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Ein europäisches Haftungsrecht für Schäden im Strassenverkehr? - Eckpunkte de lege lata und Überlegungen de lege ferenda

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Ein europäisches Haftungsrecht für Schäden im Strassenverkehr? - Eckpunkte de lege lata und Überlegungen de lege ferenda

KADNER GRAZIANO, Thomas, OERTEL, Christoph

KADNER GRAZIANO, Thomas, OERTEL, Christoph. Ein europäisches Haftungsrecht für Schäden im Strassenverkehr? - Eckpunkte de lege lata und Überlegungen de lege ferenda.

Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft (ZVglRWiss) , 2008, p. 113-163

Available at:

http://archive-ouverte.unige.ch/unige:44594

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(2)

ABHANDLUNGEN

Ein europäisches Haftungs- und Schadensrecht für Unfälle im Str~ßenverkehr? - Eckpunkte de lege lata

und Uberlegungen de lege f erenda

Prof. Dr. Thomas K ad n er Graz i an o, Genf, z. Zt. Exeter*

und Christoph 0 ert el, Genf und Hamburg"•

ZVglRWiss 107 (2008) 113-163

Unfallschäden im Straßenverkehr bilden in der Europäischen Union die praktisch bei weitem bedeutsamste Fallgruppe außervertraglicher Haftungs- fälle. Dies gilt sowohl für Inlandssachverhalte, bei denen sich alle maßgebli- chen Elemente des Vorfalles im Geltungsbereich einer einzigen Rechtsord- nung ereignen, als auch für Fälle mit Auslandsberührung, bei denen der Unfall mindestens für eine der Parteien einen Auslandsbezug aufweist, so etwa, weil sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen als dem Staat des Unfalles hat1

Der folgende Beitrag bietet in seinem ersten Teil einen Überblick über die aktuelle europäische Rechtslage im Bereich der Haftung für Unfallschäden im Straßenverkehr. Im Anschluss an entsprechende erste Vorüberlegungen des Europäischen Parlaments skizziert der Beitrag in seinem zweiten Teil mögli- che Eckpunkte eines gemeinsamen europäischen Haftungsrechts für Ver- kehrsunfallschäden und nimmt Stellung zu Sinn und Zweck einheitlicher eu- ropäischer Regelungen für diese Materie.

::· Ordentlicher Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Genf, Visiting Professor an der University of Exeter (2007-2008); Ausgangspunkt für diesen Beitrag war ein Vortrag von Th. Kadner Graziano an der Universität Hamburg.

•:·:<-Von 2003-2007 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Universität Genf (zum Thema der Haftung ohne Verschulden im europäischen außervertragli- chen Haftungsrecht), seit 2007 Rechtsreferendar in Hamburg.

Nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes kam es in Deucschland im Jahre 2007 zu 2,3 Millionen polizeilich erfassten Unfällen. Bei rund 336000 Unfällen wurden Personen verletzt oder getötet. Die Zahl der Verkehrstoten dürfte etwa 5070 betragen, die Zahl der Verletzten 435000, www.presseportal.de/pm/32102/

1096910/statistisches_bundesamt (Stand 8. 1. 2008). Europaweit kamen bei Stra- ßenverkehrsunfällen im selben Zeitraum rund 40000 Menschen ums Leben.

(3)

114 Thomas Kadner Graziano/Christoph Oertel ZVglR\Xliss 107 (2008) 1nha1 t

A. Einführung ....... 115

1. Fälle mit Auslandsbezug: Unterversorgung von Verkehrsunfallopfern? ...•... 115

II. Gang der Darstellung ... 117

B. Verkehrshaftungsrecht in Europa -der aktuelle Rechtszustand . . . • . . . 118

1. Voraussetzungen der Haftung . . . • . . . • . . . . . . 118

1. Haftungsgrund . . . . . . 118

2. Schutzbereich derverschuldensunabhängigcn Haftung: Personenschäden ...... 120 3. Schutzbereich bei Sachschäden ..................... 122 4. Haftpflichtige . . . • . . . . . . . . . • . . . 123 5. Verteidigungsgründe ....... 125

6. Rechtslage bei Kollisionen von Pkw ... „ ... „ „. „. „ „ ... „ .. 128

II. Art und Umfang des Schadensersatzes ... 130

l. Grundsatz der restitutio in integrum und einige Ausnahmen.. . . 130

2. Haftungshöchstsummen und Ausschluss von Schmerzensgeldern... 131

3. Ersatz von Personenschäden. „ . „ .. „ „ „ ... „ ... 131

a) Zum Kreis der ersatzfähigen Schäden... 131

b) Modus der Berechnung des Schadensersatzes....... 132

c) Ersatz von immateriellen Schäden, insbes. Schmerzensgeld (Grundsatz)... 133

d) Höhe der Schmerzensgelder ............................. 133

e) Schadensersatz bei Verlust oder schwerer Schädigung naher Angehöriger... 134

4. Ersatz von Sachschäden (ein?Clne Aspekte) . . . 136

a) Ausgleichspflicht bei Wertsteigerungen... 137

b) Begrenzung der Reparaturkosten durch den Zeit- bzw. Wiederbeschaffungswert des Kfz ... 138

c) Merkantiler Minderwert . . . . . . 139

d) Ersatz von Mietwagenkosten bzw. Ersatz des Nurzungsemgangs? ... 139

ITl. Verjährung........... . . . 141

IV. Zwischenergebnis .......... 141

C. Gesamteuropäische Perspektiven im Kfz-Haftpflichuecht?- Überlegungen auf Grundlage des Vergleichs ......... 141

I. Koordination divergierender Regelungen durch loternationales Privntrccht........ 142

J. Rechtslage . . . . . . . . . 142

2. Folgen: Unterversorgung von Opfern mit Personenschäden?... 143

II. Lösungen mit Hilfe spezieller Anknüpfungen auf der Ebene des Imernationalen Pri,•atrechts . . . . . . . . . 146

lll. Lösungen auf der Ebene des mnteriellen Rechts: Ein einheitliches europäisches l laftungsrecht für Schäden aus Straßenverkehrsunfällen-eine Skine de lege ferenda . 149 1. Hafrungsregime und seine Ausgestaltung ... „ ... „ .... „... 149

2. Persönlicher Schutzbereich ......... „ . . . .. . . . 152

3. Einbeziehung von Sachschäden . . . . . . 154

4. Haftpflichtige .................. 154

5. Verteidigungsgriinde................ 156

IV. Schadensrecht.............. • . . . • . . . • . . . . . . 158

l. Körperschäden..................... 159

2. Sachschäden. . . • . . . • . . . . . . . . . • . . . • . . . • . . . 160

V. Zwischenergebnis ... 161

0. Wünschbarkeit eines europäischen Straßenverkehrshaftungsrechts aus haftungsrecht- licher Sicht. . . 161

(4)

ZVglRWiss 107 (2008) Ein europäisches Haftungs-und Schadensrecht für Unfälle 115

A. Einführung

Die Regelungen zum Ausgleich von Verkehrsunfallschäden divergieren von Land zu Land. Diese Unterschiede wurden aus europäischer Perspektive in den letzten Jahren immer wieder als Quelle von Schwierigkeiten angesehen2 Für Fälle mit Auslandsberührung brachte das Europäische Parlament im Rah- men der Verhandlungen mit der Europäischen Kommission und dem Euro- päischen Rat zur Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnis- se anzuwendende Recht (Rom II-Verordnung) seine Befürchtung zum Aus- druck, es könne für Opfer von Verkehrsunfällen mit Personenschäden zu Haf- tungsdefiziten kommen, wenn das Internationale Privatrecht am Gerichtsort zu einem anderen Haftungsrecht führt als demjenigen am gewöhnlichen Auf- enthaltsort des Opfers. Die Kommission hat daraufhin bis Ende 2008 weiter- gehende Untersuchungen zu dieser Frage sowie im Anschluss ein Grünbuch in Aussicht gestellt.

