Familie und Beruf vereinbaren? Vorstellungen und Strategien
hochqualifizierter Migrant/innen
Nadia Baghdadi und Yvonne Riaño
Einleitung
Schlagworte wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder workc lifec balance sind in den letzten Jahren in aller Munde. Auf der politischen Ebene wird die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbso und Familienarbeit als wichtig eingestuft und mit entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen und Massnahmen unterstützt. Vor allem Gleichstellungsbüros haben verschiedene Kampagnen und Instrumente lanciert, um Lebensbereiche besser vereinbaren zu können. Beispielsweise setzt sich die Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen EKFF ein „für Einrichtungen und Prozesse, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen und eine individuelle, zeitgemässe Lebensgestaltung der Familien fördern“1. Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO „konzentriert seine Aktivitäten auf Informationso und Sensibilisierungsprojekte sowie die Verbreitung von best practices“ im Bereich „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ und „Frauen und Karriere“2.
Letzteres Beispiel lässt vermuten, dass sich Vereinbarkeitsmassnahmen eher an Frauen als an Männer richten. Im Vordergrund steht die Ermöglichung und Förderung der weiblichen Erwerbstätigkeit. Die Frage, wer für die Hauso und Betreuungsarbeiten zuständig ist, erhält hingegen weniger Aufmerksamkeit. Mit dem Stichwort Karriere kann ausserdem vermutet werden, dass sich der Diskurs rund um „Vereinbarkeit“ implizit an einer spezifischen Zielgruppe orientiert, für welche von zentraler Bedeutung ist, sich in der Berufswelt in eine immer höhere Position zu arbeiten. Weiter ist festzustellen, dass die Massnahmen bis anhin in der Regel im Hinblick auf Schweizerinnen formuliert sind. Neuerdings wird die Frage, wie berufliche und familiäre Verpflichtungen unter einen Hut gebracht werden können, allerdings vereinzelt auch im Zusammenhang mit gut ausgebildeten Migrantinnen gestellt.
Bis jetzt ist der Themenkomplex Beruf und Familie bzw. „Vereinbarkeitsfragen“ für Migrantinnen und Migranten nicht systematisch erforscht worden, weder auf der Ebene der politischen Massnahmen und Akteure noch auf der Ebene der Personen, an die sich die Massnahmen richten. Studien mit Bezug zur Thematik werden zurzeit von den Autorinnen des vorliegendes Buchkapitels im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 60 durchgeführt: eine zu Careo Arrangements3 sowie eine weitere zur Frage wie Geschlecht und Ethnizität zu ungleichen Situationen auf dem Arbeitsmarkt führen4. Forschungen zum Thema in Deutschland (z.B. von Würzen 2011, Gümen 1994) zeigen auf, wie sich die Einstellungen und Vereinbarkeitsmodelle zwischen Mehrheitsgesellschaft und verschiedenen ethnischen Minderheiten 1 http://www.ekff.admin.ch/content.php?ekff-‐1-‐2-‐tbl_1_11 (Zugriff 28.10.2011) 2 http://www.seco.admin.ch/themen/00385/02021/04611/index.html?lang=de (Zugriff 28.10.2011) 3 http://www.nfp60.ch/D/projekte/familie_privathaushalt/caretrends_privathaushalte/Seiten/de-‐ fault.aspx 4http://www.nfp60.ch/E/PROJECTS/EDUCATION_CAREERS/WORK_INEQUALITIES_GENDER_ETHNICITY /Pages/default.aspx
haben Geschlechteraspekte, Familie und Vereinbarkeitsaspekte wenig Aufmerksamkeit erhalten (vgl. Riaño im Druck zur Unsichtbarkeit der Familie in Studien zu hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten und „brain drain“).
Im Sinne einer explorativen Annäherung an die Thematik geht dieses Buchkapitel der Frage nach den Vorstellungen hinsichtlich Beruf und Familie und den damit verbundenen Strategien nach, welche bei den hier befragten
hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten zu finden sind. Dabei wird von einem engen Begriffsverständnis von Vereinbarkeit, im Sinne einer Balance und Kombination von Erwerbsarbeit und Betreuung von eigenen Kindern, ausgegangen. Wie Studien zur Thematik der hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten vermuten lassen, ist bezüglich politischo institutioneller Rahmenbedingungen von einer Verknüpfung des Erwerbso und Familienbereichs mit Geschlechtero und Klassenverhältnissen auszugehen. Ein Migrationshintergrund kann dabei zusätzliche bzw. spezifische Herausforderungen zur Folge haben. Daher beleuchtet der folgende Abschnitt Beruf und Familie in der Schweiz, inspiriert von der Geschlechterforschung, mit Blick auf Ungleichheitsfragen. Die Kategorien Geschlecht, Klasse und Herkunft weisen darüber hinaus auf Identitätsfragen hin. Es wird der Frage nachgegangen, ob mit den jeweiligen Familieno und Erwerbsmodellen auch Zugehörigkeiten markiert bzw. konstruiert werden und entsprechend von anderen ano bzw. aberkannt werden. Angenommen wird, dass sowohl Erwerbsräume als auch Familie sozial zentrale, wenn auch in ihrer Qualität unterschiedliche Arenen sozialer Anerkennung für MigrantInnen darstellen. In einem nächsten Schritt werden kurz die theoretische Zusammenhänge präsentiert, bevor abschliessend die Perspektive von Migrantinnen und Migranten dargestellt wird. Der empirische Teil basiert auf den Auswertungen aus verschiedenen Forschungsprojekten der beiden Autorinnen. Das Datenmaterial5 umfasst qualitative Interviews sowie Fokusgruppengespräche mit knapp 70 hochqualifizierten Migrantinnen und knapp 10 Migranten aus Ländern in und ausserhalb der EU, die zwischen 2003 und 2010 durchgeführt wurden. Beigezogen wurden auch Gespräche mit sechs Arbeitgebern aus unterschiedlichen Wirtschaftsbranchen. Aufgrund der Datenlage können zu Migrantinnen fundierter Aussagen gemacht werden als zur Perspektive der migrierten Männer und der Arbeitgebern.
1.
