. Barth unterstreicht für seine, die christliche Auffassung der Humanitat, die ,Freiheit des Herzens", mit der hier der Mensch seinem Mitmenschen begegnet (cf. 334). Er schreibt dazu:

Indem wir uns dessen in aller Ruhe freuen, daB wir uns in der allgemeinen Richtung unserer Nachforschung und Darstellung mit den Weiseren unter den Weisen dieser W elt in einer gewissen Überseinstimmung befinden, konnen wir es ebenso ruhig dahingestellt sein lassen, ob und inwiefern sie uns ihrerseits bis in die letzten und entscheidenden Konsequenzen dieser Konzeption, namlich wirklich bis zu jenem 17 BARTH, KD III /2, 296. lm Zusammenhang !autet der Satz (noch starker an Buber anklin- gend): ,Die Grundformel [ ... ] muB lauten: !ch bin, indem Du bist."

18 BARTH, KD III/2, 295.

-

Karl Barth und Martin Buber 253

,gerne', wirklich bis zu jener Freiheit des Herzens zwischen Mensch und Mens ch ais

der Wurzel des

Wirkt es nicht etwas bemüht, wenn Barth, was die Beziehung zwischen Ich und Du, Du und Ich angeht, ein ,geme" einklagt, das bei Denkem, die vor ihm sc hon das Ich-Du-Verhiiltnis bedacht ha ben, womoglich nicht gewahr- leistet sei? Darauf reagiert Buber denn auch im Nachwort zu seiner 1954 erschienen ,Geschichte des dialogischen Prinzips":

Es geht bei Barth[ ... ] um ,jene Freiheit des Herzens zwischen Mensch und Mensch als die Wurzel und Krone des Humanitatsbegriffs' -sie meint er bei den genannten Nichtchristen, eben ais solchen, doch wohl vermissen zu müssen. Es geht ibm darum, daB der Mensch Mensch ist, indem er gerne menschlich ist: ,in dem Sinn gerne, daB ein ,ungern' gar nicht zur Wahl steht'. Wo ist dieses ,gern' zu finden und wo nicht?

[ ... Hier steht] der protestantischen Glaubenswelt in seinem Verstandnis die chassidi- sche in meinem Verstandnis gegenüber. Und da, bei den Chassidim - in einer Glau- benswelt, deren wichtigste Lehren der Kommentar zu einem gelebten Le ben sind- ist das ,gern' der Herzensfreiheit zwar nicht Konsequenz, wohl aber die innerste Voraus- setzung, Grund des Grundes. Man hüre nur, wie da gesprochen wird: ,Klugheit ohne Herz ist gar nichts. Fromm ist falsch.' Denn ,die wahre Gottesliebe fàngt mit der Menschenliebe an'. 19

Buber kann also nicht akzeptieren, dass Barth ihm das ,geme" abspricht und er hat, wie mir scheint, recht. Von diesem ,geme" war so ausdrücklich in ,Ich und Du" nicht die Rede. Aber es war doch die groBe Entdeckung, das groBe Staunen aus beinahe jedem der Satze herauszuhoren, das groBe Stau- nen der Erkenntnis, dass grundsatzlicher, fundamentaler, früher als das einsame Ich, das Ich in seiner Zuwendung zum Du, das Ich in der Beziehung, das Ich in der Begegnung sei. Ist dies nicht ein ,gern" vor allem ,geme"? Ein ,geme" also, das zum Menschsein selber gehort, das noch vor aller Entschei- dung liegt? Wie das Aufschlagen der Augen, die Entdeckung im Anderen, dass ich nicht allein bin - vor aller Einsamkeit nicht allein. Ich bin nicht für mich geschaffen, sondem zur Offenheit hin, von der Offenheit her, in der ich vom Anderen aus zu mir komme. ,Das Du begegnet mir von Gnaden durch Suchen wird es nicht gefunden. Aber dass ich zu ihm das Grundwort spreche, ist Tat meines Wesens, meine Wesenstat."20 Liegt nicht darin das fundamental menschliche ,geme": darin, dass hier zwei nicht aufeinander reduzierbare Bewegungen sich treffen: der Andere, der mir begegnet; und ich, der ich mich dem Anderen Offne? Gnade und Tat - Tat, die ich selber bin, aber eben nur, aber eben gerade dort, wo sie nicht nur bei mir beginnt.

