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Zur Rechtsprechung des EuGH im Umweltrecht im Jahr 2012

Astrid Epiney, Freiburg i.Ue.

Dieser Beitrag wurde erstmals wie folgt veröffentlicht:

Astrid Epiney, Zur Rechtsprechung des EuGH im Umweltrecht im Jahr 2012, Europäisches Umwelt- und

Planungsrecht (EurUP) 2013, S. 41-49. Es ist möglich, dass die Druckversion – die allein zitierfähig ist – im Verhältnis zu diesem Manuskript geringfügige Modifikationen enthält.

The purpose of the paper - tied in with the case law overview fort he year 20111 - is to provide an overview of the environmental case law of the European Court of Justice for the year 2012. The objective is not to cover the entire case law but to highlight selected decisions deemed by the author to be of importance, with reference to some additional rulings in the footnotes. The focus is on summarising the latest developments and, where appropriate, briefly commenting on or placing the decisions in the context of existing case law. The author largely forgoes further reference to bibliographic sources.

Der vorliegende Beitrag will – in Anknüpfung an die Rechtsprechungsübersicht für das Jahr 20112 – einen Überblick über die umweltrechtliche Rechtsprechung des EuGH im Jahr 2012 geben. Es wird allerdings keine Vollständigkeit angestrebt, so dass (nur) ausgewählte, m.E. wichtige Urteile berücksichtigt werden und auf einige weitere Urteile lediglich in den Fußnoten verwiesen wird. Der Akzent liegt auf der Zusammenfassung der neueren Entwicklungen und ggf. einer kurzen Kommentierung bzw. Einordnung in die bisherige Rechtsprechung, während auf bibliographische Hinweise weitgehend verzichtet wird.

Im Jahr 2012 können die nachfolgend berücksichtigten Urteile in neun „Kategorien“ eingeteilt werden: Auslegung der Aarhus-Konvention und der RL 2011/92 (I.), Umweltverträglichkeitsprüfung (II.), Umweltinformation (III.), Abfallrecht (IV.), Naturschutzrecht und Gewässerschutz (V.), Gentechnikrecht (VI.) und Einbezug von Umweltanforderungen im Vergabeverfahren (VII.).3

I. Zur Auslegung der Aarhus-Konvention und der RL 2011/92

Nach einigen grundlegenden Urteilen zur Tragweite der sog. Aarhus-Konvention4

im Bereich des gerichtlichen Zugangs5

hatte sich der Gerichtshof in der Rs. C-182/106

erneut zu einigen Fragen der Auslegung der Konvention und des diese durchführenden Unionsrechts – wobei

Die Autorin ist Professorin und geschäftsführende Direktorin des Instituts für Europarecht der

Universitäten Bern, Neuenburg und Freiburg i.Ue.

1

Epiney, Zur Rechtsprechung des EuGH im Umweltrecht im Jahr 2011, EurUP 2012, S. 88 ff.

2

Epiney, Zur Rechtsprechung des EuGH im Umweltrecht im Jahr 2010, EurUP 2012, S. 88 ff.

3 S. über die im Text erwähnten Urteile hinaus noch EuGH, Rs. C-420/10 (Söll), Urt. v. 1.3.2012 (Begriff

des Biozid-Produkts im Sinne der RL 98/8); EuGH, Rs. C-504/09 P (Rechtsmittel der Kommission), Urt. v. 29.3.2012 (Unvereinbarkeit mit der RL 2003/87 über den Emissionszertifikatehandel, dass die Kommission selbst eine Obergrenze für die Treibhausgaszertifikate festsetzt, wobei dieses Urteil durch die 2009 erfolgte Revision des Systems überholt sein dürfte); s. in diesem Zusammenhang zum selben Thema auch EuGH, Rs. 505/09 P (Rechtsmittel der Kommission), Urt. v. 29.3.2012; in EuGH, Rs. C-34/11 (Kommission/Portugal), Urt. v. 15.11.2012, stellte der EuGH einen Verstoß Portugals gegen die sich aus der RL 1999/30 ergebenden Verpflichtungen zur Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten in der Luft fest, wobei es dem Gerichtshof genügte, dass die in der Richtlinie vorgegebenen Werte überschritten wurden, so dass diese letztlich als Erfolgspflichten auszulegen sind.

4

UN/ECE-Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten („Aarhus-Konvention“). Der Text des Abkommens findet sich in ILM 38 (1999), 517 ff. Eine deutsche Fassung findet sich in Schlacke/Schrader/Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht. Aarhus-Handbuch, 2010, 484 ff.

5 Zu diesen Epiney, EurUP 2011, 88 ff.

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Aspekte der Umweltverträglichkeitsprüfung im Vordergrund standen – zu äußern. Im Einzelnen sind insbesondere7

vier Aspekte des Urteils hervorzuheben:

- Der zur Aarhus-Konvention von internationalen Experten verfasste „Leitfaden“, der die Tragweite des Abkommens erläutert, könne zwar zur Auslegung des Abkommens herangezogen werden, entfalte aber keine bindende Wirkung, ein angesichts des „Rechtscharakters“ solcher Leitfäden oder Auslegungshilfen zwingender Schluss. - Art. 2 Nr. 2 Aarhus-Konvention und Art. 1 Abs. 4 RL 2011/92 nehmen solche Projekte

aus ihrem Anwendungsbereich aus, die im Einzelnen durch einen mitgliedstaatlichen Gesetzgebungsakt genehmigt werden. Diese Ausnahme könne – wobei der EuGH an den Wortlaut der Bestimmung sowie Ziel und Zweck der Richtlinie anknüpft – nur dann zum Zuge kommen, wenn der Gesetzgeber über Angaben verfügt, die denjenigen gleichwertig sind, die der zuständigen Behörde im Rahmen eines behördlichen Genehmigungsverfahrens vorzulegen wären (wobei diese aber auch aus einem vorherigen Verwaltungsverfahren stammen können);8

es muss sich also um einen besonderen (gesetzgeberischen) Akt handeln, der die gleichen Merkmale wie eine „normale“ Genehmigung aufweist, und der Gesetzgebungsakt muss erkennen lassen, dass die Zwecke der RL 2011/92 bei dem betreffenden Projekt erreicht werden. Vor diesem Hintergrund sei ein Gesetzgebungsakt, der lediglich einen bereits erlassenen Verwaltungsakt „ratifiziert“ und der sich darauf beschränkt, zwingende Gründe des Allgemeininteresses anzuführen, ohne dass im Vorfeld ein die Sachfragen betreffendes Gesetzgebungsverfahren durchgeführt wird (innerhalb desselben sich der Gesetzgeber mit den Angaben zum Projekt auseinandersetzt), nicht von Art. 2 Nr. 2 Aarhus-Konvention und Art. 1 Abs. 4 RL 2011/92 erfasst.9

Damit schränkt der Gerichtshof unter Rückgriff auf Ziel und Zweck der UVP die Reichweite dieser Ausnahme in überzeugender Weise ein: Leitmotiv ist auf jeden Fall, dass für alle, grundsätzlich einer UVP zu unterstellenden Projekte im Ergebnis den Anforderungen einer UVP Rechnung getragen werden kann bzw. deren Zielsetzungen erreicht werden können.

