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Amen, ja, komm, Herr Jesu! Gedanken zum eschatologischen Charakter des christlichen Glaubens

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Academic year: 2022

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Amen, ja, komm, Herr Jesu! Gedanken zum eschatologischen Charakter des christlichen Glaubens

ASKANI, Hans-Christoph

ASKANI, Hans-Christoph. Amen, ja, komm, Herr Jesu! Gedanken zum eschatologischen

Charakter des christlichen Glaubens. In: Chalamet, C. ; Dettwiler, A. ; Mazzocco, M. & Waterlot, G. Game over? Reconsidering Eschatology. Berlin : De Gruyter, 2017. p. 313-333

Available at:

http://archive-ouverte.unige.ch/unige:97674

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„ Amen, ja, komm Herr Jesu! “

Gedanken zum eschatologischen Charakter des christlichen Glaubens

1 Die menschliche Erwartung

Zum Menschsein scheint das Warten zu gehören. Der Mensch wartet eigentlich immer. Auf den Zug, auf das Ende des Winters, auf den Beginn des Ruhestandes…

Auf was wartet er eigentlich? Um es vorläufig zu sagen: Dass es besser wird! Dass eseine Wendung nimmt.

Dies‚es‘ –was ist das eigentlich? Das ist leicht zu bestimmen: die Welt und der Mensch in ihr. In der Tat, im Verhältnis zur Welt gibt es immer etwas, was besser gehen könnte, denn es gibt immer etwas, was nicht gut geht: die Arbeitszeiten, die Kollegen, der Stress; und in größerem Maßstab: die Kriege, die Katastrophen, das Leiden, die Ungerechtigkeit…Auch in Bezug zu uns selber sind wir im Stand des Wartens. Warum? Weil wir nicht zufrieden sind mit uns. Sind wir die, die wir sein könnten? Sind wir diejenigen geworden, die wir uns einmal vorgestellt hatten zu werden? Und eines fernen Tages, werden wir diejenigen sein, die wir wünschen

‚dereinst‘gewesen zu sein?

So gibt es vieles zu erwarten. Die gegenwärtige Situation, die nie perfekt ist, stößt uns dazu an, und die Zukunft, die noch nicht da ist, lädt uns dazu ein. Sie erlaubt es uns, uns in eine Zeit zu entwerfen, die den Vorteil hat, noch nicht da zu sein.

Diese so erwartete Zukunft, hat sie eine Auswirkung auf unser gegenwärtiges Leben? Zumindest die, uns nicht mit dem Status quo zu identifizieren, uns nicht auf ihn festzulegen! Die, an eine Veränderung, eine Verbesserung glauben zu können.‚Dass es besser wird, besser geht– morgen.‘(Oder–übermorgen.)

Der Vortrag wurde in französischer Sprache gehalten. Der hier vorliegende Text ist die vom Verfasser erstellte Übersetzung der etwas erweiterten Vortragsfassung.

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2 Erste Annäherung an das Phänomen der Hoffnung

Im christlichen Glauben spielt das Warten eine wichtige, man kann sagen ent- scheidende Rolle. Dies Warten heißt hier „Hoffnung“. Ist es identisch mit den Formen von Erwartung, die wir uns bisher vor Augen geführt haben?

Es ist interessant, sich zu erinnern, daß die französische Sprache zwei Sub- stantive hat, die vom Verb „espérer“ („hoffen“) abgeleitet sind: „espoir“ und

„espérance“. Die Differenz zwischen beiden scheint die Möglichkeit zu eröffnen, zwischen zwei Formen, zwei Typen des Hoffens zu unterscheiden:„l’espoir“wäre etwa eine Form von Hoffnung, die in allgemeiner, vager Weise sich auf einen besseren Zustand richtet (so wie wir dies bislang beschrieben haben); „l’espér- ance“ hingegen würde eine klarere Orientierung des Hoffens beinhalten, in ihr würde der Hoffende wirklich wissen, was er hofft: nicht nur eine unbestimmte Veränderung zum Besseren, sondern eine präzise und eine entscheidende Ver- änderung: das Heil, das ewige Leben, der Friede zwischen Gott und dem Men- schen, so wie etwa Petrus Lombardus in seinen „Sentenzen“die Hoffnung defi- niert hat als„gewisse Erwartung einer künftigen Seligkeit.“

Eine solche in der französischen Sprache mögliche, aber keineswegs syste- matisch durchgeführte Differenzierung kann uns helfen, Erwartungen, die im Prinzip in alle Richtungen gehen können (ein bestandenes Abitur, ein Gewinn im Lotto, ein geheilte Krankheit…) von spezifischen Erwartungen oder einer spezi- fischen Erwartung, einer Erwartung einer ganz anderen ‚Qualität‘ zu unter- scheiden, um es kurz zu sagen der der Ankunft des Reiches Gottes oder der ewigen Seligkeit. Die Unterscheidung hat den Vorteil klar zu sein. Ist sie aber nicht möglicherweisezuklar? Wie wenn das menschliche Warten, Erwarten, Hoffen so einfach in verschiedene Sparten aufzuteilen wäre! Doch ist das denn wahr? In den Erwartungen, die auf den ersten Blick rein weltlich zu sein scheinen, erwarten wir nicht eigentlichmehr, im Grunde etwas anderes?Warum fangen wir denn immer wieder an zu hoffen, und warum – selbst mitten im Erhoffen von etwas Be- stimmtem – kommt diese Hoffnung nie zur Ruhe? Liegt in ihr also nicht eine Dynamik, die bei aller Ausrichtung auf das ‚rein Weltliche‘ gerade nicht nur

‚weltlich‘ist? Eine Art Energie des Wartens, des Hoffens, die über ihr anvisiertes, erstrebtes, erhofftes‚Objekt‘hinausgeht. Wohin aber, worauf aber? Vielleicht auf eine Zukunft, die keine Gegenwart je völlig ausfüllen wird können, auf eine Zu-

„spes est certa exspectatio futurae beatitudinis“(IIISent.dist. 26 c. 1; was Thomas von Aquin in derSumma theologiaewörtlich aufnimmt: STh II/II, 1. q. 18, a. 4.)

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kunft, die nicht nur etwas–irgendetwas–Zukünftiges, sondern sich selber: Zu- kunft bringt. Und auf der anderen Seite, die Erwartungen, bzw. Hoffnungen

‚spiritueller‘ Art, die sich auf etwas richten, was radikal den Horizont und die Kategorien des‚Diesseitigen‘, Immanenten überschreitet, geben sie nicht gerade diesem zeitlichen, diesseitigen Leben einen Sinn, eine Ausrichtung, die es ohne sie nicht hätte? Ist der Ort dieses mehr als alltäglichen Hoffens nicht eben im all- täglichen Leben, aber so, dass es seine Alltäglichkeit aufbricht, sie aus ihrer Selbstverständlichkeit reißt? Vielleicht sogar so, dass, was als Gegenwart in ihrer Evidenz einfach gegeben scheint, sich in nicht vorgesehener Weise auf die Zukunft hin öffnet, und sich von ihr her öffnen lässt? Wenn dies zuträfe, dann würden wir in der durch die französische Differenz von „espoir“ und „espérance“ nahege- legten Aufspaltung einer Täuschung erliegen. Sie wäre deshalb irreführend, weil sie allzu klar auseinanderhält, was sich so kategorisch nicht trennen lässt.

Das ist jedoch nicht das einzige Problem dieser Aufteilung, ein damit zu- sammenhängendes kommt hinzu. Die zu schematisch durchgeführte Unter- scheidung zwischen einem Hoffen, das sich ganz im Innerweltlichen hält und einem Hoffen, das über diese Innerweltlichkeit hinausgeht, würde die dem Hoffen eigentümliche Dynamik verkennen, indem sie insinuiert, im Grunde ginge es in der Ausdifferenzierung nur um verschiedene Inhalte des Hoffens.Wenn man aber diese Inhalte ‚sortiert‘, ohne die dem Hoffen inhärente Energie, die ihm eigen- tümliche Spannung mit zu bedenken, dann ist der Gefahr kaum auszuweichen, eben die so schematisch unterschiedenen Inhalte doch in analoger Weise zu er- fassen bzw. zu bestimmen. Und es wird dann unweigerlich darauf hinauslaufen, Inhalte, die mit einem Jenseits der Immanenz zu tun haben (oder ein solches Jenseits konstituieren), nach der auf der Hand liegenden Evidenz des innerwelt- lichen Hoffnungstyps vorzustellen (etwa das Paradies, als einen schönen Garten nur mit dem Unterschied, dass man in ihm nicht arbeiten muss und trotzdem sehr gut isst; oder die Ewigkeit nach dem Schema der Zeit, nur daß sie eben nie ende…).

