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Schwachstellen im Lehrplan

Dans le document Die EU im Oberstufenunterricht‎ (Page 107-114)

Géographie Terminale

• L’Union européenne: La puissance économique de l’Union européenne; L’Europe rhénane

• Un espace mondialisé: Les centres d’impulsion et les inégalités de dé-veloppement

Tabelle 3.5: Die EU im Fach Histoire-Géographie in den Séries ES/L und in der Série S im Lehrplan von 2002 im Vergleich

3.3 Schwachstellen im Lehrplan

In diesem Unterkapitel sollen einige Schwachstellen angesprochen werden, die in vielen Lehrplänen vorzufinden sind:

Die unkonkreten zeitlichen Vorgaben machen es in den meisten Fällen unmög-lich zu sagen, wie die einzelnen Inhalte zur EU gewichtet sind. Wenn zeitunmög-liche Angaben gemacht wurden40, beziehen sie sich meistens auf einen

umfangrei-cheren Abschnitt, der neben Inhalten zur EU andere Themen umfasst. Zur Illustration wird im Folgenden als ein Beispiel auf den französischen Geogra-phielehrplan der Klassenstufe Terminale der Séries ES und L aus dem Jahr

2002 zurückgegriffen: Hier wird die EU, insbesondere ihre ökonomische Stärke und ihr am Rhein liegendes ökonomisches Zentrum, im Rahmen des Unter-punktes „Les trois grands aires de puissance dans le monde“41 behandelt. Aus

den Zeitangaben geht hervor, dass 44 Prozent der Unterrichtszeit auf diesen Unterpunkt entfallen. Trotzdem bleibt es völlig unklar, wie viel der Unterrichts-zeit für die Behandlung der EU verwendet werden soll, da als weitere Inhalte Nordamerika, insbesondere die USA unter dem Blickwinkel der Supermacht und ihrer Atlantiköffnung vom Sankt-Lorenz-Strom bis zum Golf von Mexiko und das östliche Asien als expandierendes Machtzentrum42sowie die japanische

Megalopolis angeführt sind.

Aber auch inhaltlich bleiben die Lehrpläne häufig Präzisierungen schuldig, die unabdingbar wären. Dies wird exemplarisch an zwei Beispielen verdeutlicht. Im französischen Geschichtslehrplan der Klassenstufe Terminale aus dem Jahr 1995 wird im Rahmen des zweiten Kapitels „Le monde de 1945 à nos jours“43

als „grands modèles idéologiques du monde“ das sowjetische, das chinesische, das amerikanische und das Modell des liberalen Europas behandelt. Es geht jeweils darum, die wesentlichen Merkmale der Modelle, die Entwicklung ihres Einflusses sowie die Grenzen ihres Ausstrahlungsgebiets seit 1945 aufzuzeigen.44

Zum einen wird die Formulierung „idéologie“ nicht weiter konkretisiert bzw. es wird nicht dargelegt, wieso dieser negativ konnotierte Begriff für das liberale Europa verwendet wurde. Zudem wird weder im Lehrplan noch im begleitenden Zusatzdossier konkretisiert, wodurch sich das „modèle européen libéral“45

41

Ministère de l’Éducation nationale, de l’Enseignement supérieur et de la Recherche. Direction de l’enseignement scolaire: „Histoire-géographie cycle terminale des séries économique et sociale et littéraire. B.O. n7 3 oct. 2002 hors-série.“ 2002, S.102.

42Hierzu werden Japan, Südkorea, Taiwan, die Küstenregionen Chinas und Singapur gezählt. (ebd., S.102)

43

Le ministre de l’Éducation nationale, de l’enseignement supérieur, de la recherche et de l’insertion professionnelle: „Histoire et géographie du cycle terminal de la voie générale (séries L, ES et S). BO N12 du 29 juin 1995.“, 1995, S.45.

44Ebd., S.45. 45Ebd., S.45.

auszeichnet.