Damit ist die europaweite Diskussion um Perspektiven im Haftungsrecht für Unfälle im Straßenverkehr offiziell eröffnet. Ausgangspunkt für diese Dis- kussion sind vermeintliche oder tatsächliche Unterschiede in den nationalen Haftungsrechten.

1. Fälle mit Auslandsbezug: Unterversorgung von Verkehrsunfallopfern?

VerkehrsunfäJle, die einen Auslandsbezug aufweisen, so etwa Fälle, in de- nen einer der beteiligten Pkw in einem anderen als dem Unfallstaat zugelassen ist oder eine der betroffenen Personen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Staat als demjenigen des Unfalls hat, sind in der Regel3 nach dem am Unfallort geltenden Haftungsrecht (dem „Tatortrecht") zu beurtei- len. Dies gilt nach dem derzeit noch in Kraft befindlichen nationalen IPR fast

2 So werden Unterschiede im Haftungsrecht u.a. als eine der Hauptursachen dafür gena1mt, dass die Kfz-Haftpflichtversicherer in der Europäischen Union ihre Pro- dukte nach wie vor vorwiegend auf ihren nationalen Teilmärkten anbieten und ein grenzüberschreitender Wettbewerb in der Kfz-Haftpflichtversicherung praktisch kaum stattfindet. Dazu ausführlich Basedowl Meyer!Rückle/Schwintowski (Hrsg.), Paneuropäische Tarifstruktur in der Kfz-Haftpflichtversicherung, 2005, und dort z.B. Schwintowski, Kfz-Haftpllichrversicherungssysteme in Europa, S. 241 ff. Zur Präsenz ausländischer Unternehmen auf inländischen (Teil-)Märktcn und zu einem

„internationalen Wettbewerb" kommt es zwar infolge von Fusionen oder der Gründung ausländischer Niederlassungen, also dadurch, dass von der Niederlas- sungsfre;heit Gebrauch gemache wird, nicht aber im Wege grenzüberschreitender Dienstleistungen und dem Gebrauchmachen von der Dienstleistungsfreiheit. Klei- nere Unternehmen, für die Fusionen oder die Gründung von Niederlassungen nicht in Betracht kommen oder einen zu großen Aufwand darstellen, sind vom in- ternationalen Wettbewerb damit faktisch ausgeschlossen.

3 Zu Ausnahmen unten, C. I. 1.

(5)

116 Thomas Kadner Grazi:rno/Chrisroph Oercel ZVglRWiss 107 (2008)

aller europäischer Staaten". Es gilt ebenso nach dem in vielen Staaten (jedoch nicht in Deutschland) geltenden „Haager übereinkommen über das auf Stra- ßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht" von 19715 und es wird schließlich auch gelten nach der am 11. 1. 2009 in Kraft tretenden Rom II-Verordnung, nach welcher insbesondere deutsche Gerichte künftig bestimmen werden, nach welchem Haftungsrecht Verkehrsunfälle mit Auslandsbezug zu beurtei- len sind6. Das Recht am Unfallort gilt nach den erwähnten Regelungen sowohl für die Grundlagen der Haftung als auch für Umfang und Art und Weise des Ersatzes.

Hat das Opfer seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich einer anderen Rechtsordnung als derjenigen, in welcher sich der Unfall ereignete, so kann die Anknüpfung an den Unfallort bei unterschiedlichen nationalen Haf- tungsrechten naturgemäß zu einer Entschädigung nach Haftungsstandards führen, die von denjenigen am Wohnsitz des Opfers abweichen. Bei den Bera- tungen zur Rom II-Verordnung wurde von Seiten des Europäischen Parla- ments geltend gemacht, angesichts der Unterschjede der nationalen Haftungs- rechte könne die Beurteilung nach dem Recht des Unfallortes, welche die Ver- ordnung grundsätzlich vorsieht, bei Personenschäden zu Haftungslücken und, gemessen an den Standards, die das Opfer aus seinem Heimatland ge- wohnt ist, zu einer Unterversorgung führen. Das Parlament hat daher gefor- dert, bei der Entschädigung der Opfer von Personenschäden aus Verkehrsun- fällen auf die eine oder andere Weise die Haftungsstandards am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Opfers w berücksichtigen7.

Eine Beurteilung der Haftungsfolgen nach dem Recht am „üblichen Auf- enthaltsort" des Opfers8, eine anderweitige Berücksichtigung des Rechts am

4 Überblick m. Nachw. bei Kadner Graziano, Europäisches Internationales Delikrs- recht, 2003.

5 Text des Übereinkommens und Liste der Mitgliedstaaten in www.hcch.net.

6 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 7. 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-Verordnung), ABI. L 199/44 vom 31. 7. 2007. Hierzu Wagner, IPRax 2008,

!; Leible/Lehmann, RJ\"'q" 2007, 731 ;j1mker, NJ\XT 2007, 3675; idem, ]Z 2008, 169;

Kadner Graziano, (schweizerische) Anwalcsrevue 2008 (im Erscheinen); anst.

idem, RabelsZ 73 (2009), Heft 1.

7 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervcrtrag-

liche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) (KOM(2003)0427 - CS- 0338/2003 -2003/0168(COD)) in erster Lesung vom 6. 7. 2005, ABI. C 157E vom 6. 7. 2006, S. 370ff., Art. 4 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 2; Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments w dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rares über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II") (9751/7/2006 - C6-0317/2006 - 2003/0168 (COD)), in zweiter Lesung vom 18. 1.

2007, ABI. C 244E vom 18. 10. 2007, S. l 94ff., Art. 22.

8 So die Entschließung des Parlaments in erster Lesung (Fn. 7), Art. 4 Abs. 2 und An. 7 Abs. 2.

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ZVglRWiss 107 (2008) Ein europäisches Hafcungs- und Schadensrecht für Unfälle 117

Opferwohnsitz oder eine Regelung materiellrechclichen Gehalts in der Rom II-VO zum Schutz des Opfers9, wie dies die Vorschläge des Parlaments vorsa- hen, hätte jedoch eine erheblich Abweichunft von der Tatortregel und traditio- nellem Deliktskoordinationsrecht bedeutet 0Das Parlament konnte sich mit diesen Vorschlägen daher- zumindest vorerst-nicht durchsetzen.

Um die Verhandlungen zur Rom II-Verordnung zu einem erfolgreichen Abschluss führen zu können, hat sich die Europäische Kommission jedoch in einer „Erklärung der Kommission zu Straßenverkehrsunfällen" bereit erklärt,

„[i]n Anbetracht der unterschiedlichen Höhe des Schadenersatzes, der den Opfern von Straßenverkehrsunfällen in den Mitgliedstaaten zugesprochen wird, [ ... ],die spezifischen Probleme zu untersuchen, mit denen EU-Ansässi- ge bei Straßenverkehrsunfällen in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihres gewöhnlichen Aufenthalts konfrontiert sind" 11Die Kommission hat sich ver- pflichtet, „dem Europäischen Parlament und dem Rat bis Ende 2008 hierzu eine Untersuchung zu allen Optionen einschließlich Versicherungsaspekten vor[zu]legen, wie die Position gebietsfremder Unfallopfer verbessert werden kann."

