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Ungleiche Beziehungen : zur Ethnologie der Geschlechterrollen im Wallis

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Academic year: 2021

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(1)

U N G L E I C H E

B E Z I E H U N G E N

Zur Ethnologie der Geschlechterrollen im Wallis

NB

1795

(2)
(3)

i

I

Zurückzugeben bis:

9. DEZ. 1990

,osnf je u jn o je j y

Bibl. cant.

US

Kantonsbibi.

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K an to n ales M u s e u m für Geschichte und Volkskunde V a lé re

Forschungsstelle für r e g io n a le G e g e n w a r ts e th n o lo g ie

Ethnologische Reihe 1

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Grafisches Konzept: Yan Duyvendak

G rafische G estaltung: M a rie C la u de M o ra n d , Daniel Constantin, Thomas Antonietti Fotoarbeiten: Rhotolithos Villars et Cie, N euenburg

(7)

Thomas Anto ni etti

UNGLEICHE BEZIEHUNGEN

Zur E th n o lo g ie d e r G e s c h le c h te rro lle n im W a llis

M it Fotografien von Jean-Yves Glassey und historischen Aufnahmen von Charles Krebser, A lb e rt Nyfeler, Theo Frey und anderen

H erausgegeben von den W a llise r Kantonsmuseen Sitten 1989

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(9)

Inhalt

1

Eine Standortbestimmung

1 1

Ethnologie und Fotografie

13

2

Die landwirtschaftliche Arbeitsteilung

19

Rollen, Räume, Norm en

28

Frauenbilder — M ä n ne rbilder

39

3

M ännlichkeit und W eiblichkeit im H andw erk

49

H andw erk und Agrarkultur

52

Vier Berufsbilder

5 7

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Eine Standortbestim m ung

Ethnologie und Fotografie

(12)
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Eine S ta n d o rtb e s tim m u n g

Von 1861 bis 1937 lebt und w irkt im Lötschental M arjosa Tannast, Hebamme und 'weise Frau'. Ihre heilerischen Kenntnisse und Fähigkeiten gehen w e it über die bei Schwangerschaft und G e bu rt üblichen Hilfeleistungen einer H ebam ­ me hinaus und verschaffen M arjosa Tannast im ganzen Tal Autorität und Ansehen. Aufgrund ihrer zuverlässigen Diagnosen und dank ihres zurückhaltenden Charakters w ird sie zu einer medizinischen Institution, vor allem a ber zur Vertrauensperson der w erdenden Mütter. M a r­ josa Tannasts starke Persönlichkeit und ihre aus­ serordentlichen Fähigkeiten machen sie zu ei­ ner A rt O berhebam m e des Tales und tragen ihr — selber M utter von fünf Kindern — die Be­ zeichnung «M utter der M ütter» e in .1

Im selben Lötschental lebt und w irkt von 1886 bis 1982 Johann Siegen, Seelsorger und Volkskundler. In seinem W irke n als Priester w ie als Anreger und Förderer von Sozialwerken und öffentlichen Einrichtungen drückt er dem Tal w e it über den kirchlich-religiösen Bereich hinaus seinen Stempel auf. Durch sein Engage­ ment in Kirche, Schule, G em einde und Verei­ nen, a b e r auch dank seiner von Selbstdisziplin g ep rägten Persönlichkeit w ird der Prior des Lötschentals zum Erzieher gan zer G e n e ra tio ­ nen. Daneben entfaltet Johann Siegen eine rege Tätigkeit als Volkskundler und Historiker. Durch sein publizistisches Schaffen und seine zahllosen öffentlichen Auftritte verkörpert er für viele das Lötschental schlechthin und ver­ schafftsich Anerkennung im In- und A u s la n d .2 Johann Siegen, bereits zu Lebzeiten eine Le­ gende, geht als «eine der markantesten Per­ sönlichkeiten des W a llis » 3 in die Geschichte ein. M arjo sa Tannast ist ausserhalb der He­ bammenforschung kaum bekannt und ver­ schwindet allm ählich auch aus der Erinnerung der Talleute.

«Die verborgene Kultur der Frau»4 w irkt un­ te rs c h w e llig . Das O ffe n -S ic h tlic h e ist d e r

männliche Anteil an Kultur. Die U ngleichge­ w ichte in der Beziehung zwischen M ann und Frau finden deshalb ihren N iederschlag auch in der Ueberlieferung, im Alltagsgedächtnis ebenso w ie in G eschichte und Volkskunde. M it ihrem Interesse für die 'Kultur der vielen' bezie­ hungsweise für die Alltagskultur lenkte die Volkskunde d ab ei — im G egensatz zur G e ­ schichtswissenschaft — ihr Augenmerk schon früh auch auf frauenspezifische Bereiche. Ja, nicht selten finden sich in volkskundlichen W e r­ ken mehr Hinweise auf die Aufgaben und Rol­ len der Frauen als auf diejenigen der M än ne r; w as indessen nicht heissen w ill, dass die M ä n ­ nerwelt in der Ethnographie des W allis unter­ vertreten wäre. G a n z im G egenteil ! Verstehen sich doch diese frauenspezifischen A ngaben sehr oft als Beschreibungen dessen, was vom Lieblichen abw eicht. Das M ännliche ist die N orm , die in die allgem eine Beschreibung ein- fliesst, das W e ibliche das von der N orm A b ­ weichende, das erklärt und separat beschrie­ ben sein w ill.5 Die neuere volkskundliche Frauenforschung hat dieses Bild insofern zu korrigieren vermocht, als sie die Frauen nicht mehr als Sonderfall, sondern als eine gesell­ schaftliche G ru p p e betrachtet, die auf ihre W eise die Alltagskultur gestaltet.

Diese Betrachtungsweise macht auf einen Sachverhalt aufmerksam, der gerade bei den gern als geschlossene Gemeinschaften w a h r­ genommenen traditionellen Gesellschaften oft übersehen w ird : Die Trennung in einen männli­ chen und einen w eiblichen Bereich mit all den dam it verbundenen Rollenverteilungen und Machtverhältnissen stellt — mehr noch als die Teilung nach G enerationen und Klassen — ein grundlegendes Ordnungsprinzip gerade nicht­ industrieller Gesellschaften dar. Und ganz a ll­ gemein ist die Alltagskultur von geschlechts- und altersspezifischen Rollenzuweisungen g e ­ prägt. Das heisst, dass sich auch die Volks­ kunde vermehrt Betrachtungsweisen zu ei­ gen machen muss, bei denen die Kategorie G e schle chtd ie W ahrnehm ung leitet. Das The­ ma Frau ist so gesehen nichtals ein

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volkskundli-ches Forschungsfeld zu betrachten (als zusätz­ licher Bereich neben Haus-, Kleidungs-, N a h ­ rungs-, Geräte-, Brauchtumsforschung usw.). Vielmehr geht es darum, geschlechtsspezifi­ sche Prägungen und Ausgestaltungen der Kul­ tur zu erkennen sowie das M ännliche und das W e ibliche als die G esellschaft strukturierende Prinzipien zu begreifen. N ic h t eine Erweite­ rung der männlich geprägten Ethnologie um den Bereich Frau ist also gem eint , sondern eine Ethnologie der G eschlechterbeziehung. Diese Beziehung ist w ie g e s a g t g ru nd le ge n d für das Verständnis g ese llsch aftlich er O r g a ­ nisationsform en und stellt die w o h l e lem en­ tarste Form ung le iche r M achtverhältnisse dar. Zur Verm eidung a llfä llig e r Interessens­ kollisionen w e rd e n in je d e r Kultur bestimmte N orm en e ntw ickelt, die mehr o d e r w e n ig e r klare M a c h t- und Rollenzuweisungen festle­ gen,• Zuw eisungen, d ie sich niederschlagen in A rbeitsteilungen, räum lichen und sozialen Scheidungen, A b h ä n g ig k e ite n , Rechtsfor­ men und w eiteren Bereichen d e r A llta g sw e lt, a b e r auch in Bildern und Vorstellungen, die sich eine G e s e lls c h a ft von M a n n und Frau macht. Einzelnen konkreten Ausgestaltungen d e r G e s c h le chte rb e zie hu ng im b e rg b ä u e rli­ chen W a llis des 19. und 2 0. Jahrhunderts soll d esh alb in einem ersten Kapitel n a c h g e g a n ­ gen w erden.

Anhand des Beispiels H an dw e rk soll sodann der Frage nach der G eschlechterbeziehung in einem Bereich nachgespürt w erden, bei dem die Trennung in eine männliche und eine w e ib ­ liche Sphäre besonders gut sichtbar w ird. N ic h t das H andw erk in seinen te chn olo gi­ schen Bezügen steht d ab ei im M ittelpunkt des Interesses, sondern das H an dw e rk in seinen Beziehungen zur bäuerlichen Gesellschaft. In einer Agrarkultur w ie derjenigen des W allis ist auch ein Bereich w ie das H andw erk nur vor dem Hintergrund der bäuerlichen W irts c h a ft zu verstehen. Die Darstellung von Menschen mit ihrem H andw erk erlaubt uns deshalb auch Aufschlüsse über die Stellung von M ann und

