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Der praktische Fall - Rechtsvergleichung: Ein Spiel, das ins Auge ging (Übungsfall zur Rechtsvergleichung)

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Der praktische Fall - Rechtsvergleichung: Ein Spiel, das ins Auge ging (Übungsfall zur Rechtsvergleichung)

KADNER GRAZIANO, Thomas

KADNER GRAZIANO, Thomas. Der praktische Fall - Rechtsvergleichung: Ein Spiel, das ins Auge ging (Übungsfall zur Rechtsvergleichung). Juristische Schulung (JuS) , 1999, p. 152-159

Available at:

http://archive-ouverte.unige.ch/unige:44580

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1 / 1

(2)

·die Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Ver- waltungsakts jedenfalls für diesen Rücknahmegrund 90.

m.

Schlußwort

Das Ansinnen der hier vorliegenden Darstellung war es, unter Anknüpfung an die zuvor bereits erfolgten Erläute- rungen zur Fehlerhaftigkeit von Verwaltungsakten eine für die studentische Fallbearbeitung und das Problemver- ständnis hilfreiche Gesamtübersicht über die Vorausset- zungen und die Folgen dieser Fehlerhaftigkeit zu entwer- fen. Nicht eingegangen wurde aus Gründen der Über- sichtlichkeit wie auch der Kompaktheit der Darstellung auf besondere Probleme wie die Teilnichtigkeit (§ 44 IV VwVfG) und die Teilrechtswidrigkeit von Verwaltungsak- ten. Hierzu muß auf die vertiefenden Ausführungen der einschlägigen Literatur verwiesen werden 91. Die N eurege- lungen in VwVfG und VwGO wurden an den Stellen ihrer systematischen Zugehörigkeit eingeführt und kurz erläu- tert92.

Auf ein „Prüfschema" für die Fallbearbeitung muß an dieser Stelle verzichtet werden. Ob sich ein solches für den Bereich der Fehlerfolgen in sinnvoller Weise darstellen ließe, ist eher zweifel- haft. In der Abhandlung zu den Fehlervoraussetzungen wurde bereits darauf hingewiesen, daß ein und dieselbe hoheitliche Maßnahme auch gegen mehrere Normen zugleich verstoßen kann93Unter welchen Aspekten dem konkreten Verwaltungsakt das Prädikat „rechtswidrig" zukommt, läßt sich zur Vereinfa- chung und Vollständigkeit der Prüfung ohne weiteres in einem systematischen Schema aufzeigen. Die sich an die einzelnen Rechtsfehler anschließenden Folgen können jedoch sehr ver- schieden sein94 und stehen sich u. U. sogar diametral gegenüber, so z.B. das in unterschiedlichen Verfahrensarten vortragbare Aufhebungsbegehren des Betroffenen einerseits und die §§ 45- 47 VwVfG als den Verwaltungsakt erhaltende Gegenrechte der Behörde andererseits. Er erscheint daher ratsam, alle identifizier- ten Rechtsfehler je nach Prüfungsaufgabe und Verfahrensart vor dem Hintergrund obiger Rechtsfolgenbetrachtung in einer Ge- samtschau zu würdigen.

90) Ule!Laubinger (o. Fußn. 4), § 62 Rdnr. 38; zu der zusätzlichen Mög- lichkeit der „Verwirkung" des Rücknahmerechts durch die Behörde vgl.

Klappstein, in: Knack (o. Fußn. 9), § 48 Rdnr. 5.3.2 m. w. Nachw. Sämtli- che Aufhebungs- und Änderungsmöglichkeiten für Steuerbescheide und diesen gleichgestellte Verwaltungsakte werden dagegen im Steuerrecht nach Ablauf der Festsetzungsfrist (§§ 169-171 AO) durch§ 169 I 1 AO versagt.

91) Z.B. Stober,JA 1979, 416f.; Wolff/Bachof/Stober (o. Fußn. 7), § 49 Rdnr. 69; Erichsen, in: ders. (o. Fußn. 9), § 15 Rdnrn. 29 ff. Zu der sich hieran anschließenden Problematik der „isolierten" oder Teilanfechtung von Verwaltungsakten s. Schenke, JuS 1983, 182ff.; Stelkens, NVwZ 1985, 469ff.; Erichsen, Jura 1990, 214ff.; Kopp, VwGO, 10.Aufl.

(1994), § 42 Rdnrn. 17ff., § 113 Rdnrn. 13ff.

92) Zu den voraussichtlichen Anpassungen der Landes-VwVfG sowie der AO und des SGB X an die Änderungen des VwVfG vgl. Schmitz!Wes- sendorf, NVwZ 1996, 955 (961); Baumeister, NVwZ 1997, 19.

93) Schnapp!Henkenötter, ]uS 1998, 624 (626) (unter III 5 a).

94) S. hierzu noch einmal die „Bandbreite" o. unter I 2.

Wiss. Assistent Dr. Thomas Kadner, LL. M. (Harvard), Berlin

Der praktische Fall - Rechtsvergleichung:

Ein Spiel, das ins Auge ging

'~

Rechtsvergleichender Unterricht hat zum Zweck, durch den Ver- gleich unterschiedlicher Rechtsordnungen Verständnis für juristi- sche Probleme und ihre Lösungen zu wecken und Anregungen zu einer offeneren, vielleicht auch ganz andersartigen Herangehens- weise an bestimmte Fragestellungen zu geben. Angesichts der Fül- le des in- und ausländischen Stoffes kann und soll in der Rechts-

vergleichung kein flächendeckendes .Wissens über ausländisches Recht vermittelt werden. Stattdessen wird exemplarisch gelehrt und gelernt. Die Kenntnisse der Studierenden über ausländische Rechtsordnungen beschränken sich daher regelmäßig auf einzelne Gebiete oder Probleme und deren rechtliche Behandlung; Aus dem exemplarischen Charakter rechtsvergleichenden Lernens wurde gelegentlich der Schluß gezogen, sinnvolle Klausuren, bei denen nicht nur der gelehrte Stoff abgefragt, sondern eigenständig mit ihm gearbeitet wird, seien in der Rechtsvergleichung kaum oder gar nicht möglich 1.

Vorbemerkung

Die folgende Aufgabe gibt ein Beispiel dafür, wie in der Klausur mit der speziellen Situation umgegangen werden kann, in der sich die Rechtsvergleichung befindet2Die Aufgabenstellung simuliert eine Situation aus der prakti- schen rechtsvergleichenden Arbeit. Es geht um die Einord- nung eines Urteils der französischen Cour des Cassation auf dem Gebiet der Produkthaftung und den Vergleich mit der Rechtslage in Deutschland. Auf diese Weise soll eine Entscheidungsanmerkung für eine rechtsvergleichende Zeitschrift vorbereitet werden. Die Aufgabe verlangt von den Bearbeitern wenig abrufbares Wissen. Vorkenntnisse sind nur bezüglich allgemeiner Fragen des französischen Zivilrechts erforderlich. Spezielle Kenntnisse des französi- schen Produkthaftungsrechts werden nicht vorausgesetzt.

Literatur, die bei der praktischen rechtsvergleichenden Ar- beit als Einstieg benutzt würde, wird den Bearbeitern der Klausur in den relevanten Auszügen gegeben 3Die Bear- beiter müssen vor allem in der Lage sein, sich auf eine unbe- kannte ausländische Rechtslage einzustellen und Informa- tionen zum ausländischen Recht, die sie in der. Literatur finden, auf einen konkreten Sachverhalt anzuwenden.

'' Die folgende Aufgabe wurde vom Verfasser im Sommerseme- ster 1997 im Rahmen einer Veranstaltung zur Rechtsvergleichung an der Humboldt-Universität zu Berlin als Übungsklausur gestellt.

Sie besitzt den Schwierigkeitsgrad einer Examensklausur. Der Au- tor ist Wiss. Assistent am Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung (Profes- sor Dr. A. Flessner).