Il. Gang der Darstellung

Der folgende Beitrag geht den Fragen nach,

- ob die Haftung für Schäden im Straßenverkehr in den europäischen Rechts- ordnungen tatsächlich so stark divergiert, wie dies vermutet wird, und wo die Unterschiede hauptsächlich liegen (unten B.);

- ob es eine gesamteuropäische Perspektive im Haftungsrecht für Verkehrs- unfallschäden geben und wie diese aussehen könnte (unten C.)

- und ob ein europäisches Sonderrecht für die Haftung im Straßenverkehr - ganz abgesehen von einer entsprechenden Kompetenz der EU - aus haf- tungsrechtlicher Sicht wünschenswert wäre (unten D.).

9 So die Entschließung des Parlaments in zweiter Lesung (Fn. 7), Art. 22.

10 Zu einigen Argumenten für und zahlreichen Argumenten gegen diesen Vorschlag ausf. ThiedelLl'dwichowska, ZVglRWiss 106 (2007), 92. Dieser Vorschlag würde zu einer Aufspaltung des Deliktsstatuts (depe~age) mit all ilu-en Nachteilen führen.

Solche Aufspaltungen werden im geltenden europäischen Delikts-IPR daher ganz überwiegend abgelehnt, ausf. Kadner Graziano, Gemeineuropäisches Internatio- nales Privatrecht, 2002, S. 372 ff. (insbes. 377 f.); zur Sonderanknüpfung der Verjäh- rung aber unten, C. II.

11 „Erklärung der Kommission zu Straßenverkehnunfällen" im Anschluss an die Ver- ordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 7.

2007 über das auf außervcrtragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-Verordnung), ABI. L 199/44 vom 31. 7. 2007.

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118 Thomas Kadner Graziano/Christoph Oertel ZVgJRWiss 107 (2008)

B. Verkehrshaftungsrecht in Europa- der aktuelle Rechtszustand12

1. Voraussetzungen der Haftung 1. Haftungsgrund

Die in den europäischen Rechten geltenden Haftungssysteme weisen eine weitgehende Gemeinsamkeit auf. Fast alle europäischen Haftungsrechte be- dienen sich bei der Haftung für Verkehrsunfallschäden einer Kombination aus Verschuldens-und verschuldensunabhängiger (objektiver oder strikter) Haf- tung oder setzen sogar ausschließlich auf ein System strikter Haftung.

Eine reine Verschuldenshaftung für Verkehrsunfallschäden existiert in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union dagegen noch im englischen und im irischen Recht13. Einzelne Fallbeispiele belegen, dass es sich hierbei keines- wegs um einen nur theoretischen Unterschied handelt, sondern Ansprüche auf Schadensersatz nach Verkehrsunfällen in England auch praktisch durchaus am fehlenden Verschuldensnachweis scheitern können14. In vielen anderen Konstellationen erreicht das englische Recht dagegen trotz Verschuldenshaf- tung praktisch dieselben Ergebnisse, wie sie in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen über die strikte Haftung erreicht werden. Dabei ist zu be- rücksichtigen, dass das englische Recht im Haftpflichtprozess mit einer balan- ce of probabilities arbeitet, eine überwiegende WahrscheinJichkeit eines be- stimmten Unfallherganges für den Erfolg des Begehrens also ausreicht, wäh- rend etwa im deutschen Recht für den Kläger hinsichtlich Darlegungslast und Beweismaß sehr viel strengere Standards gelten.

12 Siehe auch die Länderberichte zu den Haftungsrechten Frankreichs, Belgiens, Lu- xemburgs, der Niederlande, Italiens, Spaniens Griechenlands und Portugals von Kadner Graziano (mit Darstellung wm Versicherungsrecht dieser Länder durch Tugendreich), zum österreichischen Recht (Sietz), den Rechten Deutschlands, der Schweiz, Englands und Irlands (Hahn) sowie der skandinavischen Rechtsordnun- gen (Hammer), in: Basedowl Meyer/Rück/e/Schwintowski (Hrsg.), Paneuropäische Tarifstruktur (Fn. 2), CD, unter 4: Länderberichte (Recht) {Stand aller: 2000).

13 Siehe für das englische Recht Markesinis/Deakin, Tort Law, 4. Aufl„ Oxford 1999, S. 297ff. (in der 4. Aufl. mit speziellem Abschnitt zum Verkehrshaftungsrecht); für das irische Recht McMahon/Binchy, lrish Law of Tores, 2. Aufl., Dublin 1990,

s.

282ff.

14 Court of Appeal 26. 3. 1997, Mansfield v. Weetabix Ltd, WLR 1998, l, S. 1263:

Einen Lkw-Fahrer ereilte eine unvorhergesehene w1d für ihn unvorhersehbare Be- wusstlosigkeit aufgrund einer unerkannten Zuckerkrankheit. Er verursachte des- wegen einen Verkehrsunfall, bei dem die Geschäftsräume der Kläger zerstört wur- den. Der Court of Appeal entschied, dass der vom Beklagten unter den gegebenen Umständen zu beachtende Standard of care derjenige sei, der von einem durch- schnittlich kompetenten Fahrer erwartet werden könne, der keine Kenntnis von seinem Gebrechen hat. Würde man letzteren Umstand nicht in die Bewertung ein- beziehen, bedeute dies eine objektive Haftung, die jedoch nicht dem geltenden Recht entspreche. Da ein Verschulden des beklagten Fahrers unter diesen Umstän- den nicht nachzuweisen war, hatte er keinen Schadensersatz zu leisten.

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ZVglRWiss 107 (2008) Ein europäisches l laftungs-und Schadensrecht für Unfälle 119

Im belgischen Recht beruht die Haftung für Verkehrsunfallschäden nach wie vor allein auf den allgemeinen Vorschriften der Artt. 1382 ff. des belgi- schen Codecivil. Danach haftet ein Schädiger grundsätzlich ebenfalls nur für Verschulden (Artt. 1382f. des belgischen Code civil), oder dann, wenn der Unfall auf dem Defekt seines Kfz beruht (in diesem Fall greift die strikte Sach- halterhaftung aus Art. 1384 Abs. 1 des belgischen Code civil ein) 15Diese Rechtslage lässt Schutzlücken bei der haftungsrechtlichen Bewältigung von Straßenverkehrsunfällen bestehen. Um diese Lücken zu schließen, wurde 1995 eine ergänzende Versicherungslösung geschaffen16Hiernach tritt der Versicherer des Fahrers, des Halters oder des Eigentümers des Pkw für alle durch das Fahrzeug verursachten Personenschäden ein, und zwar auch dann, wenn ein zivilrechtlicher Haftungsanspruch z.B. mangels Verschuldens gar nicht gegeben ist17Die Haftpflichtversicherung folgt nach dieser belgischen Lösung also bemerkenswerterweise nicht der Haftung, sondern geht bei feh- lendem Verschuldensnachweis i.iber diese hinaus.

