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Zwischen Tradition und Moderne: Katharina von Medici und der französische Hof zur Zeit Karls IX.

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und der französische Hof zur Zeit Karls IX.

Caroline Zum Kolk

To cite this version:

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Zwischen Tradition und Moderne: Katharina von Medici und der französische

Hof zur Zeit Karls IX.

Dr. Caroline zum Kolk, Cour de France.fr/Institut d’études avancées de Paris

In: Ulrike Ilg (Hrsg.), Fürstliche Witwen in der frühen Neuzeit – zur Kunst- und Kulturgeschichte eines Standes, Petersberg, Michael Imhof Verlag, 2015, S. 75-87.

In der frühen Neuzeit haben französische Regentinnen eine Vielzahl bedeutender Bauprojekte initiiert. Der Palais

de Luxembourg und das Kloster Val-de-Grâce, die Maria von Medici (1575–1642) und Anna von Österreich (1601–

1666) errichten ließen, gehören zu den herausragendsten Architekturen ihrer Zeit. Es war ihre Vorgängerin Katharina von Medici (1519–1589), die im 16. Jahrhundert mit dem Bau des Tuilerienschlosses das erste markante Beispiel für ein Bauvorhaben dieser Größenordnung gab.

Die Baugeschichte und die Funktion dieses Schlosses werfen noch heute viele Fragen auf. Was bewegte die Regentin dazu, einen Palast zu errichten, der an Ausmaß alle bekannten Residenzen des Landes übertraf? Die häufigen Unterbrechungen der Bauarbeiten und späte Fertigstellung unter den Bourbonenkönigen sowie die schlechte Quellenlage erschweren es, dieser Frage zufriedenstellend nachzugehen. Es wurde sogar daran gezweifelt, dass das von Philibert de lʼOrme (um 1510–1570) entworfene Projekt tatsächlich mit dem 1579 von Jacques Androuet du Cerceau (um 1515–1585) veröffentlichten Plan übereinstimmte (Abb. 1).

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Zwei Ausgrabungskampagnen haben 1985 und 1989 bis 1990 die Grundmauern der Seitenflügel des Schlosses freigelegt, deren Lage dem Grundriss des von Du Cerceau gezeichneten Projektes entspricht (Abb. 2).1

Abb. 2 Grundmauern vom Nordflügel des Tuilerienschlosses (© Photo : Editions de la Maison des Sciences de lʼHomme, Paris)

Es ist somit davon auszugehen, dass Katharina von Medici tatsächlich die von Du Cerceau gezeichnete Anlage, oder ein ihr sehr ähnliches Projekt, in Auftrag gegeben hat.

Guillaume Fonkenell hat in einer 2010 erschienen Studie zum Tuilerienschloss die bereits bekannte Chronologie der Baugeschichte bestätigt.2 Nur wenige Monate, nachdem Katharina von Medici am 31. Januar 1561 die Regentschaft für den minderjährigen Karl X. übernommen hatte, begann sie mit dem Erwerb von Grundstücken westlich des Louvre. Der älteste, noch erhaltene Kaufvertrag ist auf den 11. August 1561 datiert.3 Die Pläne für einen Schlossbau konkretisierten sich drei Jahre später: 1564 wurde der Architekt Philibert de lʼOrme mit dem Bau beauftragt und die Bauleitung einer Vertrauten der Königinmutter, Marie-Catherine de Pierrevieve übergeben. Die Arbeiten dauerten von 1564 bis 1582, mit Unterbrechungen in den Jahren 1574 bis 1578. Die Religionskriege und die Wirtschaftskrise haben die Vollendung des Baus verhindert: Von ihm wurden zu Lebzeiten Katharinas nur die Gartenanlagen und Stallungen entlang der Rue Saint-Honoré (ab 1564), der zentrale, zum Garten hin gelegene Flügel (ab 1566) sowie dessen Innenausstattung (ab 1578) fertiggestellt. Der letzte Vertrag mit Handwerkern stammt aus dem Jahre 1582.

Das Projekt, eine große und moderne Gartenanlage und Residenz in Paris zu errichten, gehörte also zu den ersten Amtshandlungen der Regentin. Was veranlasste Katharina von Medici dazu, ein solch gewaltiges Unternehmen in Auftrag zu geben?

Fonkenell gibt zu den Beweggründen der Königinmutter keine Auskunft; er begnügt sich mit der Feststellung, dass »die Komplexität der Baugeschichte [...] erklärt, warum die Intentionen Katharinas im Dunkeln bleiben«.4 Auch andere Kunsthistoriker umgehen diese Frage oder setzen voraus, dass sich die Königinmutter das Tuilerienschloss als eine “private”, ihr persönlich zugedachte Residenz errichten ließ. Erst zu Beginn der 1570 Jahre hätte sie beschlossen, das Schloss der Krone überlassen, um sich von der Kirche Saint-Germain-lʼAuxerrois zu entfernen, da ein Astrologe ihr einen frühen Tod “nahe von Saint-Germain” vorausgesagt hatte. Diese Anekdote gehört zu den zahlreichen Legenden, die sich um Katharina von Medici ranken und entbehrt jeder historischen Grundlage. In keiner Schrift der Königinmutter und keinem der Dokumente, die den Bau des Schlosses betreffen, ist je von einem persönlichen, Katharina gehörenden Palast die Rede. Die Tuilerien waren meines Erachtens von Anfang an als ein königlicher, der gesamten Familie des Monarchen zugedachter Palast

1 Les jardins du Carroussel (Paris), De la campagne à la ville: la formation d'un espace urbain, hg. von Paul Van Ossel, Paris 1998, S. 314–317. 2 Guillaume Fonkenell, Le Palais des Tuileries, Arles 2010.

3 Die Ankäufe wurden bis mindestens 1569 fortgeführt und ergaben eine Terrain von einer Größe von mehr als 30 Hektar.

4 »La complexité de cette histoire et les changements successifs dans le projet expliquent à quel point les intentions de Catherine de

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errichtet worden. Einen ähnlichen Ansatz hat schon Laurent Odde entwickelt, der eine sehr überzeugende Hypothese in einem Artikel über die Bautätigkeit der Königin formulierte.5 Für den jungen Kunsthistoriker verfolgte Katharina von Medici mit dem Bau zwei Ziele: Sie wollte den Hof in Paris ansiedeln und ihm eine Residenz zur Verfügung stellen, die seiner Größe und einem gewachsenen Repräsentationsbedarf entsprach. Odde konnte diese These nicht mit Quellen belegen; tatsächlich hat sich Katharina in ihrer Korrespondenz nicht zu ihren Motivationen geäußert und auch Zeitgenossen haben dazu keine Hinweise hinterlassen. Zudem widerspricht diese Sicht der Dinge der gültigen Lehrmeinung: Vielen Historikern gilt Heinrich IV. (1553–1610) als der Monarch, der den Hof in Paris sesshaft gemacht hat, auch Heinrich III. (1551–1589) wird in diesem Zusammenhang häufig genannt. Nicolas Le Roux ist einer der wenigen, die darauf hingewiesen haben, dass der Hof sich bereits in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts in Paris niederließ. Er führte hierfür jedoch keine Belege an und fragte auch nicht nach dem Urheber dieses Prozesses.6

Ich möchte im Folgenden darlegen, dass der Bau des Tuilerienschlosses im Zuge einer Reihe von Maßnahmen unternommen wurde, die Katharina von Medici zu Beginn der sechziger Jahre ergriff. Diese betrafen nicht nur räumliche Fragen, sondern auch die innere Ordnung des Hofes. Sie trugen den massiven Veränderungen Rechnung, die der französische Hof seit Ende des 15. Jahrhunderts durchlaufen hatte: In weniger als 70 Jahren war er von einem reduzierten und funktionalen Ensemble zu einem der größten und prächtigsten Höfe Europas angewachsen. Auch in seiner Struktur hatte er sich massiv verändert.