Erläuterungen

1. So sogar Zweigert!Puttfarken, ZvglRWiss 75 (1976), 125 (137): „Eine spezifisch rechtsvergleichende Klausur ist aber aus naheliegenden Sachgründen kaum vorstellbar. Damit beschränkt sich der Examensnutzen der Rechtsvergleichun.g auf die mündli- che Prüfung, ist also erheblich eingeschränkt." Ahnlich im Ergeb- nis auch v. Bar, in: Conflict and Integration: Comparative Law in the World Today, Chuo University Press/Japan, 1988, S. 507 ff. Er bezeichnet das „Prüfen" als „immer noch größte Schwierigkeit, mit der die Rechtsvergleichung als Lehr- und Prüfungsfach in der Bundesrepublik zu kämpfen hat" (S. 507f., ähnlich S. 517). In der Praxis schieden „Klausurleistungen aus dem Bereich der Rechtsvergleichung[ ... ] weitgehend aus" (S. 518). S. ferner Neu- mayer, in: Festschr. f. Zweigert,1981, S. 505ff., 507: „An den deutschen Universitäten wird kein Lehrgebiet durch eine so große Divergenz in den Methoden des Unterrichts und der Auswahl des Vortragsstoffes verunsichert wie die Rechtsvergleichung. Diese Unsicherheit zieht erhebliche Schwierigkeiten bei den der Bestim- mung der Universitäten entzogenen Staatsprüfung nach sich."

2. S. für weitere Beispiele rechtsvergleichender Klausuren Coe- ster-Waltjen/Mäsch, Übungen in Int. PrivatR und Rechtsverglei- chung, 1996, Fall 13 und 14; Koch/Magnus/Wink/er von Mohren- fels, IPR und Rechtsvergleichung, 2. Aufl. (1996); Flessner!Kad- ner, Jura 1996, 538 ff. Für das Gegenmodell, das sich auf die tiefe Vermittlung der Kenntnis eines ausländischen Rechts im Vergleich mit dem deutschen Recht konzentriert, siehe die Klausur von Kaehne, Jura 1993, 495 ff.

3. In diesem Fall stammen sie aus dem Werk von Ferid!Sonnen- berger, Das franz. Zivi!R II, 2. Aufl. (1986). -(Die Fundstellen der Zitate lauten: Rdnrn. 2 G 604, 621f., 654f., 2 0 38, 101-103, 309, 321, 323).

(3)

Kadner: Der praktische Fall - Rechtsvergleichung: Ein Spiel, das ins Auge ging JuS 1999, Heft 2 153 Wichtig ist daher vor allem das Beherrschen der rechtsver-

gleichenden Methode.

Sachverhalt4

Die vierjährige Nelly Morice (N) besucht in der Nähe von Paris ei- nen privaten Kindergarten. Sie spielt dort mit einem Gymnastikrei- fen aus Kunststoff, den der Kindergarten für Bewegungsübungen angeschafft hat. Der Reifen bricht bei dem Spiel, wodurch NVerlet- zungen eines Auges erleidet. Sie muß ärztlich behandelt werden, was mit erheblichen Kosten verbunden ist. Zu dem Zeitpunkt des Unfalles stehen die Kinder unter der vorschriftsmäßigen Aufsicht ihrer Erzieherinnen. Der Bruch des Gymnastikreifens beruht auf ei- nem versteckten Konstruktionsfehler. Der Kindergarten hat den Reifen bei der Societe Lafoly & de Lamarzelle (L) gekauft. Diese wiederum hat ihn von der Zwischenhändlerin Societe Colin &

Bourrelier ( C) erworben. Herstellerin des Reifens ist die Societe Omniplast (0). Nellys Eltern machen für ihr Kind Ersatz der Be- handlungskosten geltend. Da sich die Verkäuferin L und die Her- stellerin 0 des Reifens in erheblichen wirtschaftlichen Schwierig- keiten befinden, möchten die Eltern wissen, ob eine Schi!denser- satzklage Nellys gegen die Zwischenhändlerin C, der es wirtschaft- lich sehr gut geht, nach französischem Recht Aussicht auf Erfolg hätte.

I. Die französische Cour de Cassationhat diesen Fall kürzlich ent- schieden. Das Urteil der Cour de Cassation soll in einer rechtsver- gleichenden Fachzeitschrift vorgestellt und besprochen werden. Sie werden darum gebeten, diese Besprechung vorzubereiten 5. Da Ih- nen die französische Rechtslage in diesem Bereich nicht geläufig ist, müssen Sie sich erst einlesen. Um die Bedeutung des Urteils der Cour de Cassation richtig einschätzen zu können, möchten Sie zunächst die Rechtslage ermitteln, wie sie vor Erlaß dieses Urteils bestand.

Sie beginnen mit dem Text des Codecivil sowie dem deutschspra- chigen Werk von Murad Ferid!Hans-Jürgen Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, Band 2: Die einzelnen Schuldverhältnisse.

Sie haben gehört, bei Sachmängeln gewähre das französische Ver- tragsrecht einem weiten Kreis von Personen Ersatzansprüche. Sie beginnen Ihre Suche daher im Gewährleistungsrecht und finden dort, wie im BGB, Vorschriften zur Haftung für Sach- und Rechts- mängel. Auf der Suche nach Schadensersatzanspruchen stoßen Sie auf folgende Vorschrift des Code Civil:

Art.1645: Kannte der Verkäufer den Mangel der Sache, ist er ge- genüber dem Käufer außer zur Rückerstattung des Kaufpreises zum Ersatz aller Schäden( ... ) verpflichtet.

Im Lehrbuch von Ferid!Sonnenberger finden Sie im Kapitel

„Die Rechtsfolgen der Sachmängel (Art.1644 ff.)" folgende In- formationen: „( ... ) Bei Bösgläubigkeit des Verkäufers hat der Käufer ( ... ) nach Art.1645 einen Anspruch auf Ersatz des ihm durch die Lieferung der mangelhaften Sache entstandenen Scha- dens. ( ... ) Die Schadensersatzpflicht umfaßt jeden Schaden, der dem Käufer aus der mangelhaften Sache entsteht. Dazu gehören Personen- und Sachschäden, die die mangelhafte Sache beim Käufer verursacht, ( ... ). Grundsätzlich muß der Käufer die Kenntnis des Verkäufers vom Mangel beweisen. Diese Grundre- gel ist aber praktisch zur Ausnahme geworden und betrifft nur noch Gelegenheitsverkäufer. Beim gewerblichen Verkäufer wird angenommen, daß er den Mangel kannte." Ihre weitere Lektüre ergibt, daß diese Vermutung im französischen Recht unwiderleg- lich ist.

Im Kapitel „Schadensersatzansprüche gegen Vormänner des Verkäufers" heißt es bei Ferid!Sonnenberger: „Der Durchgriff des Käufers gegen die Vormänner seines eigenen Verkäufers wurde als action directe ( ... ) zugelassen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß mit dem durch den Kauf übertragenen Eigentum auch die die- sem anhaftenden Garantien übergegangen sind. ( ... ) In den letz- ten Jahren wurde der Durchgriffsanspruch im Zusammenhang mit der Entwicklung des Verbraucherschutzes ganz allgemein im Kaufrecht zu einer Rechtsfigur von erheblicher Bedeutung. Die Möglichkeit des Durchgriffs auf die Vormänner des Verkäufers ist unbestritten, so daß man von einer festen richterrechtlichen Regel sprechen kann. Die dogmatische Begründung der action directe ist von Anfang an umstritten gewesen. ( ... )"

Im Abschnitt „Reichweite der Vertragshaftung" lesen Sie ebendort: „Schwierigkeiten bereiten vor allem die vertraglichen Nebenpflichten, besonders die von der Rechtsprechung in den Vertrag hineininterpretierte ( ... ) obligation de securite z.B. bei Beförderungsverträgen und sonstigen Verträgen, die für den Gläu- biger eine besondere Gefährdung mit sich bringen. Die obligation de securite läßt sich als vertragliche Sicherungspflicht bezeichnen,

die funktionell weitgehend der deutschen (deliktsrechtlich rele- vanten) Verkehrssicherungspflicht entspricht." Ein Verstoß gegen die obligation de securite löst im französischen Vertragsrecht ver- schuldensunabhängige Ersatzansprüche aus.

Als nächstes wenden Sie Ihren Blick auf das Recht der außerver- traglichen Haftung. Sie finden im Code civil unter anderem fol- gende Vorschriften:

„Art.1382: Jede Handlung, durch die einem anderen ein Scha- den zugefügt wird, verpflichtet denjenigen, auf dessen Fehlverhal- ten (französisch: faute) sie beruht, zum Ersatz des Schadens."