In allen anderen europäischen Rechtsordnungen steht eine strikte Haftung für Unfallschäden im Straßenverkehr im Zentrum. Sie beruht heute nur noch selten auf reinem Richterrecht18 und hat fast überall inzwischen eine gesetz- liche Grundlage, sei es in den nationalen Zivilgesetzbüchern, wie etwa im ita- lienischen Codice civile, dem polnischen Zivilgesetzbuch oder dem portugiesi- schen C6digo civil19, sei es in Spezialgesetzen, wie im französischen Recht20 oder entSprechenden Gesetzen des deutschen, österreichischen, schweizeri-

15 Im Gegensatz zum französischen Recht setzt die Sachhalccrhaftung in Belgien einen Defekt an der für den Schaden ursächlichen Sache voraus. Vgl. zur Vorausset- zung der Mangelhaftigkeit in der belgischen Sachhalterhaftung bereits die belgische Co1tr de Cassation 26. 5. 1904, Pasierisie beige 1904, I, S. 247 (seither ständige Rspr.). Zu dieser Frage auch Comelis, Beginselen van het Belgische buitencontrac- tucle aansprakelijkheidsrecht, A ntwerpen-Apeldoorn, Brüssel 1989, Rn. 290 ff.

16 Mit dem Gesetz vom 30. 3. 1994 wurde Art. 29bis in das Gesetz vom 21. 11. 1989 über die Neufassung des RechtS der Pflichthaftversicherung für Kraftfahrzeuge (WAM) eingefügt, Belgisch Staatsblad (B.S.) vom 31. 3. 1994. Es wurde durch Art. 1 des Gesetzes vorn 13. 4. 1995 (B.S. vom 27. 6. 1995) und Art. 2 des Gesetzes vom 19. l. 2001 (B.S. vom 21. 2. 2001) nochmals wesentlich ergänzt.

17 Siehe zu diesem Gesetz ausführlicher z.B. Fagnart (Hg.), Les indemnisations sans cgard

a

la responsabiJite, Brüssel 1999,

s.

23 ff.; V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, 1999, Rn. 369.

J.8 So heute noch im luxemburgischen Recht, siehe Ravarani, La responsabilitc civile des personnes privees et publiques, Luxemburg 2000, Rn. 487.

19 Art. 2054 des italienischen Codice civile; Art. 436 § 1 des polnischen ZGB;

Art. 503 ff. des portugiesischen C6digo civil.

20 Gesetz Nr. 85-677 vom 5. 7. 1985, tendant

a

]'amelioration de la Situation des victi- mes d'accidems de Ja circulation et

a

l'acceleration des procedures d'indemnisation,

„Loi Badimer" - benannt nach dem damaligen garde des sceaux Gustizminister) Robert Badinter.

(9)

120 Thomas Kadoer Graziano/Christoph Oertel ZVglRWiss 107 (2008)

sehen, niederländischen, spanischen od!er griechischen Rechts21 oder·den Rech- ten der nordischen Länder22

2. Schutzbereich der verschuldensunabhängigen Haftung: Personenschäden Bereits bei der Frage danach, zu wessen Gunsten die verschuldensunabhän- gige Haftung besteht, weist der europäische Rechtszustand große Unterschie- de auf:

Die strikte Haftung für Unfallschädlen aus dem Betrieb von Pkw gilt grund- sätzlich jedenfalls zugunsten von Personen, die sich außerhalb des unfallur- sächlichen Pkw befanden, so v. a. für Fußgänger und Radfahrer. Deren Schutz ist Hauptanliegen etwa der französischen Loi Badinter von 198523 und ebenso des niederländischen Straßenverkehrsgesetzes24.

Zu den durch die strikte Haftung Begünstigten gehören in der Regel auch die Insassen anderer, „gegnerischer" am Unfall beteiligter Pkw25Dies gilt al- lerdings nicht überall. So können sich etwa im niederländischen, schwedischen und griechischen Recht Insassen gegenüber dem für das „gegnerische" Fahr- zeug Haftpflichtigen nicht auf die objektive Verkehrsunfallhaftung berufen26.

Komplizierter ist die europäische Rechtslage hinsichtlich der im unfallur- sächlichen Kfz beförderten Personen. In den meisten Rechtsordnungen haben diese gegen den Halter dieses Fahrzeugs dann einen Anspruch aus der strikten Verkehrshaftung, wenn sie aufgrund eines entgeltlichen Vertrags befördert wurden27. Im italienischen und niederländischen Recht haben beförderte Per-

21 § 7 des deutschen Straßenverkehrsgesetzes (StVG); §§ 1 ff. des österreichischen Ei- senbahn- und Kraftfahrz.cughaftpflichtgesetzes (EKHG); Art. 58 des schweizeri- schen Straßenverkehrsgesetzes (SVG); Art. 185 des niederländischen Wegenver- keerswet (WVW); Art. 1.1 der spanischen Ley de Responsabilidad y Seguro en la Circulaci6n de Vchfculos de Motor; Art. 1 des griechischen Kfz-Haftpflichtgeset- zes.

22 § 101 Abs. 1 des dänischen Straßenverl<ehrsgesetzes (Frerdselsloven - FL); Schwe- den: Verkehrsschadensgesetz (Trafikskadelag, TSL), SFS 1975:1410; Finnland: Tra- fikförsäkringslag vom 26. 6. 1959.

23 Oben Fn. 20; dazu Le Tourneau, Droit de Ja responsabilite et des contrars, Paris 2004, Rn. 8171.

24 Vergleiche Hartkamp, Asser's Handleiding tot de beoefening van het nederlands burgerlijk recht, Verbintenissenrecht, Deel III, De verbintenis uit de wet, 12. Aufl„

Dcventer 2006, S. 236.

25 So bestimmt z.B. Art. 504 Abs. 1 des portugiesischen C6digo civil, dass die strikte Haftung für durch Fahrzeuge verursachte Schäden sowohl für Dritte als auch für transportierte Personen gilt.

26 Art. 185 Abs. 4 des niederländischen Wegenverkeerswet; siehe für Schweden: 10 § 1 TSL; Insassen werden im schwedischen Recht immer von dem Versicherer des Kfz entschädigt, in dem sie sich befanden; Art. 10 des griechischen Kfz-Haftpflichtge- setzes.

27 So ausdrücklich Art. 1 der französischen Loi Badinter: „Les disposicions du present chapitre s'appliquent, meme lorsqu' elles sont transportees en vertu d' un contrat, aux victimes d'un accidenr de la circulation ... " (Hervorh. durch die Verf.).

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ZVglRWiss 107 (2008) Ein europäisches Haftungs-und Schadensrecht für Unfälle 121

sonen in diesen Fällen zwar keinen außervertraglichen verschuldensunab- hängigen Haftungsanspruch28, wohl aber einen Anspruch aus verschuldens- unabhängiger vertraglicher Beförderungshaftung29

Weit uneinheitlicher ist die Rechtslage, wenn der geschädigte Insasse unent- geltlich im Kfz befördert wurde. In den Schutzbereich der strikten Haftung einbezogen sind unentgeldich beförderte Insassen des unfallursächJichen Pkw z.B. im deutschen, französischen, italienischen, schwedischen und norwegi- schen Recht30 und, hinsichclich ihrer Körperschäden, im portugiesischen Recht31. Von der objektiven Haftung ausgeschlossen sind sie dagegen im nie- derländischen und im polnischen32 Recht. Im österreichischen Recht kommt es darauf an, ob der Beförderte mit oder ohne den Willen des Halters, so etwa als Schwarzfahrer oder Autostopper, befördert wurde33.