Ein Hof ohne (Hof-)Ordnung

Katharina kam im Oktober 1533 im Alter von 14 Jahren durch ihre Heirat mit Heinrich von Orléans (1519–1559, reg. 1547 bis 1559), dem zweiten Sohn Franzʼ I. und späteren König Heinrich II., an den französischen Hof.

Abb. 3 François Clouet, Katharina von Medici(nach 1560), Zeichnung (© Photo : British Museum London)

Unter Franz I. (1494–1547) zeichnete sich dieser durch eine große Mobilität und recht rustikale Umgangsformen aus, an denen die Förderung von Kunst und Kultur von Seiten des Königs und seiner Familie wenig geändert hatte. Die Residenzen waren frei zugänglich, die Hofetikette reduziert und Disziplin und Ordnung wenig

5 Laurent Odde, »Les coulisses du pouvoir : châteaux, jardins et fêtes. Quelques aspects du mécénat (transgressif) de Catherine de

Médicis«, in Kathleen Wilson-Chevalier, Patronnes et mécènes en France à la Renaissance, Saint-Etienne 2007, S. 481–510.

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ausgeprägt, wenn wir den italienischen Botschaftern Glauben schenken dürfen. Franz I. residierte zudem mit Vorliebe auf dem Land oder in kleineren Orten – große Städte wurden gemieden, was bei den italienischen Gesandten Erstaunen hervorrief.7 Die Urbanität der italienischen Höfe war den Franzosen fremd.

Die beständige Reisetätigkeit des französischen Hofes stand der Entwicklung eines geregelten Hoflebens und Hofzeremoniell entgegen: Es fehlten dafür in vielen Residenzen die notwendigen Räumlichkeiten und manchmal auch das nötige Personal, da dessen Anwesenheit durch Verzögerungen bei der Reise oder aufgrund weit entfernt liegender Unterkünfte nicht immer gesichert war. Zudem reisten die verschiedenen Mitglieder der königlichen Familie und des Hochadels oft unabhängig voneinander. Wie in anderen Reichen und Fürstentümern hatten alle Erwachsenen der königlichen Familie einen eigenen Hofstaat, der in den französischen Quellen mit dem Begriff »maison« bezeichnet wird. Er war verantwortlich für alle für das Reisen und den Alltag notwendigen Belange. Bemerkenswert ist, dass durch die fortwährende Reiseherrschaft der Hofstaat der Frauen in Frankreich seine Autonomie nicht einbüßte. Dies war in anderen Ländern oft bereits im 15. Jahrhundert geschehen, wodurch die Fürstinnen vom Hofstaat ihres Mannes abhängig wurden.8 Katharina konnte unabhängig von ihrem Schwiegervater Franz I. und von ihrem Mann Heinrich von Orléans reisen. Sie war nach ihrer Ankunft in die Maison der Töchter Franzʼ I. integriert worden und verblieb in ihr auch, nachdem sie 1536 in den Rang der

Dauphine aufgerückt war.9 Für einen eigenen Hofstaat galt sie wohl noch als zu jung, auch hatte sie in diesen Jahren noch keine Kinder.

Der Hofstaat der Töchter des Königs folgte oft dem der Königin, Eleonore von Österreich (1498–1558). Aus zeitgenössischen Quellen und den Itineraren ist ersichtlich, dass die Frauen der königlichen Familie eine eigene Reiseagenda hatten und nicht immer mit den Männern am selben Ort residierten.

Als Gründe für die Reisetätigkeit des Hofes können zu Beginn des 16. Jahrhunderts nicht mehr wie im Mittelalter politische oder wirtschaftliche Zwänge angeführt werden. Krieg und diplomatische Verhandlungen erklären einen Teil der Reisen, andere hatten eine soziale und politische Funktion: Die persönliche Anwesenheit des Königs stärkte die Bindung des Volkes an die Monarchie. Monique Chatenet und Robert J. Knecht fügen diesen Motivationen andere hinzu: vor allem die Leidenschaft Franz I. für die Jagd, aber auch die religiöse Agenda, die den Hof regelmäßig zu den wichtigsten Pilgerstätten, Kathedralen und Klöstern des Reiches führte.10 Hinzu kommt, dass Franz I. sich auf dem Land besser den Zwängen des Hoflebens und der Menge der Hofleute entziehen konnte, die von einigen hundert auf mehrere tausend Menschen angewachsen war. Diese Entwicklung hatte Ende des 15. Jahrhunderts mit der Vergrößerung des königlichen Hofstaats eingesetzt. Die Maison des Königs zählte Ende des Mittelalters circa 100 Personen. Sie erreichte ab 1490 über 300 Menschen und mehr als 500 ab 1523. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stabilisierte sie sich schließlich auf 1000 bis 1100 Personen.

7 Zu den Beschreibungen des französischen Hofes durch die italienischen Gesandten siehe zwei Artikel von Marc Smith: »Les diplomates

italiens, observateurs et conseillers artistiques à la cour de François Ier«, Histoire de l’art, 35–36 (1996), S. 27–37 und »Familiarité française

et politesse italienne au XVIe siècle. Les diplomates italiens juges des manières de la cour des Valois«, Revue dʼHistoire diplomatique, 3–4 (1988), S. 193–232.

8 Siehe hierzu unter anderem von Brigitte Streich, Zwischen Reiseherrschaft und Residenzbildung: Der Wettinische Hof im späten Mittelalter, Köln

1989, und von derselben »Frauenhof und Frauenzimmer«, in Das Frauenzimmer. Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Jan Hirschbiegel u. Werner Paravicini, Sigmaringen 2000, S. 247–262 sowie Amalie Fößel, Die Königin im mittelalterlichen Reich, Sigmaringen 2000, S. 81, 111.

9 Der älteste Sohn Franz I. war 1536 gestorben, der zweitälteste, Katharinas Mann Henri, war somit zum Thronfolger (dauphin)

aufgestiegen.

10 Monique Chatenet, La cour de France au XVIe siècle : vie sociale et architecture, Paris 2002, S. 18 und Robert Jean Knecht, The French Renaissance

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Der Hofstaat der Königin vergrößerte sich ebenfalls und wuchs von 60 bis 70 Personen Ende des Mittelalters auf mehr als 370 in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an.11 Er machte im Durchschnitt 40 Prozent der Maison des Königs aus, wie aus der folgenden Übersicht deutlich wird.12

Abb. 4 Hofstaat des französischen Königs und der französischen Königin

Zu den Hofstaaten der königlichen Familie, der Botschafter und der Fürsten, die bei Hofe weilten, kamen die Besucher aus dem Umland und ungeladene Gäste hinzu. All dies erklärt die für uns überraschend hohen Zahlen, die von Zeitgenossen angeführt wurden, wenn sie vom Umfang des Hofes in der Mitte des 16. Jahrhundert sprachen: von 8 000 bis 12 000 Menschen ist die Rede. Hinzu kam eine ähnlich große Anzahl von Tieren, die für den Transport, die Verpflegung, die Jagd und andere Vergnügungen unverzichtbar waren. Für das 15. Jahrhundert sind die Werte ungleich geringer: man geht hier von nur 1000 bis 2000 Menschen und ebenso vielen Tieren aus.

11 Zur Entwicklung des Hofstaats der Königin im 15. und 16. Jahrhundert siehe Caroline zum Kolk, »The Household of the Queen of

France in the Sixteenth Century«, The Court Historian, 14, Heft 1 (2009), s. 3-22 (http://cour-de-france.fr/article2336.html).