Das Grundwort Ich-Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden. Die Einsammlung und Verschmelzung zum ganzen W esen kann nie durch mi ch, kann nie

19 M. BUBER, Zur Geschichte des dialogischen Prinzips ( 1954), in: BW 1, 305.

20 M. BUBER, !ch und Du, in: BW I, 85.

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254 Hans-Christoph Askani

ohne mich geschehen. Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist

Muss, wer dies fur sich entdeckt, wer dies als sein eigenes !ch-Sein erfahren hat - und in seiner ganzen Existenz zu erfahren bestimmt ist -, ein ,geme"

eigens betonen?

So haftet nicht nur Barths Vorbehalt gegenüber Buber etwas- jedenfalls auf den ersten Blick Kleinkramerisches - an, so wirkt auch Bubers eben aus dem ,Nachwort" zitierte Entgegnung auf Barth irgendwie nachtraglich.

War es notig, hier die freudige Frommigkeit der Chassidim zu bemühen?

War nicht die Offenheit und das Geschenk einer jeden menschlichen Be- gegnung auch im philosophischen Gedanken schon prasent? Oder kommt doch die von Buber beschriebene Erfahrung in der Tat von dort her: von jenem gelebten jüdischen Glauben - oder findet sie zumindest hier, hat sie zumindest hier ihren gültigen Ausdruck, ihre gültige Lebendigkeit gefun- den? ,Das ,gem' [sei] die innerste Voraussetzung, Grund des Grundes", schreibt Buber (305). Ein ,gem", das sich mit dem Menschsein selber ver- bindet. Ein ,gem", das uns in unserem, mit unserem Menschsein aufgeht, in ihm und mit ihm aufuns zukommt.

Wir dürfen bezweifeln, dass Barth dies Bubersche ,geme" verstanden hat; ja wir dürfen bezweifeln, dass er es verstehen hat wollen. Vielleicht verstand er es deshalb nicht, weil es ihm selber um ein ,gem" ging, das nicht dasselbe war, und das ihm in seiner Auf3erordentlichkeit, in seiner Grof3e alle anderen ,geme" verstellt hat? In der Tat, das Barthsche ,geme", die Barthsche ,Herzensfreiheit" werden nicht nachtraglich zur Abgrenzung gegen philosophische Ansatze ins Spiel gebracht, um künstlich eine theolo- gische Eigenstandigkeit gegenüber der philosophischen Anthropologie ins Feld zu führen; sie sind vielmehr der eigentliche Gipfel der Gedankenent- wicklung der hier entfalteten ,theologischen Anthropologie".

Das Sein in der Begegnung besteht aber 4.21 darin, dass das ganze Geschehen, das wir bisher ais Grundform der Humanitiit beschrieben haben, unter dem Zeichen steht, dass es hinüber und herüber gerne geschieht. Also: dass man sich gegenseitig geme sieht und geme voneinander sehen lasst, geme miteinander redet und geme aufeinan- der héirt, geme Beistand empfàngt und geme Beistand leistet. Man kann das die letzte héichste Stufe der Humanitat nennen. Man kann freilich auch ebenso gut sagen: wir haben es hier mit dem Geheimnis des Ganzen und also schon der drei vorangehenden Stufenzu tun. (318.)

Wo aber kommt dies ,geme", auf das die ganze (immerhin über 50 Seiten si ch erstreckende) Darstellung zuzulaufen scheint, her? In ihm konzentriert und enthüllt sich die !complexe Struktur, die die theologische Anthropologie

21 D.h. nachdem die Grundgegebenheiten des Menschlichen: das Sich-Sehen, das Aufeinan- derhôren, das Sich-Beistehen erlautert wurden (BARTH, KD III/2, 299-318).

Karl Barth und Martin Buber 255

ausmacht und Um den ,Stellenwert' des besser gesagt des

christlichen müssen wir darum ausholen.

