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Droit européen : Suisse - Union européenne = Europarecht: Schweiz - Europäische Union

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Droit européen : Suisse - Union européenne = Europarecht: Schweiz - Europäische Union

KADDOUS, Christine, TOBLER, Christa

KADDOUS, Christine, TOBLER, Christa. Droit européen : Suisse - Union européenne =

Europarecht: Schweiz - Europäische Union. Swiss Review of International and European Law , 2013, vol. 23, no. 4, p. 639-670

Available at:

http://archive-ouverte.unige.ch/unige:44216

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Droit europ6en: Suisse - Union europeenne Europarecht: Schweiz - Europ iische Union

von Christine Kaddous

1

& Christa Tobler

2

Inhaltsverzeichnis - Table des matires 1. Lgislation- Gesetzgebung

11. Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung: EuGH, EFTA-GH

und Schweizerisches Bundesgericht - D6veloppements r6cents de la jurisprudence:

CJUE, Cour AELE et Tribunal f6d6ral suisse

A. Rechtsprechung des EuGH - Jurisprudence de la CJUE

1. Rechtsprechung zum bilateralen Recht - Jurisprudence relative au droit bilateral a) Bilaterales Sozialversicherungsrecht: Ettwein sowie Hliddal und Bornand b) Bilaterales Luftverkehrsrecht: der Flugltirm-Fall

2. Rechtsprechung zum EU-Recht - Jurisprudence relative au droit de l'Union europenne

a) Bektimpfung der Scheinselbstindigkeit: Kommission gegen Belgien b) Passive Dienstleistungsfreiheit: Demirkan

3. Rechtsprechung zum EWR-Recht - Jurisprudence relative au droit le I'EEE B. Jurisprudence du Tribunal f~d&al relative au droit bilateral -

Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichtes zum bilateralen Recht 1. Uaccord sur la libre circulation des personnes

a) Regroupement familial

b) Droit de sjour sans exercice d'une activit6 lucrative c) Droit de sjour avec exercice d'une activit6 lucrative

i) Application du r~gime transitoire pour les ressortissants bulgares et roumains

ii) Demande d'autorisation de courte dure pour la recherche d'un emploi d) Limites au droit de sjour pour des motifs lies A l'ordre public

et la scurit6 publique

i) Infractions lies au trafic de drogues ii) Infractions lies A des actes de violence iii) Infractions commises avant l'arrive en Suisse iv) Lev&e d'une interdiction d'entrer en Suisse 2. Uaccord sur la fiscalit6 de l'6pargne

3. Uaccord d'association de la Suisse A Schengen

Christine Kaddous, Professeur A l'Universit& de Gen~ve. Chaire Jean Monnet adpersonam. Direc- teur du Centre d'&tudesjuridiques europ~ennes (www.ceje.ch). La pr~sente chronique a &t& r~dig~e en collaboration avec Stefanie Schacherer, assistante au Centre d'&tudes juridiques europ~ennes de l'Universit& de Gen~ve.

2 Christa Tobler, Professorin fur das Recht der europ~iischen Integration am Europainstitut der Uni- versitiit Basel (www.europa.unibas.ch) sowie am Europainstitut der Universit~it Leiden (www.law.

leiden.edu/organisation/publiclaw/europainstitute/europainstitute.jsp).

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I. Ldgislation - Gesetzgebung

Auch im vergangenen Jahr hat sich der Rechtsbestand des bilateralen Rechts verindert, sowohl durch die Revision von bestehenden Abkommen als auch durch den Abschluss eines neuen Abkommens. Fr Anderungen spielen die Gemischten Ausschtisse eine wichtige Rolle. In der Bundesverwaltung unter- hilt die Direktion ffir Europaangelegenheiten eine ntitzliche Website mit Informationen iber ihre Beschlfsse? Zwei Beispiele von Anderungen durch die Gemischten Ausschfsse seien hier erwfihnt. Das erste betrifft das Statistikabkommen,4 dessen Anhang A die in diesem Bereich relevanten Rechtsakte der EU aufzfhlt. Der ffir das Abkommen zustfindige Gemischte Ausschuss beschloss im Juni 2013, den Anhang A durch eine neue Version zu ersetzen, weil in der EU inzwischen neue, einschligige Rechtsakte erlassen worden waren.5 Ein weiteres Beispiel ist die Revision des Abkommens iber die Konformitfitsbewertungen6 durch die Einfligung eines neuen Kapitels iber Ex- plosivstoffe fir zivile Zwecke in Anhang 1, die Anderung des Kapitels 3 iber Spielzeug und die Aktualisierung der in Anhang 1 des Abkommens aufgeliste- ten Verweise auf die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, welche vom fir das Abkommen zustfindigen Gemischten Ausschuss im Dezember 2012 beschlos- sen worden war.7

3 Siehe http://www.europa.admin.ch/dokumentation/00438/00465/index.html?lang de.

4 Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Euro- p~iischen Gemeinschaft fiber die Zusammenarbeit im Bereich der Statistik, ffir die Schweiz

SR 0.431.026.81, far die EG (heute die EU) ABI. 2006 L 90/2.

5 Beschluss 1/2013 des Statistikausschusses Europiische Union/Schweiz vom 12. Juni 2013 zur Er- setzung von Anhang A des Abkommens zwischen der Europ~iischen Gemeinschaft und der Schwei- zerischen Eidgenossenschaft iber die Zusammenarbeit im Bereich der Statistik,AB. 2013 L 198/48.

6 Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europdi- schen Gemeinschaft fiber die gegenseitige Anerkennung von Konformit~itsbewertungen, ffir die Schweiz SR 0.946.526.81, fir die EG (heute die EU) ABI. 2002 L 114/369.

7 Beschluss 1/2012 des mit dem Abkommen zwischen der Europ~iischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft fiber die gegenseitige Anerkennung von Konformit~itsbewer- tungen eingesetzten Ausschusses vom 17. Dezember 2012 zur Aufnahme eines neuen Kapitels 20 (Explosivstoffe ffir zivile Zwecke) in Anhang 1, der Anderung des Kapitels 3 (Spielzeug) und zur Aktualisierung der in Anhang 1 des Abkommens aufgelisteten Verweise auf die Rechts- undVerwal- tungsvorschriften,ABl. 2013 L 136/17.

Praxis / Chronique SZIER RSDIE 4 2013

Praxis / Chronique SZIEP,/PSDIE 4/2013

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Droit europ~en: Suisse -Union europ~enne/Europarecht: Schweiz -Europiische Union

Besonders hdiufig sind Anpassungen bekanntlich im Bereich Schengen/

Dublin.8 Hier laufen zur Zeit Verhandlungen iiber die Teilnahme der Schweiz an der sog. IT-Agentur,9 iiber welche letztes Jahr an dieser Stelle berichtet worden ist.10 Es handelt sich um eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands und eine neue Massnahme im Rahmen von Dublin/Eurodac.

Neu abgeschlossen wurde am 17. Mai 2013 das im letzten Jahr paraphierte Abkommen iiber die Zusammenarbeit der Wettbewerbsbeh6rden.ll Es bezweckt die Verbesserung der wirksamen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts und die Vermeidung oder zumindest Verringerung von Konflikten iiber die Anwendung des Wettbewerbsrechts der Vertragsparteien. Es sieht neben verschiedenen klas- sischen Instrumenten ffir die Zusammenarbeit auch den Austausch von Beweis- mitteln bzw. von geschiitzten und vertraulichen Informationen vor.12

In etlichen anderen Dossiers dauern die Verhandlungen iiber neue Abkom- men immer noch an, darunter insbes. das Strom-/Energieabkommen, das in der Systematik des EU-Rechts thematisch zum Warenverkehr geh6rt und damit den Zugang zum Binnenmarkt betrifft. Bekanntlich will die EU weitere Binnen- marktabkommen nur dann abschliessen, wenn das System der bilateralen Ab- kommen auf diesem Gebiet grundlegend erneuert wird. Im Dezember 2012 wies der EU-Ministerrat darauf hin, dass die Schweiz durch eine Teilnahme an Teilbereichen des EU- Binnenmarktes und der EU-Politik Teilnehmerin an ei- nem multilateralen Projekt wird. Vor diesem Hintergrund betonte der Rat noch einmal, dass mehr Homogenit~it in Rechtsbestand, Auslegung und Anwendung des bilateralen Rechts mit dem EU-Recht n6tig ist, sowie dass «der institutio- nelle Rahmen einen Grad von Rechtssicherheit und Unabhdingigkeit aufweisen [sollte], der den im Rahmen des EWR-Abkommens geschaffenen Mechanis- men entsprichtb.13 Nachdem seine im Juni 2012 vorgelegtenVorschlige von der EU zurfickgewiesen worden waren, erarbeitete der Bundesrat im Sommer 2013

Europ~iische Gemeinschaft tiber die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, ffr die Schweiz SR 0.360.268.1, ffr die EU und die EG (heute nur noch die EU) ABI. 2008 L 53/52 bzw. Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europ~iischen Gemeinschaft tiber die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zustdndigen Staates fdr die Priifumg eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags, ffr die Schweiz SR 0.142.392.68, ffr die EG (heute die EU) AB1. 2008 L 53/5.