Beruf und Familie mit Blick auf Ungleichheit
Die gesellschaftliche Organisation von produktiven und reproduktiven Tätigkeiten (d.h. Kinderbetreuung, o versorgung und o erziehung sowie Hauso und
Familienarbeit) ist
5 Das Forschungsprojekt „Soziale Integration und Ausschluss von Migrantinnen in der Schweiz“ wurde im Rahmen des NFP-‐51 „Integration und Ausschluss“ zwischen 2003 und 2006 durchgeführt. Die Daten umfassen qualitative Interviews und Workshops mit 57 qualifizierten und hochqualifizierten Migrantinnen aus Lateinamerika sowie Ländern des Nahen und Mittleren Ostens und Südosteuropa (Riaño et al. 2008). Das Projekt „Immigration im Wirtschaftsraum Zürich“ wurde im Auftrag der Zürcher Kantonalbank zwischen 2009 und 2010 durchgeführt (Baghdadi 2010, Stutz et al. 2010). Die qualitativen Daten umfassen Einzelinterviews und Fokusgruppeninterviews mit 18 hochqualifizierten Migranten und Migrantinnen aus verschiedenen Ländern und 6 Arbeitgebern aus unterschiedlichen Wirtschaftsbranchen. Ebenfalls beigezogen wurden Erkenntnisse aus den beiden NFP-‐60 Studien der Autorinnen: „Care-‐Trends in Privathaushalten: Umverteilen oder auslagern?“ und „Ungleichheiten im Arbeitsmarkt: Intersektionen von Geschlecht und Ethnizität“.
untrennbar mit der Geschlechterordnung verknüpft, wie die Geschlechterforschung mit Fokus auf Ungleichheitsfragen bereits vor Jahrzehnten feststellte. Vereinfacht gesagt bestimmt die Dominanz des männlich besetzten Produktionsbereichs über den weiblich konnotierten Reproduktionsbereich die Differenz und Hierarchie zwischen den Geschlechtern6. Veränderungen im Bereich von Hauso und Familienarbeit wie auch in der Sphäre der Erwerbsarbeit und sich gleichzeitig wandelnde Normvorstellungen zu Geschlechterrollen und o identitäten haben weitreichende Konsequenzen: So gilt Familienarbeit in der Schweiz nicht mehr ausschliesslich als Aufgabe der Frauen und Erwerbsarbeit als diejenige der Männer. Die beiden Bereiche fliessen ineinander über und die Spielarten innerfamiliärer Aufteilung sind vielfältiger geworden. Die Kompatibilität der beiden Sphären – in aktueller Terminologie die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ – wird mit dieser Entwicklung zum Thema (vgl. Huber 2010). In der Folge gehören individuelle Aushandlungsprozesse zum Alltag jeder Familie (Jurczyk 2009). Doch trotz gesetzlicher Gleichstellung der Geschlechter und gesellschaftlichem Wandel werden Geschlechterdifferenzen und damit verbundene Rollenzuschreibungen reproduziert (Huber 2010). Als kritische Phase gelten die Familiengründung und die daran anschliessende Organisation des Familienlebens. Unter Vätern und Müttern dominiert in der Schweiz das Modell „Mann Vollzeit erwerbstätig / Frau Teilzeit erwerbstätig“, welches als „modernisierte Versorgerehe“ betrachtet werden kann. Das Modell mit einem vollzeiterwerbstätigen Vater und einer teilzeiterwerbstätigen Mutter wird im Jahr 2009 von jeder zweiten Familie gelebt. Der Beitrag der Mütter zum Haushaltseinkommen ist entsprechend meist gering und bewegte sich im Jahr 2004 bei der Mehrheit der Haushalte, in denen Kinder leben, zwischen 0 und einem Viertel.7
Die Mütter bleiben neben einer Teilzeiterwerbsarbeit die Hauptzuständigen für die Kinderbetreuung oder für die Pflege von betreuungsbedürftigen Eltern (Care Arbeit). In 8 von 10 Paarhaushalten mit Kindern bezeichnen sich die Frauen zudem verantwortlich für die Hausarbeit.8 Alternative Arbeitsteilungsmodelle der Erwerbso und Betreuungstätigkeit liegen zahlenmässig weit hinter der „modernisierten Versorgerehe“ zurück. Lediglich 4,2 % aller Paare teilten sich 2009 die Erwerbso und Betreuungsaufgaben zu gleichen Teilen, während ca. 10 % der Elternpaare Vollzeit erwerbstätig waren (je nach Alter der Kinder variieren die Prozentanteile leicht).9
Die zunehmende Erwerbsarbeit der Frauen wird nicht begleitet von einer wesentlichen Umverteilung der Careo Arbeiten zwischen den Geschlechtern – auch wenn Männer heute nachweislich aktivere und engagiertere Väter sind. Wie bereits in der Theorie zur „doppelten Vergesellschaftung“ von Beckero Schmidt (1985) skizziert, führt die Einbindung von Frauen sowohl in die Sphäre der Erwerbsarbeit als auch in diejenige der Reproduktion zu einer Doppelbelastung resp. zu einer „Vereinbarkeitsproblematik“. Den Frauen bleibt die „Synchronisierung der Erwerbso , Familien und Individualzeiten“
6 Geschlecht wird in diesem Abschnitt verstanden als Strukturkategorie. Frauen und Männer werden aus dieser Perspektive als zueinander positionierte „Soziale Gruppen“ betrachtet (vgl. Gildemeister 2000: 216).
7 Daten des Schweizer Haushaltspanels 2004, zusammengestellt vom Bundesamt von Statistik:
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/20/05/blank/key/Vereinbarkeit/beitrag.html 8 SAKE-‐Daten von 2007, zusammengestellt vom Bundesamt für Statistik:
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/20/05/blank/key/Vereinbarkeit/02.print.html 9 SAKE-‐Daten von 2009, zusammengestellt vom Bundesamt für Statistik:
überlassen (Rostock 2008, 7). In der Folge passen viele ihr Erwerbspensum den familiären Erfordernisse an:
Eine Erwerbsunterbrechung, so lange die Kinder sehr klein sind, und temporäre Teilzeitarbeit so lange, bis die Kinder nicht mehr als betreuungsbedürftig angesehen werden, gelten als die geeignete Form der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit (Pfau-‐Effinger 2005, 4).