In einem ersten seiner theologischen Anthropologie kommt Barth zu einer ,Definition" dessen, was die Menschlichkeit des Menschen ist:

Humanitat schlechthin, die Humanitèit jedes Menschen besteht in der Bestimmtheit des Seins als Zusammenseins mit dem anderen Menschen22

Kurz darauf erlautert er:

Was heiJ3t ,!ch'? Ich spreche dieses Wort ans und vollziehe damit- auch wenn ich es nur denke, auch wenn ich es also nur bei mir selbst und gewissermaJ3en zu mir selbst sage - eine Unterscheidung, aber auch eine Beziehung. Ich verhmTe also gerade, indem ich dieses Wort denke und ausspreche, nicht in der Einsamkeit.23

Aber damit ist mm cloch noch nicht genug gesagt

Die noch offene Lücke in unserer Beschreibung der Humanitat besteht aber darin, daJ3 wir noch nicht ausdrücklich festgestellt haben, daJ3 das Sein in der Begegnung, in welchem wir in die Grundform der Humanitat zu erblicken haben, ein Sein ist, das vom Menschen gerne verwirklicht wird. (319)

Das ist aber das Geheimnis der Humanitat: Es handelt sich bei dem Sein in der Be- gegnung von Ich und Du nicht um eine zufàllige, nachtriiglich zum Menschen hinzu- kommende und auBerlich ihm auferlegte, es handelt sich hier vielmehr mn eine sei- nem Wesen immanente freie Selbstbestimmtheit des Menschen. Er ist nicht Mensch, um dann auch noch den Mitmenschen neben sich zu haben und um dann auch noch gern oder ungern menschlich, d.h. in der Begegnung mit ihm zu sein. Sondem er ist Mensch, indem er geme menschlich ist: in dem Sinn geme, daJ3 ein ,ungem' gar nicht zur Wahl steht, gar nicht in Frage kommt.24

,Sondem er ist Mens ch, indem er geme menschlich ist." Das ist ein Satz ungeheuren Ausmaf3es, und die ganze oft etwas weit ausholende, etwas langatmige, etwas komplexe Ausfùhrung der Barthschen theologischen Anthropologie hat sich um dieser Erkenntnis willen gelohnt.

Hier wird die Bestimmung des Menschseins von aller Vertiefung in seine Natur, von aller Beobachtung und Deutung seiner ihn von anderen Lebewe- sen unterscheidenden Eigenschaften und Besonderheit losgelüst und in einen ganz neuen Zusammenhang, in eine unerwartete Bewegung versetzt;

sie wird in eine Geschichte gestellt. In eine Geschichte, als die sich dies Menschsein vollzieht (Menschsein heif3t hier: diese Geschichte sein); und in

22 BARTH, KD Ill/2, 290, vgl. 291.

23 BARTH, KD III 12, 292; 296 vertieft Barth dies un ter dem Begriff der ,Begegnung": ,So ist Humanitat die Bestimmtheit unseres Seins als ein Sein in der Begegnung mit dem anderen Mens chen."

24 BARTH, KD lii 12, 321; auf diese Stelle nahm Buber in seiner Entgegnung Bezug.

(11)

256 Askani

"'"''w~'u"· in der dies Menschsein steht.25 Nur von daher kann Barth

dass Menschsein das Geme-menschlich- Sein gehort, ja dass wo der Mensch nicht so Mensch er sich selber verkennt. Gegenüber allen mir bekannten philosophischen Konzeptionen des Menschseins, aber auch gegenüber den theologischen, ist dies eine Revolution, die weit über den Inhalt einer These, die bis in die Anlage des Gedankens hineinreicht. Der Mensch ,ist Mensch, indem er geme mensch- lich ist". Wo kommt dies ,geme" her, wenn es etwas anderes ist als eine Beschwomng, als ein frommer Wunsch? Ist es gedacht oder nur einge- bracht? Die Starke des Barthschen Ansatzes besteht darin, dass es gedacht ist. Dem müssen wir nun nachgehen.

Es ist genugsam bekannt, dass die Barthsche Anthropologie in der Christologie begründet ist.26 Es ist so bekannt, dass mit dieser Behauptung schon die Antwort auf aH die Verstehensfragen ge ge ben zu sein scheint, die durch sie doch erst provoziert werden. Wie sieht also diese nicht- anthropologische Begründung der Anthropologie aus, was fur Auswirkun- gen bzw. Implikationen hat sie, wie erweitert sie den Denkansatz der Auf- fassung des Menschen? Zunachst einmal impliziert die christologische Begründung einen Verzicht, namlich den Verzicht einer ,direkte[n] Beant- wortung der anthropologischen Frage" (64). Nicht, indem man sich das Wesen des Menschen naher ansieht, seine Natur, seine Eigenschaften, seine Evolution, seinen genetischen Code ... , wird man die Antwort auf die Frage finden, wer er sei, sondem indem man zunachst einmal von ihm wegsieht.