9 Siehe http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/dokumentation/mi/2012/ref 2012-11-19.html.

10 22 SZIER (2012), S. 663.

11 Siehe http://www.europa.admin.ch/themen/00499/00503/01575/index.html?lang de.

12 Dazu PATRICK DucREY, <<Das Abkommen zwischen der Schweiz und der EU tiber die Zusammen- arbeit bei der Anwendung ihrer Wettbewerbsrechte>>, Jusletter 30. September 2013.

13 Schlussfolgerungen des Rates zu den Beziehungen zwischen der EU und den EFTA-Lindern vom 20. Dezember 2012, Rz. 29 ff., http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/13/stO5/stO5lOl.

del3.pdf. Zum Hintergrund CHRISTA TOBLERJACQUfS BEGLINGER, Grundziige des bilateralen (Wirt-

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gestiitzt auf diplomatische Sondierungsgesprfche14 die Konturen eines m6gli- chen Mandates ffir Verhandlungen mit der EU iber ein Rahmenabkommen iber die Funktionsweise des bilateralen Binnenmarktrechts. Der Mandatsentwurf beruht auf zwei Neuerungen, ndimlich einerseits einem dynamischen System der Anpassung des bilateralen Rechts an neues EU-Recht (allerdings nur ffir in der Zukunft von der EU neu geschaffenes Recht) und andererseits einer gewis- sen Rolle des EuGH bei Streitflllen iber die Auslegung des bilateralen Rechts, insbes. ffir Fdille, in welchen im zustfindigen Gemischten Ausschuss keine L6- sung gefunden werden kann.15 Nach der zur Zeit (Oktober 2013) laufenden Konsultation will der Bundesrat das Mandat fertig ausarbeiten und anschlies- send mit der EU, welche parallel ihrerseits ein Mandat ausarbeitet, in Verhand- lungen treten.

Im Oktober 2013 hat der Bundesrat schliesslich einen Mandatsentwurf fir Revisionsverhandlungen iber das mit der EU abgeschlossene Zinsbesteue- rungsabkommen16 verabschiedet. Die EU hat ihrerseits ein Verhandlungsman- dat bereits im Mai 2013 verabschiedet. Mit der Revision des Abkommens soll dieses (sowie weitere, mit anderen Drittstaaten abgeschlossene Abkommen) an die geplante Revision der EU-Zinsbesteuerungsrichtlinie angepasst werden k6nnen. Auch hier soll nun beztiglich des Entwurfs des Bundesrats eine Kon- sultation durchgefiihrt und anschliessend das definitive Mandat verabschiedet werden.

schafts-)Rechts. Systematische Darstellung in Text und Tafeln, 2 Bnde, Zfirich/St. Gallen:

Dike 2013, Band 1, Rz. 101 if.

14 Hierzu CHRISTA TOBLER, <<Die Erneuerung des bilateralen Wegs: Eine wachsende Anniherung an den EWR in den zur Diskussion gestellten Modellen> , Jusletter 3. Juni 2013.

15 Hierzu CHRISTINE KADDOUS, <La Suisse sous le joug des juges &trangers?>, Le Temps 28. August 2013, sowie CHRISTA TOBLER, <<Die flankierenden Massnahmen der Schweiz in einem erneuerten System des bilateralen Rechts> , Jusletter 30. September 2013, mit weiteren Hinweisen.

16 Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Euro- pdiischen Gemeinschaft fiber Regelungen, die den in der Richtlinie 2003/48 des Rates im Bereich der Besteuerung von Zinsertr~igen festgelegten Regelungen gleichwertig sind, ffr die Schweiz SR 0.642.026.81, fdr die EG (heute die EU) ABI. 2004 L 385/30.

Praxis / Chronique SZIER RSDIE 4 2013

Praxis / Chronique SZIER/PSDIE 4/2013

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Droit europ~en: Suisse -Union europ~enne/Europarecht: Schweiz -Europiische Union

II. Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung:

EuGH, EFTA-GH und Schweizerisches Bundes- gericht - Developpements recents de la

jurisprudence: CJUE, Cour AELE et Tribunal federal suisse

A. Rechtsprechung des EuGH - Jurisprudence de la CJUE

1. Rechtsprechung zum bilateralen Recht - Jurisprudence relative au droit bilateral

In der Berichtsperiode sind drei Entscheidungen des Europfiischen Gerichts- hofs unmittelbar und ausdriicklich zum bilateralen Recht ergangen. Sie betref- fen das bilaterale Sozialversicherungsrecht und den Fluglirmstreit.

a) Bilaterales Sozialversicherungsrecht: Ettwein sowie Hliddal und Bornand

In der letztj dihrigen Rechtsprechungsiibersicht17 wurde die sozialversicherungs- rechtliche Rechtssache Bergstrm18 behandelt und festgestellt, dass hier das Gleichbehandlungsgebot in einem Fall angewandt wurde, wo die Kligerin ge- gen ihren eigenen Mitgliedstaat klagte. Es wurde auf den interessanten Kontrast zur EuGH-Rechtsprechung zur Gleichbehandlung von Arbeitskrfften mit Be- zug auf die Arbeitsbedingungen (Art. 9 Anhang I FZA) hingewiesen, wonach das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangeh6rigkeit voraussetzt, dass sich die begiinstigte Person im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhilt (Grimme).19 Die Entscheidung Ettwein2" stellt nun klar, dass diese Vor- aussetzung dort nicht gilt, wo ein Sachverhalt vom Abkommen ausdriicklich erfasst wird.

Im Fall Ettwein geht es urn das sog. Ehegatten-Splitting, eine steuerliche Begiinstigung nach dem deutschen Steuerrecht, die Ehepaaren aber nur dann gewfhrt wurde, wenn sich ihr Wohnsitz in einem EWR-Land befand. Die Ehe- leute Ettwein waren in Deutschland selbstdindig erwerbstditig, wohnten aber in der Schweiz. Das mit der Sache befasste deutsche Gericht wandte sich im Vor-

17 22 SZIER (2012), S. 664 fif.

EuGH, Rs. C 257/10 F6rsikringskassan gegen Elisabeth Bergstr6m, Urteil vom 15. Dezember 2011, noch nicht in der Sammlung er6ffentlicht.

19 EuGH, Rs. C-351/08 Christian Grimme gegen Deutsche Angestellten-Krankenkasse, Slg. 2009, 1-10777; hierzu 20 SZIER/RSDIE (2010), S. 601 fif.

20 EuGH, Rs. C-425/11 Katja Ettwein - Finanzamt Konstanz, Urteil vom 28. Februar 2013, noch nicht in der Sammlung ver6ffentlicht.

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abentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV mit Fragen zur Auslegung des bilateralen Freiziigigkeitsabkommens2 1 an den EuGH. Dieser bejahte ffir Fille der vorliegenden Art einen Verstoss gegen Art. 21 Abs. 2 FZA. Nach dieser Bestimmung ist eine steuerlich unterschiedliche Behandlung von gebietsansfis- sigen und gebietsfremden Steuerpflichtigen nur dann erlaubt, wenn sie sich nicht in einer vergleichbaren Situation befinden. Der Gerichtshof verweist auf EU-rechtliche Rechtsprechung, wonach sich gebietsfremde Steuerpflichtige, die ihre gesamten oder nahezu gesamten Einkiinfte im Nichtwohnsitzstaat er- zielen, hinsichtlich der Einkommensteuer objektiv in derselben Situation befin- det wie in diesem Staat Ansfissige, die dort die gleiche Tditigkeit ausiiben.2 Die beiden Gruppen miissen daher gleich behandelt werden, und Deutschland konnte das Ehegattensplittings nicht allein wegen des schweizerischen Wohn- sitzes versagen.