- Jedenfalls müsse aber die Frage, ob ein Gesetzgebungsakt die Voraussetzungen der Ausnahme des Art. 1 Abs. 4 RL 2011/92 erfüllt, von einem Gericht überprüft werden

7

Daneben ging der Gerichtshof noch – unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung – auf zwei die RL 92/43 (Habitatrichtlinie) betreffende Aspekte ein: Art. 6 Abs. 3 RL 92/43 stehe es entgegen, dass eine nationale Behörde Pläne oder Programme genehmigen darf, ohne sich vergewissert zu haben, dass sie das betreffende Gebiet als solches nicht beeinträchtigen werden. Weiter könne die Ausnahme des Art. 6 Abs. 4 RL 92/43 (die eng auszulegen sei) von vornherein nur dann zum Zuge kommen, wenn eine Prüfung der Auswirkungen eines Plans oder Projekts gemäß Art. 6 Abs. 3 RL 92/43 durchgeführt worden ist. Schließlich setze Art. 6 Abs. 4 RL 92/43 überwiegende öffentliche Interessen voraus, d.h. ein solches müsse so wichtig sein, dass es gegen das mit der Richtlinie verfolgte Ziel der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen abgewogen werden kann. Bauarbeiten im Hinblick auf die Ansiedlung oder Erweiterung eines Unternehmens erfüllten diese Voraussetzungen grundsätzlich nur in Ausnahmefällen.

8 S. auch schon EuGH, verb. Rs. C-128-131/09, C-134/09, C-135/09 (Boxus), Urt. v. 18.10.2011; zu

diesem Urteil Epiney, EurUP 2012, 88 (92 f.).

9 S. aus dem Berichtszeitraum auch noch EuGH, Rs. C-43/10 (Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias),

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können, was der Gerichtshof aus der Effektivität des Art. 9 Aarhus-Konvention und der Durchführungsbestimmung in der RL 2011/92 ableitet. Ggf. habe das nationale Gericht eine entgegenstehende nationale Vorschrift unangewandt zu lassen.

- Weder die RL 2011/92 noch die Aarhus-Konvention verlangten, dass ein Gesetzgebungsakt selbst alle Gründe enthalten muss, der zu seinem Erlass geführt hat und anhand derer kontrolliert werden kann, ob er den erwähnten Anforderungen genügt, ein Grundsatz, den der Gerichtshof bereits in Bezug auf die Entscheidung, Projekte des Anhangs II RL 2011/92 keiner UVP zu unterziehen, formuliert hatte.10

Allerdings sei es jedenfalls notwendig, dass die Betroffenen ggf. eine Begründung verlangen können.

II. Umweltverträglichkeitsprüfung

1. RL 2011/92

In der Rs. C-121/1111

ging es um den Begriff der „Genehmigung“ bzw. des „Projekts“ im Sinne der RL 2011/9212

bzw. der RL 85/33713

(die RL 2011/92 kodifizierte die RL 85/337) und damit um den Anwendungsbereich der Pflicht zur Durchführung einer UVP: Der Gerichtshof hielt im Zusammenhang mit einer Entscheidung über den Weiterbetrieb einer Abfalldeponie im Anschluss an seine Rechtsprechung14

fest, eine Änderung oder Erweiterung eines Vergrabungsstandorts stelle nur dann ein Projekt (das genehmigt wird, so dass eine Genehmigung nur dann vorliegen könne, wenn ein „Projekt“ durchgeführt wird) im Sinne der Richtlinie dar, wenn hiermit erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt verbunden sind, so dass sich der Begriff des Projekts nur auf Arbeiten oder Eingriffe zur Änderung des materiellen Zustands eines Platzes beziehe. Eine bloße Verlängerung einer bestehenden Genehmigung zum Betrieb eines Vergrabungsstandorts, die nicht mit Arbeiten oder Eingriffen zur Änderung des materiellen Zustands des Platzes verbunden ist, sei daher kein Projekt im Sinne der Richtlinie.

2. RL 2001/42

In drei Urteilen aus dem Berichtszeitraum stand die sog. SUP-Richtlinie (RL 2001/4215

) im Zentrum:

10

EuGH, Rs. 75/09 (Mellor), Slg. 2009, I-3799. Zu diesem Urteil Epiney, EurUP 2010, 134 (137).

11 EuGH, Rs. C-121/11 (Pro-Braine), Urt. v. 19.4.2012, NVwZ 2012, 692.

12 RL 2011/92 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten,

ABl. 2012 L 26, 1.

13

RL 85/337 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. 1985 L 175, 40.

14 EuGH, Rs. C-275/09 (Brussels Hoofdstedelijk Gewest), Urt. v. 17.3.2011. Zu diesem Urteil Epiney,

EurUP 2012, 88 (99).

15 RL 2001/42 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl. 2001 L

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- In der von der Großen Kammer entschiedenen Rs. C-41/1116

stellte der Gerichtshof klar, dass in den Fällen, in denen ein Plan oder ein Programm gemäß den Anforderungen der RL 2001/42 einer SUP zu unterziehen gewesen wäre, dies aber unterblieben ist, die zuständigen Behörden verpflichtet sind, alle (allgemeinen oder besonderen) Maßnahmen zu ergreifen, um dem Unterbleiben einer solchen Prüfung abzuhelfen; dies impliziere insbesondere die Pflicht, die zur Aussetzung oder Aufhebung des entsprechenden Plans oder Programms notwendigen Maßnahmen auf der Grundlage des nationalen Rechts zu ergreifen. Es verstieße nämlich gegen das Hauptziel der RL 2001/42, wenn ein solcher Plan oder ein solches Programm ohne eine entsprechende Umweltprüfung durchgeführt werden könnte. Damit leitet der EuGH letztlich aus der effektiven Wirksamkeit der RL 2001/42 sowie Art. 4 Abs. 3 EUV ab, dass ohne eine Umweltprüfung angenommene Pläne oder Programme (die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen) nicht durchgeführt werden dürfen, so dass dieser Verfahrensfehler grundsätzlich dazu führen muss, dass der Plan oder das Programm keine Wirkung entfalten kann. In der Regel wird dies deren Aufhebung implizieren. Dieser Ansatz setzt nationalen Vorschriften, die eine Heilung von Verfahrensfehlern vorsehen, enge Grenzen.

Allerdings formuliert der Gerichtshof auch eine Ausnahme von diesem Grundsatz: Wenn ein zwingendes Erfordernis im Zusammenhang mit dem Umweltschutz vorliegt, könne das zuständige nationale Gericht ausnahmsweise bestimmte Wirkungen des für nichtig erklärten nationalen Rechtsakts aufrecht erhalten, dies falls eine solche Aufrechterhaltung für die ordnungsgemäße Umsetzung einer anderen Richtlinie (im Ausgangsfall ging es um die RL 91/676) notwendig ist, die Verabschiedung und der Erlass eines neuen Rechtsakts die schädigenden Umweltauswirkungen nicht vermeiden könnte, die Nichtigerklärung ein rechtliches Vakuum schüfe, das zu einem noch größeren Schaden an der Umwelt als die Aufrechterhaltung der Wirkungen führte, und diese Aufrechterhaltung der Wirkungen nur für den Zeitraum vorgenommen wird, der für die Verabschiedung eines neuen Rechtsakts benötigt wird.