Aber umgekehrt, nicht weniger erstaunlich: auf die Frage nach dem Sein und W esen des Menschen wird hier wirklich eine Antwort erwartet. Nicht von vomherein die Bescheidung, diese Frage sei zu komplex, aufgesplittert in zu viele immer unzureichende Herangehensweisen; nein: wer und was der Mensch ist, das soll hier verstanden werden- und wird hier verstanden werden konnen.

Es wird verstanden werden eben dank des Umweges, den wir hier zu ge- ben angehalten sind: über den Menschen Jesus. Denn, wer der ist, wissen wir. ,Indem der Mensch Jesus das offenbarende Wort Gottes ist, ist er die Quelle unserer Erkenntnis des von Go tt geschaffenen menschlichen W e- sens. "27 Wie aber geht nun am Sein dieses einzigen Menschen das Sein des Menschen überhaupt auf? Indem wir uns Jesus genauer ansehen? Nein,

25 Vgl. z.B. den Leitsatz zu § 44: ,,Das Sein des Menschen ist die Geschichte, in welcher ei- nes von Gottes Geschiipfen, von Gott erwiihlt und aufgerufen, in seiner Selbstverantwortung vor ihm begriffen ist und in welcher es si ch dazu ais befahigt erweist." (BARTH, KD III /2, 64, Her- vorhebung von mir.)

26 V gl. zur expliziten Illustration etwa den Leitsatz zu § 43 in Barth, KD III /2, 1; aber auch 64,247 u.ii.

27 2. Hiilfte des Leitsatzes zu § 43, BARTH, KD III/2, 1.

Karl Barth und Martin Buber indem wir seine Geschichte

Werk

zur

257 sein Amt sem

Nicht da13 er als Mensch geboren, nicht da13 er redet und also reden und offenbar auch menschlich wahrnehmen und denken kann, nicht daB er menschlich leidet und stirbt, macht ihn fur sie [sc. die Evangelien] zum wirklichen Menschen, sondern dies: daB er ais Heiland geboren wird, Heilandsworte spricht und also offenbar Heilandsgedanken hat und so auch ais Heiland den Tod erleidet. Jawohl, als Gottes Solm ist er ermach- tigt, in dem Allem als Heiland zu handeln, aber eben mit seinem Heilandshandeln auch dazu, wirklicher Mensch zu sein. ( 68)

Es ist also die Verschrankung des Menschseins Jesu mit seinem Gottes- Sohn-Sein, mit seinem Christus-Sein, die ihn fUr die Anthropologie, fur die Erkenntnis unseres menschlichen Wesens so erhellend macht. Also nicht er als solcher, sondem Er-in-Beziehung. Und in der Tat besteht sein Werk, um das es hier geht, eben in der Erüffnung eines Beziehungsverhaltnisses. Die Ausweitung des Begriffs des Wesens, der Natur, der Eigenart ... auf den der Bestimmung hat schon darauf hingedeutet. Auf die Frage, was der Mensch ist, was sein Wesen, seine Realitat, sein Sein ist, wird er eine Antwmi erhal- ten durch die Bestimmung Jesu, des Heilandes. Diese Bestimmung geht in zwei Richtungen zugleich: auf Gott, der Jesus bestimmt hat, und auf den Men- schen, zu dem Jesus bestimmt ist. Damit aber entsteht auch eine Beziehung des Menschen zu Gott, namlich die, dass wir in der Bestimmung Jesu auch unsererseits von Gott und zu Gott bestimmt sind. Unter Rückgriff auf den sc hon vorhin erwahnten Begriff der Geschichte muss dies dann so lauten:

Ist es bei dem Menschen Jesus so, dass sein Wesen ganz und garin der Geschichte besteht, in welcher Gott als des Menschen Retter tatig ist, dann mu13 - wenn hier Gleichheit ist28- auchjedes Menschen Wesen in dieser Geschichte bestehen. (85) Das ist, wenn man so will, die entscheidende Wendung im anthropologi- schen Ansatz, die Barth vollzieht: er fasst die Frage nach dem Wesen des Menschen als die Frage nach seiner G~schichte auf. Diese Geschichte aber ist, wie jede Geschichte, keine einsame. Sie hat hier weil Gott sie ange- fangen hat-, weitreichendste Implikationen. Nicht nur gehürt die Geschich- te des Menschen in die Gottes, sondem auch umgekehrt. Was zu dem Spit- zensatz fuhrt (der dem andem die Waage halt, nach dem Menschsein heiBt:

geme menschlich sein): ,Es ist der Mensch unter allen Geschüpfen dasjeni- ge, in dessen Identitat mit sich selber wir sofort auch die Identitat Gottes mit si ch sel ber feststellen müssen." (79)

Wie hangen beide Spitzensatze zusammen: der von der Menschlichkeit des Menschen und der von seiner von Gottes Identitat nicht unabhangigen

28 Kurz zuvor hat BARTH priizisiert: ,wenn zwischen diesem Menschen [sc. Jesus] und uns Anderen bei aller Ungleichheit auch Gleichheit besteht [ .. .]"(BARTH, KD lll/2, 85.)

(12)

258 Hans-Christoph Askani

eigenen? Wir konnen eine doppelte Antwort geben: eme eher inhaltliche und eine eher formale. Die inhaltliche wird sich in wie Barth ,Menschenfreundlichkeit" Gottes zusammenfassen lassen. Diese definiert, wenn sie denn wirklich Gottes ist, sowohl sein Sein, als auch das Sein jenes Wesens, dem sie zugewandt ist. Aus ihr wird die Freiheit des Herzens eben- so hervorkommen, wie sie ihr antwortet. Für uns auf den ersten Blick inte- ressanter ist aber vielleicht die formale Bestimmung, weil sie nicht auf ein V okabular zurückgeht, das allzuvertraut ist. Wir fr agen also nochmals:

woher kommt das ,geme"? Ist es eine Gestimmtheit, ist es eine Laune, ist es eine Disposition ... ? Unsere Antwort ist: es ist eine Differenz. Eine Dif- ferenz, die si ch auf verschiedenen Eben en wiederholt, multipliziert, und die sich so - in dieser Vervielfachung und Verschiebung - in Szene setzt. Nicht wir, sondem Jesus. Nicht an uns ist unser Menschsein abzulesen, sondem an seinem. Aber wiederum nicht an seinem Menschsein, als dem einer betrachtbaren Natur, sondem in seinem Menschsein als der Bestimmung seines W erks. In diese Bestimmung sind wir hineingenommen, sodass unsere eigene Bestimmung etwas anderes ist als wir sind - und zugleich so, dass wir doch gar nichts anders sind, sein konnen und sein werden als unse- re Bestimmung. Da steckt das ,gem". Nicht in uns selber, sondem in der Entfemung von uns selber: der Entfemung, die wir doch sind; eine Entfer- nung na.mlich, die uns nicht uns nimmt, sondem uns uns gibt. Uns uns gibt in jener Beziehung, in der wir nicht allein sind- nicht weil ein Anderer uns über den Weg lauft, sondem weil hier ,Bestimmung" auf ,Natur" trifft, in Natur sich widerspiegelt, anders gesagt, weil Jesu Menschsein, als seine Bestimmung, ein Mit-den-Menschen-Sein ist, das uns in sich hineinnimmt, in si ch hineinreiBt. W o ,Mitmenschlichkeit" (248) in das Menschsein ein- gebrochen ist, zieht sie in si ch hinein. Wie? Indem dem ,mit ... " sein Raum, seine Moglichkeit aufgetan wird, dadurch dass ein groBeres ,mit ... "

schon begann. - Also nochmals Differenz: nicht nur nicht wir, an denen das Menschsein abzulesen ist, sondem Jesus; nicht nur seine Art, sondem sein W erk: seine Geschichte, seine Geschichte zwischen Go tt und uns. Aber auch nicht nur diese Geschichte zwischen Gott und uns, sondem diese Ge- schichte für Gott und für uns. Und genau hier ha ben wir das groBere ,mit".