Frau in dieser Kultur; Aufschlüsse, die w egen der eindeutigen Zuordnung handw erklicher Berufe nach M an n und Frau klarersind, als dies eine Darstellung d er auf Selbstversorgung aus­ gerichteten Landwirtschaft zeigen kann. Die vier ausgew ählten Berufsbilder sollen d a ­ bei in verschiedener Hinsicht Beziehungen herstellen. W a g n e r und Schmied stehen in ei­ nem ebenso engen Verhältnis zueinander w ie Hutbandstickerin und Hutmacherin. Beide Be­ rufspaare arbeiten sehr eng zusammen und stellen nicht selten verschiedene Arbeitspro­ zesse ein und desselben Produktes dar. Und ebenso eng w ie diese Beziehung zwischen verschiedenen H andw erken gestaltet sich d e ­ ren Beziehung zur sie um gebenden W ir t ­ schaft: In der agrarisch g ep rägten W irts c h a ft des W allis hatte ein H andw erk w ie Schmied o d e r W a g n e r fast ausschliesslich Zudiener­ funktion für die Landwirtschaft. Der starke Selbstversorgungscharakter dieser W irts c h a ft bedingte anderseits die grösstmögliche Eigen­ produktion auch nichtlandw irtschaftlicher G ü ­ ter, zum Beispiel in Form der textilen H an da r­ beit. Vor allem a b e r stehen diese vier Berufsfelder für eine konkrete Ausgestaltung des M ännlichen und des W e iblichen in einer bestimmten Kultur. Sie sollen veranschauli­ chen, «dass 'G e sch le ch t' und die dam it ver­ bundenen Vorstellungen keine natürlichen Konstanten, sondern kulturelle und soziale Konstrukte darstellen, die historisch w a n d e l­ bar sind.»6

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Ethnologie und Fotografie

Für die Volkskunde mit dem Alltag als dem zen­ tralen Forschungsfeld stellt die Fotografie eine Q uelle ersten Ranges dar. Die Beschäftigung mit der 'Kultur der vielen' lässt d abei nicht nur die geordneten Bestände von Archiven, son­ dern auch private Bilder aus dem Familienal­ bum — von der gestellten Atelieraufnahme des Brautpaares um die Jahrhundertwende bis zur Bilderflut der Familienfotos von heute — zu so­ zialhistorischen Zeugnissen werden. Da die Darstellung des Themas M ann — Frau im fol­ genden stark auf fotografischem M aterial auf­ baut, seien ihr ein p a a r Überlegungen zur Be­ ziehung zwischen Ethnologie und Fotografie vorangestellt.

Die Rahmenbedingungen für die frühe Fotogra­ fie bildetim W allis eindeutig derTourismus. G e ­ gen Ende des 19. Jahrhunderts werden zur Il­ lustration von Reiseliteratur nicht mehr druckgrafische Verfahren, sondern Fotografien verwendet. G leichzeitig weckt das Aufkommen der Postkarte ein zusätzliches Interesse an der Fotografie. Trotz dieses touristischen Verwen­ dungszusammenhangs entstehen bereits vor dem Ersten W eltkrieg Fotografien von hohem dokumentarischem W ert. So etwa die Aufnah­ men, die Friedrich G ottlieb Stebler zwischen 1893 und 1921 im O berw allis macht, um seine 'M onographien aus den Schweizeralpen'(er­ schienen als Beilagen zum SAC-Jahrbuch 1901 — 1922) zu illustrieren. O d e r die Arbeiten von Fred Boissonnas, die ab ungefähr 1890 bis in die zw anziger Jahre in verschiedenen Publika­ tionen erscheinen.

M it der Verschärfung der wirtschaftlichen Lage w endet sich die Doku menta rfotog rafie in der Zwischenkriegszeit vermehrt auch der sozialen Thematik zu. G leichzeitig richtet sich der Blick abe r auch vermehrt — im Sinne einer A rt 'Binnenexotik' — auf die vermeintlich heile W e lt des Ländlichen. Dank der zunehmenden Beliebtheit der illustrierten Zeitschriften ('Zür­ cher Illustrierte', 'Schweizer Illustrierte', '

L'lllus-Die Fotografie als Dokumentationsmittel: Inventaraufnahme eines Pfluges aus Vex, der 1988 in die Bestände des Museums Valére aufgenommen wurde. Den Verwendungszusammenhang des Objektes, der dieses erst zum ethnologischen Dokument macht, vermag allerdings die Fotografie in diesem Fall nicht zu erhellen.

Die Fotografie als Quelle: O bw ohl die Aufnahme im Atelier des Fotografen in Sitten entstand, vermittelt dieses Bild einer Familie von Hérémence aus dem Jahre 1896 interessante Aufschlüsse Ober die Bekleidungsgewohnheiten jener Zeit. So handelt es sich zum Beispiel beim Kind vorne in der M itte um einen Knaben, der den damals für Buben bis zum Alter von fünf Jahren üblichen Rock trägt.

tré', 'la Patrie suisse') werden die bäuerlich ge ­ prägten Seitentäler des W allis zu festen Be­ standteilen der nationalen Ikonografie. Kaum einer der g rossen Fotoreporter der damaligen Zeit, der nicht im W allis gearbeitet hätte: Paul Senn, Hans Staub, M a x Kettel, Theo Frey ... . Die aus ethnologischer Sicht vielleicht interes­ santesten Aufnahmen stammen indessen von zwei Amateuren: Albert N yfe le r (1883 — 1969) und Charles Krebser (1885 — 196Z)7,

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Die ethnografische Kamera: Videoaufnahmen 1988 in Rarmili-Visperterminen, w o eine der letzten noch genutzten Baumkeltern des W allis steht.

zwei Deutschschweizer, die — weitgereist — schliesslich im W allis ihre zweite Heim at ge ­ funden haben,- Nyfeler, der Kunstmaler aus der bäuerlichen W e lt des O beraargau, im Löt- schental, Krebser, der Ingenieur aus Zürich,in Chippis und Brämis, vor allem a b e r im Eifisch­ tal. Als Fotografen beide erst nach ihrem Tod entdeckt, haben sie dem W allis mit ihrem W erk so etwas w ie eine Geschichte von unten in Bil­ dern hinterlassen. In einer Zeit, da gerade Städter und Künstler in den Bergregionen eine heile W e lt suchen, widerstehen N yfe le r w ie Krebser weitgehend einer Verklärung der a lp i­ nen Alltagskultur. Ihre Vertrautheit mit Mensch und landschaft sowie ihre Beobachtungsgabe und Gestaltungskraft lassen Bilder entste­ h e n d e ! denen Dokumentation und Ästhetik zu einer Einheit verschmelzen. Z w änge und M ü h ­ sal des früheren Alltags prägen ihre Fotografien ebenso w ie die W ü rde der abgebildeten Menschen und die W erte von deren kollektiven lebensformen. Als einer der wenigen Fotogra­

fen seiner Zeit blendet Krebser zudem auch die Industrialisierung des W allis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht aus.

Doch ob eine Fotografie privates Erinnerungs­ stück bleibt o der zum historischen beziehungs­ weise ethnologischen Dokument w ird, hängt nicht allein vom abgelichteten M o tiv und vom Vermögen von Fotograf und Fotografin ab, son­ dern auch vom späteren Umgang mit diesen Bildern und von ihrer Distanz zum Dargestell­ ten. W ie jedes Quellenmaterial ist auch die Fo­ tografie mit M ängeln behaftet w ie Subjektivi­ tät, Bruchstückhaftigkeit, Ausschnitthaftigkeit usw. N otw e nd ig ist deshalb eine kritische Be­ trachtung und Einbettung der Bilder in ihre ur­ sprünglichen, a ber auch in neue Zusammen­ hänge. Das heisst, dass es gilt, einerseits die Eigenschaften der Fotografie, ihre M öglichkei­ ten und Grenzen zu erkennen, anderseits die gesellschaftlichen und zeitlichen Entstehungs­ bedingungen jeder Aufnahme möglichst genau

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Die visuelle Dokumentation als Eingriff in den Ablauf des Geschehens: TV-Aufnahmen der Fronleichnamsprozession in Savièse 1989.

zu rekonstruieren. Dies ist nur m öglich durch eine Verbindung der visuellen Analyse mit ändern M eth od en und Q uellen w ie m ündliche Ueberlieferung, schriftliche Dokumente, G e ­ genüberstellungen usw., vor allem a b e r über eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem schnelllebig gew ordenen M edium Bild. Aussage und Bedeutung einer Fotografie hän­ gen wesentlich von der Lesart, mit der sie be ­ trachtet, und vom Zusammenhang, in den sie gestellt w ird , ab. Eine Deutung zum Beispiel nach dem Kriterium 'M a n n -Frau' kann einem Bild einen Inhalt verleihen, der mit den A bsich­ ten, die zu seiner Entstehung geführt haben, nichts zu tun hat. Anderseits können w ir die Be­ deutung einer Aufnahme erst verstehen, wenn w ir etwas von ihrem Umfeld, von A bbildenden und A b ge bilde te n wissen. N ic h t etw a ein hö­ herer Objektivitätsanspruch o d e r ein grösse­ rer Realitätsgehalt ist es also, w as die Fotogra­ fie für das volkskundliche Arbeiten so wertvoll macht. Vielm ehr sind es die diesem M edium

eigenen Q ualitäten, die seinen W e rt aus­ machen, seine Aesthetik, sein hoher Informa­ tionsgehalt in Bezug auf jene Bereiche, die quantitativ und sprachlich nur schwer fassbar und darstellbar sind, sein Vermögen, auch Din­ ge abzubilden, die nicht in der ursprünglichen Absicht seiner Urheberinnen und U rheber lagen.

Die Bedeutung d e r Fotografie für die Ethno­ log ie lie g t jed och nicht nur in ihrem hohen Q u e lle n w e rt, sondern auch in ihren M ö g lic h ­ keiten bei d e r Erhebung von Daten, also als Forschungsinstrument. Als unentbehrliches und erprobtes M itte l erw eist sich d a b e i die Fotografie bei d e r Inventorisation d e r Sach- kultur (M useum sarbeit, Haus- und Siedlungs­ forschung usw.) sow ie bei d e r D okum en­ ta tion von Techniken, A rb eitsa bläu fe n (zum Beispiel H an dw e rk, Landnutzung) o d e r brauchtum sm ässigen M an ifesta tion e n (Pro­ zessionen, Umzüge, jahreszeitliches Brauch­ tum usw.).