Dieselben Grundsditze mfissen letztlich auch im Fall Hliddal und Bornand23 zur Anwendung gelangen, wo es urn die Gewdhrung einer Ausgleichszahlung ffir Elternurlaub ging. Die Rechtssache betraf Schweizer Staatsangeh6rige, die ihren Wohnsitz in der Schweiz haben und in Luxemburg arbeiten, und dort urn die erwfihnte Ausgleichszahlung ersuchten. Der EuGH musste sich hier aber nicht iiber diesen Aspekt diussern, sondern nur zur Frage, ob eine solche Aus- gleichszahlung eine Familienleistung im Sinne des sozialversicherungsrechtli- chen Koordinationsrechts darstellt. Dies bejahte er.

Im vorliegenden Zusammenhang interessant ist das Argument Deutschlands und der Europfiischen Kommission im Fall Ettwein, dass das FZA in Fillen der behaupteten Diskriminierung aus Griinden der Staatsangeh6rigkeit lediglich dann anwendbar sei, wenn die Staatsangeh6rigen einer Vertragspartei im Ho- heitsgebiet der anderen Vertragspartei gegeniiber Inlindem ungleich behandelt wfirden. Es handelt sich hier offensichtlich urn eine Argumentation im Sinne der Entscheidung Grimme, wie sie auch in der SZIER gegeniiber dem Schwei- zerischen Bundesgericht und seiner Entscheidung zur Genfer Quellensteuer (BGE 136 1 241) vertreten worden ist.24 In der Entscheidung Ettwein wies der

21 Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europ~iischen Gemeinschaft und ibren Mitgliedstaaten andererseits tiber die Freiztigigkeit, ffr die Schweiz SR 0.142.112.681, fir die EG (heute die EU) und ihre Mitgliedstaaten ABI. 2002 L 114/6.

22 Die beiden Leitentscheide zu dieser Frage sind EuGH, Rs. C 279/93 Finanzamt K61n-Altstadt gegen Roland Schumacker, Slg. 1995, 1-225, sowie Rs. C-107/94 P. H. Asscher gegen Staatssecretaris van Financi~n, Slg. 1996, 1-3089.

23 EuGH, Verb. Rs. C 216/12 und C 217/12 Caisse nationale des prestations familiales gegen Fjola Hliddal und Pierre-Louis Bornand, Urteil vom 19. September 2013, noch nicht in der Sammlung ver6ffentlicht.

24 CHRISTA TOBLER, <<Der Genfer Quellensteuerentscheid des Bundesgerichts - im Widerspruch zur Rechtsprechung des EUGH zum Freizdigigkeitsabkommen> , 22 SZIER (2011), 389-396.

Praxis / Chronique SZIER RSDIE 4 2013

Praxis / Chronique SZIER/PSDIE 4/2013

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Droit europen: Suisse -Union europenne/Europarecht: Schweiz -Europiische Union

EuGH diese Argumentation mit dem Hinweis zuriick, dass die Staatsangeh6ri- gen einer Vertragspartei unter bestimmten Umstfinden aus dem Abkommen ab- geleitete Rechte auch gegenfiber ihrem eigenen Land geltend machen k6nnen.

Dies gilt u.a. fir selbstfindige Grenzginger i.S.v. Art. 12 Abs. 1 Anhangs I FZA, die vom Abkommen unabhngig davon erfasst werden, ob sie im eigenen oder in einem anderen Vertragsstaat wohnen und arbeiten. Mit dieser Prfizisierung relativiert sich auch die Kritik an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Fall der Genfer Quellensteuer: Rfickblickend hat das Bundesgericht hier richtig entschieden, dass sich ein in Frankreich wohnhafter Schweizer Grenzginger auf das Diskriminierungsverbot im FZA berufen kann, obwohl die Diskrimi- nierung gegen ausldindische Staatsangeh6rige gerichtet ist, zu welchen er gar nicht geh6rt. Der Vollstdindigkeit halber sei daran erinnert, dass diese eigenwil- lige Konstruktion im EU-Recht nicht notwendig ist, weil sich dort die Staatsan- geh6rigen jedenfalls im Binnenmarktrecht gegentiber ihrem eigenen Staat auf das Beschrdinkungsverbot statt auf das Diskriminierungsverbot berufen k6nnen.

Fr das bilaterale Recht ist bisher ungeklirt, ob hier iber das Diskriminierungs- verbot hinaus auch das viel weiter gehende Verbot von Beschrinkungen gilt.2 b) Bilaterales Luftverkehrsrecht: der Flugldrm-Fall

Endlich liegt die letztinstanzliche Entscheidung im Flugldirmstreit zwischen der Schweiz und Deutschland vor.16 Der EuGH wies damit das von der Schweiz gegen die Entscheidung des Gerichts27 (untere Ebene des Europfiischen Ge- richtshofs) eingelegte Rechtsmittel ab. Mit jenem Urteil hatte das Gericht die gegen eine Entscheidung der EU-Kommission28 gerichtete Klage der Schweiz wegen der im sfiddeutschen Raum geltenden deutschen Llirmvorschriften abge- lehnt, wie das bereits von Generalanwalt Jfi5skinen empfohlen worden war.2 9

Anders als der Gerichtshofbefasst sich der EuGH nicht mit der verfahrens- rechtlichen Frage nach der Klagelegitimation der Schweiz im Nichtigkeitsver- fahren vor dem EuGH nach Art. 263 AEUV Er bemerkt hierzu lediglich, dass er es in der vorliegenden Rechtssache fir geboten hilt, sich sogleich mit der Begrtindetheit der Klage zu befassen (und verweist dabei auf einen anderen

25 Hierzu TOBLEBEGLINGER (Fn. 13), inbes. Rz. 213 ff., mit weiteren Hinweisen.

26 EuGH, Rs. C-547/10 P Schweiz gegen Kommission, Urteil vom 7. Mdirz 2013, noch nicht in der SammIung ver6ffentlicht.

27 EuGH, Rs. T-319/05 Schweiz gegen Kommission, Slg. 2010, 11-4265.

28 Entscheidung der Kommission vom 5. Dezember 2003 zu einem Verfahren beztiglich der Anwen- dung von Art. 18 Abs. 2 Satz 1 des Abkommens und der Verordnung Nr. 2408/92 (Sache TREN/

AMA/i 1/03 - Deutsche Massnahmen beztiglich An-/Abfliigen zum/vom Flughafen Zdrich), ABI.

2004 L 4/13.

29 Hierzu die letztjdihrige Chronik 22 SZIER (2012), S. 666 ff.

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Fall, indem er gleich verfuhr, ebenfalls ohne weitere Begriindung)3 0 Auf der inhaltlichen Ebene bewegt sich die Argumentation des EuGH auf der Linie von Gericht und Generalanwalt. So bestditigt er, dass das Luftverkehrsabkommen3 1 nur die Ausiibung von Verkehrsrechten durch die Luftfahrtuntemehmen betrifft und keine Beriicksichtigung von allfdilligen Rechten des Betreibers des Flugha- fens Zirich und der Anwohnenden vorsieht. Beziiglich der Luftfahrtuntemeh- men fihrt er aus, dass die umfassende Dienstleistungsfreiheit i.S.d. EU-Rechts hier nicht gilt. Anwendbar ist aber das Verbot der Diskriminierung von Luft- fahrtunternehmen wegen der Staatsangeh6rigkeit (Art. 3 LVA). Das Gericht war vom Anschein einer indirekten Diskriminierung der schweizerischen Flug- gesellschaft Swiss International Airlines ausgegangen, bejaht aber das Vorlie- gen einer Rechtfertigung aus Griinden des Schutzes von Menschen und Urn- welt. Dies wurde vom EuGH bestfitigt, einschliesslich der Beurteilung der Erforderlichkeit der deutschen Massnahmen durch die Vorinstanz.3 2 Dies be- deutet, dass letztlich doch keine Diskriminierung vorlag.

Von breiterem Interesse ist der Flugldrm-Fall wegen der sehr unterschiedli- chen Argumentationen zur Natur des bilateralen Flugverkehrsabkommens. Laut der Schweiz bezweckt es als partielles Integrationsabkommen eine vollumfding- liche Integration der Schweiz in den EU-Luftraum, was sich auch auf die inhalt- lichen Aspekte des Abkommens auswirken muss. Im Gegensatz dazu betont der EuGH wie schon vor ihm der Generalanwalt den unterschiedlichen Kontext von EU-Recht und bilateralem Recht. Ersteres zielt auf einen umfassenden Bin- nenmarkt, Letzteres aber nur auf begrenzte, sektorspezifische Regelungen, die qualitativ viel weniger weit gehen. Insbesondere bietet das bilaterale Recht keine umfassende Dienstleistungsfreiheit, was im EU-Recht den Hintergrund fdr das Luftverkehrsrecht und seine z.T. weite Auslegung darstellt. Laut dem EuGH bedeutet dies ffir das Luftverkehrsabkommen, dass hier trotz dhnlicher und z.T. sogar gleich lautender (v.a. sekunddirrechtlicher) Bestimmungen die EU-rechtliche Dienstleistungsfreiheit im Bereich des Luftverkehrsrechts in ih- rer weiten Auslegung durch die EuGH-Rechtsprechung nicht zur Anwendung gelangen kann. Damit ist der Flugldrm-Fall ein weiterer und angesichts der un- bestritten besonderen Art des Luftverkehrsabkommens besonders bemerkens-

3o EuGH, Rs. C 273/04 Polen gegen Rat, Slg. 2007, 1-8925.