12 Die Zahlen dieser und der folgenden Statistiken gehen aus den zeitgenössischen Etats de maison hervor, die die Mitglieder eines Hofstaates

mit ihrer Charge und Gagen aufführen. Zur Größe des Hofstaates des Königs siehe Chatenet 2002 (Anm. 10), S. 32–33 u. Knecht 2008 (Anm. 10), S. 39–40; zum Hofstaat der Königin: Anne de Bretagne, 1490 und 1496-1498: Paris, Bibliothèque Nationale de France (im folgenden: BNF), Cinq Cent Colbert 54 (326-328) und Ms. fr. 8269 (403–408); Claude de France, 1523: BNF, Ms. fr. nouv. acqu. 9175 (367–370); Eleonore von Österreich, 1530–1547: BNF, Ms. fr. nouv. acqu. 9175 (371–378); Katharina von Medici, 1547–1585: BNF, Ms. fr. 7854 (13–36); Maria Stuart, 1560: BNF, Ms. fr. nouv. acqu. 9175 (395–398); Elisabeth von Österreich, 1571–1574: BNF, Ms. fr. nouv. acqu. 9175 (399–404); Louise de Lorraine, 1575-1590: BNF, Ms. fr. nouv. acqu. 9175 (405–412).

Jahr Hofstaat des Königs (in Personen) Hofstaat der Königin (in Personen) Verhältnis

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Abb. 5 Antoine Caron, Der Hof verlässt das Schloss von Anet, Tuschzeichnung, um 1570 (© Paris, Louvre)

Es ist der Vergrößerung der Maisons zu verdanken, dass sich im 16. Jahrhundert eine wachsende Anzahl von Frauen am französischen Hof aufhielt. Diese Veränderung, die 1496 einsetzte, hatte weitreichende Folgen für die Hofkultur und die politische Geschichte Frankreichs. Im Mittelalter hatten die Frauen der königlichen Familie eine sehr begrenzte Zahl von Geschlechtsgenossinnen in ihrem Gefolge; die Königin selten mehr als fünfzehn bis zwanzig, meist nicht adelige junge Mädchen und Damen. Mit Anne de Bretagne (1477–1514) änderte sich dies: Die Gemahlin Karls VIII. (1470–1498) und Ludwigs XII. (1462–1515) beschloss, Töchter und Frauen der adeligen Besucher an den Hof zu bitten und integrierte eine Vielzahl von ihnen in ihren Hofstaat.13 1496 wuchs der Frauenanteil ihres Hofstaats auf 39 Personen. Diese Entwicklung setzte sich in den Folgejahren fort. Dienten 1496 39 Frauen der Königin, so waren es 1552 schon 50. Ende des 16. Jahrhunderts war ihre Zahl auf fast hundert angestiegen: 1589 hatte Louise de Lorraine 99 Frauen in ihrem Gefolge.

Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in den Maisons der anderen Frauen der königlichen Familie beobachten.14 Insgesamt weilten somit mehrere hundert Frauen am Hof, wenn die Königin, die Königinmutter, die Schwestern und die Töchter des Herrschers anwesend waren. Hinzu kamen die Frauen der Maisons des Hochadels, die ebenfalls zum Anwachsen des Frauenanteils bei Hof beitrugen.

Die Integration von Frauen am Hof löste bei einigen Hofleuten Beifall, bei anderen Kritik und Verteilungskämpfe aus, da Frauen nun Zugang zu bisher hauptsächlich von Männern genutzten Ressourcen und Privilegien erhielten. Die Hofdamen nutzten den direkten Kontakt zur königlichen Familie für ihre Patronagetätigkeit und beeinflussten auch politische Entscheidungen. Diese “Einmischung” wurde heftig kritisiert, ebenso die Promiskuität der Geschlechter, welche die Kontrolle der Sexualität und der Heiraten erschwerte. Kam es zu Liebschaften – was kaum zu verhindern war – so waren die Risiken ungleich verteilt: Eine Schwangerschaft diskreditierte vor allem

13 Brantôme berichtet dies: »Ce fut la premiere qui commança à dresser la grand Court des Dames, que nous avons veu despuis elle jusques

à cest heure; car elle en avoit une très-grande suitte, et de Dames et de filles, et n'en refusa jamais aulcune; tant s´en faut, qu'elle s'enquerroit des gentils-hommes leurs peres qui estoyent à la Court, s'ilz avoyent des filles, et quelles estoyent, et les leur demandoit« (Pierre de Bourdeilles, Abbé de Brantôme, Recueil des Dames, poésies et tombeaux, Paris 1991, S. 13).

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die betroffene Frau und ihre Familie; der Liebhaber hatte selten Schaden für sich und seine Familie zu befürchten. Eliane Viennot hat herausgestellt, dass Affairen generell geduldet, ja sogar befürwortet wurden, wenn sie diskret und folgenlos blieben, und keine verheirateten Personen betrafen.15 Mit diesem Thema direkt verbunden waren die Kontrolle des Zugangs zum Frauenhofstaat und die fast klösterliche Ordnung, die in ihm zu herrschen hatte. Beides sind immer wiederkehrende Topoi in dem Leitfaden, den Anne de France ihrer Tochter hinterließ.16 Die Kontrolle und Ordnung des Hoflebens war somit ein für Frauen besonders sensibler Bereich und gehörte zu den Gründen für die Maßnahmen, die Katharina von Medici ab 1560 ergriff.

Hinzu kamen Aspekte, die den Hofalltag insgesamt betrafen. Katharina hat den Standpunkt der italienischen Gesandten wohl zumindest ansatzweise geteilt: In ihren Briefen beschwerte sie sich des Öfteren über die »Valetaille«, die Edelknaben (valet) und Diener oft adeliger Herkunft, deren Benehmen zu wünschen ließ: Sie fluchten, prügelten und stahlen und hatten keinerlei Respekt vor Besuchern und Höherstehenden. Einem Zeitgenossen zufolge kündigten sie die Kardinäle in Anspielung auf ihr rotes Gewand mit dem Ruf »Achtung, Fuchs!« an.17 Ihnen verdankt die Forschung wohl auch die Obszönitäten, die auf den Mauern von Villers-Cotterêts zu finden sind.18

Zu diesem Disziplinarproblem kam ein zweites hinzu: die große Anzahl von ungeladenen Gästen am Hof. Legitim war sicher die Anwesenheit von Besuchern aus dem Umland, Bittstellern und auch Neugierigen, die Zeremonien und Festlichkeiten beiwohnen wollten. Problematischer war es im Falle der Prosituierten und Diebe, die als Edelleute verkleidet ihr Unwesen trieben. Auch führte die Menge dazu, dass der Empfang mancher Gäste gründlich misslang. Es war dem Ruf der Krone gewiss nicht zuträglich, wenn ein hochstehender Besucher im Gedränge der Wartenden beim Oberhofmeister verletzt wurde, wie es dem ungarischen Botschafter wiederfuhr19. Andere Probleme betrafen die Arbeitsabläufe in den Maisons. Einige Hofbeamte traten ihren Dienst verspätet oder gar nicht an, andere zum falschen Zeitpunkt. So manch ein gentilhomme dʼhonneur war nie auf den Listen der Hofbeamten geführt worden und kassierte trotzdem einen Lohn. Auch war der Tagesablauf in den einzelnen

Maisons nur begrenzt festgelegt. Zwar wurden die Zeremonien des Levers und des Couchers überall respektiert, was

sich zwischen diesen Momenten abspielte, war protokollarisch nicht festgelegt. Hinzu kamen die hohen Kosten der Hofhaltung, die zu Beginn der sechziger Jahre mit einer als katastrophal zu bezeichnenden Finanzlage kollidierten: Die Kassen waren leer, die Schuldenlast drückend.