Das ,mit" unserer Mitmenschlichkeit kommt aus einem ,fur", das schon da ist, das ihm vorausgeht. So wird es frei-gesetzt. Seine Frei-setzung lebt in der Zeit als das ,geme".

An einer hervorgehobenenen Stelle charakterisiert Barth dies ,geme" als spontan. ,Es bekommt dann jenes Miteinander den Charakter des schlechthin Spontanen." (323) Diese Charakterisierung ist nach dem eben Gehürten überraschend, sie ist geradezu paradox. Aber in diesem Paradox haben wir es mit dem Kem des ganzen Gedankens, des ganzen Geschehens zu tun. Die Mitmenschlichkeit, von der Barth spricht, ist spontan nicht, weil sie von uns

Karl Barth und Martin Buber 259

ausgeht, sie ist weil sie in die Welt kam. Weil sie in die Welt kam und uns - als als unser Sein wurde. So haben als die, die wir sind, an diesem In-die-Welt-Kommen teil.

Wie es der Leitsatz zu § 45 ausspricht:

DaB der wirkliche Mensch von Gott zum Leben mit Gott bestimmt ist, hat seine unangreitbare Entsprechung darin, daB sein geschüpfliches Sein ein Sein in der Be- gegnung ist: zwischen Ich und Du, zwischen Mann und Frau. In dieser Begegnung ist es menschlich, und in dieser seiner Menschlichkeit ist es das Gleichnis des Seins seines Schèipfers und ein Sein in der Hoffnung auf ihn hin. (242)

Inmitten der theologischen Anthropologie Barths werden Begriffe wie ,Entsprechung und Àhnlichkeit", ,Gleichnis", ,Zuordnung", ,Bild" ...

immer wichtiger. Sie geben Zeugnis davon, dass über den zentralen Begriff der Bestimmung ein Beziehungsgeflecht sich auftut, das nicht ruht, sondem die Geschichte zwischen Gott und Mensch selber ist. Eine Entsprechungs- geschichte, die von gleich und ungleich (von gleich und ungleich zugleich!) sich niihrt - und davon, dass der Raum solcher Vergleichung und solchen Abstands, d.h. des Lebens und der Menschlichkeit, aufgetan wird.

In dem Überschuss des Für, als Für Jesu fur Gott und den Menschen, tut sich das Mehr auf, in das der Mensch eintreten kann (ja schon eingetreten ist) in seinem Leben, als ein Leben mit ... In dem Abstand zwischen beiden (Für und Mit) beginnt, ja begann schon das ,geme", das das Hauptwort der Barthschen Anthropologie ist. Es hat seinen Platz in einem Entsprechungs- verhaltnis: bei aller Unahnlichkeit doch ahnlich, bei aller Ungleichheit doch gleich. So ist der Mensch ein Bild: dessen, was in Jesu Menschlichkeit in die Welt kam, von dieser unableitbar- aber letztlich der Grund und das Ziel ihres Daseins- sind wir ein Gleichnis.

Von diesem letztlich ,asthetischen' Verhaltnis inmitten des Emstes des Menschseins, inmitten der ,Moral' des menschlichen Miteinanderlebens, kommt jenes ,geme" - das spontan ist, indem es schon da war.

Und nicht einmal bei der Feststellung, dass der Mensch Jesus das Bild Gottes ist, werden wir dann einfach und endgültig stehen bleiben kèinnen. Sondem wir werden dann auch im Blick auf die anderen Menschen fragen müssen: inwiefem sie ais Men- schen Wesen sind, denen Jesus, das Bild Gottes, ais ein Wesen ihresgleichen zuge- ordnet sein kann? Hat Gott in diesem Einen - und so gewiss nur in diesem Einen - sein eigen es Bild inmitten des Kosmos, ist es das innere W esen Gottes, das in sein er Mitmenschlichkeit, in seinem Sein fûr den Menschen seine Geschèipflichkeit und Entsprechung hat, wie sol! diese dann denen einfach abgehen, ftir die jener Eine einsteht, denen Gott in diesem Einen so emstlich und ganzlich zugeordnet ist?29

29 BARTH, KD Ill/2, 268; die letzte Hervorhebung von mir.

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