„Art.1384: Eine Verantwortlichkeit besteht nicht nur für eige- nes schadensursächliches Verhalten, sondern auch( ... ) für Schä- den, die durch Sachen hervorgerufen wurden, die sich im eigenen Verantwortungsbereich befinden."

Ferid!Sonnenberger schreiben zu Art.1382 des Code civil un- ter anderem: „Zum Schadensersatz verpflichtet ( ... ) jedes menschliche Verhalten, das auf faute beruht und einen Schaden herbeiführt ( ... ) Zentraler Gegenstand der Auseinandersetzung ist( ... ) die faute ( ... )",die den „einzigen Schutzwall gegen eine uferlose Ausweitung von Schadensersatzansprüchen darstellt ( ... )".Im Werk von Ferid!Sonnenberger heißt es weiter, die faute enthalte Elemente der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens, beides werde nicht immer ausdrücklich unterschieden. In der neueren französischsprachigen Literatur wird die faute bisweilen mit „Pflichtwidrigkeit", vorwerfbarem Verhalten oder ähnli- chem umschrieben.

Zu Art.1384 fü1den Sie bei Ferid!Sonnenberger die Informa- tion, daß die Norm seit einem berühmten Urteil der Cour de Cas- sation im Fall Jand'heur zunehmend als Grundlage einer reinen Gefährdungshaftung für Schäden durch Sachen verstanden wird.

Zu den Haftungsvoraussetzungen heißt es: „Der Schaden muß durch eine Sache entstanden sein, d. h. durch deren Einwirkung bzw. Verhalten und der in Anspruch Genommene muß ihr Halter sein.( ... ) Die Haftung des Sachhalters (gardien) setzt Obhut (gar- de) des in Anspruch Genommenen über die Sache voraus. ( ... ) Häufig fallen Obhut und Eigentum zusammen, und deshalb wird vermutet, daß der Eigentümer gardien ist. Die Vermutung ist wi- derlegbar."

In dem aktuellen Ergänzungsband des Werkes von Ferid!Son- nenberger6 erfahren Sie schließlich, daß die Europäische Produkt- haftungsrichtlinie in Frankreich noch immer nicht umgesetzt wur- de.

II. Die Entscheidung der französischen Cour de Cassation über diesen Fall erging im Januar 1995. Dem Urteil der Cour de Cassa- tion war eine Entscheidung der Cour d'Appel de Paris vom Januar 1993 vorausgegangen. Die Cour d'Appel hatte die beklagte C ge- mäß dem Antrag des Kindes zum Schadensersatz verurteilt. Dage- gen wandte sich die Kassationsbeschwerde der Beklagten. Im Re- visionsverfahren entschied die Cour de Cassation wie folgt (Aus- zug aus dem Urteil): „( ... ) Zum Rechtsmittel der Gesellschaft Ar- mand Colin & Bourrelier (C): - In der Erwägung, daß die C sich dagegen wendet, für den Schaden verantwortlich erklärt worden zu sein, den Nelly Morice durch einen Fabrikationsfehler des Rei- fens erlitten hat, obwohl die C bei der Vermarktung des Reifens Zwischenhändlerin war und die für den Vertrieb des Gerätes er- forderliche behördliche Genehmigung besaß, und, wie auch das Urteil der Cour d'Appel feststellt, nicht davon ausgegangen wer- den könne, daß die C eine Pflichtwidrigkeit begangen hat, indem sie den Reifen keiner eigenen technischen Prüfung unterzog, da der Mangel, der dem Reifen anhaftete, nicht erkennbar war( ... ) und die Verantwortlichkeit für ihn allein den Hersteller trifft, ( ... ) und das Urteil der Cour d'Appel nach der Revisionsbegründung der C daher aus seinen eigenen Feststellungen nicht die richtigen Erläuterungen

4. Aus dem Urteil der Cour de Cassation (1 re Chambre Civile) v. 17. 1. 1995 (SA Planet Wattohm cf CPAM du Morbihan), Recu- eil Dalloz Sirey (D.) 1995, Jurisprudence (Jur.) S. 350f. m. Anm.

v. Jourdain, S. 351 ff.= Gazette du Palais (Gaz. Pal.) 1995.2, pan- or. S. 138 =La Semaine Juridique (J. C.P.), Tableaux de Jurispru- dence 1995, No.702m. Anm. v. Viney, J. C.P. 1995.I.3853 =Re- vue generale des assurances terrestres (R. G.A. T.) 1995, S. 674m. Anm. v. Remy, S. 529ff. = ZEuP 1997, 847ff. m. Anm.

v. Kadner.

5. Für eine rechtsvergleichende Besprechung des Urteils, die un- ter anderem die in der Aufgabenstellung aufgeworfenen Fragen zum Gegenstand hat, s. Kadner, ZEuP 1997, 84 7 ff.

6. Ferid!Sonnenberger, Das franz. ZivilR IV/1, 2. Aufl. (1993).

S. auch Taschner, PHi 1997, 68 ff.

(4)

rechtlichen Schlüsse gezogen habe und die Entscheidung auf einer Verletzung des Art. 1382 C. C. beruhe.

In der Erwägung aber, daß der gewerbliche Zwischenhändler verpflichtet ist, die Produkte frei von jedem Mangel oder von Fa- brikationsfehlern zu liefern, die geeignet sind, eine Gefahr für Per- sonen oder Sachen zu schaffen; daß er dafür sowohl gegenüber Dritten als auch seinem Abnehmer verantwortlich ist; daß die Cour d'Appel, die verbindlich festgestellt hat, daß die Reifen auf- grund ihrer Beschaffenheit das Risiko eines Unfallschadens ge- schaffen hatten, allein mit dieser Überlegung ihre Entscheidung vollauf gerechtfertigt hat; woraus sich ergibt, daß das Rechtsmit- tel unbegründet ist. ( ... ) Aus diesem Grund: Abweisung der Kas- sations beschwerde."

1. Welche Entscheidung hätten Sie auf Grundlage der zitierten Vorschriften aus dem Code civil und der Textauszüge aus dem Werk von Ferid!Sonnenberger erwartet? Begründen Sie diese Lö- sung.

2. a) Zu welchem Ergebnis ist die Cour de Cassation gelangt?

Wie beurteilen Sie die Entscheidung der Cour de Cassation vor dem Hintergrund Ihrer Ergebnisse zu Frage 1? Wie ist die Ent- scheidung systematisch einzuordnen? Bringt die Entscheidung Neuerungen für das französische Recht?

b) Haben Sie eine Vorstellung, welchen Hintergrund der für den deutschen Leser ungewöhnliche Stil der Entscheidung der Cour de Cassation haben könnte?

3. Wie wäre der Fall nach deutschem Recht zu beurteilen?

4. Vergleichen Sie bitte die Rechtslage in Deutschland und Frankreich.

Lösung7 A. Frage 1

Im französischen Recht kommen sowohl vertragliche als auch deliktische Ansprüche der N gegen die C in Betracht.

Soweit die Vertragshaftung reicht, ist die Haftung aus De- likt nach französischem Verständnis in der Regel ausge- schlossen („non-cumul des responsabilites contractuelle et delictuelle"8). Es ist daher zu empfehlen, zunächst vertrag- liche Ansprüche des Kindes gegen die Zwischenhändlerin zu prüfen.

I. Vertraglicher Ersatzanspruch der N gegen die C aus Art. 1645 C. C.

N könnte wegen des Gesundheitsschadens, den sie beim Spid mit dem defekten Reifen erlitten hat, gegen die C ei- nen Ersatzanspruch aus Art. 1645 C. C. haben. Art. 1645 C. C. sieht gegen den Verkäufer eines mangelhaften Pro- duktes einen Schadensersatzanspruch vor. Nach ihrem Wortlaut setzt die Norm voraus, daß der Verkäufer den Mangel kannte. Da C eine solche Kenntnis des versteckten Fehlers des Reifens nicht besaß, könnte ein Anspruch aus Art.1645 C. C. schon daran scheitern. Aus der Literatur er- gibt sich jedoch, daß eine tatsächliche Kenntnis nur noch beim Gelegenheitsverkäufer verlangt wird. Beim gewerbli- chen Verkäufer wird dagegen unwiderleglich9 vermutet, daß er den Mangel kannte. Daß die gewerbliche Zwischen- händlerin C von dem „ versteckten" Mangel des Reifens keine Kenntnis hatte, steht einem Anspruch der N aus Art.1645 C. C. daher noch nicht entgegen.