Das Ende der Reiseherrrschaft

Dass Katharina gegen diese Missstände vorgehen wollte, belegen Zeitgenossen und auch ihre Briefe. Einer davon hat bisher erstaunlich wenig Beachtung gefunden. Die Königinmutter bat 1561 ihren Botschafter in Spanien, Sebastian de lʼAubespine, ihr Listen des Hofstaats von ihrem Schwiegersohn Philipp II. und ihrer Tochter Elisabeth zu schicken. Sie wünschte sich auch Informationen über die Art, wie der spanische Hof seine Reisen organisiere. All dies um sich an diesen Beispielen zu inspirieren und die Ausgaben zu reduzieren:

»Da ich weiß, dass die spanische Hofhaltung sehr viel kostensparender als die unsere ist, wünsche ich mir mehr als alles andere auf der Welt, eine Liste des Hofstaates des spanischen Königs, meines guten [Schwieger-]Sohnes, zu sehen, die sowohl die Hofleute, die mit Kost und Trank, als auch die, die einen Lohn oder anderes erhalten, aufführt. Ich bitte Sie, Monsieur de Limoges, alles zu tun, um einen solchen État zu bekommen, und auch einen des Hofstaates der Königin, meiner Tochter, denn beide würden mir helfen, Mittel und Wege zu finden, um mein Vorhaben zu verwirklichen. Wenn Sie mir dazu noch über die Form schreiben könnten, die der Hof annimmt, wenn er über Land geht: will heißen, sowohl was die angeht, die verpflegt werden, wie auch die, die belohnt werden. Und auch, wie sie diese unterbringen und das Gepäck

15 Eliane Viennot, Marguerite de Valois: histoire d'une femme, histoire d’un mythe, Paris 1993, S. 61.

16 Anne de France, Enseignements à sa fille, suivis de l'histoire du siège de Brest, hg. von Eliane Viennot, Saint-Etienne 2006. 17 Lucien Romier, Le royaume de Catherine de Médicis, Bd. 1, Paris 1925, S. 71.

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transportieren. Das lege ich Ihnen sehr ans Herz und bitte Sie, alles bei der ersten Gelegenheit zu schicken«.20

Die Antwort des Botschafters auf diese Anfrage ist meines Wissens nicht erhalten geblieben; es ist aber davon auszugehen, dass Katharina die gewünschten Informationen erhalten hat. Für die Hofforschung ist ihr Brief von Bedeutung, da es europaweit nur selten Belege für den Austausch von Hofordnungen gibt.

Aus den Jahren 1561-1563 sind nur wenige solche »etats de maison« überliefert, es ist daher nicht möglich, die Veränderungen der Maisons zu verfolgen. Anders steht es um die Reisetätigkeit des Hofes, die sich in diesen Jahren unter Katharinas Führung einschneidend veränderte.

Die Residenzen des Hofes

Wenn wir die Reisen ausklammern und nur die regelmäßig wiederkehrenden Aufenthaltsorte des Hofes betrachten, so tauchen im 15. und 16. Jahrhundert zwei bevorzugte Regionen auf. Zur Zeit des Hundertjährigen Krieges und im auslaufenden 15. Jahrhundert hatte sich der Hof häufig an der Loire aufgehalten. Unter Franz I. verlagerte sich das Gewicht dann auf die Ile-de-France, das Pariser Umland, auch wenn seine ersten Baumaßnahmen die Loireschlösser betrafen (Amboise und Blois ab 1515, Chambord ab 1519).

In Paris selbst stand der königlichen Familie neben dem Louvre noch eine andere Residenz zur Verfügung, das

Hôtel des Tournelles, eine Ansammlung von mittelalterlichen Stadtvillen, die sich im Marais befand. Ab 1528 begann

die Modernisierung des Louvre und der Bau eines Jagdschlosses im Bois de Boulogne, Madrid genannt. 1529 erweiterte sich der Radius mit dem Aus- und Neubau des Schlosses von Fontainebleau. Noch weiter von Paris entfernt lag Villiers-Cotterêts, das Franz I. ab 1533 errichten ließ. 1539 wurde schließlich auch Saint-Germain-en-Laye in die Modernisierungskampagne mit einbezogen. Weniger bedeutend waren die Bauvorhaben von Folembray, Challuau und La Muette, die Ende der 30er Jahre in Angriff genommen wurden.

Viele dieser Bauvorhaben wurden erst unter der Regierung von Heinrich II. abgeschlossen. Es kamen Bauten in Vincennes und Saint-Leger sowie die von Heinrich geförderte Errichtung des Schlosses von Anet hinzu, das Diane de Poitiers in Auftrag gegeben hatte.21 Katharina erhielt 1555 Monceaux-en-Brie,22 wo sie ein von Philibert de lʼOrme konzipiertes Schloss errichten ließ.23 Auch hatte sie 1550 im Loiretal das Schloss Chaumont-sur-Loire erworben.24 Die Königin besaß so eine eigene Residenz in den zwei wichtigsten Aufenthaltsgebieten des Hofes. Erst unter der Regentschaft Katharinas (Dezember 1560 bis August 1563) tauchten neue Bauvorhaben auf. Neben dem Tuilerienschloss handelte es sich dabei um Residenzen, welche die Königinmutter für ihren persönlichen Gebrauch erwarb. 1560 erhielt sie von Diane de Poitiers Chenonceaux im Tausch mit Chaumont-sur-Loire. 1563 erwarb sie das 13 Kilometer östlich von Paris gelegene Schloss Saint-Maur-des-Fossés nahe bei Paris. 1570 begann sie mit dem Bau des Hôtel de la Reine, ein Stadtpalais, dass sie nahe des Louvre errichten ließ. Im Gegensatz zum Tuilerienschloss war das Hôtel de la Reine eindeutig als Witwensitz konzipiert.

Der Bau dieser Stadtvilla wirft mehrere Fragen auf, da er häufig mit dem Einstellen der Bauarbeiten am Tuilerienschloss in Verbindung gebracht wird. Zu Beginn der siebziger Jahre gerieten diese ins Stocken und kamen

20 »Et d'aultant que je scay combien la façon dʼEspagne est de beaucoup plus grand espargne que la nostre, je désireroys le plus du munde

de pouvoyr veoir l'estat de la maison du Roy d'Espagne mon bon filz, tant des mangeailles que de ceulx qui ont vivres, ou sont deffroyez en argent ou autrement, vous priant, Monsieur de Lymoges, faire tant que vous mʼen puissiez envoyer ung estat, ensemble de la maison de la Royne ma fille, car ils me serviront infiniment à trouver le moyen pour parvenir au but de mon intention. Si vous me pouvez avec cela escrire la façon qu'ilz tiennent en allant par pays pour les trains: assavoyr ceulx qui sont nourriz ou qui ont argent, et comme ilz en usent pour les loger et la conduicte des bagaiges, ce sera encores le meilleur que je vous recommande et vous prie me l'envoyer par la première occasion« (Brief vom 9. August 1561, Lettres de Catherine de Médicis, hg. von Hector de la Ferrière-Percy, Baguenault de Puchesse u. André Lesort, Bd. 1, Paris 1880, S. 606).

21 Siehe hierzu Sigrid Ruby, Mit Macht verbunden. Bilder der Favoritin im Frankreich der Renaissance, Freiburg 2010.

22 Es handelte sich dabei nicht um ein Geschenk des Königs, sondern um ein Tauschgeschäft: Katharina überließ der Krone im Gegenzug

die Einnahmen der Grafschaft von Boulogne (Ivan Cloulas, Henri II, Paris 1985, S. 383).