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Zu selten und vor allem zu w enig systematisch eingesetzt w ird die forschende Fotografie d a ­ gegen als Hilfsmittel bei den klassischen eth­ nologischen Erhebungsmethoden: bei der Beobachtung und Befragung. Doch gerade hier bietet die Verwendung visueller M edien noch unausgeschöpfte M ög lich keite n; denn indem die Kamera w en ige r selektiv registriert als das menschliche Auge, e rw eitert sie unsere W ahrnehm ung und verlängert sie diese über den momentanen Augenblick hinaus. Und in­ dem das Bildmaterial unabhängig von Zeit und O rt Leuten zur Kommentierung vorgelegt w er­ den kann, sind Einsichten in Ereignisse und A bläufe möglich, w ie dies nur die dazu not­ w en dig e Distanz zulässt. Die Funktionen der Fotografie sind d ab ei vielfältig. Sie kann Erin­ nerungen auslösen und das G espräch in G a n g bringen, sie hilft komplizierte Sachver­ halte klären und vermag Z ugänge zu ändern Sichtweisen zu verschaffen, sie kann ein Ereig­ nis aufhalten o d e r seinen A b la u f beschleuni­ gen. Dergestalt verwendet, w ird die Fotogra­ fie zu einer vollw ertigen ethnologischen M e ­ thode, deren Einsatz nicht nur d e r Veran­ schaulichung, sondern auch dem Erkenntnis­ gewinn dient.

N ic h t unterschätzt w erde n dürfen indessen bei d e r Verw endung d e r Fotografie im e th ­ n ologischen Erkenntnisprozess d ie Rückwir­ kungen des Fotografierens und des Fotogra- fiert-W erdens a uf d ie a b g e b ild e te Realität selber. Jede Aufnahm e — von d e r technisch a u fw e n d ig e n A telierau fn ah m e bis zum sp on ­ tanen Schnappschuss — stellt einen Eingriff in einen A b la u f d a r und v e rä n d e rt d a m it diesen. Diesem Umstand ist bei d e r Deutung von Bil­ dern ebenso Rechnung zu trag en w ie dem sich ständig w a n d e ln d e n Funktionszusam­ menhang d e r Fotografie: indem diese zum Bestandteil des A llta g s g e w o rd e n ist und diesen nicht nur a b b ild e t, sondern m itgestal­ tet (am sichtbarsten vie lle ich t bei Familienan­ lässen, H och zeite n und in Freizeit und Fe­ rien), tritt sie a uf e iner zusätzlichen Ebene ins Interessensfeld d e r Volkskunde.

Schliesslich stellt a b e r die Fotografie auch ein w ichtiges Instrument der ethnologischen Ver­ mittlungsarbeit dar. Ihr volles W irkungsverm ö­ gen entfaltet sie d a b e i jedoch erst dort, w o sie in Zusammenhänge gestellt w ird , sei es mittels Bilderreihen, Gegenüberstellungen o d e r er­ klärenden Dokumenten und Texten. W a s nicht ausschliesst, dass die Fotografie auch aus sich heraus zum ethnologischen Dokument werden kann. G e ra d e die Frage, w as das M ännliche und w as das W e ib lic h e an einer Kultur aus­ macht, w ird durch das Bild o ft träfer beant­ w orte t als durch das W o rt. Und wenn es auch das Anliegen der Volkskunde ist, den M e n ­ schen als kulturelles W esen zu begreifen, muss es darum gehen, diesen M enschen nicht nur als Person zu sehen, die für einen Sachverhalt steht, sondern ihn auch in seiner Individualität und Persönlichkeit zu erfassen. Und w e r ver­ mag dies besser zu leisten als die Kraft des subjektiven Blickes der Fotografie?

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Die landwirtschaftliche Arbeitsteilung

Rollen, Räume, N orm en

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M ännerarbeit und Frauenarbeit ergänzen sich in komplementärer W eise: Textile Verarbeitung in Saas-Fee um 1900. Die W o lle w ird vom Mann gekardet und von d er Frau versponnen.

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D ie la n d w irtsch aftlich e

A rb eitste ilu n g

Ein Arbeitsbild, w ie es sich in einem berg­ bäuerlichen Familienbetrieb des vorindustriel­ len W a llis zum Beispiel beim G etreideanbau präsentiert haben könnte: Unter Beteiligung d er gesamten Familie w ird der M ist ausgetra­ gen; das Umbrechen der Äcker mittels Breit­ haue o d e r Pflug besorgen sodann die e rw a c h ­ senen M ä n n e r; Säen und Decken ist dag eg en Frauenarbeit; an den Erntearbeiten beteiligen sich w iederum alle arbeitsfähigen Familienmit­ glieder, w o b e i das Kornschneiden mit der Si­ chel, w ie es früher praktiziert wurde, von den Frauen, das nach dem Zweiten W e lt­ krieg übliche Schneiden mittels Sense jedoch von den M ännern besorgt w ird ; die A rb e it der Kinder besteht hier vor allem in der M ithilfe beim G arbenm achen, Zutragen und Zusam­ menrechen; das Dreschen, W annen und M ahlen ist die A nge leg en he it der Männer, das Brotbacken diejenige von M ann und Frau. «Das Besondere der bäuerlichen Familien­ w irtschaft bestand in dem Aufeinanderange­ wiesensein aller Teilnehmenden in der be ­ wussten gemeinsamen Teilhabe an einer Arbeit, die allen von kleinauf bekannt w a r und die dem Produktionsmittel der Familie, dem 'H o f' diente.»8 W a s Ingeborg W eber-Keller­ mann für das ländliche Deutschland des 19. Jahrhunderts feststellt, trifft in besonderer W e i­ se auch auf das W allis des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu. Doch im G egensatz zum Bauernhof des Flachlandes kann hier nur be­ d in gt von einer männlichen und w eiblichen Produktionssphäre innerhalb der familiären Produktionsgemeinschaft gesprochen werden. In der bergbäuerlichen W irts c h a ft des W allis w a r nämlich eine geschlechtsspezifische A r­ beitsteilung nur sehr schwach ausgeprägt. Die auf Selbstversorgung ausgerichtete Landwirt­ schaft mit dem gestuften Landnutzungssystem (Viehwirtschaft, Ackerbau, O bst- und W e in ­ bau sowie W a ldnutzung, mit Nutzungszonen vom Talgrund bis zu den A lp w e ide n auf 2 5 0 0

m ü .M .) und den verstreuten Gütern machte die M ita rb e it aller arbeitsfähigen Familienan­ gehörigen notw endig. Und indem der Haus­ halt die zentrale wirtschaftliche Einheit dar­ stellte, spielte die individuelle Aufgabenzutei­ lung so o d e r so eine untergeordnete Rolle. Be­ deutsamer als die Arbeitsteilung nach G e ­ schlecht w a r vielmehr ein sich gegenseitig durchdringendes System von privaten, genos­ senschaftlichen und öffentlichen Bewirtschaf­ tungsformen. Und neben dem G eschlecht bestimmten je nach Umständen auch andere Kriterien die Arbeitsteilung, zum Beispiel A l­ tersklassen, Spezialisierungen in einzelnen Produktionsbereichen, Zusammensetzung des Haushalts, Lohnarbeit von Haushaltsmitglie­ dern usw.

Trotzdem haben sich in praktisch allen bäuerli­ chen Arbeitsbereichen mindestens tendenziell geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen herausgebildet, und bei bestimmten Arbeiten scheinen g a r strikte Grenzen bestanden zu ha­ ben. So lesen w ir etw a bei Louis Courthion in Bezug auf das Unterwallis: «Der M ann mäht das Heu und das Emd, doch legt er nicht einen einzigen Halm Roggen o d e r W eizen nieder. Das Kornschneiden ist allein Frauenarbeit.»9 Und Friedrich G o ttlie b Stebler schreibt über die Dörfer an der Lötschberg-Südrampe: «Das Hauen (Umbrechen der Äcker) w ird nur von den M ännern besorgt. W o kein M ann in der Familie ist, werden 'H a u e r' angestellt. Häufig helfen sich die Bauern auch gegenseitig aus; oft sieht man so 6 — 8 M ann in einer Linie auf dem Felde arb eite n.» 10

Auch innerhalb der traditionellen Landwirt­ schaft g ib t es also ausgesprochene M än ne r­ arbeiten und ausgesprochene Frauenarbei­ ten. Offensichtlich sind es d a b e i a b e r nicht Härte und Schwere einer A rb e it und nur selten der dazu erforderliche Kraftaufwand, die eine bestimmte Tätigkeit den M ännern o d e r den Frauen zuweisen. So berichtet etw a Stebler folgendes über den Käsetransport vom Binntal ins Rhonetal: «Der Transport w ird in der Regel

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von 20-, 30-, 35-jährigen Jungfrauen besorgt; es ist a b e r eine harte, schwere und ungesunde A rb e it.» Und über das [ostentragen im Goms schreibt der gleiche Autor: «... fast alle Lasten müssen auf dem Rücken getragen w erden: das Heu, das Korn, die Kartoffeln, der Mist, das H olz usw. (...) Und z w a rs in d es hier vornehm­ lich die Frauen, w elche mit dem Rückenkorbe hantieren, da die M än ne r grösstenteils and e ­ rer Beschäftigung o b lie g e n .» “