Die nächste Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß sich das Ersatzbegehren nicht gegen die letzte Verkäuferin L, sondern gegen die Zwischenhändlerin C richtet. Hier hilft die französische Rechtsprechung mit der action directe weiter. Danach stehen dem Käufer gegen die Vorderleute des Verkäufers dieselben auf Schadensersatz gerichteten Gewährleistungsansprüche zu wie gegen den Verkäufer selbst (s. das Zitat aus dem Werk von Ferid!Sonnenberger).

Eine direkte vertragliche Beziehung zwischen N und C ist für den Anspruch aus Art. 1645 C. C. daher nicht erforder- lich. Der kaufrechtliche Schadensersatzanspruch kann im französischen Recht über die action directe also durchaus auch gegen die Zwischenhändlerin C, zu der keine direkte Vertragsbeziehung besteht, gegeben sein 10

Die zentrale Schwierigkeit besteht somit darin, daß der Schaden nicht bei der Endabnehmerin eingetreten ist (dies war die Kindertagesstätte), sondern bei dem Kind N, das im Kindergarten spielte. N war nicht Käuferin und stand selbst in keinerlei kaufvertraglicher Beziehung zu den Mit- gliedern der Absatzkette. Die Erleichterungen, die das fran- zösische Kaufrecht hinsichtlich der Kenntnis des Mangels gewährt, und auch die action directe helfen der N daher - jedenfalls nach der bisherigen Rechtslage - nicht weiter. Sie war nicht Mitglied der Kette von Kaufverträgen und hat daher keinen eigenen kaufvertraglichen Schadensersatzan- spruch wegen des Sachmangels.

Die N könnte gegen die C jedoch einen Ersatzanspruch wegen Verletzung einer „obligation des securite" haben.

Ein Verstoß gegen diese Pflicht löst im französischen Recht verschuldensunabhängige Ersatzansprüche aus 11. Auch die Haftung wegen eines Verstoßes gegen die „obligation de securite" war jedoch zumindest bislang Vertragshaftung und setzt als solche eine vertragliche Beziehung zwischen

Erläuterungen

7. Wie in der Einführung erwähnt, setzt die Aufgabe keine be- sonderen Kenntnisse des französischen Haftungsrechts, sondern vor allem methodische Fähigkeiten voraus. In den Einzelheiten, insbesondere was den Umgang mit der knapp begründeten Ent- scheidung der Cour de Cassation betrifft, ist die Aufgabe an- spruchsvoll. Ihre Lösung erfordert vor allem einen sehr sorgfälti- gen Umgang mit den Vorschriften des Codecivil und den Angaben zum Rechtszustand in Frankreich. überdurchschnittliche Arbei- ten sollten sich hier durch ein präzises Vorgehen auszeichnen.

8. S. stellvertretend Viney, in: Ghestin/Viney, Traite de Droit Civil, Les obligations, La responsabilite: conditions, Paris 1982, No.216 ff.; Starck/Roland!Boyer, Obligations, 2. Contrat, 4. Aufl. (Paris 1993), No. 1828 ff.; s. dazu rechtsvergleichend be- reits Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haf- tung, 1972. Die Bearbeiter haben hier eiHe erste Gelegenheit, Vor- kenntnisse zum französischen Recht zu zeigen. Solche Vorkennt- nisse sind jedoch auch an dieser Stelle nicht erforderlich. Auch die- jenigen Bearbeiter, die sie nicht besitzen, werden vertragliche vor deliktischen Ansprüchen prüfen.

9. Cour de Cassation, Chambre civile (Cass. civ.), 30. 1. 1967, J.C.P. 1967 II 15 025. Anders die Rechtslage in Belgien, wo es dem Verkäufer gestattet wird, die Vermutung zu widerlegen, Urteile der belgischen Cour de Cassation v. 6. 5. 1977, Pasicrisie Beige - Recueil general de la jurisprudence des Cours et Tribunaux et du Conseil d'Etat (Pas.) 1977 I 907; 4. 5. 1961, Pas. 1962 I 152;

13. 11. 1959, Pas. 1960 I 313.

10. Motiv für die Zulassung der action directe durch die fran- zösische Rechtsprechung waren Erwägungen des Schutzes des Endabnehmers, dem die Durchsetzung seiner Rechte erleichtert und dem wohl auch das Risiko der Insolvenz seines Verkäufers ab- genommen werden sollte. Hinzu kam die praktische Erwägung, daß mit dem Durchgriff ein Aufrollen der Absatzkette überflüssig wird. S. zur action directe und den Motiven für ihre Zulassung et- wa Viney, in: Melanges dedies

a

Dominique Holleaux, Paris 1990, S. 402; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. (1996), S. 682; Hager, AcP 184 (1984), 429; Wesch, Die Produzentenhaftung im internationalen Rechtsvergleich, 1994, S. 211. Einige Fälle der action directe sind gesetzlich geregelt. Der wichtigste ist der unmittelbare Anspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer, der als Vorbild für § 3 des deutschen Pflichtversicherungsgesetzes diente, vgl. nur Hübner!Constanti- nesco, Einführung in das franz. Recht, 3. Aufl. (1994), S. 165. Zu den Gründen für den Übergang von der ursprünglich deliktischen zu einer vertraglichen Begründung der Haftung der vorgelagerten Glieder der Absatzkette, insbesondere des Produzenten, wieder- um Viney, in: Ghestin/Viney (o. Erl. 8), S. 407 f. m. w. Nachw.

11. S. den Hinweis aus dem Werk von Ferid/Sonnenberger; aus- führlicher zur obligation de securite Starck!Roland/Boyer (o. Erl.

8), No. 1061 ff.; s. auchfourdain, D.1995, Jur., S. 351 (352 f.) m.

Nachw. der neueren Rechtsprechung. Diese Lösung erlaubte es, in Fällen der Verletzung besonders schützenswerter Interessen ver- schuldensunabhängige Ersatzansprüche unabhängig von der kur- zen Verjährungsfrist des Gewährleistungsrechts (dem bref delai"

des Art.1648 des Codecivil) zuzusprechen.

(5)

Kadner: Der praktische Fall - Rechtsvergleichung: Ein Spiel, das ins Auge ging JuS 1999, Heft 2 155 den Parteien voraus 12Hieran fehlte es zwischen N und C,

so daß C der N nach der bisherigen Rechtslage auch nicht wegen eines Verstoßes gegen eine vertragliche „obligation de securite" haftet.

Zu einem anderen Ergebnis würde man eventuell gelan- gen, wenn man annähme, der Vertrag zwischen der Schule und dem Verkäufer entfalte auch Schutzwirkung für die Kinder, die mit dem Gymnastikreifen spielten. Ob ein sol- cher Vertrag mit Schutzwirkung neben der Konstruktion der action directe im französischen Recht denkbar ist, ist aus der Textstelle aus dem Werk von Ferid!Sonnenberger nicht ersichtlich. Im deutschen (und auch im österreichi- schen) Recht wurde das Institut des „ Vertrages mit Schutz- wirkung" geschaffen, um besonderen Defiziten abzuhel- fen, die gerade in diesen Rechten in manchen Bereichen be- standen 13Es kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, daß vergleichbare Defizite auch im französischen Recht existierten und man sich zu ihrer Abhilfe auch dort gerade eines Vertrages mit Schutzwirkung bediente. Es spricht vielmehr einiges gegen die Annahme, daß im französischen Recht ein solches Institut eingeführt wurde. Im französi- schen Recht besteht eine strenge kaufvertragliche Haftung, deren Voraussetzungen bei Ansprüchen gegen gewerbliche Verkäufer von der Rechtsprechung zusätzlich gesenkt wur- den; es wurde die „ obligation de securite geschaffen"' die zu verschuldensunabhängigen vertraglichen Ansprüchen führt (die zudem von den kaufrechtlichen Gewährlei- stungsfristen unabhängig sind); diese Ansprüche wurden über die action directe auf einen weiten Kreis von Berech- tigten ausgedehnt; des weiteren existiert eine weite delikti- sche Haftung mit einer Generalklausel, mit der sich so mancher Fall erfassen läßt, in dem etwa im deutschen Recht deliktische Ansprüche ausscheiden. Schließlich wur- de der Vertrag mit Schutzwirkung im deutschen Rechts- kreis entwickelt. Daß dieses Institut auch ins französische Recht, das heißt in einen anderen Rechtskreis übernom- men wurde, kann nicht ohne weiteres unterstellt werden 14

Vor einer solchen Annahme wären auf jeden Fall weitere Recherchen zum französischen Recht vorzunehmen 15

Wie sich aus den Angaben im Lehrbuch von Ferid!Son- nenberger ergibt, reicht die vertragliche Haftung im fran- zösischen Recht damit zwar sehr weit. Dennoch läßt sich ein vertraglicher Anspruch der N gegen die C auf Grundla- ge des gegebenen Materials kaum begründen.