Die Daten der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2000 berücksichtigen die Nationalität der Personen und zeigen bei Müttern ohne Schweizer Pass einen ähnlichen Trend: auch sie reduzieren ihre Erwerbsarbeit nach der Geburt des ersten Kindes, wenn auch in etwas geringerem Ausmass als Frauen mit Schweizer Pass10 (Bühler et al. 2005). Vergleichbar zeigt eine Befragung in Deutschland zu Karriere, Geschlechterbildern und Vereinbarkeit, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede grösser sind als die migrationsbedingten (von Würzen 2011). In der Schweiz können Ausländerinnen weniger Stunden in die Familien-‐ und Haushaltsarbeit investieren als Frauen mit Schweizer Pass. Grund ist die höhere Anzahl Erwerbsstunden (Bühler et al. 2005, 45). Die bürgerlichen Familienmodelle (Mann Vollzeit/Frau Teilzeit oder nicht erwerbstätig) sind bei ausländischen Familien mit einem Anteil von 60 % (gegenüber Schweizer Familien mit rund 80 %) weniger häufig vertreten (Bühler et al. 2005, 51). Zurückgeführt wird dies auf die vermutete einkommensschwache Situation ausländischer Familien, die auf zwei Vollzeit-‐Löhne angewiesen sind. Selten wird die Frage gestellt, ob vielleicht berufliche Identifikation eine stärkere Bedeutung für ausländische als für einheimische Frauen hat.
Die feministische Wohlfahrtsstaatsforschung erklärt die Dominanz der jeweiligen Arbeitsteilungsmodelle auch mit politisch-‐institutionellen Faktoren. In der Schweiz bleibt die wohlfahrtsstaatliche Politik im Care-‐Bereich bescheiden, trotz einiger politischer Massnahmen wie dem Impulsprogramm für familienergänzende Kinderbetreuung (vgl. auch die in der Einleitung zitierten Beispiele). So gibt es kein Recht auf öffentliche Kinderbetreuung, für Väter keine temporäre Freistellung von der Erwerbsarbeit zur Betreuung der Kinder (Elternzeit, Vaterschaftsurlaub o.ä.). Im Vergleich mit anderen OECD-‐Ländern ist das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen in der Schweiz unterdurchschnittlich. So zum Beispiel leben hier zu Lande gut ein Viertel der Kinder in einer Gemeinde, die überhaupt kein Angebot für familienergänzende Kinderbetreuung zur Verfügung stellt. . In den meisten Gemeinden, die über ein Angebot verfügen, gibt es lange Wartelisten für einen Krippenplatz11.
Die Schweiz kann am ehesten als ein Wohlfahrtsstaat mit konservativen Zügen in der Geschlechterpolitik gelten, wo die Aufgaben der Kinderbetreuung und Altenpflege noch immer der Familie zugeschrieben werden, auch wenn in dem
10 Die Kategorien „Ausländerin“ und Schweizerin“ sind nicht unproblematisch. Bei „Ausländerin“ kann es sich beispielsweise um eine Frau handeln, die, obwohl sie keinen Schweizer Pass besitzt, in der Schweiz aufgewachsen ist. Umgekehrt kann es sich bei einer Schweizerin um eine Person handeln, die im Ausland aufgewachsen ist, aber mittlerweile eingebürgert wurde.
11 Susanne Stern, NFP 60 Projekt "Familienergänzenden Kinderbetreuung und Gleichstellung": http://www.nfp60.ch/D/wissenstransfer-‐und-‐kommunikation/themen-‐im-‐
Bereich in sehr begrenztem Mass neue soziale Rechte etabliert wurden (Pfau-‐ Effinger 2005, 7).
Die Gleichstellungsmassnahmen und die zugrundeliegenden Diskurse fokussieren denn auch mehrheitlich auf den Bereich der Erwerbsarbeit. Der Gleichstellungsdiskurs und Massnahmen im Bereich Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind mit dem Diskurs um Fachkräftemangel und Wiedereinstieg verknüpft (Lanfranconi 2011, 15): „Gleichstellung in dieser Deutung heisst also nicht primär Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern im Erwerbsleben, sondern vielmehr die Eingliederung von (qualifizierten) Frauen (und Männern) in den Arbeitsmarkt allgemein oder in Führungspositionen“ (ebd. 2011, 17).
Vergleichbar argumentieren die Befürworter einer (kontrollierten) Einwanderung mit dem Fachkräftemangel und in diesem Zusammenhang vereinzelt mit den Potenzialen der migrierten Frauen, die besser genutzt werden sollen. Doch mehrheitlich fehlt in der Diskussion der Bezug zu Geschlechter-‐ und Vereinbarkeitsfragen. Umgekehrt stehen im öffentlichen Diskurs zu „Migration und Familie“ andere als berufliche Aspekte im Vordergrund: so insbesondere rechtliche Fragen wie z.B. Aufenthaltsbewilligungen, die prekäre Lagen von Migrantenfamilien, die Gesundheit und die Bildung der Kinder und Jugendlichen und die Situation der Frauen v.a. ihre Isolation und mangelnde/fehlende Kenntnisse eine Landsprache. Als Beispiel kann die Publikation „Familie und Migration“ der eidgenössischen Kommission für Familienfragen (Wanner et al. 2002) dienen. In diesem Diskurs zeichnet sich das implizite Bild einer bildungsfernen oder sozial benachteiligten Familie ab. Migrantinnen werden zudem in öffentlichen Debatten tendenziell als Opfer von patriarchalen Familienstrukturen porträtiert (Riaño 2011a). Es ist anzunehmen, dass die skizzierten strukturellen Positionen und politisch-‐ institutionellen Rahmenbedingungen besonders migrierten Frauen eine Etablierung im Arbeitsmarkt und deren Vereinbarkeit mit familiären Verpflichtungen schwer macht. Angesichts der mangelnden familienergänzenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten in der Schweiz sind erwerbstätige Eltern besonders auf die Hilfe von Verwandten angewiesen. Viele migrierte Frauen können jedoch nicht auf familiäre Unterstützung zählen. Welche Strategien lassen sich aus Erzählungen gut ausgebildeter Migrantinnen rekonstruieren? Und wie lassen sich diese in Bezug setzen zur gesellschaftlicher Organisation von Produktion und Reproduktion, zu Geschlechter-‐ und Migrationsverhältnissen und damit verbundenen Ungleichheiten?