- Einer SUP sind auch diejenigen Pläne und Programme zu unterwerfen, bei denen angesichts ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf (Schutz-) Gebiete eine Prüfung nach Art. 6 oder 7 RL 92/43 für erforderlich gehalten wird (Art. 3 Abs. 2 lit. b RL 2001/42). In der Rs. C-177/1117

präzisierte der Gerichtshof nun, dass bei der Erforderlichkeit der Prüfung auf die Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 RL 92/43 Bezug genommen werde und diese daher zu prüfen und maßgeblich seien. Damit finden auch im Rahmen der SUP die vom Gerichtshof formulierten recht strengen Vorgaben Anwendung, so dass eine SUP nur dann entfallen kann, wenn anhand objektiver

16

EuGH, Rs. C-41/11 (Inter-Environnement Wallonie), Urt. v. 28.2.2012, NVwZ 2012, 553, ZUR 2012, 359.

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Umstände ausgeschlossen werden kann, das der Plan oder das Projekt das betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigt.18

- In der Rs. C-567/10 19

hatte sich der Gerichtshof zu zwei Aspekten des Anwendungsbereichs der RL 2001/42 – der sich Art. 3 Abs. 2-4 RL 2001/42 ergibt – auszusprechen. Ausgangspunkt der Erwägungen des Gerichtshofs – die er teilweise in Vorbemerkungen formuliert – sind die Zielsetzungen der Richtlinie, die eine weite Auslegung der in den Anwendungsbereich der Richtlinie einzubeziehenden Pläne oder Programme begründeten. Auf dieser Grundlage schließt der Gerichtshof, dass Pläne und Programme schon dann im Sinne der genannten Bestimmungen der RL 2001/42 „aufgrund von Rechts- und Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen“, wenn das Aufstellen des Plans oder Programms in einem Gesetz vorgesehen ist, wobei es ausreicht, dass die fraglichen Pläne oder Programme in nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen sind, so dass keine Rechtspflicht der Annahme durch die zuständige Behörde bestehen muss. Weiter beziehe sich die Richtlinie nicht nur auf die Annahme und Änderung der erfassten Pläne oder Programme, sondern auch auf ihre vollständige Aufhebung, könne doch auch letztere ggf. erhebliche Umweltauswirkungen zeitigen. Der Ansatz des Gerichtshofs überzeugt, führte doch eine andere Auslegung zu einer möglicherweise erheblichen Einschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie mit der Folge, dass – entgegen ihren Zielsetzungen – Pläne oder Programme bzw. deren Aufhebung nicht erfasst würden, die erhebliche Umweltauswirkungen nach sich ziehen könnten, so dass schon der effet utile für den Ansatz des Gerichtshofs spricht, ganz abgesehen davon, dass er auch dem primärrechtlich verankerten (Art. 191 Abs. 2 AEUV) Vorsorgeprinzip gebührend Rechnung trägt.

III. Umweltinformation

1. RL 2003/4

Die von der Großen Kammer entschiedene Rs. C-204/09 20

betraf zunächst den Anwendungsbereich der RL 2003/4 (Umweltinformationsrichtlinie21

): Nach Art. 2 Nr. 2 S. 2 RL 2003/4 können die Mitgliedstaaten „Gremien oder Einrichtungen“, die in gesetzgebender Eigenschaft handeln, vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausnehmen. In der angezeigten Rechtssache hielt der Gerichtshof fest, dass hiermit auch Ministerien, soweit sie am

18 Vgl. insoweit grundlegend EuGH, C-127/02 (Waddenvereniging), Slg. 2004, I-7405. 19

EuGH, C-567/10 (Inter-Environnement Bruxelles), Urt. v. 22.3.2012, ZUR 2012, 486, NuR 2012, 631. S. aus dem Berichtszeitraum auch noch die kurzen Bemerkungen zum Anwendungsbereich der RL 2001/42 (der mangels Anhaltspunkten für das Vorliegen der diesbezüglichen Voraussetzungen verneint wurde) in EuGH, Rs. C-43/10 (Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias), Urt. v. 11.9.2012. Zu diesem Urteil auch noch unten V.2,

20 EuGH, Rs. C-204/09 (Flachglas Torgau), Urt. v. 14.2.2012, NVwZ 2012, 491, EuZW 2012, 459. 21 RL 2003/4 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen, ABl. 2003 L 41, 26.

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Gesetzgebungsverfahren (z.B. durch die Vorlage von Gesetzesentwürfen) beteiligt sind, fallen, dies allerdings nur bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens. Damit geht der Gerichtshof ausdrücklich von einem funktionellen Ansatz aus, was überzeugend mit Ziel und Zweck der Bestimmung begründet wird, geht es doch um den Schutz des ordnungsgemäßen Ablaufs des Gesetzgebungsverfahrens. Dieser Ansatz impliziert dann aber auch die erwähnte zeitliche Beschränkung der Möglichkeit des Greifens dieser Ausnahme, kann sie nach ihrem Sinn und Zweck doch nach Abschluss des Verfahrens gerade nicht mehr greifen. Damit unterliegen die „legislativen“ Tätigkeiten der Exekutive a posteriori dem Umweltinformationsanspruch. Weiter legt der Gerichtshof die in Art. 4 Abs. 2 Uabs. 1 lit. a RL 2003/4 vorgesehene Ausnahmemöglichkeit aus. Nach dieser Bestimmung kann allgemein der Schutz der Vertraulichkeit der Behördenberatungen eine Ablehnung eines Antrags be-gründen, dies sofern gesetzlich eine Geheimhaltungspflicht vorgeschrieben ist. Diese zuletzt genannte Voraussetzung sei auch dann erfüllt, wenn eine nationale Bestimmung allgemein vorsieht, dass die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden einen Grund für die Ablehnung des Zugangs zu Umweltinformationen darstellt, sofern der Begriff der Beratungen hinreichend klar bestimmt ist. Nicht beantwortet hat der Gerichtshof die Frage, ob dieser Ausschlussgrund auch dann noch greift, wenn die Beratungen abgeschlossen sind. Die Erwägungen des Gerichtshofs in Bezug auf Art. 2 Nr. 2 S. 2 RL 2003/4 legen – ebenso wie eine enge Auslegung der Ausnahmegründe – eine Verneinung dieser Frage nahe. Interessant ist an dem Urteil im Übrigen, dass der Gerichtshof in Vorbemerkungen sowie mehrere Mal im Urteil auf die Aarhus-Konvention verweist, der eine Grundsatzentscheidung für den Zugang zu bei Behörden befindlichen Umweltinformationen zu entnehmen sei. Hieraus wird man wohl ableiten können, dass die Richtlinie im Allgemeinen und die Ausnahmebestimmungen im Besonderen aufgrund der völkerrechtskonformen Auslegung des Unionsrechts im Einklang und unter Berücksichtigung der Aarhus-Konvention auszulegen sind.