31 Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europ~ii- schen Gemeinschaft tiber den Luftverkehr, ffr die Schweiz SR 0.748.127.192.68, ffr die EG (heute die EU) ABI. 2002 L 114/73.

32 Ffir Einzelheiten siehe SAMUEL SCHWEIZER/CHRISTA TOBLER, <<Das Verbot der indirekten Diskrimi- nierung im bilateralen Recht - Insbes. im Fluglirmstreit zwischen der Schweiz und Deutschlan&>, in: Astrid Epiney/Stefan Diezig (Hrsg.), Schweizerisches Jahrbuch flir Europarecht 2012/2013, Bern: Stdmpfli/Zfirich/Basel/Genf: Schulthess 2013, 335-344.

Praxis / Chronique SZIER RSDIE 4 2013

Praxis / Chronique SZIER/PSDIE 4/2013

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Droit europen: Suisse -Union europenne/Europarecht: Schweiz -Europiiische Union

werter Anwendungsfall des sog. Polydor-Prinzips,33 das schon im oben erwdhn- ten Fall Grimme zur Anwendung gelangte.14 Nach diesem Prinzip kann ein unterschiedlicher Kontext eine parallele Auslegung von dihnlichen oder gleich- lautenden Bestimmungen verhindern 5

2. Rechtsprechung zum EU-Recht - Jurisprudence relative au droit de l'Union europ~enne

Auch in diesem Berichtsjahr sind zahlreiche EuGH-Entscheide zum EU-Recht ergangen, welche for das bilaterale Recht von Interesse sind, auch wenn sie sich nicht direkt darauf beziehen. Im Folgenden werden aus Platzgriinden lediglich zwei Beispiele herausgegriffen, wobei nur eines etwas ausfiirlicher dargestellt werden soll. Im Ubrigen sei fir die Personenfreiziigigkeit insbesondere auf die Rechtsprechungstibersicht im Schweizerischen Jahrbuch for Europarecht hin- gewiesen16

a) Bekdmpfung der Scheinselbstdndigkeit: Kommission gegen Belgien Die BeUimpfung von Scheinselbstdindigkeit spielt in der Schweiz im Zusam- menhang mit den flankierenden Massnahmen zur bilateralen Personenfreizii- gigkeit eine Rolle. Mit demselben Thema befasst sich der EuGH im Fall Kom- mission gegen Belgienf' Er illustriert die Komplexitfit der Analyse in solchen Fdillen, gerade im Vergleich mit dem bilateralen Recht.

In Belgien wurde im Rahmen eines neuen Informationssystems for aus dem Ausland kommende (d.h. dort niedergelassene) und in Belgien vorfibergehend selbstiindig tditige Personen die Pflicht eingefiirt, vor der Ausiibung ihrer Ti- tigkeit eine Meldung abzugeben. Dies verlangte beim ersten Mal eine Regist- rierung und die Einrichtung eines Meldekontos in Belgien und sodann bei je-

33 So benannt nach der Leitentscheidung fiber diese Thematik, Rs. 270/80 Polydor Limited und RSO Records Inc. gegen Harlequin Records Shop und Simons Records Limited, Slg. 1982, 329.

31 CHRISTA TOBLER, <<Luftverkehrsrecht: Auslegung des Luftverkebrsabkommens EU-Schweiz - Keine Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit>>, Europ~iische Zeitschrift fdr Wirtschaftsrecht 2013, 432-434.

35 Hierzu z.B. CHRISTINE KADDOUS, <<Stamm et Hauser, Grimme, Fokus Invest AG, Hengartner et Gasser ou la diffrence entre accords bilat&aux et march& int&ieur>>, 20 SZIER (2010), 165-188, sowie CHRISTA TOBLER, <<Die EuGH-Entscheidung Grimme - Die Wiederkehr von Polydor und die Grenzen des bilateralen Rechts>>, in: Astrid Epiney/Nina Gammenthaler (eds), Schweizerisches Jahrbuch flir Europarecht 2009/2010, Bern: Stdmpfli/Zurich, Basel, Genf: Schulthess 2010, 369- 384.

36 ASTRID EPINEY/ROBERT MOSTERS, <<Die Rechtsprechung des EuGH zur Personenfreiztigigkeit und ihre Implikationen ffr das Freizfigigkeitsabkommen>, in: Astrid Epiney/Stefan Diezig (Hrsg.), Schweizerisches Jahrbuch ffr Europarecht 2012/2013, Bern: Stdmpfli/Zuirich: Schulthess 2013, 49-76.

37 EuGH, Rs. C 577/10 Kommission gegen Belgien, Urteil vom 19. Dezember 2012, noch nicht in der Sammlung ver6ffentlicht.

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dem konkreten Einsatz die Meldung von z.T. detaillierten Informationen iber die Umstfinde der Dienstleistung per Formular. Die Nichtbeachtung dieser For- malitfiten konnte strafrechtlich geahndet werden. Als die Europiische Kommis- sion Belgien mitteilte, dass sie das Meldesystem mit Art. 56 AEUV iber die Dienstleistungsfreiheit ffir unvereinbar halte, berief sich das Land auf das Prob- lem der Scheinselbstfindigkeit. Das System erlaube es, dagegen vorzugehen, dass der Selbstfindigenstatus bei Erwerbstditigen, die in Wirklichkeit angestellte Arbeitskrifte seien, missbrfiuchlich verwendet werde, um die ffir den sozialen Schutz von Erwerbstditigen geltenden Mindestvorschriften zu umgehen. Die Kommission blieb jedoch dabei, dass das Meldesystem dem EU-Recht wider- spreche und erhob beim EuGH Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV.

Der EuGH urteilt, dass die mit der Meldepflicht verbundenen Formalitfiten geeignet sind, die Erbringung von Dienstleistungen in Belgien zu behindern (Beschrinkung). Dabei ist angesichts der Argumentation der Kommission be- merkenswert, dass der Gerichtshof den Befund einer Diskriminierung wegen der Staatsangeh6rigkeit vermeidet. Die Kommission argumentierte ndimlich, die belgischen Rechtsvorschriften stellten eine diskriminierende Beschrdinkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, da die Meldepflicht nur selbstdindige Dienstleistungserbringer treffe, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat als Bel- gien niedergelassen seien. Wie sich aus ihrer Argumentation zu Rechtfertigung zeigt (dazu sogleich unten), geht die Kommission dabei von einer direkten Dis- kriminierung wegen der Staatsangeh6rigkeit aus. Dies kann sich allerdings nur auf im EU-Ausland niedergelassene Unternehmen beziehen, die in Belgien Dienstleistungen erbringen. Da die Niederlassung im Falle von Unternehmen nach Art. 54 AEUV der Staatsangeh6rigkeit entspricht, liegt insofern tatslich- lich eine Ungleichbehandlung direkt gestfitzt auf die Staatsangeh6rigkeit vor.

Handelt es sich dagegen um eine natfirliche Person mit Wohnsitz im Ausland, so liegt eine Ungleichbehandlung gestfitzt auf ein hinsichtlich der Staatsangeh6- rigkeit anscheinend neutrales Kriterium (Wohnsitz) vor, das sich faktisch vor allem zulasten von ausldindischen Staatsangeh6rigen auswirkt (Verdacht auf in- direkte Diskriminierung wegen der Staatsangeh6rigkeit).