Die Frage ist aber, ob man auf diese Weise der Dynamik, wie wir eben sagten, der Spannung (Ausspannung) des Hoffens, wie sie etwa in der christlichen Hoffnung

‚gegeben‘sind, überhaupt ansichtig wird.

Um das christliche Hoffen wirklich verstehen zu können, können wir uns also nicht von vornherein damit begnügen, verschiedene etwaige Inhalte zu unter- scheiden, auf welche sich jeweilige Sehnsüchte und Erwartungen richten (der Rest würde sich dann von selber verstehen), wir müssen uns vielmehr für den inneren Zusammenhang interessieren, der zwischen dem‚Inhalt‘der Hoffnung und dem Typ, der Dynamik des Hoffens, welches sich auf diesen Inhalt richtet, besteht.

Dieser spezifische Zusammenhang hat seinen Ort nicht nur im Innenleben (in der

‚Seele‘) dessen, der hofft, sondern vielmehr darin, dass eine spezifische Zeit- lichkeit, ein spezifischer‚Typ‘Zeit sich auftut in einem so oder so ausgerichteten

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Hoffen. Es ist dieser‚Typ‘von Zeit, diese Zeitlichkeit, die wir bedenken wollen. Die Frage ist also, ob es in der christlichen Religion eine Hoffnung, ein Hoffen gibt, das seine Spezifizität darin hat, daß in ihm die Zeit, das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft, von Zukunft und Gegenwart, in spezifischer Weise gelebt wird. Gibt es in der christlichen Hoffnung eine spezifische Zeitlichkeit, eine ‚eigene‘(ihm eigen- tümliche)Zeit?

Wenn das zuträfe, dann würde der Inhalt der christlichen Hoffnung überhaupt nur an den Tag kommen in Zusammenhang und in Abhängigkeit von dieser Zeitlichkeit,wie sie dem christlichen Leben sich auftut und von ihm aufgenommen bzw. übernommen wird. Die christliche Hoffnung engagiert sich in und für eine bestimmte Art, eine bestimmte ‚Qualität‘von Zeit. Sie lässt sich von einer spezi- fischen Zeit in Anspruch nehmen und nimmt eine solche Zeit, eine solche Zeit- lichkeit, eine solche‚Zeitigung‘in Anspruch. Das Ziel der folgenden Überlegungen kann dementsprechend so formuliert werden: es geht darum, die Zeit der Hoff- nung (des Hoffens) zu denken. Die Formulierung ist so gedrängt, dass sie in sich eine Unbestimmtheit des Sinns enthält. Darum ist sie gewählt–in der Ahnung, dass diese Unbestimmtheit hier die Präzision ausmacht. Der Ausdruck „Zeit der Hoffnung“kann sowohl die Zeit bedeuten,‚in‘der ich hoffe, als auch die,‚auf‘die ich hoffe. Meine Hypothese ist, dass die beiden nicht von einander zu trennen, und dass sie darum unabhängig von einander nicht zu begreifen sind. Die Zeit‚in‘der ich hoffe, ist geprägt, bestimmt, durchstimmt von der Zeit,‚auf‘die ich hoffe. Und die Zeit–mit ihrem bestimmten Inhalt, auf die sich mein Hoffen richtet, würde es nicht einmal‚geben‘ohne diese eigentümliche Einstellung und Ausrichtung die in der christlichen Dynamik des Hoffens besteht. Darum also spreche ich von der

„Zeit der Hoffnung“, der „Zeit des Hoffens“.

Bis jetzt ging es darum, eine allzu klare und allzu schematische Unterschei- dung zwischen einerseits einem Hoffen, das sich auf alle möglichen Inhalte richtet und richten kann, und andrerseits einem Hoffen, das eine spezifisch religiöse Ausrichtung hat, zu vermeiden. Im Verzicht auf diese säuberliche Scheidung sollte der etwas anders gelagerten (aber damit zusammenhängenden) Versuchung wi- derstanden werden, den Inhalt des Hoffens von der Dynamik des Hoffens unab- hängig zu konzipieren.

Es gibt aber noch eine weitere Problematik, die wir in Augenschein nehmen müssen. Auch sie besteht in einer Versuchung, sogar einer geläufigen Tendenz, nämlich der, jede positive, ‚optimistische‘ Erwartung bereits für Hoffnung zu halten.„In drei Wochen beginnen die Ferien, da wird es sicher schönes Wetter!“, das ist eine Aussage, die aus dem Mund eines positiv eingestellten Menschen,

Eine Weise wie die Zeitsich zeitigt, wie man in Erinnerung an Heidegger sagen könnte.

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eines Optimisten kommt. Könnte man nicht genauso sagen, es sei ein Ausruf, der von einem hoffnungsvollen Menschen stammt? Irgendetwas scheint daran nicht zu stimmen. Optimismus und Hoffnung sind eben nicht dasselbe, obwohl beide sich doch auf die Zukunft richten und obwohl beide doch von der Zukunft etwas Positives erwarten. Worin also liegt der Unterschied zwischen beiden? Zunächst wird man wohl feststellen, dass die Hoffnung im Unterschied zum Optimismus sich eben nicht nur auf irgendetwas Positives richtet, sie‚will‘doch noch etwas mehr, etwas Spezifischeres. Der Optimismus kann sich auf alles Mögliche richten:

das Wetter, die Genesung, die Liebe… Die Hoffnung muss es immer mit etwas Gewichtigem zu tun haben, sonst würden wir dies Wort nicht gebrauchen. Aber das ist nicht der einzige, vielleicht sogar nicht einmal der entscheidende Unter- schied.Worin liegt dieser? Um es ganz umrisshaft zu sagen: der Optimismus einer Erwartung hat seine Verankerung in der psychischen Disposition dessen, der erwartet und, weil er ein Optimist ist, immer ‚das Beste‘ erwartet. Das Hoffen hingegen hat seine Verankerung–den ‚Ort‘, an dem, und von wo aus es hofft – nicht in dem, der hofft. Es beginnt, wenn man so sagen darf, ‚von der anderen Seite‘; wie wenn der‚Gegenstand‘, der‚Inhalt‘der Hoffnung den ergreifen und sich dessen bemächtigen würde, der darum,von daher–hofft.Er hofft also nicht von einer ‚immanenten‘ Einstellung, sondern von einer ‚transzendenten‘ Dimension her. Als wären alle Erwartungen und Sehnsüchte dieser Welt doch nicht das Ganze, was diese Welt ausmacht, als würden sie nicht alles ausschöpfen, was uns betrifft, was uns an-geht, und was sich von sich her uns eröffnet.

Um dies‚Phänomen‘zu umschreiben, kann man vielleicht sagen: der Akt des Hoffens bringt nicht die Hoffnung hervor; im Gegenteil, die Hoffnung bringt das Hoffen hervor; das Hoffen ist die Frucht der Hoffnung, die sich ihm mitteilt, die ihm an sich Anteil gibt. Anteil gibt, damit das Hoffen die Hoffnung ver-wirkliche, in die Wirklichkeit hole. So machen wir uns also die Hoffnung‚zu eigen‘, die uns doch immer übersteigt, die uns doch nie‚zu eigen‘ist. Indem wir hoffen, beginnen wir der Hoffnung anzugehören, die umgekehrt uns doch nie gehören wird.

Nun kann man freilich fragen: Woher wissen wir denn das alles? Was wir bisher entwickelt haben, sind das rein begriffliche Operationen, oder haben sie vielleicht mit gelebter Erfahrung zu tun; einer Erfahrung, die eine Ausprägung und einen Platz in der Geschichte gefunden hat?

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3 Die jüdische und die christliche Messiaserwartung (I)

Um zu entdecken und zu entfalten, worin das Spezifische der Hoffnung besteht, wenden wir uns dem Judentum und dem Christentum zu, zwei Religionen, die in starkem Maße geprägt sind von ihrem Verhältnis zur Zeit der Zukunft.