Eine ähnliche Beobachtung m acht Stebler im G e b ie t von Zeneggen — Törbel — Embd im Vispertal: «Die Frauen tragen die schwersten Korn- und Heubürden, melken das Vieh und haben schwielige Hände, w ie der rauheste G ro b a rb e ite r; auch beim U m gang mit dem Vieh sind sie bew andert. Viele Frauen sind stärker als ihre M ä n n e r.» 12 Die Körperkraft stellt also nur b ed in gt einen Faktor d a r bei der Arbeitsteilung zwischen M ann und Frau. Da­ rauf verw eistauch die Tatsache, dass es kaum eine bäuerliche A rb e it gibt, die — allein schon innerhalb des W a llis — ausschliesslich von einem G eschlecht ausgeführt würde. Am häu­ figsten ist d er Fall, dass die gleiche A rb e it von M ann und Frau ausgeführt w ird . So stellt Steb­ ler etw a über die Vispertaler Sonnenberge fest: «Die Frauen tun es in d er harten A rb e it auf Feld und im W a ld den M ännern gleich; sie mä­ hen, melken, misten, holzen, tragen die schwersten Lasten. Sie hantieren mit der Sense, mit der A x t und mit der M istgabel w ie die M än ne r und haben von früh bis spät die Tschif- fere (Tragkorb) am Rücken.»13 Sechzig Jahre später macht der amerikanische Ethnologe Ro­ bert N etting in der gleichen Region in Bezug auf die Viehw irtschaft die selbe Beobachtung: «Beide, M ann und Frau, melken, bringen mit Hilfe der Kinder das Heu in grossen Tüchern in die Scheune, verrichten die Stallarbeit, pfle­ gen das Vieh und führen es an die Tränke.»14 Gleiches schreibt Ignace M arié ta n 1938 über die Region Zeneggen — Törbel — Embd, w o ­ bei er auch deutliche regionale Unterschiede in Bezug auf die geschlechtsspezifische Ar­

beitsteilung ausm acht: « Die A rb e it der Frauen gleicht derjenigen der Männer, sie verrichten alle Arbeiten,- dies im G e ge nsa tz zum Unter­ wallis, w o die Frauen gewisse Arbeiten w ie Heumähen, Tragen von H olz, M ist o d e r Heu nie verrichten.»15 Stand- und Zeitpunkt der Beobachtung können allerdings zu g an z ver­ schiedenen Schlüssen führen. 1901 stellt näm­ lich Louis C ourthion auch für w eite Teile des Unterwallis recht egalitäre Verhältnisse in Be­ zug auf die Arbeitsteilung fest. « Die Frau betei­ ligt sich an allen schweren Arbeiten des M a n ­ nes, » schreibt C ourthion und nennt neben dem Pflügen auch die W a ld a rb e it.16

Die Ausprägungen d e r A rbeitsteilung z w i­ schen M a n n und Frau scheinen zu fein zu sein, die B edingungen, w e lc h e ihnen zu grun ­ de liegen, zu v ie lfä ltig , als dass grossräum i- ge V ergleiche und Feststellungen a llg e m e in e r A rt m öglich w ä re n . Ein kleines Beispiel mag dies veranschaulichen: W ä h re n d das Reb- w erkim M ä rz , bei dem die Reben geschnitten w e rde n, in Törbel jeweils reine M ä n n e ra rb e it war, w u rd e diese A rb e it im g e g e n ü b e rlie ­ genden Visperterm inen von M ä n ne rn und Frauen gem einsam besorgt, w o b e i es inner­ halb des gleichen Arbeitsprozesses zu einer Arbeitsteilung kam : Die M ä n n e r schnitten die Reben, die Frauen m achten den bei den H eid a re b e n n o tw e n d ig e n Bogen mit dem leichten Knick, d e r den Saft am u ng eh in de r­ ten Aufsteigen hemmen sollte. Bei dieser A r­ b e it musste d a ra u f g e a c h te t w erde n, dass d e r Z w eig nicht brach und d ie A u g e n ' nicht a b g e rie b e n w u rd e n . Die heikle A rb e it des Bogenschnitts h at so in Visperterm inen eine d ifferen zierte A rbeitsteilung b ew irkt, w ie sie im nahen Törbel w e g e n des Fehlens d e r Hei- d a re b e nicht n o tw e n d ig war.

Die als w e ib lic h g e lte n d e Eigenschaft des G e spür-habens w u rd e also im Falle des Reb- werks von Visperterm inen zu einem Kriterium d e r A rbeitsteilung zw ischen M a n n und Frau. Doch w e n ig e r die A rt e iner A rb e it ist es, die diese e her dem m ännlichen o d e r dem w e ib li­

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chen Bereich zuordnet, als vielm ehr deren Be­ w ertung durch die jew eilige G esellschaft: Tä­ tigkeiten mit hohem Prestigewert w erden vom M a n n e ausgeübt, w e n ig e r hoch eingestufte Arbeiten eher von der Frau.17 Auf engstem Raum lässt sich dieser Sachverhalt am Beispiel der Viehzucht aufzeigen. Im Goms, w o der Viehzucht innerhalb d e r traditionellen Land­ w irtschaft eine zentrale Bedeutung zukam, galten S tallarbeit und M elken, vor allem a ber die sommerliche A lpw irtschaft als ausgespro­ chene M ännerdom änen. Als H eranw achsen­ d e r unter Sennen und Hirten den Alpsom mer zu verbringen, stellte quasi einen festen Be­ standteil der Sozialisation zum M an n d a r und bild et noch heute ein stets wiederkehrendes M o tiv der lokalen Erzähltradition. Ein ganz an ­ deres Bild präsentiert sich in d e r westlichen N a c h b a rre g io n des Goms, namentlich in w e i­ ten Teilen der Bezirke Brig, Visp und W estlich- Raron, w o ungünstige topografische und kli­ matische Verhältnisse sow ie ein knapperes A n g e b o t an A lp w e ide n für die Viehwirtschaft keine hervorragende Stellung innerhalb der bäuerlichen M ischw irtschaft zuliess. Hier w a ­ ren es mehrheitlich die Frauen, die zum Vieh schauten und die M ilch verarbeiteten. M ä n ­ ner, die nicht melken konnten, w aren in man­ chem Dorf eher die Regel denn die Ausnahme. Folgerichtig w urde in diesen G ebieten auch die A lpw irtschaft von den Frauen besorgt; dies insbesondere dort, w o die Bewirtschaftung fa ­ milienweise und nicht genossenschaftlich er­ folgte. Ein Beispiel w ären etw a die Dörfer an der Lötschberg-Südrampe (Ausserberg, Eg­ gerberg, M und), w o die V iehpflege sowohl im Dorf und in den Ausfütterungsställen w ie auch auf A lp und Voralp von den Frauen w a h rg e ­ nommen wurde.

Doch konnte die gleiche A rb eit auch je nach Jahreszeit und Nutzungsstufe von einem G eschlecht zum ändern wechseln: Im Löt- schental beispielsweise hatten die Frauen das Vieh d o rt zu besorgen, w o sie sich nicht allzu w e it von den Kleinkindern entfernen mussten (im Sommer auf der Alp, auf w elche sie die

Kinder mitnahmen, im W in te r in Dorfnähe und im Dorf); den M ännern o blag dieselbe A rbeit dag eg en im W inter, wenn dem Vieh in den oft nur durch stundenlange W e g e erreichbaren Aussenställen das hierim Sommer eingebrach- te Heu verfüttert wurde. In Törbel, um ein a n d e ­ res Beispiel zu nennen, w aren V iehpflege und M ilchverarbeitung w ährend der winterlichen Stallhaltung Frauensache, für die genossen­ schaftlich betriebene Alpsömmerung w urde dag eg en nur männliches Personal eingestellt. Und im Eifischtal schliesslich begleiteten die Frauen das Vieh auf die private Voralp, die M än ne r auf die genossenschaftliche Alp.

Die landwirtschaftliche Selbstversorgung kannte in vielen Berei­ chen keine Rollenteilung zwischen M ann und Frau: Schafschur im Lötschental.

Die Sichel als weibliches G e rä t: Arbeiten, die Behutsamkeit und Sorgfalt erforderten, wurden mehrheitlich den Frauen übertra­ gen. (Roggenernte im Eifischtal)

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Der offensichtlichen Vielfalt in der Ausgestal­ tung der Arbeitsteilung liegen überraschend einfache Prinzipien zugrunde. Dort, w o die Viehzucht keine überragende Rolle im w irt­ schaftlichen G e fü ge des Dorfes spielt, liegen Viehpflege und M ilchverarbeitung eher in Frauenhänden, jedoch nur soweit, als sich d ie ­ se A rb eit mit Hausw irtschaft und Kinderpflege vereinbaren lässt. In einem G e b ie t w ie dem Saastal, w o die knappen Ressourcen nur eine beschränkte landw irtschaftliche Selbstversor­ gung zuliessen und vorab die M ä n n e r zu — nicht selten ausw ärtiger — Lohnarbeit z w a n ­ gen, stellten V iehpflege und M ilchverarbei­ tung letztlich nichts anderes d a r als eine Aus­ weitung des hauswirtschaftlichen Bereichs. Und in einer G em einde w ie Visperterminen, w o W e inb au und Viehzucht den Rhythmus der jahreszeitlichen W a n de ru ng bestimmten, bil­ dete der für das persönliche Prestige und die dörfliche Identität so w ic h tig e W e in ebenso selbstverständlich eine M ännerdom äne, w ie die Stallarbeit Frauensache war. Die bäuerli­ che Selbstversorgung scheint also zu bestäti­ gen, dass der Status von M an n und Frau w e n i­ ger davon abhängt, w e r mehr zum Unterhalt der Familie b eiträg t als vielm ehr davon, w e r die prestigeträchtigen Tätigkeiten ausübt. W as dem G om m er Bauer sein Vieh, w ä re so gesehen dem Terbiner sein W e in.

Diese Zuordnungen landw irtschaftlicher Be­ reiche nach M ann und Frau stellen indessen le­ diglich tendenzielle und oft kaum w ahrnehm ­ bare Ordnungsprinzipien in einem w irtschaft­ lichen System dar, das in der A lltagsrealität vom Prinzip 'zupacken, w o A rb e it ist' g e p rä g t war. Am deutlichsten zum Tragèn kam dieses Prinzip in Zeiten von erhöhtem Arbeitsanfall, also etwa bei Erntearbeiten, beim Wässern o d e r beim G em einwerk. (W o b e i es selbst hier innerhalb gemeinsamer Familienarbeiten im­ mer w ie d e r zu geschlechtsspezifischen A ufga­ benteilungen kam : W a r das M ä h e n mancher­ orts reine M ännerarbeit, blieb das Korn­ schneiden mit der Sichel meist ausschliesslich den Frauen Vorbehalten usw.)