2. Beruf und Familie mit Blick auf Soziale Anerkennung
Aufgrund der persistenten Verbindung der Geschlechterverhältnisse mit der Produktions-‐ und Reproduktionssphäre ist davon auszugehen, dass auch die aktuellen Spielarten und Deutungen in und zwischen diesen Bereichen geschlechtsspezifische Identitätskonstruktionen prägen. Und umgekehrt prägt die Deutung von Geschlecht nach wie vor die gelebten Familien-‐ und Erwerbsmodelle. Dabei ist Geschlecht, in Verbindung mit weiteren sozialen Kategorien, nicht als individuelles Merkmal, sondern als soziale Konstruktion, im Sinne sozialkonstruktivistischer Ansätze, zu verstehen (vgl.
doing gender-‐Ansätze geprägt von West et al. 1987). Eine solche Perspektive
verdeutlicht, dass die erzählten Vorstellungen und Strategien, zum Beispiel zur Vereinbarkeit, in interaktionale Prozesse eingebettet sind, und nicht auf individuellen „Fähigkeiten“ oder „unabhängigen“ Entscheidungen beruhen. Die Darstellung des eigenen Lebensentwurfs ist daher immer in Bezug zur sozialen Umgebung, zu „Anderen“
zu lesen. Judith Butler (2001a, 2003) macht in ihren Überlegungen zu Subjektivation auf die relationale und paradoxe Verknüpfung von „Selbstsein“ und „Mito andereno Sein“ aufmerksam. Butler zufolge ist Selbstsein immer durch Andere bedingt und vermittelt. Elementarer Bestandteil von Subjektivation ist demzufolge die Verwiesenheit auf Andere und damit auch das Angewiesensein auf soziale Anerkennung.
Soziale Anerkennung findet in Anerkennungsarenen statt, welche „die spezifischen sozialen Gelegenheiten, in denen – kulturo , milieuo oder gruppenspezifisch – Anerkennung erstrebt oder gezollt wird“, darstellen (Nothdurft 2007, 118ff). Wie früher/weiter oben erläutert, wird hier davon ausgegangen, dass sowohl Erwerbsräume wie auch Familie sozial zentrale, wenn auch in ihrer Qualität unterschiedliche Anerkennungsarenen darstellen. Diese Kontexte bestimmen die sozialen Positionen, die bestimmte Personen einnehmen bzw. einnehmen können und aufgrund derer ihnen bestimmte Ansprüche erwachsen oder verweigert werden (Mecheril 2000, 5). In Butlers Worten legt der Kontext nahe, „dass das, was die Person und übrigens auch die Geschlechtsidentität ‚ist‘, jeweils von den konstruierten Relationen abhängt, in denen sie definiert werden.“ (Butler 1991, 28f) „Folglich lässt sich die ‚Geschlechtsidentität‘ nicht aus den politischen und kulturellen Vernetzungen herauslösen, in denen sie ständig hervorgebracht und aufrechterhalten wird“ (Butler 1991, 18). Sie überschneidet sich darüber hinaus mit „rassischen, ethnischen, sexuellen, regionalen und klassenspezifischen
Modalitäten diskursiv konstituierter Identitäten“. Die
verschiedenen Identifizierungen sind folglich als miteinander verflochten zu verstehen: „die Identifizierung mit einem sozialen Geschlecht kann erfolgen, um die Identifizierung mit einer Rasse zu verwerfen oder an ihr teilzuhaben; was als ‚Ethnizität‘ gilt, gestaltet und erotisiert Sexualität oder kann selbst eine sexuelle Markierung sein“ (Butler 2001b, 210). Das bedeutet, dass Identifizierungen jeweils durch Abgrenzung von anderen erfolgen. Laut Butler sind auch Rasse oder soziales Geschlecht keine voneinander trennbaren Kategorien. Erzählungen und Lebenspraxis können also bestimmte Zugehörigkeiten – zu einem Milieu, Geschlecht, Klasse und deren Interdependenzen – markieren, welche in bestimmten sozialen Situationen ano bzw. aberkannt werden. Für die vorliegende Analyse stellt sich die Frage, welche Identitätsbezüge in den Deutungen und Praxen von Beruf und Familie festzustellen sind und auf welche sozialen Gelegenheitsstrukturen von Anerkennung sie hinweisen.
3.
Beruf und Familie aus der Perspektive von hochqualifizierten
Migrantinnen und Migranten
3.1 Erwerbstätigkeit von Frauen: „to be someone“ im Migrationskontext
Die Narrativen der interviewten Frauen zeigen, dass sie eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit als selbstverständlich wahrnehmen, sie bedarf kaum mehr einer besonderen Begründung. Auffallend ist eine teilweise besonders stark ausgeprägte Berufsorientierung unter Studienteilnehmerinnen aus dem Nahen und Mittleren Osten, aus Südosteuropa und Südamerika. Diese Orientierung kann vor dem Hintergrund der Herkunftskontexte als Versuch interpretiert werden, die Lebensentwürfe von Frauen neu zu definieren. Für diese Frauen stellen Ausbildung und Erwerbstätigkeit alternative Möglichkeiten zu einer Heirat dar, um eine angesehene soziale Stellung zu erreichen. Wie das Beispiel der libanesischen Politologin Lelya Khury zeigt, wollte sie eine höhere Ausbildung absolvieren „to be someone“. Da sie zusätzlich mit finanziellen Schwierigkeiten kämpfte, musste sie „hart arbeiten“, um ein Stipendium zu erhalten:
I would have never been able to afford a Masters degree in the US. So my drive was always to be the best. To really do well, (…) knowing that that’s the only way I was going to get a chance in my life. And knowing that I was not pressured into early marriage, that I didn’t have to marry to be someone (…). And I knew it was my only ticket to go anywhere.