Da der Begriff des (neo)-liberalen Europas in Frankreich, insbesondere von EU-Gegnern, durchaus negativ konnotiert verwendet wird, um die EU mit „wirt-schaftlicher Liberalisierung und unfairer Handelskonkurrenz“46 in Verbindung

zu bringen, verwundert das Ausbleiben weiterer Ausführungen. Claire Demes-may verweist darauf, dass das liberale Europa von Teilen der französischen Bevölkerung als Gefahr für das soziale System wahrgenommen werde, das die Autorin als „Eckpfeiler der nationalen Identität Frankreichs“47 bezeichnet. So

habe beispielsweise die Angst vor dem in der Öffentlichkeit stark debattierten „polnischen Klempner“ als „Symbol für das Sozialdumping“48 entscheidend zum

Nein der Franzosen beim Referendum 2005 beigetragen. Die Tatsache, dass in der französischen Politik „der Lenkungsanspruch des Staates gerne rhetorisch beschworen [wird]“49, könnte dazu beitragen, dass das Übertragen von

Kom-petenzen auf eine supranationale Ebene als Bedrohung wahrgenommen wird. Weitere Gründe für eine solche Wahrnehmung könnten in der Schwäche des französischen Liberalismus liegen: Auch wenn Henrik Uterwedde bemerkt, dass im heutigen Frankreich „von dem einst umfangreichen Arsenal des staatlichen Dirigismus nur noch wenig übrig geblieben [ist]“, greift der Staat deutlich stär-ker in die Wirtschaft ein, als das auf deutscher Seite der Fall ist, was folgendes Beispiel illustriert:

So zeigte der konservative Staatschef Nicolas Sarkozy (2007-2012) keinerlei Hemmungen, die Energieunternehmen EDF (staatlich) und Suez (privat) zu fusionieren, um den Übernahmeversuch eines italienischen Konzerns zu verhindern.50

46

Claire Demesmay: „Zwischen Führung und Frust: Wechselspannung der Europapolitik Frankreichs“, http://www.bpb.de/internationales/europa/frankreich/167757/frankreichs-europapolitik [Stand: 20.08.2015].

47Ebd. 48Ebd. 49

Henrik Uterwedde: „Das französische Wirtschaftsmodell: Marktwirtschaft mit starkem Staat“,http://www.bpb.de/internationales/europa/frankreich/153309/wirtschaftsmodell

[Stand: 20.08.2015]. 50Ebd.

Im Lehrplan wird lediglich darauf hingewiesen, dass es nicht um die Hin-tereinanderreihung der einzelnen Nationalgeschichten geht, sondern um das Bewusstmachen der Konvergenz der Nationalgeschichten bezüglich ihrer institu-tionellen Wahl, ihrer ökonomischen, sozialen und kulturellen Veränderung, ohne hierbei die Elemente, die die Diversität zum Ausdruck bringen, wegzulassen:

Pour l’Europe libérale, il ne s’agit en aucun cas de juxtaposer les histoires nationales des États, mais de montrer, sans omettre les éléments de diversité, la convergence de leurs choix institutionnels, de leurs transformations économiques, sociales et culturelles. La construction européenne sera étudiée en relation avec cette évolution d’ensemble [. . . ].“51

Im sächsischen Geschichtslehrplan aus den Jahren 2004/2007/2009 soll die „europäische[] Identitätsproblematik zwischen Konstrukt und Realität“52

the-matisiert werden. Die angeführten Schlagworte „Versuche einer europäischen Identitätsstiftung“53 und „Europa als sich entwickelnde

Erinnerungsgemein-schaft“54 sind nicht konkretisiert.

Gerade zum Thema europäische Identität wären Konkretisierungen wünschens-wert, da der Begriff schwer zu fassen und in keinster Weise eindeutig ist. Im schulischen Kontext sollten Schüler für den konstruierten Charakter von Iden-tität sensibilisiert werden und sich, mit „dem faktisch Beobachtbaren“55, der

Konstruktion von europäischen Identitäten in verschiedenen Kontexten, be-schäftigen. Hier böte es sich an, unterschiedliche nationale Sichtweisen auf die EU zu thematisieren, die „[. . . ] vor dem Hintergrund spezifischer nationaler Erfahrungen interpretiert“56 werden können. Dennis Lichtenstein deutet auf

51

Le ministre de l’Éducation nationale, de l’enseignement supérieur, de la recherche et de l’insertion professionnelle: Histoire-géographie cycle terminal séries L, ES et S, 1995, S.45.

52

Sächsisches Staatsministerium für Kultus: „Lehrplan Gymnasium Geschichte.“, 2004/2007/2009, S.48.