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1574 für einige Monate ganz zum Erliegen. Diese Unterbrechung ist auf finanzielle Engpässe zurückzuführen,25 die durch den Bau des Hôtel de la Reine sicher verschärft wurden. Dennoch wurde an den Tuilerien in den Folgejahren weitergearbeitet; Katharina hatte den Bau des Schlosses nicht aufgegeben, wie so oft behauptet wird.26

Abb. 6 Israël Silvestre, Das Hôtel de la Reine, im 17. Jh. (Hôtel de Soissons genannnt). Kupferstich aus : Livre de diverses perspectives et paisages faits sur le naturel, Paris 1650 ( © Photo : Bibliothèque historique de la ville de Paris).

Der Bau des Hôtel de la Reine fällt in einen Zeitraum, in dem Katharina sich auf einen (illusorischen) Ruhestand vorbereitete. Ihre Briefe aus den Jahren 1569–1572 zeugen davon, wie auch die Maßnahmen, die sie in Bezug auf ihre Kinder ergriff: Sie wurden verheiratet oder mit großzügigen Ländereien ausgestattet. Die Heirat Karls IX. mit Elisabeth von Österreich (1554–1592), die am 26. November 1570 stattfand, war für den Bau des Hôtel de la Reine ausschlaggebend. Als Königin standen der jungen Frau die den Königsappartements naheliegenden, bisher häufig von Katharina belegten Räume in den Schlössern der Krone zu. Auch wollte Katharina es vermeiden, ihre Schwiegertochter durch ihre ständige Präsenz in den Schatten zu stellen. Die Königinmutter trug dem Rechnung, indem sie sich eine persönliche Residenz errichten ließ, die es ihr ermöglichte, separat vom Hof, aber doch nahe bei ihm zu leben.

Karl IX. wie auch Heinrich III. nahmen keine bedeutenden Neu- oder Umbauten vor, mit einer Ausnahme: Karl, ein begeisterter Jäger, hatte den Bau eines gigantischen Schlosses in Noyon-sur-Andelle, 20 km östlich von Rouen, geplant. Mit einer Fassade von mehr als 350 Metern Länge hätte dieser Palast, Charleval genannt, den Louvre und das Tuilerienschloss an Größe übertroffen. Wie Chambord liegt das Schloss jedoch weit von den üblichen

25 Fonkenell 2010 (Anm. 2), S. 18.

26 Häufig wird André Sauval zitiert, der behauptete, Katharina sei von einer Wahrsagerin gewarnt worden, dass sie bei Saint-Germain

sterben würde; dies sei der Grund gewesen, warum sie den Bau der Tuilerien einstellte und sich nahe bei der Kirche Saint-Eustache niederließ, da das Tuilerienschloss der Pfarrei von Saint-Germain-l'Auxerrois zugehörte (Histoire et recherche des antiquités de la Ville de Paris, Bd. 2, Paris 1724, S. 52 und 188). Häufig wird auch davon ausgegangen, dass der Bau des Hôtel de la reine zur Einstellung des Baus des Tuilerien-Schlosses geführt habe: »Mais les travaux [aux Tuileries] s'arrêtèrent en 1571, la reine ayant décidé de se retirer dans l'hôtel près de Saint-Eustache qu'elle avait demandé à Bullant« (Françoise Boudon, Claude Mignot, Jacques Androuet du Cerceau, Les dessins des

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Aufenthaltsorten des Hofes entfernt; dieser Fakt und die hohen Kosten führten wohl dazu, dass die Bauarbeiten nach seinem Tod eingestellt wurden. Sie waren nicht über die Grundmauern hinausgekommen27.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es nach den Baumaßnahmen Franzʼ I. erst wieder unter der Regentschaft von Katharina von Medici zu Großbauten kommt. Hierbei können private von öffentlichen, oder königlichen, Schlössern unterschieden werden. Im Herzen der Stadt Paris befand sich das ihr persönlich zugedachte Hôtel de la Reine, das sie als Hauptwohnsitz nutzte. Saint-Maur hatte die Rolle eines “Satelliten” oder privaten Landschlosses, das in kleinerem Kreis in der schönen Jahreszeit aufgesucht wurde.

Das Tuilerienschloss hatte Katharina meines Erachtens nach von Anfang an der Krone zugedacht: Es gibt keine Belege dafür, dass es als “Privatresidenz”, oder persönliche Residenz der Königinmutter, errichtet wurde. Der Palast sollte im Verbund mit dem Louvre zum Stammsitz der Dynastie werden. Die Schlösser des Umlandes konnten parallel dazu als “Lustschlösser” genutzt werden.

Das die Forschung bisher davon ausging, das Tuilerienschloss sei als persönliche Residenz für Katharina konzipiert worden, beruht auch auf den Schriften Philibert de lʼOrmes, der die Königin als federführende Autorin des Schlossbaus hervorhob ; zum anderen auf der Ikonographie des Palastes, die die für königliche Schlösser ungewöhnliche ionische Säulenordnung aufwies, welche als “weiblich” galt. Auch finden sich in den Verzierungen zahlreiche Embleme Katharinas.28 Es steht somit außer Frage, dass Katharina sich mit dem Tuilerienschloss ein Denkmal gesetzt hat. Damit kann aber nicht zwingend auf eine Funktion als „Privatresidenz“ geschlossen werden. Die Tuilerien waren der königlichen Familie zugedacht und erweiterten den Louvre durch die Anlage großer Festsäle und einem Garten, der sowohl Festen wie auch dem Alltagsvergnügen des Hofes dienen sollte.

Die Bauprojekte Katharinas folgen einem in Italien wohl bekannten System: Neben dem fürstlichen Stadtpalais, das als Hauptresidenz genutzt wird, gibt es im Umland der Hauptstadt Landschlösser, die vor allem in den heißen Sommermonaten Zuflucht bieten. Bereits unter Franz I. hatten “Binome” dieser Art bestanden: Das Hôtel des

Tournelles im Marais wurde im Verbund mit dem Schloss von Vincennes genutzt Für den Louvre wurde das nah

gelegene Jagdschloss Madrid im Wald von Boulogne errichtet. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde diese Entwicklung von Katharina von Medici vorangetrieben und für ihren persönlichen Gebrauch mit dem Ensemble “Hôtel de la Reine – Saint-Maur” erweitert.

Das Ausklingen der Reiseherrschaft

Wie sieht es nun mit der Frequentation von Paris aus? Führten diese Neu- und Umbauten zu einer Steigerung der Aufenthalte des Hofes in der Hauptstadt?

Die königlichen Korrespondenzen ermöglichen es, die Reisetätigkeit des Hofes nachzuvollziehen. Dank der in den Briefen enthaltenen Angaben zu den Aufenthaltsorten des Königs und der Königinmutter konnten mehrere Itinerare erstellt werden, die von der Regierungszeit Franz I. bis zum Ende der achtziger Jahren reichen.29 Franz I. hatte sich oft in Paris aufgehalten; die Stadt führt die Liste der bevorzugten Residenzorte des Königs an. Da Franz jedoch gerne und viel reiste, machen diese Aufenthalte insgesamt nicht mehr als 15 Prozent von den insgesamt 8487 Angaben zu Aufenthaltsorten aus:

27 Diese Liste betrifft nicht die öffentlichen Gebäude: Franz I. hat den Neubau des Rathauses in Paris und den Bau der Kirche

Saint-Eustache gefördert, Heinrich III. den Bau mehrere Klöster und des Pont Neuf in Paris.