Auch weitere Frauen, wie die im nächsten Kapitel erwähnte Sahar Gasser, hofften mittels Bildung ihren Wunsch nach Unabhängigkeit und einer Neudefinition des weiblichen Lebensentwurfs zu verwirklichen. Karriere kann in diesen Fall als Ausweg aus einer Frauenbiografie, die ausschliesslich über die Heirat und Mutterschaft bestimmt ist, interpretiert werden. Für diese Frauen bleibt Erwerbsarbeit auch nach einer Familiengründung wichtiger Bestandteil ihrer weiblichen Identität. Diesbezüglich erweist sich der Migrationskontext auch als wichtiger Einflussfaktor. Berufsarbeit bzw. freiwillige Arbeit sind für die befragten Frauen, aber auch Männer, zentrale Orte, an denen sie einen Platz in der neuen Gesellschaft und soziale Anerkennung suchen (vgl. Baghdadi 2008; Riaño et al. 2007). Wie auch andere Studien zeigen, erfährt „to be someone“ im Migrationskontext eine zusätzliche Wichtigkeit: "Erwachsene erfahren im Migrationsprozess in der Regel einen massiven Verlust an Macht und Einfluss sowie an sozialen Gelegenheiten des Mitmachens, des Dazugehörens“ (Krumm 2012: 11). Eine gute berufliche Position ist demnach nicht nur als Ort der allgemeinen gesellschaftlichen Teilhabe relevant, sondern auch zum Erhalt resp. zur Rekonstruktion des Klassenstatus. Die Erzählung der Politologin Hiba Sharaf im Rahmen eines Workshops im Jahr 2004 verdeutlicht diese Aspekte:
Am Anfang war es für mich sehr wichtig, dass die Leute nicht sagen, sie ist die Frau von Stephan. Es hat mich wirklich wütend gemacht, dass die Leute mir sagen – wenn sie wissen, ich komme aus einem muslimischen Land – „Sie ist die MUSLIMIN“. Moslem zu sein, ist etwas Persönliches, wie ich mit dem umgehe. Das ist sehr persönlich. Das heisst nicht, dass ich keine spirituelle Seite habe, das habe ich. Aber plötzlich bist du nur noch DIE Muslimin. Aber ich bin nicht DIE Muslimin oder die Frau von Stephan. Deswegen war es von Anfang an sehr wichtig, weil: im meinem Land haben mich die Leute total anders betrachtet. Weisst du, ich war die Politikerin – in diesem Rahmen. Und dann kommst du in ein anderes Umfeld und dann bist du plötzlich ohne Bezug, ohne Rahmen. Und du musst diesen Rahmen aufbauen, Stück für Stück. Es war einfach klar, jetzt muss ich hart arbeiten, damit ich ihre Wahrnehmung ändere. Ich bin nicht die Ausländerin, die einen Schweizer geheiratet hat, damit sie aus dem Jemen wegziehen kann. Eigentlich habe ich im meinem Land wirklich im Luxus gelebt, mit einem Chauffeur, Dienstmädchen, you just name it. Und dann kommst du hierher und du bist Mittelklasse. Ich bin Hiba Sharaf, und ich werde euch zeigen, was das heisst, ich zu sein. Aber es ist hart, es ist hart.
Aus Hiba Sharafs Erzählung ist zu entnehmen, dass die Migration in die Schweiz mit neuen Bezeichnungen und einem anderen Blick auf ihre Person einherging. Mit diesem Fremdbild kann sie sich jedoch nicht identifizieren, so will sie zum Beispiel nicht „die Frau von“ einem Schweizer sein, mehr noch, es macht sie „wütend“, dass sie so wahrgenommen wird. Besonders Mühe hat Hiba Sharaf jedoch mit der Wahrnehmung ihrer Person als „Muslimin“. Grund ist, dass diese Bezeichnung mit einer bestimmten sozialen Stellung in der Schweiz verbunden ist, welche nicht mit ihrem früheren Status eines Mitgliedes der Oberschicht übereinstimmt. Darüber hinaus büsste Hiba Sharaf ihre vormalige berufliche Stellung ein; im Jemen war sie „die Politikerin“. Plötzlich steht sie „ohne Rahmen“ da und muss sich die Anerkennung ihrer Berufs-‐ und Klassenposition
wieder „hart“ erarbeiten und sich gegen Zuschreibungen wehren, welche diese angestrebte Stellung in Frage stellen. Diese Ausführungen stehen in starkem Kontrast zu den gängigen Bildern von (muslimischen) Migrantinnen als Opfer von patriarchalen Familienstrukturen. Die vehemente Reaktion von Hiba Sharaf kann in diesem Zusammenhang auch als Reaktion auf die als abwertend empfundenen Bilder gegenüber Musliminnen verstanden werden.
Die Ausrichtung der Biografien an Erwerbstätigkeit spiegelt damit auch die Wichtigkeit der Produktionssphäre in der Definition sozial angesehener Positionen, für Frauen wie für Männer. In dieser Arena suchen Migranten und Migrantinnen Teilhabe, Anerkennung und entsprechenden Status. Besonders Frauen möchten mit einer beruflichen Orientierung mit alternativen weiblichen Lebensentwürfen in Erscheinung treten, sowohl im Herkunftso als auch im Migrationskontext. Doch werden sie im Zuge der Migration selten als solche erkannt und anerkannt.