2. Zur Vereinbarkeit der Aarhus-Verordnung mit der Aarhus-Konvention

Die sog. dritte Säule der Aarhus-Konvention enthält Vorgaben betreffend den Rechtsschutz. Auf Unionsebene geht es dabei im Wesentlichen um den Rechtsschutz im Zusammenhang mit der (möglichen) Verletzung des Anspruchs auf Zugang zu Umweltinformationen (Art. 9 Abs. 1 Aarhus-Konvention) sowie um Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention; letztere Bestimmung sieht vor, dass Mitglieder der Öffentlichkeit (unter die auch Umweltverbände fallen, vgl. Art. 2 Nr. 4 Aarhus-Konvention) Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben müssen, um die von Privatpersonen und / oder Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen des internen Rechts verstoßen. Für beide Aspekte relevant ist, dass die VO 1367/2006 ein internes Überprüfungsverfahren einführt, das Nichtregierungsorganisationen, die die in Art. 10 VO 1367/2006 genannten Anforderungen erfüllen, erlaubt, bei dem Organ oder der Einrichtung,

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das einen „Verwaltungsakt nach dem Umweltrecht angenommen“ hat, ein internes Prüfungsverfahren zu beantragen. Hier handelt es sich allerdings nicht um ein gerichtliches oder gerichtsähnliches, sondern um ein verwaltungsinternes Verfahren, das von demselben Organ, das den beanstandeten Rechtsakt erlassen hat, durchgeführt wird.

In der Rs. T-396/0922

hatte sich das Gericht mit der Auslegung dieser Bestimmungen zu befassen. Es hielt insbesondere fest, der Begriff der Handlung im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention sei nicht dahin auszulegen, dass er sich nur auf Maßnahmen zur Regelung von Einzelfällen bezieht; vielmehr erfasse er auch Maßnahmen mit allgemeiner Geltung (wobei jedoch nach Art. 2 Abs. 2 AK Handlungen, die in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft vorgenommen werden, ausgeschlossen sind). Die Ausführungen des Gerichts dürften es nahelegen, dass gesetzgebende Eigenschaft hier im Sinne von Gesetzgebung durch Rat und Parlament, nicht hingegen durch die Kommission, verstanden wird. In der Folge stellte das Gericht die Unvereinbarkeit von Art. 10 Abs. 1 VO 1367/2006 mit Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention fest, da die Verordnungsbestimmung nur Maßnahmen zur Regelung von Einzelfällen erfasst und das Überprüfungsverfahren somit nur in Bezug auf diese zum Zuge kommt.

IV. Abfallrecht

1. Abfallverbringung

Das Herzstück der sog. Abfallverbringungsverordnung (VO 1013/200623) betrifft die Abfallverbringung zwischen den Mitgliedstaaten (Art. 3-32 VO 1013/2006). Diese bedarf grundsätzlich einer behördlichen Genehmigung, die nach Durchlaufen des sog. Notifizierungsverfahrens (nicht) erteilt wird (Art. 3 Abs. 1-14 VO 1013/2006); eine Ausnahme gilt allerdings für Abfälle der sog. „Grünen Liste“ (Anhang III VO 1013/2006), für die lediglich die Vorgaben des Art. 18 VO 1013/2006 zum Zuge kommen. In der Rs. C-1/1124 ging es um die Auslegung dieser Bestimmung: Der Gerichtshof hält fest, die von Art. 18 Abs. 4 i.V.m. Anhang VII VO 1013/2006 geforderte Offenlegung der Identität des Abfallerzeugers durch den Streckenhändler (der eine Abfallverbringung veranlasst) habe auch dann zu erfolgen, wenn eine Nichtoffenlegung zum Schutz des Geschäftsgeheimnisses des Streckenhändlers erforderlich wäre. Auch alle sonstigen von der Verordnung verlangten Angaben hätten ungeachtet des Geschäftsgeheimnisses zu erfolgen. Man könne allenfalls in Erwägung ziehen, diese Verordnungsbestimmung sei wegen einer Verletzung des Primärrechts (wobei die Grundrechte hier im Vordergrund stehen) ungültig, das nationale Gericht habe aber keine entsprechende Frage formuliert, und angesichts der eindeutigen

22 EuG, Rs. T-396/09 (Vereniging Milieudefensie u.a.), Urt. v. 14.6.2012, ZUR 2012, 495. S. auch EuG, Rs.

T-338/08 (Stichting Natuur en Milieu), Urt. v. 14.6.2012, NuR 2012, 550.

23 VO 1013/2006 über die Verbringung von Abfällen, ABl. 2006 L 190, 1. 24 EuGH, Rs. C-1/11 (Interseroh Scrap), Urt. v. 29.3.2012, EurUP 2012, 205.

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Formulierungen in der Verordnung seien die genannten Informationspflichten als „absolut“ anzusehen.

2. RL 1999/31 über Abfalldeponien

Im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs in der Rs. C-172/0825 präzisierte der EuGH in der Rs. C-97/1126, dass Art. 10 RL 1999/3127 unmittelbar wirksam sei:28 Denn die fragliche Bestimmung lege den Mitgliedstaaten unmissverständlich eine Verpflichtung zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses (vollständige Kostendeckung der Kosten einer Deponie durch das Entgelt) auf. Der bereits in der Rs. C-172/08 erwähnte Umstand, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Finanzierung der Kosten der Deponien keine bestimmte Methode verschreibt, beeinträchtige nicht die Genauigkeit und Unbedingtheit der in dieser Bestimmung vorgesehenen Verpflichtung. Ein Träger öffentlicher Gewalt müsse also nationale Bestimmungen, die mit diesen Vorgaben unvereinbar sind, außer Anwendung lassen. Relevant wurde dies für die im italienischen Recht vorgeschriebene Abgabe, die von den Deponiebetreibern zu entrichten war und bei der unsicher bzw. nicht gewährleistet war, ob sie vollständig auf die Besitzer der angelieferten Abfälle überwälzt werden konnte.

Das Urteil dürfte die Kriterien der unmittelbaren Wirkung relativ „großzügig“ auslegen bzw. bejahen, denn letztlich enthält Art. 10 RL 1999/31 kaum mehr Präzisierungen als schon das in Art. 191 Abs. 2 AEUV formulierte Verursacherprinzip, allerdings bezogen auf eine konkrete Konstellation. Bei der Lektüre des Urteils drängt sich der Eindruck auf, die unmittelbare Wirkung der Bestimmung sei insbesondere vor dem Hintergrund bejaht worden, dass es im konkreten Fall um die Nichtanwendung einer im nationalen Recht bestehenden Abgabepflicht, wobei die Abgaben nicht vollständig auf die Abfallbesitzer überwälzt werden können, ging: Insoweit lässt sich Art. 10 RL 1999/31 in der Tat eine hinreichend genaue und inhaltlich unbedingte Verpflichtung entnehmen. Dies dürfte jedoch nicht für die Anwendung der Bestimmung auf andere Fragen (z.B. die Entgelthöhe als solche, die Konkretisierungen der Berechnung der Kosten impliziert) der Fall sein (abgesehen davon, dass hier auch eine Verpflichtung Privater die unmittelbare Wirkung ausschließen könnte). Damit werden mindestens zwei Fragen aufgeworfen:

25 EuGH, Rs. C-172/08 (Pontina Ambiente), Slg. 2010, I-1175. Der Gerichtshof stellte hier klar, dass Art.

10 RL 1999/31 zwar keine bestimmte Methode zur Finanzierung der Kosten von Deponien vorschreibe, jedoch sichergestellt sein müsse, dass durch den Finanzierungsmechanismus die gesamten Kosten für die Errichtung und den Betrieb der Deponie abgedeckt sind. Zu diesem Urteil Epiney, EurUP 2011, 128 (135 f.).