Wie erwdihnt, schliesst der Gerichtshof aber eine Diskriminierung wegen der Staatsangeh6rigkeit aus. Er begriindet dies mit der fehlenden Vergleichbarkeit der Situation von selbstdindigen Dienstleistenden aus dem Ausland mit solchen aus dem Inland, soweit es um die Kontrolle der Einhaltung von arbeitsrechtli- chen Vorschriften geht. Der Rfickgriff auf das Beschrdinkungsverbot durch den EuGH hat Folgen ffir die Rechtfertigung. Wdhrend die Kommission entspre- chend der Rechtsprechung zur direkten Diskriminierung nur die in Art. 51 Abs. 1 AEUV (zu lesen i.V.m. Art. 62 AEUV) genannten Rechtfertigungs- griinde, niimlich die dffentliche Sicherheit, Gesundheit und Ordnung, gelten lassen will, verweist der Gerichtshof auf die im Falle von unterschiedslos an-

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wendbaren Beschrinkungen weit gefasste Rechtfertigungsm6glichkeit. Dies ist allerdings insofern schwer nachvollziehbar, als in Belgien ffir Unternehmen ja eben gerade nicht mit Bezug auf die Staatsangeh6rigkeit unterschiedslos an- wendbare Vorschriften galten. Laut dem EuGH sind die Bekdimpfung von Sozi- albetrug und Missbrfiuchen zwingende Grtinde des Allgemeininteresses, die eine Beschrfinkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen k6nnen.

Das Anliegen, Scheinselbstdindigkeit aufzudecken und gegen Schwarzarbeit vorzugehen, fdllt unter das Ziel, das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit zu bewahren, sowie unter die Ziele, unlauteren Wettbewerb und Sozialdumping zu verhindern und die Erwerbstfitigen zu schiitzen. Aller- dings verneint der EuGH die Verhultnismiissigkeit eines Systems wie des zur Diskussion stehenden, weil ein blosser genereller Betrugsverdacht zur Recht- fertigung nicht ausreicht und Belgien zudem sehr detaillierte Informationen verlangt. Im Endergebnis bedeutet dies, dass ein solches System eine nach dem EU-Recht verbotene Beschrdinkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt.

Fr das EU-(und das EWR-)Recht illustriert dieser Fall einmal mehr die Wichtigkeit des vom EuGH in seiner Rechtsprechung zum freien Personen- und Dienstleistungsverkehrs entwickelten Beschrinkungsverbots. Wo eine Diskri- minierung verneint wird (z.B. wie hier wegen der fehlenden Vergleichbarkeit), kann auf das Beschrinkungsverbot ausgewichen werden. Fr das bilaterale Recht und die im Schweizer Entsenderecht geltenden flankierenden Massnah- men ist die Rechtsprechung des EuGH zu den Arbeitsschutzmassnahmen da- rum schwierig einzuordnen, weil wie bereits erwfihnt mangels einschligiger Praxis nicht klar ist, ob es hier ebenfalls ein Beschrinkungsverbot gibt oder

<<nur>> (aber immerhin) ein Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsange- h6rigkeit. Dazu kommt, dass im Falle des Fehlens eines Beschriinkungsverbo- tes eine Ulbertragung der Argumentation mit der fehlenden Vergleichbarkeit auf das bilaterale Recht bedeuten wfirde, dass gegen Behinderungen des freien Ver- kehrs durch Kontrollmassnahmen letztlich nichts ausgerichtet werden k6nnte, selbst wenn diese auf einer offensichtlich ungleichen Behandlung beruhten und v6llig unverhultnismissig wdiren. Dies ist aber wohl nicht die Absicht. Es er- scheint deshalb logischer, dass in diesem Rahmen das Diskriminierungsverbot anwendbar bleibt. Dabei ist auch denkbar, dass z.B. das mit der sog. 8-Tage- Regel verbundene Arbeitsverbot als eigenstfindiges Element ausserhalb der Ka- tegorie der Kontrollmassnahmen betrachtet und gesondert beurteilt wird.3s

Vgl. CHRISTA TOBLER, <<Die flankierenden Massnahmen der Schweiz in einem erneuerten System des bilateralen Rechts>>, Jusletter 30. September 2013, wo davon ausgegangen wird, dass eine unter- schiedliche Behandlung von in- und auslindischen Dienstleistenden im Rahmen des bilateralen Rechts prima facie eine Diskriminierung darstellt.

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c) Passive Dienstleistungsfreiheit: Demirkan

Fr das bilaterale Recht Schweiz-EU ist auch immer ein Seitenblick auf ande- res Assoziationsrecht der EU von Interesse, gerade auch im Zusammenhang mit dem oben erwfhnten Polydor-Prinzip. Hier sei deshalb ein kurzer Hinweis auf die Tatsache angebracht, dass der EuGH in einem das Assoziationsrecht mit der Ttirkei betreffenden Fall die passive Dienstleistungsfreiheit verneint hat. Dabei geht es um die Frage, ob im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit nicht nur den die Dienstleistung Erbringenden (aktive Dienstleistungsfreiheit), sondern auch Personen, welche Dienstleistungen in Anspruch nehmen (passive Dienstleis- tungsfreiheit), Rechte zustehen. Im Personenfreiztigigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU werden ffir die zweite Kategorie von Personen Reise- und Aufenthaltsrechte erwfihnt, nicht aber das Recht auf nicht diskriminieren- den Marktzugang. Letzteres wurde zuerst vom Bundesgericht im Zusammen- hang mit medizinischen Dienstleistungen (BGE 133 V 624) und spfiter auch vom EuGH im Zusammenhang mit der gelegentlichen Ausiibung eines Jagd- rechts (Hengartner und Gasser)3 9 verneint. Der EuGH bezog sich auch hier auf das bereits erwfihnte Polydor-Prinzip.

Mit der EuGH-Rechtssache Demirkan40 hat dieses Prinzip nun zum ersten Mal ausdrficklich Eingang in das Assoziationsrecht mit der Ttirkei gefunden. Im Ankara-Assoziationsrecht werden Dienstleistungen Empfangende anders als im FZA iiberhaupt nicht erwfihnt. Dennoch argumentierte die Kligerin in einem nationalen Gerichtsverfahren in Deutschland, die Stillhalteklausel von Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls verbiete die Einfiihrung neuer Hindernisse auch mit Bezug auf solche Personen. Frau Demirkan wollte zwecks Familienbesuchs und somit als Touristin nach Deutschland reisen und st6rte sich am Erfordernis eines Visums, das zur Zeit der Unterzeichnung des Abkommens ffir solche Fdille noch nicht bestanden hatte. Nach Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschrdinkungen der Niederlas- sungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einfifiren. Dem EuGH wurde die Frage vorgelegt, ob der Ausdruck «freier Dienstleistungsverkehr>> in diesem Rahmen gleich wie im EU-(und im ERW-)Recht auch die passive Dienstleistungsfreiheit umfasse. Dies verneint er insbesondere mit dem Hin- weis, dass sich Zielsetzung und Kontext von Art. 41 Abs. 1 des Zusatzproto- kolls zum Ankara-Abkommen grundlegend von denen von Art. 56 AEUV (Dienstleistungsfreiheit) unterscheiden. Im Rahmen des EU-Rechts beruht der

3 EuGH, Rs. C-70/09 Alexander Hengartner und Rudolf Gasser gegen Landesregierung Vorarlberg, Slg. 2010, 1-7233.

4 EuGH, Rs. Leyla Ecam Demirkan gegen Deutschland, Urteil vom 24. September 2013, noch nicht in der Sammlung ver6ffentlicht.

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Schutz der passiven Dienstleistungsfreiheit auf dem Ziel, einen umfassenden Binnenmarkt zu schaffen. Das Ankara-Assoziationsrecht sieht aber keinen mit dem EU-Recht vergleichbaren allgemeinen Grundsatz der Freiziigigkeit vor.

Der Fall zeigt, dass der EuGH nicht nur ffir das bilaterale Recht mit der Schweiz Systemunterschiede betont, sondern auch in anderem Zusammenhang wie dem Assoziationsrecht EU-Tirkei. Einzig das EWR-Abkommen diirfte da- von verschont bleiben, weil es grundsditzlich wie das EU-Recht einen umfas- senden Binnenmarkt vorsieht. Hier bestehen Grenzen h6chstens mit Blick auf den in einzelnen Punkten unterschiedlichen Anwendungsbereich, wie der im Folgenden kurz zu erwdihnende Fall zeigt.

3. Rechtsprechung zum EWR-Recht - Jurisprudence relative au droit de I'EEE

Abschliessend sei auf der Ebene der europiiischen Gerichte eine Entscheidung des EFTA-Gerichtshofs erwihnt, welche u.a. die Unionsbiirgerschaft erw~ihnt.