Ein weiterer, von den europäischen Rechtsordnungen in höchst unter- schiedlicher Weise gelöster Aspekt betrifft die Frage, ob sich der Fahrer oder eine sonstige, beim Betrieb des Kfz tätig werdende Person gegen den Halter des unfallursächlichen Kfz auf die objektiven Haftungsregeln berufen kann.

28 Im niederländischen Recht ist dies ausdrücklich im Gesetz festgeschrieben, siehe Art. 185 Abs. 1 des Wegenverkeerswet.

29 Siehe für das italienische Recht Art. 1681 des Codice civile. Die Vertragshaftung weist die gleiche Strenge auf wie die außcrvertragliche strikte Haftung des Art. 2054 des Codice civile. Siehe für das niederländische Recht Art. 8:105 des BW für einen inländischen Transport mit einem öffentlichen Verkehrsmittel und Art. 8:1147 f. des BW für sonstige auf vertraglicher Grundlage durchgeführte Transporte mit einem Kfz. Der Beförderer kann sich von seiner Haftung nur mit dem Argument entlasten, dass ein sorgfältiger Beförderer den Unfall oder die Un- fallfolgen nicht hätte vermeiden können. Dabei werden persönliche Gebrechen des Fahrzeugführers bzw. Mängel oder Defekte des Kraftfahrzeugs stets als Umstände betrachtet, die ein sorgfältiger Beförderer hätte vermeiden können (Art. 8:105 und Art. 8:1148 BW).

30 Deutschland: Seit dem 2. Gesetz zur Änderung schadcnsersatzrechclicher Vor- schriften vom 19. 7. 2002, BGB!. 2002, I, S. 2674; Frankreich: z.B. Cour de Cass.

25. 2. 1986, Gaz. Pal. 1986, 2, somm., S. 338; Italien: De Giorgi/Thiene, in: Cian/

Trabucchi (Begr.), Cian (Hg.), Commentario Breve al Codice civile, 7. Aufl., 2004, Art. 2054, l, Rn. l m. Nachw. aus d. Rspr.; Norwegen: Ledrup/Hagstrem, Norwe- gen, S. 55, in: v. Bar (Hg.), Delikrsrecht in Europa, Köln u.a. 1993; Schweden:§ 10 Abs. 1 des TSL (die Geschädigten erhalten stets Schadensersatz vom Versicherer des eigenen Kfz).

31 Art. 504 Abs. 3 des portugiesischen C6digo civil.

32 Im niederländischen Recht dürfte dies daraus folgen, dass Insassen aus dem Gel- tungsbereich des \'</VW ausgeschlossen sind und Art. 8:105 und Art. 8:1148 BW nur auf Personen anwendbar sind, die aufgrund eines Vertrags befördert werden;

Art. 436 § 2 S. 2 des polnischen ZGB; dazu ausf. und krit. Ludwichowska, Odpo- wiedzialnosc cywilna i ubezpieczeniowa za wypadki samochodowe (Die Haftung für Straßenverkehrsunfälle im Zivil-und Versicherungsrecht}, Torun 2008 (im Er- scheinen), Kapitel II.6.2.

33 § 3 Nr. 2 EKHG und Danz!, EKHG Kommentar, 7. Aufl. Wien 2002, § 3, Rn. 6ff.;

Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht, Bd. II, 2. Aufl. Wien 1984, S. 523 f.

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122 Thomas Kadncr Graziano/Christoph Oenel ZVglRWiss 107 (2008)

In denjenigen Rechtsordnungen, die Insassen eines Kfz generell aus dem An- wendungsbereich ihrer strikten Haftpflichtregeln ausschließen, kann sich na- turgemäß auch der Fahrer nicht auf die verschuldensunabhängige Haftung be- rufcn34. Weiterhin schließen das deutsche und das österreichische Recht alle Personen aus dem Geltungsbereich ihrer objektiven Verkehrshaftungsregeln aus, die „zur Zeit des Unfalls beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig" waren35, im österreichischen Recht allerdings nur dann, wenn der Verletzte während der Beförderung eine eigentliche berufliche, den Regeln des Sozialversiche- rungsrechts unterstehende Tätigkeit ausübte36

Im französischen Recht steht dem Fahrer dagegen unter bestimmten Vo- raussetzungen37 ein Haftpflichtanspruch gegen den Versicherer des Fahr- zeugs, in dem er sich befunden hat, zu. Anders als bei unmotorisierten Ver- kehrsteilnehmern38 führt dabei allerdings jede Fahrlässigkeit seinerseits zu einer Reduzierung oder zu einem Ausschluss seines Entschädigungsan- spruchs. Im schweizerischen Recht schließlich hat der Fahrer die Betriebsge- fahr des von ihm geführten Kraftfahrzeugs nicht zu vertreten39 und kann sich gegen den Halter des „eigenen" Kf:.c. auf das fehlverhaltensunabhängige Haf- tungsregime berufen, es sei denn, der Fahrer ist mit dem Halter identisch 40Im schwedischen Recht schließlich hat er stets einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Versicherer des eigenen Kfz41

3. Schutzbereich bei Sachschäden

Die meisten Rechtsordnungen erstrecken die Gefährdungshaftung gleicher- maßen auf Personen- wie auf Sachschäden42

Im spanischen Recht gilt das gesetzliche Regime der strikten Haftung dage- gen allein für Personenschäden, während für Sachschäden die Regeln der Ver-

34 Dies gilt etwa für das niederländische oder das griechische Recht.

35 § 8 Nr. 2 des deutschen StVG; § 3 Nr. 3 des österreichischen EKHG.

36 Danzl (Fn. 33), § 3, Rn. 8; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II (Fn. 33),

s.

526.

37 Nach dem Urt. der Cour de Cass. vom 2. 7. 1997, D. 1997, Jur. S. 448, hat dieser Anspruch drei Voraussetzungen: (i) Das Kfz des Fahrers muss das einzige in den Verkehrsunfall verwickelte Kfz sein; (ii) der Fahrer muss personenvcrschicden vom Halter des Kfz sein; (iii) er darf njcht durch ein Eigenverschulden zu seinem Schaden beigetragen haben; s. auch Le Tourneau, Droit de la responsabilite et des contrats (Fn. 23), Rn. 8161.

38 Siehe unten, 5.

39 BG 12.11.1991,BGE ll7ll609,620.

40 Oftinger!Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. II, Teilband 2, 4. Aufl., Zü- rich 1989, § 25, Rn. 71.

41 10 § 1 Abs. des TSL.

42 So etwa das deutsche, österreichische, schweizerische, französische, italienische und das port1tgiesische Recht.

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ZVglRWiss 107 (2008) Ein europäisches Haftungs-und Schadensrecht für Unfälle 123

schuldenshaftung maßgeblich sind43Auch im belgischen Recht gilt die bereits erwähnte Versicherungslösung nur für Personen- und nicht für Sachschäden, so dass es für diese bei den all?emei nen Vorschriften, d. h. in der Regel bei einer Verschuldenshaftung, bleibt~ .

Besondere Beachtung verdient die haftungsrechtliche Bewältigung von Schäden an Sachen, die im Kfz befördert wurden. Ein grundsätzlicher Aus- schluss im Kfz beförderter Sachen aus dem Schutzbereich der objektiven Ver- kehrshaftung findet sich im niederländischen45 und im griechischen46 Recht.