53Ebd., S.48. 54Ebd., S.48. 55

Georg Datler: „Das Konzept der ‚europäischen Identität‘ jenseits der Demos-Fiktion“, in: ApuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte, Ausgabe 4/2012 (2012), S. 57–61, S.59.

56

Unterschiede der Bedeutung der EU für Deutschland, Spanien, Großbritan-nien, die ehemaligen Sowjetrepubliken und Frankreich hin, die im Unterricht erarbeitet werden könnten:

So bedeutete die europäische Integration für Deutschland, sich nach den Ereignissen während des Nationalsozialismus’ auf inter-nationaler Ebene zu rehabilitieren, für Spanien stellte der Beitritt zur damaligen EG den Schritt aus der nationalen Isolation des Franco-Regimes in Richtung Demokratie und Wohlstand dar – und Großbritannien bekennt sich zwar zu den Vorteilen des gemeinsa-men Marktes, distanziert sich aber bis heute von der Idee eines politisch integrierten Europas zugunsten seines Selbstverständnisses als eigenständige, vom Kontinent gesonderte Nation und frühere Weltmacht. Auch die historisch unterschiedlichen Erfahrungen in Ost- und Westeuropa führen zu ganz eigenen Akzentuierungen: Während der Sinn europäischer Zugehörigkeit in den osteuropäi-schen Ländern oft in der Westbindung, der Nähe zu den USA und in der Emanzipation von Russland gesehen wird, zeigte sich gerade während des Irakkrieges 2003, dass die EU für viele Deutsche und Franzosen die Funktion eines weltpolitischen Gegengewichtes zu den USA erfüllen.57

Die Vielfalt der in den einzelnen Nationen vorherrschenden unterschiedlichen Sichtweisen der EU, die in wissenschaftlichen Veröffentlichungen als „post-nationale oder kosmopolitische Identität“58 bezeichnet wird, könnten zum

Unterrichtsgegenstand werden. Die Identitätspolitik der EU sollte ebenfalls the-matisiert werden, da sie sich, trotz der vorherrschenden Vielfalt, den „Insignien eines auf Einheit beruhenden Staates bedient“59 und sich an der

„durchschnitt-lichen Politik eines Nationalstaates“60 orientiert, indem sie mit Flagge, Hymne,

Europatag, EU-Staatsbürgerschaft und der Devise „Einheit in Vielfalt“ auf Symbole zurückgreift, die die vorherrschende Vielfalt als Mitverursacher einiger

integrative Potenzial von Identitätskrisen“, in: ApuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte, Ausgabe 4/2012 (2012), S. 3–7, S.5.

57

Lichtenstein: „Auf der Suche nach Europa: Identitätskonstruktionen und das integrative Potenzial von Identitätskrisen“, S.5.

58Ebd., S.5. 59

Wolfgang Schmale: „Geschichte der europäischen Identität“, in: ApuZ. Aus Politik und

Zeitgeschichte, Ausgabe 1-2/2008 (2008), S. 14–19, S.14.

Krisen ausblenden sollen.61

Im französischen Lehrplan wird zur Identitätsstiftung auf die historische Ent-wicklung zurückgegriffen: Im Lehrplan Histoire-géographie aus dem Jahr 2003 wird im Fach Géographie, auf Grund der Tatsache, dass Europa keine klaren kontinentalen Grenzen aufweist, die historische Entwicklung zur Legitimierung einer europäischen Identität bemüht: „L’Europe doit donc davantage être définie en terme d’identité, largement produit de l’histoire.“62 Auch wenn hier zunächst

allgemein von Europa die Rede war, wird ein Bezug zur Europäischen Union gesucht im Hinblick auf Fragen der Erweiterung: „Elle [cette identité, Anm. d. Verf.] pourra être reprise dans la première partie à propos de la question de l’élargissement de l’Union européenne; [. . . ].“63 In diesem Zusammenhang

soll die Diversität der europäischen Bevölkerung angesprochen werden, deren Wurzeln geschichtlich beleuchtet werden sollen: „Le rôle de l’action humaine dans sa profondeur historique constitue donc un des champs explicatifs ma-jeurs des contrastes de peuplement.“64 Was genau unter einer europäischen