Kriterien w ie Prestige einer A rbeit, Fähigkeiten und Eigenschaften, die als typisch w eiblich o d e r männlich galten, feste Rollenzuteilungen in Bezug auf Haushalt und Familie, überlieferte G ew ohnheiten und anderes mehr haben also N orm en geschaffen, w as die Arbeitsteilung zwischen M an n und Frau angeht. Bedeutsa­ mer als diese geschlechtsspezifische Arbeits­ teilung w a r jedoch im bergbäuerlichen Fami­ lienbetrieb w ie e rw äh nt das gemeinsame Bewältigen anstehender Arbeiten durch alle arbeitsfähigen M itg lie d e r eines Haushalts. Dies umso mehr, als w eg en des nicht selten frü­ hen Todes eines Elternteils und eines in der Re­ gel hohen Isdigenanteils die N orm vom Fami­ lienbetrieb mit Eltern und Kindern nur allzuoft nicht mit d e r W irk lic h k e it übereinstimmte. Das Durchbrechen der N orm in Bezug auf die Arbeitsteilung w a r d a b e i insofern einseitig, als es eher die Frauen gewesen sind, w elch e zum Beispiel beim frühen Tod ihres M annes 'M ä n ­ nerarbeiten' übernahmen, als Männer, die als w eiblich angesehene Arbeiten ausgeführt hätten. U eber einen sehr frühen Beleg einer solchen N otsituation verfügen w ir in der Le­ bensbeschreibung des Thomas Platter von G rächen, der 1572 über seine M utter schreibt: «Als ihr auch noch der dritte M ann starb, blieb sie W itw e und ta t alle A rb e it w ie ein M ann, um die letzten Kinder, die sie mit diesem M an n g e h a b t hatte, aufziehen zu kön­ nen. Sie brach den Acker um, drosch und tat noch w eitere Arbeiten, die eher den M ännern zustanden als den Frauen. Auch drei Kinder, die an der grossen Pest gestorben sind, hat sie selber b e g ra b e n .» 18 Ein eindrückliches Doku­ ment eines Lsdigenhaushalts stellt der Doku­ mentarfilm «Rose de Pinsec» dar, in welchem die Eifischtalerin Rose M o n n e t bis auf die A lp ­ w irtschaft und das Umgraben der Äcker so ziemlich alle im Tal üblichen landw irtschaftli­ chen Arbeiten e rle d ig t.19

Einbrüche ins Rollengefüge brachte auch im­ mer w ie d e r die zeitweise A bw esenheit der M ä n n e r: bis ins 19. Jahrhundert hinein durch

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Die Ausnahme von de r Regel: Als eine der w enigen Arbeiten im textilen Verarbeitungsprozess w urde das Karden oft auch von — meist älteren — Männern ausgeführt.

jahrelang dauernde Dienste in fremdem Sold, später saisonweise durch ausw ärtige Lohnar­ beiten, seit dem 20. Jahrhundert durch tä g li­ che Pendelwanderungen als Arbeiterbauern. Vor allem das Arbeiterbauerntum bewirkte nachhaltige Veränderungen in der Rollenver­ teilung und überbürdete der Frau zusätzliche Pflichten im landw irtschaftlichen Familienbe­ trieb. Für die Zeit um 1930, als die Landwirt­ schaft zum mindesten noch einen unerlässli­ chen N eb e n e rw e rb darstellte, 'schildert O tto Stettier am Beispiel von G rächen, w ie die Si­ tuation für die Frau eines A rbeiterbauern aus­ gesehen haben mag : «Arbeitet der M ann aus­ wärts, dann lastet die ganze Haus- und Landwirtschaft auf der Frau. Sie besorgt das Vieh, bringt Heu- und G etreideernte ein, be­ schafft Stallstreue usw. W ie sie daneben noch Z e itfü rd ie Haushaltung u n d fü rd ie Besorgung der Kinderfindet, ist ein Rätsel, zumal die Fami­

lien meist recht zahlreich sind. Ein Dutzend Kin­ der und m ehrsind keine Seltenheit. (...) Schon der Säugling w ird mit aufs Feld genom m en; w ie o ft sieht man Frauen bergansteigen, in der H and eine Strickarbeit, auf dem Rücken im Trag korb das Jüngste tragend, w äh re nd an ihrer Schürze mehrere andere Kinder hän­ g e n .» 20 Stettiers Beschreibung ist sehr auf­ schlussreich in Bezug auf den Stellenwert von H aushalt und Kindererziehung im A rbeiter­ bauerntum der ersten G eneration. Im Zentrum des w eiblichen Alltags standen Feldarbeit und Viehpflege. «Die Kinder erzogen und den Haushalt besorgt — das hat man darüber- hinaus g e m a c h t.» 21

Ebenfalls zu den Arbeiten, w elch e die Frauen «darüberhinaus» zu erledigen hatten, gehör­ ten das N äh en und Stricken. Sei es auf den langen W e g e n am Berg, bei der Viehhut o d e r beim abendlichen Schwatz — das Strickzeug w a r immer d a b e i : «Zu Hause fanden w ir nicht die Zeit dazu, also machten w ir es unterwegs. Die M änner, die hier die Strasse machten, ha­ ben g esa gt: 'D ie Terbiner Frauen gehen noch strickend in den H im m e l!'» 22 Angesprochen ist hier eines der w ohl markantesten Unterschei­ dungsmerkmale zwischen m ännlicher und w e ib lich e r A rb e it in der traditionellen berg­ bäuerlichen G esellschaft: W ä h re n d die Tätig­ keit des M annes durch den A b en d, den Sonn­ tag und den W in te r klare Unterbräche und Erholungsphasen aufweist, ist es ein Kennzei­ chen w eib lic h e r Arbeit, dass sie praktisch nie aufhört. Dieses ständige Beschäftigtsein bildet sozusagen eine Konstante in der Vielzahl an Beschreibungen w e ib lich e r Arbeit.

Beispiel Savièse: «Bei Granois kreuzen w ir eine G ru p p e Bergbäuerinnen, die strickend o d e r strohflechtend auf ihren M aultieren ins Dorf zurückkehren; denn in Savièse bleiben die H ände nie untätig, auch nicht unterwegs.»23 Beispiel Isérables: «W ährend der schönen Jahreszeit treffen Sie die Frauen von Isérables auf engsten W e gen, oft über schwindelerre­

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genden A bhä ng e n, den Tra g korb am Rücken, die W ie g e mit dem Kleinkind auf dem Kopf und die Stricknadeln in der H and, und das a l­ les sicheren Schrittes.»24

Beispiel Lötschen: «Im W in te r müssen die M ä n n e r nur das H olz talw ärts schlitten und zu­ richten, und in einigen Familien einen Teil des Viehs besorgen. Lange Stunden, oft Tage, sit­ zen sie rauchend, schwatzend und kartenspie­ lend. Für die Frauen endet die A rb e it niemals. (...) N a ch dem Tage, der vollgestopft w a r mit Arbeit, müssen sie oftmals noch hinaus in die eiskalte W in te rn ach t, durch tiefen Schnee, vom Sturmwind gepeitscht, um im entfernten Stall das Vieh zu tränken und zu füttern.»25 «W enn keine kleinen Kinder zu verpflegen sind, kehren die Lötscherfrauen und Töchter bei schönem W e tte r fast alltäglich von der A lp ins Dorf zurück, um über Tag unten mitzuhel­ fen. (...) Am A bend müssen sie dann w ie d e r den Ì bis 2 Stunden weiten W e g auf die Alp zurücklegen, sind a b e r auch unterwegs nicht müssig, sondern haben am Arm einen Korb mit einer Strick- o d e r mit einer Strohflechtarbeit, mit w elch er sie sich unterwegs beschäftigen. Am W e g zur A lp sind überall kleinere ode r grössere Bethäuschen, w o nie unterlassen w ird , ein G e b e t zu verrichten. (...) Auf der A lp angekommen, muss noch das Vieh verpflegt, gemolken und Käse bereitet w e rd e n .» 26 W a s Bernard C rettaz für einen grösseren Raum feststellt, trifft also auch im einzelnen zu : «Die unaufhörliche A rb e it stellt eine grundle­ gende Erfahrung im Leben der Bergbäuerin d a r.» 27 Das heisst a b e r auch: Frauen arbeiten länger und haben mehr Aufgaben zu b e w ä lti­ gen als die M änner. Klaus E. Müllers Schluss­ folgerung in Bezug auf die bäuerlichen G e ­ sellschaften dürfte deshalb auch auf den konkreten Fall des W allis zutreffen: «Im g a n ­ zen gesehen ist der Anteil der Frauen am g e ­ samtfamiliären Arbeitsaufkommen sicherlich höher als der ihrer Männer. (...) Hinsichtlich des reinen Energieaufwandes dagegen dürften die Lasten weitgehend gleich verteilt sein.»28

Rebe und W ein als M ännerdom äne: Burger von Saint-Jean während einer Arbeitspause in ihren Reben in Siders.