3.2 Familienarbeit und Mutterschaft zwischen Alternative und Zuweisung
Familienarbeit und insbesondere Mutterschaft zeigen sich als ambivalente und von Widersprüchen geprägte Bereiche in den Erzählungen. Sie schwanken zwischen Ausblendung, Suche nach Alternativen zu nicht gelingender Arbeitsmarktteilnahme und der Auseinandersetzung mit Zuschreibungen als Hausfrauen. Als Beispiel kann der Fall von Besma Balamir dienen. Die diplomierte Elektroingenieurin ist in den 1990er Jahren aus dem Kosovo in die Schweiz gekommen, zusammen mit ihrem Ehemann. Nach dem Besuch eines Deutschintensivkurses, bewarb sie sich auf zahlreiche Stellen, doch ohne Erfolg. Frustriert und enttäuscht von der Aussichtslosigkeit, am Arbeitsmarkt teilnehmen zu können, entschied sich Besma Balamir für die Gründung einer Familie. Im Interview begründet sie diesen Schritt wie folgt:
Weil ich wollte viel erreichen und immer wenn ich etwas wollte, sagten sie: ‚Das geht nicht, das können Sie nicht machen, das machen wir nicht so’. Am Anfang war ich ein bisschen enttäuscht, warum kann ich in die Schweiz kommen, aber gar nichts machen, das war eine grosse Enttäuschung. Ich habe mich entschlossen, das ist keine Möglichkeit, ich will zuerst ein Kind haben und ich habe mein erstes Kind geboren und dann ein zweites Kind.
„Kinder haben“ taucht hier als Strategie gegen die „Enttäuschung“ auf und kann als Reaktion auf den Ausschluss vom Arbeitmarkt und als Alternative zur Arbeitslosigkeit gedeutet werden. Obwohl sich Besma Balamir dafür entschied, sich auf ihre Familienrolle zu konzentrieren und aus gesundheitlichen Gründen einige Zeit zu schonen, erlebte sie ihre Strategie nicht als vollständig befriedigend und vermisste nach wie vor das Ausüben ihres Berufs. Aufgrund der Erfahrung, dass ihr das Diplom hierzulande nicht die gewünschte Arbeitsmarktpartizipation eintrug und aufgrund der Erkenntnis, die vom Berufsberater mitinitiiert wurde, dass nur eine schweizerische Ausbildung eine Anstellung in ihrem Beruf ermöglichen würde, war nun ihr Ziel, in der Schweiz einen Abschluss zu erwerben. Sie wendete sich an den Sozialdienst, doch ihr Anliegen wurde abgelehnt. Die Sozialarbeiterin, habe ihr gesagt, sie könne „diesen Kurs nicht besuchen, es spielt keine Rolle woher dieser Fond kommt, du bist eine Hausfrau. Du musst zu Hause bleiben und deine Kinder betreuen.“ Dabei waren ihre Kinder in der Tagesschule und in der Kinderkrippe.
Besma Balamir hatte keinen Zugang zu Stipendien oder anderweitiger finanzieller Unterstützung, weil sie von Akteuren wie dem Sozialdienst in ihrer Rolle als Mutter und
Hausfrau wahrgenommen wurde. Dieses Bild deutet auf eine nach wie vor stark präsente „Vorstellung vom Frauenleben als ‚Dasein für andere’“ (Kontos 2000, 182) und die traditionelle Norm hin, dass „gute Mütter“ zu Hause bleiben. Grenzen überqueren und in der Schweiz zu leben, bedeutet deshalb für viele der interviewten Migrantinnen nicht „eine Befreiung von patriarchalen Strukturen“, wie oft in der Literatur zur Migration von Frauen behauptet wird (Riaño 2011b), sondern eine Begegnung mit traditionelleren Geschlechternormen. Ähnlich wie Besma Balamir und zahlreiche weitere Studienteilnehmerinnen berichtet auch die aus Tunesien stammende Gymnasiallehrerin Sahar Gasser von einem Fraueno bzw. Mutterbild, das ihr die Verantwortung für die Kindererziehung auferlegt. Damit verbunden ist eine Zuweisung auf den häuslichen Raum.
Weisst du, es ist eine sehr spezielle Situation, wenn man Mutter ist und daneben noch so viele Sachen macht. Ich beobachte das in meinem Freundes-‐ und Bekanntenkreis, es gibt viele Frauen, die sich wie verabschieden vom öffentlichen Leben, sehr häufig, ich sage nicht immer, aber sehr häufig, junge Frauen vor allem, weisst du, so zwischen dreissig und vierzig, die das Gefühl haben, sie müssten jetzt voll da sein für die Familie, für die Kinder und dann verabschieden sie sich, auch wenn sie eine super Ausbildung haben, weisst du, und machen nichts mehr quasi für die Gemeinschaft oder etwas anderes als die Familie und ich würde einfach sagen, das ist wie noch einmal eine Hürde für eine Frau, Kinder sind eigentlich, also: kleine Kinder sind eigentlich noch einmal eine Hürde für eine Frau, ja, sich öffentlich zu engagieren für etwas, also viele Leute haben Mühe, haben das bei mir natürlich als schlecht angeschaut, oder, so quasi Rabenmutter. Da gibt es einen unglaublichen Mangel an Solidarität zwischen Frauen, ‚Oh, was macht jetzt die? Das macht man ja nicht‘, du musst immer Mittagessen kochen für deine Kinder, du musst immer waschen und zu Hause sein‘ und das ist eben nicht so.
Sahar Gasser nahm in ihrem sozialen Umfeld die Norm wahr, dass Frauen „voll da sein [müssen] für die Familie“. Mit ihrer eigenen Lebensweise schien sie dieser Norm nicht zu entsprechen, was auf Ablehnung stiess. Wie sie erzählt, wurde ihre ausserhäusliche berufliche Tätigkeit negativ betrachtet, als eine Vernachlässigung ihrer erzieherischen Aufgaben im häuslichen Raum, was sich im Begriff der „Rabenmutter“ ausdrückt.
Sahar Gassers und Besma Balamirs Beispiele zeigen exemplarisch, dass die Studienteilnehmerinnen mit spezifischen Erwartungen bezüglich ihrer weiblichen Rolle konfrontiert wurden. Interessanterweise, zeigt sich dies v.a. bei den befragten Frauen aus Südosteuropa und dem Nahen und Mittleren Osten und Südamerika. Damit wird die Annahme bestätigt, dass Migrantinnen aus diesen Regionen mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Stereotype Geschlechterrollenannahmen und -‐ zuschreibungen verbunden mit Herkunft führen dazu, dass die strukturell ungleichen Positionen reproduziert werden. Die Annahme ist jedoch dahingehend zu differenzieren, als dass sie nicht auf alle migrierten Frauen gleichermassen zuzutreffen scheint.