28 Fonkenell, S. 31–33.

29 Zwei der Itinerare können als Datenbanken auf der Website Cour de France.fr konsultiert werden: Itinerar von Katharina von Medici

(http://cour-de-france.fr/article249.html) und Itinerar von Heinrichs III. (http://cour-de-france.fr/article1732.html). Für die Erstellung der Itinerare genutzte Quellen: Catalogue des Actes de François Ier (1515-1547), hg. von Paul Marichal, Bd. 8, Paris 1905, S. 411–

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Abb. 7 Die zehn am häufigsten genutzten Aufenthaltsorte Franz' I.

Hatte 1528 das Versprechen des Königs, fortan häufiger in Paris zu residieren, zu einer Änderung geführt30? Das Gegenteil ist der Fall. Franz hielt sich in den Jahren 1515–1527 durchschnittlich 42 Tage pro Jahr in Paris auf. Zwar rückten ab April 1528 die Residenzen im Pariser Umland ins Zentrum seiner Bautätigkeit, die Zahl der königlichen Aufenthalte in der Hauptstadt stieg jedoch nur unwesentlich auf 44 Tage pro Jahr.

Von Heinrich II. (reg. 1547–1559) existieren 4210 Angaben zu Aufenthaltsorten. Sie weisen auf eine Zunahme der Aufenthalte in der Ile de France hin, die nun 53 Prozent des Itinerars ausmachen. Saint-Germain-en-Laye dominiert die Statistik, Paris ist mit nur 15 Prozent an zweiter Stelle zu finden. Heinrich war war jedoch häufiger als sein Vater vor Ort: Er hielt sich durchschnittlich 52 Tage pro Jahr in der Hauptstadt auf.

30 Im Februar 1525 war Franz bei dieser Schlacht von kaiserlichen Truppen gefangen genommen worden. Erst 1527 kam er aus der

Gefangenschaft frei, unter anderem dank der Zahlung eines hohen Lösegeldes, die zu einem großen Teil von der Stadt Paris geleistet wurde. Im Gegenzug versprach Franz I. am 15. Mai 1527 fortan bevorzugt in der Hauptstadt und ihrem Umland zu residieren: »de doresnavant faire la plupart de nostre demeure en nostre bonne ville et cité de Paris et alentour« (Jean Jacquart, François Ier, Paris 1981,

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Abb. 8 Die zehn am häufigsten genutzten Aufenthaltsorte Heinrichs II.

Für die kurze Regierungszeit Franz II. (10. Juli 1559–5. Dezember 1560) ist kein Parisaufenthalt dokumentiert. Katharina übernahm am 21. Dezember 1560 die Regierung für den minderjährigen Karl IX. Offiziell gab sie diese am 17. August 1563 wieder ab, als Karl IX. für großjährig erklärt wurde. Tatsächlich blieb sie jedoch auch in den Folgejahren an der Regierung beteiligt. Karl IX. hatte in seiner Antrittserklärung unterstrichen, dass seine Mutter auch weiterhin die Befehlsgewalt innehabe.

Karls IX. Korrespondenz ist nicht veröffentlicht worden. Aus den Briefen seiner Mutter geht aber hervor, dass er bis in die 70er Jahre selten von Katharina getrennt lebte. Ihr Itinerar, das die Aufenthaltsorte von 3591 Tagen angibt, kann somit als Indiz für die Aufenthaltsorte des Königs gelten. Es weist in den Jahren 1560 bis 1574 eine Vielzahl von Veränderungen auf. Zunächst einmal nahmen die Reisen zu, was sich mit der Regierungstätigkeit Katharinas erklärt.

Abb. 9 Aufenthalte der Katharina von Medici außerhalb der Ile-de-France bis zum Ende der Regierung Karls IX. (1533-1574)

Die Königinmutter unternahm diese mit einer reduzierten Gefolgschaft und ohne den Hof als Ganzes mit sich zu führen. Dies ist ein wichtiges Merkmal für die Aufgabe der Reiseherrschaft: Der Hof reist nur noch in Ausnahmefällen - Missionen und Verhandlungen werden von Emissären oder Delegationen geführt.

Außergewöhnlich ist die Position, die Frauen in der Valoisfamilie im 16. Jahrhundert eingenommen haben. Schon Franz I. hatte seine Mutter oder seine Schwester als Gesandte und Bevollmächtigte eingesetzt. Dies setzte sich bis zum Ende der Valoisdynastie fort. Die Regierung des Landes war in diesen Jahren im wahrsten Sinne des Wortes eine Familienangelegenheit, die Frauen nicht ausschloss; unter den Bourbonen wurde eine Arbeitsteilung in dieser Form nicht mehr praktiziert.

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Eine Reise aus den sechziger Jahren fällt aus dem Rahmen, da sie den Hof als Ganzes betraf. Katharina unternahm sie mit Karl IX. von 1564 bis 1566. Es handelte sich um eine Huldigungsreise,31 die jedoch durch ihre Dauer und ihr Ausmaß aus dem Rahmen fiel. Bis auf den Norden wurden alle Grenzregionen des Landes besucht; ein Abstecher führte den Hof auch ins Herz des Reiches. Die Motivationen für diese Reise waren vielschichtig: Katharina stellte den jungen König dem Reich vor, arbeitete an der Beilegung der Religionskrise und verfolgte auch außenpolitische Ziele: Die Festlichkeiten und Verhandlungen in Bayonne sollten das Verhältnis zu Spanien verbessern.

Kein Herrscher Frankreichs hatte in der Vergangenheit eine Huldigungsreise in dieser Größenordnung unternommen. Dies kann mit der Beendigung der Reiseherrschaft in Verbindung gebracht werden. Zum einen konzentrierte sich mit der Grand Tour der Jahre 1564 bis 1566 die bis dahin übliche Reisetätigkeit auf einen begrenzten und überschaubaren Zeitraum. Zum anderen ermöglichte sie es, späterer Kritik vorzubeugen: Der König hatte sein Land kennengelernt, das Volk seinen Herrscher gesehen. Erwähnenswert ist auch, dass der Bau der Tuilerien in dieser Zeit vorangetrieben wurde; die Königin wurde regelmäßig über sein Fortschreiten informiert.

Nach Beendigung der Reise kommt es zu einer radikalen Veränderung im Itinerar der Königinmutter. Ab September 1567 nehmen die Parisaufenthalte zu. 1568 war Katharina an 99 Tagen (von insgesamt 141 dokumentierten Tagen diesen Jahres) in der Hauptstadt zu finden. Der Religionskrieg zwang sie im folgenden Jahr zu einer Vielzahl von Reisen. Nach seiner Beendigung stieg die Zahl der Parisaufenthalte wieder steil an. Klammern wir die Jahre aus, in denen die Königinmutter ohne den Hof die Provinz bereiste (1569-1571, 1577, 1579, 1584), so nimmt Paris ab 1566 eine herausragende Stellung ein. Die Aufenthalte in der Hauptstadt entsprechen im Durchschnitt 44 Prozent aller Angaben dieser Jahre und verteilen sich nun auf das ganze Jahr (unter Franz I. und Heinrich II. war die Hauptstadt vor allem im Winter aufgesucht worden). Von den restlichen Aufenthaltsorte befinden sich 16 Prozent in der Ile de France und 17 Prozent im Loiretal, dass mit Vorliebe im Sommer aufgesucht wurde. Nur 34 Prozent betreffen die restlichen Regionen Frankreichs.