Identität verstanden werden soll, bleibt unklar. Ob in diesem Zusammenhang unterschiedliche Standpunkte zur europäischen Identität, wie sie z.B. im Zu-sammenhang mit einem möglichen Türkeibeitritt diskutiert werden könnten, thematisiert werden sollen, bleibt offen. Die Diskussion um den Türkeibeitritt könnte im Zusammenhang mit dem Themenbereich „Europäische Identität“ besonders fruchtbar gemacht werden, da er sich nicht behandeln lässt, „[. . . ] ohne auch darüber zu streiten, ob sich die EU eher wie ein nach Wachstum strebender Markt, wie eine politische Wertegemeinschaft, die der Demokratie, der Säkularisierung und den Menschenrechten verpflichtet ist, oder etwa wie

61

Schmale: „Geschichte der europäischen Identität“, S.14/15. 62

Ministère de l’Éducation nationale, de l’Enseignement supérieur et de la Recherche. Direction de l’enseignement scolaire: „Histoire et géographie classe de première des séries générales.“ 2003, S.35.

63Ebd., S.35. 64Ebd., S.35.

ein christlicher Club verhalten soll.“65

Gerade im Bezug auf einen möglichen EU-Beitritt der Türkei führen Beitritts-gegner laut Jan Cremer zwei Argumente an: Zum einen sei Europa „das Erbe des christlichen Abendlandes“. Und zum anderen seien „[...] die europäischen Länder [...] in ihrer Geschichte geprägt worden durch die Antike, insbesondere der Entwicklung und Anwendung des Römischen Rechtes, durch die Reformation und vor allem die Aufklärung.“66

Im Lehrplan Histoire-géographie aus dem Jahr 1995 der Klassenstufe Seconde wurde in diesem Sinne die zu vermittelnden Inhalte als Grundlage der modernen Welt angesehen, die als Basis für ein vertiefendes Verständnis neuzeitlicher geschichtlicher Entwicklungen dienen sollen und ein gemeinsames europäisches Erbe suggerieren, ohne auf den Ausschlusscharakter eines solchen Zugangs auf-merksam zu machen: „La réflexion sur quelques moments essentiels de l’histoire, et la reconnaissance de l’ampleur du patrimoine européen fondent l’étude de l’histoire de notre temps.“67 Zu diesem „patrimoine européen“68 werden u.a.

die Entwicklungen im alten Athen, im Römischen Reich, das Christentum, der Humanismus, die Renaissance sowie die Französische Revolution gezählt. Es ist bedauerlich, dass die Kontroverse zwischen Vertretern der historisch be-gründeten, durchs christliche Abendland geprägten Sichtweise und Anhängern des Konzepts von Jürgen Habermas, der einen öffentlichen europäischen Raum losgelöst von der emotionalen, affektiven Ebene als „lieu de la loi“69 postuliert,

65

Lichtenstein: „Auf der Suche nach Europa: Identitätskonstruktionen und das integrative Potenzial von Identitätskrisen“, S.6.

66

Jan Cremer: „Die Türkei und die europäische Identität“, http : / / www . bpb . de/52373/einstieg-in-die-debatte[Stand: 17.04.2015].

67

Le ministre de l’Éducation nationale, de l’enseignement supérieur, de la recherche et de l’insertion professionnelle: Histoire-géographie au lycée, 1995, S.29/30.

68Ebd., S.29/30. 69

ministère de l’Éducation Nationale et de la Recherche: „La citoy-enneté et la construction de l’Union européenne.“ http : / / www . ac - aix - marseille . fr/pedagogie/upload/docs/application/pdf/2011-06/pro043_lyc_acc_ec_t4.pdf [Stand: 07.12.2011], S.76.

ins Fach Éducation civique, juridique et sociale gelegt wurde. Auch wenn es hier um die Behandlung unterschiedlicher Konzepte der Staatsbürgerschaft, wie z.B. „la citoyenneté économique et sociale“ und „la citoyenneté politique post-nationale“70 geht71, kann auf Grund der wenigen zur Verfügung stehenden

Stunden im Schulalltag die Thematisierung dieser Kontroverse keine große Rolle spielen. Die Tatsache, dass die Thematik in einem fakultativen Zusatz-dossier angesiedelt wurde, lässt eine tatsächliche Behandlung unwahrscheinlich erscheinen.

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