Il. Deliktischer Ersatzanspruch der N gegen C 1. Art. 1382

c. c.

N könnte gegen die C aber einen Anspruch aus Art. 1382 C. C. auf Ersatz ihres Schadens haben. C war als Zwischen- händlerin daran beteiligt, den fehlerhaften Gymnastikrei- fen, durch den die N den Schaden erlitt, in Verkehr zu brin- gen. Art.13 82 C. C. setzt auf Seiten des in Anspruch Genom- menen jedoch eine „faute" voraus. Auch wenn hier im ein- zelnen vieles offen ist, braucht man grundsätzlich doch zu- mindest eine objektive Pflichtwidrigkeit oder ein Verschul- dens desjenigen, gegen den sich der Anspruch richtet (s. die Angaben zu Art. 1382 C. C. bei Ferid!Sonnenberger).

Ob eine Pflichtverletzung oder ein Verschulden der C vorliegt, ist sehr zweifelhaft. Es kommt allein die Verlet- zung einer Pflicht in Betracht, alle weiterverkauften Sachen auf (auch: versteckte) Mängel hin zu untersuchen. Eine Zwischenhändlerin wird in der Regel aber kaum über die technischen Möglichkeiten verfügen, ihr gesamtes Sorti- ment auf solche versteckten Mängel hin zu überprüfen. Zu- dem wäre eine solche Überprüfung oft mit derart hohen Kosten verbunden, daß für die Händlerin der Vertrieb wahrscheinlich eines Großteil ihres Sortiments wirtschaft-

lieh nicht mehr lohnend wäre. Nimmt man das Erfordernis der faute ernst, scheidet eine Haftung der C gegenüber N aus Art. 1382 C. C. daher aus.

Man könnte allerdings erwägen, das Erfordernis der

„faute" für Ansprüche geschädigter Dritter gegen den Zwi- schenhändler aufzugeben und die Händlerinverschuldens- unabhängig für Schäden durch fehlerhafte Produkte haften zu lassen, an deren Absatz sie beteiligt war. Hierfür könnte man anführen, daß die Händler wie der Hersteller aktiv an der Vermarktung des fehlerhaften Produktes teilnehmen und die Kosten letztlich von der Hersteller-/ Vertriebsseite getragen werden sollten, da Hersteller und Händler - an- ders als der Nutzer oder dritte Geschädigte - in der Lage sind, Schäden, die von dem Produkt verursacht werden, in den Produktpreis eingehen zu lassen. Die französische Rechtsprechung hat diesen Schritt bislang allerdings allein bei Ansprüchen gegen den Produzenten vollzogen 16, nicht aber für Ansprüche gegen weitere Personen in der Absatz- kette 17

2. Art. 1384 C. C.

Die deliktische Haftung der C gegenüber der N aus Art.1384 C. C. setzt voraus, daß sich der Reifen zum Zeit- punkt der Schädigung noch in der Obhut der C befand.

Wie sich aus dem Zitat aus dem Werk von Ferid/Sonnen- berger ergibt, gilt im Zweifel der Eigentümer als Sachhalter und Inhaber der Obhut. Der Reifen befand sich zum Zeit- punkt der Schädigung der N nicht in Eigentum und Obhut der C, sondern in derjenigen der Kindertagesstätte. C war nicht mehr Sachhalterin im Sinne des Art. 1384 C. C., ein Anspruch gegen sie aus diese Norm scheidet daher aus.

Erläuterungen

12. S. zum vertragsrechtlichen Charakter dieser Pflicht Remy, R. G.A. T. 1995, 529ff.; Viney, J. C.P. 1995.1.3853 oder Wesch (o. Erl. 10), S. 208 f.; der ursprüngliche Anwendungsbereich wa- ren Transportverträge.

13. Hauptproblem war die unbefriedigende und nirgendwo sonst in Europa geltende Regelung der Deliktshaftung für Hilfper- sonen des deutschen und des österreichischen Rechts, Kötz, Eu- rop. VertragsR I, 1996, S. 383 („diese Rechtsprechung verdient deshalb auf europäischer Ebene nur als Kuriosität Beachtung".).

14. Tatsächlich werden die Probleme, zu deren Bewältigung der Vertrag mit Schutzwirkung im deutschen und österreichischen Recht eingeführt wurde, in den meisten anderen Rechtsordnun- gen über das Deliktsrecht gelöst, s. zur Rechtslage in Europa Kötz, (o. Erl. 13), S. 381ff.

15. Wenn Bearbeiter hier bis zu Überlegungen zum Vertrag mit Schutzwirkung gelangen, ist dies als sehr positiv zu bewerten. Sehr gut ist es, wenn sie aus den genannten Gründen Zurückhaltung bei der Annahme üben, es gebe etwas Entsprechendes im französi- schen Recht. Wer den Vertrag mit Schutzwirkung in diesem Zu- sammenhang erörtert, kann durchaus auch angeben, daß insoweit weitere Lektüre zum französischen Recht erforderlich ist. Der Fachterminus, unter dem in französischen Publikationen gesucht werden müßte, der von den Bearbeitern aber nicht erwartet wer- den kann, lautet „stipulation pour autrui", s. dazu etwa Ghestin/

]amin!Billiau, Traite de Droit Civil, Les effets du contrat, Paris 1995, No.601 ff. und v.a. 739 zur Abgrenzung von action directe und stipulation pour autrui, s. dort auch zur stipulation pour au- trui tacite und dazu, daß bei der Annahme einer stipula:tion pour autrui tacite im französischen Recht große Zurückhaltung gebo- ten ist.

16. So sieht die französische Rechtsprechung in Produkthaf- tungsfällen bei Ersatzansprüchen gegen den Produzenten eine

„faute" schon im Inverkehrbringen eines fehlerhaften (und ge- fährlichen) Produktes und verwehrt dem Produzenten den Nach- weis fehlenden Verschuldens, Viney, in: Ghestin/Viney (o. Erl. 8), S. 255 f.; Chabas, in: Mazeaud!Chabas, Le <;ons de Droit Civil, Tome II, Premier Volume, 8. Aufl. (1991), S. 631 f. m. Nachw.

17. Chabas, in: Mazeaud!Chabas (o. Erl. 16), S. 632; Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach dt. und franz. Recht, 1993, S. 106; Cour de Cass. (3 e civ.) 26. 4. 1983, Gaz. Pa!. 1984.1180 m. Anm. Plancqueel.