Eine Graphik macht die Entwicklung der Aufenthalte in der Hauptstadt ab 1542 – jenem Jahr, für das der erste Beleg eines Parisaufenthaltes existiert – anschaulich :

Abb. 10 Parisaufenthalte der Katharina von Medici zwischen 1542 und 1588

31 Es gibt hierfür in Frankreich keine fest etablierte Tradition, war aber üblich, dass die Herrscher die wichtigsten Städte ihres Reiches

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Diese Entwicklung geht auf Kosten der umliegenden Schlösser, die die Königinmutter seltener denn je aufsucht. Die folgende Statistik schließt die Jahre mit bedeutender Reisetätigkeit mit ein:

Abb. 12 Aufenthaltsorte der Katharina von Medici in der Ile de France 1533-1588 (in Prozent der im Itinerar nachgewiesenen Orte)

Saint-Maur macht ab 1563 Fontainebleau und Saint-Germain Konkurrenz: Unter Heinrich III. ist es die nach Paris am meisten genutzte Residenz der Königinmutter. Saint-Germain-en-Laye und Fontainebleau werden nur noch selten aufgesucht.

Wie steht es um das Itinerar Heinrichs III.? Die Korrespondenz des Königs ist zum heutigen Zeitpunkt bis 1587 editiert worden.32 Die Zahlen verdeutlichen die Zunahme der Parisaufenthalte des Monarchen. Der König verbrachte von 1574 bis 1585 durchschnittlich 116 Tage pro Jahr in Paris: Dies macht 59 Prozent der für ihn dokumentierten Aufenthaltsorte aus. Keiner seiner Vorgänger vor ihm war so häufig in der Hauptstadt zu finden. An zweiter Stelle kommt Blois im Loiretal. Erst danach tauchen Saint-Germain-en-Laye, Saint-Maur und Fontainebleau auf:

32 Itinerar von Heinrichs III. (http://cour-de-france.fr/article1732.html), erstellt nach: Lettres de Henri III, roi de France (1557-1587), hg. von

Pierre Champion, Jacqueline Boucher u. Michel François, Paris 1959-2012, 7 Bde. Der 8. und letzte Band ist in Vorbereitung.

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Abb. 13 Die zehn am häufigsten genutzten Aufenthaltsorte Heinrichs III.

Die hier aufgezeigten Veränderungen schlagen sich auch in der Geburtsstatistik der letzten Valois nieder. Zu Beginn der Regierung Franz I. wurden die königlichen Kinder noch im Loiretal geboren. Ab 1519 kamen sie in Saint-Germain-en-Laye und Fontainebleau auf die Welt. 1572 wurde zum ersten Mal ein Kind in Paris geboren: Marie-Elisabeth (1572–1578), die früh verstorbene Tochter Karls IX.

Ollainville 86 3,3

Poitiers 73 2,8

Lyon 63 2,5

Chenonceaux 45 1,8

Avignon 31 1,2

Geburtsdatum Kind Geburtsort

19.08.1515 Louise Amboise 23.10.1516 Charlotte Amboise 28.02.1518 Franz Amboise 31.03.1519 Heinrich Saint-Germain-en-Laye 10.08.1520 Madeleine Saint-Germain-en-Laye 22.01.1522 Karl Saint-Germain-en-Laye 05.06.1523 Margarethe Saint-Germain-en-Laye

19.01.1544 Franz II. Fontainebleau

02.04.1546 Elisabeth Fontainebleau

12.11.1547 Claude Fontainebleau

03.02.1549 Ludwig Saint-Germain-en-Laye

27.06.1550 Karl IX. Saint-Germain-en-Laye

20.09.1551 Heinrich III. Fontainebleau

14.05.1553 Margarethe Saint-Germain-en-Laye

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Abb. 14 Geburtsorte der Kinder der Valoiskönige

Die Formalisierung der Hofordnung und Etikette

Die Konzentration auf Paris als “Hauptwohnsitz” der Valois ging mit einer Serie von Maßnahmen einher, welche die Hofordnung betrafen. Karl IX. erließ, sicher im Einvernehmen mit seiner Mutter, ab 1567 mehrere Ordonnanzen und Richtlinien. Zunächst wurde der Zugang zur Person des Königs formalisiert: Karl verbat es ungeladenen Gästen, in sein Kabinett und Schlafzimmer vorzudringen und sich dort während der Ratssitzungen aufzuhalten. Den Edelmännern (gentilhommes de la chambre), die den König im Alltag begleiteten, wurde befohlen, ihren Dienst zum vereinbarten Zeitpunkt zu leisten - wer fehlte, erhielt keinen Lohn und wer diente, ohne auf den Hoflisten eingetragen zu sein, wurde verjagt.33

1570 erließ der König dann eine Anordnung, welche die Reisen und die Unterbringung der Hofleute betraf. Es wurde letzteren verboten, sich ohne “Etikette” ein Logis zu nehmen.34 Hier tauchte ein Begriff auf, der einige Jahrzehnte später das Regelwerk benennen wird, das den Alltag und die Rangordnung bei Hofe bestimmt. Im ursprünglichen Sinn hatte das Wort “Etikette” eine andere Bedeutung. Sowohl in königlichen Schlössern als auch in Städten und Dörfern war es Aufgabe der Marschälle (maréchaux des logis) und ihrer Untergebenen (fourriers des

logis), den Höflingen eine Unterkunft zuzuweisen. Sie notierten auf einem Zettel das Datum, den Namen des

Unterzubringenden und die Unterkunft, die er oder sie erhalten sollten. Diese Liste wurde dem Ortsvorsteher übergeben, der für die Durchführung verantwortlich war. Sie wird in den Quellen mit dem Wort “Etiquette” bezeichnet. Eine solche Platzzuweisung spiegelt natürlich die Hierarchie und Rangordnung des Hofes wieder. Der Begriff wurde bereits im 15. Jahrhundert von den maréchaux und fourriers am Hofe von Burgund benutzt.35 Erst 1762 wird die Académie Française in dem von ihr herausgegebenen Dictionnaire den auf die Hofetikette bezogenen Sinn des Wortes aufführen.36

In seiner Anordnung von 1570 befahl der König auch, alle nicht dem Hof zugehörigen Menschen zu verjagen. Diejenigen, die mehr Personal hatten, als sie entlohnen konnten, sollten Entlassungen vornehmen. Die Todesstrafe drohte fortan jedem, der ohne feste Anstellung oder Aufgabe bei Hof weilte. Auch Beleidigungen und Flüche wurden mit harten Strafen geahndet.

1572, zwei Jahre später, wurde ein Teil dieses Regelwerkes wiederholt, was auf Schwierigkeiten bei der Durchsetzung hinweist. Neu ist in der Ordonnanz eine Anordnung, die unter Ludwig XIV. Honneurs de la cour genannt werden wird und auch unter seiner Regierung nach wie vor ihre Gültigkeit hatte: Karl IX. bestimmte, das nur Mitglieder der königlichen Familie hoch zu Ross oder mit Kutsche in den Hof seines Schlosses einfahren durften. Prinzen durften nur bis zum Eingang des Hofes reiten oder fahren; alle anderen Besucher mussten am äußeren Schlossportal absteigen und zu Fuß gehen.37

33 Ordre et Reiglement que le Roy veult estre gardé tant en sa Chambre que au Cabinet […], 26. Februar 1567 (Paris, BNF, Ms. Dupuy 218, fol. 301). 34 Ordonnance du Roy pour la police de la cour & reiglement de sa suite […], 7. August 1570 (Paris, BNF, Ms. Dupuy 218, fol. 150): »Premierement,

qu'a l'advenir aucuns de ceux qui sont a notre suite de quelque estat, qualité, ou condition qu'ilz soient, ne pourront loger en villages sans etiquette signée de l'un de nos Mareschaux et fourriers des logis et dattée du jour quelle se delivrera, laquelle etiquette ils bailleront et delivreront au principal habitant dudit Village«.