Andere Rechtsordnungen kennen ebenfalls einen solchen Ausschluss, aller- dings wird eine Rückausnahme gemacht, wenn die Sachen von einer beförder- ten Person am Körper getragen oder als Reisege~äck mitgeführt wurden. Dies gilt etwa im deutschen47, im österreichischen 8 und im schweizerischen49 Recht. Im portugiesischen Recht werden Schäden an transportierten Sachen aufgrund des strikten Haftpflichtsystems ersetzt, wenn diese für einen auf- grund eines entgeltlichen Vertrags mitfahrenden Passagiers befördert wur- den50. Geschah der Transport dagegen aus Gefälligkeit, so ist die Haftung für Schäden an beförderten Sachen vom Verschulden abhängig51.

4. Haftpflichtige

Auch hinsichtlich der Frage, wer nach den Grundsätzen der objektiven Haftung einzustehen hat, weichen die nationalen Haftungsrechte erheblich voneinander ab.

In aller Regel haftet der (eingetragene) Halter des Pkw52, d. h. diejenige Per- son, welche die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Fahrzeug innehat und

43 Im spanischen Recht ergibt sich dies aus dem Verweis in Art. 1.1 Abs. 3 der Ley de Responsabilidad y Seguro en la Circulaci6n de Vehfculos de Motor auf Art. 1902 des C6digo civil.

44 Art. 29bis § 5 W AM.

45 Art. 185 Abs. 1 des Wegenverkeerswet (WVW) für im unfallursächlichen Kfz be- rderte Sachen; Art. 185 Abs. 3 WVW für im „gegnerischen" Kfz beförderte Sa- chen.

46 Nach Art. 12 des Kfz-Haftpflichtgesetzes für Schäden an Sachen, die im schadens- verursachenden Kfz befördert wurden und nach Art. 10 desselben Gesetzes für Schäden an Sachen, die im „gegnerischen" Kfz befördert wurden.

47 § 8 Nr. 3 StVG.

48 § 4 Abs. l EKHG.

49 A rL. 59 Abs. 4 lit. b des schweizerischen SVG.

SO Art. 504 Abs. 2 des portugiesischen C6digo civil.

51 Art. 504 Abs. 3 des C6digo civil.

52 So im französischen Recht, vgl. Art. 2 des Gesetzes Nr. 85-677 (Fn. 20); im deut- schen Recht,§ 7 StVG; im österreichichen Recht,§ 5 Abs. 1 EKHG; im schweizeri- schen Recht, Art. 58 Abs. 1 SVG; im dänischen Recht, § 104(1) des Frerdselsloven;

sowie im griechischen Recht, Art. 4 des Kfz-Haftpflichtgesetzes; im belgischen Recht tritt dessen Versicherer ein, vgl. Art. 29bis Abs. 1 WAM.

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124 Thomas Kadncr Graziano/Christoph Oertel ZVglRWiss 107 (2008)

es auf eigene Rechnung nutzt53. Andere Rechtsordnungen erklären den Eigen- besitzer zum Haftpflichtigen, so z.B. das niederländische54 oder das polni- sche55 Recht, wobei der Besitz allerdings von gewisser Dauer sein muss, so dass dieses Kriterium dem Konzept des Halters nahe kommt.

In einigen gesetzlichen Bestimmungen wird der Eigentümer des Pkw aus- drücklich als Haftpflichtiger genannt. Auffällig ist jedoch, dass er in keiner Rechtsordnung die primär haftpflichtige Person ist und er überall hinter ande- re Haftpflichtige zurücktritt, welche die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Fahrzeug ausüben. Im griechischen Recht haftet der Eigentümer solida- risch mit dem Fahrer und dem Halter des Kfz, allerdings beschränkt auf den Marktwert des Fahrzeugs56. Ebenso sind im niederländischen57 und im ita- lienischen58 Recht die Eigentümer des schadensursächlichen Fahrzeugs strikt einstandspflichtig; ihre Haftung tritt jedoch hinter diejenige des Eigenbesit- zers (houder), der das Kfz für sich nutzt59, bzw. hinter diejenige des „Frucht- nießcrs", Vorbehaltserwerbers60 oder des Mieters61, nach h.M. nicht jedoch hinter die Haftung des Leasingnehmcrs62 zurück.

Nur in wenigen Rechtsordnungen trifft die strikte Haftung auch den Fah- rer. Lediglich im italienischen und im spanischen Recht ist der Lenker eines nicht schienengebundenen Fahrzeugs der primär zum Schadensersatz Ver- pflichtete63. Nach der französischen gesetzlichen Regelung haftet der Fahrer neben dem Halter des unfallursächlichen Kfz64 und im griechischen Recht ist der Fahrer neben dem Halter und Eigentümer der strikten Haftung unrerwor- fen65.

53 So die Umschreibung des Haftpflichtigen im portugiesischen Recht, Art. 503 Abs. 1 des C6digo civil; siehe auch das luxemburgische Rechr, Ravarani, La re- sponsabilite civile (Fn. 18), Rn. 492 ff.

54 Hartkamp, Verbintenjssenrecht(Fn. 24),S. 24Sf.

55 Art. 436 § 1 S. 1 des polnischen ZG ß.

56 So Are. 4 des griechischen Kfz-Haftpflichtgesetzes.

57 Art. 185 Abs. 1 des Wegenverkeerswet.

58 Art. 2054 Abs. 3 des Codice civile. Der Eigentümer haftet allerdings neben dem fahrer, und auch nur dann, wenn auch der Fahrer haftpflichtig ist.

59 Art. 185 Abs. l des Wegenverkeerswet. Die Haftung ist mcht kumulativ, der Eigen- tümer wird in dem Fall, in dem das Kfz einen Halter hat, also von seiner Haftung befreit, vgl. Hartkamp, Verbincenissenrecht (Fn. 24), S. 240.

60 Art. 2054 Abs. 3 des Codice civile.

61 Are. 91 Abs. 2 des Nuova Codice della Strada, wonach der Mieter aus Art. 2054 Abs. 3 des Codice civile neben dem Fahrer solidarisch haftet.

62 De Giorgi!Thiene, in: Cian (Hg.), Cian Trabucchi, Commentario Breve al Codice civile (Fn. 30), Art. 2054, IX, Rn. 5, auch m. w. Nachw. zur Mindermeinung, nach der die Haftung aus Art. 2054 Abs. 3 des italienischen Codice civ. nicht den Eigen- tümer, sondern den Leasingnehmer treffen soll.

63 Art. 2054 Abs. 1 des italienischen Codice civile; Art. 1.1 der spanischen Ley de Re- sponsabilidad y Seguro en la Circulaci6n de Vehfculos de Motor.

64 Vgl. Art. 2 des französischen Gesetzes Nr. 85-677 (Fn. 20).

65 Art. 4 des griechischen Kfz-Haftpflichtgesetzes.

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ZVglR\Xfiss 107 (2008) Ein europäisches Haftungs- und Scbadensrechr für Unfälle 125

In den meisten Rechtsordnungen haftet der Fahrer dagegen nach den Vor- schriften der Verschuldenshaftung. Dies gilt ausdrücklich im dänischen Recht66, niederländischen67, österreichischen68, schweizerischen69 und polni- schen70 Recht.

Dazwischen stehen diejenigen Rechtsordnungen, in denen der Führer eines Kfz zwar nicht strikt haftet, wohl aber aus Verschuldenshaftung mit umge- kehrter Beweislast. Dies gilt für das deutsche71 und, wenn der Fahrer das

„Fahrzeug für Rechnung eines anderen führt", für das portugiesische72 Recht.