Sowohl bei Besma Balamir als auch bei Sahar Gasser mutet die ausschliessliche Zuschreibung der Mutterrolle paradox an, weil sie selbst offenbar kein gespaltenes Verhältnis bezüglich einer Kombination von Mutterschaft und Erwerbsarbeit haben. Ähnlich kommen auch andere Studien zum Schluss, dass „in deren Entwurf von Weiblichkeit (…) die Frage entweder Familie oder Beruf überhaupt nicht auf(taucht), eine Vereinbarkeit wird vielmehr grundsätzlich vorausgesetzt“ (Thiessen 2000, 114). Die befragten Frauen haben sich von der Migration sogar eine Verbesserung in diesem Bereich erwartet. Es kann vermutet werden, dass die Festschreibung nichteuropäischer
Migrantinnen auf den Reproduktionsbereich mit dessen untergeordneten Status zusammenhängt. Auf diese Weise werden sie als Mutter markiert mit einem sozial wenig anerkannten Status in Verbindung gebracht.
3.3 Die Zuständigkeit der Frauen für das Zusammenleben der Familie und für Vereinbarkeitslösungen
Für die befragten Frauen und Männer lässt sich also feststellen, dass sie die Frage Beruf ODER Familie nicht stellen. Eine ausschliessliche Zuständigkeit für einen der beiden Bereiche gehört nicht zu ihren Vorstellungen. Sowohl einen guten Beruf zu haben als auch eine Familie zu gründen sind für die meisten zentrale Lebensziele. Gleichzeitig zeigt sich jedoch bei genauerem Hinschauen, dass das Zusammenleben der Familie und die tagtägliche Sorge für Haushalt und Kinder in der Zuständigkeit der Frauen verbleiben. Dies widerspiegelt der allgemeine Trend für alle Frauen in der Schweiz, wie zu Beginn dieses Kapitels gezeigt wurde. Die folgenden Beispiele verdeutlichen , dass die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem eine Aufgabe ist, für die die Frauen zuständig sind.
In einer Fokusgruppe mit hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten nahm 2009 die 40 Jahre alte amerikanische Bankerin Louise Davis teil. Sie ist im Jahr 2002 zu ihrem Partner in die Schweiz gezogen:
Louise Davis: I was working for a daughter company of Insurance A. in Amsterdam. And my boyfriend at the time, now my husband, was also working at that organisation, and he was offered a position in Zurich. And so we commuted back and forth for about six months, then he proposed. So, I moved to Zurich. And so, it's a short story, it's a love story. After six months of commuting back and forth and meeting in different places, it's very exciting for a while, but then, it's good to be together, so yeah.
Moderatorin: And he's from where?
Louise Davis: He's Dutch. Yeah, I had spent ten years in Holland, living in Holland. Moderatorin: And what about your work situation?
Louise Davis: Well, I was then unemployed, we had married, and I was unemployed and started looking for a job again after a nice summer break. And actually the time I started looking for a job I also became pregnant with our first child. And so I was interviewing very early in the pregnancy and, actually Bank B. was the first company I talked to and they offered me a position despite the fact that I was pregnant. So, they hired me (lacht) (...) I would say with the work, I made a conscious deci-‐, I had been working for about 12 years professionally when I moved here and had various managerial positions at my previous employer. And was single, right. And so when I moved here to get married we also wanted to start a family. So I knew with my age, I knew, I needed to really consider what kind of role I could fulfill, knowing that I wanted to have children and hopefully more than one. So, I applied for a role as a project manager at Bank B., and that was for me a step back, compared to what I had been doing. But I had previously worked in projects, so I felt comfortable that if I got the job, I could have a family and somehow combine that, was what I was thinking. And luckily then, that worked out, that worked out well. So, of course I still use the skills that I had and I picked up and learned in my previous roles, but I had, shall we
say, bigger jobs before I moved to Zurich. But it was really a conscious choice. And I've had managerial roles at Bank B. in the meantime, and now I'm an individual contributor again, as they call that, right, so not managing a team, and that's fine for me, that's absolutely fine. I miss sometimes the management side, but with three small children, and I work 70%, then I think that's enough.
Für Louise Davis ist offenbar selbstverständlich, dass sie von Holland in die Schweiz zieht, um mit ihrem Partner zusammen zu leben. Denn Aushandlungen zwischen den beiden, Abwägungen oder Alternativen kommen in der Erzählung nicht vor. Im nächsten Abschnitt ist der Ehemann sogar tendenziell abwesend von der Beschreibung. Zwar sagt Frau Davis „we wanted to start a family“, um dann zu folgern „I needed to consider what kind of role I could fulfill“. Eine Familie scheint zwar ein gemeinsames Projekt zu sein, doch verlangt dies nur von ihr Anpassungen im Bereich Karriere und Jobmöglichkeiten. Vom Fragebogen wissen wir, dass ihr Ehemann weiterhin eine Vollzeitanstellung innehat. Den Entscheid, ihre Karriere zugunsten der Kinder zurückzustellen, präsentiert sie als eine bewusste Wahl, „a conscious choice“. Für sie ist das Care-‐ /Erwerbsarbeitsmodell kein Zufall oder Folge von mangelnden Betreuungsstrukturen oder von fehlendem Care-‐Engagement des Mannes, sondern eine selbstbestimmte, individuelle Entscheidung.