Dieses Thema spielt in der gegenwdirtig in der Schweiz laufenden Diskussion um die Erneuerung des bilateralen Wegs eine gewisse Rolle, weil der Bundesrat verhindern will, dass die sog. Unionsbiirgerrichtlinie (Richtlinie 2004/3 8)41 Teil des bilateralen Acquis wird. Die Richtlinie ersetzt in der EU eine Anzahl alter Sekunddirrechtsinstrumente (welche im Rahmen des bilateralen Rechts mit der Schweiz noch immer relevant sind) und betrifft von ihrem Inhalt her zum gr6ss- ten Teil die klassische Personen- und Dienstleistungsfreiheit und zu einem klei- nen Teil Aspekte, die dariiber hinausgehen und der Unionsbiirgerschaft zuge- ordnet werden k6nnen bzw. miissen.

Im EWR wehrte sich Liechtenstein zuerst ebenfalls dagegen, dass die Unionsbiirgerrichtlinie in den EWR-Acquis aufgenommen wird, gab seinen Widerstand aber spter auf. Der 1Ubernahmeentscheid ffir den EWR erfolgte mit der ausdrticklichen Einschriinkung, dass via die Richtlinie die Unionsbiirger- schaft nicht in den EWR iibemommen wird. Dies ist folgerichtig, passt doch das EU-Konzept der Unionsbiirgerschaft nicht in den EWR mit seinem im Ver- gleich zum EU-Recht engeren Anwendungsbereich. Im Fall Hells Angels42 triigt der EFTA-Gerichtshof diesem Ausschluss ausdrticklich Rechnung. In dieser Rechtssache beschwerte sich ein norwegischer Staatsbiirger darfiber, dass ihm

41 Richtlinie 2004/38/EG fiber das Recht der Unionsbfirger und ihrer Familienangeh6rigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Anderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221, 68/360, 72/194, 73/148, 75/34, 75/35, 90/364, 90/365 und 93/96, ABI. 2004 L 158/77.

42 EFTA-GH, Case E-15/12 Jan Anfinn Wahl v The Icelandic State, Urteil vom 22. Juli 2013, noch nicht im EFTA Court Report ver6ffentlicht. Siehe hierzu die kfinftige Besprechung von Christa Tobler im European Law Reporter (noch nicht ver6ffentlicht).

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in Island wegen seiner fifirenden Rolle in der Organisation Hells Angels die Einreise verweigert wurde. Es handelt sich im Rahmen des EWR-Rechts um eine Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Fall van Duyn aus dem Jahr 197441 iiber das Recht eines Mitgliedstaates, einer Biirgerin aus einem anderen Mit- gliedstaat die Einreise zu verweigern. Im vorliegenden Zusammenhang interes- sieren die Ausfiihrungen des EFTA-Gerichtshofs zur Bedeutung des Ausschlus- ses der Unionsbiirgerschaft vom EWR-Recht. In einem obiter dictum hfilt der EFTA-Gerichtshof fest, dass dieserAusschluss vor allem fir das Gleichbehand- lungsrecht nachArt. 24 der Richtlinie von Bedeutung ist (HellsAngels, Erw. 77).

Wie erwdihnt, lehnt der Bundesrat die Aufnahme der Unionsbiirgerrichtlinie in den bilateralen Rechtsbestand ab. Es bleibt abzuwarten, ob die EU dem zu- stimmen will. Der Vergleich mit dem EWR zeigt jedenfalls, dass bei einer Ubernahme diejenigen Aspekte ausgeschlossen werden k6nnten, welche sich auf die Unionsbiirgerschaft beziehen. Auf diese Weise k6nnte die Ubernahme der Richtlinie nur (aber immerhin) auf die Fortftihrung der klassischen Perso- nen- und Dienstleistungsfreiheit sowie der schon heute im bilateralen Recht unter bestimmten Bedingungen bestehenden Rechte von nicht erwerbstfitigen Personen beschrdinkt werden.

B. Jurisprudence du Tribunal federal relative au droit

bilateral - Rechtsprechung des schweizerischen Bundes- gerichtes zum bilateralen Recht

La pr~sente contribution porte sur la jurisprudence relative i trois accords entre la Suisse et l'Union europ~enne (UE): l'accord sur la libre circulation des per- sonnes (ALCP) (1), l'accord sur la fiscalit6 d'6pargne (AFisE) (2), ainsi que l'accord d'association de la Suisse i Schengen (AAS) (3).

1. Uaccord sur la libre circulation des personnes (ALCP)

La presentation de la jurisprudence relative i I'ALCP est articul~e autour de quatre themes: le regroupement familial (a), le droit de s~jour sans exercice d'une activit6 lucrative (b), le droit de s~jour avec exercice d'une activit6 lucra- tive (c), ainsi que les limites au droit de sjour pour des motifs lies i l'ordre et la s~curit6 publics (d).

a) Regroupement familial

Un arret de principe a &6 rendu le 22 mars 2013 par le Tribunal f~d~ral en ma- tibre de regroupement familial de ressortissants d'Etats tiers membres de la fa-

43 EuGH, Rs. 41/74 Yvonne van Duyn gegen Home Office, Slg. 1974, 1337.

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mille d'un ressortissant d'un Etat membre UE/AELE44. Dans cette affaire, le Tribunal f~d~ral a rejet6 un recours en matibre de droit public interjet6 conjoin- tement par trois membres de la famille d'un ressortissant portugais. I1 s'agissait du conjoint, une ressortissante mongole, de l'enfant commun de nationalit6 portugaise, et de 1'enfant de 1'6pouse d'un mariage precedent, ressortissant mongol. Ces trois personnes se sont oppos~es i la revocation de leurs permis de s~jour respectifs, laquelle 6tait fond~e sur le fait que le mariage avec le ressor- tissant portugais n'existait plus que formellement.

ULpouse jouit en principe d'un droit de s~jour pendant toute la dur~e for- melle du mariage. Or, les autorit~s comp~tentes avaient constat6 que le mariage n'existait plus que formellement et qu'il 6tait ds lors vid6 de toute substance.

Le Tribunal f~d~ral a confirm6 ceci et consid~r6 que l'6pouse commettait un abus de droit en invoquant l'article 3, de l'annexe I, de I'ALCP.

Les enfants ont invoqu6 l'article 3, paragraphe 6, de l'annexe I, de l'ALCP.

Conform~ment i cette disposition, qui est reprise de l'article 12 du rbglement n" 1612/68 4, <les enfants d'un ressortissant d'une partie contractante qui exerce ou non, ou qui a exerc6 une activit6 6conomique sur le territoire de l'autre partie contractante sont admis aux cours d'enseignement g~n~ral, d'apprentissage et de formation professionnelle dans les memes conditions que les ressortissants de l'Etat d'accueil, si ces enfants resident sur son territoire >>46.

Le Tribunal f~d~ral a examin6 la situation pr~valant dans l'Union europ~enne et s'est r~fr6 en particulier i l'arr~t Baumbast de 200241, dans lequel la Cour de justice de l'Union europ~enne a affirm6 que les enfants d'un citoyen de l'Union europ~enne sont en droit de sjourner sur le territoire de l'Etat membre en cause afin d'y suivre des cours d'enseignement g~n~ral. Le fait que les parents des enfants concern~s avaient entre-temps divorce, le fait que seul l'un des parents 6tait un citoyen de l'Union et que ce parent n'6tait plus un travailleur migrant dans l'Etat membre d'accueil ou le fait que les enfants n'6taient pas eux-memes des citoyens de l'Union n'avaient / cet 6gard aucune incidence. Cet arret a W confirm6 et pr~cis6 dans deux arrets ult~rieurs de 201048. Dans son analyse, le Tribunal f~d~ral s'est r~f& r l'article 16, paragraphe 2, de I'ALCP, qui impose

4 Arret du Tribunal f~d&ral du 22 mars 2013, r~f. 2C 65/2012.

45 R~glement n' 1612/68/CEE, du Conseil, du 15 octobre 1968, relatif A' la libre circulation des travail- leurs i l'int&rieur de la Communaut&, JO L 257, du 19.10.1968, p. 2. Ce r~glement a depuis &t&

abrog& dans l'Union europ&enne et remplac& par le r~glement n' 492/2011 du Parlement europ~en et du Conseil, du 5 avril 2011, relatif A la libre circulation des travailleurs A l'int&rieur de l'Union, JO L 141, du 27.5.2011, p. 1.

46 Art. 3, par. 6, ALCP.

47 CJCE, arret Baumbast et R du 17 septembre 2002, aff. C-413/99, Rec. 1-7091, pt 63.

48 CJUE, arret Ibrahim du 23 f&vrier 2010, aff. C-310/08, Rec. 2010 p. 1-1065 et CJUE, arret Teixeira contre Royaume-Uni, aff. C-480/08, Rec. 2010, p. 1-1 10 7.