Während die Haftung des Fahrers im deittschen Recht durch eine Höchstsum- me begrenzt ist73, haftet er im portugiesischen Recht unbegrenzt74.

5. Verteidigungsgründe

Im europäischen Vergleich geradezu spannend ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen die strikte Hafn111g ausgeschlossen oder gemindert ist.

Singulär sind die Positionen des englischen und des irischen Rechts, nach welchen die Haftunf vom Verschulden abhängig ist, ohne Verschulden daher nicht g.ehaftet wird7 . ..

Im Ubrigen herrscht weitgehende Ubereinstimmung dahingehend, dass we- der fehlendes Verschulden noch Mängel des Pkw einen Entlastungsgrund be- deuten, unabhängig davon, ob die Mängel dem Haftpflichtigen erkennbar sind. Dies wird meist ausdrücklich im Gesetz angeordnet76. Eine seltene Aus-

66 § 104 Abs. 2 des dänischen ScVG.

67 v. Bar, Gemeineuropäisches Dcliktsrecht II (Fn. 17), Rn. 375.

68 Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II (Fn. 33 ), S. 527.

69 BG 18. 3. 1965, BGE 91 II, 226, 228; Schwenzer, Schweizerisches Obligationen- recht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl., Bern 2006, Rn. 54. 05.

70 Poczobttt, Polen, S. 27, in: v. Bar (Hg.), Dcliktsrecht in Europa (Fn. 30); Ludwi- chowska, Odpowiedzialnosc cywilna i ubezpicczeniowa za wypadki samochodo- we (Fn. 32), Kapitel II. 3.

71 Vgl.§I8StVG.

72 Art. 503 Abs. 3 des portugiesischen C6digo civil.

73 § 18 Abs. 1 des de1ttschen StVG.

74 Siehe z.B. Supremo Tribunal de Justi<ra (STJ - Oberster Gerichtshof Portugals) 2. 3. 1994, Diario da Republica (D.R., Amtsblatt - Portugal) l vom 28. 4. 1994, S. 2061- 2063 und de Matos Antunes Varela, Das obriga~öes cm geral, Volume l, 10. Aufl., Coimbra 2000, S. 661. Unter den gesetzlichen Voraussetzungen hat der Arbeitgeber, für den der Fahrer unterwegs war, ein Regressrecht gegen seinen Fah- rer, de Almeida Costa, Direito das obriga<;öes, 9. Aufl., Coimbra 2001, S. 581. Dies kann zu Härten für den Fahrer führen, siehe v. Bar, Gemeincuropäisches Delikts- recht 11 (Fn. 17), Rn. 376.

75 Vgl. oben, B. l. 1.

76 So z.B. im österreichischen Recht, § 9 Abs. 1 EKHG; im italienischen Recht, Art. 2054 Abs. 4 des Codice civile; im port1tgiesischen Recht, Art. 505 des C6digo civil oder im spanischen Recht, Art. 1.1 Abs. 2 Hs. 2 der Ley de Responsabilidad y Seguro en Ja Circulaci6n de Vehlculos de Motor; für das deutsche Rechts. BGH 23. 10. 1952, BGHZ 7, 338; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl„ 2003, § 7

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126 Thomas Kadncr Graziano/Christoph Oertel ZVglRWiss 107 (2008)

nahme bildet eine Regelung des griechischen Haftpflichtgesetzes, nach der es den Fahrer eines Pkw entlastet, wenn er nachweist, „dass es ihm bei aller Sorg- falt nicht möglich war, Kenntnis von dem Mangel zu erhalten"77

Traditionell greift die strikte Haftung nicht ein, wenn der Unfall auf einem von außen auf den Kausalverlauf einwirkenden Ereignis beruht. Dies ist der Fall, wenn der Unfall auf ein unabwendbares Ereigni/8, auf höhere Gewalt79 oder ausschließlich auf das Verhalten des Geschädigten oder eines Dritten zu- rückzuführen ist.

Inzwischen herrscht aber auch insoweit keine Einigkeit im europäischen Haftpflichtrecht mehr: Nach einer sondergesetzlichen Bestimmung des fran- zösischen Rechts entlasten weder höhere Gewalt noch das Verhalten eines Dritten den Haftpflichtigen80. Ein wichtiges Motiv für die Schaffung der Loi Badinter von 1985 lag für den französischen Gesetzgeber gerade darin, dem Halter und Fahrer eines Pkw diese Exkulpationsmöglichkeiten zu nehmen81 Auch nach der belgischen Versicherungslösung82 deckt die Versicherung des Halters den Schaden auch im Fall von Zufall.

In wohl allen europäischen Rechtsordnungen führt ein Mitverschulden des Geschädigten nach allgemeinem Haftungsrecht grundsätzlich dazu, dass der Ersat:t.anspruch anteilig gemindert oder sogar ganz ausgeschlossen werden kann. Für Unfallschäden im Straßenverkehr wurden die Auswirkungen des Mitverschuldens in einigen Rechten jedoch erheblich modifiziert.

Eine im Rechtsvergleich einmalige Lösung hat diesbezüglich die nieder- ländische Rechtsprechung entwickelt. Hat ein über 14 Jahre alter Fußgänger oder Radfahrer seinen Schaden mitverschuldet, so muss der Fahrer jedenfalls 50 % des Schadens ersetzen, es sei denn, dem Verletzten ist Vorsatz oder an Vorsatz grenzende Leichtfertigkeit vorzuwerfen83. Ob der Fahrer mehr als

StVG, Rn. 32; für das schweizerische Recht Oftinger/Stark, Schweizerisches Haft- pflichtrecht II/2 (Fn. 40), § 25, Rn. 367.

77 Art. 5 Abs. 2 des Kfz-Haftpflichrgesetzcs.

78 So im österreichischen Recht:§ 9 EKHG. Ein ähnlicher Ausschlussgrund existiert im italienischen Recht, in dem sich der Fahrer dann von seiner Haftpflicht entlasten kann, wenn er nachweist, alles Mögliche zur Verhinderung des eingetretenen Scha- dens getan zu haben: Art. 2054 Abs. 1 des Codice civile.

79 Höhere Gewalt (fucrza mayor, fon;a maior, overmacht) entlastet den Haftpflichti- gen z.B. im deutschen Recht 7 Abs. 2 StVG); im niederländischen Recht (Art. 185 Abs. 1 des Wegenverkeerswet); im polnischen Recht: Art. 436 § 1 i.V.m.

Art. 435 § 1 Hs. 2 des ZGB; im portugiesischen Recht (Art. 505 des C6digo civil);

im schweizerischen Recht (Art. 59 Abs. 1 SVG) und auch im spanischen Recht (Art. 1.1 Abs. 2 Ley de Responsabilidad y Seguro en la Circulaci6n de Vehiculos de Motor).

80 Art. 2 des Gesetzes Nr. 85-677 (Fn. 20).

81 Terre/Simlerl Lequette, Droit civil, Lcs obligations, 9. Aufl., Paris 2005, Rn. 960.

82 Zu ihr oben, B. I. 1.

83 Vgl. Hoge Raad (HR) 15. 1. 1993, NcderlandseJurisprudentie (NJ) 1993, Nr. 568;

siehe auch Hartkamp, Verbimenissenrecht (Fa. 24), S. 243.