Je nachdem, ob der momentane Krafteinsatz o d e r Kriterien w ie Ausdauer und Belastbarkeit herangezogen w erden, w ird also die Bewer­ tung jeweils unterschiedlich ausfallen. Dass bei der meist vorherrschenden Sichtweise, w elche lediglich die kurzfristig verfügbare Muskelkraft bewertet, der M ann als der Stär­ kere erscheint, versteht sich d ab ei von selbst. Auch die traditionelle Landwirtschaft kennt also ungleiche Rollenverteilungen, doch wenn auch nicht in gleicher Weise, so tragen M ann und Frau in etwa gleichviel zur Versorgung von Dorf und Haushalt bei. Die verschiedenen Rol­ len und Aufgaben verhalten sich d ab ei nicht nur komplementär zueinander, sondern durch­ dringen sich auch gegenseitig und stellen oft­ mals mehr N orm als Realität d a r (siehe oben). Doch gerade das als N orm Erlebte, das Soll, vermag die W irklichkeit ebenso zu beeinflus­ sen w ie das Sein. Es deutet auf geschlechts­ spezifische Zuordnungen im Denken und w irkt so stets auch auf die reale A llta gsw elt ein. Und dass es diese Norm en geschlechtsspezifi­ scher Arbeitsteilung gibt, davon zeugen die zahllosen Aussagen schriftlicher und mündli­ cher Art, die im m erw ied ervon « M ä nn erarbe i­ ten» sprechen, die von Frauen ausgeübt w ür­ den. Diese verbreitete Vorstellung von typisch w e ib lic h e r und ty p is c h m ä n n lic h e r A r b e it fin d e t sich etw a bei Ignace M ariétan, wenn er in Bezug auf die W alliser Tracht schreibt: « Die N a tu r der Berge bestimmt die Rauhheit, die Dauerhaftigkeit und die Festigkeit der Tracht; sie z w in g t die Frauen zu männlichen

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Arbei-te n .» 29 Und Adeline Favre erinnert sich über ihre Jugend: « M it dem Grösserwerden über­ nahm ich mehr und mehr schwere Arbeiten, M ä n ne ra rb eite n .» 30

Offensichtlicher in die Realität greifen solche Sollvorstellungen d o rt ein, w o N orm en ohne entsprechenden historischen Hintergrund pos­ tuliert werden mit der Absicht, eine bestimmte Ideologie durchzusetzen. W enn beispielswei­ se die Rollenvorstellung von der Frau am Herd mit der tatsächlichen Situation d e r Bergbäue­ rin in Konflikt gerät, werden die Arbeiten aus­ serhalb des Haushalts kurzerhand zu M än ne r­ arbeiten erklärt; die Frauen, g ezw un ge n «die harte Existenz des M annes zu teilen»31, w er­ den dadurch zu Personen, die ausserhalb der N orm stehen. Das bürgerliche Ideal von der Frau als M utter und Haushälterin nährt sich also von einem historischen Zerrbild, das erst im nachhinein konstruiert wurde.

Im G egensatz zur durch die Industrialisierung eingeleiteten neuen Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern lässt sich also die Arbeits­ teilung in der traditionellen Landwirtschaft zu­ sammenfassend als eine partnerschaftliche bezeichnen, w o b e i den Frauen zusätzlich noch mehr o d e r w en ige r der gesamte Repro­ duktionsbereich (Haushalt und Kinder) zufiel. «Beide Teile sind auf den Beitrag des ändern angew iesen. (...) Erwerbs- und Familienar­ beit, beruflicher und häuslicher Bereich sind nicht hierarchisch voneinander abgespalten, sie ergänzen sich in komplementärer W e i­ se.»32 Die Zuordnungen der einzelnen Tätig­ keiten zu einem bestimmten G eschlecht ent­ sprechen d ab ei eherTendenzen’und verstehen sich sozusagen nie als von vornherein männ­ lich o d e r w eib lich . Eine eindeutige und durch­ g ängige Unterscheidung zwischen männli­ chen und w eiblichen Produktionssphären lässt sich jedenfalls kaum ausmachen. Dieses ver­ gleichsweise egalitäre Beziehungsgeflecht w a r nur dadurch möglich, dass die Frau nicht auf Kinder und Haushalt beschränkt werden konnte. Der G rund hierzu lag im Z w ang zur

bestmöglichen N utzung der vorhandenen Ressourcen, w as neben der Intensivierung der Landwirtschaft mittels abgestim mter Landnut­ zungstechniken nur durch den optim alen Ein­ satz aller verfügbaren Kräfte m öglich war. Aufs ganze gesehen g a b es in der bäuerlichen W irts c h a ft des W allis keinen Tätigkeitsbe­ reich, der ausschliesslich männlich o d e r w e ib ­ lich besetzt gewesen w äre. Trotzdem stellte die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung auch hier ein durchgehendes O rdnungsprin­ zip dar. Dass dieses Prinzip je nach O rt, Zeit und Umständen verschiedene und zum Teil g e ­ gensätzliche Ausgestaltungen erfahren hat, unterstreicht d a b e i die kulturelle Bedingtheit d er Arbeitsteilung zwischen M an n und Frau: Bestimmend wirkten w e n ig e r Kriterien w ie Körperkraft und biologische Unterschiede als vielm ehr überlieferte Rollenvorstellungen ei­ nerseits, w irtschaftliche Rahmenbedingungen anderseits.

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Die Endlosigkeit w eiblicher Arbeit: Bei der Heimkehr von der W eide bringt die Bäuerin das Brennholzfürdie Küche mit; der Übergang zwischen Landwirtschaft und Hauswirtschaft verläuft fliessend. (Eifiscntal, 1942)

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Rollen, R äu m e , N o r m e n

Deutlicher sichtbar als im Bereich des bäuerli­ chen W irtschaftens w erden die Rollenzuwei­ sungen in nichtbäuerlichen Tätigkeitsfeldern w ie H auswirtschaft und H andw erk. Die g e ­ meinsame Bewältigung anstehender Arbeiten in der Landwirtschaft fand insbesondere im H aushalt keine entsprechende Aufgabenver­ teilung. Die Rolle d e r Frau als M utter blieb w ie selbstverständlich mit derjenigen der Frau als Haushälterin verbunden; und das in der Regel auch in Haushalten kinderloser Ehepaare o d e r lediger Geschwister. Das heisst: Ein kultureller Sachverhalt (Arbeitsteilung) w urde mit einer biologischen G e g e b e n h e it (die Frau als G e ­ bärerin) verknüpft und erklärt.

Die oft grosse Kinderzahl machte d ab ei die M utterrolle d e r Bäuerin zum zentralen w e ib li­ chen Lebensinhalt. «Der Lebensrhythmus der Frauen w urde durch die Schwangerschaften und nicht durch die Jahreszeiten bestimmt,» schreibt die Ethnologin Yvonne Preiswerk mit Bezug auf das Eifischtal. Bei ihr findet sich auch der fo lge nd e typisierte G esprächsaus­ zug: «Frage: Jedes Jahr ein Kind zu haben, das ist sicher h a r t ... A n tw o rt: M ein G ott, ja! Frage: G a b das nicht eine Abneigung gegen Ihren M ann? A n tw o rt: M ein G o tt! (Seufzer) Frage: Die Frauen standen nach der G e bu rt müde, gesch äd ig t w ie d e r auf ... A n tw ort: M ein G o tt, ja ! Frage : W as dachten Sie von ei­ nem solchen Leben, mit so vielen Schwierigkei­ ten? A n tw ort: M ein G o tt, es w a r hart, es w a r wirklich h a rt!» 33

Eindeutig sind die Rollenzuweisüngen auch in Bereichen der dörflichen Kultur, also etw a bei Brauchtum, Freizeit und Fest. Insbesondere das Vereinswesen blieb d ab ei bis in die jüngste Zeit hinein w eitgehend eine M ännerdom äne. Bis w e it ins 20. Jahrhundert hinein g a b es im W allis keine gemischten Chöre, sondern nur M ännerchöre; zahlreiche Musikgesellschaf­ ten sowie Tambouren- und Pfeifervereine ö ff­ neten sich erst in den siebziger Jahren für Frau­

en, und die Schützenzünfte als älteste Dorfver­ eine sind bis heute eine A nge leg en he it der M ä n n e r g eblieben. Sinnbildlich manifestiert sich diese Zw eiteilung in männliche Haupt- und w eib lich e N ebenrollen in der einhermar­ schierenden Dorfmusik m itdem strammen Ban­ nerträger voraus in der M itte, flankiert von blu­ mentragenden Frauen in der dekorativen Tracht.

Auch auf der Bühne des Brauchtums sind es die Männer, w elch e die H auptrollen spielen und die zentralen Räume einnehmen. Augenfällig w ird dieser Anspruch unter anderem im Brauchtum rund um die traditionsreichen Berei­ che A lpw irtschaft (Beispiel Kuhkämpfe) und W e in b a u (Beispiel Burgertrunk), a b e r auch im religiösen Brauchtum, etw a in der Form des nach aussen gerichteten Prozessionswesens. Und auch beim publikumswirksamen Fas­ nachtsbrauchtum spielen die M ä n n e r die erste G e ig e : bis ins frühe 20. Jahrhundert in den die Dorffasnacht tragenden K nabenschaften,34 seither in den organisierenden Zünften und Fasnachtsgesellschaften. Im Auftritt d er furcht­ erregenden (männlichen) Lötschentaler Tschäggäta und den ängstlich vor ihr flüchten­ den M ä d c h e n hat das Fasnachtsbrauchtum im W a llis d a b e i vielleicht seinen augenfälligsten N iederschlag gefunden, w as das Bild der Geschlechterrollen angeht.