26

EuGH, Rs. C-97/11 (Amia SpA), Urt. v. 24.5.2012, EurUP 2012, 210.

27

RL 1999/31 über Abfalldeponien, ABl. 1999 L 182, 1. Nach Art. 10 RL 1999/31 müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass alle Kosten für die Errichtung und den Betrieb einer Deponie durch das vom Betreiber in Rechnung zu stellende Entgelt für die Ablagerung aller Abfallarten in der Deponie abgedeckt werden.

28 Wobei der EuGH auch betont, die Frage nach der unmittelbaren Wirksamkeit stelle sich erst, wenn eine

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- Erstens fragt es sich, ob eine Pflicht zur Nichtanwendung der mit Art. 10 RL 1999/31 unvereinbaren nationalen Bestimmung nicht auch im Falle der Verneinung der hinreichenden Genauigkeit dieser Regelung bestanden hätte, m.a.W., ob die Pflicht, eine unionsrechtswidrige nationale Regelung nicht anzuwenden, von der unmittelbaren Wirkung des einschlägigen Unionrechts abhängt. M.E. ist diese Frage zu verneinen: Denn der Anwendungsvorrang des Unionsrechts kommt unabhängig von der unmittelbaren Wirkung schon wegen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts zum Zuge. Zwar impliziert die Verneinung der unmittelbaren Wirkung in der Regel eine gewisse inhaltliche Offenheit der fraglichen Bestimmung; falls sich jedoch das nationale Recht nicht innerhalb des eingeräumten Gestaltungsspielraums ansiedelt, besteht kein Grund, warum der Anwendungsvorrang nicht zum Zuge kommen soll. Insofern ist also die Frage nach der hinreichenden Genauigkeit einer Bestimmung (die für die unmittelbare Wirkung von Bedeutung ist) von derjenigen nach dem Anwendungsvorrang zu unterscheiden, und der Umstand, dass eine unionsrechtliche Vorschrift einen Gestaltungsspielraum einräumt, bedeutet gerade nicht, dass dieser nicht auch überschritten werden kann; diesfalls muss dann aber der Anwendungsvorrang des Unionsrechts zum Zuge kommen.

- Zweitens dürfte das Urteil implizieren, dass die unmittelbare Wirkung einer Richtlinienbestimmung differenziert zu beurteilen sein kann, je nachdem, um welche Rechtsfrage es sich handelt. So kann Art. 10 RL 1999/31 in Bezug auf die in der Rs. C-97/11 aufgeworfene Frage unmittelbar anwendbar sein, möglicherweise aber nicht in Bezug auf andere, dieser Bestimmung zu entnehmende Verpflichtungsschichten.

V. Naturschutzrecht und Gewässerschutz

1. RL 92/43 (FFH-Richtlinie)

Im Gegensatz zu sog. faktischen Vogelschutzgebieten – also Schutzgebiete, die nach der einschlägigen Richtlinie hätten ausgewiesen werden müssen, was der betreffende Mitgliedstaat jedoch versäumt hat – erscheint das Vorliegen eines „faktischen FFH-Gebiets“ (im Zusammenhang mit der sog. sog. FFH-Richtlinie, RL 92/4329

) wegen des erforderlichen Einverständnisses des betroffenen Mitgliedstaates bei der Ausweisung der besonderen Schutzgebiete nicht möglich. Daher können die Pflichten des Art. 6 Abs. 2-4 RL 92/43 vor ihrer Aufnahme in die Unionsliste nicht zum Zuge kommen, selbst dann nicht, wenn die Gebiete zwar auf mitgliedstaatlichen Listen aufgeführt, aber noch nicht in die Unionsliste aufgenommen worden sind.30 Diese Gebiete sind aber – wie sich auch aus Art. 4 Abs. 3 EUV

29 RL 92/43 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl.

1992 L 206, 7.

30 S. insoweit schon EuGH, Rs. C-117/03 (Dragaggi), Slg. 2005, I-167; EuGH, Rs. C-244/05 (Bund

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(Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit) ergibt – nicht völlig schutzlos gestellt. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, all diejenigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die im Hinblick auf das mit der RL 92/43 angestrebte Erhaltungsziel geeignet sind, die erhebliche ökologische Bedeutung dieser Gebiete zu wahren. Die Ausgestaltung der Schutzmaßnahmen, also das „Wie“, bleibt jedoch den Mitgliedstaaten überlassen.31

Daraus ergibt sich, dass eine Verträglichkeitsprüfung von Plänen und Projekten nicht zwingend vorgeschrieben ist, dass das Verschlechterungsverbot nicht absolut gelten kann, sondern nur insoweit, als damit auch die ökologische Bedeutung des Gebiets insgesamt beeinträchtigt oder die Erhaltung prioritärer Lebensräume oder Arten gefährdet wird, und dass eine Ausnahme von dem Verschlechterungsverbot im Hinblick auf außerordentliche und zwingende Gründe des Allgemeinwohls, wie der Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung oder der öffentlichen Sicherheit,32

zulässig ist. In der Rs. C-340/1033

stellt der Gerichtshof diejenigen Gebiete, die nicht in der an die Kommission übermittelten Liste figurieren, aber dort nach den Vorgaben der RL 92/43 hätten figurieren müssen, den in der Liste genannten in Bezug auf die Schutzpflichten letztlich gleich, so dass die skizzierten Schutzpflichten auch in Bezug auf solche Gebiete zum Zuge kommen. Der Gerichtshof begründet dies letztlich mit einem (knappen) Hinweis auf die Zielsetzungen der Richtlinie. Im Übrigen stellt er klar, dass die Organisation von Motocrossrennen in dem fraglichen Schutzgebiet ein Verhalten sei, das die ökologischen Merkmale des fraglichen Gebiets ernsthaft beeinträchtigen könne. Im Übrigen stelle die Duldung dieser Tätigkeit auch einen Verstoß gegen die artenbezogene Schutzvorschrift des Art. 12 Abs. 1 RL 92/43 dar, ebenso wie die übermäßige Wasserentnahme und die bauliche Entwicklung in dem fraglichen Gebiet, da hierdurch die geschützte zyprische Ringelnatter gefährdet werde und Zypern somit kein strenges Schutzsystem eingeführt habe, das einen effektiven Schutz der betroffenen Arten zu gewährleisten vermag.

2. Umleitung eines Flusses und die Vorgaben der RL 2000/60 und der RL 92/43

In der von der Großen Kammer entschiedenen Rs. C-43/1034

hatte sich der Gerichtshof insbesondere35

mit verschiedenen Fragen der Auslegung der sog. Wasserrahmenrichtlinie (RL

31 EuGH, Rs. C-117/03 (Dragaggi), Slg. 2005, I-167; EuGH, Rs. C-244/05 (Bund Naturschutz Bayern), Slg.

2006, I-8445. Aus dem Berichtszeitraum auch EuGH, Rs. C-43/10 (Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias), Urt. v. 11.9.2012.

32

Soziale und wirtschaftliche Gründe vermögen eine solche Ausnahme jedoch nicht zu rechtfertigen, so dass der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten hier weniger weit geht und ebenso wie bei der Vogelschutzrichtlinie ein strenger Maßstab anzulegen ist. Insoweit zumindest unklar jedoch noch Epiney, EurUP 2007, 70 (71).