(6)

3. Spezielle Haftungsgründe und Gemeinschaftsrecht

Spezielle Ansprüche wegen der Schädigung durch ein fehlerhaftes Produkt kommen im französischen Haftungs- recht noch nicht Betracht. Wie sich aus der Angabe im Sachverhalt ergibt, ist die europäische Produkthaftungs- richtlinie noch nicht ins französische Recht umgesetzt wor- den 18Man könnte erwägen, ob N Ansprüche direkt aus der Richtlinie herleiten kann. Nach der Rechtsprechung des EuGH kommen bei unterlassener rechtzeitiger Umset- zung einer Richtlinie jedoch allenfalls Haftungsansprüche gegen den Staat in Betracht, nicht solche auf horizontaler Ebene gegen Private 19. Schließlich könnte man an eine richtlinienkonforme Interpretation des bestehenden natio- nalen Rechts denken, die vom EuG H bei nicht rechtzeitiger Umsetzung europäischen Rechts von den nationalen Ge- richten gefordert wird 20. Allerdings würde auch die Pro- dukthaftungsrichtlinie bei Ansprüchen gegen die Zwi- schenhändlerin nicht weiterhelfen, da sie eine Haftung der Zwischenhändlerin nicht grundsätzlich vorschreibt, son- dern nur in dem Ausnahmefall, daß der Produzent nicht zu ermitteln ist oder der Händler die Ware in die EU einge- führt hat21. Auch eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen französischen Rechts müßte also nicht zu einer Haftung der C gegenüber den N führen. Deliktsrechtliche Ansprüche führen nach den Angaben, die zum Sachverhalt und zum Rechtszustand in Frankreich gegeben sind, also ebenfalls kaum zum Erfolg.

m.

Ergebnis

Nach alledem spricht auf der Grundlage der wiedergege- benen Vorschriften aus dem Codecivil und der Lehrbuch- zitate alles dafür, die Erfolgsaussichten einer Klage der N gegen die Zwischenhändlerin C nach französischem Recht als ungünstig einzuschätzen.

B. Frage 2

I. Einordnung der Entscheidung der Cour de Cassation in das französische Haftungsrecht

Nach,der Prüfung der Rechtslage in Frankreich im Rah- men der Frage 1 muß die Entscheidung der Cour de Cassa- tion überaschen. Die Cour d'Appel hatte die Zwischen- händlerin C auf Grundlage des Art. 1382 C. C. für haftbar erklärt und die Cour de Cassation hielt die Entscheidung - jedenfalls im Ergebnis - aufrecht. Vor dem Hintergrund der Rechtslage, so wie sie sich nach der Lektüre des Werkes von Ferid!Sonnenberger darstellt, bedeutet dies eine Neue- rung im französischen Haftungsrecht. Durch das vorlie- gende Urteil wird die verschuldensunabhängige Haftung für Schäden, die durch fehlerhafte Produkte verursacht wurden, zugunsten dritter Geschädigter ausgeweitet. Die einzelnen Personen in der Absatzkette haften nun verschul- densunabhängig nicht mehr nur gegenüber dem Endab- nehmer, sondern auch gegenüber geschädigten Dritten, die aufgrund eines Produktfehlers Schaden erleiden. Hinsicht- lich der dogmatischen Begründung für diese Ausweitung der Haftung ist vieles offen. Die im französischen Recht traditionell sehr knappen Entscheidungsgründe bedürfen der Interpretation.

1. Deliktsrechtliche Deutung

Eine mögliche Deutung ist, daß die Cour de Cassation mangels vertraglicher Beziehung zwischen N und C die Verurteilung wie die Cour d'Appel auf Art. 1382 C. C. ge- stützt hat, wenn auch mit anderer Begründung als die Cour d'Appel. Dies würde heißen, daß die Bedeutung der faute als Voraussetzung des deliktischen Anspruchs für Produkt-

haftungsklagen zurückgedrängt bzw. aufgehoben wird. An deren Stelle tritt eine objektive Verpflichtung, keine fehler- oder mangelbehafteten Güter zu liefern, die geeignet sind, für Menschen oder Sachgüter Gefahren zu schaffen. Diese Verpflichtung trifft all diejenigen, die in die gewerbliche Absatzkette eingeschaltet sind, hier also auch die Zwi-

schenhändlerin C. .

Bei der Haftung aus Art.13 82 C. C. war das Verschulden- serfordernis für Ansprüche gegen den Hersteller des fehler- haften Produktes von der Rechtsprechung in Frankreich zwar gelegentlich „aufgeweicht" worden. Dies galt aber nicht für Ansprüche gegen andere Personen in der Absatz- kette, also nicht für Ansprüche gegen den Zwischenhändler.

Daneben bestand die verschuldensunabhängige deliktische Haftung (Art.1384 C. C.), die aber eine Inhaberschaft der Sache voraussetzte. Durch die.Entscheidung der Cour de Cassation (deliktsrechtlich interpretiert) wird die delikti- sche Haftung gegenüber Dritten weitgehend der vertragli- chen Haftung gegenüber dem (End-) Abnehmer eines Pro- dukt angeglichen. Die obligation de securite, die bei objekti- ver Nichtbeachtung verschuldensunabhängige Ersatzan- sprüche auslöst, besteht der Sache nach nicht mehr nur für die Vertrags-, sondern nun auch für die Deliktshaftung22

2. Vertragsrechtliche Interpretation

Es ist aber auch denkbar, die Entscheidung dahingehend zu verstehen, daß sie eine Ausweitung vertraglicher Haf- tung bedeutet. Hierzu ist allerdings erforderlich, eine „ ver- tragliche Beziehung" zwischen N und C zu begründen. Bis- lang bestand eine (jedenfalls praktisch) verschuldensunab- hängige kaufrechtliche Haftung aller Glieder der Absatz- kette. Bewerkstelligt wurde dies über Art. 1645 C. C. oder mit Hilfe der obligation de securite, nach der alle Glieder der Absatzkette objektiv verpflichtet waren, Produkte frei von Fehlern zu liefern, die Gefahren für Personen und Sa- chen mit sich bringen konnten. Über die action directe konnte der Abnehmer seine Vorderleute auf Schadenser- satz in Anspruch nehmen. Das Urteil könnte nun bedeuten, daß bestimmte (Vertrags-) Partner des Endabnehmers, die das Produkt bestimmungsgemäß in Benutzung nehmen, in den Genuß der vertraglichen Schadensersatzansprüche kommen, die bislang dem Endabnehmer zustehen. Bei die- ser Deutung würde das Urteil eine Ausweitung der Ver- tragshaftung und der action directe bedeuten. Die kauf- rechtlichen Ansprüche stünden auch solchen Dritten zu, die mit dem Endabnehmer zwar in Vertragsbeziehungen stehen, mit ihm aber keinen Kaufvertrag über die Ware ge- schlossen haben (im Fall der N handelte es sich bei der Be- ziehung zwischen N und der Kindertagesstätte um einen Betreuungsvertrag).

Für eine solche kaufrechtliche Deutung der Entschei- dung könnte man anführen, .daß eine ,,f aute ", also eine de- liktsrechtlich relevante echte Pflichtverletzung auf seiten der C auch nach Ansicht der Cour de Cassation nicht vor- Erläuterungen

18. S. zum Gang des Gesetzgebungsverfahrens in Frankreich Lem, in: Festg. f. Sandrock, 1995, S. 69 ff.

19. S. etwa EuGH14. 7. 1994, Rs. C-91192 (Paola FacciniDori ./. Recreb Srl), Slg.1994, I-3325, abgedr. m. Anm. Herber und w.

Nachw. auch in ZEuP 1996, 117 ff.

20. EuGH 10. 4. 1984, Rs.14/83 (Von Colson und Kamann ./.

Land Nordrhein-Westfalen), Slg.1984, 1981.

21. Die Bearbeiter können dies daraus schließen, daß das deut- sche Produkthaftungsgesetz, das die Richtlinie ins deutsche Recht umsetzt, eine solche Haftung nicht vorsieht (s. dazu unten zur Haftung nach dem deutschen Produkthaftungsgesetz).

22. So auch die Interpretation von Jordain, D. 1995, Jur., 351 und Remy, R. G.A. T. 1995, 529 ff. in ihren Anmerkungen zu der Entscheidung der Cour de Cassation.

(7)

Kadner: Der praktische Fall - Rechtsvergleichung: Ein Spiel, das ins Auge ging ]uS 1999, Heft 2 157 lag und sich die Cour zur Begründung ihrer Entscheidung

der Sache nach auf ein (jedenfalls bislang) kaufrechtliches Instrument (die obligation de securite) stützt.