M it dem Brauchtum in Verbindung steht die rechtliche Stellung von M ann und Frau im ö f­ fentlichen Gemeinwesen, insbesondere in der traditionellen bäuerlichen D orforganisation. N a ch G régoire G hika w a r die Rechtsstellung von M ann und Frau im M itte la lte r w eitgehend gleichberechtigt, sicher jedenfalls g le ichb e ­ rechtigter als in der N e u z e it.35 Eine Beschnei­ dung der Frauenrechte im privatrechtlichen Be­ reich brachte vor allem die Ü bernahm e des römischen Rechts am Ende des Spätm ittelal­ ters, die teilweise zu einer regelrechten Bevor­ mundung der Frau durch den M an n führte. Die­ se Einschränkungen für die Frau w urden noch im 19. Jahrhundert vom W a llise r

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Zivilgesetz-Zweimal die A lpe Brischern ob M und zu Beginn der fünfziger Jahre: Viehbesorgung und Alpsennerei oblagen den Frauen, der Stolz über die siegreichen Ringkühe gehörte den M ännern.

buch ü b e rn o m m e n , V erbe sserun ge n in Richtung G le ic h s te llu n g b ra c h te erst d ie Einführung des s c h w e iz e ris c h e n Z iv ilg e ­ se tz b u c h e s im Jahre Ì9 1 2 . Im G e g e n s a tz z u die sen p riv a t-re c h tlic h e n U n g le ic h h e ite n s c h e in tim ö ffe n tlic h e n Recht ü b e r das S p ä t­ m ittel a Iter hi na us m indestens in Einzel be rei­ chen e in e g e w is s e G le ic h b e re c h tig u n g z w is c h e n den G e s c h le c h te rn g e h e rrs c h tz u h a b e n . Ü b e rlie fe rt ist e tw a ein D oku m e nt von 1511 ü b e r e in e E idesleistung d e r Leute von Brig, G lis, G a m s e n , R ied-B rig und Ter­ men g e g e n ü b e r d e m B ischof von S itten, a uf dem a u s d rü c k lic h a uch d ie Frauen als Eid­ le is te n d e a u fg e fü h rt sind. O d e r ein Land­ ratsbeschluss von 1528, durch d en M ä n n e r und Frauen unter S c h w u rle is tu n g v e rp flic h ­ te t w u rd e n , Personen, d ie sich zum neuen G la u b e n b eke n n e n , beim R ichter a n z u ­ z e ig e n . 36 In s p ä te re r Z e it g in g e n indessen d ie Frauen a uch d ie s e r G le ic h s te llu n g e n in p o litis c h -k irc h lic h en Rechten verlustig und büssten schliesslich durch d ie z u n e h ­ m en de B e de utun g des N a tio n a ls ta a te s und d e r M u n iz ip a lg e m e in d e a b dem 19.

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Jahr-Bei privater Bewirtschaftung besorgten in der Regel die Frauen die Alpwirtschaft. M itglieder der für die Verwaltung der gemeinsa­ men Güter zuständigen Alpkommission waren jedoch auch in die­ sem Fall ausschliesslich die Männer. O ben: Sennerinnen auf der Fafleralp im Lötschental um 1906. Unten: Alprechnung für die Kummenalp im Lötschental. Die Abrechnung erfolgt mittels Holz­ fesseln.

hundert auch noch die ihnen verbliebenen Rechte im Bereich der traditionellen Dorforgani­ sation ein.

Das bäuerliche Dorf mit all seinen gemeinsa­ men Einrichtungen und genossenschaftlichen Organisationsformen garantierte insofern eine gewisse Rechtsgleichheit zwischen den G e ­ schlechtern, als es sich d abei meist um Zusam­ menschlüsse von Haushalten und nicht von Ein­ zelpersonen handelte, die Zugehörigkeit also grundsätzlich Frauen w ie M ännern offenstand. W as die Nutzung d er Rechte und Einrichtungen (zum Beispiel Wasserrechte, Backhaus usw.) sowie die Erfüllung der Pflichten (zum Beispiel

Gemeinwerk) angeht, kann denn auch von ei­ ner weitgehenden Gleichstellung zwischen Frau und M ann gesprochen w erden. Ein ganz anderes Bild zeigt sich bei den Rechtsorganen dieser bäuerlichen Institutionen. Indem die ein­ zelnen Haushalte in der Regel durch den Haus­ haltsvorsteher in den Versammlungen vertreten waren, nahmen neben den M ännern sozusa­ gen nur ledige und verw itw ete Frauen an die­ sen Versammlungen teil. Beschlussfassungen waren deshalb w eitgehend die Angelegenheit der M än ne r und die w ichtigen Ämter (zum Beispiel Alpkommission) blieben praktisch ausschliesslich ihnen Vorbehalten.

Der hohe Anteil unverheirateter ode r ve rw itw e­ ter Frauen, w ie er für das Ì8 . und 19. Jahrhun­ dert verschiedentlich nachgewiesen w ird 37, lässt indessen auf ein beschränktes M itbestim ­ mungsrecht der Frauen schliessen, wenn dies auch die männliche Vorherrschaft auf diesem G e bie t nicht in Frage zu stellen vermag. Dies umso mehr, als die Frauen ihr Recht auf Teilnah­ me an den Geteilschaftsversammlungen viel­ fach nicht wahrgenommen haben: «Ich kann mich nicht erinnern, eine Frau an der Alpver­ sammlung gesehen zu haben,» bezeugt zum Beispiel ein G eteile von Visperterminen mit Jahrgang 1 9 0 9 .38 W eiterreichende Folgen für die Stellung der Frau in der bergbäuerlichen Gesellschaft hatte der hohe Ledigenanteil dort, w o es um die wirtschaftliche U nabhängigkeit und den Besitz an Gütern und Produktionsmit­ teln geht. Das Erbrecht der Realteilung garan­ tierte allen Nachkommen gleich grosse und gleichwertige Erbanteile. Alle Erbberechtigten verfügten so nach dem Tod der Eltern über die gleiche Lebensgrundlage, die allerdings w e ­ gen der dadurch bewirkten Zersplitterung der G üter oft keine genügende Existenz mehr dar­ stellte. Heiraten im Dorfverband sowie ledig bleibende Geschwister wirkten deshalb dieser Aufsplitterung regulierend entgegen. Doch scheinen Erbsystem und Ißdigenanteil auch auf einer anderen Ebene in einem Zusammenhang zu stehen. Durch das System der Realteilung gelangten die Frauen in gleicher W eise w ie die

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M ä n n e r in den Besitz von Gütern und den dam it verbundenen Rechten (Wasser- und Alprechte, W a ld , Nutzungsrechte an Einrich­ tungen w ie W ein presse, Kornwanne usw.). Diese Verfügungsgewalt über Eigentum erm ög­ lichte der ledigen Frau eine Unabhängigkeit, die sie bei der H eirat an den M ann als Haus­ haltvorsteher abtreten musste. Das Ledigblei­ ben dürfte so gesehen nicht immer nur Zwang gewesen sein, sondern eine mehr o d e r w e n i­ g er frei gew äh lte M ö g lich ke it der Frau, der männerbestimmten Rolle als G attin und M utter zu e ntg e h e n .39 Darauf lassen auch einzelne Aussagen der Evolenerin M a rie M étrailler schliessen, die allerdings gegen ihren eigenen W ille n , aus Rücksicht auf die Mutter, ledig g e ­ blieben war,- so etw a, wenn sie in Bezug auf die Frauen in ihrem Dorf sagt: «Die fanden g an z einfach, als Ledige hätte ich zuviel G lück g eh ab t. (...) Das meinten sie, die Armen! G lück w ürde ich nicht gerade sagen. (...) Frei w a r ich, sagen w ir lieber: teilweise befreit, mit dem Alter, von gewissen Abhängigkeiten. Ich stand finanziell auf eigenen Füssen, das ist w ich tig . Das Z ö lib a t machte mich zum M eister über meine Entscheidungen, doch manchmal hätte ich es vorgezogen, w e n ig e r allein zu sein. » O d e r wenn sie zum A rgw ohn der M ä n ­ ner meint: «Dass ich für ein kleines Unterneh­ men Verantwortung trug, verzieh man mir nicht. M a n verzieh mir nicht, dass ich eine g e ­ wisse Standfestigkeit erreicht hatte. (...) So w a r für mich denn nicht jeden Tag Sonntag. Dass eine Frau ihren W e g machte, sah man nicht g e rn .» 40

Die Zweiteilung d erG e se llsch a ftin eine männ­ liche und eine w eibliche Sphäre ist in erster Li­ nie ein soziales Ordnungsprinzip, das durch die Zuschreibung bestimmter W e rte und Ei­ genschaften auf die beiden G eschlechter zu­ stande kommt. Diese Zuschreibung geschieht über die verschiedensten Vermittlungsinstan­ zen w ie Erziehung, elterliches Vorbild, Schule, Kirche, allgem eine W ertvorstellungen und an­ deres mehr. In der bäuerlichen Gesellschaft von früher hatte zudem für diese Rollenzuwei­

Das Überschreiten des weiblichen Raumes durch den M ann: M ännlicher Besuch bei der Alphirtin. (Lauchernalp im lötschen- tal um 1935)

sungen die Arbeit, zu der die Kinder schon in jüngstem Alter beigezogen w urden, eine ent­ scheidende Bedeutung.41 Daneben g a b es auf der Dorfebene eine ganze Anzahl fester und versteckter Einrichtungen, über w elche die M ä d c h e n zu Frauen, die Knaben zu M ännern w urden. Bereits erw äh nt w urde das Beispiel der Knabenschaften, in denen sich die jungen

Kaum ein landwirtschaftlicher Bereich, der durchgehend männ­ lich o d e rw e ib lich besetzt w ä re: Zahlreiche Alpen vor allem des O berw allis kannten nur Frauen als Sennerinnen. W o genossen­ schaftliche Bewirtschaftung üblich war, obla g die Alpwirtschaft den M ännern. (Melker auf der Alpe Torrent, Grimentz)

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Ein M ännerraum : Messen des W eins im Burgerkeller von G rimentz, 1927.

M än ne r des Dorfes organisierten und bereits w ich tig e .öffentliche Aufgaben wahrnehm en konnten, w as ihnen ein allm ähliches Hinein­ wachsen ins öffentliche Leben und die dam it verbundenen Äm ter erlaubte. Hinzu kam die Vermittlung bleibender, identitätsbildender Er­ lebniswerte, im Lötschental zum Beispiel beim fasnächtlichen Herumlaufen als M askenträger o d e r bei der feierlichen Einsetzung des — je­ weils ledigen — Talfähnrichs.