33

EuGH, Rs. C-340/10 (Kommission/Zypern), Urt. v. 15.3.2012, NuR 2012, 359.

34 EuGH, Rs. C-43/10 (Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias), Urt. v. 11.9.2012, NuR 2012, 774. 35 Neben den im Text erwähnten Aspekten stand auch noch die Verbindlichkeit und Berechnung der Fristen

in Art. 13 Abs. 6, 24 Abs. 1 RL 2000/60 (in Bezug auf die Frist für die Veröffentlichung der Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete und die Umsetzungsfrist, insbesondere der Art. 3-6, 9, 13, 15 RL 2000/60) zur Debatte. Weiter äußerte sich der Gerichtshof zu gewissen Aspekten der RL 2011/92

(11)

2000/60 36

) sowie der RL 92/43 (FFH-Richtlinie 37

) auseinanderzusetzen, dies im Zusammenhang mit der Umleitung des Oberlaufs eines Flusses in ein anderes Einzugsgebiet mit dem Zweck der Verbesserung der Wasserversorgung und der Stromerzeugung.

Soweit die RL 2000/60 betroffen war, stand die Reichweite der Ausnahmebestimmung des Art. 4 Abs. 7 RL 2000/60 – die (neben Art. 4 Abs. 5, 6 RL 2000/60) ein Abweichen von den grundsätzlich nach der RL 2000/60 zu beachtenden Umweltzielen vorsieht38

– im Zentrum des Urteils. Diese Bestimmung trägt dem Umstand Rechnung, dass gewisse Änderungen der Umstände eine Verschlechterung des Zustandes von Gewässern zur Folge haben können, ohne dass dies vernünftigerweise zu verhindern oder ökologisch notwendigerweise negativ zu bewerten ist, so dass es hier um allgemeine Ausnahmen aufgrund veränderter Umstände geht. Der Gerichtshof hielt zunächst fest, die Vorgaben des Art. 4 Abs. 7 RL 2000/60 seien vor dem Hintergrund der Vorwirkung von Richtlinien auch vor Ablauf der Frist des Art. 13 Abs. 6 RL 2000/60 im Ergebnis bzw. entsprechend zu beachten. Zwar habe in Bezug auf das in Frage stehende Vorhaben Art. 4 RL 2000/60 nicht beachtet werden müssen, da die Frist für die Veröffentlichung der Bewirtschaftungspläne – in deren Rahmen die zur Verwirklichung der Ziele des Art. 4 RL 2000/60 notwendigen Maßnahmen aufzuführen sind – noch nicht abgelaufen war. Jedoch dürften die Mitgliedstaaten während der Umsetzungsfrist keine Vorschriften erlassen, die geeignet sind, die Erreichung der Richtlinienziele zu gefährden.39

Diese Pflicht gelte auch während eines Übergangszeitraums (von denen es in der RL 2000/60 viele gibt), während dessen die Mitgliedstaaten ihre nationalen Regelungen weiter anwenden dürfen, obwohl diese nicht in Einklang mit der betreffenden Richtlinie stehen. Daher dürften die Mitgliedstaaten auch vor dem Ablauf der Frist für die Erstellung der Bewirtschaftungspläne keine Maßnahmen erlassen, die die Einhaltung der Umweltziele (die spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie sicherzustellen sei, vorbehaltlich der in der Richtlinie selbst vorgesehenen Ausnahmen) gefährden. Daher sei auch Art. 4 Abs. 7 RL 2000/60 sinngemäß vor Ablauf der genannten Frist zu beachten.

Die Ausnahmebestimmung des Art. 4 Abs. 7 RL 2000/60 erlaubt aber nicht allgemein, bei veränderten Umständen von den Umweltzielen abzuweichen, sondern stellt eine Reihe eingrenzende und kumulativ zu verstehende Voraussetzungen auf:

- Nur bestimmte veränderte Umstände erlauben bestimmte Abweichungen von den Umweltzielen.

bzw. der RL 85/337 (UVP-Richtlinie) sowie der RL 2001/42 (SUP-Richtlinie); auf diese wurde in den Fußnoten in den entsprechenden Abschnitten dieses Beitrags hingewiesen.

36 RL 2000/60 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der

Wasserpolitik, ABl. 2000 L 327, 1.

37

RL 92/43 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. 1992 L 206, 7.

38 Vgl. im Einzelnen zur RL 2000/60 und ihrer Systematik, Epiney, EU-Umweltrecht, 3. Aufl., im

Erscheinen, 7. Kap. A.

39 Wobei der Gerichtshof hier auf seine bisherige Rechtsprechung verweist, s. z.B. EuGH, verb. Rs.

(12)

- Es sind alle praktikablen Vorkehrungen zu treffen, um die negativen Auswirkungen auf den Zustand des Wasserkörpers zu mindern.

- Die Gründe für die Änderungen der Oberflächenwasserkörper oder des Grundwasserpegels sind von übergeordnetem öffentlichem Interesse bzw. der Nutzen, den die Verwirklichung der an sich maßgebenden Umweltziele für Umwelt und Gesellschaft hätte, wird durch den Nutzen der neuen Änderungen für die menschliche Gesundheit, die Erhaltung der Sicherheit der Menschen oder die nachhaltige Entwicklung übertroffen.

- Die Ziele, denen die Änderungen des Wasserkörpers dienen sollen, können nicht durch andere Mittel, die eine wesentlich bessere Umweltoption darstellen, erreicht werden, dies aus Gründen der technischen Durchführbarkeit oder im Gefolge unverhältnismäßiger Kosten

Da sowohl die Wasserversorgung als auch die Stromversorgung und die Bewässerung öffentlichen Interessen dienten, erachtete der Gerichtshof Art. 4 Abs. 7 RL 2000/60 in Bezug auf das in Frage stehende Projekt als grundsätzlich einschlägig, wobei eine Genehmigung eines solchen Projekts jedoch nur unter folgenden Voraussetzungen mit der RL 2000/60 in Einklang stehe:

- Es wurden alle praktikablen Vorkehrungen getroffen, um die negativen Auswirkungen des Vorhabens auf den Zustand des Wasserkörpers zu mindern.

- Die Gründe für die Verwirklichung eines solchen Vorhabens wurden im Einzelnen dargelegt.

- Das betreffende Vorhaben muss im öffentlichen Interesse liegen und / oder der Nutzen des Vorhabens muss den Nutzen der Einhaltung der Umweltziele übertreffen.

- Die nutzbringenden Ziele des Vorhabens hätten aus Gründen der technischen Durchführbarkeit oder aufgrund unverhältnismäßiger Kosten nicht durch andere Mittel, die eine wesentlich bessere Umweltoption darstellen, erreicht werden können.

Nicht zwingend erforderlich sei es hingegen, dass das aufnehmende Einzugsgebiet nicht in der Lage ist, den bestehenden Bedarf auf dem Gebiet der Wasserversorgung, der Stromerzeugung oder der Bewässerung aus den eigenen Wasserressourcen zu befriedigen, könnten doch die genannten Voraussetzungen auch ansonsten erfüllt sein.