In der einen wie in der anderen ist diese Zukunft an einen präzisen ‚Inhalt‘

gebunden. Weder Juden noch Christen erwarten eine Zukunft, deren primäre Charakteristik einfach darin liegt, dass sie noch nicht eingetroffen ist und sich dementsprechend mit allen möglichen Inhalten ‚füllen‘ kann; sie erwarten viel- mehr eine Zukunft, die Zukunftvon…ist. Dieses„von…“, das heißt die notwendige, man könnte geradezu sagen ‚inwendige‘ Verbindung der Zukunft mit einem Ge- nitiv, bestimmt nicht nur den Gehalt dieser Zukunft, sondern mindestens ebenso die‚Form‘ihres Kommens, ihre Art und Weise noch nicht da, aber im Kommen zu sein.„Zukunftvon…“also. Zukunft von was? Sagen wir –des Messias.

Das Judentum glaubt und hofft, dass der Messias kommen wird, und es

‚weiss‘, dass er in jedem,zujedem Moment kommen kann. Das Christentum glaubt und hofft, dass der Messias, der schon gekommen ist, wiederkommen wird. Der Unterschied, vielleicht sogar der Gegensatz zwischen den beiden Formen der Erwartung, so wie wir ihn eben beschrieben haben, stellt natürlich eine Sche- matisierung, eine Verkürzung dar. Wenn man die gegebene Charakterisierung mit der vergleicht, die ein so bedeutender Interpret der jüdischen Tradition wie G.

Scholem gibt, dann erscheint sie als Simplifizierung. In seinem Essai „Zum Ver- ständnis der messianischen Idee im Judentum“ vergleicht er zu Anfang kurz den jüdischen und den christlichen Messianismus:

Es ist ein völlig anderer Begriff von Erlösung, der die Haltung zum Messianismus im Ju- dentum und Christentum bestimmt, und gerade, was dem einen als Ruhmestitel seines Verständnisses erscheint, wird vom anderen am entschiedensten abgewehrt und bestritten.

Das Judentum hat, in allen seinen Formen und Gestaltungen, stets an einem Begriff von Erlösung festgehalten, der sie als einen Vorgang auffasste, welcher sich in der Öffentlichkeit vollzieht, auf dem Schauplatz der Geschichte und im Medium der Gemeinschaft, kurz, der sich entscheidend in der Welt des Sichtbaren vollzieht und ohne solche Erscheinung im Sichtbaren nicht gedacht werden kann. Demgegenüber steht im Christentum eine Auffas- sung, welche die Erlösung als einen Vorgang im geistigen Bereich und im Unsichtbaren ergreift, der sich in der Seele, in der Welt jedes einzelnen abspielt, und der eine geheime Verwandlung bewirkt, der nichts Äußeres in der Welt entsprechen muss. […]

Abgedruckt in: Gershom Scholem,Judaica,Bibliothek Suhrkamp (Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag, 1968), 7–74.

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Wenig später fährt Scholem fort:

War die Kirche davon überzeugt, mit dieser Auffassung der Erlösung einen äußerlichen, ja ins Materielle gebundenen Begriff überwunden und ihm einen neuen Begriff von höherer Di- gnität gegenübergestellt zu haben, so war es gerade diese Überzeugung, die von jeher dem Judentum als alles andere als ein Fortschritt erschien. Die Umdeutung der prophetischen Verheißungen der Bibel auf einen Bereich der Innerlichkeit, von dem alles an diesen Ver- kündigungen soweit abzuliegen schien wie möglich, erschien den religiösen Denkern des Judentums stets als eine illegitime Vorwegnahme […].

Scholem legt den Akzent auf die äußere Veränderung (Verwandlung) der Welt für das Judentum; auf die innere Verwandlung des Gläubigen für das Christentum.

Wenn ich meinerseits die Differenz zwischen den beiden Formen des Hoffens in anderer Weise zu fassen versuche, nämlich als einerseits ein Hoffen auf das Kommen, andrerseits als ein Hoffen auf das Wiederkommen des Messias, dann verlagere ich das Schwergewicht weg von dem Gegensatz Innerlichkeit–Äußer- lichkeit, weil in diesem, wie mir scheint, die charakteristische‚Ausspannung‘des Hoffens zu wenig bedacht ist. Diese Ausspannung charakterisiertbeide Formen des Messianismus, jedoch auf unterschiedliche Weise. Um mich diesem Unter- schied zu nähern, formuliere ich die Hypothese, dass ein Wiederkommen –

‚strukturell‘ –etwas anderes ist als nur einzweites Kommen; und ebenso, dass die Erwartung eines Wiederkommens–wiederum‚strukturell‘ –etwas anderes ist als dieErwartung eines(ersten)Kommens.Für das Verständnis der christlichen Seite bedeutet das, dass die Verlagerung der Hoffnung von einem Vorgang äußerlicher Sichtbarkeit auf ein Ereignis nicht sichtbarer Innerlichkeit nicht wirklich das abdeckt, was in der christlichen Hoffnung angelegt ist. Dem hier entwickelten und zu entwickelnden Verständnis entsprechend ist es vielmehr ein bestimmtes Ver- hältnis zur Zeit, das das Wesentliche des christlichen Hoffens ausmacht: eine spezifische Beziehung zur Zeit, die ihrerseits eineForm, eineQualitätder Zeit, man muss wohl sogar sagen: ein Sich-Ereignen von Zeit ist.

Doch wir sind dabei zu antizipieren. Halten wir für den Moment die Judentum und Christentum gemeinsamen Züge der Messiaserwartung fest. In beiden Fällen, ist die Zukunft, die erwartet wird, eine ‚qualifizierte‘ Zukunft. Nicht nur alles Mögliche wird im Lauf der Welt eintreffen und eventuell Bedeutungfürdie Welt haben, sondern das, was eintreffen wird, wird eine radikale Verwandlung be- deuten.Alleswird neu werden. Die Vorstellung von einem Ende der Welt, die sich oft mit der vom Kommen des Messias verbindet, ist der Versuch, dies‚alles‘, diese fundamentaleTransformation namhaft zu machen. Ein zweites kommt hinzu: jede

Scholem,Judaica, 7–8.

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der beiden Ausprägungen des Hoffens (die jüdische und die christliche) hat etwas Riskantes. Die Infragestellung der Welt als ganzer übertrifft unsere‚gewöhnlichen‘

Erwartungen, in denen es–das hängt mit unserem In-der-Welt-Sein zusammen– immer um einen Kompromiss geht zwischen dem, was gegeben ist und dem, was auf dieser Grundlage (wie wir ‚hoffen‘) sich verändern kann oder soll. Diese Art von Kompromiss ist im Alltäglichen möglich (ja sie ist genau besehen nicht nur möglich, sondern konstituiert diese Alltäglichkeit), weil die Zukunft, mit der die Gegenwart sich hier ins Benehmen setzt, nicht nur als offen, sondern in ihrer Offenheit auch als neutral vorausgesetzt wird. Und genau in dieser ihrer Neu- tralität (als wie in einem noch nicht gefüllten Raum) bietet sich die Zukunft für Pro- jektionen und Sehnsüchte der unterschiedlichsten Ausrichtung an. Andrerseits können wir gerade aufgrund der Nicht-festgelegtheit dieser Zukunft uns bequem mit der jeweiligen Gegenwart arrangieren, da uns bereits im voraus eine bessere Zukunft mit ihr versöhnt. Diese Konfiguration ist die einer Beziehung zur Zukunft, die gerade nicht Zukunftvon…ist.

Die jüdische Zukunft und die christliche Zukunft sind demgegenüber und dem entgegen gerade nicht neutral, gerade nicht einfach leer und offen. Sie tragen einen Namen, den des Messias. Und es ist,weil der Messias kommen wird, dass die Zukunft, die wir mit ihm erwarten, Zukunft ist; und nicht umgekehrt: in einer Zukunft, die noch nicht ausgefüllt ist (im Gegensatz zur immer angefüllten oder sich anfüllenden Gegenwart) könnte der Messias die Zeit finden zu kommen. Die Zukunft aber, die einen Namen trägt, die Zukunft, die gebunden ist an einen bestimmten Inhalt, ist eine Zukunft, die etwas anderes ist als nur die Ausweitung der vergangenen und gegenwärtigen Zeit nach vorne, nämlich eine Zeit, die kommt.

Auf der Basis dieses gemeinsamen ‚Verständnisses‘ gehen dann Judentum und Christentum unterschiedliche Wege.