Ähnlich wie Louise Davis ihrem Mann in die Schweiz nachfolgte, als dieser eine Stelle in der Schweiz erhielt, entschloss sich die Frau von Matthias Fuchs, als er von seiner Firma nach Zürich versetzt werden sollte, mitzureisen. Dies, obwohl auch die Möglichkeit bestanden hätte, dass der IT-‐Spezialist zwischen zwei Orten pendelt, wie er in einer Gruppendiskussion im Jahr 2009 erzählte:
Und .. hätte dann sozusagen Dienstag, Mittwoch, Donnerstag "Di-‐Mi-‐Do“ in Zürich gearbeitet und hätte montags und freitags in Stuttgart gearbeitet. Und ich dachte auch, meine Frau hätte das besser gefunden. Weil, sie ist Architektin und wir haben einen Jungen und der war dann gerade auch die ersten zwei Jahre in der Grundschule, in der deutsch-‐ französischen Grundschule in Stuttgart, eine sehr gute Schule. Wir waren froh, dass er da war. Sie hatte auch wieder mit einem 80% Job in einer guten Agentur in Stuttgart angefangen. Also dachte ich eigentlich, die Entscheidung ist eigentlich klar. Sie wird dann auch sagen, ist zwar blöde, wenn du da ein Di-‐Mi-‐Do machst, aber wir sind jetzt gerade hier, fühlen uns wohl, dann machen wir das so. Aber .. sie sagte sofort ohne Diskussion, ist ja super dann gehen wir da aber alle in die Schweiz, einfach hier zu arbeiten. Und ich, ja okay, machen wir das, finde ich ja gut, finde ich ja super. Dann sind wir hierhin gegangen.
Dass er die Versetzung annehmen würde, war für Matthias Fuchs keine Frage: „Dann sage ich, ja wollte ich ja immer schon ins Ausland“. Wie das mit den familiären Verpflichtungen zu vereinbaren ist, wird von ihm nicht thematisiert – unabhängig davon, ob er drei Tage die Woche weg ist oder alle gemeinsam auswandern. Damit bleibt die Frage, wie eine Abwesenheit zu arrangieren ist, seiner Frau überlassen. Sie entscheidet sich für eine gemeinsame Migration, die genauen Beweggründe werden nicht genannt.
In beiden Beispielen zeigt sich das implizite Muster des männlichen Hauptmigranten und der weiblichen Nachfolge ebenso wie die oben erwähnte statistisch nachweisbare Praxis, dass Frauen alltägliche Betreuungsfragen lösen. Interessant ist, dass Geschlechterrollen nicht als Begründung herangezogen werden. Auch verstehen sich diese gut ausgebildeten Frauen nicht als Opfer ihrer Männer oder von strukturellen
Zwängen, sondern präsentieren sich als aktiv entscheidende Personen, welche weiterhin selbstverständlich arbeiten, auch wenn die Arbeit den familiären Bedürfnissen
angepasst wird. Dieses Spannungsfeld von weiblicher
Selbstbestimmung, selbstverständlicher Karriereorientierung von Frauen und Männern bei gleichzeitigen impliziten geschlechtsspezifischen Vorstellungen und Zuständigkeiten, zeigt sich auch unter den befragten Personalverantwortlichen. Die Vertreterin eines internationalen Lebensmittelkonzerns berichtet in einem Workshop:
Trotzdem auch innerhalb der verschiedenen Expats-‐Assignments merke ich trotzdem, dass es schwieriger ist, eben jetzt Familien in die Schweiz zu holen oder wo auch immer hin. Weil die natürlich, ja ich weiss nicht, die Frau hat zuhause einen Arbeitsplatz, weiss nicht was im Ausland werden wird, vielleicht spricht sie auch kein Deutsch, ist dann unsicher, ob sie hier was findet. Und genauso werden die, die Kinder irgendwie verankert sein zuhause. Es ist immer ein bisschen schwieriger, eine Familie dazu zu bringen, umzuziehen. Allerdings wenn ich vergleiche, wenn ich versuche, jemanden in die Schweiz zu bringen oder wenn ich jemanden versuche nach, ich weiss nicht, Mexico oder nach Dubai oder wo auch immer hinzuschicken, dann sieht man natürlich schon, dass die Schweiz sehr attraktiv ist eigentlich. Also es ist dann schon im Vergleich zu anderen Ländern einfacher. Bei Familien muss ich auch sagen, wenn sie erst mal hier sind und sich ein bisschen eingelebt haben, weil sie ein halbes Jahr, Jahr hier sind, dann, dann gefällt‘s, würde ich mal sagen, dann gefällt’s den meisten. Aber die kriegen natürlich auch viel bezahlt.
Ohne Geschlechterunterschiede explizit auszuführen, spricht die Befragte von einem männlichen Expat und dessen Familie. Diese mache allerdings im Gegensatz zu früher einen Ortswechsel nicht in jedem Fall mit. Obwohl Frauen heute nicht mehr selbstverständlich mit ihren Männern wandern, ist es auch im hier befragten Sample der häufigere Fall, dass sie es tun. Der umgekehrte Fall scheint nur längerfristig zu funktionieren, wenn der Partner sich beruflich ebenfalls am neuen Ort etablieren kann. Es kann die These gewagt werden, dass Frauen, besonders wenn Kinder da sind, eher bereit sind, für das Zusammenleben mit dem Partner und der Familie einen Ortswechsel oder karrieremässige Einbussen in Kauf zu nehmen. Während die Frauen im befragten Sample bzw. die Partnerinnen der befragten Männer mit Karriereeinbussen, Arbeitslosigkeit oder Überqualifizierung einen Umgang finden und einigermassen zufrieden scheinen, können sich Männer bzw. die Partner der befragten Frauen mit einer solchen Situation nicht zufrieden geben.12 Die berufliche Stellung scheint für das Selbstverständnis von Männern also nach wie vor wichtiger zu sein als für Frauen.
Fazit
Die Ausrichtung von Biografien am Ideal einer beruflichen Karriere spiegelt die Wichtigkeit der Produktionssphäre in der Definition sozial angesehener Positionen, für migrierte Frauen wie für migrierte Männer der Mittelschicht. Auf der anderen Seite zeigen die Erzählungen, dass eine ausschliessliche Verankerung im Reproduktionsbereich, in anderen Worten die Familienarbeit, nach wie vor geringe soziale Anerkennung erfährt und entsprechend nicht als Haupttätigkeit angestrebt wird. Gleichstellung der Geschlechter heisst demnach in den Vorstellungen der interviewten Migrantinnen und Migranten in erster Linie Erwerbsbeteiligung von Frauen und nicht
12 Allerdings muss angemerkt werden, dass die Teilnehmenden nicht direkt nach der Zufriedenheit mit der Situation befragt wurden. Interpretiert werden die erzählten Handlungen und Paar-‐Arrangements.