Nicht zu verkennen ist in diesem Zusammenhang, dass durch die Aufstellung dieser Voraussetzungen Wasserumleitungen sehr häufig möglich sein werden mit der Folge, dass die Umweltziele nicht eingehalten werden müssen, da die erwähnten Voraussetzungen denkbar offen und präzisierungsbedürftig formuliert sind und der Gerichtshof auf das Kriterium der Möglichkeit der Versorgung durch das aufnehmende Einzugsgebiet – das hinreichend klar ist bzw. gewesen wäre – verzichtet. Zwar wird man dem Gerichtshof insoweit zustimmen müssen, als die genannten Kriterien tatsächlich auch im Falle der fehlenden „mengenmäßigen Notwendigkeit“ der Umleitung erfüllt sein können; nichtsdestotrotz sei die Frage erlaubt, ob in einem solchen Fall – auch angesichts des Vorsorgeprinzips – die Nutzung der vorhandenen

(13)

Wasserressourcen nicht doch in aller Regel die wesentlich bessere Umweltoption darstellen würde, die wohl auch regelmässig sowohl technisch durchführbar als auch nicht mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden wäre. Insoweit hätte man zumindest erwarten können, dass der Gerichtshof diesbezüglich eine Art Regelvermutung, verbunden mit der Notwendigkeit besonderer Umstände, formuliert hätte.

In Bezug auf die RL 92/43 sind folgende Gesichtspunkte hervorzuheben:

- In Bezug auf den Schutzstatus von Gebieten vor der Veröffentlichung des entsprechenden Beschlusses, aber nach seiner Bekanntgabe an den betreffenden Mitgliedstaat, sei der Mitgliedstaat vollumfänglich an Art. 6 Abs. 2-4 RL 92/43 gebunden. Dieser Ansatz erscheint schon deshalb zwingend, weil ein an die Mitgliedstaaten gerichteter Beschluss mit der Bekanntgabe an die Adressaten wirksam wird. Dieser Grundsatz gilt im Übrigen nach Ansicht des Gerichtshofs auch dann, wenn kurz vor der Bekanntgabe ein Projekt genehmigt worden war, da in einem solchen Fall eine Situation vorliege, die nicht als bereits festgelegt betrachtet werden könne. Damit impliziert die Verbindlichkeit der genannten Richtlinienbestimmungen eine gewisse rückwirkende Wirkung, kann doch der entsprechende innerstaatliche Rechtsakt u.U. nicht seine volle Wirkung entfalten bzw. muss modifiziert werden. Das innerstaatliche Recht muss daher Verfahren bzw. Instrumente zur Verfügung stellen, damit diesen unionsrechtlichen Anforderungen Rechnung getragen werden kann.

- Die Genehmigung einer Wasserumleitung in einem besonderen Schutzgebiet dürfe in Anbetracht der Art. 6 Abs. 3, 4 RL 92/43 nur unter der Voraussetzung erfolgen, dass verlässliche und aktuelle Angaben über die Vogelwelt in dem entsprechenden Gebiet vorliegen, da ansonsten weder die vorgeschriebene Prüfung nach Art. 6 Abs. 3 RL 92/43 noch ggf. die korrekte Anwendung des Art. 6 Abs. 4 RL 92/43 gewährleistet werden könne.

- Die in Art. 6 Abs. 4 RL 92/43 geforderten Interessen, die die Verwirklichung eines Plans oder Projekts trotz der Beeinträchtigung eines Schutzgebiets rechtfertigen können, müssten sowohl „öffentlich“ als auch „überwiegend“ sein, d.h. das jeweilige Interesse müsse so wichtig sein, dass es gegen das mit der RL 92/43 verfolgte Ziel der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen abgewogen werden kann. Die Bewässerung und die Trinkwasserversorgung erfüllten grundsätzlich diese Voraussetzungen; jedoch könne die Bewässerung – im Gegensatz zur Trinkwasserversorgung – grundsätzlich nicht unter die Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Art. 6 Abs. 4 Uabs. 2 RL 92/43 subsumiert werden.

- Für die Feststellung geeigneter Ausgleichsmaßnahmen im Sinne des Art. 6 Abs. 4 Uabs. 1 S. 1 RL 92/43 müsste der Umfang der Umleitung von Wasser und die Bedeutung der hiermit verbundenen Arbeiten berücksichtigt werden.

(14)

- Schließlich erlaube die RL 92/43 – auch angesichts des in Art. 11 AEUV niedergelegten Grundsatzes der Nachhaltigen Entwicklung – die Umwandlung eines natürlichen Flussökosystems in ein in großem Maße vom Menschen geschaffenes Fluss- und Seeökosystem, sofern die Vorgaben der RL 92/43 eingehalten werden. Damit versteht der Gerichtshof die RL 92/43 letztlich als Durchführung des Grundsatzes der Nachhaltigen Entwicklung. Auch erscheint es angesichts der hier recht apodiktischen Formulierungen des Gerichtshofs eher unwahrscheinlich, dass dieser aus diesem Grundsatz konkrete Vorgaben ableitet.40

VI. Gentechnikrecht

In der Rs. C-36/1141

hatte sich der Gerichtshof mit einigen Grundfragen der VO 1829/200342

(im Zusammenspiel mit der RL 2002/5343

) auseinanderzusetzen. Ausgehend davon, dass die VO 1829/2003 bezwecke, die freie Verwendung und das freie Inverkehrbringen der GVO im gesamten Unionsgebiet zu gestatten, wenn die GVO gemäß der Verordnung zugelassen und in Anwendung der RL 2002/53 in den gemeinsamen Katalog aufgenommen sind, könnten die Mitgliedstaaten den Anbau von nach der VO 1829/2003 zugelassenen (und gemäß der RL 2002/53 in den gemeinsamen Katalog aufgenommenen) GVO nicht von einer nationalen Genehmigung abhängig machen, zumal die Verordnung selbst Anliegen des Gesundheits- und Umweltschutzes berücksichtige. Ein Verbot des Anbaus solcher GVO bis zum Erlass von Koexistenzmaßnahmen nach Art. 26a RL 2001/1844

impliziere eine Umgehung dieser Grundsätze, so dass diese Bestimmung nichts an diesem Schluss zu ändern vermöge.

In Bezug auf den zuletzt genannten Aspekt ist zu präzisieren, dass das Urteil des Gerichtshofs keine Aussage über die Zulässigkeit GVO-freier Zonen (u.a. im Zuge von Koexistenzmaßnahmen), sondern lediglich über das in Frage stehende Junktim zwischen dem Erlass solcher Maßnahmen und einer Zulassung von bereits nach der VO 1829/2003 zugelassener GVO enthält. Im Gegenteil: Der Gerichtshof hält in dem Urteil sogar fest, dass eine Maßnahme nach Art. 26a RL 2001/18 zu „Einschränkungen oder gar geographisch begrenzten Verboten“ führen könne. Auch die RL 2001/18 steht der Einrichtung solcher Zonen nicht entgegen: Denn diese Richtlinie regelt lediglich das Inverkehrbringen der

40 S. aus dem Bereich des Gewässerschutzes auch noch EuGH, Rs. C-301/10 (Kommission/Großbritannien),

Urt. v. 18.10.2012: Der Gerichtshof präzisierte hier in Bezug auf die RL 91/271 zur Behandlung von kommunalem Abwasser, dass die Pflicht zur Behandlung von kommunalem Abwasser insofern absolut zu verstehen sei, als nur unter außergewöhnlichen Umständen eine fehlende Behandlung hingenommen werden könne, während unter normalen Bedingungen und unter Berücksichtigung saisonaler Schwankungen ausnahmslos das gesamte kommunale Abwasser gesammelt und behandelt werden muss. Weiter geht der EuGH in dem Urteil auf die genaue Reichweite der durch die Richtlinie zugelassenen Ausnahmen ein.