4 Die jüdische und die christliche Messiaserwartung (II)

Sowohl das Judentum als auch das Christentum führen in die Welt (genauer gesagt in die BeziehungzurWelt) eine‚Einstellung‘ein, die überraschend, ja kühn ist. Der Status quo oder auch der Weitergang der Welt oder ihre„ewige Wiederkehr“seien nichtdas Ziel der Welt und der menschlichen Existenz in ihr. Was wäre also dies Ziel? Gemäß der jüdischen Hoffnung die Veränderung, Verwandlung der Welt in eine gerechtere und menschlichere. Diese gerechtere,wahrhaft gerechte Welt wäre nicht nur eine andere Welt, sondern die Weltanders, die Welt in einer Perspektive

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gesehen, die nurGottauf sie richten kann. So tritt die messianische Zukunft in die Welt ein in einem gegenseitigen Engagement, in einer gegenseitigen Verpflichtung –Gottes für die Weltunddes Menschen für Gott. Eine Zukunft, die die der Welt und der Menschheit ist, aber die von Gott kommt. Die jüdische Messiashoffnungerhofft diese Zukunft Gottes. Das Spezifische der christlichen Messiaserwartung im Ver- gleich zur jüdischen ist dadurch gekennzeichnet, daß der Messias schon ge- kommen ist und wiederkommen wird. Diese doppelte Beziehung ist hier die Hoffnung. Der Typ dieser Hoffnung geht, was das Risiko angeht, noch über die jüdische Hoffnung hinaus, denn die Veränderung, Verwandlung der Welt in Richtung auf eine ‚bessere‘ Welt, eine ‚neue‘ Welt hätte sich – zumindest an- satzweise–bereits vollzogen.

Eine bekannte Anekdote spricht von der Differenz dieser beiden Formen der Messiaserwartung. Ein frommer Jude und ein frommer Christ diskutieren über das Kommen des Messias. Der Christ besteht darauf, der Messias sei schon gekommen;

der Jude besteht darauf, dass er kommen werde, aber unmöglich schon gekommen sein kann. Wie sie nicht imstande sind, sich zu einigen (alle Argumente wurden vorgebracht), sagt der Jude zu seinem christlichen Gesprächspartner: „Komm!“

und er öffnet das Fenster.„Schau hinaus!–Ist der Messias schon da gewesen?“

Die Anekdote endet auf diese Weise. Sie weist für den christlichen Glauben und seine‚Konzeption‘der Messiaserwartung auf ein reelles Problem (ich werde darauf zurückkommen). Was die jüdische Hoffnung auf den Messias betrifft, zeichnet sie ein zwar überzeugendes, aber doch nur oberflächliches Bild. Fangen wir mit dieser Seite an!

4.1 Die jüdische Erwartung des Messias

Es ist wahr, ohne eine Veränderung der Welt, die auch äußerlich sichtbar ist, kann man nach jüdischem Verständnis nicht vom Kommen des Messias sprechen. Nun aber ist entscheidend, dass dies Kommen des Messias nicht vom Himmel fällt wie ein Ereignis, das das Schicksal dem Menschen reserviert hat und das eines (fernen oder nahen) Tages eintreffen wird. Die Sichtbarkeit der Verwandlung der Welt ist– in der jüdischen Messiashoffnung – gebunden an die Handlung, die Tat, den Einsatz, das Wirken der Menschen in Richtung auf eine gerechtere Welt. Dies Handeln aber hat seinen Grund, seine Berechtigung und seinen Antrieb nicht in sich selbst, ja nicht einmal in der Sehnsucht nach einer besseren Welt, es hat seinen Grund, seinen Antrieb und seine Rechtfertigung in dem Gebot Gottes, welches es aufweckt und herausfordert. Und genau in diesemVerhältnisliegt in nuceder jüdische Messianismus. Gott, der eine, einzige Gott–und dieEinzigkeit Gottes gibt sich geradesozu verstehen–fordert vom Menschen die Öffnung, die

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Verantwortung für seinen Nächsten und für die Welt. Diese Verantwortung will und soll sich im Handeln realisieren. DieGegenwart Gottes führt sich in dieGe- genwart der Weltalso ein in Form eines Gebotes, das als Gebot zugleich Verhei- ßung und Eröffnung von Zukunft ist, einer, wenn man so will, zugleichabsoluten und relativenZukunft. (Absolut, weil sie von Gott kommt,relativ, weil sie die Zu- kunft der Welt ist und in ihr stattfindet.) So muss man beides zusammenhalten:

Gott eröffnet der Welt ihre Zukunft, aber er eröffnet sie ihr durch den Menschen, durch das Verhalten, das die Menschen untereinander und für einander haben und verwirklichen.

Darum weist hier das Soziale zum Messianischen hin“, schreibt L. Baeck.„Vor seiner Ge- genwart steht immer mahnend dieZukunft, dieewigeAufgabe, die von Geschlecht zu Ge- schlecht zu erfüllen ist, der Weg zu dem Ziele, dass jede Tat des Menschenden Mitmenschen schaffe, damit sich in ihrer GemeinschaftGottoffenbare.

Im menschlichen Handeln und in der gegenwärtigen Zeit, die beide bestimmt, geradezu definiert sind durch Gottes Gebot einerseits und seine menschliche Verwirklichung andrerseits, in diesem Handeln und in dieser Gegenwart also enthüllt (bzw. eröffnet) sich Zukunft; eine Zukunft, die nicht deshalb Zukunft ist, weil es immer eine Zeit gibt, die noch nicht da war, sondern deshalbund daher, dass das menschliche Handeln, die menschliche Verantwortungvon Gott gewollt sind.Gott entsendet den Menschen, und Gott, der ihn (in seine Verantwortung) entsandt hat,–erwartet ihn. Aber auf Seiten des Menschen geht es um nochmals mehr: nicht nur darum, dass er von Gott in seine Verantwortung eingesetzt ist und deshalb von Gott erwartet wird, sondern auch und zuletzt darum, dass er–in der Übernahme seiner (man könnte sagen göttlich-menschlichen) Verantwortung – das Recht hat und dazu in Stand gesetzt ist, seinerseits Gott zu erwarten. Diese Verschränkung der gegenseitigen Inanspruch-nahme ist die eigentliche Zu- kunftsdimension des jüdischen Messianismus. Das Warten Gottes auf den Menschen setzt das Warten des Menschen auf Gott in sein Recht. M.a.W., die Zukunft, die Gott in die Hände des Menschen gelegt hat, ist keine andere als die Zukunft Gottes selbst für die Welt.

Wie das Christentum so hat auch das Judentum als konstitutives Element seines Glaubens die Erwartung des Messias. Aber die messianische Zukunft findet

Leo Baeck,Das Wesen des Judentums, hg. von Albert H. Friedlander und Bertold Klappert, Leo Baeck Werke, Bd. 1 (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1998), 235; Hervorhebungen von mir.

„Von Gott gesendet zu sein und Gott zu erwarten, so weiß es hier die Frömmigkeit. Die Spannung zwischen diesen beiden und die Einheit von diesem beiden, das ist die Zukunft, wie sie im Judentum erfahren wird, dasMessianische, das ihm eigen ist“(Baeck,Wesen, 251).

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sich in letzterem wie zusammengezogen, konzentriert in der Korrelation zwischen göttlichem Gebot und menschlichem Gehorsam; konzentriert in der Zeit der Ge- genwart, die durch diese Korrelation überhaupt Gegenwart ist, und die, wenn sie wie eine überreife Frucht aufplatzen würde, zu erkennen gäbe, dass in ihr – in dieser Gegenwart–nicht weniger als die Zukunft aufspringt, die Gott in ihr nie- dergelegt hat.

Man sieht also, dass die Pointe der vorhin erzählten Anekdote, so wie sie einerseits etwas Wesentliches der jüdischen Messiaserwartung ans Licht bringt (nämlich die Betonung der unbestreitbaren Sichtbarkeit der Veränderung der Welt), so auch Wesentliches verstellt: zum einen die Verantwortlichkeit des Menschen für diese Veränderung der Welt; und zum andern eine spezifische Beziehung von Gegenwart und Zukunft. Diese Beziehung kann so ausgedrückt werden: die Gegenwart wird wirkliche, reelle Gegenwart durch die Tatsache, dass Gott in sie eintritt in seinem Gebot, einem Gebot, das nicht nur von der göttlichen Zu-kunft herkommt, sondern auch den Weg in sie weist.Wenn H. Cohen in seinem BuchReligion der Vernunft aus den Quellen des Judentumsherausarbeitet, dass der jüdische Messianismus die Entdeckung einer anderen Zeit, nämlich der Zukunft bedeutet, der Zukunft, die darum Zukunft ist, weil sie allein von Gott kommen kann, dann hätte man ihn falsch verstanden, wenn man diese Betonung, diese Herausstellung der Zukunft auf Kosten der Gegenwart deuten würde. Im Gegenteil, die Zukunft Gottes,„die Zeit, die […] nur Zukunft“ ist, hat ihren Platz in der Ge- genwart und bestimmt diese als solche.