Gegen die vertragsrechtliche und für die deliktische Deu- tung könnte demgegenüber sprechen, daß bei ihr Dritte kaufrechtliche Ansprüche hätten, ohne selbst Partei eines Kaufvertrages zu sein (was beim Vertrag mit Schutzwir- kung im deutschen Recht oder österreichischen Recht aber auch der Fall ist). Die knappen Entscheidungsgründe des französischen Urteils lassen jedenfalls beide Deutungsmög- lichkeiten offen 23

II. Stil der Entscheidung24

Die Erwägungen im Urteil der Cour de Cassation finden sich in einem einzigen, langen Satz, in den - jeweils einge- leitet durch die Formel „Attendu que ... " („In der Erwä- gung daß ... ") sämtliche entscheidungsrelevanten Anga- ben und Überlegungen eingefügt sind. Es findet keinerlei Auseinandersetzung mit Präjudizien oder Ansichten der Li- teratur statt. Zweifel des Gerichts bei der Entscheidungs- findung oder auch Wertungen, die eine andere Entschei- dung als möglich erscheinen lassen, werden nicht darge- legt. Bei der Cour de Cassation, in etwas geringerem Um- fang auch bei den Instanzgerichten, empfindet man es als Stilbruch, frühere Entscheidungen oder Ansichten der Lite- ratur zu zitieren oder ausdrücklich rechtspolitische Erwä- gungen im Urteil anzustellen 25Es ist in Frankreich vorwie- gend der Wissenschaft überlassen, die Entscheidung in die bestehende Rechtsprechung und Dogmatik einzuordnen und die rechtliche Problematik auszuführen.

Die Begründung für diesen Stil ist historischer Natur. Die französische Revolution von 1789 hatte sich maßgeblich gegen Mißbräuche der Justiz und des Ancien Regime ge- wandt. Vor der französischen Revolution wurde die Recht- sprechung von den sogenannten Parlements ausgeübt, ein- flußreichen Gerichtshöfen, die in erster Linie die Interessen des Adels und des Klerus vertraten, die Durchführung der Reformgesetzgebung des Königs zu vereiteln suchten, sich beträchtliche eigene Rechtsetzungsbefugnisse anmaßten und noch dazu besetzt waren mit Richtern, deren Ämter käuflich und sogar vererblich waren und die ihrerseits als

„noblesse de robe" einen Teil der feudalen Sozialordnung des Ancien Regime bildeten26In der Reaktion auf diese Zustände war man im Zuge der Revolution bestrebt, ein absolutes Rechtsetzungsmonopol des Gesetzgebers zu be- gründen und die Rolle der Rechtsprechung auf eine rein dienende, gesetzesanwendende Funktion zu beschränken.

Eigene rechtspolitische Wertungen sollten der Rechtspre- chung versagt sein. In ihren Urteilen sollte sie in den Wor- ten Montesquieus „genaue Kopien der Gesetze" liefern.

Sowenig sich dieser Anspruch der Sache nach realisieren ließ, wird er - der Form nach - in den heutigen Urteilen nach wie vor aufrecht erhalten und der entsprechende Stil auch weiter gelehrt.

C. Frage 3

I. Vertragliche Haftung

Als Grundlage eines Schadensersatzbegehrens wegen Produktmängeln kommen im deutschen Vertragsrecht

§ 463 BGB oder - im Falle der Verletzung von Neben- pflichten und unter dem Gesichtspunkt des sogenannten

„Mangelfolgeschadens" - die Regeln über die positive For- derungsverletzung in Betracht. Für einen Ersatzanspruch der N gegen die C ergibt sich jedoch auch im deutschen Vertragsrecht sofort das Problem, daß zwischen N und C kein Vertragverhältnis bestand. Ersatzansprüche aus § 463

BGB oder aus positiver Forderungsverletzung sind im deut- schen Recht allein zwischen den direkten Vertragspart- nern, also z.B. zwischen der Kindertagesstätte und der Ver- käuferin L möglich, nicht aber im Verhältnis zwischen N und der Zwischenhändlerin C.

Im deutschen Recht könnte man noch eine Einbeziehung der N in die Schutzwirkungen des Vertrages zwischen der Kindertagesstätte und der Verkäuferin L oder sogar in die- jenige des Vertrages zwischen der C und der L erwägen.

Nach ganz herrschender Auffassung in Deutschland kann der „Vertrag mit Schutzwirkung" zwar dazu führen, daß bestimmte Personen aus dem Umfeld des Käufers gegen dessen Vertragspartner vertragliche Ersatzansprüche er- halten (hier kämen solche Ansprüche der N eventuell gegen die letze Verkäuferin L in Betracht). Hat die fehlerhafte Sa- che eine mehrstufige Vertriebskette durchlaufen, so kön- nen Ansprüche von Personen, die durch das Produkt ge- schädigt sind und die sich an die Vorderleute des Verkäu- fers halten wollen, im deutschen Recht aber nur auf Delikt gestützt werden. Der Vertrag mit Schutzwirkung hilft hier im deutschen Recht nicht weiter27Gleiches gilt für die Grundsätze der sog. „Drittschadensliquidation" 28. Soweit sich die Ansprüche nicht gegen den unmittelbaren Ver- tragspartner richten, steht die Produkthaftung im deut- schen Recht somit eindeutig auf deliktischer, nicht auf ver- traglicher Grundlage.

II. Deliktische Haftung 1. Produkthaftungsgesetz

Im Bereich der deliktischen Haftung kommt im deut- schen Recht eine Haftung nach dem Produkthaftungsge- setz (ProdHaftG) in Betracht. Nach §§ 1 I 1, 4 I 1 oder 2 ProdHaftG richten sich die Ansprüche grundsätzlich gegen den Hersteller eines fehlerhaften Produkts oder denjeni- gen, der sich als Hersteller geriert, nicht gegen den Händler.

Da die C nicht Herstellerin des defekten Reifens ist und sich auch nicht als Hersteller ausgegeben hat, kommt eine Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz nur in dem Aus- nahmefall in Betracht, daß sie als Händlerin der Herstelle- rin gleichzustellen ist. Dies ist nach § 4 II ProdHaftG dann möglich, wenn die Händlerin die Ware in die EU eingeführt hat. C hat die Reifen nicht nach Frankreich importiert, so daß auch § 4 II ProdHaftG nicht zu einer Haftung führt.

Schließlich kommt eine Haftung jedes Lieferanten auch dann in Betracht, wenn der Hersteller nicht feststellbar ist und vom Händler nicht innerhalb bestimmter Fristen nach- gewiesen wird, § 4 III ProdHaftG. Auch diese Möglichkeit scheidet vorliegend aus, da mit der Societe Omniplast ( 0) die Herstellerin des Reifens bekannt ist. Da sich die Her- stellerin 0 nach den Angaben im Sachverhalt in „erhebli- chen wirtschaftlichen Schwierigkeiten" befindet, könnte Erläuterungen

23. Der Schwerpunkt der Frage 2 liegt in der Teilfrage I. Auf- grund der knappen Ausführungen im Urteil der Cour de Cassa- tion ist diese Frage ausgesprochen anspruchsvoll. Besonders posi- tiv ist es, wenn die Bearbeiter erkennen, daß sowohl eine vertrags- rechtliche als auch eine deliktsrechtliche Deutung in Betracht kommt.

24. Die zur Beantwortung dieser Frage erforderlichen Kennt- nisse gehören zu den Grundlagen der Rechtsvergleichung und sollten bei den Kandidaten vorhanden sein. ,

25. Sehr instruktiv hierzu und zum folgenden Kötz, RabelsZ 1973, 245 (247ff.); s. auch Zweigert!Kötz (o. Erl. 10), S. 121f.

26. Kötz, RabelsZ 1973, 245 (250).

27. Grdl. BGHZ 51, 91 (Hühnerpest); s. hierzu etwa Esser!

Weyers, SchuldR II, 7. Aufl. (1996), § 55 V 3; Kötz, DeliktsR, 7. Aufl. (1996), Rdnrn. 442 ff..

28. Näher Esser!Weyers (o. Erl. 27), § 7 IV.

(8)

man noch erwägen, ob§ 4 III ProdHaftG auch den Fall er- faßt, daß der Hersteller in Konkurs oder sonst in wirt- schaftlichen Schwierigkeiten ist und die Ansprüche gegen ihn daher nicht durchsetzbar sind. Die Vorschrift dient je- doch nur dem Zweck, den Hersteller zu identifizieren. Sie soll dagegen nicht eine Ersatzhaftung des Händlers für alle Fälle schaffen, in denen der Geschädigte seinen Anspruch gegen den Hersteller aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht durchsetzen kann 29Ist der Hersteller be- kannt, scheidet die Haftung des Händlers aus § 4 III Prod- HaftG aus. Es besteht demnach kein Anspruch der N gegen die Zwischenhändlerin C auf Schadensersatz aus dem Pro- dukthaftungsgesetz.