41

EuGH, Rs. C-36/11 (Pioneer Hi Bred), Urt. v. 6.9.2012.

42 VO1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, ABl. 2003 L 268, 1.

43 RL 2002/53 über einen gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten, ABl. 2002 L

193, 1.

44 RL 2001/18 über die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt, ABl.

(15)

erfassten GVO; hingegen sieht sie weder die Einrichtung gentechnikfreier Zonen vor, noch sind ihr Vorgaben bezüglich der Zulässigkeit der Ausweisung solcher Zonen zu entnehmen. Auch regeln weder die RL 2001/18 noch sonstige unionsrechtliche Vorschriften die Frage der Verwendung der in Verkehr gebrachten GVO abschließend. Denn die relevanten unionsrechtlichen Regelungen weisen produktbezogenen Charakter auf und betreffen insofern „nur“ die Zulassung und das Inverkehrbringen der erfassten gentechnisch veränderten Organismen. Insofern sagt die grundsätzliche Verkehrsfähigkeit eines Produkts noch nichts darüber aus, auf welche Weise und in welchen Gebieten es verwendet werden darf. Im Gegenteil dürfte Vieles dafür sprechen, dass die Frage der grundsätzlichen Produktzulassung auf den entsprechenden Märkten nicht bedeutet, dass diese auch überall und unter allen Umständen immer verwendet werden dürfen.45

VII. Umweltanforderungen und Vergaberecht

In der von der Großen Kammer entschiedenen Rs. C-368/1046

stand die Vereinbarkeit verschiedener auch umweltpolitischer Vergabekriterien mit der einschlägigen Vergaberichtlinie (RL 2004/1847

) zur Debatte. Im Einzelnen war in der entsprechenden öffentlichen Ausschreibung einer holländischen Provinz zur Lieferung, Installierung und Wartung von Kaffeeautomaten sowie der für den Betrieb erforderlichen Zutaten vorgesehen, dass der zu liefernde Kaffee und Tee sowie weitere Zutaten mit dem Gütezeichen EKO (für Erzeugnisse aus mindestens 95 % ökologischer Produktion) oder MAX HAVELAAR (das Erzeugnisse aus dem fairen Handel betrifft) versehen sein müssen. Der Gerichtshof stellte in der angezeigten Rechtssache fest, dass diese Formulierung der Ausschreibungskriterien nicht mit den Vorgaben der genannten Richtlinie in Einklang stehe: Zwar ließen es die einschlägigen Vorschriften der Richtlinie zu, bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen auch die Einhaltung von Umweltkriterien oder von Anforderungen des fairen Handels (unter Einschluss von Anforderungen an die Produktionsmethode) zu berücksichtigen. Jedoch entspreche die konkrete Ausschreibungsformulierung nicht den Anforderungen der Gleichbehandlung aller Bieter, da pauschal verlangt wurde, dass die zu liefernden Erzeugnisse mit bestimmten Gütezeichen ausgestattet sind, anstatt detaillierte Spezifikationen bzw. Kriterien zu formulieren. Auch müsse der Nachweis, dass ein Erzeugnis den Kriterien genügt,

45 Gegen den hier vertretenen Ansatz kann auch nicht das Urteil des EuG in Bezug auf die gentechnikfreie

Zone in Oberösterreich (EuG, verb. Rs. T-366/03 und T-235/04 (Oberösterreich und Österreich/Kommission), Slg. 2005, II-4005; s. auch EuGH, verb. Rs. C-439/05 P, C-454/05 P, Slg. 2007, I-7141 (das Berufungsurteil zum Urteil des EuG in den verb. Rs. T-366/03, T-235/04, wobei das Urteil des EuG bestätigt wurde) angeführt werden, da das EuG hier ausschließlich auf ex-Art. 95 Abs. 5 EGV (jetzt Art. 114 Abs. 5 AEUV) abstellte (Österreich hatte diese Maßnahme auch so notifiziert), während die eigentlich vorgelagerte Prüfung des abschließenden Charakters des Unionsrechts in Bezug auf diese Frage nicht erörtert wurde. Vgl. ausführlich zum Problemkreis der unionsrechtlichen Zulässigkeit GVO-freier Zonen, m.w.N., Epiney, EU-Umweltrecht, 3. Aufl., im Erscheinen, 8. Kap. C.II.

46

EuGH, Rs. C-368/10 (Kommission/Niederlande), Urt. v. 10.5.2012, EuZW 2012, 592, NVwZ 2012, 867.

47 RL 2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge

(16)

auf andere Weise möglich sein. Darüber hinaus erachtete der Gerichtshof die Formulierung, wonach die Bieter die „Kriterien der Nachhaltigkeit der Einkäufe und des gesellschaftlich verantwortlichen Verhaltens“ einhalten müssen und „zur Verbesserung der Nachhaltigkeit des Kaffeemarkts und einer umwelttechnisch, sozial und wirtschaftlich verantwortlichen Kaffeeproduktion beitragen“ als zu allgemein und nicht genügend mit dem konkret zu vergebenden Auftrag im Zusammenhang stehend, so dass eine derartige Anforderung nicht als technische Leistungsfähigkeit angesehen werden könne und im Übrigen gegen das Transparenzverbot verstoße.

Das Urteil verdeutlicht, dass Umwelt- und Sozialaspekte relativ umfassend im Vergabeverfahren berücksichtigt werden können, wobei der Gerichtshof im Einzelnen hier verschiedene Ebenen unterscheidet. So können entsprechende Anforderungen sowohl in Bezug auf die grundsätzlichen Voraussetzungen, denen ein Angebot zu genügen hat (sei dies nun als technische Spezifikation, als Anforderung an die Leistungserbringung oder aber an die Eignung des Bieters) als auch bei den Zuschlagskriterien in Rechnung gestellt werden. Weiter verdeutlicht der Gerichtshof, dass Gütezeichen in diesem Rahmen zwar eine gewisse Rolle spielen dürfen, jedoch nur in dem Sinn, dass sie die Einhaltung bestimmter Kriterien belegen können; diese sind hingegen letztlich maßgeblich. Im Übrigen muss es den Bietern freistehen, die Einhaltung der Kriterien auf andere Weise zu belegen. Schließlich können Umwelt- und Sozialkriterien nur in Bezug auf den konkreten Auftragsgegenstand geltend gemacht werden, während allgemeine Anforderungen an die „Politik“ eines Unternehmens unzulässig sind. Insgesamt dürfte das Urteil einen angemessenen Ausgleich zwischen der Berücksichtigung von Umwelt- und Sozialaspekten einerseits und einer transparenten und nicht diskriminierenden Ausgestaltung des Vergabeverfahrens – wobei beide Aspekte in der Richtlinie Niederschlag gefunden haben – gewährleisten.48

48 S. im Übrigen zur Berücksichtigung von Umweltanliegen im Zusammenhang mit staatlichen Beihilfen

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