Wie oben schon angedeutet, die Zukunft, die wahrhaft die Zukunft Gottes ist, ist in den Händen des gegenwärtigen Menschen. Diese Aussage muss allerdings in zwei Richtungen gelesen werden. Zum einen: die Zukunft Gottes ist in die Hände des Menschen gelegt; zum andern: in die Hände des Menschen ist nicht weniger als Gottes Zukunft gelegt.

Nochmals mit den Worten L. Baecks:

Im Glauben an Gott, in der Gottesfurcht liegt der Glaube an die Zukunft. […] Darin erst hat die Zukunft ihren Sinn, die Bedeutung derGeschichteerhalten, so dass sie nicht bloß das letzte Los der Tage ist, von dem der Mythos kündet, dieser Schluss des Zufalls, den das Schicksal

„In dem gebietenden Glauben, dem der Mensch das Ebenbild Gottes und das Gute das Wirk- lichste ist, wohnt zugleich die Gewissheit, dass das Gute verwirklicht werden wird, dass ihm die Zukunftgehört“(ibid., 249).

„Die Idealität des Messias, seine Bedeutung als Idee, bezeugt sich in der Überwindung der Person des Messias und in der Auflösung des Sinnbilds in den reinen Gedanken der Zeit, in dem Begriffe des Zeitalters.Die Zeit wird Zukunft und nur Zukunft.“ Hermann Cohen, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums(Wiesbaden: Fourier Verlag, 1978 [posthum veröffentlicht 1918]), 291.

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bringt, nicht dieses bloße Geschehen, sondern das, was sie eben hier ist, die Verwirklichung und Erfüllung, das Ziel, zu welchem der Weg hinleitet, der Tag, der kommen wird, weil er kommen soll, die Verheißung dessen, was der Mensch schafft.

4.2 Die christliche Erwartung des Messias

Was nun die Besonderheit der christlichen Hoffnung auf den Messias angeht, so ist es evident, dass die Anekdote auch hier nur teilweise erhellend ist. Das,wasgesagt werden müsste, ist gerade nicht gesagt, sondern müsste erst folgen: die christliche Antwortauf die überzeugende Geste des jüdischen Gesprächspartners –voraus- gesetzt eine solche Antwort ist überhaupt möglich. Nachdem, was eben über die jüdische Messias-Hoffnung und ihre Implikationen entwickelt wurde, können wir aber erahnen, dass das Spezifische der christlichen Messias-Hoffnung nicht nur in der Unsichtbarkeit ihrer Realisierung und ihrer Verlagerung in die Innerlichkeit bestehen kann, sondern mindestens ebenso sehr in einer zeitlichen Konfiguration (so wie wir das ja auch für das Judentum dargelegt haben). Um es ganz ober- flächlich und vorausgreifend anzudeuten: Wird das spezifisch Christliche hin- sichtlich der Hoffnung nicht eben in der Entfaltung (Auseinander-Faltung) dessen liegen, was im Judentum konzentriert (kondensiert) war ins Verhältnis von Gebot und Gehorsam? In der Tat, dass der Messias nach christlichem Glauben und christlicher Hoffnung schon gekommen sei, das bedeutet nicht nur eine ziemlich unwahrscheinliche Annahme, sondern auch die Entdeckung (nach christlichem Selbstverständnis:Offenbarung), dass die beiden Pole der Zeit– Gegenwart und Zukunft–, die in der jüdischen Religion unzerreißbar in einander verschlungen sind, in der christlichen sich von einander lösen. Es ist nicht mehrimMenschen und seiner von Gott wachgerufenen Verantwortung für seinen Mitmenschen, dass Gegenwart und Zukunft sich vereinen (und übrigens auch von einander unter- scheiden), es istfürden Menschen, dass eine Zukunft sich verspricht, die sich nie auf des Menschen oder der Welt Seite, sondern immer auf Gottes Seite findet. Das Kommen des Messias, von dem der christliche Glaube glaubt und hofft, dass es sich schon ereignet hat, ist das Symbol und zugleich die Realität dieser Exter- iorität.

Das ist das, was nun zu entwickeln bleibt.

Baeck,Wesen,250.

�� Denn Gottes Zukunft bleibt immer die von Gott gegebene, von Gott herkommende; und des Menschen Gegenwart bleibt immer die seiner ihm aufgegebenen, von ihm gerade jetzt zu ver- wirklichenden Mitmenschlichkeit.

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5 Das christliche Hoffen: ein Hoffen im Zwischen

QQ

Wie wir gesehen haben, versetzt der jüdische Gesprächspartner sein christliches Gegenüber in eine aussichtslos erscheinende Schwierigkeit. Wie kann er daran festhalten, dass der Messias gekommen sei, wenn nichts sich dadurch in der Welt geändert hat (was der Blick durch das Fenster ja zu beweisen scheint). Gäbe es also etwas, was allem Augenschein zuwider sich doch verändert hätte? Die Frage ist in mehrerlei Hinsicht ernst; was unseren Zusammenhang angeht, schon deshalb, weil, wenn wir als Christen nicht imstande wären anzugeben, inwiefern die Welt sich dank Jesu Kommen in sie verändert habe, unser Glaube–leer wäre.Und doch:

nicht nur der Zustand dieser Welt, die Ungerechtigkeit, die Katastrophen, das Leiden, nicht nur die Erfahrung all dessen lässt uns zweifeln an der Möglichkeit (und wie viel mehr an der Realität!) einer Veränderung der Welt; nein, auch eine andere Erfahrung treibt uns in diese Richtung, die der Trägheit, der Zähigkeit der menschlichen Geschichte: die alle Illusionen zunichte machende Erfahrung, dass seit Jahrtausenden und trotz aller Anstrengung und allen guten Willens, es immer doch so weiter geht wie es immer schon war.

Aber ist das denn wirklich wahr? Gibt es nicht–ich spreche als Christ–dank des Kommens Jesu und dank der Verkündigung Jesu, Zustände oder vielmehr Einstellungen, die sich geändert haben? Vielleicht sind diese zu wenig sichtbar.

Denn wer wollte nicht, dass, wenn es schon etwas geben soll, was sich geändert hat oder haben könnte, dass dies dann auch auffallend, eindrucksvoll,‚imposant‘

wäre? Wie aber nun, wenn etwas sich verändert hätte im einen oder anderen menschlichen Verhalten, im Verhältnis der Menschen zu diesem oder jenem Mitmenschen, hätte dann nicht die Welt sich doch begonnen zu verwandeln? Das wäre die Richtung einer Antwort, die im Dialog der Anekdote der christliche Gesprächspartner vielleicht – mit Recht nicht ohne Zögern und Scham, aber womöglich doch–andeuten könnte. Indes im Zusammenhang unserer Reflexion, muss etwas anderes erwähnt werden, von dem man als Christ, wie mir scheint, sagen kann und sogar sagen muss, dass es sich verwandelt hat. Das,was sich dank des Kommens des Messias verändert hat, das ist–es klingt paradox, aber es ist es nicht–die Hoffnung.

Die These, die ich entwickeln und verteidigen will, ist also die folgende:

seitdem der Messias in die Welt kam, hat die Hoffnung, das Hoffen eine andere Form, eine andere Qualität, vielleicht kann man sagen, eine andere ‚Struktur‘

�� Präziser wäre es zu sagen: ein HoffendesZwischen, weil dies Hoffen nicht nur zwischen zwei Polen situiert ist, sondern weil es diesem Zwischen angehört, weil es, wenn man so will, seine Ausführungist.

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angenommen. Diese These, die den Akzent so stark auf die Hoffnung selber legt, stößt sich allerdings an einem Hindernis. Sind wir, wenn wir in diese Richtung tendieren, nicht dabei, gerade einen besonders schwachen Punkt der christlichen Frömmigkeit und der christlichen Theologie in den Vordergrund zu stellen? In Jesus Christus ist der Messias gekommen; er hat angekündigt, dass das Reich Gottes unmittelbar bevorstünde, und dass er in naher Zukunft wiederkäme (so jedenfalls hat man ihn verstanden). Aber dies Reich Gottes hat sich eben nicht eingestellt und der Messias ist nicht wiedergekommen.

Hat sich also Jesus nicht getäuscht? Und die ersten Christen ebenso? Und die Christen aller folgenden Generationen, leben sie nicht mit einer Lüge? Sie warteten und warten auf die Rückkehr des Messias, wie wenn er morgen käme– und das seit 2000 Jahren!