35 Émile Littré, Dictionnaire de la langue française, Bd. 2, Paris 1874.

36 Dictionnaire de l'Académie française, 5. Ausgabe, Paris 1762: »On appelle, en parlant Du cérémonial de la Cour d'Espagne, & de quelques

autres Cours, Etiquette du Palais, Le détail de ce qui se doit faire journellement dans la Maison du Roi, & dans les principales cérémonies«.

37 L'ordre que le Roy a commandé estre doresnavant observé pour la conduite & direction de ses affaires, service de sa personne, police et reglement de sa maison

& suitte ordinaire de sa Cour, 24 octobre 1572 (Paris, BNF, Ms. Dupuy 218, fol. 19).

24.06.1556 Victoire und Jeanne Fontainebleau

(18)

All diese Maßnahmen hatten zum Ziel, den Zugang zum Hof und zu den königlichen Gemächern einzuschränken und zu kontrollieren. Ein hierarchisch geordnetes soziales Gefüge wurde ansatzweise beschrieben. Karl berief sich an manchen Stellen auf eine unter Heinrich II. bereits existierende Tradition; nicht alles war Innovation.

Katharina von Medici ging über diese Anordnungen hinaus. Sie redigierte in Briefform den ersten Entwurf eines Zeremoniells, der für den französischen Hof überliefert ist.38 Geht man in den Pariser Archiven die im 17. und 18. Jahrhundert gebundenen Textsammlungen zu diesem Thema durch, so findet man diesen Text fast immer an erster Stelle. Den Archivaren war demnach seine Bedeutung für die Geschichte des Hofes bewusst.

Die Königinmutter legte ihre Gedanken in einem Brief nieder, den sie an den König richtete. Er ist nicht datiert, auch der Name des Königs wird nicht genannt. Dies führte zu Spekulationen, was den Adressaten anging: Für einige Historiker handelte es sich um Karl IX., für andere um Heinrich III. Im ersten Fall wäre der Brief wohl um 1570 entstanden, was recht gut zu der Vielzahl der Initiativen passen würde, die Karl in diesen Jahren unternahm. Im zweiten Fall könnte er zu Beginn der Regierung Heinrichs III. – um 1574 – geschrieben worden sein. Ein zweiter Brief mit ähnlichem Inhalt ist aus diesem Jahr erhalten geblieben.39

Die Thematiken, die Katharina behandelt, sind vielschichtig. Bedeutend ist die Beschreibung der Journée du roi, des Tagesablaufs des Königs, der hier zum ersten Mal von königlicher Hand schriftlich fixiert wird:

Abb. 14 Katharina von Medici, Journée du roi (nach: Paris, BNF, Ms. fr. nouv. acqu. 225)

38 Brief »Au Roy«, ohne Datum. Mehrere Kopien sind erhalten geblieben (u. a. Paris, BNF, Ms. fr. nouv. acqu. 225 fol. 21–29 und Ms.

Dupuy 218, fol. 11).

39 Brief vom 8. August 1574, in Lettres de Catherine de Médicis, Bd. 5, Paris 1895, S. 73–75.

Zeitangabe Aktivität

jeden Morgen zur selben

Uhrzeit Lever im Beisein der Prinzen, Adeligen und oberen Hofbeamten

nach dem Lever Ratssitzung im Beisein der Staatssekretäre

während ein bis zwei Stunden Depeschen und Briefe anhören, Entscheidungen treffen, die nur der König vornehmen kann

vor 10 Uhr Teilnahme an der Messe in Begleitung von Prinzen und Adeligen

nach der Messe und vor 11

Uhr Diner (Mittagessen) oder Spaziergang wenn es noch nicht 11 Uhr ist

nach dem Diner zweimal die Woche: Audienz

nach dem Diner oder der Audienz

zur Königinmutter oder zur Königin gehen um eine halbe Stunde oder eine Stunde lang Hof zu halten (»affin que lʼon congnoisse une façon de court«) und sich der Öffentlichkeit zu zeigen

bis 15 Uhr Rückzug in das Studienzimmer (»en privé«)

nach 15 Uhr Promenade zu Pferd oder zu Fuß, damit man den König in der Öffentlichkeit

sieht; dann Exerzitien mit dem Adel

gegen Abend Souper

(19)

Katharina unterstreicht in ihrem Brief, dass die Ordnung des Hofes von dem Einhalten eines geregelten Tagesablaufes durch den König abhängt. Sie insistiert auf der Notwendigkeit, sich regelmäßig der Öffentlichkeit zu zeigen und zu festen Zeiten die Maison der Königin oder Königinmutter aufzusuchen, denn erst durch das Zusammenkommen von Männern und Frauen entsteht ein Hofleben, »une façon de court«. Der hier entworfene Tagesablauf wies somit auch den Frauen einen festen Platz im Alltag des Königs zu und konsolidierte damit ihre Stellung bei Hof.

Mit diesem Brief schließt sich der Kreis. Eine Entwicklung, die 1561 mit einem Schreiben an den französischen Botschafter in Spanien und dem Ankauf von Grundstücken nahe beim Louvre begann, kommt mit einer Serie von Maßnahmen Katharina von Medicis zum Abschluss, welche die soziale Ordnung bei Hof zum Inhalt hatten. Der durch die Witwenschaft und Regentschaft erweiterte Handlungsspielraum ist für ihre Umsetzung ausschlaggebend gewesen. In nur wenigen Jahren war Paris von einer regelmäßig besuchten, aber nicht dauerhaft bewohnten Stadt zum Hauptwohnsitz der Valoisdynastie geworden. Durch die Stabilisierung des Hofes wurde es Katharina und ihren Söhnen möglich, dessen Alltag und Strukturen zu überdenken und zu formalisieren. Das Wort “Etikette” beginnt seine eigentümliche Laufbahn: Es löst sich im folgenden Jahrhundert aus dem Kontext der Reisen, um fortan das rigide Regelwerk, dass das Miteinander der Hofgesellschaft strukturierte, zu bezeichnen.

Katharina von Medici nutzte zudem den Bau des Tuilerienschlosses, um sich als Königin und Königinwitwe ein Denkmal zu setzen. Ihre Maßnahmen dienten somit ihrer Repräsentation, ihrer Familie und dem französischen Hof im Ganzen. Dieser wies aufgrund seiner massiven Expansion und gewachsenen Frauenanteils ein neues soziales Gefüge auf. Als Königinwitwe hat Katharina von Medici dafür Sorge getragen, dass Frauen ein klar umrissener Platz im Hofalltag zugewiesen wurde, womit sie nicht nur ihre eigene Stellung festigte, sondern auch die der Königin und des weiblichen Gefolges. Die Hofreformen Heinrichs III., welche die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen haben, können als eine Fortsetzung dieser Bemühungen gewertet werden. Heinrich war sich dessen wohl bewusst. Als Friedrich der Fromme, der als junger Mann den Hof Franz' I. kennengelernt hatte, ihm 1573 von dessen Regellosigkeit erzählte (»ärgerlich Huren und ander bös Leben, und keine Justiz vorhanden«), antwortete Heinrich, dass dies wohl stimme, »aber seines Brudern [Karl IX.] und Frau Mutter Hof demselbigen bey weitem nicht zu vergleichen [sei]. Die Justitia hätte ihren Lauf«.40

40 »Verzeichnis des Gesprächs so zwischen Heinrich dem dritten König in Pohlen und Khur-Fürst Friederich dem dritten zu Heydelberg

vorgangen, von dem Khur-Fürst eigenhändig auffgezeichnet, den 12. Decemb. des 1573 Jahrs«, in Oeuvres complètes de Pierre de Bourdeille,

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