2. Allgemeines Deliktsrecht

Die Nkönnte gegen die C aber einen Anspruch aus§ 823 1 BGB auf Ersatz ihrer Behandlungskosten haben. Durch den von der C vertriebenen Gymnastikreifen wurde die N in ihrer Gesundheit als einem von § 823 1 BGB geschützten Rechtsgut verletzt. Die Verletzung der N müßte ferner pflichtwidrig, d. h. unter Verstoß gegen die im Verkehr er- forderliche Sorgfalt, geschehen sein. Zwar hat die deutsche Rechtsprechung in Produkthaftungsfällen unter bestimm- ten Voraussetzungen bezüglich der Sorgfaltspflichtverlet- zung eine Umkehr der Beweislast vorgenommen 30: Wird eine Person durch ein fehlerhaftes Produkt geschädigt, muß der Geschädigte darlegen und im Streitfall beweisen, daß die Sache mangelhaft war und der Schaden auf dem Mangel beruhte. Gelingt dies, ist es Sache des Herstellers des Produktes darzulegen und zu beweisen, daß er und die- jenigen, die er in den Herstellungsprozeß eingeschaltet hat- te, sich so verhalten haben, wie dies bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt notwendig war. Diese Um- kehr der Beweislast wurde jedoch nur zu Lasten des Her- stellers des fehlerhaften Produktes vorgenommen, grund- sätzlich nicht zu Lasten weiterer Personen in der Absatz- kette, also etwa der Zwischenhändlerin31Für Ansprüche gegen die Zwischenhändlerin wurde eine Umkehr der Be- weislast nur dann vorgenommen, wenn diese bei der Ver- marktung des Produktes den Eindruck erweckte, sie selbst sei Herstellerin32Einen solchen Eindruck hat die C aber nicht erweckt, so daß eine Umkehr der Beweislast zu ihren Lasten ausscheidet.

Die C würde nach deutschem Deliktsrecht also nur dann haften, wenn sie tatsächlich eine eigene Pflicht schuldhaft verletzt hätte. In Betracht kommt hier eine Pflicht, den Rei- fen auf (auch versteckte) Mängel zu untersuchen. Nach deutschem Deliktsrecht hat die Vertriebs- oder Zwischen- händlerin jedoch nicht generell, sondern nur dann eine Un- tersuchungspflicht, wenn sie berechtigten Anlaß zum Zweifel an der Sicherheit der Produkte hatte33Ein solcher Anlaß zu Zweifeln war für die C hinsichtlich des versteck- ten Mangels des Gymnastikreifens nicht gegeben.

Eine Haftung der C gegenüber der N nach § 823 II BGB ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die N hat demnach gegen die C nach deutschem Recht keinen deliktischen Schadenser- satzanspruch.

III. Ergebnis

Nach deutschem Recht haftet die Zwischenhändlerin C der N somit nicht auf Ersatz der Behandlungskosten 34

D. Frage 435

1. Grundsätzliches zur Haftung für fehlerhafte Produkte Beim Vergleich der Rechtslage in Frankreich und Deutschland fällt zunächst die sehr weitreichende vertrag-

liehe Haftung des französischen Rechts auf. Die Vertrags- haftung des Code civil sieht in der Auslegung, die sie durch die Rechtsprechung erfahren hat, einen umfassenden ver- schuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch gegen den gewerblichen Verkäufer vor. Dieser Anspruch umfaßt alle Schäden, die aus dem Produktfehler resultieren. In Deutschland ist der Schadensersatzanspruch wegen Sach- mängeln dagegen an das Vorliegen einer Zusicherung ge- knüpft oder setzt Arglist voraus (§ 463 S. 1 und 2 BGB), wobei Kenntnis des Mangels und Arglist auch beim ge- werblichen Verkäufer nicht vermutet werden. Bei der Ver- letzung von Nebenpflichten, wozu auch Untersuchungs- pflichten gehören können, sowie bezüglich der sogenann- ten „Mangelfolgeschäden" gründet sich der Ersatzan- spruch nach h.M. in Deutschland in der Regel 36 auf das In- stitut der positiven Forderungsverletzung und ist vom Ver- schulden abhängig37

Hinsichtlich der „Ergänzung" des gesetzlichen Gewähr- leistungsrechts durch jeweils ein außergesetzliches Institut besteht dennoch eine gewisse Parallele beider Rechtsord- nungen: In Frankreich wurde eine „obligation de securite"

eingeführt, in Deutschland die positive Forderungsverlet- zung. Beide dienen nicht zuletzt der Umgehung der kurzen Verjährungsfristen des gesetzlichen Gewähr leistungs- rechts 38.

Bemerkenswert ist auch der weite Kreis derjenigen, die in Frankreich der strengen vertraglichen Haftung unterliegen.

So können mit Hilfe der action directe vertragliche Ansprü- che nicht nur gegen den eigenen Vertragspartner, sondern auch gegen dessen Vorderleute in der Absatzkette geltend gemacht werden, bis hin zum Produzenten, der den Mit- gliedern der Absatzkette ebenfalls auf vertraglicher Grund- lage haftet. Während die Produzentenhaftung in Frank- reich damit weitgehend vertragsrechtlich geprägt ist, be- sitzt sie in Deutschland (und in der ganz überwiegenden Zahl der europäischen Staaten) eine deliktische Grundlage.

Im Deliktsrecht gehen beide Rechtsordnungen von un- terschiedlichen Ansätzen aus: die französische von einer Erläuterungen

29. Schmidt-Salzer, Produkthaftung III/1, 2. Aufl. (1990), Rdnr.4458 (S. 453).

30. Grdl. wiederum BGHZ 51, 91 (Hühnerpest).

31. Kötz (o. Erl. 27), Rdnrn. 469f.; Koch, Produkthaftung - Zur Konkurrenz von Kaufrecht und DeliktsR, 1995, S. 73 f.

32. Haftung als „Quasi-Hersteller", näher hierzu BGH, VersR 1977, 829; NJW 1980, 1219; NJW 1994, 517; Kötz (o. Erl. 27), Rdnr. 468; Esser /Weyers (o. Erl. 27), § 55 V 3 e (S. 575 f.).

33. Kötz (o. Erl. 27), Rdnrn. 469 f.; Koch (o. Erl. 31), S. 73 f.

34. Bei Frage 3 sollten bessere Bearbeitungen dahin gelangen, daß eine Klage der N nach deutschem Recht kaum Aussicht auf Erfolg hätte. Das Produkthaftungsgesetz sollte nicht übersehen werden, zumal es im Aufgabentext ausdrücklich erwähnt wurde.

35. Bei der (anspruchsvollen) Frage 4 ist den Bearbeitern ein großer Spielraum einzuräumen. Positiv zu bewerten ist etwa, wenn sich die Bearbeiter zu der strengen Haftung des französi- schen im Verhältnis zum deutschen Recht äußern und wenn sie vergleichende Überlegungen zu den Haftungsstandards bei ver- traglicher und deliktischer Haftung im französischen Recht an- stellen. Gut ist auch, wenn die Kandidaten das Urteil der Cour de Cassation vor dem Hintergrund der Bestrebungen um Vereinheit- lichung des Produkthaftungsrechts in Europa würdigen.

36. Einzelheiten bei Esser!Weyers (o. Erl. 27), § 5 III 3 (S. 49 ff.).

37. Näherz. B. Esser/Weyers (Fn.27), § 6 II (S. 69 ff.) m. krit.

Würdigung.

38. Dem bref delai des Art. 1648 C. C. einerseits sowie§ 477 BGB andererseits. Um den Sachverhalt nicht zu überfrachten, wurde auf weitere Informationen, insbesondere zu den Verjäh- rungsregeln verzichtet. Dieser Aspekt war aus dem Sachverhalt daher nur schwer zu entnehmen und sicherlich nur von Bearbei- tern mit sehr guten Vorkenntnissen zu erkennen.

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