Und doch ist eine Beobachtung in diesem Zusammenhang überraschend: die, dass die noch nicht eingetroffene Rückkehr des Messias aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz keine alles erschütternde Krise herbeigeführt hat. Und die, dass die immer‚hinausgeschobene‘Rückkehr die Christen nicht veranlasst hat, ihr Warten aufzugeben. Müssen wir also, diese Beobachtungen in Betracht nehmend, nicht fragen, ob die Erwartung, um die es hier geht, die messianische Erwartung nicht vielleicht anders zu verstehen ist?

Der Neutestamentler E. Fuchs hat hinsichtlich unserer Fragestellung und hinsichtlich der ganzen Thematik, die uns hier beschäftigt einen überraschenden Fingerzeig gegeben. In einer Bemerkung, die nur nebenbei gemacht zu sein scheint, spricht er in seinem Aufsatz„Das Zeitverständnis Jesu“ von der„törichte [n] Frage, ob sich Jesus in der Zeitspanne getäuscht habe“. Wieso sollte diese Frage„töricht“sein? Zwei Antworten scheinen möglich zu sein. 1. Weil es ja evi- dent ist, dass er sich getäuscht hat. 2. Weil das wirkliche Problem gar nicht hier liegt. Gängiger Weise wendet man sich der ersten Option zu in der Annahme, dass die ganze Problematik durch sie abgedeckt sei. Entgegen seiner eigenen Ansage ist Jesus nicht wiedergekommen. Dann war’s halt wohl eben nichts mit der „Nah- erwartung“! Die zweite angedeutete Antwort widerspricht diametral dieser resi- gnativen Lösung, indem sie die Frage stellt, worin eigentlich wirklich das Problem besteht, um das es hier geht. So werden wir dazu veranlasst, die Frage neu und

�� Vgl. Mk 13,26; Mt 24,3.27; 1 Kor 1,7; 15,23; 1 Thess 5,23; 2 Thess 2,8; 2 Petr 1,16; 1 Joh 2,28; Offb 1,7;

22,20.

�� Vgl. Mk 13,10; Lk 10,9.11; Mt 10,7, vgl. Mk 1,15, passim.

�� Vgl. 1 Thess 4,1318.

�� Wiederabgedruckt in: Ernst Fuchs,Zur Frage nach dem historischen Jesus,Gesammelte Auf- sätze 2 (Tübingen: Mohr Siebeck, [1960] 19652), 30576.

�� Fuchs,Frage, 375.

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unter neuen Prämissen zu stellen, was eigentlich der Sinn von Jesu Ankündigung war, und (nicht weniger wichtig), worin eigentlich der Sinn seines In-die-Welt- Kommens bestand und besteht.

Die Annahme, dass Jesus sich getäuscht habe, basiert auf der Voraussetzung, er habe geglaubt, das Ende der Welt wäre unmittelbar bevorstehend und seine Rückkehr ebenso. Da wir aber immer noch auf der Welt sind, und Jesus immer noch nicht wiederkam, haben wir ein Problem. Andrerseits muss man einge- stehen, dass die Situation, wie sie ist, sich für unser alltägliches Leben nicht unkomfortabel darstellt: wir leben weiter wie wenn es ‚von oben‘ oder von der Zukunft her keine Infragestellung gäbe. Indes‚geistlich‘und theologisch ist das Ausbleiben der Wiederkunft doch enttäuschend, ja irritierend. Wir warten auf unseren Herrn, und er, er kommt einfach nicht. Ist aber denn die Problematik auf diese Weise angemessen umschrieben?

Sehen wir zu! Jesus verkündigte das Reich Gottes: dies Reich sei nahe her- beigekommen.Und eben in diesem Nahekommen nimmt es Jesus und seine Predigt in Anspruch, damit diese Nähe vernehmbar werde. Dem entspricht dann ganz folgerichtig, dass für die, die Jesu Predigt hören, die Nähe dieses Reiches impli- ziert, dass sie ihr Leben nicht weiterführenkönnenund nicht weiterführenwollen (genauer muss man sagen: nicht weiterführen wollen können) wie sie es davor getan haben.Wie es gleich zu Anfang des Markusevangeliums heisst:„Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“(πεπλ�ρωται�καιρ�ς κα� �γγικεν�βασιλε�α το�θεο�·�ετανοε�τε κα�πιστε�ετε �ν τ�ε�αγγελ��.)

Woher kommt für den Glauben (muss man nicht sogar sagen: für den

„Glauben allein“?) die Unausweichlichkeit einer solchen Bekehrung, einer sol- chen Umorientierung des ganzen Lebens? Von der Überzeugung her, dass das Ende der Welt unmittelbar bevorsteht? (Wer würde da sein Leben in aller Ruhe weiterleben wollen wie zuvor? Vor allem, wenn‚hinter‘diesem nahen Ende Gott selbersteht, und mit Gott das göttliche Gericht, das einen endgültigen Entschei- dungscharakter hat, vor dem alle provisorischen Ziele und Maßstäbe wie Schnee an der Sonne vergehen!) Kommt diese Dringlichkeit einer Umkehr, eines Neuan- fangs des Lebens also daher, oder nicht vielmehr von dem, dass in Jesu Predigt dieser Welt, unserer Welt, der Welt, der wir angehören…, eine neueWirklichkeit verheißen, ja zu-gesprochen wird? Eine Wirklichkeit, die nicht nach ihren uralt

�� Eben jenes Problem, dem die Theologen den suggestiven, vielleicht allzu suggestiven Namen der„Parusieverzögerung“gegeben haben.

�� Weil nur er die‚Instanz‘ist, die begreift, die begreifen kann, was hier passiert!

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eingespielten Regeln funktioniert, sondern gemäß einer Öffnung, einer Offenheit, die nur Gott in sie einführen kann.

Warum Gott allein? Die Antwort auf diese Frage ist evident und nicht-evident zugleich. Weil nur Gott das Andere der Welt ist. Der Mensch seinerseits ist Teil ihrer.Erkann der Welt nicht eine Offenheit bei-bringen, die so grundsätzlich ist.

Das kann nur Gott. Merkwürdig steile These! Aber ist nicht genau das der Sinn des Wortes„Gott“?–So sind wir hier konfrontiert mit einem Aufeinandertreffen zweier Realitäten: der Wirklichkeit der Welt und der‚Wirklichkeit‘ Gottes. Diese Begeg- nung drückt sich aus in einer Ankündigung wie der von Lk 10,11:„Ihr sollt wissen, das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.“

Jedoch eins ist es, eine solche Ankündigung zu vernehmen, und ein anderes ist es, sie denkend nachzuvollziehen. Wie also ist das Aufeinandertreffen der beiden Realitäten zu verstehen,von dem Jesus spricht? Die einfachste Lösung wäre die, anzunehmen, dass die Ankunft des Reiches Gottes‚schlicht‘das Ende der Welt mit sich bringt. Auf diese Weise wären die Verhältnisse geklärt: diese jetzige Welt ist beendet, und eine andere beginnt. Eine bessere, eine Welt, in der nicht das Geld, die Konkurrenz, die Macht, der Hass…regieren, sondern die Gerechtigkeit und die Liebe Gottes. Indes, wie schön und verführerisch solche Vorstellungen auch sind, sie bergen doch in sich ein elementares Risiko, nämlich das der Konsolidierung des Status quo. Dies Risiko lässt sich ziemlich leicht explizieren:

wenn die Grenze, die Begrenzung der Welt schlicht als ihr Ende gedeutet wird, erscheint dann als ihr Gegenbild wirklich dasAndereder Welt, und nicht vielmehr einfach eine andereWelt, die ihrerseits nach den Parametern der ersten konzipiert ist und funktioniert? Diese Frage muss an Jesu Ankündigung gerichtet werden:

„Ihr sollt wissen, das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.“Verhält es sich so, dass Jesus in dieser Ansage nur zwei Welten und mit ihnen zwei Weltzeiten ein- ander gegenüberstellt, oder verhält es sich so, dass Jesus, statt dass er von einer neuen Zeit und einer neuen Einstellung zur Zeit nur spricht, durch seine Predigt die, die sie vernehmen und annehmen, in eine neue Einstellung zur Zeit, ja in eine neue Zeit hineinführt? In diesem Fall würde die Erwartung des Reiches Gottes nicht nur in der Ausrichtung auf einen bestimmten Inhalt (einen paradiesischen Zustand etwa) bestehen, sondern vielmehr in der Anerkennung und Annahme einer neuen Zeitlichkeit. Aber geht es nur um die Anerkennung einer neuen Zeit, nur um eine neue Beziehung zu ihr, geht es nicht letztlich um eine neue Qualität von Zeit, ja wirklich um eine andere Zeit, eine neue Zeit?