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la prise en compte, par la Suisse, de la jurisprudence de la Cour de justice de l'Union europ~enne rendue ant~rieurement i la date de signature de I'ALCP lorsque l'application de l'accord implique des notions de droit de l'Union euro- p~enne. En revanche, aucune disposition n'oblige la Suisse i reprendre la juris- prudence post~rieure la date de signature, mais une lecture conjointe du pr~ambule de I'ALCP et de l'article 16, paragraphe 2, plaide pour une interpr6- tation juridique parallble dans I'UE/AELE et en Suisse des rbgles d~coulant de l'accord49. Le Tribunal f~d~ral a notamment indiqu6 qu'il ne suivait pas les d6- veloppements jurisprudentiels de la Cour de justice lorsqu'il s'agissait de droits lies i la qualit6 de citoyen de l'Union. Dans ces conditions, il a proc~d6 i une interpretation t~l~ologique de l'article 3, paragraphe 6, de l'annexe I, de I'ALCP et constat6 que l'objectif de cette disposition 6tait de favoriser l'int~gration des membres de la famille, mais qu'elle ne trouvait application que si la formation avait commenc6 lorsque la vie familiale 6tait intacte.

Se basant sur cette argumentation, le Tribunal f~d~ral a rejet6 le droit de demeurer en Suisse pour les deux enfants. La fille commune, de nationalit6 portugaise, a vu son droit de demeurer refuse, du fait qu'elle 6tait sous l'autorit6 parentale de sa mere qui, elle, n'avait plus le droit de sjourner en Suisse. Le fait d'etre ressortissante d'un Etat membre de l'Union europ~enne ne suffisait pas i lui octroyer un droit de s~jour car elle ne disposait pas de moyens finan- ciers suffisants. Quant au fils, de nationalit6 mongole, il n'avait commenc6 une formation d'6lectricien qu'aprbs la fin du lien conjugal entre sa mere et son beau-pare. Par consequent, il ne pouvait pas non plus se pr~valoir de l'article 3, paragraphe 6, de l'annexe I, de l'ALCP. Le corollaire de cette situation juri- dique a &6 que la mere ne pouvait pas non plus se pr~valoir d'un droit de s~j our d~rivant de celui de ses enfants.

Les griefs suppl~mentaires des int~ress~s, fondus sur une violation d'une part, de l'article 8 de la CEDH, et d'autre part, de l'article 50, paragraphe 1, lettre b, LEtr5 0, ont &6 rejet~s. Ainsi, aucun membre de la famille n'a pu voir son droit de s~jour prolong6 en application des dispositions en matibre de re- groupement familial.

b) Droit de sjour sans exercice d'une activite lucrative

A la suite d'un accident professionnel en 2002, un ressortissant portugais n'6tait plus en mesure d'exercer une activit6 lucrative. UOffice cantonal lui a d'abord octroy6 une autorisation de s~j our pour traitement medical puis une autorisation pour recherche d'emploi. En 2010, il lui a cependant refus6 de prolonger son

4 Voir en ce sens CHRISTINE KADDOUS/CHRISTA TOBLER, Droit europ~en: Suisse -Union europ~enne/

Europarecht: Schweiz - Europ~iische Union, 20 SZIER/RSDIE (2010), p. 611.

5o Loi f~d&rale sur les 6trangers (LEtr) du 16 d~cembre 2005, RS 142.20.

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autorisation, au motif qu'il ne remplissait pas les conditions pour sjoumer en Suisse, ses moyens financiers 6tant insuffisants, et qu'il d~pendait de l'aide sociale. Par l'interm~diaire du Syndicat des travailleurs et travailleuses (SIT), l'int~ress6 a form6 un recours de droit public au Tribunal f~d~ral. Le recourant a soutenu qu'ayant sjou=6 de manibre lgale plus de deux ans en Suisse, et vu son incapacit6 de travail, le refus de lui accorder un droit de s~jour en Suisse violait l'article 4, paragraphe 1, de l'annexe I, de I'ALCP.

Dans cet arret du 13 mai 201351, le Tribunal f~d~ral a examin6 le refus i la lumibre du droit de demeurer garanti par I'ALCP. En vertu de l'article 4, para- graphe 1, de l'annexe I, de I'ALCP, les ressortissants d'une partie contractante ont le droit de demeurer sur le territoire d'une autre partie contractante aprbs la fin de leur activit6 6conomique. Par un renvoi effectu6 i l'article 4, paragra- phe 2, de l'annexe I, de I'ALCP, le rbglement n' 1251/7052 s'applique en la matibre. Uarticle 4, paragraphe 2, dudit rbglement precise que les p~riodes de ch6mage involontaire, dftment constat~es par le bureau de main-d'oeuvre com- petent, et les absences pour cause de maladie ou accident sont consid~r~es comme des p~riodes d'emploi au sens de l'article 2, paragraphe 1, de ce meme rbglement53. A cet 6gard, le Tribunal f~d~ral a analys6 la capacit6 de travailler de l'int~ress6 et en a conclu qu'il ne souffrait pas d'une incapacit6 permanente. Ce dernier avait subi une incapacit6 de travail variable, il s'6tait inscrit au ch6- mage, et avait per~u des prestations i ce titre. Uincapacit6 permanente de travail n'6tait pas 6tablie, et par consequent, l'article 2, paragraphe 1, lettre b, du rag- lement n' 1251/70 n'6tait pas applicable.

Enfin, le Tribunal f~d~ral a examin6 l'application de l'article 24, paragra- phes 1 et 2, de l'annexe I, de I'ALCP concernant les personnes sans activit6 lucrative. Dans ce cas, l'int~ress6 doit prouver qu'il dispose des moyens finan- ciers suffisants pour ne pas devoir faire appel i l'aide sociale pendant son s6- jour, soit disposer d'un montant sup~rieur / celui permettant aux nationaux de pr~tendre aux prestations d'assistance. Ces conditions n'6taient pas remplies en l'espbce compte tenu du fait que l'int~ress6 avait besoin de l'aide sociale. Le Tribunal f~d~ral a donc confirm6 la decision cantonale, selon laquelle l'int~ress6 ne pouvait d~duire aucun droit de I'ALCP.

51 Arret du Tribunal f~d&ral du 13 mai 2013, r~f. 2C_905/2012.

52 R~glement n' 1251/70/CEE de la Commission, du 29 juin 1970, relatif au droit des travailleurs de demeurer sur le territoire d'un t~tat membre apr~s y avoir occup& un emploi, JO L 142 du 30.6.1970, p. 24. Ce r~glement a depuis &t& abrog& dans l'Union europ~enne et remplac& par la directive 2004/38.

3 L'art. 2, par. 1, let. b, du r~glement 1251/70 pr&voit qu'a le droit de demeurer sur le territoire d'un Etat membre le travailleur qui, r~sidant d'une faqon continue sur le territoire de cet Etat depuis plus de deux ans, cesse d'y occuper un emploi salari& Ai la suite d'une incapacit& permanente de travail.

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c) Droit de sjour avec exercice d'une activite lucrative

Deux arrets concernant l'exercice d'une activit6 lucrative m~ritent d'etre d~ve- lopp~s: le premier arret porte sur l'application du regime transitoire pour les ressortissants bulgares et roumains (i), le second arret traite d'une demande d'autorisation de courte dur~e pour la recherche d'un emploi (ii).

i) Application du regime transitoire pour les ressortissants bulgares et roumains

Dans un arret du 1er avril 2013"4, le Tribunal f~d~ral a eu l'occasion de confir- mer que le droit de sjour et d'accbs i une activit6 6conomique est garanti par l'article 4 de I'ALCP, sous reserve des dispositions transitoires de l'article 10 de I'ALCP.

En l'espbce, une association qui exploite un club de musique 6lectronique avait d~pos6 une demande d'autorisation de sejour pour activit6 lucrative en faveur d'un ressortissant roumain. Sa demande a 6t6 rejet~e par l'Office canto- nal genevois de l'inspection et des relations du travail, main d'ceuvre 6trangbre, au motif que l'Association n'avait pas d~montr6 avoir cherch6 i engager au pr~alable un travailleur du march6 indigbne. Dans le cadre de son recours, la requ~rante a invoqu6 d'une part, une violation de son droit d'etre entendu, et d'autre part, elle s'est plainte d'une appreciation arbitraire des faits et des moy- ens de preuves en relation avec les conditions pos~es quant au respect du prin- cipe de priorit6 i accorder aux travailleurs indigbnes. S'agissant du deuxibme grief, le Tribunal f~d~ral a examin6 l'Ordonnance sur l'introduction progressive de la libre circulation des personnes (OLCP)55, ainsi que les directives internes 6dict~es par l'Office f~d~ral des migrations (ODM)16, deux textes qui pr~cisent les mesures transitoires de l'article 10 de I'ALCP.