D em gegenüber blieben die M ä d c h e n und jungen Frauen stärker an die Familie gebun­ den, mit Ausnahmen allerdings: «Auch die Töchter w ollen von der Lötschentaler Fasnacht etwas haben, w äh re nd die Gesellen als Tschäggätä laufen. Die ledigen Töchter des Dorfes kommen in der Vorfastenzeit a b w e c h ­ selnd in einer Dorfstube zusammen. Jede bringt ihre H a n d a rb e it mit: Kunkel und Spinn­ rad, Strickkorb o d e r Zwirnstuhl, Strohflechterei o d e r Hemdstickerei. Zuerst w ird g earbeitet

und gesungen, zuletzt ein Spiel g e ta n z t.» 42 Der Fasnachtsanlass der jungen Frauen blieb im G ege nsa tz zu dem jenigen der Burschen an A rb e it und Haus gebunden und fand in einem kontrollierten Umfeld statt. Diese hier nur bei­ spielhaft angedeutete Bindung ans Haus w u r­ de ü b e rz a h lre ic h e w eitere Einrichtungen und Alltagsgew ohnheiten eingeübt und verband sich mit entsprechenden Aufgaben und Erwar­ tungen. Im N a c h ru f einer 1902 geborenen und 1989 verstorbenen Frau aus dem, Saastal lesen w ir: «Die beiden Söhne gründeten eine eigene Familie, w äh re nd ihre Tochter bei der M utter blieb. Diese w a r der Trost und die Stüt­ ze d erM u tte r, vor allem im Alter. Dafür gebührt ihr der Dank der beiden Brüder. »43 Ein kleines Ereignis von hohem repräsentativem W e rt. Das Beispiel d e r Spinnstube im Lötschental ver­ w eist auf einen Bereich, in dem sich die A rt der G eschlechterbeziehung in der b ergbäuerli­ chen G esellschaft besonders gut manifestiert:

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Das Ö ffentliche als das M ännliche: Gemeindeversammlung in Saint-Luc, 1928.

die räumliche Scheidung in eine männliche und eine w eib lich e Sphäre. Diese Trennung fand im sakralen Raum der Kirche mit den Frauen auf der linken Seite und den M ännern auf der rechten ebenso ihren N iederschlag w ie im profanen Raum des Wohnhauses, w o der Frau die Küche zugeordnet war, dem M ann der Keller (nicht nur als O rt der W e in ­ verarbeitung, sondern auch als M ännertreff­ punkt). Der Raum der ganzen Familie in der W o h nu ng w a r die Stube, wenn auch hier g e ­ wisse räumliche Scheidungen vorgenommen w urden. Die Sitzordnung mit dem Vater am oberen Tischende, gleich neben dem Herr­ gottswinkel, und der M utter am unteren, der Küche zugekehrten, verwies nicht nur auf die Zuordnung von Funktionen, sondern stand auch symbolisch für eine gewisse Familienhie­ rarchie. Und das in einer Ecke stehende Spinn­ rad mit Kunkel, im W in te r oft auch der W e b ­ stuhl, reproduzierten die zeitliche Endlosigkeit

der w eiblichen A rb e it im räumlichen Bereich. Eine räumliche Scheidung fand selbstverständ­ lich auch überall d ort statt, w o die Arbeitstei­ lung nach G eschlecht eindeutig war. Ausge­ sprochene Frauenräume waren so etwa W aschhaus und Dorfbrunnen, Voralpen und Privatalpen. M ännerorte waren dem gegenü­ ber Alpen mit genossenschaftlicher Bewirt­ schaftung und W ä ld e r sowie W erkstätten von Handwerkern und die öffentlichen Räume mit Ausnahme von Kirche und ändern Sakral räu­ men.

Diese räumlichen Scheidungen sind d a b e i le­ diglich der sichtbare N iederschlag durchge­ hender Trennungslinien zwischen M ann und Frau in Alltag und Fest, Jahreslauf und Lebens­ lauf. O d e r in der Art, zum Beispiel in Ausser- berg den Sonntag zu verbringen: « N a ch der Kirche sammelt sich das männliche Volk am Dorfplatze. Hier w ird es vom W e ib e l ausgeru­

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Die neue Form einer alten G ew ohnheit: W o der W einkeller sei­ ne Funktion als M ännertreffpunkt verloren hatte, trat die G ast­ wirtschaft an seine Stelle. (G artenwirtschaft der kantonalen Ausstellung in Siders im Jahre 1928.)

Die M änner als die Repräsentanten der Dorfgemeinschaft: Übergabe der G em eindefahne in Eggerberg im Jahre 1930.

w ie d e r nach den Kriterien aussen — innen beziehungsweise öffentlich — privat richtet. Diese Zuweisung des äusseren Raumes an den M an n und des inneren an die Frau findet sich bereits in Thomas Platters Lebensbeschreibung aus dem 16. Jahrhundert geschildert, w o es heisst: «Da es im land Brauch ist, dass fast alle Frauen w eben und nähen können, gehen die M ä n n e r vor dem W in te r aus dem Land, meist ins Bernbiet, um W o lle zu kaufen. Die spinnen dann die Frauen und machen Landtuch daraus für die Röcke und Hosen des Bauernvolkes.»45 An dieser unterschiedlichen Besetzung des Raumes durch M an n und Frau scheint sich bis ins 20. Jahrhundert hinein grundsätzlich nichts g e ä n d e rtz u haben. Bei H e d w ig A nnelerlesen w ir im Jahre 1916 bezüglich des Lötschentals: «Die Männer, die hier w ohnen, haben alle das Tal schon öfters verlassen; des M ilitärdienstes wegen,- um die M ärkte im Rhonetal, jetzt auch in Frutigen, zu besuchen,- sie sind zum Teil bis nach Lourdes g ew allfahrtet; viele haben jahre­ lang in Rom in der päpstlichen G a rd e gedient, manche sich in Deutschland als Küher aufg e ­ halten. Die Frauen, mit ganz w enig Ausnah­ men, verbringen ihr ganzes Leben hier. Einige sind vielleicht einmal auf einer W a llfa h rt bis nach Einsiedeln gekommen; ein W allfahrtsort im W a llis ist von ihnen besucht w orden, H ei­ ligkreuz im Längtal etw a o d e r Longeborne bei Sitten,- das ist alles.»46

Die grösseren Aussenkontakte — vor allem in der Form der im 16. Jahrhundert einsetzenden und bis in die M itte des 19. Jahrhunderts an ­ dauernden Söldnerdienste — ermöglichten den M ännern das Sammeln von neuen Er­ fahrungen und die Erweiterung ihres H orizon ­ tes. Sie w aren es denn in der Regel auch, die N euerungen ins Dorf brachten und so den W a n d e l kontrollieren konnten. Die Frauen er­ scheinen dem gegenüber als konservativ und im Alten verharrend. N a ch aussen sichtbar w ird dies etw a im Kleiderverhalten, w o sich die M ä n n e r vielfach — mindestens bis zur Zeit des Zweiten W eltkrieges — als innovativer er­ w iesen als die Frauen. So wissen w ir bei­ fen, wenn öffentliche Arbeiten zu verrichten

sind, wenn der Pfarrer H olz braucht, o der wenn etwas gefunden o d e r verloren worden ist. Die G eteilen an den Wasserleitungen hacken beim W asservogt die geleisteten Ar­ beiten auf die Werktesseln, die dieser mit­ bringt, auf. Das eigentliche Sonntagsleben beginnt erst nach der Vesper gegen 1 Uhr. Die M än ne r ziehen öfters nach St. G erm an zum Kellerbesuch, besonders im Herbst. Die Frauen setzen sich gruppenweise vor den Häusern zusammen und verhandeln die Fami­ lienangelegenheiten.»44

Im geografischen w ie im sozialen Raum lassen sich also männliche und w eib lich e Sphären ausmachen, deren G renzverlauf sich immer

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Das M ännliche als das Zentrale: Begleitgruppe des Allerheiligsten an der Fronleichnamsprozession in Savièse, 1989.

spielsweise dank den um i8 6 0 verfassten N o ­ tizen von Pfarrer Peter Joseph Studer über Vis- perterminen, dass «der letzte Dreispitz und die letzten kurzen Hosen ... hierorts im Jahre 1857 zu G ra b e getragen w orden (sind)».47 W as Studer hier beschreibt, ist das M ännerkleid des Ancien Régime mit dem dreieckigen Filzhut und den vorrevolutionären Kniehosen, w ie es im W allis vereinzelt noch bis in d ie z w e ite H älf­ te des 19. Jahrhunderts anzutreffen war. Dem­ geg en üb er trugen jedoch die Frauen von Vis- perterminen das Kleid des Ancien Régime (geschnürte Taille mit Brusteinsatz) noch bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts, bevor es von einem zw eiteiligen Kleid a bgelöst wurde. Und mit der gleichen Verspätung vollzog sich auch im 20. Jahrhundert der W a n d e l in der Frauenkleidung von Visperterminen: zuerst vom schweren zweiteiligen Kleid zum w erktäg­ lichen Schürzenkleid einerseits, zur Sonntags­ tracht anderseits; später und zum Teil erst heu­ te vom 'B a u ern ge w a nd ' zum 'M o d e g e w a n d '. Beim M ännerkleid fiel dieser W echsel

in die dreissiger und vierziger Jahre, als mehr und mehr Visperterminer ihr Einkommen in aus­ w ä rtig e r Lohnarbeit suchten.

M it der zunehmenden M o b ilitä t auch der Frauen haben die M än ne r im Laufe des 20. Jahrhunderts die Kontrolle über Neuerungen im Alltagsverhalten w eitgehend eingebüsst. Bezeichnenderweise sind es denn auch fast ausschliesslich Männer, die das Bild von der Frau als Hüterin derTradition wenigstens künst­ lich aufrechtzuerhalten versuchen, etw a in Form der in den zw a n z ig e r und dreissiger Jahren aufkommenden, in den Seitentälern des W allis a b e r erst später Fuss fassenden Trachtenbewegung. So klagt der in die Stadt ausgew anderte G om m er Ferdinand Kreuzer 1944 im W alliser Jahrbuch: «Es ist zu be ­ dauern, dass die G om m ertöchter keinen Sinn für das alte Kulturgut der Trachten haben. W enn sie glauben, sie könnten ihre Anmut durch moderne Hüte und andere Kopfbe­ deckungen, die oft kaum diesen N am en ver­

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