In der Tat, Jesus hat nicht eine Annullierung der Zeit verkündigt, eine Zeit, die gegenüber der Ewigkeit überhaupt keinen oder nur einen ganz relativen Wert hätte. Nein, er hat eineZeit für die Zeitverkündet, eine andere Zeit für die Zeit:die Zeit Gottes für die Welt und inmitten der Welt.

(18)

Das klingt sehr schön. Was ist aber eigentlich diese Zeit-Gottes-für-die-Zeit- der-Welt?

6 Die Implikation Gottes in das Hoffen auf ihn

Die Zeit-Gottes-für-die-Zeit-der-Welt. Im Hinblick auf diesen Anspruch stellt sich die oben genannte Frage, die sich über Jahrhunderte mehr oder weniger still- schweigend gestellt hat (ob Jesus sich nicht getäuscht habe hinsichtlich seiner Wiederkunft) auf neue, grundsätzlich andere Weise. Grundsätzlich anders, das heißt hier: nicht nur ihr Inhalt, sondern auch ihre Ausrichtung und der Typ, der Modus, die Art der Antwort, die durch diese Frage provoziert werden, verändern sich. Die Frage ist nicht mehr: Hat Jesus, weil er etwa die Verheißung, die Of- fenbarung Gottes missverstanden hat, sich getäuscht in seiner Predigt, hat er sich vielleicht doch nicht an Gottes Wort gehalten, das er zu übermitteln beauftragt war? Hat er vielleicht in dem‚Enthusiasmus‘seiner Beziehung zu Gott die Dinge überstürzt? Das sind Fragen, die nicht das wirklich theologische Problem in den Vordergrund stellen, das theologische Problem, welchesdas Verhältnis Gottes zur Zeit der Welt betrifft und die Rolle, die Jesus in diesem und für dies Verhältnis spielt. Die entscheidende Frage muss also anders gestellt werden, sie muss Gott in die Fraglichkeit einbeziehen, ja sie muss sich auf Gott inmitten dieser Fraglichkeit ausrichten.Und wiederum ist es Ernst Fuchs, der auf unerwartete Weise in diese Richtung weist, indem er die Frage:‚Bleibt Jesus bei Gottes Wort?‘in die grund- sätzlichere, das heißt die entscheidend theologische überführt: „Bleibt Gott bei Jesu Wort?“.

Überraschende, seltsame Formulierung! Als stünde Gott in Frage…! Als wäre Gott der Einsatz, um den es hier ginge. Aber wer anders kann denn der Einsatz sein, wer anders kann denn auf dem Spiel stehen, wenn es um das ‚Spiel‘ des Reiches Gottes geht als Gott selber?„Bleibt Gott bei Jesu Wort?“Die Frage enthält zweierlei mögliche Ausrichtungen (die natürlich miteinander verbunden sind);

zum einen: „Wird Gott treu bei Jesu Wort bleiben?, wird er sich an dies Wort halten?“ und zum andern: „Wird Gott Jesu Wort halten?“ Beides ist nicht das gleiche, aber beides ist gemeint. Denn in beiden Formulierungen geht es um das Verhältnis von Gott und seinem Wort, den Einsatz Gottes für und in seinem Wort.

Der Weg unserer Überlegungen versetzt uns also in eine unvorhergesehene Situation: statt dass der Horizont sich verengt durch die beschränkte und klein-

�� Fuchs,Frage, 374. Im Zusammenhang:„Jetzt konnte es nur Eine Frage geben:BleibtGott bei Jesu Wort?“.

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zügige Frage „Hat Jesus sich vielleicht getäuscht?“erweitert er sich in unabseh- barer Weise zu der anderen: „Was passiert eigentlich zwischen Gott und uns?“

Diese Frage tut sich auf, man könnte–um im Bild der überreifen Frucht zu bleiben –geradezu sagen, sie springt auf, wo Jesus Gottes Nähe verkündet und auf einmal alles davon abhängt, ob Gott sich in diesem Wort wiedererkennt, ob er sich durch dies Wort gebunden weiß. Gebunden an seine Nähe zur Welt, seine Implikation in sie–nun aber nicht, um seinen Abstand, seine Differenz im Verhältnis zur Welt aufzuheben, sondern im Gegenteil, um diese Differenz in die Welt einzuführen.

Wie das? In dem Wort, das von dieser Nähe spricht, und das diese Nähe bringt, eine Nähe, die den Abstand nicht aufhebt, sondern der Welt zuwendet. So werden wir vor die entscheidende Frage des christlichen Glaubens geführt: Glauben wir an dasKommenGottes, so wie Jesus esverkündet?Wie wir sahen, zieht diese Frage Gott selber in ihre Fraglichkeit hinein, denn nicht nur Jesus ist von ihr betroffen, sondern Gott‚selbst‘. Wird er sich an sein (durch Jesus verkündetes) Wort halten, wird er bei seinem Wort bleiben? In die Unruhe, in den Wirbel dieser Frage kann der Glaube nicht nicht hineingeraten.

Nach dem Tod (angesichts des Todes) Jesu muss diese Frage sich ‚kompli- zieren‘. Nicht nur: glauben wir noch an das Wort, in dem Gott (genau das ist ja seine Offenbarung) sich an Jesu Wort gebunden hat, m.a.W. glauben wir noch an das Wort des Evangeliums, das Jesus verkündet (dies Wort ist es nicht entkräftet, ungültig gemacht durch das tödliche Ende dieses Menschen?); nicht nur diese Frage also, sondern eine weitere, weitergehende stellt sich:glauben wir noch, dass Gott an Jesu Wort glaubt?

Als müsste Gott glauben! Und als könnte Gott nicht glauben… Merkwürdig!

Aber die Geschichte Jesu, die Geschichte Jesu mit Gott, Gottes mit Jesus zieht uns in

�� Warum von einem„Wirbel“sprechen? Wegen des Ungleichgewichts, welches das Verhältnis Gottes zur Welt charakterisiert. Wegen des Abgrunds, der die beiden trennt. In der Begegnung zwischen Gott und der Welt, hat die Welt ihre eigenen Evidenz: sie ist,was sie ist, sie ist schlicht da unbestreitbar; die‚Realität‘Gottes hingegen, deren Sinn es ist, die Realität der Welt zu relati- vieren, besitzt keine vergleichbare Evidenz (sonst wäre Gott seinerseits Welt). Der Dichtheit (man hätte Lust zu sagen, der Dichtigkeit, Undurchdringlichkeit) der Welt, die ist, was sie ist, steht gegenüber die Offenheit (man hätte Lust zu sagen, die Durchlässigkeit) Gottes, der eben nicht ist, was er ist, sondern was er verspricht zu sein. So haben wir es mit einem Gegensatz zwischen zwei ungleichen Polen zu tun. Auf der einen Seite das Gewicht der Welt, die Gültigkeit für ihre Welt- lichkeit beanspruchen darf durch ihr bloßes Dasein, auf der anderen Seite die Leichtigkeit eines Wortes, das die Bewährung seiner Gültigkeit nur in der Verheißung finden kann, die es der Welt und ihrer Selbstsicherheit entgegensetzt. In diesen ungleichgewichtigen Gegensatz ist der Glaube hineingezogen, aberund das ist das Erstaunliche: Gottauch.Gott bleibt von diesem prekären Konflikt nicht verschont. Er muss in ihn eintreten, er ist schon in ihn eingetreten. So setzt er sich der Frage des Glaubens aus, in dem Maß, in dem diese sich auf ihn selber richtet.

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diese Merkwürdigkeit hinein. Was bedeutet sie genau besehen? In dem Drei- ecksverhältnis von Gott, Jesus und Welt muss etwas passiert sein, etwas, was macht, dass die Frage des Glaubens sich nicht nur stellt als Frage an unsere Einstellung (Glaubenseinstellung), an unsere Frommheit, an unsere Subjektivität, sondern –sich stellt an Gott, sich stellt zwischen Gott und Gott. ‚Es muss etwas passiert sein‘, habe ich gesagt.Was ist dies‚etwas‘? Der Tod des Messias am Kreuz.

Wie der Name„Messias“bereits sagt, ist Gott davon betroffen, ist Gott impliziert.