S'agissant du contr6le de la priorit6 des travailleurs indigbnes en relation notamment avec l'article 10, paragraphe 2, lettre b, de I'ALCP, les directives de l'ODM pr~voient qu'en vertu de l'obligation de collaborer, l'employeur est tenu de prouver les d~marches effectu~es en vue de recruter sur le march6 du travail indigbne et l'absence d'un travailleur (suisse ou 6tranger int~gr6 dans le march6 du travail suisse) ayant le profil recherch6. Selon le Tribunal f~d~ral,

«l'Ordre de priorit>> 6nonc6 l'article 21 LEtr est applicable, au moins par analogie, / l'admission en vue de l'exercice d'une activit6 lucrative des ressor-

4 Arret du Tribunal f~d&ral du 1 avril 2013, r~f. 2D_50/2012.

55 Ordonnance du Conseil f~d&ral, du 22 mai, sur l'introduction progressive de la libre circulation des personnes entre, d'une part, la Conf~d&ration suisse.

56 Les directives sont disponibles sur l'adresse internet suivant: http://www.bfm.admin.ch/content dam/data/bfrrlrechtsgrundlagen/weisungen/visa/bfm/weisungen-bfin-complement-f.pdf (consult&

le 9 juillet 2013).

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tissants des nouveaux Etats membres de l'Union europ~enne. Dans le cas pr6- sent, le Tribunal f~d~ral a constat6 que les annonces publi~es par l'Association pour ce poste ont W calqu~es sur le profil du ressortissant roumain, surtout en raison du fait que la langue roumaine avait constitu6 une condition pour exercer 1'emploi. Par consequent, l'Association ne s'est pas conform~e 1'exigence de l'ordre de priorit6 et le recours de la requ~rante a W rejet6.

ii) Demande d'autorisation de courte duree pour la recherche d'un emploi

Une ressortissante espagnole, n~e en Suisse, b~n~ficiait d'une autorisation d'6tablissement. En 2006, elle a W condamn~e i une peine privative de libert6 de neuf mois et demi, pour de nombreuses infractions: violations graves des rbgles de la circulation routibre, infraction i la loi f~d~rale sur les stup~fiants, faux dans les titres, faux dans les certificats, abus de confiance au prejudice d'un proche ou d'un familier. Pendant la dur~e de son emprisonnement, elle a b~n~fici6 d'un cong6 enjanvier 2008. Elle a alors quitt6 la Suisse pour se rendre auprbs de sa mere en Espagne. Au mois d'aofit 2009, elle a W arret~e en Suisse et incarc~r~e i nouveau i la prison pour poursuivre l'ex~cution de ses peines, interrompue par son depart. En janvier 2010, elle a &6 lib~r~e et mise au b~n6- fice du revenu d'insertion tout en cherchant un emploi. Aprbs sa liberation, le Service cantonal l'a inform~e que son permis d'6tablissement avait pris fin en raison de son absence de Suisse pendant 18 mois et qu'il n'6tait ds lors pas dispos6 lui d~livrer une autorisation de sejour sous quelque forme que ce soit en raison de son comportement d~licmeux. Uint~ress~e a introduit un recours contre cette decision en demandant la restitution de son permis d'6tablissement et, subsidiairement, l'octroi d'une autorisation de courte dur~e pour rechercher un emploi.

Dans son arret du 26 septembre 201211, le Tribunal f~d~ral a rejet6 le re- cours consid~rant premibrement que l'article 61, paragraphe 2, LEtr avait &6 viol6. En vertu de cette disposition, << si un tranger quitte la Suisse sans decla- rer son depart, l'autorisation d'etablissement prend automatiquement fin apr's six mois; sur demande, ladite autorisation peut &re maintenue pendant quatre ans >>1. Les causes de l'6loignement et les motifs de l'int~ress~e ne sont deter- minants'9. Deuxibmement, le Tribunal f~d~ral a consid~r6 que l'int~ress~e ne pouvait pas se pr6valoir de l'article 8 de la CEDH. Selon la jurisprudence re-

" Arret du Tribunal f~d&ral du 26 septembre 2012, r~f. 2C_19/2012.

58 Cette disposition reprend pour l'essentiel l'art. 9, par. 3, let. c, de la loi f&d&rale du 26 mars 1931 sur le sjour et l'&tablissement des &trangers (LSEE) abrog~e par l'entr~e en vigueur de la LEtr (cf.

Message du 8 mars 2002 concernant la loi sur les 6trangers, FF 2002 3562 ch. 2.9.2).

59 ATF 120 lb 369, consid. 2c.

(21)

strictive du Tribunal f6d6ral par rapport A cette disposition, un 6tranger majeur ne peut se pr6valoir de cette disposition que s'il se trouve dans un 6tat de d6pen- dance particulier par rapport A des membres de sa famille r6sidant en Suisse60. Troisibmement, le Tribunal f6d6ral a examin6 la demande subsidiaire en vue de l'obtention d'une autorisation de s6jour pour la recherche d'un emploi an sens de l'article 2, paragraphe 1, alin6a 2, de l'annexe 1, de l'ALCP. Cette disposi- tion permet de s6joumer sur le territoire suisse pendant un d6lai raisonnable, qui peut te de six mois, pour prendre connaissance des conditions du march6 de l'emploi et effectuer les d6marches en vue d'un engagement. Or, en l'espbce, la recherche d'emploi apparaissait peu cr6dible du fait que l'int6ress6e n'avait pas exerc6 d'activit6 lucrative avant son emprisonnement et qu'elle n'avait pas fait de recherches pour en trouver un. En conclusion, le Tribunal f6d6ral a con- firm6 la d6cision cantonale en jugeant le refus de restitution du permis d'6tablissement conforme au droit f6d6ral et conventionnel.

d) Limites au droit de sdjour pour des motifs lis i l'ordre public et la sdcurit6 publique

La jurisprudence en la matibre est abondante. En application de l'article 5, pa- ragraphe 2, de l'annexe I, de I'ALCP, le Tribunal f6d6ral interprbte les notions d'ordre public, de s6curit6 publique et de sant6 publique en se r6f6rant aux di- rectives 64/221,61 72/19462 et 75/35,63 ainsi qu'A la jurisprudence pertinente de la Cour de justice ant6rieure au 21 juin 199964. Les arr~ts de la p6riode sous examen reprennent les principes d6velopp6s dans la jurisprudence ant6rieure du Tribunal f6d6ral. Ils traitent des limites aux droits de s6jour de ressortissants

6' ATF 129 I1 11, consid. 2; ATF 120 lb 257, consid. Id.

61 Directive 64/221/CEE du Conseil, du 25 f&vrier 1964, pour la coordination des mesures sp&ciales aux 6trangers en mati~re de dplacement et de sjour justifi~es par des raisons d'ordre public, de s~curit& publique et de sant& publique, JO 56 du 4.4.1964, p. 850. Cette directive a depuis &t& abro- g~e dans l'Union europ~enne et remplac~e par la directive 2004/38.

62 Directive 72/194/CEE du Conseil, du 18 mai 1972, &endant aux travailleurs qui exercent le droit de demeurer sur le territoire d'un ttat membre apr&s y avoir occup& un emploi, le champ d'application de la directive du 25 f&vrier 1964 pour la coordination des mesures sp&ciales aux 6trangers en ma- ti~re de dplacement et de sjourjustifi&es par des raisons d'ordre public, de s&urit& publique et de sant& publique, JO L 121 du 26.5.1972, p. 32. Cette directive a depuis &t& abrog~e dans l'Union europ~enne et remplac~e par la directive 2004/38.

63 Directive 75/35/CEE du Conseil, du 17 dcembre 1974, &endant le champ d'application de la direc- tive 64/221/CEE pour la coordination des mesures sp&ciales aux 6trangers en mati~re de dplace- ment et de sjourjustifi&es par des raisons d'ordre public, de s&urit& publique et de sant& publique, aux ressortissants d'un ttat membre qui exercent le droit de demeurer sur le territoire d'un autre Etat membre apr~s y avoir exerc& une activit& non salari~e, JO L 14 du 20.1.1975, p. 14. Cette directive a depuis &t& abrog~e dans l'Union europ~enne et remplac~e par la directive 2004/38.

4 KADDOUS Christine/GRISEL Diane, Libre circulation des personnes et des services, Dossier de droit europ~en n' 26, Bale (Helbing & Lichtenhahn), 2012, p. 882.

Praxis / Chronique SZIER RSDIE 4 2013

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