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ZVglRWiss 107 (2008) Ein europäisches Haftungs-und Schadensrecht für Unfälle 127

50 % des Schadens des Verletzten ersetzen muss, hängt davon ab, ob sein Ver- halten im Vergleich zu demjenigen des Verletzten zu mehr als 50 % des Scha- dens beigetragen hat84

Auch andernorts dienen Modifikationen der allgemeinen Regeln über das Mitverschulden dazu, eine Privilegierung von Straßenverkehrsopfern zu errei- chen. So kann im dänischen Recht lediglich grob fahrlässiges oder vorsätzli- ches Verhalten des Geschädigten anspruchsmindernd oder-ausschließend wir- ken85. Nach der belgischen Versicherungslösung entfällt der Entschädigungs- anspruch eines Verletzten über 14 Jahre erst dann, wenn er den Unfall und sei- ne Konsequenzen gewollt hat86, gegenüber jüngeren Verkehrsteilnehmern wird selbst dann gehaftet.

Im französischen Recht kann Geschädigten, die nicht Fahrer eines unfallbe- teiligten Motorfahrzeugs sind, ein eigenes Mitverschulden nur dann haftungs- ausschließend entgegenhalten werden, wenn es sich um unentschuldbares Fehlverhalten lfaute inexcusable) handelt, das zudem die ausschließliche Un- fallursache war87.

Einige Rechtsordnungen privilegieren junge, vereinzelt auch ältere oder be- hinderte Verkehrsteilnehmer durch spezialgesetzliche Regeln. So kann im bel- gischen Recht, wie gesehen, Opfern, die jünger sind als 14 Jahre, nicht einmal entgegengehalten werden, dass sie den Unfall und seine Konsequenzen wil- lentlich herbeigeführt haben88Im französischen Recht kann gegenüber Ver- letzten, die jünger als 16 Jahre alt sind, nur die willentliche Herbeiführung ih- res Schadens berücksichtigt werden89. Im niederländischen Recht hat ein unter 14 Jahre altes Kind als Radfahrer oder Fußgänger Anspruch auf vollen Scha- densersatz, ohne dass sich der Haftpflichtige auf höhere Gewalt berufen kann, es sei denn, es hat den Schaden vorsätzlich oder mit an Vorsatz grenzender Leichfertigkeit herbeigeführt90. Im deutschen Recht wurde die Grenze der Deliktsfähigkeic bei Kindern im Straßenverkehr - außer bei vorsätzlichem

84 Hartkamp, Verbimenissenrecht (Fo. 24), S. 243.

85 § 101 Abs. 2 des dänischen StVG. Leichte Fahrlässigkeit kann dagegen nie zu einer Minderung des Ersatzanspruchs für Körperschäden führen, vgl. Stein Poulsen, Haftung, Haftungshcrabsetwng und Versicherung unter dem dänischen Schadens- ersatzgesetz, Diss. Osnabrück 1997, S. 92.

86 Art. 29bis § 1 Abs. 4 des WAM.

87 Art. 3 des Gesetzes Nr. 85-677 (Fn. 20).

88 Vgl. Art. 29bis § 1 Abs. 6 des WAM; aus der Lit. Dubuisson,Journal des Tribunaux 2001, S. 585, 587.

89 Art. 3 Abs. 2 und 3 des Gesetzes vorn 5. 7. 1985; allerdings gilt dies nur, solange diese Opfer keine Fahrer eines Kfz im Sinne der Loi Badinter sind, vgl. Art. 3 Abs. 2 i.V. m. Abs. 1 des Gesetzes 85-677 (Fn. 20) ("hormis les conducteurs"). Da darunter auch Mofas und Scooter fallen, können dadurch Unstimmigkeiten entste- hen.

90 HR 31. 5. 1991,

NJ

1992, S. 721; HR 1. 6. J 990, NJ 1991, Nr. 720; s. auch Hartkamp, Verbintenisscnrecht (Fn. 24), S. 242.

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128 Thomas Kadner Graziano/Chrisroph Oertel ZYglRWiss 107 (2008)

Verhalten91 -vom 7. auf das 10. Lebensjahr angehoben92. Im schweizerischen Recht trägt die Rechtsprechung im Rahmen des Mitverschuldens dem Um- stand Rechnung, dass Kinder die Gefahren des Straßenverkehrs noch nicht realistisch einschätzen können93.

Als einzige unter den europäischen Rechtsordnungen kennt das französi- sche Recht noch weitere Kategorien besonders privilegierter Opfer. Es handelt sich um über 70-jährige und um schwerbehinderte Pcrsonen94Allerdings kann auch ihnen durchaus entgegengehalten werden, dass sie ihren Schaden vorsätzlich herbeigeführt haben.

Schließlich gilt es im Hinblick auf das Mitverschulden von Fahrzeuginsas- sen heute auch gemcinschaftsrechtliche Vorgaben zu berücksichtigen. So darf der Schadensersatzanspruch eines Fahrzeuginsassen nach der Rechtsprechung des EuGH zur Dritten Kfz-Haftpflichtversicherungs-Richtlinje nicht durch eine einzelstaatliche Regelung zum Mitverschulden ausgeschlossen oder „un- verhältnismäßig begrenzt" werden, die allgemeine, abstrakte oder pauschale Ausschlusskriterien verwendet und keine Prüfung im Einzelfall mehr zulässt.

Der Ersatzanspruch dürfe wegen Mitverschuldens vielmehr „nur unter außer- gewöhnlichen Umständen" und auf Grundlage von Regelungen ausgeschlos- sen oder begrenzt werden, die eine Einzelfallbetrachtung erlaubten95.

6. Rechtslage bei Kollisionen von Pkw

Im europäischen Vergleich wiederum äußerst spannend ist die Frage, wie eine Kollision zwischen zwei oder mehreren Kfz haftungsrechtlich zu beurtei- len ist. Erstaunlicherweise weichen die in den einzelnen Ländern vorzufinden- den Lösungen auch in diesem praktisch so wichtigen Fall erheblich voneinan- der ab.

Einige Rechtsordnungen schließen diese Situation kurzerhand aus dem Gel- tungsbereich der strikten Verkehrshaftung aus und ordnen sie der Verschul- denshaftung zu. Dazu gehören das niederländische und das polnische96 Recht.

91 § 828 Abs. 2 S. 2 des BGB.

92 § 828 Abs. 2 S. '1 des BGB. Sie können sich auf diese Vorschrift auch hinsichtlich ihres Mitverscl.~uldens berufen, vgl. die Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Anderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, BT-Drucks. 14/

7752, S. 26 und G. \\'lagner, NJW 2002, S. 2058, 2060.

93 Z.B. BG 19. 2.1985, BGE 111II89.

94 Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 85-677 vom 5. 7. 1985 (Fn. 20).

95 EuGH 19. 4. 2007, Rs. C-356/05 (Elaine Farrell), mit instruktiver Arun. von Ebers, VuR 2007, 269: Unzulässigkeit einer Regelung im irischen Road Traffic Ace 1961, wonach die Haftung gegenüber Personen allein deshalb ausgeschlossen ist, weil die Person in einem Teil des Fahrzeugs befördert wurde, der nicht für Mitfahrer kon- struiere oder gebaut ist.

96 Siehe für das niederländische Recht Art. 185 Abs. 3 des Wegenverkeerswet; an- wendbar sind stattdessen die allgemeinen Haftungsregeln; s. für das polnische Recht Art. 436 § 2 S. 1 des polnischen ZGB: Anwendung der allgemeinen (Verschuldens-) Haftung auf den Fall zweier kollidierter Kfz. Können die Geschädigten kein Fehl-

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