Jesus, von Gott gesandt, seinen Willen zu offenbaren, hat das unmittelbar be- vorstehende Kommen des Reiches Gottes angekündigt. Er hat seine Existenz dieser Verkündigung geweiht. Nicht nur in dem Sinn, dass er sich ohne Vorbehalt in diese Aufgabe hineinbegab, sondern auch in dem Sinn, dass er sein Wort an das Wort Gottes band, an das Wort der Verheißung Gottes. Aber Gott seinerseits (das ist das Wissen, die Hoffnung des christlichen Glaubens) hat sich auch–gebunden, er hat sein Wort, das Wort seiner Selbstoffenbarung unüberbietbar eng an die Existenz und an das Wort Jesu gebunden.–Und nunder Tod Jesu am Kreuz!Wird Gott also fortfahren, sein Wort an das Wort und an die Existenz Jesu zu binden?

Wird er fortfahren, an das Wort zu glauben, das er in ihm (in Jesus) gegeben hat?

Das ist die Frage, die entscheidende Frage, der sich die messianische Erwartung konfrontiert sieht, oder genauer, in die sich die messianische Erwartung hinein- geführt sieht: In dem Raum, der sich in Gott selber auftut, wird der christliche Glaube – indem er voraussetzt, dass Gott noch an sein Wort glaubt – an das glauben, was Gott glaubt?

7 Schluß

Im dritten und vierten Abschnitt haben wir von der jüdischen Messiaserwartung gesprochen.Wir haben gesehen, wie das Gebot Gottes, das Anspruch auf sein Volk nimmt (und das im Anspruch auf das Volk Anspruch auf die Menschheit nimmt), der gegenwärtigen Zeit eine Zukunft eröffnet, welche diese Gegenwart sich nicht selber eröffnen oder erfinden hätte können. Die Zukunft Gottes tritt ein in die Gegenwart des Menschen, in dem sie dieser ihre Zukunft übergibt. Über die im göttlichen Gebot sich offenbarende messianische Forderung, die zugleich die messianische Verheißung ist, verbindet sich die Zukunft Gottes mit der Gegenwart der Welt, damit diese Welt wird,was sie nie war. So verschränken sich Zukunft und Gegenwart miteinander, ohne dass ihr jeweiliger spezifischer Charakter sich

�� Das ist der Zusammenhang, den Hermann Cohen in den Kapiteln XIII und XIV seines Werks Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentumsaufzeigt.

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auflöst; im Gegenteil so, dass dieGegenwartder Welt und des Menschen wirklich Gegenwart wird dank derZukunftGottes, und umgekehrt dieZukunftGottes ihre Realität gewinnt in der unüberbietbargegenwärtigen Herausforderung des Men- schen, der Gottes Willen zuseinemmacht.

Es ist klar, dass in einer jüdischen Perspektive, die Verinnerlichung die der christliche Glaube an der messianischen Erwartung vornimmt (oder vorzunehmen scheint), als Verlust erscheinen muss, und zwar als Verlust sowohl an Realität der Gegenwart als auch an Potentialität der Zukunft. Ebenso ist es verständlich, dass in dieser Perspektive ein Glaube, der einen schon gekommenen Messias postuliert, als eine voreilige Extrapolation erscheinen muss, die nicht nur den Ernst der Zukunft Gottes einschränken, sondern die auch den Realismus und die Energieder Hoffnung in Frage stellen muss, die sich auf diese Zukunft beziehen.

Wenn also in der erzählten Anekdote der jüdische Fromme sein christliches Gegenüber veranlasst, den Blick aus dem Fenster zu werfen, um zu verifizieren, ob der Messias schon da war, dann ist die Einstellung, die dem zugrunde liegt, nicht die einer unvoreingenommenen Nüchternheit, die den bedauernswerten Zustand der Welt, wie sie ist, erkennt, sondern die einer rückhaltlosen Inanspruchnahme, die sich von der Verheißung betroffen weiß, die Gott für die Welt verwirklicht sehen will. Was sieht der so in Anspruch Genommene also, wenn er auf die Welt schaut?

Nur das,was sie ist? Nein,vielmehr das,was in ihr verwandelt werden muss, damit sie ihrer göttlichen Vision entspricht.

Ich habe versucht zu zeigen, dass der christliche‚Messianismus‘im Vergleich zum jüdischen ein anderes ‚Modell‘ darstellt, d. h. dass die Kategorien seiner Ausformung, seiner Ausprägung sich anders organisieren, und zwar so, dass die Idee der ‚Verinnerlichung‘ nicht ausreichend ist, um diese Verlagerung zu be- greifen. Es geht im Entscheidenden um etwas anderes: die so starke und so enge Verschränkung, die in der jüdischen Messiashoffnung zwischen Gegenwart und Zukunft besteht, entflicht sich: die beiden Pole lösen sich voneinander, um sich anders wieder zu begegnen. So bedeutet das schon realisierte Kommen des Messias nach christlichem Glauben nicht einen Mangel an Realismus (und einen Mangel an Hoffnungsenergie, der damit einhergehen würde), sondern das defi- nitive Eintreten Gottes in die Welt, eben jenes Gottes, der (was auch immer in der Welt geschehen möge) sich nicht mehr aus seiner eigenen Geschichte mit der Menschheit zurückziehen kann. Mit diesem schon in die Welt gekommenen Gott beginnt die christliche Hoffnung, und sie weiß sich auf eine Zukunft geworfen, die

�� Es trifft zu, aber es trifft nur teilweise zu. Es deckt nicht das Gesamte und es deckt nicht das Entscheidende der christlichen Hoffnung ab.

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Gott ihr geben wird, und Gott allein ihr geben kann. (Ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen kann, es sei denn durch seinen Glauben daran.)

Man kann sich nun freilich fragen, warum denn diese Entflechtung? Denn alles war doch in der jüdischen Messiaserwartung schon da: die gegenwärtige Zeit, die Transzendenz der Zukunft im Verhältnis zu dieser gegenwärtigen Zeit, und die Bedeutung der einen für die andere.Warum also? Die Frage weist auf den Ort hin, an dem die christliche Hoffnung lokalisiert ist, und weist auf die‚Qualität der Zeit‘, die mit ihr und für sie auf die Welt kommt. Diese Qualität der Zeit, ist durch ein doppeltes Kommen Christi ausgezeichnet, ja definiert.Warum aber hat erzweimal kommen ‚müssen‘? Aus zwei Gründen: (1) damit die menschliche Hoffnung auf Gott nicht mit sich selber beginnt (auf beiden Seiten hat es etwas anderes als eine menschliche Disposition: auf der einen Seite das Kommen Christi, das– so die christliche Hoffnung–schon stattfand, auf der anderen Seite das Kommen Christi, das – so wiederum die christliche Hoffnung – bald stattfinden wird). Das christliche Hoffen gründet sich also außerhalb seiner,„totaliter extrinseco“, wie Thomas von Aquin sagt. Es gibt jedoch noch einen anderen Grund für dies zweifache Kommen: (2) die Verheißung Gottes für den Menschen will den Tod nicht aus sich ausschließen. Sie will–und alsomuss–den Tod miteinbeziehen.

Dieser Tod ist der unüberspringbare Bezugspunkt der christlichen Hoffnung: Wird die Zukunft Gottes Gültigkeit behalten angesichts seiner? – Um nichts anderes willen, als um diese Dimension anzuzeigen, spricht das Neue Testament von ei- nem zweiten Kommen Jesu.

Die grundsätzlichste Frage, die sich in Bezug auf das zweite bzw. zweifache Kommen des Messias stellt, ist also nicht die„Was sollen wir nun tun bis er wieder kommt?“; noch auch die„Wie lange wird es noch dauern?“, sondern die:„Wird Gott‚durchhalten‘?,wird Gott sein Wort halten? wird er sich bei seinem Wort halten –oder wird er sich von ihm loslösen?“

Dass er es halten wird, dass er sich bei seinem Wort halten wird, das hofft die christliche Hoffnung. In diesem Sinne hofft sieGottselbst.

�� STh I/II, q. 63, a. 1. Thomas spricht hier von den„theologischen Tugenden“. Man kann sich allerdings fragen, ob er in der Ausarbeitung seiner Konzeption der Hoffnung (STh II/II q. 17 und 18) dieser Prämisse treu bleibt.

�� Was eine ernste, eine nicht zu umgehende Frage ist, denn sie entfaltet vor uns die Zeit der alltäglichen Existenz des Christen.

�� Was eine nicht weniger ernsthafte Frage ist, denn sie bringt zum Ausdruck die Ungeduld, die zum christlichen Glauben untrennbar gehört.

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